| |
|
Die Klage ist zulässig und begründet.
|
|
|
Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem Rechtsverhältnis in diesem Sinne sind „die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm (des öffentlichen Rechts) sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder einer Sache“ zu verstehen (Kopp/ Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., § 43 Rdnr. 11 m.w.N.). Die Feststellung der Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes kann mit der Klage nach § 43 VwGO ebenso wenig begehrt werden wie die Klärung der Frage, ob überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt. Grundsätzlich nicht ausgeschlossen wird durch § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO im Hinblick auf die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen einen Verwaltungsakt eine Klage, die nicht die Berechtigung zu dessen Erlass zum Gegenstand hat, sondern ein durch den Verwaltungsakt begründetes, verändertes oder aufgehobenes Rechtsverhältnis. Ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts kann jederzeit dahin ausgelegt werden, die Rechtswidrigkeit der aufgrund des Verwaltungsakts den Betroffenen treffenden Belastungen festzustellen (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rdnr. 7, 11, 26, 31 m.w.N.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 43 Rdnr. 16; Pietzcker in: Schoch/Schmitt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 13. Aufl., 2006, § 43 VwGO Rdnr. 46 m.w.N.). Es kann auch die Frage der Unzulässigkeit der Vollstreckung eines inzwischen erledigten Grundverwaltungsakts begehrt werden, da mit der Anfechtung des Grundverwaltungsakts nicht seine Erledigung geltend gemacht werden kann (Pietzcker, a.a.O., § 43 Rdnr. 46 f.; vgl. auch Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rdnr. 26).
|
|
|
Im vorliegenden Verfahren besteht Streit darüber, ob der erste Leistungsbescheid vom 02.09.2004 überhaupt wirksam zugestellt und damit wirksam (§ 43 Abs. 1 u. 2 LVwVfG) wurde und falls ja, ob er durch einen zweiten Leistungsbescheid (vom 30.01.2006) aufgehoben wurde und deshalb von der Beklagten nicht mehr als Vollstreckungsgrundlage gegen die Klägerin herangezogen werden kann. In der Sache geht es den Beteiligten darum, ob die Kostentragungspflicht aus dem Leistungsbescheid vom 02.09.2004 rechtmäßig ist. Der erste Teil des Feststellungsantrags betrifft die Frage der Wirksamkeit (§§ 41, 43 Abs. 1 u. 2 LVwVfG) und die des Fortbestehens des Bescheids vom 02.09.2004, der wegen der Aufhebung des zweiten Leistungsbescheids (v. 30.01.2006) durch den Widerspruchsbescheid als alleinige Vollstreckungsgrundlage in Betracht kommt. Letztlich geht es um das feststellungsfähige Rechtsverhältnis, ob die Erstattungspflicht durch den Bescheid vom 02.09.2004 wirksam geworden ist, was insbesondere dessen ordnungsgemäße Zustellung voraussetzt, und ob eine Erstattungspflicht aufgrund dieses Bescheids fortbesteht oder durch den zweiten Bescheid (v. 30.01.2006) aufgehoben wurde. Wegen der Aufhebung des Leistungsbescheides vom 30.01.2006 durch den Widerspruchsbescheid ist unter den Beteiligten klärungsbedürftig, ob die sich aus dem Bescheid vom 02.09.2004 ergebende Kostentragungspflicht der Klägerin (zu Recht) fortbesteht, weil die Beklagte daraus zu vollstrecken beabsichtigt.
|
|
|
Der Antrag auf Feststellung, dass der Bescheid vom 02.09.2004 rechtmäßig ist, ist mit Rücksicht auf die Spezialität der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) in einen Antrag auf Feststellung auszulegen (§ 88 VwGO), dass die im Bescheid vom 02.09.2004 festgesetzte Kostentragungspflicht für die Bestattungskosten ihres Vaters rechtswidrig ist.
|
|
|
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung dieser Rechtsverhältnisse. Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die Rechtslage unklar ist, die zuständige Behörde insoweit anderer Auffassung als der Kläger ist und der Kläger sein künftiges Verhalten an der Feststellung orientieren will, oder er Grund zur Besorgnis der Gefährdung seiner Rechte hat (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rdnr. 24 m.w.N.). Ein Interesse daran, festzustellen, ob der Erstbescheid vom 02.09.2004 wirksam geworden ist und noch fortbesteht oder durch den (zweiten) Leistungsbescheid vom 30.01.2006 aufgehoben wurde, besteht deshalb, weil die Beklagte, wie ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht hat, nach wie vor diesen Bescheid als wirksam zugestellt wertet und daraus gegen die Klägerin auch künftig zu vollstrecken beabsichtigt. In dieser Ansicht sieht sich die Beklagte durch Ziff. 1 des Tenors im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 27.04.2006 bestätigt, mit dem der (zweite) (Leistungs-)Bescheid vom 30.01.2006 aufgehoben und die Rechtmäßigkeit des (ersten) Leistungsbescheids vom 02.09.2004 bestätigt wurde. Ein Interesse daran, zu klären, ob der Erstbescheid vom 02.09.2004 durch den (zweiten) Bescheid vom 30.01.2006 aufgehoben wurde, besteht - trotz und wegen der Aufhebung des die Klägerin belastenden Teils des zweiten Leistungsbescheids durch den Widerspruchsbescheid - deshalb, weil die Klägerin mit dem Erlass eines neuen Leistungsbescheids rechnen müsste, wenn der erste Leistungsbescheid (v. 02.09.2004) nicht (mehr) mehr fortbestehen würde und deshalb keine wirksame Vollstreckungsgrundlage wäre. Wenn der zweite Bescheid vom 30.01.2006 den ersten Bescheid aufgehoben hätte, wäre dieser die Klägerin begünstigende Teil des zweiten Bescheids von der Widerspruchsbehörde nicht aufgehoben worden.
|
|
|
Die Rechtsunsicherheit bezüglich der Vollstreckungsgrundlage rechtfertigt es auch, ein Feststellungsinteresse für den Antrag zu bejahen, festzustellen, ob die sich aus dem Bescheid vom 02.09.2004 ergebende Kostentragungspflicht der Klägerin rechtswidrig oder rechtmäßig war. Für die Vollstreckung ist zwar nur ein wirksamer Grundverwaltungsakt erforderlich, auf dessen Rechtmäßigkeit kommt es nicht an. Um weitere Rechtsstreitigkeiten in der Vollstreckung zu vermeiden, ist es aber sachdienlich, die unter den Beteiligten streitige Kostentragungspflicht aus dem Bescheid vom 02.09.2004 im Wege der Feststellungsklage zu klären. Es soll geklärt werden, ob ein neuer inhaltsgleicher Bescheid erlassen werden könnte, falls der Erstbescheid nicht mehr besteht.
|
|
|
Dem Feststellungsantrag steht § 43 Abs. 2 VwGO nicht entgegen. Die Spezialität der Anfechtungsklage tritt nur hervor, wenn sich die Feststellungsklage unmittelbar gegen den Verwaltungsakt richtet. Insoweit sind nur Gesichtspunkte der Subsidiarität oder der Umgehung der Vorschriften der Anfechtungsklage von Bedeutung (Schoch/Schmitt-Aßmann/ Pietzner, a.a.O., § 43 Rdnr. 46 f.; vgl. auch Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rdnr. 26, § 167 Rdnr. 19 m.w.N.). Wie bereits ausgeführt, richtet sich der Feststellungsantrag bei sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) nicht gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 02.09.2004. Der Erstbescheid vom 02.09.2004 hätte zwar nach Einlegung eines Widerspruchs angefochten werden können. Nach Ergehen des zweiten Bescheides vom 30.01.2006 war dies aber entbehrlich, und zwar ungeachtet einer eventuellen Aufhebung des Bescheids vom 02.09.2004 durch den zweiten Bescheid, weil in der Folgezeit unter den Beteiligten die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides vom 30.01.2006 streitig war, gegen den die Klägerin am 07.02.2006 Widerspruch einlegte, woraufhin dieser mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006 aufgehoben wurde. Hierdurch und durch die weitere Feststellung im Widerspruchsbescheid, der Bescheid vom 02.09.2004 sei rechtmäßig und bestandskräftig, entstand erneut Streit darüber, ob der (erste) Bescheid vom 02.09.2004 wirksam geworden ist und, falls ja, ob er durch Leistungsbescheid vom 30.01.2006 aufgehoben wurde und ob ersterer eine geeignete Vollstreckungsgrundlage bietet oder aus Sicht der Beklagten gar der Erlass eines neuen Leistungsbescheids geboten ist bzw. dies aus Sicht der Klägerin zu befürchten ist. Eine Umgehung der Vorschriften der Anfechtungsklage ist darin nicht zu sehen.
|
|
|
Die Feststellungsklage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 02.09.2004 ist ordnungsgemäß zugestellt worden und wirksam geworden (1.). Er wurde durch Leistungsbescheid vom 30.01.2006 aufgehoben (2.). Die im Bescheid vom 02.09.2004 angeordnete Kostentragungspflicht der Klägerin für die Bestattungskosten ihres Vaters ist rechtswidrig (3.).
|
|
|
1. Wie bereits im Beschluss des erkennenden Gerichts über die Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 21.11.2006 ausgeführt worden ist, wurde der Bescheid vom 02.09.2004 ordnungsgemäß dem ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt, womit er wirksam geworden ist (§ 43 Abs. 1 S. 1 LVwVfG). Nach § 8 Abs. 1 S. 1 LVwZG können Zustellungen an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Vertreter gerichtet werden. Sie sind an ihn zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat (S. 2). Der Wortlaut von S. 2 dieser Vorschrift und ihr Schutzzweck sind auch in Fällen wie hier erfüllt, wenn der Bevollmächtigte die schriftliche Vollmacht zwar nicht bei der die streitige Zustellung veranlassenden Behörde vorgelegt hat, sondern bei einer anderen Behörde, und erstere aufgrund anderer Anhaltspunkte, insbesondere eines Hinweises des Bevollmächtigten Kenntnis von der schriftlichen Vollmacht hat. Der Schutzzweck des § 8 Abs. 1 S. 2 LVwVfG geht dahin, die Partei vor Zustellungen zu schützen, wenn sie einem Bevollmächtigten schriftliche Vollmacht erteilt hat und der Behörde dies durch Vorlage der schriftlichen Vollmacht bekannt ist. Dieser Schutzzweck ist auch dann erfüllt, wenn überhaupt eine schriftliche Vollmacht für das Verfahren vorliegt, in dem die Zustellung bewirkt werden soll, die schriftliche Vollmacht bei einer Behörde oder wie hier bei einem Notariat vorgelegt wird und die die Zustellung veranlassende Behörde aufgrund äußerer Umstände auf das Vorhandensein einer schriftlichen Vollmacht schließen konnte. Letzteres ist hier der Fall. Beim Notariat - VIII Mannheim - Nachlassgericht lag unter der Geschäftsnummer ... eine schriftliche Vollmacht der Klägerin vom 07.05.2004 für ... „in der Nachlassangelegenheit ...“ vor. Diese Vollmacht bezieht sich nach ihrem Sinn und Zweck auf alle Verfahren, die mit der „Nachlassangelegenheit“ des Vaters der Klägerin zusammenhängen, auch auf das Verfahren wegen der Heranziehung zu den Bestattungskosten. In der Vollmacht ist ausdrücklich ausgeführt, sie umfasse insbesondere die Befugnis, Zustellungen zu bewirken und entgegenzunehmen. Waren hiernach Wortlaut und Schutzzweck des § 8 Abs. 1 S. 2 LVwVfG gewahrt, so musste die Zustellung an den damaligen Bevollmächtigten (...) erfolgen. Der Bescheid vom 02.09.2004 ist durch die nach Aktenlage ordnungsgemäß erfolgte Zustellung an ... wirksam geworden (§ 43 Abs. 1 S. 1 LVwVfG).
|
|
|
2. Durch Bescheid vom 30.01.2006 wurde der Erstbescheid vom 02.09.2004 konkludent aufgehoben, auch wenn dies nicht ausdrücklich aus dem (zweiten) Leistungsbescheid vom 30.01.2006 hervorgeht. Die Aufhebung des ersten Bescheids hätte zwar durch einen Hinweis auf § 48 LVwVfG ausdrücklich zum Ausdruck gebracht werden können, was mit keinem Wort geschehen ist, weder im Bescheid noch in sonstiger Weise, etwa durch Aktenvermerke. Für die Auslegung von Willensäußerungen der Verwaltung, auch in Form von Verwaltungsakten, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB nicht der innere, sondern der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.06.1980 - 6 C 55/79 - unter Hinweis auf BVerwGE 29, 310 ff.; 41, 305 ff.). Unklarheiten müssen hierbei zu Lasten der Verwaltung gehen (vgl. BVerwGE 41, 305, 306; 48, 279, 281 f.). Für den Empfängerhorizont erkennbare Anhaltspunkte dafür, dass der als „Leistungsbescheid“ gekennzeichnete Bescheid vom 30.01.2006 die Kostentragungspflicht der Klägerin für die Bestattungskosten ihres Vaters eigenständig und damit neu regelt, ergeben sich aus den aktualisierten Daten im „Leistungsbescheid“ vom „30.01.2006“, der Zahlungsfrist bis „spätestens 28.02.2006“ sowie aus dem per Telefax an die Friedhöfe Mannheim übermittelten Schreiben des zweiten Bevollmächtigten der Klägerin vom 30.01.2006. Aus letzterem geht hervor, dass im Hinblick auf die Rechtsunsicherheit über den Bestand des Bescheids vom 02.09.2004 und der drohenden Vollstreckung am Tage des Erlasses des Leistungsbescheids vom 30.01.2006 Telefongespräche stattfanden und man dabei „übereinkam“, wie es im Schreiben vom 30.01.2006 heißt, „dass der Bescheid vom 02.09.2004, welcher Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens gegen unsere Mandantin ist, nicht wirksam an unsere Mandantin zugestellt wurde“. Um die Rechtsunsicherheit über die ordnungsgemäße Zustellung des Erstbescheids auszuräumen, erließ die Beklagte einen Leistungsbescheid unter dem Datum vom „30.01.2006“, mit dem inhaltsgleich mit dem Erstbescheid der Klägerin aufgegeben wurde, der Stadt Mannheim die Kosten der Bestattung ihres Vaters in Höhe von 2.110,53 EUR zu erstatten. In Abänderung zum Ausgangsbescheid wurde eine neue Zahlungsfrist festgesetzt, nämlich bis spätestens zum 28.02.2006. Die Begründung ist inhaltlich gleich wie im Erstbescheid. Vor dem Hintergrund der Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit (§ 43 Abs. 1 LVwVfG) des (ersten) Bescheids vom 02.09.2004 und mit Rücksicht auf die aktualisierten Daten des Erlasses und der Zahlungsfrist im Leistungsbescheid vom „30.01.2006“, ist der Leistungsbescheid vom 30.01.2006 von dem für die Auslegung maßgeblichen Empfängerhorizont aus nur dahin zu verstehen, dass damit eine neue Zahlungspflicht begründet und der Erstbescheid (v. 02.09.2004) konkludent aufgehoben wurde. Von der Möglichkeit, den Erstbescheid neu zuzustellen, hat die Beklagte abgesehen.
|
|
|
3. Die im Gebührenbescheid vom 02.09.2004 festgesetzte Kostentragungspflicht der Klägerin für die Bestattungskosten ihres Vaters ist rechtswidrig.
|
|
|
Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 31 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG. Danach haften die Bestattungspflichtigen in der in § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG genannten Reihenfolge ohne Rücksicht auf ihr persönliches Verhältnis zum Verstorbenen und ungeachtet besonderer Umstände des Einzelfalles, die eine Inanspruchnahme des Bestattungspflichtigen als Härte erscheinen lassen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2004 - 1 S 681/04 - m.w.N.). Für die Kostentragungspflicht kommt es nicht auf die Erbenstellung des Bestattungspflichtigen an, da die öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Bestattung eines Verstorbenen zu sorgen, nicht mit der zivilrechtlichen Pflicht identisch ist, die Beerdigungskosten zu tragen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2004, a.a.O., m.w.N.).
|
|
|
Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg verstoßen die Regelungen über die Bestattungspflicht und daraus folgend über die Kostentragungspflicht auch insoweit nicht gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, als die maßgeblichen Bestimmungen auch dann keine Ausnahme vorsehen, wenn die Durchführung der Bestattung bzw. die Kostentragungspflicht für den Bestattungspflichtigen wegen des persönlichen Verhaltens des Verstorbenen als grob unbillig erscheint (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2004, a.a.O.,). Diese Auffassung teilt das erkennende Gericht im Grundsatz.
|
|
|
Ein Leistungsbescheid auf der Grundlage der § 31 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG muss sich aber in jedem Einzelfall wie jeder andere belastende Verwaltungsakt am verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 19, 342ff.) messen lassen. Er kann im Einzelfall trotz gesetzlicher Ausgleichsansprüche, die im Einzelfall die persönlichen Verhältnisse zwischen dem Verstorbenen und dem Pflichtigen berücksichtigen, unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig sein. Demgegenüber kann nicht unter Hinweis auf § 15 BSHG a.F. bzw. § 74 SGB XII i.d.F. v. 27.12.2003, gültig ab 01.01.2005 (BGBl. I. S. 3022), eingewendet werden, ein Anspruch nach diesen Bestimmungen sei hinsichtlich der Kostentragungspflicht für Bestattungskosten eine einfach gesetzliche Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der für die Kostentragungspflicht nach § 31 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG keinen Raum mehr für eine darüber hinausgehende Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulasse. In Fällen, in denen Ausgleichsansprüche nicht gegeben sind, insbesondere wenn der Betroffene völlig mittellos verstirbt, bestand nach § 15 BSHG die Möglichkeit, die erforderlichen Kosten einer Bestattung vom Sozialhilfeträger des Bestattungsortes zu verlangen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Das selbe regelt § 74 SGB XII in der ab 01.01.2005 gültigen Fassung vom 27.12.2003. Bereits nach dem Wortlaut der Bestimmung ist für das Bestehen dieses Anspruchs nicht entscheidend, dass der Bestattungspflichtige die Kosten nicht tragen kann, also selbst bedürftig im Sinne des § 11 BSHG war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich hierbei um einen eigenständigen sozialhilferechtlichen Anspruch, dessen Bedarfsstruktur sich wesentlich von derjenigen sonstiger Leistungen zum Lebensunterhalt unterscheidet. Der Anspruch aus § 15 BSHG sollte eine würdige Bestattung eines Toten gewährleisten. Die Verpflichtung kann auch aus landesrechtlichen Bestattungspflichten herrühren. Wie das Kriterium der „Zumutbarkeit“ zeigt, soll durch die Vorschrift nicht eine aktuelle sozialhilferechtliche Notlage des „Verpflichteten“ behoben werden, vielmehr wird an die „fürsorgerechtliche Verantwortung (der Sozialhilfe) für eine würdige Bestattung Hilfebedürftiger“ angeknüpft, deren Maß von der nach der Besonderheit des Einzelfalles zu beurteilenden Frage abhängt, ob und inwieweit die Kostentragung dem vorrangig hier zu Verpflichteten zuzumuten ist. Der Begriff der „Zumutbarkeit“ im Sinne von § 15 BSHG ist damit nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles auslegungsbedürftig. Das dem Kostentragungspflichtigen aus der Sicht des § 15 BSHG zumutbare Gewicht der Kostenbelastung wird insbesondere von der Nähe und Beziehung zum Verstorbenen abhängen (BVerwG, Urt. v. 29.01.2004 - 5 C 2/03 - ; BVerwGE 116, 287 - 290). Im vorliegenden Fall bestehen unter Umständen Ausgleichsansprüche der Klägerin gegen ihren Bruder, weshalb ein Anspruch der Klägerin aus § 15 BSHG bzw. § 74 SGB XII mittlerweile von der Beklagten abgelehnt wurde. § 74 SGB XII gewährt aber nicht zwingend eine Entlastung des Bedürftigen von den gesamten Bestattungskosten, sondern sieht von vornherein die Möglichkeit eines bloßen Kostenzuschusses vor. Deshalb kann ein etwaiger Anspruchsinhaber nicht auf einen „vermutlich“ bestehenden, aber ungewissen Anspruch aus § 74 SGB XII verwiesen werden (OVG Saarland, Urt. v. 25.08.2003 - 2 R 18/03 - ). Ein auf § 31 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG beruhender Leistungsbescheid kann deshalb im Einzelfall trotz der gesetzlichen Regelung von Ausgleichsansprüchen unverhältnismäßig sein (OVG Saarland, Urt. v. 25.08.2003 - 2 R 18/03 - ; vgl. VG Stade, Urt. v. 27.07.2006 - 1 A 539/05 - ; im Ergebnis ebenso OVG NW, Beschl. v. 02.02.1996 - 19 A 3802/95 -, NVwZ-RR 1997, 99 ff.; a.A. für Bayerisches Landesrecht VG Ansbach, Urt. v. 07.07.2005 - AN 4 K 05.02104 - ).
|
|
|
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss jede Einschränkung des Grundrechts in materieller Hinsicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>; 90, 145 <172>). Voraussetzung hierfür ist, dass sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich sind und eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist (BVerfGE 68, 155 <171>; 71, 183 <196 f.>; 72, 26 <31>; 77, 308 <332>; 81, 156 <189>). Grundrechtseingriffe dürfen nicht weiter gehen als es ihr Grund, der Schutz des Gemeinwohls, erfordert (vgl. BVerfGE 20, 351 <361>; 52, 1 <29 f.>), und sie dürfen insbesondere auch nicht im Blick auf den Regelungszweck zu einer übermäßigen Belastung führen (BVerfGE 110, 1, 33 ff.).
|
|
|
Gründe des Allgemeinwohls rechtfertigen es zwar grundsätzlich, die Bestattungs- und Kostentragungspflicht ohne Rücksicht auf die familiären Verhältnisse zu regeln, solange ein Bestattungspflichtiger für die Kostentragung erreichbar ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2004, a.a.O.,). Die Bestattungspflicht dient in erster Linie der Gefahrenabwehr und lässt damit innerhalb der kurz bemessenen Frist des § 37 Abs. 1 BestattG keine längeren Untersuchungen der zuständigen Behörde über die persönlichen Beziehungen der nächsten Angehörigen mit dem Verstorbenen zu. Vielmehr müssen objektive Maßstäbe eingreifen, um eine zügige Bestattung zu gewährleisten. Die Anordnung der Bestattungspflicht und die Festlegung ihrer Reihenfolge sowie die daran anknüpfende Kostentragungspflicht beruhen auf einem vom Zivilrecht unabhängigen und nur der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers unterliegenden öffentlich-rechtlichen Rechtsgrund (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2004, a.a.O., unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 19.08.1994, NVwZ-RR 1995, 283). Dieser rechtfertigt es grundsätzlich, die Kosten der Bestattung dem nach Landesrecht Pflichtigen aufzuerlegen und nicht andere, insbesondere die öffentliche Hand damit zu belasten. Der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr gebietet aber nicht ausnahmslos, den zur Gefahrenabwehr Verpflichteten auch mit den entstandenen Kosten zu belasten, wenn die Kostentragung für ihn unzumutbar ist.
|
|
|
Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles kann das Interesse des Bestattungspflichtigen, von der Heranziehung zu den Bestattungskosten verschont zu bleiben, so gewichtig sein, dass es das öffentliche Interesse an der ausnahmslosen Bestattungs- und Kostentragungspflicht überwiegt. Dies ist dann der Fall, wenn der Bestattungspflichtige durch die Heranziehung zu den Bestattungskosten unzumutbar belastet wird. Unzumutbar ist eine durch Leistungsbescheid festgesetzte Kostentragungspflicht für das Opfer eines vom Bestatteten begangenen Sexualdelikts dann, wenn das Opfer durch die Kostentragungspflicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG unangemessen belastet wird oder die auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende konkrete Gefahr besteht, dass das Opfer eines Sexualdelikts durch den Erlass eines Leistungsbescheids in einem Fall wie hier in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG) verletzt wird. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles.
|
|
|
Solche besonderen Umstände sind hier gegeben. Der Leistungsbescheid vom 02.09.2004 stellt aufgrund der Besonderheiten des Falles eine unverhältnismäßige Belastung der Klägerin in ihrer Rechtsstellung aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG dar, die durch das mit der gesetzlichen Regelung der Kostentragungspflicht verbundene Ziel der §§ 37 Abs. 1, 31, 21 BestattG nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Klägerin war im Alter von vier Jahren Opfer eines von ihrem verstorbenen Vater begangenen Sexualdelikts. Sie hatte seit der Tat keinerlei Kontakt mehr zu ihrem Vater und es gibt keinerlei Anzeichen für eine Aussöhnung zwischen Opfer und Täter oder eine wie auch immer geartete, gegebenenfalls nur auf Seiten des Opfers feststellbare, Befriedung der Folgen der Straftat und der familiären Verhältnisse. Die Unverhältnismäßigkeit lässt sich nicht deshalb verneinen, weil bereits geraume Zeit seit Begehung der Straftat vergangen ist, wenn - wie hier - keine Anhaltspunkte für eine Aussöhnung oder Befriedung vorliegen und plausible Gründe dafür geltend gemacht werden, dass das Opfer durch den Erlass des Leistungsbescheids unverhältnismäßig schwer belastet wird, weil es zu den Kosten der Bestattung für den Täter herangezogen wird. Die Klägerin war im Alter von vier Jahren nicht nur Opfer eines von ihrem Vater begangenen Sexualdelikts, sie trafen auch die weiteren Folgen daraus, sie verlor hierdurch ihre Familie. Die Ehe ihrer Eltern wurde in der Folgezeit geschieden und sie wurde von ihrer allein erziehungsberechtigten Mutter in ein Kinderheim gegeben, in dem sie bis zu ihrer Volljährigkeit lebte. Mit ihrem Vater hatte sie nach dessen Verurteilung keinerlei Kontakt mehr, mit ihrer Mutter ihrem glaubhaften Vorbringen zufolge „nur sporadisch“. Eine Aussöhnung zwischen Opfer und Täter gab es nicht, auch keine dahingehenden Versuche eines der Beteiligten. Die Klägerin ließ durch ihren Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vortragen, jegliche Berührung mit dem begangenen Sexualdelikt, auch die Klärung ihrer Pflicht zur Kostentragung durch das Gericht, belaste sie schwer; dies ist nachvollziehbar und bedarf keiner weiteren Beweiserhebung. Als nachteilige Folgen des Sexualdelikts betrachtet sie auch ihre unzureichenden Ausbildungschancen und ihre derzeitige Arbeitslosigkeit. Die geltend gemachte Belastung hinderte sie den Angaben ihres Vertreters zufolge auch daran, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Aufgrund dieser Besonderheiten ist der auf die §§ 31, 21 BestattG gestützte Leistungsbescheid vom 02.09.2004 unverhältnismäßig und rechtswidrig. Die daraus abgeleitete Kostentragungspflicht der Klägerin für die Bestattungskosten ihres Vaters ist rechtswidrig. Dem diesbezüglichen Feststellungsantrag war stattzugeben.
|
|
|
Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, ob der Gebührenbescheid gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verstößt oder deshalb unverhältnismäßig ist, weil er wegen der Missachtung des zerrütteten Verhältnisses zwischen dem Bestatteten und dem an sich Kostentragungspflichtigen Ausdruck einer Behandlung ist, die die Subjektqualität des Kostentragungspflichtigen prinzipiell in Frage stellt, oder weil in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der Würde des Menschen liegt (BVerfG, Urt. v. 15.02.2006 - 1 BvR 357/05 -, NJW 2006, 751 ff. m.w.N.; BVerfGE 30, 1 <26>).
|
|
|
|
|
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keiner der Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 i.V.m. § 124a Abs. 1 VwGO gegeben ist.
|
|
|
|
|
|
|
|