Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 30. Mai 2018 - A 5 K 5640/16

bei uns veröffentlicht am30.05.2018

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.

Tatbestand

Der am XXX.1981 geborene Kläger zu 1 ist mit der am XXX.1984 geborenen Klägerin zu 2 verheiratet. Sie sind pakistanische Staatsangehörige punjabischer bzw. pashtunischer Volkszugehörigkeit und begehren ihre Anerkennung als Flüchtlinge.
Sie verließen Pakistan nach eigenen Angaben am 30.01.2013 und reisten am nächsten Tag mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie stellten am 18.02.2013 Asylanträge. Ihre Tochter kam am XXX.2013 zur Welt; ihr Verfahren ist unter dem Aktenzeichen A 5 K XXX/16 anhängig. Ihr Sohn kam am XXX.2016 zur Welt; sein Verfahren ist unter dem Aktenzeichen A 5 K XXX/16 anhängig.
Die persönliche Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erfolgte am 29.07.2014. Hier gab die Klägerin zu 2 im Wesentlichen Folgendes an:
Sie und ihr Mann, sie liebten sich und hätten auch geheiratet. Ihre Eltern seien dagegen gewesen. Sie würden normalerweise nur innerhalb der Volkszugehörigkeit heiraten und wenn man das nicht möchte, erlaubten die Eltern das nicht. Ihre Eltern und Brüder seien dagegen gewesen, sie seien sehr streng. Einmal sei sie aus dem Haus gegangen. Ihr Mann und sie hätten sich heimlich getroffen. Einmal habe ihr Bruder sie zusammen gesehen und als sie nach Hause gekommen sei, habe er gefragt, wo sie gewesen sei. Zunächst habe sie gelogen, dass sie bei einer Freundin gewesen sei. Er habe gemeint, sie würde lügen, er hätte sie selbst zusammen mit ihm gesehen. Ihr Bruder sei sehr wütend geworden, er habe sie auch geschlagen. Sie habe dann gesagt, dass sie sich liebten und heiraten möchten. Ihr Bruder habe sie an dem Tag viel geschlagen.
Das weitere Problem sei die Religion. Sie hätten den muslimischen Glauben aufgegeben und seien zum Christentum konvertiert. So könnten sie in Pakistan nicht leben und wenn die Familie davon erfahre, würde man sie nicht leben lassen. Sie hätten im Asylheim eine christliche Familie aus Sri Lanka kennengelernt. Sie seien also nicht durch die Predigt zur Religion gebracht worden, sie hätten ihre Überzeugung selbst gefunden. Einmal seien von der Kirche Leute bei dieser Familie gewesen, sie hätten auf Englisch dem Gespräch folgen können und man habe dabei auch mit ihnen gesprochen. Die Leute seien sehr nett und freundlich gewesen. So sei es zu einem vertieften Gespräch gekommen. Sie hätten mit diesen Leuten auch noch immer Kontakt. In Pakistan seien so offene Gespräche nicht möglich.
Der Kläger zu 1 gab bei seiner Anhörung am 26.04.2016 Folgendes an:
Es sei so, dass sie in Pakistan in Frieden zusammenleben wollten. Das sei dort für sie nicht möglich gewesen. Das sei nur eine Theorie. Dann komme die Scharia dazwischen und sie seien ungehorsam den Eltern gegenüber. Sie hätten dort keine Freiheit gehabt und es habe sehr harte Regeln gegeben. Hier sei das anders, sie hätten Freiheit und Frieden gehabt. Es habe auch liebevolle Menschen gegeben, die ihnen geholfen hätten. Sie hätten hier die Möglichkeit erhalten, in Ruhe und Frieden zu leben. Da sie das hier so anders erlebt hätten und sie die Lehre von Jesus, der Liebe zu den Menschen und seinen gewirkten Wundern erfahren haben, habe sie das überzeugt. Hier habe er gesehen, dass ein Mensch als Mensch erkannt und geschätzt werde – unabhängig, welche Religion er in sich trage.
Für Details wird auf die jeweilige Niederschrift der Anhörung verweisen.
Das Bundesamt lehnte die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Asylanträge mit Bescheid vom 05.10.2016 ab. Die Anträge auf subsidiären Schutz wurden ebenfalls abgelehnt. Es stellte des Weiteren fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen, forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihnen die Abschiebung nach Pakistan an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
10 
Gegen den Bescheid haben die Kläger am 21.10.2016 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, zu deren Begründung sie sich zunächst auf ihre Angaben beim Bundesamt beziehen. Insbesondere der Umstand, dass sie sich vom Islam abgewandt und dem Christentum zugewandt hätten, stünde einer Rückkehr nach Pakistan entgegen. Sie seien nun gläubige Christen. Als solche seien sie erheblichen Repressalien in Pakistan ausgesetzt. Man würde ihnen die Kinder wegnehmen. Ihre Kinder würden als Muslime angesehen werden. Sie könnten ihren Glauben nicht mehr frei ausleben. Ihnen drohe Verhaftung.
11 
Die Kläger beantragen,
12 
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihnen subsidiären Schutz zuzuerkennen und weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegt.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Klagen abzuweisen.
15 
Die Kläger sind in der mündlichen Verhandlung am 30.05.2018 informatorisch gehört worden, wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Anlage zur Sitzungs-niederschrift verwiesen.
16 
Dem Gericht liegen die Behördenakten vor. Auf diese sowie auf die Gerichtsakten auch der Verfahren der beiden Kinder (A 5 K XXX/16 und A 5 K XXX/16) wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
I. Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet die Berichterstatterin an Stelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
18 
II. Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 05.10.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG noch die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
1. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte ist bei den Klägern nicht gegeben, weil sie nach eigenen Angaben zwar auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, sie haben aber weder Ausweispapiere noch Flugdokumente vorlegen können (vgl. zur materiellen Beweislast in derartigen Fällen BVerwG, Urteil vom 29.06.1999 - 9 C 36/98 -, NVwZ 2000, 81 ff.).
20 
2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen ebenfalls nicht vor.
21 
a. Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
22 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
23 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren auf Grund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 -, juris; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, juris).
24 
b. Nach diesen Maßstäben droht den Klägern bei einer Rückkehr nach Pakistan keine Verfolgung. Weder die geschilderten Probleme und Vorfälle um die Familie der Klägerin zu 2 (hierzu aa.) noch die Konversion vom islamischen zum christlichen Glauben (hierzu bb.) führen zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
25 
aa. Soweit die Kläger sich auf eine Verfolgung durch die Familie der Klägerin zu 2 berufen, zeigen die geschilderten Ereignisse keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines flüchtlingsrelevanten Merkmals. Die in der mündlichen Verhandlung berichteten Vorfälle um ihre Trennung, herbeigeführt von der Familie der Klägerin zu 2, sind zwar im Großen und Ganzen – von einigen Unstimmigkeiten abgesehen – plausibel und nachvollziehbar geschildert. Weniger glaubhaft sind die Schilderungen um den Angriff der Familienmitglieder der Klägerin zu 2 auf den Kläger zu 1. Hier bleiben seine Schilderungen eher vage und oberflächlich. Auch die von der Klägerin zu 2 geschilderte „Flucht“ aus dem Haus ihrer Familie wirkt konstruiert und insgesamt wenig plausibel. Es kann offen bleiben, ob die beiden Einzelfälle tatsächlich so stattgefunden haben. Denn die Berichterstatterin hält das geschilderte Problem – die Familie der Klägerin zu 2 sei nicht einverstanden gewesen mit der Verbindung zum Kläger zu 1, da diese bereits einem anderen Mann versprochen gewesen sei und er als Panjabi für sie als Paschtunin ohnehin nicht als Ehepartner in Frage gekommen wäre – für glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt. Die Volksgruppe der Paschtunen lebt nach eigenen Regeln, die u.a. Frauen kein Wahlrecht bei der Heirat einräumen (vgl. z.B. https://www.welt-sichten.org/artikel/12537, zuletzt aufgerufen am 16.08.2018).
26 
Es ist allerdings schon zweifelhaft, ob überhaupt eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a AsylG vorliegt, denn nach den – für wahr unterstellten – Schilderungen der beiden Kläger hat es sich um „einfache“ körperliche Auseinandersetzungen gehandelt. Selbst bei Annahme des Vorliegens der Merkmale des § 3a AsylG, ist weiter zu diskutieren, ob § 3c AsylG erfüllt ist, da die Kläger letztlich einen innerfamiliären Konflikt schildern. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nummer 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (Nummer 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Ziffern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nummer 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylVfG wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 genannten Akteure, nämlich der Staat (Nummer 1) oder Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nummer 2) geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen kann es offen bleiben, ob die Familie der Klägerin zu 2 als „nichtstaatliche Akteure“ i. S. v. § 3c Nr. 3 AsylG angesehen werden können. Denn die Kläger müssten sich zunächst an staatliche Organe wenden, die ihnen Schutz bieten könnten, vgl. § 3d AsylG.
27 
Letztlich müssen sich die Kläger jedenfalls auf internen Schutz verweisen lassen, so dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen ist, vgl. § 3e AsylG. Sie können subjektiv befürchteten Verfolgungshandlungen dadurch begegnen, dass sie sich in einem anderen Teil Pakistans niederlassen. Eine innerstaatliche Wohnsitzalternative ist grundsätzlich immer dann gegeben, wenn für eine Person in einem Teil ihres Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht und sie sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise dort erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlässt, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG. Dies ist hier der Fall. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshāwar oder Multan – leben potentiell Verfolgte auf Grund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 20.10.2017, Stand: August 2017). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ohne funktionierendem Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, bei Niederlassung in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu entgehen. Gemäß der Auskunft von Accord vom 05.02.2015 führt der Ermittlungsbericht des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Islamabad vom Juli 2013 aus, dass selbst eine Person, die von einem Konfliktherd mit Taliban fliehe, relativ sicher in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen Sindh oder Punjab leben könne. Hinsichtlich der Sicherheit würden in Pakistan – schon auf Grund der Größe des Landes – interne Fluchtalternativen bestehen (http://www.ecoi.net/local_link/ 296558/432819_de.html).
28 
Es kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass die Kläger sich in einem anderen Landesteil niederlassen. Denn nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine zumutbare Schutzalternative dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, bietet keinen internen Schutz (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 -, juris; so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.2014 - 14 K 1267/14.A -, juris).
29 
Sowohl der Kläger zu 1 als auch die Klägerin zu 2 haben Hochschulabschlüsse. Die Klägerin zu 2 macht hier eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten. Beide sind gesund, haben eine gute Schulbildung und bereits Berufserfahrung gesammelt. Selbst wenn sie in ihren Branchen keine Anstellung finden sollten, so ist ihnen nach dem eben Gesagten auch eine weniger angesehene Tätigkeit zuzumuten. Die Berichterstatterin hat keine Zweifel, dass sie für den Lebensunterhalt ihrer Familie werden sorgen können.
30 
bb. Auch soweit die Kläger sich auf ihren christlichen Glauben berufen, führt dies unter Beachtung der oben angeführten Maßstäbe nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
31 
(1) Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit (vgl. Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 EMRK) im Sinne von § 3a AsylG darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - Rs. C-71/11 und C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Denn vom Schutzbereich der durch § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG geschützten Religionsfreiheit wird auch die in die Öffentlichkeit wirkende Praktizierung der Religion erfasst einschließlich des Rechts, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, a.a.O.). Der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet; es kommt auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Gläubigen an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - Rs. C-71/11 und C-99/11 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.).
32 
Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in die so verstandene Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG dar. Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GRCH gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, kann eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen, wenn der Antragsteller in seinem Herkunftsland tatsächliche Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung in seinem Herkunftsland kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.). Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab. Die erforderliche Schwere in objektiver Hinsicht kann insbesondere erreicht sein, wenn dem Antragsteller durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an; denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr. Darüber hinaus ist die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.).
33 
In subjektiver Hinsicht ist maßgebend, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist. Es reicht somit nicht aus, dass der Antragsteller eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde (vgl. (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.).
34 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Antragstellers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ 2015, 1678). Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Antragstellers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Beruft sich der Antragsteller auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Antragstellers prägt. In diesem Zusammenhang kann von einem Erwachsenen im Regelfall erwartet werden, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, a.a.O.).
35 
Dabei reicht der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe für die Gewinnung der Überzeugung, dass der Betreffende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, allein nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, a.a.O.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.09.2014 - 13 LA 93/14 -, juris; OVG Münster, Beschluss vom 27.04.2015 - 13 A 440/15.A -, juris; VGH München, Beschluss vom 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.04.2014 - A 3 S 269/14 -, juris). Damit sich ein Asylbewerber erfolgreich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung berufen kann, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und dass der neue Glaube nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.04.2016 - 13 A 854/16.A -, juris).
36 
(2) Der Gesamteindruck, den die Berichterstatterin in der mündlichen Verhandlung von beiden Klägern gewonnen hat, lässt keine Zweifel, dass die Kläger nun zum Christentum konvertiert sind. Sie haben in der mündlichen Verhandlung beide nachvollziehbar schildern können, was sie dazu bewogen hat, nicht mehr Anhänger des islamischen, sondern des christlichen Glaubens zu sein. Beide haben im Studieren der Bibel und bei Gesprächen mit anderen christlichen Gläubigen Halt gefunden. Die Kläger besuchen seit ihrer Ankunft in Deutschland regelmäßig den Gottesdienst. Sie haben seit dieser Zeit Kontakt zu anderen christlich Gläubigen, den sie pflegen. Sie halten weiter Kontakt zu Herrn XXX, Pfarrer in der XXX-Gemeinde, der auch in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden ist. Letztlich hat auch der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nach der Anhörung der beiden Kläger auf Nachfrage der Berichterstatterin bestätigt, dass auch er davon ausgehe, dass es sich bei den Klägern um von ihrem Glauben überzeugte und bekennende Christen handelt.
37 
(3) Eine Vorverfolgung wegen ihres Glaubens, auf Grund derer sie ausgereist sind, machen die Kläger nicht geltend.
38 
(4) Eine drohende Verfolgung bei einer unterstellten Rückkehr ist zur Überzeugung der Berichterstatterin (§ 108 VwGO) nicht festzustellen.
39 
Eine Gruppenverfolgung von Christen in Pakistan ist nach Auswertung der Erkenntnismittel nicht anzunehmen. Hat der Asylbewerber keine eigene Verfolgung wegen seiner Religion erfahren, kann sich die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das er mit ihnen teilt und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt dabei die Annahme einer Gruppenverfolgung ein staatliches Verfolgungsprogramm oder im Fall einer nichtstaatlichen Verfolgung eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Vermutung einer auch individuell bestehenden Verfolgungsgefahr rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, NVwZ 1995, 175). Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist auf Grund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare asylerhebliche Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (hierzu: BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris).
40 
Zur Frage der Gruppenverfolgung von Christen in Pakistan hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bereits im Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 - (juris) ausgeführt:
41 
„Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein. Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen – anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).(…) Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014). Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV). Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nichtstaatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte. Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten. Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. (…) Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein (…)“
42 
Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 20.10.2017, Stand: August 2017) führt zu der Religionsfreiheit bzw. zu der Situation der Christen in Pakistan Folgendes aus:
43 
„Grundsätzlich hat jede Person die Freiheit, ihre Religion selbst zu bestimmen. Artikel 20 der Verfassung von 1973 garantiert die freie Religionsausübung. Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Im Gegensatz zu anderen islamischen Ländern, in denen Apostasie in Anlehnung an den Koran mit dem Tode bestraft wird, gibt es in Pakistan keine entsprechende strafrechtliche Bestimmung. Apostasie ist aber von der Gesellschaft in keiner Weise akzeptiert. Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben entsteht nur dann, wenn sich die betroffene Person besonders exponiert. Es bestehen scharfe Gesetze gegen Blasphemie (§§ 295a-c des Pakistan Penal Code, PPC). Seit 1990 verbietet § 295a PPC das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b PPC die Entweihung des Koran, § 295c PPC die Beleidigung des Propheten Mohammed. Die letztgenannte Norm sieht auch bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. In den meisten Fällen wird auf Druck von Extremisten im erstinstanzlichen Urteil die Todesstrafe verhängt; Berufungsgerichte heben solche Urteile aber oft wieder auf. So wurde bislang kein Todesurteil in einem Blasphemiefall vollstreckt.
44 
Im Jahr 2016 wurden laut NRO „Human Rights Commission of Pakistan“ 15 Personen wegen Blasphemie festgenommen: 10 Muslime und 5 Angehörige anderer Konfessionen. 2 Muslime und 2 Christen wurden demnach 2016 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Während in der Mehrheit der Fälle Muslime betroffen sind, sind religiöse Minderheiten im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überproportional betroffen. Unter den Fällen gegen Muslime nimmt der Anteil der schiitischen Minderheit (15 – 20 % der Bevölkerung) zu. Diese Fälle zeigen auch, dass die Strafgesetzänderung von Ende 2004, nach der Ermittlungen nur noch durch höhere Polizeibeamte geführt werden dürfen, nicht die erhoffte Verbesserung der Lage gebracht hat. Eine Person, die einmal wegen Blasphemie verurteilt wurde, wird vielfach auch nach Freispruch durch ein Berufungsgericht zum Opfer von Verfolgung durch extremistische Organisationen. Insbesondere bei Angehörigen religiöser Minderheiten geraten Familienangehörige von Angeklagten häufig ebenfalls ins Visier von Extremisten und erhalten z. B. anonyme Drohungen.
45 
Die Blasphemiegesetzgebung findet beim überwiegenden Teil der pakistanischen Gesellschaft Unterstützung. Besonders deutlich wurde dies am Fall Mumtaz Qadri, der am 04.01.2011 den Gouverneur der Provinz Punjab, der öffentlich Partei für die zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi ergriffen und die Blasphemie-Gesetzgebung kritisiert hatte, auf offener Straße erschossen hatte. Qadri war sein Leibwächter. Nachdem Mumtaz Qadri am 29.02.2016 hingerichtet worden war, kam eine große Menschenmenge (Schätzungen variieren zwischen 30.000 und bis zu 200.000) zu seiner Trauerfeier. Er wurde bei einem jüngst errichteten Schrein unweit von Islamabad beigesetzt und sein Grab gilt inzwischen als oft frequentierte und beliebte Pilgerstätte, v. a. für Jugendliche. Qadri wurde zum Idol nicht nur der radikalen Islamisten in Pakistan.
46 
Weiterhin problematisch bleibt die Wirkung der Blasphemie-Gesetzgebung auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Blasphemie-Vorwürfe werden immer wieder zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt oder Mordanschläge genommen. Der Richter am Obersten Gerichtshof, der für die Bestätigung des Todesurteils gegen Mumtaz Qadri verantwortlich zeichnete, musste nach Morddrohungen vorübergehend mit seiner Familie das Land verlassen. Der weltweit aufmerksam verfolgte Fall der 2010 als erster Frau wegen Blasphemie zum Tode verurteilten Christin Asia Bibi ist aktuell vor dem Obersten Gerichtshof anhängig, der das Todesurteil suspendiert hat und den Fall noch einmal vollständig überprüfen will. Nachdem sich einer der Richter am Tag der Eröffnung der Überprüfungsanhörung als befangen aus dem Verfahren zurückgezogen hat, ist eine Weiterverhandlung bisher nicht terminiert. Sollte der Oberste Gerichtshof im Ergebnis das Todesurteil aufrechterhalten, stünde Asia Bibi noch die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Staatspräsidenten zur Verfügung.
47 
Im Unterschied zu den Ahmadis sind Christen in der Regel frei in der öffentlichen Ausübung ihres Glaubens, aber insoweit verwundbarer, als sie fast ausschließlich der sozioökonomischen Unterschicht angehören. Auch infolge zunehmender radikalislamischer Strömungen in der Gesellschaft besteht ein wachsender Druck auf christliche Gemeinden. In den Jahren 2015 und 2016 gab es in Lahore, der Hauptstadt der Provinz Punjab, mehrere gezielt gegen Christen gerichtete terroristische Anschläge mit zahlreichen Opfern. Solche Angriffe belegen, dass es für die christliche Minderheit in Pakistan, die bislang vor allem unter sozialer Diskriminierung litt und im Vergleich zu anderen Minderheiten nur selten direkt angegriffen wurde, auch eine ernst zu nehmende latente terroristische Bedrohungslage gibt. Das Verhältnis zwischen der muslimischen Mehrheit und der christlichen Minderheit (etwa 1,5 % der Bevölkerung, davon etwa 60 % Katholiken, 40 % protestantische Konfessionen) ist nicht konfliktfrei. Diskriminierung im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ist verbreitet. Es gibt so gut wie keine christliche Mittelschicht, dafür eine breite Unterschicht, die sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt. Auf dem Lande befindet sich die Mehrzahl der Christen als einfache Pächter in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Großgrundbesitzern. Es gibt allerdings auch kleine Landbesitzer, die häufig in rein oder überwiegend christlichen Siedlungen leben. Während die Mehrzahl der pakistanischen Christen aus der Armut nicht herauskommt, versucht die kleine christliche Oberschicht vielfach, möglichst das Land zu verlassen. Viele Christen und Angehörige anderer Minderheiten leben in ausbeuterischen und schuldknechtschaftlichen Arbeitsverhältnissen.“
48 
Diesen allgemeinen Ausführungen zur Lage der Christen in Pakistan schließt sich die erkennende Berichterstatterin (ebenso z.B. VG Lüneburg, Urteil vom 03.05.2018 - 2 A 127/17 -, juris; VG München, Urteil vom 21.09.2017 - M 1 K 16.35666 -, juris) auch nach Auswertung der neusten Erkenntnismittel an. Denn auch dem neusten Lagebericht des Auswärtigen Amtes (oben zitiert, Lagebericht vom 20.10.2017) sind keine Erkenntnisse zu entnehmen, die für eine Gruppenverfolgung von Christen in Pakistan sprechen. Im März 2013 brandschatzte ein Mob von circa 3.000 Muslimen nach einer Blasphemie-Anzeige gegen einen Christen ein christliches Viertel in Lahore; getötet wurde niemand. Die Provinzregierung und die Föderalregierung leisteten Kompensationszahlungen; die Strafverfolgung war allerdings nicht ausgeprägt. 2013 kam es zu insgesamt fünf Angriffen auf Kirchen oder Polizisten, die zum Schutz der Kirchen im Einsatz waren. Am 22.09.2013 kamen bei einem Selbstmordanschlag auf die Allerheiligen-Kirche in Peshawar über 80 Menschen ums Leben. Am 15.03.2015 kamen bei einem Doppelanschlag auf zwei Kirchen im überwiegend von Christen bewohnten Stadtteil Yohanabad von Lahore mindestens 20 Menschen ums Leben. Im Mai 2015 randalierte ein Mob in einer christlichen Wohngegend in Lahore, nachdem ein christlicher Bewohner beschuldigt worden war, Koranseiten geschändet zu haben; zahlreiche Christen flohen aus der Gegend (zum Vorstehenden: VG Hannover, Urteil vom 28.03.2018 - 11 A 3406/17 -, juris). Bei einem Anschlag auf einen öffentlichen Park in Lahore am 27.03.2016 (Ostersonntag) kamen zahlreiche Christen ums Leben. („Die Welt“ (online) vom 28.3.2016, „Christen als Sündenböcke“, https://www.welt.de/politik/ausland/article153749253/Christen-als-Suendenboecke.html, aufgerufen zuletzt am 16.08.2018). Wenngleich die Mehrzahl der Getöteten Muslime waren, behauptete die Taliban, der Anschlag habe den Christen gegolten (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 30.05.2016, Stand: Mai 2016, S. 16). Christliche Fernsehsender sind in Pakistan seit November 2016 verboten. Die staatliche TV-Regulierungsbehörde hat sie für illegal erklärt. Künftig dürfen „christliche Botschaften“ nur noch zu Ostern und Weihnachten über das Fernsehen verbreitet werden (https://www.jesus.de/pakistan-alle-christlichen-fernsehsender-fuer-illegal-erklaert/, zuletzt aufgerufen am 16.08.2018).
49 
Andererseits hat eine christliche Familie nach einem ungewöhnlichen Gerichtsurteil eine großzügige Entschädigung erhalten. Ihr Sohn war von Polizisten getötet worden. Nach mehr als vier Monaten Haft boten die sechs angeklagten Polizisten der Familie drei Millionen Rupien (rund 21.500 Euro) nach dem islamischen Konzept des „diyat“ an: Blutgeld gegen Begnadigung. Am 14.03.2018 gab der Richter diesem Austausch nach pakistanischem Recht statt und sprach die sechs des Totschlags beschuldigten Männer frei. Artikel 319 des pakistanischen Strafgesetzbuches besagt, dass „jeder, der unbeabsichtigt einen Menschen tötet, diyat unterliegt“. Jedes Jahr überprüft die Regierung die Höhe des „diyat“: Sie beträgt im Jahr 2018 rund 14.000 Euro. S. G., ein Anwalt, der die Familie in diesem Fall vertreten hat, sagt: „Meines Wissens wurden bisher in keinem Fall von Polizeigewalt, die zum Tod eines Christen führte, die Täter bestraft. Das ist ein seltener Sieg für unsere Anwälte, die dafür gesorgt haben, dass der Familie Gerechtigkeit widerfährt. Die Familie sagte, sie sei zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis.“ (https://www.opendoors.de/nachrichten/aktuelle-meldungen/pakistan-christliche-familie-erlebt-ein-juristisches-wunder, zuletzt aufgerufen am 16.08.2018).
50 
Die Berichterstatterin stellt nicht in Abrede, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan gesellschaftlich oder wirtschaftlich vereinzelt diskriminiert werden könnten. Eine systematische – staatliche oder nichtstaatliche – Verfolgung nach den oben beschriebenen Ausmaßen ist jedoch auch heute (noch) nicht zu erkennen. Im Gegensatz zu vielen anderen islamisch geprägten Ländern ist Apostasie weiterhin nicht strafbar, diverse Gesetzänderungsverfahren sind bislang gescheitert (vgl. http://www.loc.gov/law/help/apostasy/index.php#pakistan oder https://de.wikipedia.org/wiki/Apostasie_im_Islam#cite_ref-90, beide zuletzt aufgerufen am 29.05.2018).
51 
In der Gesamtschau ist daher weiterhin nicht von einer Gruppenverfolgung der Christen in Pakistan auszugehen.
52 
3. Die Kläger haben ferner keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
53 
a. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt insbesondere die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1) oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2). Ausschlussgründe ergeben sich aus § 4 Abs. 2 AsylG. Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten gemäß § 4 Abs. 3 AsylG entsprechend.
54 
Unmenschliche Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist dabei vorsätzlich angewandte Gewalt, die zu schweren psychischen und körperlichen Qualen führt. Zweck der unmenschlichen Behandlung ist es, Leid zu verursachen. Eine unmenschliche Behandlung liegt danach vor, wenn sie tatsächliche körperliche Verletzungen oder wenigstens intensive körperliche und geistige Leiden verursacht, wenn sie vorsätzlich geplant ist und ohne Unterbrechung stundenlang ausgeführt wird. Ganz allgemein ist also unter einer unmenschlichen Behandlung die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen (vgl. insg. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris). Erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ist die Verursachung von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit, geeignet zu erniedrigen oder zu entwürdigen sowie tatsächlichen oder vermuteten psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Der Zweck der erniedrigenden Behandlung liegt in der Demütigung des Opfers. Eine erniedrigende Behandlung ist danach gegeben, wenn sie eine Person demütigt, sie es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt und sie geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zwingend aus (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/06 -, M.S.S./Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris).
55 
Für den Ausländer muss zudem die konkrete Gefahr bestehen, in dem Staat, in den er abgeschoben werden soll, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Wann eine konkrete Gefahr vorliegt, orientiert sich am Einzelfall. Eine rein quantitative oder statistische Betrachtung ist nicht ausreichend. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist insoweit zwar der (allgemeine) asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, allerdings kennzeichnet das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3070/11 -, juris, m. w. N.).
56 
b. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht den Klägern bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Diesbezüglich kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Selbst wenn es vereinzelt zu Übergriffen aus der Bevölkerung kommen sollte, die eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“ im oben genannten Sinn darstellen könnten, so müssten sich die Kläger gem. § 3d AsylG an staatliche Organe wenden, der grundsätzlich willens und in der Lage ist, Schutz zu bieten. Außerdem müssten sie auch hier erneut auf § 3e AsylG verwiesen werden.
57 
4. Auch Abschiebungsverbote nach nationalem Recht gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
58 
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus denselben Erwägungen wie vorstehend zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aus (vgl. zum Verhältnis des subsidiären Schutzes zum nationalen Abschiebungsverbot BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12).
59 
Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot wegen allgemeiner Gefahren in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 -, juris).
60 
Unter Anwendung dieser Grundsätze drohen den Klägern bei einer Rückkehr nach Pakistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Grund individueller Besonderheiten eine extreme Gefahrenlage. Für die Berichterstatterin steht nicht mit der nötigen Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre. Hierfür ist bei den jungen, gesunden und gebildeten Klägern nach dem vorstehend Gesagten nichts ersichtlich.
61 
5. Die Abschiebungsandrohung entspricht den Anforderungen der §§ 34, 38 AsylG, § 59 AufenthG.
62 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i. V. m. § § 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Nach § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Berichterstatterin hat keine Veranlassung, das Urteil wegen der Kosten für vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
I. Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet die Berichterstatterin an Stelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
18 
II. Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 05.10.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG noch die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
1. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte ist bei den Klägern nicht gegeben, weil sie nach eigenen Angaben zwar auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, sie haben aber weder Ausweispapiere noch Flugdokumente vorlegen können (vgl. zur materiellen Beweislast in derartigen Fällen BVerwG, Urteil vom 29.06.1999 - 9 C 36/98 -, NVwZ 2000, 81 ff.).
20 
2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen ebenfalls nicht vor.
21 
a. Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
22 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
23 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren auf Grund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 -, juris; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, juris).
24 
b. Nach diesen Maßstäben droht den Klägern bei einer Rückkehr nach Pakistan keine Verfolgung. Weder die geschilderten Probleme und Vorfälle um die Familie der Klägerin zu 2 (hierzu aa.) noch die Konversion vom islamischen zum christlichen Glauben (hierzu bb.) führen zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
25 
aa. Soweit die Kläger sich auf eine Verfolgung durch die Familie der Klägerin zu 2 berufen, zeigen die geschilderten Ereignisse keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines flüchtlingsrelevanten Merkmals. Die in der mündlichen Verhandlung berichteten Vorfälle um ihre Trennung, herbeigeführt von der Familie der Klägerin zu 2, sind zwar im Großen und Ganzen – von einigen Unstimmigkeiten abgesehen – plausibel und nachvollziehbar geschildert. Weniger glaubhaft sind die Schilderungen um den Angriff der Familienmitglieder der Klägerin zu 2 auf den Kläger zu 1. Hier bleiben seine Schilderungen eher vage und oberflächlich. Auch die von der Klägerin zu 2 geschilderte „Flucht“ aus dem Haus ihrer Familie wirkt konstruiert und insgesamt wenig plausibel. Es kann offen bleiben, ob die beiden Einzelfälle tatsächlich so stattgefunden haben. Denn die Berichterstatterin hält das geschilderte Problem – die Familie der Klägerin zu 2 sei nicht einverstanden gewesen mit der Verbindung zum Kläger zu 1, da diese bereits einem anderen Mann versprochen gewesen sei und er als Panjabi für sie als Paschtunin ohnehin nicht als Ehepartner in Frage gekommen wäre – für glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt. Die Volksgruppe der Paschtunen lebt nach eigenen Regeln, die u.a. Frauen kein Wahlrecht bei der Heirat einräumen (vgl. z.B. https://www.welt-sichten.org/artikel/12537, zuletzt aufgerufen am 16.08.2018).
26 
Es ist allerdings schon zweifelhaft, ob überhaupt eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a AsylG vorliegt, denn nach den – für wahr unterstellten – Schilderungen der beiden Kläger hat es sich um „einfache“ körperliche Auseinandersetzungen gehandelt. Selbst bei Annahme des Vorliegens der Merkmale des § 3a AsylG, ist weiter zu diskutieren, ob § 3c AsylG erfüllt ist, da die Kläger letztlich einen innerfamiliären Konflikt schildern. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nummer 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (Nummer 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Ziffern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nummer 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylVfG wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 genannten Akteure, nämlich der Staat (Nummer 1) oder Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nummer 2) geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen kann es offen bleiben, ob die Familie der Klägerin zu 2 als „nichtstaatliche Akteure“ i. S. v. § 3c Nr. 3 AsylG angesehen werden können. Denn die Kläger müssten sich zunächst an staatliche Organe wenden, die ihnen Schutz bieten könnten, vgl. § 3d AsylG.
27 
Letztlich müssen sich die Kläger jedenfalls auf internen Schutz verweisen lassen, so dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen ist, vgl. § 3e AsylG. Sie können subjektiv befürchteten Verfolgungshandlungen dadurch begegnen, dass sie sich in einem anderen Teil Pakistans niederlassen. Eine innerstaatliche Wohnsitzalternative ist grundsätzlich immer dann gegeben, wenn für eine Person in einem Teil ihres Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht und sie sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise dort erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlässt, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG. Dies ist hier der Fall. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshāwar oder Multan – leben potentiell Verfolgte auf Grund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 20.10.2017, Stand: August 2017). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ohne funktionierendem Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, bei Niederlassung in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu entgehen. Gemäß der Auskunft von Accord vom 05.02.2015 führt der Ermittlungsbericht des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Islamabad vom Juli 2013 aus, dass selbst eine Person, die von einem Konfliktherd mit Taliban fliehe, relativ sicher in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen Sindh oder Punjab leben könne. Hinsichtlich der Sicherheit würden in Pakistan – schon auf Grund der Größe des Landes – interne Fluchtalternativen bestehen (http://www.ecoi.net/local_link/ 296558/432819_de.html).
28 
Es kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass die Kläger sich in einem anderen Landesteil niederlassen. Denn nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine zumutbare Schutzalternative dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, bietet keinen internen Schutz (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 -, juris; so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.2014 - 14 K 1267/14.A -, juris).
29 
Sowohl der Kläger zu 1 als auch die Klägerin zu 2 haben Hochschulabschlüsse. Die Klägerin zu 2 macht hier eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten. Beide sind gesund, haben eine gute Schulbildung und bereits Berufserfahrung gesammelt. Selbst wenn sie in ihren Branchen keine Anstellung finden sollten, so ist ihnen nach dem eben Gesagten auch eine weniger angesehene Tätigkeit zuzumuten. Die Berichterstatterin hat keine Zweifel, dass sie für den Lebensunterhalt ihrer Familie werden sorgen können.
30 
bb. Auch soweit die Kläger sich auf ihren christlichen Glauben berufen, führt dies unter Beachtung der oben angeführten Maßstäbe nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
31 
(1) Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit (vgl. Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 EMRK) im Sinne von § 3a AsylG darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - Rs. C-71/11 und C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Denn vom Schutzbereich der durch § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG geschützten Religionsfreiheit wird auch die in die Öffentlichkeit wirkende Praktizierung der Religion erfasst einschließlich des Rechts, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, a.a.O.). Der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet; es kommt auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Gläubigen an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - Rs. C-71/11 und C-99/11 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.).
32 
Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in die so verstandene Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG dar. Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GRCH gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, kann eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen, wenn der Antragsteller in seinem Herkunftsland tatsächliche Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung in seinem Herkunftsland kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.). Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab. Die erforderliche Schwere in objektiver Hinsicht kann insbesondere erreicht sein, wenn dem Antragsteller durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an; denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr. Darüber hinaus ist die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.).
33 
In subjektiver Hinsicht ist maßgebend, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist. Es reicht somit nicht aus, dass der Antragsteller eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde (vgl. (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.).
34 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Antragstellers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ 2015, 1678). Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Antragstellers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Beruft sich der Antragsteller auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Antragstellers prägt. In diesem Zusammenhang kann von einem Erwachsenen im Regelfall erwartet werden, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, a.a.O.).
35 
Dabei reicht der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe für die Gewinnung der Überzeugung, dass der Betreffende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, allein nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, a.a.O.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.09.2014 - 13 LA 93/14 -, juris; OVG Münster, Beschluss vom 27.04.2015 - 13 A 440/15.A -, juris; VGH München, Beschluss vom 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.04.2014 - A 3 S 269/14 -, juris). Damit sich ein Asylbewerber erfolgreich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung berufen kann, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und dass der neue Glaube nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.04.2016 - 13 A 854/16.A -, juris).
36 
(2) Der Gesamteindruck, den die Berichterstatterin in der mündlichen Verhandlung von beiden Klägern gewonnen hat, lässt keine Zweifel, dass die Kläger nun zum Christentum konvertiert sind. Sie haben in der mündlichen Verhandlung beide nachvollziehbar schildern können, was sie dazu bewogen hat, nicht mehr Anhänger des islamischen, sondern des christlichen Glaubens zu sein. Beide haben im Studieren der Bibel und bei Gesprächen mit anderen christlichen Gläubigen Halt gefunden. Die Kläger besuchen seit ihrer Ankunft in Deutschland regelmäßig den Gottesdienst. Sie haben seit dieser Zeit Kontakt zu anderen christlich Gläubigen, den sie pflegen. Sie halten weiter Kontakt zu Herrn XXX, Pfarrer in der XXX-Gemeinde, der auch in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden ist. Letztlich hat auch der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nach der Anhörung der beiden Kläger auf Nachfrage der Berichterstatterin bestätigt, dass auch er davon ausgehe, dass es sich bei den Klägern um von ihrem Glauben überzeugte und bekennende Christen handelt.
37 
(3) Eine Vorverfolgung wegen ihres Glaubens, auf Grund derer sie ausgereist sind, machen die Kläger nicht geltend.
38 
(4) Eine drohende Verfolgung bei einer unterstellten Rückkehr ist zur Überzeugung der Berichterstatterin (§ 108 VwGO) nicht festzustellen.
39 
Eine Gruppenverfolgung von Christen in Pakistan ist nach Auswertung der Erkenntnismittel nicht anzunehmen. Hat der Asylbewerber keine eigene Verfolgung wegen seiner Religion erfahren, kann sich die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das er mit ihnen teilt und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt dabei die Annahme einer Gruppenverfolgung ein staatliches Verfolgungsprogramm oder im Fall einer nichtstaatlichen Verfolgung eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Vermutung einer auch individuell bestehenden Verfolgungsgefahr rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, NVwZ 1995, 175). Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist auf Grund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare asylerhebliche Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (hierzu: BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris).
40 
Zur Frage der Gruppenverfolgung von Christen in Pakistan hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bereits im Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 - (juris) ausgeführt:
41 
„Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein. Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen – anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).(…) Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014). Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV). Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nichtstaatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte. Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten. Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. (…) Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein (…)“
42 
Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 20.10.2017, Stand: August 2017) führt zu der Religionsfreiheit bzw. zu der Situation der Christen in Pakistan Folgendes aus:
43 
„Grundsätzlich hat jede Person die Freiheit, ihre Religion selbst zu bestimmen. Artikel 20 der Verfassung von 1973 garantiert die freie Religionsausübung. Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Im Gegensatz zu anderen islamischen Ländern, in denen Apostasie in Anlehnung an den Koran mit dem Tode bestraft wird, gibt es in Pakistan keine entsprechende strafrechtliche Bestimmung. Apostasie ist aber von der Gesellschaft in keiner Weise akzeptiert. Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben entsteht nur dann, wenn sich die betroffene Person besonders exponiert. Es bestehen scharfe Gesetze gegen Blasphemie (§§ 295a-c des Pakistan Penal Code, PPC). Seit 1990 verbietet § 295a PPC das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b PPC die Entweihung des Koran, § 295c PPC die Beleidigung des Propheten Mohammed. Die letztgenannte Norm sieht auch bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. In den meisten Fällen wird auf Druck von Extremisten im erstinstanzlichen Urteil die Todesstrafe verhängt; Berufungsgerichte heben solche Urteile aber oft wieder auf. So wurde bislang kein Todesurteil in einem Blasphemiefall vollstreckt.
44 
Im Jahr 2016 wurden laut NRO „Human Rights Commission of Pakistan“ 15 Personen wegen Blasphemie festgenommen: 10 Muslime und 5 Angehörige anderer Konfessionen. 2 Muslime und 2 Christen wurden demnach 2016 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Während in der Mehrheit der Fälle Muslime betroffen sind, sind religiöse Minderheiten im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überproportional betroffen. Unter den Fällen gegen Muslime nimmt der Anteil der schiitischen Minderheit (15 – 20 % der Bevölkerung) zu. Diese Fälle zeigen auch, dass die Strafgesetzänderung von Ende 2004, nach der Ermittlungen nur noch durch höhere Polizeibeamte geführt werden dürfen, nicht die erhoffte Verbesserung der Lage gebracht hat. Eine Person, die einmal wegen Blasphemie verurteilt wurde, wird vielfach auch nach Freispruch durch ein Berufungsgericht zum Opfer von Verfolgung durch extremistische Organisationen. Insbesondere bei Angehörigen religiöser Minderheiten geraten Familienangehörige von Angeklagten häufig ebenfalls ins Visier von Extremisten und erhalten z. B. anonyme Drohungen.
45 
Die Blasphemiegesetzgebung findet beim überwiegenden Teil der pakistanischen Gesellschaft Unterstützung. Besonders deutlich wurde dies am Fall Mumtaz Qadri, der am 04.01.2011 den Gouverneur der Provinz Punjab, der öffentlich Partei für die zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi ergriffen und die Blasphemie-Gesetzgebung kritisiert hatte, auf offener Straße erschossen hatte. Qadri war sein Leibwächter. Nachdem Mumtaz Qadri am 29.02.2016 hingerichtet worden war, kam eine große Menschenmenge (Schätzungen variieren zwischen 30.000 und bis zu 200.000) zu seiner Trauerfeier. Er wurde bei einem jüngst errichteten Schrein unweit von Islamabad beigesetzt und sein Grab gilt inzwischen als oft frequentierte und beliebte Pilgerstätte, v. a. für Jugendliche. Qadri wurde zum Idol nicht nur der radikalen Islamisten in Pakistan.
46 
Weiterhin problematisch bleibt die Wirkung der Blasphemie-Gesetzgebung auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Blasphemie-Vorwürfe werden immer wieder zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt oder Mordanschläge genommen. Der Richter am Obersten Gerichtshof, der für die Bestätigung des Todesurteils gegen Mumtaz Qadri verantwortlich zeichnete, musste nach Morddrohungen vorübergehend mit seiner Familie das Land verlassen. Der weltweit aufmerksam verfolgte Fall der 2010 als erster Frau wegen Blasphemie zum Tode verurteilten Christin Asia Bibi ist aktuell vor dem Obersten Gerichtshof anhängig, der das Todesurteil suspendiert hat und den Fall noch einmal vollständig überprüfen will. Nachdem sich einer der Richter am Tag der Eröffnung der Überprüfungsanhörung als befangen aus dem Verfahren zurückgezogen hat, ist eine Weiterverhandlung bisher nicht terminiert. Sollte der Oberste Gerichtshof im Ergebnis das Todesurteil aufrechterhalten, stünde Asia Bibi noch die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Staatspräsidenten zur Verfügung.
47 
Im Unterschied zu den Ahmadis sind Christen in der Regel frei in der öffentlichen Ausübung ihres Glaubens, aber insoweit verwundbarer, als sie fast ausschließlich der sozioökonomischen Unterschicht angehören. Auch infolge zunehmender radikalislamischer Strömungen in der Gesellschaft besteht ein wachsender Druck auf christliche Gemeinden. In den Jahren 2015 und 2016 gab es in Lahore, der Hauptstadt der Provinz Punjab, mehrere gezielt gegen Christen gerichtete terroristische Anschläge mit zahlreichen Opfern. Solche Angriffe belegen, dass es für die christliche Minderheit in Pakistan, die bislang vor allem unter sozialer Diskriminierung litt und im Vergleich zu anderen Minderheiten nur selten direkt angegriffen wurde, auch eine ernst zu nehmende latente terroristische Bedrohungslage gibt. Das Verhältnis zwischen der muslimischen Mehrheit und der christlichen Minderheit (etwa 1,5 % der Bevölkerung, davon etwa 60 % Katholiken, 40 % protestantische Konfessionen) ist nicht konfliktfrei. Diskriminierung im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ist verbreitet. Es gibt so gut wie keine christliche Mittelschicht, dafür eine breite Unterschicht, die sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt. Auf dem Lande befindet sich die Mehrzahl der Christen als einfache Pächter in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Großgrundbesitzern. Es gibt allerdings auch kleine Landbesitzer, die häufig in rein oder überwiegend christlichen Siedlungen leben. Während die Mehrzahl der pakistanischen Christen aus der Armut nicht herauskommt, versucht die kleine christliche Oberschicht vielfach, möglichst das Land zu verlassen. Viele Christen und Angehörige anderer Minderheiten leben in ausbeuterischen und schuldknechtschaftlichen Arbeitsverhältnissen.“
48 
Diesen allgemeinen Ausführungen zur Lage der Christen in Pakistan schließt sich die erkennende Berichterstatterin (ebenso z.B. VG Lüneburg, Urteil vom 03.05.2018 - 2 A 127/17 -, juris; VG München, Urteil vom 21.09.2017 - M 1 K 16.35666 -, juris) auch nach Auswertung der neusten Erkenntnismittel an. Denn auch dem neusten Lagebericht des Auswärtigen Amtes (oben zitiert, Lagebericht vom 20.10.2017) sind keine Erkenntnisse zu entnehmen, die für eine Gruppenverfolgung von Christen in Pakistan sprechen. Im März 2013 brandschatzte ein Mob von circa 3.000 Muslimen nach einer Blasphemie-Anzeige gegen einen Christen ein christliches Viertel in Lahore; getötet wurde niemand. Die Provinzregierung und die Föderalregierung leisteten Kompensationszahlungen; die Strafverfolgung war allerdings nicht ausgeprägt. 2013 kam es zu insgesamt fünf Angriffen auf Kirchen oder Polizisten, die zum Schutz der Kirchen im Einsatz waren. Am 22.09.2013 kamen bei einem Selbstmordanschlag auf die Allerheiligen-Kirche in Peshawar über 80 Menschen ums Leben. Am 15.03.2015 kamen bei einem Doppelanschlag auf zwei Kirchen im überwiegend von Christen bewohnten Stadtteil Yohanabad von Lahore mindestens 20 Menschen ums Leben. Im Mai 2015 randalierte ein Mob in einer christlichen Wohngegend in Lahore, nachdem ein christlicher Bewohner beschuldigt worden war, Koranseiten geschändet zu haben; zahlreiche Christen flohen aus der Gegend (zum Vorstehenden: VG Hannover, Urteil vom 28.03.2018 - 11 A 3406/17 -, juris). Bei einem Anschlag auf einen öffentlichen Park in Lahore am 27.03.2016 (Ostersonntag) kamen zahlreiche Christen ums Leben. („Die Welt“ (online) vom 28.3.2016, „Christen als Sündenböcke“, https://www.welt.de/politik/ausland/article153749253/Christen-als-Suendenboecke.html, aufgerufen zuletzt am 16.08.2018). Wenngleich die Mehrzahl der Getöteten Muslime waren, behauptete die Taliban, der Anschlag habe den Christen gegolten (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 30.05.2016, Stand: Mai 2016, S. 16). Christliche Fernsehsender sind in Pakistan seit November 2016 verboten. Die staatliche TV-Regulierungsbehörde hat sie für illegal erklärt. Künftig dürfen „christliche Botschaften“ nur noch zu Ostern und Weihnachten über das Fernsehen verbreitet werden (https://www.jesus.de/pakistan-alle-christlichen-fernsehsender-fuer-illegal-erklaert/, zuletzt aufgerufen am 16.08.2018).
49 
Andererseits hat eine christliche Familie nach einem ungewöhnlichen Gerichtsurteil eine großzügige Entschädigung erhalten. Ihr Sohn war von Polizisten getötet worden. Nach mehr als vier Monaten Haft boten die sechs angeklagten Polizisten der Familie drei Millionen Rupien (rund 21.500 Euro) nach dem islamischen Konzept des „diyat“ an: Blutgeld gegen Begnadigung. Am 14.03.2018 gab der Richter diesem Austausch nach pakistanischem Recht statt und sprach die sechs des Totschlags beschuldigten Männer frei. Artikel 319 des pakistanischen Strafgesetzbuches besagt, dass „jeder, der unbeabsichtigt einen Menschen tötet, diyat unterliegt“. Jedes Jahr überprüft die Regierung die Höhe des „diyat“: Sie beträgt im Jahr 2018 rund 14.000 Euro. S. G., ein Anwalt, der die Familie in diesem Fall vertreten hat, sagt: „Meines Wissens wurden bisher in keinem Fall von Polizeigewalt, die zum Tod eines Christen führte, die Täter bestraft. Das ist ein seltener Sieg für unsere Anwälte, die dafür gesorgt haben, dass der Familie Gerechtigkeit widerfährt. Die Familie sagte, sie sei zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis.“ (https://www.opendoors.de/nachrichten/aktuelle-meldungen/pakistan-christliche-familie-erlebt-ein-juristisches-wunder, zuletzt aufgerufen am 16.08.2018).
50 
Die Berichterstatterin stellt nicht in Abrede, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan gesellschaftlich oder wirtschaftlich vereinzelt diskriminiert werden könnten. Eine systematische – staatliche oder nichtstaatliche – Verfolgung nach den oben beschriebenen Ausmaßen ist jedoch auch heute (noch) nicht zu erkennen. Im Gegensatz zu vielen anderen islamisch geprägten Ländern ist Apostasie weiterhin nicht strafbar, diverse Gesetzänderungsverfahren sind bislang gescheitert (vgl. http://www.loc.gov/law/help/apostasy/index.php#pakistan oder https://de.wikipedia.org/wiki/Apostasie_im_Islam#cite_ref-90, beide zuletzt aufgerufen am 29.05.2018).
51 
In der Gesamtschau ist daher weiterhin nicht von einer Gruppenverfolgung der Christen in Pakistan auszugehen.
52 
3. Die Kläger haben ferner keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
53 
a. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt insbesondere die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1) oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2). Ausschlussgründe ergeben sich aus § 4 Abs. 2 AsylG. Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten gemäß § 4 Abs. 3 AsylG entsprechend.
54 
Unmenschliche Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist dabei vorsätzlich angewandte Gewalt, die zu schweren psychischen und körperlichen Qualen führt. Zweck der unmenschlichen Behandlung ist es, Leid zu verursachen. Eine unmenschliche Behandlung liegt danach vor, wenn sie tatsächliche körperliche Verletzungen oder wenigstens intensive körperliche und geistige Leiden verursacht, wenn sie vorsätzlich geplant ist und ohne Unterbrechung stundenlang ausgeführt wird. Ganz allgemein ist also unter einer unmenschlichen Behandlung die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen (vgl. insg. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris). Erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ist die Verursachung von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit, geeignet zu erniedrigen oder zu entwürdigen sowie tatsächlichen oder vermuteten psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Der Zweck der erniedrigenden Behandlung liegt in der Demütigung des Opfers. Eine erniedrigende Behandlung ist danach gegeben, wenn sie eine Person demütigt, sie es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt und sie geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zwingend aus (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/06 -, M.S.S./Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris).
55 
Für den Ausländer muss zudem die konkrete Gefahr bestehen, in dem Staat, in den er abgeschoben werden soll, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Wann eine konkrete Gefahr vorliegt, orientiert sich am Einzelfall. Eine rein quantitative oder statistische Betrachtung ist nicht ausreichend. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist insoweit zwar der (allgemeine) asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, allerdings kennzeichnet das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3070/11 -, juris, m. w. N.).
56 
b. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht den Klägern bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Diesbezüglich kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Selbst wenn es vereinzelt zu Übergriffen aus der Bevölkerung kommen sollte, die eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“ im oben genannten Sinn darstellen könnten, so müssten sich die Kläger gem. § 3d AsylG an staatliche Organe wenden, der grundsätzlich willens und in der Lage ist, Schutz zu bieten. Außerdem müssten sie auch hier erneut auf § 3e AsylG verwiesen werden.
57 
4. Auch Abschiebungsverbote nach nationalem Recht gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
58 
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus denselben Erwägungen wie vorstehend zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aus (vgl. zum Verhältnis des subsidiären Schutzes zum nationalen Abschiebungsverbot BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12).
59 
Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot wegen allgemeiner Gefahren in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 -, juris).
60 
Unter Anwendung dieser Grundsätze drohen den Klägern bei einer Rückkehr nach Pakistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Grund individueller Besonderheiten eine extreme Gefahrenlage. Für die Berichterstatterin steht nicht mit der nötigen Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre. Hierfür ist bei den jungen, gesunden und gebildeten Klägern nach dem vorstehend Gesagten nichts ersichtlich.
61 
5. Die Abschiebungsandrohung entspricht den Anforderungen der §§ 34, 38 AsylG, § 59 AufenthG.
62 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i. V. m. § § 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Nach § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Berichterstatterin hat keine Veranlassung, das Urteil wegen der Kosten für vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 30. Mai 2018 - A 5 K 5640/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 30. Mai 2018 - A 5 K 5640/16

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 30. Mai 2018 - A 5 K 5640/16 zitiert 21 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34 Abschiebungsandrohung


(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn 1. der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,2. dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wir

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Zivilprozessordnung - ZPO | § 100 Kosten bei Streitgenossen


(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. (2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Ma

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 87a


(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,1.über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens;2.bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auc

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 38 Ausreisefrist bei sonstiger Ablehnung und bei Rücknahme des Asylantrags


(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Ab

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 30. Mai 2018 - A 5 K 5640/16 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 30. Mai 2018 - A 5 K 5640/16 zitiert 9 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Nov. 2015 - 14 ZB 13.30207

bei uns veröffentlicht am 16.11.2015

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die ausdrü

Verwaltungsgericht München Urteil, 21. Sept. 2017 - M 1 K 16.35666

bei uns veröffentlicht am 21.09.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegu

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 25. Aug. 2015 - 1 B 40/15

bei uns veröffentlicht am 25.08.2015

Gründe I 1 Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 27. Apr. 2015 - 13 A 440/15.A

bei uns veröffentlicht am 27.04.2015

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2015 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1Der A

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 27. Aug. 2014 - A 11 S 1128/14

bei uns veröffentlicht am 27.08.2014

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 23. Apr. 2014 - A 3 S 269/14

bei uns veröffentlicht am 23.04.2014

Tenor Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungszulassungsverfahrens. Gr

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Juni 2013 - A 11 S 757/13

bei uns veröffentlicht am 12.06.2013

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbe

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. März 2012 - A 11 S 3177/11

bei uns veröffentlicht am 06.03.2012

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.Die Revisio

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. März 2012 - A 11 S 3070/11

bei uns veröffentlicht am 06.03.2012

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,

1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens;
2.
bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
4.
über den Streitwert;
5.
über Kosten;
6.
über die Beiladung.

(2) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer oder des Senats entscheiden.

(3) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag wegen Wehrdienstentziehung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal ab. Während des Klageverfahrens ist der Kläger zum Christentum übergetreten und hat sich im Mai 2013 taufen lassen.

2

Das Verwaltungsgericht hat seiner auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage stattgegeben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass sich das Gericht zwar nicht von der Ernsthaftigkeit der Konversion habe überzeugen können. Dennoch sei der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, denn die Taufe gehöre als Aufnahmeakt zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgemeinschaft. Deshalb sei das Gericht gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV an die Beurteilung der die Taufe vollziehenden Pfarrerin gebunden, der Glaubensübertritt sei vom Kläger ernsthaft gewollt.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein flüchtlingsrechtlich relevanter, hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit des unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Klägers setze u.a. voraus, dass für den Betroffenen die Befolgung bestimmter gefahrenträchtiger religiöser Praktiken in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sei. Das Gericht habe jedoch auch in Ansehung der Taufe des Klägers nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit feststellen können, dass die von ihm geltend gemachte Hinwendung zur christlichen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Der christliche Glaube präge die religiöse Identität des Klägers nicht in einer Weise, dass dieser die christliche Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfinde, um seine Identität zu wahren. Bei dieser Beurteilung binde der Umstand, dass der Betroffene durch den Amtsträger einer christlichen Kirche getauft worden sei, die staatlichen Stellen nicht. Es sei vielmehr die ureigene Aufgabe staatlicher Verwaltungsgerichte, zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV ergebe sich nichts anderes. Denn es bleibe der Kirchengemeinde unbenommen, den Kläger weiterhin als ihr Mitglied anzusehen. Die Beantwortung der davon zu unterscheidenden Frage, ob die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche eine religiöse Verfolgung nach sich ziehe und deshalb die Flüchtlingsanerkennung begründe, sei allein Aufgabe der staatlichen Gerichte.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erstrebt.

II

5

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

7

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob das staatliche Gericht uneingeschränkt befugt ist, im Rahmen eines Asylverfahrens entgegen einer Taufe in den christlichen Glauben und entgegen einer pfarramtlichen Bescheinigung der Pfarrerin seiner Kirchengemeinde davon auszugehen, dass ein Asylbewerber keine religiöse Identität in dem Sinne habe, dass ihm der Verzicht auf eine öffentlich wahrnehmbare Betätigung seines christlichen Glaubens zumutbar ist."

8

Dazu führt sie im Kern aus, die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Übertritts zum Christentum sowie der religiösen Identität eines Asylbewerbers sei eine innerkirchliche Angelegenheit, die gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatlicher Überprüfung entzogen sei. Die Taufe gehöre zum Kernbereich kirchlichen Handelns, den der Staat nicht infrage stellen dürfe. Auch der Kläger werde in seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt, wenn der Staat sich die Entscheidungskompetenz darüber anmaße, ob er "wahrer" Christ sei oder nicht. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO rechtfertigen.

9

Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden sind, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies folgt insbesondere aus der dem Berufungsurteil vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 [ECLI:EU:C:2012:518] - NVwZ 2012, 1612). Das Vorbringen der Beschwerde zeigt keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.

10

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantieren den Religionsgesellschaften die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander im Sinne einer Schrankenspezialität: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 82 ff.). Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 95 m.w.N.). Zu den "eigenen Angelegenheiten" in diesem Sinne zählen insbesondere die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft, insbesondere Bestimmungen, die den Ein- und Austritt, die mitgliedschaftliche Stellung sowie den Ausschluss von Glaubensangehörigen regeln (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - EuGRZ 2015, 250 Rn. 37 m.w.N.). Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft beurteilt sich mit Wirkung für den weltlichen Bereich (etwa als Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht) grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415 <422> - auch zu der Grenze des für alle geltenden Gesetzes). Demzufolge obliegen die Interpretation und die Beurteilung der kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Taufe sowie deren Wirksamkeit mit der Folge, dass der Betroffene Mitglied in der Gemeinde einer Religionsgemeinschaft wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist, den innerkirchlich zuständigen Amtsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 C 21.12 - BVerwGE 148, 271 Rn. 46 ff. - auch zur Abgrenzung gegenüber staatlichen Gerichten verbleibenden Prüfungspunkten).

11

Es liegt auf der Hand, dass - von Missbrauchsfällen abgesehen - die von einer Religionsgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche von den Verwaltungsgerichten bei der Untersuchung, ob dem Asylbewerber in seinem Heimatland eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht, nicht infrage gestellt werden darf. Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist aber nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft. Ist dies jedoch - wie nach der tatrichterlichen Würdigung der Verfolgungslage im Iran durch das Berufungsgericht - nicht der Fall, haben das Bundesamt bzw. die Verwaltungsgerichte auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612). Dass diese Fragestellung in Teilbereichen zugleich auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam ist und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden ist, macht sie - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestellt hat - mit Blick auf die hier zu prüfende, staatlichen Stellen obliegende Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer "eigenen Angelegenheit" der Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts konstituiert ist oder nicht.

12

Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass staatliche Stellen mit der eigenständigen Würdigung im Rahmen der Prüfung des § 3 Abs. 1 AsylVfG, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Antragsteller nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität verletzen. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens oder der Lehre einer Kirche ist damit nicht verbunden. Bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung setzen sich staatliche Stellen weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerten sie diese oder formulieren gar eigene Standpunkte in Glaubensdingen (zur Reichweite des Neutralitätsgebots: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 88 ff. m.w.N.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. Januar 2013 - Nr. 48420/10 u.a. - NJW 2014, 1935 Rn. 81 und Urteil vom 8. April 2014 - Nr. 70945/11 u.a. - NVwZ 2015, 499 Rn. 76). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gehen lediglich der Stellung des einzelnen Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken dürfen, sondern insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen haben (BVerwG, Urteil vom Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Auffassung der Beschwerde die Religionsfreiheit des Betroffenen und zugleich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG angezeigt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative oder individuelle Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden; insoweit darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Formulierung ihres Selbstverständnisses und Auftrags - des kirchlichen Proprium - obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 101, 114). Auch auf der individuellen Ebene dürfen staatliche Organe nur prüfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich ein von dem Betroffenen als religiös geboten reklamiertes Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - EuGRZ 2015, 181 Rn. 86 m.w.N.). Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im konkreten Einzelfall reicht, ist jedoch nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet.

14

Der Senat hat auch klargestellt, dass die religiöse Identität als innere Tatsache sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lässt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 31). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Glaubensfreiheit eines Asylbewerbers, der sich auf eine ihm drohende Verfolgung wegen seiner Religion beruft, nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) obliegt, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist insoweit keiner weiteren grundsätzlichen Klärung zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist (UA S. 16) - die Glaubensfreiheit nicht verletzt und die Beweisanforderungen nicht überspannt, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist.

15

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, dem Berufungsgericht fehle die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Klägers. Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung des Klägers in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Die Aufklärungs- und damit verbundene Gehörsrüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

16

Zum einen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 - 3 B 6.78 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116). Aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Zum anderen ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen das Berufungsgericht - nachdem nicht etwa Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären waren - nicht über die ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Überzeugung und Identität des Klägers verfügen sollte. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedarf es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens. Letztlich wendet sich die Beschwerde im Wege der Aufklärungs- und Gehörsrüge gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie indessen nicht durchzudringen.

17

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

18

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die ausdrücklich bzw. sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt bzw. liegen nicht vor.

I. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die vom Kläger gestellte (Tatsachen)Frage,

„ob ein iranischer Staatsangehöriger, der in Deutschland um Asyl ersucht hat und gegen seinen Willen in den Iran zurückgeführt wird, bei Bekanntwerden des Glaubensübertritts während seines Aufenthalts in Deutschland im Iran keinerlei relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterliegt“,

hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass es eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass sein formaler Glaubenswechsel durch seine in Deutschland lebenden Verwandten im Iran bekannt werden könnte. Zudem fehlt es dieser Frage an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Bekenntnis des Klägers zum Christentum nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruhe; es sei der Eindruck entstanden, der Kläger sei nur formal und aus asyltaktischen Gründen zum christlichen Glauben übergetreten. Die aufgeworfene Frage könnte in einem Berufungsverfahren daher nur dann entscheidungserheblich sein, wenn allein der formale Akt des Übertritts zum christlichen Glauben - vorliegend also die durch die Taufe des Klägers bewirkte Mitgliedschaft in der evangelischen Landeskirche Bayern - zu Repressionen seitens des iranischen Staates führen könnte, ohne dass der christliche Glaube nach einer Rückkehr in den Iran gelebt würde. Der Kläger nennt zwar mögliche Lebensbereiche, in denen es nach seiner Ansicht für ihn zu Repressionen kommen könnte, die - aufgrund der Kumulation - als Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU - Qualifikationsrichtlinie - anzusehen seien. Nachvollziehbare Belege, die die Möglichkeit derartiger Repressionen bestätigen, benennt er jedoch nicht.

Es gibt auch keine entsprechenden Erkenntnisse, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran allein wegen des formalen Glaubenswechsels oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland eine asylrechtlich relevante und/oder abschiebungsrelevante Verfolgung drohen könnte. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat unter Auswertung zahlreicher Erkenntnisquellen zur Frage einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie in seinem Urteil vom 7. November 2012 - 13 A 1999/07.A - (juris Rn. 49 ff.) festgestellt, dass der Abfall vom Islam im Iran nach wie vor nach weltlichem Recht nicht mit Strafe bedroht ist und dass trotz des im September 2008 in erster Lesung beschlossenen Apostasiestrafgesetzes jedenfalls bei Apostaten, die nicht exponiert tätig sind, Verurteilungen zu Todesstrafen nicht erfolgen. Andere staatliche oder nichtstaatliche Repressionen sind demnach auch nur für solche konvertierten Christen festzustellen, die in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - nach außen zeigen wollen. Diese Situation wird durch den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in der Islamischen Republik Iran vom 24. Februar 2015 bestätigt (vgl. S. 16 ff.). Erkennbar beziehen sich die dortigen Aussagen auf solche Konvertiten, die die neue Religion aktiv im Iran ausüben (so im Ergebnis auch: BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30120 - juris Rn. 6; VGH BW, B. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - juris Rn. 14; U. v. 15.4.2015 - A 3 S 1923/14 - n. v. UA S. 21; OVG NW, B. v. 27.8.2012 - 13 A 1703/12.A - juris Rn. 8; B. v. 27.4.2015 - 13 A 440/15.A - juris Rn. 10 f.).

2. Aus den gleichen Gründen sind auch die zweite (Tatsachen)Frage,

„ob ein zum Christentum konvertierter iranischer Staatsangehöriger, der im Falle einer Rückkehr sich weigert, den (nicht gelebten) christlichen Glauben formal abzulegen und sich wieder zum Islam zu bekennen, verfolgungsrelevante Maßnahmen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu befürchten hat, wenn der Glaubensübertritt bekannt wird“,

sowie die vierte (Tatsachen)Frage,

‚ob ein „Taufscheinchrist“, wie vorher beschrieben, der also keine innere tiefe Glaubensüberzeugung besitzt, gleichwohl aber Mitglied der Glaubensgemeinschaft sein will und im Falle der Rückkehr auch sein wird, bei einem Bekenntnis zu dieser Art von Mitgliedschaft im Iran eine Verfolgung zu befürchten hat, wenn er sich weigert, wieder Moslem zu werden‘,

nicht klärungsbedürftig.

Bei einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen, steht weder im Raum, dass er seine religiöse Identität nach Rückkehr in sein Heimatland unterdrücken müsste, noch dass er sich im Heimatland religiös betätigen wird. Wie zuvor ausgeführt, stellt sich somit die Frage asylrelevanter Verfolgung des lediglich formal Getauften nicht. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob es einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen zumutbar ist, seine (formale) Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft aufzugeben, ohne in sein durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantiertes Recht auf Religionsfreiheit einzugreifen. Ungeachtet dessen ist zweifelhaft, warum sich der Kläger als lediglich formaler Christ weigern könnte, dem Christentum abzuschwören bzw. wieder Moslem zu werden, zumal er nur vorträgt, nach „seiner inneren Überzeugung (wie sei das Gericht versteht)“ lediglich „möglicherweise“ Atheist zu sein.

3. Auch die vom Kläger gestellte Rechtsfrage,

„ob die ‚innere identitätsprägende Überzeugung‘ eines Glaubens, wie vom VG verlangt, ein ‚Verständnis der Glaubensinhalte‘ erfordert oder ob die identitätsprägende Überzeugung allein in dem Willen der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, getragen von sonstigen Motiven z. B. einer Emotionalität, dem Wunsch der kulturellen Zugehörigkeit ect. bestehen kann“

bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Zum einen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30 im Anschluss an EuGH, U. v. 5.9.2012 - C-71/11 u. C-99/11 - NVwZ 2012, 1612; U. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 19), dass der Schutzsuchende, der nicht bereits wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht war und bei dem nicht bereits die Taufe als solche zu einer Verfolgung führt, die inneren Beweggründe, die ihn zur Konversion veranlasst haben, glaubhaft machen muss, wenn er sich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung beruft, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Zum anderen kommt der Frage regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Prüfung, ob ein (identitätsprägender) Glaubenswechsel vorliegt, kann jeweils nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts erfolgen (BVerwG, B. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Asylmagazin 2015, 345 Rn. 11; BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30444 - juris Rn. 5 m. w. N.). Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist und welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich nicht allgemein beschreiben, sondern richtet sich vorwiegend nach der Persönlichkeit des Schutzsuchenden und seiner intellektuellen Disposition (OVG NW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 39). Es ist ureigene Sache des Gerichts, im Rahmen der Beweiswürdigung anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu klären, ob ein Glaubenswechsel vorliegt.

II. Soweit der Kläger den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) geltend machen wollte mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze verstoßen, wonach es im Hinblick auf die Gefahrenprognose auf das persönliche Glaubensverständnis des Individuums und das Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft ankomme, ist er bereits seinen diesbezüglichen Darlegungspflichten (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) nicht nachgekommen. Mit seinem Einwand, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 20. März 2013 - 10 C 23.12 - auf das „Verständnis der Glaubensinhalte“ und auf die „innere identitätsprägende Überzeugung“ abgestellt, hat er keinen abstrakten Rechtssatz dargelegt, sondern lediglich eine - seiner Ansicht nach fehlerhafte - gerichtliche Bewertung des Einzelfalls aufgezeigt. Den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht § 78 Abs. 3 AsylG nicht vor.

III. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 9. November 2015 vorgetragen hat, dass er seine am 6. März 2015 geborene Tochter entsprechend seiner Glaubensüberzeugung am 25. Oktober 2015 hat taufen lassen, kann dies im Zulassungsverfahren gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG nicht mehr berücksichtigt werden.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg hat keinen Erfolg.
Die aufgeworfene Frage,
ob eine Grundsatzentscheidung des zuständigen kirchlichen Würdenträgers, des Pfarrers, der einen ernsthaften Glaubensübertritt (eines Asylbewerbers) bejaht hat, das staatliche Gericht staatskirchenrechtlich bindet,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289) bereits ausreichend geklärt.
Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Die Beurteilung, ob eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne der genannten Vorschrift zu erfüllen, hängt aber außer von objektiven auch von subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, ob für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Es reicht dafür nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 30; Beschl. v. 9.12.2010, a.a.O.). Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 -; Beschl. v. 9.1.2014 - A 2 S 1812/13 -; OVG Niedersachsen, 7.3.2014 - 13 LA 118/13 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.5.2013 - 5 A 1062/12.A - juris; BayVGH, Beschl. v. 12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris). Ob ein von diesem Regelfall abweichender Sonderfall vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und ist deshalb einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am xx.xx.1983 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er kam nach seinen Angaben am 08.02.2012 mit dem Schiff in die Bundesrepublik Deutschland und stellte am 27.02.2012 einen Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend: Er habe in Pakistan Probleme gehabt, weil er mit Christen in die Kirche gegangen sei und Christ habe werden wollen. Weiter legte er Informationsmaterial und eine Bescheinigung der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. vom 11.05.2013 und eine Bescheinigung von xxx in H. vom 07.05.2013 vor. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens verweist der Senat auf die Niederschrift seiner Anhörung durch das Bundesamt vom 15.05.2013.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 20.06.2013 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Pakistan an.
Am 28.06.2013 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart und berief sich darauf, dass er zwischenzeitlich getauft worden sei. Er legte eine Taufkarte vom 02.06.2013, eine Mitgliedskarte des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden vom 28.05.2013, weiteres Informationsmaterial der Gemeinschaft Entschiedener Christen und Informationsmaterial des Immigration and Refugee Board of Canada vom 20.09.2013 vor.
Nach den im Tatbestand des angegriffenen Urteils enthaltenen Feststellungen antwortete der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen des Gerichts, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auf die Frage, welche konkreten Gründe er gehabt habe, nach Deutschland zu kommen, antwortete er: In Pakistan sei er drei- bis viermal in der Kirche gewesen. Die Familie habe das nicht gerne gesehen, auch seine Nachbarn nicht. Seine christlichen Freunde hätten gemeint, er solle lieber in ein christliches Land gehen. Ein christlicher Freund habe einen Schlepper gekannt. Später berichtigte der Kläger: Das Geld sei erst bezahlt worden, nachdem es ihm gelungen sei, nach Deutschland zu kommen. Er habe mit dem Freund Cricket gespielt. Sie seien gemeinsam in die Kirche gegangen. Es habe sich um seine - des Klägers - Ersparnisse gehandelt.
Auf Fragen und Vorhalte seines Prozessbevollmächtigten gab der Kläger weiter an: In Pakistan hätten sie ihm gesagt, er sei jetzt ein Nicht-Gläubiger. Er sei geschlagen und bedroht worden. Sie hätten gesagt, es sei besser, ihn zu töten. Geschlagen worden sei er im achten bzw. neunten Monat des Jahres 2012 (gemeint 2011). Er sei unterwegs zum Gottesdienst gewesen. Sie hätten ihn angehalten und gesagt, sie würden ihn schlagen, ihm Fußtritte geben und ihn umbringen. Einmal sei er geschlagen worden. Deswegen sei er dreimal genäht worden. Er sei zu einem Arzt gegangen, einem Dr. N. in seiner Ortschaft. Seine ganze Familie sei gegen ihn. Er habe keine Verbindung mehr mit der Familie. Zu seiner Taufe führte er aus: Dr. S. habe ihn unterrichtet. Er komme einmal in der Woche am Donnerstagnachmittag. X. sei eine Kirche; es gebe um 18:00 Uhr dort Gottesdienst. Dann tränken sie Tee. Samstags um 11:00 Uhr gebe es einen gemeinsamen Gottesdienst mit allen Personen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte aus, der Kläger sei als Moslem in Pakistan mit der christlichen Gemeinde in Berührung gekommen. Die Kontakte seien über einen Freund hergestellt worden. Er sei vom christlichen Glauben fasziniert gewesen, nachdem er drei- bis viermal in der Kirche gewesen sei. Er habe dann Probleme mit der Familie bekommen. Aus seiner Sicht sei die Situation für ihn in Pakistan gefährlich. Es habe bei ihm schon in Pakistan eine Festlegung auf das Christentum gegeben. Ein Verzicht auf die Religionsausübung sei nicht Gegenstand von Überlegungen gewesen. Er gehöre der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. an und wolle den Glauben mit allen teilen. Er wollte den Glauben auch in Pakistan weiterleben. Die Abwendung vom muslimischen Glauben sei aus der Sicht der Hitzköpfe verwerflich. Es stelle sich die Frage, ob der Staat hinreichende Schritte unternehme, den Kläger ggf. zu schützen. Aus staatlichen Verfolgungsmaßnahmen könne man schließen, dass der Staat nicht Garant für den Schutz sein könne.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Urteil vom 10.04.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab und führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass er das von ihm geschilderte Schicksal tatsächlich erlitten habe. Denn der Vortrag enthalte wesentliche Ungereimtheiten und widerspreche zum Teil erheblich der allgemeinen Lebenserfahrung. So seien schon die Angaben des Klägers, warum er sich dem Christentum zugewandt habe und schließlich habe taufen lassen, ausgesprochen vage. Bei der Anhörung habe er hierzu nur angegeben, in der Cricketmannschaft seien auch Christen gewesen. Mit ihnen sei er zusammen in die Kirche gegangen. Man habe ihm gesagt, Jesus Christus habe den Leuten die Augen gegeben, er habe die Verstorbenen wieder lebendig gemacht. Daraufhin sei sein Glaube an die christliche Religion sehr stark gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe er hierzu auch nicht viel mehr gesagt. Auf die Frage, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen, habe er gesagt: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auffallend sei dabei gewesen, dass er bei der Anhörung und auch in der mündlichen Verhandlung zuerst angegeben habe, in Pakistan sei er drei- bis viermal in die Kirche gegangen, im weiteren Verlauf der Anhörung habe er dann gesagt, er sei fünfmal in der Kirche gewesen. Bei einer so geringen Anzahl von Kirchenbesuchen sei davon auszugehen, dass man sich an diese Anzahl besser erinnere, zumal wenn sie zu einem so wesentlichen Schritt führe, wie den Übertritt zu einer anderen Religion. Nicht verständlich seien die Angaben des Klägers zu dem Arzt, zu dem er nach seinen Angaben gegangen sei, nachdem er geschlagen worden sei. Hierzu habe er bei der Anhörung durch das Bundesamt angegeben, er habe Dr. S. geheißen, mehr wisse er nicht; er glaube, er sei in der Rxxx Rxxx in Lahore. In der mündlichen Verhandlung habe er dagegen gesagt, es habe sich um einen Dr. N. in seiner Ortschaft gehandelt. Es widerspreche auch jeder Lebenserfahrung, dass der Kläger trotz der Bedeutung seines Schritts weder gewusst habe, wann er angefangen habe, in Pakistan in die christliche Kirche zu gehen, noch wann sich der Vorfall abgespielt habe, bei dem er geschlagen worden sei. Die Angaben bei der Anhörung hierzu seien äußerst vage gewesen, nämlich "irgendwann im Jahr 2011" bzw. "das sei 2011" gewesen. Wenn sich ein so bedeutsames Ereignis tatsächlich abgespielt gehabt hätte, hätte der Kläger in der Lage sein müssen, dies zeitlich erheblich konkreter einzuordnen. Weiter widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand nach wenigen Kirchenbesuchen, auch wenn er einmal geschlagen worden sei, von seinen christlichen Freunden den Rat erhalte, sofort in ein christliches Land zu gehen, und dies auch sofort tue. Immerhin seien 1,6 % der pakistanischen Bevölkerung Christen. Auch sei es dem Kläger wirtschaftlich gut gegangen. Bei der Anhörung habe er insoweit angegeben, er habe gut gearbeitet und habe das Geld gespart, das er für die Ausreise ausgegeben habe. Es könne weiter nicht festgestellt werden, dass für den Kläger allein wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen in Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan deshalb darüber hinausgehend Gefahr drohe, weil er die Religion gewechselt habe und sich dort als Christ betätigen wolle, seien nicht ersichtlich. Auch sei nicht festzustellen, dass dem Kläger Gefahren im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG oder § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG drohten.
Auf den vom Kläger fristgerecht gestellten Antrag ließ der Senat durch Beschluss vom 11.06.2014 die Berufung insoweit zu, als er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt und lehnte im Übrigen den Antrag ab.
10 
Am 23.06.2014 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet. Er führt aus: Das Verwaltungsgericht habe sich auf den Standpunkt gestellt, trotz feststellbarer Verfolgungshandlungen gegen Christen und ungeachtet der Frage, ob der pakistanische Staat im Hinblick auf die Verfolgung von Christen durch nichtstaatliche Akteure tatsächlich gänzlich schutzwillig und schutzfähig sei, hätten die Verfolgungsmaßnahmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die strengen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung angenommen werden könnten; es sei keine hinreichende Verfolgungsdichte feststellbar.
11 
Dieser Auffassung könne nicht gefolgt werden. Nach neueren Erkenntnismitteln habe die Bedrohungslage der Christen in Pakistan jüngst eine neue, noch nicht dagewesene Qualität erreicht. Bereits im Juni 2013 habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil bezüglich der Ahmadi in Pakistan von einer prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen in Pakistan gesprochen. Diese Lage habe sich weiter verschlechtert. Vor diesem Hintergrund drohe der Gruppe der Christen in Pakistan, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansähen, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Der Schutz religiöser Minderheiten sei in der Verfassung festgeschrieben, auch gebe es Quoten für ihre Vertretung in staatlicher Beschäftigung und politischer Vertretung. Ungeachtet dieser Gesetzeslage seien die als solche erkennbaren Christen in Pakistan aber Diskriminierungen ausgesetzt. Diskriminierungen im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt seien verbreitet. Christliche Gemeinden und Institutionen seien Opfer von Landraub durch muslimische Geschäftsleute. Auch der Besitz von geflohenen christlichen Privatpersonen werde von den muslimischen Anwohnern in Besitz genommen. Diskriminierungen und Übergriffe gingen aber nicht nur von privaten Akteuren aus. Es werde von einem Trend zu entschädigungslosen Beschlagnahmen christlicher Friedhöfe und von dem Abriss einer katholischen Einrichtung in Lahore auf Anweisung der örtlichen Regierung im Januar 2012 berichtet. Insbesondere hätten Christen in Pakistan aber schwer unter dem Blasphemiegesetz zu leiden. Zwar gelte das Blasphemiegesetz dem Wortlaut nach unterschiedslos für alle Pakistani. Religiöse Minderheiten seien jedoch besonders betroffen. Zwar sei ein nach dem Blasphemiegesetz verhängtes Todesurteil noch nie vollstreckt worden, allein der Vorwurf der Blasphemie könne jedoch ausreichen, um die soziale Existenz des Beschuldigten und seiner Nachbarn zu zerstören. Ansätze, die darauf abzielten, einen Missbrauch des Blasphemiegesetzes zu verhindern, seien fehlgeschlagen. Ein beträchtlicher Anteil islamischer Kleriker in Pakistan rufe zu Gewalt und Diskriminierung gegen Christen auf. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten sei es üblich, über die Lautsprecher von Moscheen dazu zu mobilisieren, gegen religiöse Minderheiten vorzugehen. Ein Vorwurf gegen ein Mitglied der Minderheit genüge, damit sämtliche Angehörige der Minderheit in der betreffenden Gegend als Schuldige betrachtet würden, die bestraft werden müssten. Die National Commission for Justice and Peace habe 2012 elf gezielte Tötungen an Christen registriert. Die Asian Human Rights Commission schätze die Zahl der christlichen Mädchen, die jedes Jahr entführt, vergewaltigt und zwangskonvertiert würden, auf etwa 700.
12 
Die genannten Vorfälle seien Eingriffe in die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Betroffenen. Sie seien als unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu begreifen. Sofern sie die Betroffenen unter Druck setzten, auf die Praktizierung ihres Glaubens zu verzichten oder diese einzuschränken, lägen Eingriffe in die Religionsfreiheit vor. Angesichts der Häufigkeit der Vorfälle in jüngster Zeit und der Vielzahl von Personen, die bei einem einzigen Überfall auf eine Kirche oder ein Viertel betroffen seien, oder etwa bei dem Vorwurf der Blasphemie gegen einen Christen betroffen werden könnten, handele es sich nicht mehr nur um vereinzelte, individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr sei jeder als solcher erkennbare Christ in Pakistan wegen seiner Religion der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit, also einem realen Risiko ausgesetzt. In die Würdigung einzustellen seien hierbei nicht allein die Anzahl der wegen Blasphemie erfolgten Anklagen und Verurteilungen und die Summe der von den Gewaltübergriffen durch Privatpersonen betroffenen Opfer, sondern auch die nicht quantifizierbare Zahl an Christen, die Opfer von Diskriminierung im alltäglichen Bereich, etwa bei der Arbeit, würden.
13 
Akteure im Sinne von § 3d Abs. 1 AsylVfG seien in Pakistan nicht willens und in der Lage, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylVfG zu bieten. Zahlreiche Quellen berichteten, dass der Staat beim Schutz religiöser Minderheiten vor Angriffen in den verschiedenen Landesteilen versage. Die Polizei sehe bei Übergriffen von Privatpersonen auf Christen lediglich untätig zu und biete keinen Schutz, es werde keine effektive Strafverfolgung der Angreifer betrieben. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative.
14 
Das Verwaltungsgericht habe auch eine nähere Prüfung unterlassen, ob all diese Tatsachen eine systematische, einer Gruppenverfolgung gleichkommende Diskriminierung darstellten. Alle Quellen wiesen auf eine systematische Diskriminierung der Christen hin, die in ihren Folgen einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkomme.
15 
Was die individuelle Situation des Klägers betreffe, habe das Verwaltungsgericht nicht bezweifelt, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur bezeichneten Gruppe der Christen in Pakistan gehöre. Der Kläger habe vorgetragen, dass es nach seinem Glaubensverständnis für ihn identitätsbestimmend sei, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, und dass ein Verzicht auf die Religionsausübung für ihn auch in Pakistan nicht in Betracht komme, sondern er seinen Glauben mit allen teilen wolle. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass der Kläger in Deutschland nach intensivem Taufunterricht die Taufe empfangen habe und am christlichen Leben teilnehme, namentlich durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an donnerstäglichen Unterweisungen. Zwar seien im pakistanischen Strafgesetzbuch Apostasie, Konversion und Missionierung für Christen nicht unter Strafe gestellt. Der Islam sei jedoch Staatsreligion. Nach islamischem Recht stehe Konversion vom Islam weg unter Todesstrafe. Nach einer im April 2010 in Pakistan durchgeführten Umfrage befürworteten 76 % der Befragten die Todesstrafe für die Abwendung vom Islam. Für Christen, die vom Islam zum Christentum konvertierten und deren Konversion bekannt werde, sei die Situation kritischer als für geborene Christen. In ihrer Familie stießen sie oft auf Unverständnis und würden von ihr bedroht und verstoßen, es werde sogar versucht sie umzubringen, weil der Abfall Schande und Verrat für die ganze Familie sei. Als Konvertierte bekannte Christen seien Opfer schwerer Diskriminierungen, etwa am Arbeitsplatz oder durch Behörden. Dies führe dazu, dass die Konversion zu einer Minderheitenreligion in Pakistan häufig verheimlicht werde. Amnesty International berichte von einem Mord an einem 18-jährigen Mädchen in Pakistan, das von seinem Bruder erschossen worden sei, weil es sich zum Christentum bekannt gehabt habe. Im Mai 2013 sei ein 16-jähriger Junge verschwunden, der vom Islam zum Christentum konvertiert gewesen sei. Zudem würden Konvertiten, die sich vom Islam abgewandt hätten, unmittelbar von staatlicher Seite diskriminiert. Kinder eines muslimischen Ehepaars, das vom Islam weg konvertiere, würden als unrechtmäßig betrachtet, sodass der Staat das Sorgerecht für sie übernehmen könne. Da es nahezu ausnahmslos zu schweren Diskriminierungen und Verletzungen von Menschenrechten komme, sei die Verfolgungsdichte so hoch, dass von einer Gruppenverfolgung auszugehen sei. Es mangele an einer Schutzbereitschaft von Akteuren im Sinn von § 3d AsylVfG. Die unmittelbare Diskriminierung von staatlicher Seite im Hinblick auf die Kinder von konvertierten Ehepaaren verstärke die Annahme, dass der pakistanische Staat nicht nur nicht in der Lage, sondern auch nicht willens sei, Konvertiten Schutz zu bieten. Somit bestehe für Konvertiten erst recht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Selbst bei einem Wohnortwechsel, verbunden mit dem Versuch, sich in der neuen Umgebung als geborener Christ auszugeben, bestehe wenig Aussicht, dass die Konversion geheim gehalten werden könne. Auch der Kläger, dessen Zuwendung zum Christentum vor seiner Ausreise in seinem Heimatort bekannt geworden sei, habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, die sich geschlossen gegen ihn gestellt habe.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 ihres Bescheids vom 20.06.2013 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
18 
Die Beklagte tritt der Berufung aus den Gründen des angegriffenen Urteils entgegen.
19 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen individuellen Verfolgungsgründen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
20 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die Behördenakten der Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, der zu seiner Identität keine Unterlagen vorlegte, ist nach seinen Angaben pakistanischer Staatsangehörigkeit und christlichen Glaubens. Er reiste nach seinen Angaben auf dem Landweg über die Balkanroute am ... 9.2015 nach Deutschland ein. Er stellte am ... .3.2016 Asylantrag.

In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) führte der Kläger im Wesentlichen aus, er sei Christ ( ... Church). Deswegen sei er in Pakistan zweimal von Männern zusammengeschlagen worden. Die Situation für Christen in Pakistan sei sehr bedrückend. Seine Familie sei schon seit Generationen christlich, in seinem Dorf gebe es mehrere Christen.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, das Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; im Falle der Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen.

Am ... Dezember 2016 erhob der Bevollmächtigte des Klägers dagegen Asylklage zum Verwaltungsgericht München. Zur Begründung verwies er auf das Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG, noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.

Im Klageverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Klage hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger seine Behauptung, pakistanischer Christ zu sein, nicht belegt hat. Der Kläger hat keinerlei Unterlagen über seine Identität oder seine Mitgliedschaft in der ... -Church vorgelegt. Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat er außer ein paar Phrasen zum christlichen Glauben nichts vorgetragen, was seine Behauptung hätte stützen können.

Aber selbst – wie nicht – der Kläger als pakistanischer Christ anzusprechen wäre, hätte die Klage keinen Erfolg.

Eine politische Verfolgung des Klägers wegen seiner – behaupteten – Zugehörigkeit zur christlichen ... -Church käme nicht in Betracht. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der in Pakistan etwa 1,3 Millionen bis 4 Millionen Mitglieder zählenden Christen fehlt es an der erforderlichen Verfolgungsdichte (siehe etwa VGH Mannheim, B.v. 27.8.2014 – A 11 S 1128/14 – juris).

Davon abgesehen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.

Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).

Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.

In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht –, Stand Mai 2016, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.).

Der Kläger kann in den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen.

Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots (hier: § 60 Abs. 2 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am ...1992 in Denawe Gulbori/Jagato in der Provinz Ghazni geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara reiste am 07.02.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18.02.2010 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, die Taliban hätten ihn unter Bedrohung seiner Eltern im Oktober 2009 zwangsrekrutiert und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt. Von dort sei er desertiert und mit Hilfe seines Vaters und Onkels über Pakistan auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Seine Eltern seien hernach aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen, aus der Provinz Ghazni nach Kabul umzuziehen. Auch heute lebe seine Familie in Kabul und teilweise im Iran. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe ihm Lebensgefahr durch Racheakte der Taliban. In Afghanistan sei er bekannt, weil er von 2007 bis 2009 Mitglied der Ringer-Nationalmannschaft gewesen sei; 2008 habe er in Indonesien eine Goldmedaille für sein Land errungen. 2009 habe er Abitur gemacht und, wie sein Vater, den Beruf des Schneiders erlernt. In Deutschland habe er zwischenzeitlich Integrationskurse und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Sportlich sei er in dem „SV ...“ in W. erfolgreich als Ringer aktiv; bei den baden-württembergischen Juniorenmeisterschaften habe er in seiner Gewichtsklasse den ersten Platz belegt.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (- Bundesamt -) vom 22.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Auch aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara folge keine Gefahr landesweiter Verfolgung. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege; spezifische gefahrerhöhende Umstände seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass auch eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 04.04.2011 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 22.03.2011 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, höchst hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung vertiefte und ergänzte er sein Vorbringen.
Mit Urteil vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 22.03.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Falle des Klägers würden individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner Flucht aus dem Taliban-Camp Verfolgung und Lebensgefahr durch die Taliban drohe. Als ehemaliges Mitglied der afghanischen Ringer-Nationalmannschaft sei er eine auffällige Person, die landesweit nicht in der Menge untertauchen könne.
Der Zulassungsantrag des Klägers insbesondere hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG wurde vom Senat mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 3002/11 -auch mangels hinreichender Darlegung der Zulassungsgründe abgelehnt. Mit demselben Beschluss hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte macht mit ihrer Berufung insbesondere geltend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei von dem Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, sowohl in seiner Heimatprovinz Ghazni als auch in Kabul herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ihm drohe aufgrund seiner Desertion landesweit die Hinrichtung durch die Taliban.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2012 informatorisch angehört. Dabei wiederholte der Kläger im Wesentlichen die bereits beim Verwaltungsgericht gemachten Angaben.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren A 8 K 878/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(2) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags vor der Entscheidung des Bundesamtes oder der Einstellung des Verfahrens beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(3) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags oder der Klage oder des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Absatz 3 kann dem Ausländer eine Ausreisefrist bis zu drei Monaten eingeräumt werden, wenn er sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,

1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens;
2.
bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
4.
über den Streitwert;
5.
über Kosten;
6.
über die Beiladung.

(2) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer oder des Senats entscheiden.

(3) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag wegen Wehrdienstentziehung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal ab. Während des Klageverfahrens ist der Kläger zum Christentum übergetreten und hat sich im Mai 2013 taufen lassen.

2

Das Verwaltungsgericht hat seiner auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage stattgegeben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass sich das Gericht zwar nicht von der Ernsthaftigkeit der Konversion habe überzeugen können. Dennoch sei der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, denn die Taufe gehöre als Aufnahmeakt zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgemeinschaft. Deshalb sei das Gericht gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV an die Beurteilung der die Taufe vollziehenden Pfarrerin gebunden, der Glaubensübertritt sei vom Kläger ernsthaft gewollt.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein flüchtlingsrechtlich relevanter, hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit des unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Klägers setze u.a. voraus, dass für den Betroffenen die Befolgung bestimmter gefahrenträchtiger religiöser Praktiken in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sei. Das Gericht habe jedoch auch in Ansehung der Taufe des Klägers nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit feststellen können, dass die von ihm geltend gemachte Hinwendung zur christlichen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Der christliche Glaube präge die religiöse Identität des Klägers nicht in einer Weise, dass dieser die christliche Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfinde, um seine Identität zu wahren. Bei dieser Beurteilung binde der Umstand, dass der Betroffene durch den Amtsträger einer christlichen Kirche getauft worden sei, die staatlichen Stellen nicht. Es sei vielmehr die ureigene Aufgabe staatlicher Verwaltungsgerichte, zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV ergebe sich nichts anderes. Denn es bleibe der Kirchengemeinde unbenommen, den Kläger weiterhin als ihr Mitglied anzusehen. Die Beantwortung der davon zu unterscheidenden Frage, ob die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche eine religiöse Verfolgung nach sich ziehe und deshalb die Flüchtlingsanerkennung begründe, sei allein Aufgabe der staatlichen Gerichte.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erstrebt.

II

5

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

7

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob das staatliche Gericht uneingeschränkt befugt ist, im Rahmen eines Asylverfahrens entgegen einer Taufe in den christlichen Glauben und entgegen einer pfarramtlichen Bescheinigung der Pfarrerin seiner Kirchengemeinde davon auszugehen, dass ein Asylbewerber keine religiöse Identität in dem Sinne habe, dass ihm der Verzicht auf eine öffentlich wahrnehmbare Betätigung seines christlichen Glaubens zumutbar ist."

8

Dazu führt sie im Kern aus, die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Übertritts zum Christentum sowie der religiösen Identität eines Asylbewerbers sei eine innerkirchliche Angelegenheit, die gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatlicher Überprüfung entzogen sei. Die Taufe gehöre zum Kernbereich kirchlichen Handelns, den der Staat nicht infrage stellen dürfe. Auch der Kläger werde in seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt, wenn der Staat sich die Entscheidungskompetenz darüber anmaße, ob er "wahrer" Christ sei oder nicht. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO rechtfertigen.

9

Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden sind, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies folgt insbesondere aus der dem Berufungsurteil vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 [ECLI:EU:C:2012:518] - NVwZ 2012, 1612). Das Vorbringen der Beschwerde zeigt keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.

10

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantieren den Religionsgesellschaften die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander im Sinne einer Schrankenspezialität: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 82 ff.). Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 95 m.w.N.). Zu den "eigenen Angelegenheiten" in diesem Sinne zählen insbesondere die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft, insbesondere Bestimmungen, die den Ein- und Austritt, die mitgliedschaftliche Stellung sowie den Ausschluss von Glaubensangehörigen regeln (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - EuGRZ 2015, 250 Rn. 37 m.w.N.). Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft beurteilt sich mit Wirkung für den weltlichen Bereich (etwa als Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht) grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415 <422> - auch zu der Grenze des für alle geltenden Gesetzes). Demzufolge obliegen die Interpretation und die Beurteilung der kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Taufe sowie deren Wirksamkeit mit der Folge, dass der Betroffene Mitglied in der Gemeinde einer Religionsgemeinschaft wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist, den innerkirchlich zuständigen Amtsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 C 21.12 - BVerwGE 148, 271 Rn. 46 ff. - auch zur Abgrenzung gegenüber staatlichen Gerichten verbleibenden Prüfungspunkten).

11

Es liegt auf der Hand, dass - von Missbrauchsfällen abgesehen - die von einer Religionsgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche von den Verwaltungsgerichten bei der Untersuchung, ob dem Asylbewerber in seinem Heimatland eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht, nicht infrage gestellt werden darf. Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist aber nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft. Ist dies jedoch - wie nach der tatrichterlichen Würdigung der Verfolgungslage im Iran durch das Berufungsgericht - nicht der Fall, haben das Bundesamt bzw. die Verwaltungsgerichte auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612). Dass diese Fragestellung in Teilbereichen zugleich auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam ist und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden ist, macht sie - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestellt hat - mit Blick auf die hier zu prüfende, staatlichen Stellen obliegende Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer "eigenen Angelegenheit" der Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts konstituiert ist oder nicht.

12

Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass staatliche Stellen mit der eigenständigen Würdigung im Rahmen der Prüfung des § 3 Abs. 1 AsylVfG, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Antragsteller nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität verletzen. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens oder der Lehre einer Kirche ist damit nicht verbunden. Bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung setzen sich staatliche Stellen weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerten sie diese oder formulieren gar eigene Standpunkte in Glaubensdingen (zur Reichweite des Neutralitätsgebots: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 88 ff. m.w.N.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. Januar 2013 - Nr. 48420/10 u.a. - NJW 2014, 1935 Rn. 81 und Urteil vom 8. April 2014 - Nr. 70945/11 u.a. - NVwZ 2015, 499 Rn. 76). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gehen lediglich der Stellung des einzelnen Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken dürfen, sondern insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen haben (BVerwG, Urteil vom Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Auffassung der Beschwerde die Religionsfreiheit des Betroffenen und zugleich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG angezeigt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative oder individuelle Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden; insoweit darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Formulierung ihres Selbstverständnisses und Auftrags - des kirchlichen Proprium - obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 101, 114). Auch auf der individuellen Ebene dürfen staatliche Organe nur prüfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich ein von dem Betroffenen als religiös geboten reklamiertes Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - EuGRZ 2015, 181 Rn. 86 m.w.N.). Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im konkreten Einzelfall reicht, ist jedoch nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet.

14

Der Senat hat auch klargestellt, dass die religiöse Identität als innere Tatsache sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lässt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 31). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Glaubensfreiheit eines Asylbewerbers, der sich auf eine ihm drohende Verfolgung wegen seiner Religion beruft, nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) obliegt, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist insoweit keiner weiteren grundsätzlichen Klärung zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist (UA S. 16) - die Glaubensfreiheit nicht verletzt und die Beweisanforderungen nicht überspannt, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist.

15

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, dem Berufungsgericht fehle die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Klägers. Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung des Klägers in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Die Aufklärungs- und damit verbundene Gehörsrüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

16

Zum einen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 - 3 B 6.78 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116). Aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Zum anderen ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen das Berufungsgericht - nachdem nicht etwa Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären waren - nicht über die ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Überzeugung und Identität des Klägers verfügen sollte. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedarf es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens. Letztlich wendet sich die Beschwerde im Wege der Aufklärungs- und Gehörsrüge gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie indessen nicht durchzudringen.

17

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

18

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die ausdrücklich bzw. sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt bzw. liegen nicht vor.

I. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die vom Kläger gestellte (Tatsachen)Frage,

„ob ein iranischer Staatsangehöriger, der in Deutschland um Asyl ersucht hat und gegen seinen Willen in den Iran zurückgeführt wird, bei Bekanntwerden des Glaubensübertritts während seines Aufenthalts in Deutschland im Iran keinerlei relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterliegt“,

hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass es eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass sein formaler Glaubenswechsel durch seine in Deutschland lebenden Verwandten im Iran bekannt werden könnte. Zudem fehlt es dieser Frage an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Bekenntnis des Klägers zum Christentum nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruhe; es sei der Eindruck entstanden, der Kläger sei nur formal und aus asyltaktischen Gründen zum christlichen Glauben übergetreten. Die aufgeworfene Frage könnte in einem Berufungsverfahren daher nur dann entscheidungserheblich sein, wenn allein der formale Akt des Übertritts zum christlichen Glauben - vorliegend also die durch die Taufe des Klägers bewirkte Mitgliedschaft in der evangelischen Landeskirche Bayern - zu Repressionen seitens des iranischen Staates führen könnte, ohne dass der christliche Glaube nach einer Rückkehr in den Iran gelebt würde. Der Kläger nennt zwar mögliche Lebensbereiche, in denen es nach seiner Ansicht für ihn zu Repressionen kommen könnte, die - aufgrund der Kumulation - als Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU - Qualifikationsrichtlinie - anzusehen seien. Nachvollziehbare Belege, die die Möglichkeit derartiger Repressionen bestätigen, benennt er jedoch nicht.

Es gibt auch keine entsprechenden Erkenntnisse, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran allein wegen des formalen Glaubenswechsels oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland eine asylrechtlich relevante und/oder abschiebungsrelevante Verfolgung drohen könnte. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat unter Auswertung zahlreicher Erkenntnisquellen zur Frage einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie in seinem Urteil vom 7. November 2012 - 13 A 1999/07.A - (juris Rn. 49 ff.) festgestellt, dass der Abfall vom Islam im Iran nach wie vor nach weltlichem Recht nicht mit Strafe bedroht ist und dass trotz des im September 2008 in erster Lesung beschlossenen Apostasiestrafgesetzes jedenfalls bei Apostaten, die nicht exponiert tätig sind, Verurteilungen zu Todesstrafen nicht erfolgen. Andere staatliche oder nichtstaatliche Repressionen sind demnach auch nur für solche konvertierten Christen festzustellen, die in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - nach außen zeigen wollen. Diese Situation wird durch den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in der Islamischen Republik Iran vom 24. Februar 2015 bestätigt (vgl. S. 16 ff.). Erkennbar beziehen sich die dortigen Aussagen auf solche Konvertiten, die die neue Religion aktiv im Iran ausüben (so im Ergebnis auch: BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30120 - juris Rn. 6; VGH BW, B. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - juris Rn. 14; U. v. 15.4.2015 - A 3 S 1923/14 - n. v. UA S. 21; OVG NW, B. v. 27.8.2012 - 13 A 1703/12.A - juris Rn. 8; B. v. 27.4.2015 - 13 A 440/15.A - juris Rn. 10 f.).

2. Aus den gleichen Gründen sind auch die zweite (Tatsachen)Frage,

„ob ein zum Christentum konvertierter iranischer Staatsangehöriger, der im Falle einer Rückkehr sich weigert, den (nicht gelebten) christlichen Glauben formal abzulegen und sich wieder zum Islam zu bekennen, verfolgungsrelevante Maßnahmen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu befürchten hat, wenn der Glaubensübertritt bekannt wird“,

sowie die vierte (Tatsachen)Frage,

‚ob ein „Taufscheinchrist“, wie vorher beschrieben, der also keine innere tiefe Glaubensüberzeugung besitzt, gleichwohl aber Mitglied der Glaubensgemeinschaft sein will und im Falle der Rückkehr auch sein wird, bei einem Bekenntnis zu dieser Art von Mitgliedschaft im Iran eine Verfolgung zu befürchten hat, wenn er sich weigert, wieder Moslem zu werden‘,

nicht klärungsbedürftig.

Bei einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen, steht weder im Raum, dass er seine religiöse Identität nach Rückkehr in sein Heimatland unterdrücken müsste, noch dass er sich im Heimatland religiös betätigen wird. Wie zuvor ausgeführt, stellt sich somit die Frage asylrelevanter Verfolgung des lediglich formal Getauften nicht. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob es einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen zumutbar ist, seine (formale) Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft aufzugeben, ohne in sein durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantiertes Recht auf Religionsfreiheit einzugreifen. Ungeachtet dessen ist zweifelhaft, warum sich der Kläger als lediglich formaler Christ weigern könnte, dem Christentum abzuschwören bzw. wieder Moslem zu werden, zumal er nur vorträgt, nach „seiner inneren Überzeugung (wie sei das Gericht versteht)“ lediglich „möglicherweise“ Atheist zu sein.

3. Auch die vom Kläger gestellte Rechtsfrage,

„ob die ‚innere identitätsprägende Überzeugung‘ eines Glaubens, wie vom VG verlangt, ein ‚Verständnis der Glaubensinhalte‘ erfordert oder ob die identitätsprägende Überzeugung allein in dem Willen der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, getragen von sonstigen Motiven z. B. einer Emotionalität, dem Wunsch der kulturellen Zugehörigkeit ect. bestehen kann“

bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Zum einen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30 im Anschluss an EuGH, U. v. 5.9.2012 - C-71/11 u. C-99/11 - NVwZ 2012, 1612; U. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 19), dass der Schutzsuchende, der nicht bereits wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht war und bei dem nicht bereits die Taufe als solche zu einer Verfolgung führt, die inneren Beweggründe, die ihn zur Konversion veranlasst haben, glaubhaft machen muss, wenn er sich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung beruft, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Zum anderen kommt der Frage regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Prüfung, ob ein (identitätsprägender) Glaubenswechsel vorliegt, kann jeweils nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts erfolgen (BVerwG, B. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Asylmagazin 2015, 345 Rn. 11; BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30444 - juris Rn. 5 m. w. N.). Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist und welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich nicht allgemein beschreiben, sondern richtet sich vorwiegend nach der Persönlichkeit des Schutzsuchenden und seiner intellektuellen Disposition (OVG NW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 39). Es ist ureigene Sache des Gerichts, im Rahmen der Beweiswürdigung anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu klären, ob ein Glaubenswechsel vorliegt.

II. Soweit der Kläger den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) geltend machen wollte mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze verstoßen, wonach es im Hinblick auf die Gefahrenprognose auf das persönliche Glaubensverständnis des Individuums und das Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft ankomme, ist er bereits seinen diesbezüglichen Darlegungspflichten (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) nicht nachgekommen. Mit seinem Einwand, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 20. März 2013 - 10 C 23.12 - auf das „Verständnis der Glaubensinhalte“ und auf die „innere identitätsprägende Überzeugung“ abgestellt, hat er keinen abstrakten Rechtssatz dargelegt, sondern lediglich eine - seiner Ansicht nach fehlerhafte - gerichtliche Bewertung des Einzelfalls aufgezeigt. Den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht § 78 Abs. 3 AsylG nicht vor.

III. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 9. November 2015 vorgetragen hat, dass er seine am 6. März 2015 geborene Tochter entsprechend seiner Glaubensüberzeugung am 25. Oktober 2015 hat taufen lassen, kann dies im Zulassungsverfahren gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG nicht mehr berücksichtigt werden.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg hat keinen Erfolg.
Die aufgeworfene Frage,
ob eine Grundsatzentscheidung des zuständigen kirchlichen Würdenträgers, des Pfarrers, der einen ernsthaften Glaubensübertritt (eines Asylbewerbers) bejaht hat, das staatliche Gericht staatskirchenrechtlich bindet,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289) bereits ausreichend geklärt.
Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Die Beurteilung, ob eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne der genannten Vorschrift zu erfüllen, hängt aber außer von objektiven auch von subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, ob für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Es reicht dafür nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 30; Beschl. v. 9.12.2010, a.a.O.). Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 -; Beschl. v. 9.1.2014 - A 2 S 1812/13 -; OVG Niedersachsen, 7.3.2014 - 13 LA 118/13 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.5.2013 - 5 A 1062/12.A - juris; BayVGH, Beschl. v. 12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris). Ob ein von diesem Regelfall abweichender Sonderfall vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und ist deshalb einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am xx.xx.1983 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er kam nach seinen Angaben am 08.02.2012 mit dem Schiff in die Bundesrepublik Deutschland und stellte am 27.02.2012 einen Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend: Er habe in Pakistan Probleme gehabt, weil er mit Christen in die Kirche gegangen sei und Christ habe werden wollen. Weiter legte er Informationsmaterial und eine Bescheinigung der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. vom 11.05.2013 und eine Bescheinigung von xxx in H. vom 07.05.2013 vor. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens verweist der Senat auf die Niederschrift seiner Anhörung durch das Bundesamt vom 15.05.2013.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 20.06.2013 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Pakistan an.
Am 28.06.2013 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart und berief sich darauf, dass er zwischenzeitlich getauft worden sei. Er legte eine Taufkarte vom 02.06.2013, eine Mitgliedskarte des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden vom 28.05.2013, weiteres Informationsmaterial der Gemeinschaft Entschiedener Christen und Informationsmaterial des Immigration and Refugee Board of Canada vom 20.09.2013 vor.
Nach den im Tatbestand des angegriffenen Urteils enthaltenen Feststellungen antwortete der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen des Gerichts, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auf die Frage, welche konkreten Gründe er gehabt habe, nach Deutschland zu kommen, antwortete er: In Pakistan sei er drei- bis viermal in der Kirche gewesen. Die Familie habe das nicht gerne gesehen, auch seine Nachbarn nicht. Seine christlichen Freunde hätten gemeint, er solle lieber in ein christliches Land gehen. Ein christlicher Freund habe einen Schlepper gekannt. Später berichtigte der Kläger: Das Geld sei erst bezahlt worden, nachdem es ihm gelungen sei, nach Deutschland zu kommen. Er habe mit dem Freund Cricket gespielt. Sie seien gemeinsam in die Kirche gegangen. Es habe sich um seine - des Klägers - Ersparnisse gehandelt.
Auf Fragen und Vorhalte seines Prozessbevollmächtigten gab der Kläger weiter an: In Pakistan hätten sie ihm gesagt, er sei jetzt ein Nicht-Gläubiger. Er sei geschlagen und bedroht worden. Sie hätten gesagt, es sei besser, ihn zu töten. Geschlagen worden sei er im achten bzw. neunten Monat des Jahres 2012 (gemeint 2011). Er sei unterwegs zum Gottesdienst gewesen. Sie hätten ihn angehalten und gesagt, sie würden ihn schlagen, ihm Fußtritte geben und ihn umbringen. Einmal sei er geschlagen worden. Deswegen sei er dreimal genäht worden. Er sei zu einem Arzt gegangen, einem Dr. N. in seiner Ortschaft. Seine ganze Familie sei gegen ihn. Er habe keine Verbindung mehr mit der Familie. Zu seiner Taufe führte er aus: Dr. S. habe ihn unterrichtet. Er komme einmal in der Woche am Donnerstagnachmittag. X. sei eine Kirche; es gebe um 18:00 Uhr dort Gottesdienst. Dann tränken sie Tee. Samstags um 11:00 Uhr gebe es einen gemeinsamen Gottesdienst mit allen Personen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte aus, der Kläger sei als Moslem in Pakistan mit der christlichen Gemeinde in Berührung gekommen. Die Kontakte seien über einen Freund hergestellt worden. Er sei vom christlichen Glauben fasziniert gewesen, nachdem er drei- bis viermal in der Kirche gewesen sei. Er habe dann Probleme mit der Familie bekommen. Aus seiner Sicht sei die Situation für ihn in Pakistan gefährlich. Es habe bei ihm schon in Pakistan eine Festlegung auf das Christentum gegeben. Ein Verzicht auf die Religionsausübung sei nicht Gegenstand von Überlegungen gewesen. Er gehöre der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. an und wolle den Glauben mit allen teilen. Er wollte den Glauben auch in Pakistan weiterleben. Die Abwendung vom muslimischen Glauben sei aus der Sicht der Hitzköpfe verwerflich. Es stelle sich die Frage, ob der Staat hinreichende Schritte unternehme, den Kläger ggf. zu schützen. Aus staatlichen Verfolgungsmaßnahmen könne man schließen, dass der Staat nicht Garant für den Schutz sein könne.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Urteil vom 10.04.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab und führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass er das von ihm geschilderte Schicksal tatsächlich erlitten habe. Denn der Vortrag enthalte wesentliche Ungereimtheiten und widerspreche zum Teil erheblich der allgemeinen Lebenserfahrung. So seien schon die Angaben des Klägers, warum er sich dem Christentum zugewandt habe und schließlich habe taufen lassen, ausgesprochen vage. Bei der Anhörung habe er hierzu nur angegeben, in der Cricketmannschaft seien auch Christen gewesen. Mit ihnen sei er zusammen in die Kirche gegangen. Man habe ihm gesagt, Jesus Christus habe den Leuten die Augen gegeben, er habe die Verstorbenen wieder lebendig gemacht. Daraufhin sei sein Glaube an die christliche Religion sehr stark gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe er hierzu auch nicht viel mehr gesagt. Auf die Frage, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen, habe er gesagt: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auffallend sei dabei gewesen, dass er bei der Anhörung und auch in der mündlichen Verhandlung zuerst angegeben habe, in Pakistan sei er drei- bis viermal in die Kirche gegangen, im weiteren Verlauf der Anhörung habe er dann gesagt, er sei fünfmal in der Kirche gewesen. Bei einer so geringen Anzahl von Kirchenbesuchen sei davon auszugehen, dass man sich an diese Anzahl besser erinnere, zumal wenn sie zu einem so wesentlichen Schritt führe, wie den Übertritt zu einer anderen Religion. Nicht verständlich seien die Angaben des Klägers zu dem Arzt, zu dem er nach seinen Angaben gegangen sei, nachdem er geschlagen worden sei. Hierzu habe er bei der Anhörung durch das Bundesamt angegeben, er habe Dr. S. geheißen, mehr wisse er nicht; er glaube, er sei in der Rxxx Rxxx in Lahore. In der mündlichen Verhandlung habe er dagegen gesagt, es habe sich um einen Dr. N. in seiner Ortschaft gehandelt. Es widerspreche auch jeder Lebenserfahrung, dass der Kläger trotz der Bedeutung seines Schritts weder gewusst habe, wann er angefangen habe, in Pakistan in die christliche Kirche zu gehen, noch wann sich der Vorfall abgespielt habe, bei dem er geschlagen worden sei. Die Angaben bei der Anhörung hierzu seien äußerst vage gewesen, nämlich "irgendwann im Jahr 2011" bzw. "das sei 2011" gewesen. Wenn sich ein so bedeutsames Ereignis tatsächlich abgespielt gehabt hätte, hätte der Kläger in der Lage sein müssen, dies zeitlich erheblich konkreter einzuordnen. Weiter widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand nach wenigen Kirchenbesuchen, auch wenn er einmal geschlagen worden sei, von seinen christlichen Freunden den Rat erhalte, sofort in ein christliches Land zu gehen, und dies auch sofort tue. Immerhin seien 1,6 % der pakistanischen Bevölkerung Christen. Auch sei es dem Kläger wirtschaftlich gut gegangen. Bei der Anhörung habe er insoweit angegeben, er habe gut gearbeitet und habe das Geld gespart, das er für die Ausreise ausgegeben habe. Es könne weiter nicht festgestellt werden, dass für den Kläger allein wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen in Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan deshalb darüber hinausgehend Gefahr drohe, weil er die Religion gewechselt habe und sich dort als Christ betätigen wolle, seien nicht ersichtlich. Auch sei nicht festzustellen, dass dem Kläger Gefahren im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG oder § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG drohten.
Auf den vom Kläger fristgerecht gestellten Antrag ließ der Senat durch Beschluss vom 11.06.2014 die Berufung insoweit zu, als er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt und lehnte im Übrigen den Antrag ab.
10 
Am 23.06.2014 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet. Er führt aus: Das Verwaltungsgericht habe sich auf den Standpunkt gestellt, trotz feststellbarer Verfolgungshandlungen gegen Christen und ungeachtet der Frage, ob der pakistanische Staat im Hinblick auf die Verfolgung von Christen durch nichtstaatliche Akteure tatsächlich gänzlich schutzwillig und schutzfähig sei, hätten die Verfolgungsmaßnahmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die strengen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung angenommen werden könnten; es sei keine hinreichende Verfolgungsdichte feststellbar.
11 
Dieser Auffassung könne nicht gefolgt werden. Nach neueren Erkenntnismitteln habe die Bedrohungslage der Christen in Pakistan jüngst eine neue, noch nicht dagewesene Qualität erreicht. Bereits im Juni 2013 habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil bezüglich der Ahmadi in Pakistan von einer prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen in Pakistan gesprochen. Diese Lage habe sich weiter verschlechtert. Vor diesem Hintergrund drohe der Gruppe der Christen in Pakistan, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansähen, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Der Schutz religiöser Minderheiten sei in der Verfassung festgeschrieben, auch gebe es Quoten für ihre Vertretung in staatlicher Beschäftigung und politischer Vertretung. Ungeachtet dieser Gesetzeslage seien die als solche erkennbaren Christen in Pakistan aber Diskriminierungen ausgesetzt. Diskriminierungen im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt seien verbreitet. Christliche Gemeinden und Institutionen seien Opfer von Landraub durch muslimische Geschäftsleute. Auch der Besitz von geflohenen christlichen Privatpersonen werde von den muslimischen Anwohnern in Besitz genommen. Diskriminierungen und Übergriffe gingen aber nicht nur von privaten Akteuren aus. Es werde von einem Trend zu entschädigungslosen Beschlagnahmen christlicher Friedhöfe und von dem Abriss einer katholischen Einrichtung in Lahore auf Anweisung der örtlichen Regierung im Januar 2012 berichtet. Insbesondere hätten Christen in Pakistan aber schwer unter dem Blasphemiegesetz zu leiden. Zwar gelte das Blasphemiegesetz dem Wortlaut nach unterschiedslos für alle Pakistani. Religiöse Minderheiten seien jedoch besonders betroffen. Zwar sei ein nach dem Blasphemiegesetz verhängtes Todesurteil noch nie vollstreckt worden, allein der Vorwurf der Blasphemie könne jedoch ausreichen, um die soziale Existenz des Beschuldigten und seiner Nachbarn zu zerstören. Ansätze, die darauf abzielten, einen Missbrauch des Blasphemiegesetzes zu verhindern, seien fehlgeschlagen. Ein beträchtlicher Anteil islamischer Kleriker in Pakistan rufe zu Gewalt und Diskriminierung gegen Christen auf. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten sei es üblich, über die Lautsprecher von Moscheen dazu zu mobilisieren, gegen religiöse Minderheiten vorzugehen. Ein Vorwurf gegen ein Mitglied der Minderheit genüge, damit sämtliche Angehörige der Minderheit in der betreffenden Gegend als Schuldige betrachtet würden, die bestraft werden müssten. Die National Commission for Justice and Peace habe 2012 elf gezielte Tötungen an Christen registriert. Die Asian Human Rights Commission schätze die Zahl der christlichen Mädchen, die jedes Jahr entführt, vergewaltigt und zwangskonvertiert würden, auf etwa 700.
12 
Die genannten Vorfälle seien Eingriffe in die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Betroffenen. Sie seien als unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu begreifen. Sofern sie die Betroffenen unter Druck setzten, auf die Praktizierung ihres Glaubens zu verzichten oder diese einzuschränken, lägen Eingriffe in die Religionsfreiheit vor. Angesichts der Häufigkeit der Vorfälle in jüngster Zeit und der Vielzahl von Personen, die bei einem einzigen Überfall auf eine Kirche oder ein Viertel betroffen seien, oder etwa bei dem Vorwurf der Blasphemie gegen einen Christen betroffen werden könnten, handele es sich nicht mehr nur um vereinzelte, individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr sei jeder als solcher erkennbare Christ in Pakistan wegen seiner Religion der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit, also einem realen Risiko ausgesetzt. In die Würdigung einzustellen seien hierbei nicht allein die Anzahl der wegen Blasphemie erfolgten Anklagen und Verurteilungen und die Summe der von den Gewaltübergriffen durch Privatpersonen betroffenen Opfer, sondern auch die nicht quantifizierbare Zahl an Christen, die Opfer von Diskriminierung im alltäglichen Bereich, etwa bei der Arbeit, würden.
13 
Akteure im Sinne von § 3d Abs. 1 AsylVfG seien in Pakistan nicht willens und in der Lage, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylVfG zu bieten. Zahlreiche Quellen berichteten, dass der Staat beim Schutz religiöser Minderheiten vor Angriffen in den verschiedenen Landesteilen versage. Die Polizei sehe bei Übergriffen von Privatpersonen auf Christen lediglich untätig zu und biete keinen Schutz, es werde keine effektive Strafverfolgung der Angreifer betrieben. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative.
14 
Das Verwaltungsgericht habe auch eine nähere Prüfung unterlassen, ob all diese Tatsachen eine systematische, einer Gruppenverfolgung gleichkommende Diskriminierung darstellten. Alle Quellen wiesen auf eine systematische Diskriminierung der Christen hin, die in ihren Folgen einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkomme.
15 
Was die individuelle Situation des Klägers betreffe, habe das Verwaltungsgericht nicht bezweifelt, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur bezeichneten Gruppe der Christen in Pakistan gehöre. Der Kläger habe vorgetragen, dass es nach seinem Glaubensverständnis für ihn identitätsbestimmend sei, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, und dass ein Verzicht auf die Religionsausübung für ihn auch in Pakistan nicht in Betracht komme, sondern er seinen Glauben mit allen teilen wolle. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass der Kläger in Deutschland nach intensivem Taufunterricht die Taufe empfangen habe und am christlichen Leben teilnehme, namentlich durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an donnerstäglichen Unterweisungen. Zwar seien im pakistanischen Strafgesetzbuch Apostasie, Konversion und Missionierung für Christen nicht unter Strafe gestellt. Der Islam sei jedoch Staatsreligion. Nach islamischem Recht stehe Konversion vom Islam weg unter Todesstrafe. Nach einer im April 2010 in Pakistan durchgeführten Umfrage befürworteten 76 % der Befragten die Todesstrafe für die Abwendung vom Islam. Für Christen, die vom Islam zum Christentum konvertierten und deren Konversion bekannt werde, sei die Situation kritischer als für geborene Christen. In ihrer Familie stießen sie oft auf Unverständnis und würden von ihr bedroht und verstoßen, es werde sogar versucht sie umzubringen, weil der Abfall Schande und Verrat für die ganze Familie sei. Als Konvertierte bekannte Christen seien Opfer schwerer Diskriminierungen, etwa am Arbeitsplatz oder durch Behörden. Dies führe dazu, dass die Konversion zu einer Minderheitenreligion in Pakistan häufig verheimlicht werde. Amnesty International berichte von einem Mord an einem 18-jährigen Mädchen in Pakistan, das von seinem Bruder erschossen worden sei, weil es sich zum Christentum bekannt gehabt habe. Im Mai 2013 sei ein 16-jähriger Junge verschwunden, der vom Islam zum Christentum konvertiert gewesen sei. Zudem würden Konvertiten, die sich vom Islam abgewandt hätten, unmittelbar von staatlicher Seite diskriminiert. Kinder eines muslimischen Ehepaars, das vom Islam weg konvertiere, würden als unrechtmäßig betrachtet, sodass der Staat das Sorgerecht für sie übernehmen könne. Da es nahezu ausnahmslos zu schweren Diskriminierungen und Verletzungen von Menschenrechten komme, sei die Verfolgungsdichte so hoch, dass von einer Gruppenverfolgung auszugehen sei. Es mangele an einer Schutzbereitschaft von Akteuren im Sinn von § 3d AsylVfG. Die unmittelbare Diskriminierung von staatlicher Seite im Hinblick auf die Kinder von konvertierten Ehepaaren verstärke die Annahme, dass der pakistanische Staat nicht nur nicht in der Lage, sondern auch nicht willens sei, Konvertiten Schutz zu bieten. Somit bestehe für Konvertiten erst recht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Selbst bei einem Wohnortwechsel, verbunden mit dem Versuch, sich in der neuen Umgebung als geborener Christ auszugeben, bestehe wenig Aussicht, dass die Konversion geheim gehalten werden könne. Auch der Kläger, dessen Zuwendung zum Christentum vor seiner Ausreise in seinem Heimatort bekannt geworden sei, habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, die sich geschlossen gegen ihn gestellt habe.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 ihres Bescheids vom 20.06.2013 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
18 
Die Beklagte tritt der Berufung aus den Gründen des angegriffenen Urteils entgegen.
19 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen individuellen Verfolgungsgründen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
20 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die Behördenakten der Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, der zu seiner Identität keine Unterlagen vorlegte, ist nach seinen Angaben pakistanischer Staatsangehörigkeit und christlichen Glaubens. Er reiste nach seinen Angaben auf dem Landweg über die Balkanroute am ... 9.2015 nach Deutschland ein. Er stellte am ... .3.2016 Asylantrag.

In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) führte der Kläger im Wesentlichen aus, er sei Christ ( ... Church). Deswegen sei er in Pakistan zweimal von Männern zusammengeschlagen worden. Die Situation für Christen in Pakistan sei sehr bedrückend. Seine Familie sei schon seit Generationen christlich, in seinem Dorf gebe es mehrere Christen.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, das Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; im Falle der Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen.

Am ... Dezember 2016 erhob der Bevollmächtigte des Klägers dagegen Asylklage zum Verwaltungsgericht München. Zur Begründung verwies er auf das Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG, noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.

Im Klageverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Klage hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger seine Behauptung, pakistanischer Christ zu sein, nicht belegt hat. Der Kläger hat keinerlei Unterlagen über seine Identität oder seine Mitgliedschaft in der ... -Church vorgelegt. Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat er außer ein paar Phrasen zum christlichen Glauben nichts vorgetragen, was seine Behauptung hätte stützen können.

Aber selbst – wie nicht – der Kläger als pakistanischer Christ anzusprechen wäre, hätte die Klage keinen Erfolg.

Eine politische Verfolgung des Klägers wegen seiner – behaupteten – Zugehörigkeit zur christlichen ... -Church käme nicht in Betracht. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der in Pakistan etwa 1,3 Millionen bis 4 Millionen Mitglieder zählenden Christen fehlt es an der erforderlichen Verfolgungsdichte (siehe etwa VGH Mannheim, B.v. 27.8.2014 – A 11 S 1128/14 – juris).

Davon abgesehen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.

Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).

Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.

In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht –, Stand Mai 2016, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.).

Der Kläger kann in den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen.

Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots (hier: § 60 Abs. 2 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am ...1992 in Denawe Gulbori/Jagato in der Provinz Ghazni geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara reiste am 07.02.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18.02.2010 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, die Taliban hätten ihn unter Bedrohung seiner Eltern im Oktober 2009 zwangsrekrutiert und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt. Von dort sei er desertiert und mit Hilfe seines Vaters und Onkels über Pakistan auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Seine Eltern seien hernach aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen, aus der Provinz Ghazni nach Kabul umzuziehen. Auch heute lebe seine Familie in Kabul und teilweise im Iran. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe ihm Lebensgefahr durch Racheakte der Taliban. In Afghanistan sei er bekannt, weil er von 2007 bis 2009 Mitglied der Ringer-Nationalmannschaft gewesen sei; 2008 habe er in Indonesien eine Goldmedaille für sein Land errungen. 2009 habe er Abitur gemacht und, wie sein Vater, den Beruf des Schneiders erlernt. In Deutschland habe er zwischenzeitlich Integrationskurse und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Sportlich sei er in dem „SV ...“ in W. erfolgreich als Ringer aktiv; bei den baden-württembergischen Juniorenmeisterschaften habe er in seiner Gewichtsklasse den ersten Platz belegt.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (- Bundesamt -) vom 22.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Auch aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara folge keine Gefahr landesweiter Verfolgung. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege; spezifische gefahrerhöhende Umstände seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass auch eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 04.04.2011 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 22.03.2011 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, höchst hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung vertiefte und ergänzte er sein Vorbringen.
Mit Urteil vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 22.03.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Falle des Klägers würden individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner Flucht aus dem Taliban-Camp Verfolgung und Lebensgefahr durch die Taliban drohe. Als ehemaliges Mitglied der afghanischen Ringer-Nationalmannschaft sei er eine auffällige Person, die landesweit nicht in der Menge untertauchen könne.
Der Zulassungsantrag des Klägers insbesondere hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG wurde vom Senat mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 3002/11 -auch mangels hinreichender Darlegung der Zulassungsgründe abgelehnt. Mit demselben Beschluss hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte macht mit ihrer Berufung insbesondere geltend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei von dem Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, sowohl in seiner Heimatprovinz Ghazni als auch in Kabul herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ihm drohe aufgrund seiner Desertion landesweit die Hinrichtung durch die Taliban.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2012 informatorisch angehört. Dabei wiederholte der Kläger im Wesentlichen die bereits beim Verwaltungsgericht gemachten Angaben.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren A 8 K 878/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(2) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags vor der Entscheidung des Bundesamtes oder der Einstellung des Verfahrens beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(3) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags oder der Klage oder des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Absatz 3 kann dem Ausländer eine Ausreisefrist bis zu drei Monaten eingeräumt werden, wenn er sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.