Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 16. Nov. 2018 - 7 E 4941/18

bei uns veröffentlicht am16.11.2018

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6.9.2018 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat Erfolg. Das Gericht stellt die aufschiebende Wirkung des erhobenen Widerspruchs gegen die – insoweit den formellen Anforderungen nach § 80 Abs. 3 VwGO genügend begründet – für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin wieder her, da die vorliegend vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung der streitgegenständlichen Verfügung der Antragsgegnerin und dem öffentlichen Interesse an einem Sofortvollzug ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses ergibt. Die Interessenabwägung richtet sich dabei vorrangig nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Erweist sich der zu vollziehende Verwaltungsakt im Rahmen des auf eine summarische Prüfung beschränkten Eilverfahrens als voraussichtlich rechtswidrig, ist regelmäßig von einem überwiegenden Aussetzungsinteresse auszugehen, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. So liegt der Fall im Ergebnis auch hier.

2

Für die streitgegenständliche Verfügung, mit der dem Antragsteller für die dort genannten Zeiträume aufgegeben wird, sich nach Maßgabe näherer Bestimmungen in den ihm zugewiesenen Räumen in der Unterkunft erreichbar zu halten, dürfte es zwar eine Rechtsgrundlage geben, deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind (hierzu unter 1.); bei der Ausgestaltung der Rechtsfolge hat die Antragsgegnerin indes die Grenzen ihres Ermessens nicht hinreichend beachtet (hierzu unter 2.).

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1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der insoweit ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 46 Abs. 1 AufenthG sind erfüllt. Auf § 46 Abs. 1 AufenthG ist abzustellen, da die Verfügung auf die Förderung der Ausreise des Antragstellers zielt.

4

a) Das alleinige tatbestandliche positive Erfordernis nach § 46 Abs. 1 AufenthG ist gewahrt; Ausschlussgründe sind nicht einschlägig.

5

Der Antragsteller ist, wie nach der Vorschrift tatbestandlich allein erforderlich (vgl. Hörich in: Kluth / Heusch, Ausländerrecht - Kommentar, 2016, § 46 AufenthG Rn. 5), vollziehbar ausreisepflichtig. Das ist zwischen den Beteiligten offensichtlich unstreitig und ergibt sich außerdem daraus, dass gegen den Antragsteller mit dem in der vom Gericht beigezogenen Asylakte des Antragstellers enthaltenen (dort Bl. 107 ff.), die Versagung eines Asylverfahrens und eine Abschiebungsanordnung umfassenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.7.2018 eine wirksame, sofort vollziehbare Verfügung zur Überstellung in den nach Art. 3 ff. der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Amtsbl. EU L 180/31; Dublin-III-Verordnung), zuständigen Mitgliedsstaat Belgien besteht. Ein auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen diesen Bescheid gerichtetes gerichtliches Eilverfahren hat der Antragsteller nicht anhängig gemacht. Anhängig ist – auch nach dessen eigenem Vorbringen – lediglich das gerichtliche Hauptsacheverfahren (9 A 3932/18), über welches noch nicht entschieden ist und welches die Vollziehbarkeit des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht suspendiert (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG).

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Im Hinblick auf diese Ausreisepflicht stellt sich vorliegend auch nicht die Frage, ob Rechtspositionen der bzw. des Ausreisepflichtigen aus Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) einer Verpflichtung nach § 46 Abs. 1 AufenthG entgegenstehen können. Denn gegenüber den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie trifft die für den Status des Antragstellers hier maßgebliche Dublin-III-Verordnung die vorrangigen, spezielleren Regelungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.9.2015, 1 C 26/14, vgl. auch EuGH, Große Kammer, Urt. v. 26.7.2017, C-646/16, juris, Rn. 69) – ohnehin umfasst die Begriffsdefinition zur Rückkehr in Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie nicht den Begriff der Überstellung gemäß der Dublin-III-Verordnung. Abgesehen von Vorgaben für eine Inhaftnahme (Art. 28) – mit der die hier fragliche Regelung zur Erreichbarkeit jedenfalls bei näherer Betrachtung ihrer belastenden Wirkung nicht ansatzweise gleichzustellen ist (vgl. u.) – stellt die Dublin-III-Verordnung an die Mitgliedsstaaten keine Anforderungen zu den Aufenthaltsbedingungen während des Überstellungsverfahrens. Die in Bezug auf die Haft in Art. 28 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung in Bezug genommene Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) schließlich trifft ebenfalls keine Bestimmungen für die Phase der Überstellung gemäß der Dublin-III-Verordnung.

7

Der Anwendung von § 46 Abs. 1 AufenthG steht auch der Umstand nicht entgegen, dass für den Antragsteller ausweislich der Abschiebungsanordnung eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht vorgesehen ist. Zwar wird für diese Personengruppe vertreten, dass insoweit § 61 AufenthG allein maßgeblich sei (vgl. Winkelmann, in: Bergmann / Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 46 AufenthG Rn. 8); für die Annahme eines Ausschließlichkeitsverhältnisses besteht jedoch mangels hinreichenden Anhalts im Gesetz wie auch im Gesetzgebungsverfahren weder Anlass noch Bedürfnis (vgl. Hörich, aaO., Rn. 2.1).

8

b) § 46 Abs. 1 AufenthG ist vorliegend auch nicht etwa deshalb als Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Verfügung auszuschließen, weil die Norm weder auf der Tatbestandsseite noch auf der Rechtsfolgenseite – mit Ausnahme der Zweckbindung, die Ausreise zu fördern, sowie des mit „insbesondere“ eingeführten Beispiels (vgl. insoweit OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.1.2018, 13 ME 442/17, juris, Rn. 5) der Wohnsitzbestimmung – zu einem bestimmten Katalog von Maßnahmen ausdrücklich ermächtigt oder sonst näher eingrenzt, welche Maßnahmen getroffen werden dürfen. Eine grundsätzliche Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Regelung auf eine Verpflichtung wie die vorliegende dazu, die persönliche Erreichbarkeit für die beabsichtigte Überstellung in den zuständigen Dublinstaat in bestimmter Form zu gewährleisten, ist vielmehr nach Sinn und Zweck im Lichte der Gesetzgebungsgeschichte anzunehmen (aa)) und weder nach der Normsystematik (bb)) noch durch höherrangiges Recht (cc)) ausgeschlossen.

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aa) Nach dem Willen des Gesetzgebers – hier (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 11.3.2013, 2 M 168/12, juris, Rn 6) der Begründung zu dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu entnehmen (BT-Drs. 15/420, S. 88) – sollte der Ausländerbehörde ein weites, unterschiedliche Belange der Betroffenen berührendes, nach den jeweiligen Umständen zu konkretisierendes Spektrum von Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, um sie in die Lage zu versetzen, die Erfüllung der Ausreisepflicht zu begünstigen:

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„Dabei kommen alle Maßnahmen in Betracht, die geeignet sind, die Voraussetzungen für die tatsächliche Ausreise des Ausländers zu fördern. Hierzu zählt die Auferlegung von Handlungspflichten, z. B. die regelmäßige Vorsprache bei den zuständigen Behörden oder das Gebot zum Ansparen von finanziellen Mitteln für die Heimreise. Über die Verfügung zur Wohnsitznahme wird die Erreichbarkeit des Ausländers und die Einwirkungsmöglichkeit der Ausländerbehörde erreicht. Hierzu zählt auch die Verpflichtung, in einer Ausreiseeinrichtung zu wohnen (§ 61 AufenthG).“

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Maßgeblich ist zunächst allein, ob die Maßnahme geeignet erscheint, die freiwillige oder erzwungene Ausreise des Ausländers zu fördern; eine Beschränkung auf einen bestimmten Maßnahmenkatalog ist damit nicht verbunden (vgl. insoweit auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.1.2018, aaO., Rn. 5 mwN.). Insbesondere können Maßnahmen ergriffen werden, um den Betroffenen im Falle einer Abschiebung besser erreichen zu können (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 22.11.2017, 6 B 128/17, juris, Rn. 18 mwN.); dazu soll auch das Auferlegen einer werktäglichen Meldepflicht bei der Ausländerbehörde gehören (so OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.1.2018, aaO., Rn. 6).

12

bb) Die Systematik des § 46 Abs. 1 AufenthG selbst wie auch der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes insgesamt steht einer Auslegung nicht entgegen, nach der zu den möglichen Maßnahmen auch eine solche gehört, die darauf zielt, die Erreichbarkeit für eine Überstellung zu gewährleisten. Insbesondere gibt es keinen näheren Anhalt dafür, dass das in der Norm genannte Beispiel einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort dahin zu verstehen sein müsste, dass es sich für die Sicherung der Erreichbarkeit um die einzig zulässige Maßnahme handeln sollte. So wären Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung zur Durchsetzung der Wohnsitzregelung bereits von dem Beispiel selbst umfasst. Nichts anderes kann aber auch für andere ergänzende, die Wirksamkeit stärkende Verfügungen gelten.

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cc) Bei der streitgegenständlichen Verfügung handelt es sich um eine Regelung, die einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme oder auch einer nach allgemeiner Ansicht durch die Vorschrift ermöglichten Verpflichtung, die Reisekosten auf einem Sperrkonto der Ausländerbehörde anzusparen (vgl. o. sowie Winkelmann, aaO., Rn 8), hinsichtlich der Eingriffsintensität hinlänglich gleicht (aaa)) und der insbesondere nicht die Qualität einer von § 46 Abs. 1 AufenthG mangels Verfahrensgarantien nicht gedeckten Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG zukommt, so dass insoweit auch dem Gebot Rechnung getragen ist, dass es Sache des Gesetzgebers ist, die wesentlichen Entscheidungen zu treffen (bbb)).

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aaa) Die fragliche Verfügung verlangt dem Antragsteller in der Sache ab, zur Nachtzeit entweder sicherzustellen, dass er innerhalb von 15 Minuten wieder in seinem Zimmer ist, oder aber die Antragsgegnerin vorab per E-Mail davon informiert zu haben, dass er in der Nacht dort nicht erreichbar sein würde: Seinem Text nach gibt der Bescheid vom 6.9.2018 dem Antragsteller für die Zeit bis zum 6.12.2018 unter Bezugnahme auf die Abschiebungsanordnung und mit der Zweckangabe, sicherzustellen, dass der Antragsteller für eine Abschiebung zur Verfügung stehe, auf, sich nachts zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr in dem ihm zugewiesenen Zimmer in der Wohnunterkunft aufzuhalten. Dabei sei ein kurzfristiges Verlassen des Zimmers für jeweils 15 Minuten, um andere Räume der Einrichtung (z.B. Sanitärräume) aufzusuchen oder sich im Freien aufzuhalten, zulässig. Für den Fall, dass der Antragsteller dieser Aufforderung an einem bestimmten Tag einmal nicht nachkommen könnte, sei er aufgefordert, die Antragsgegnerin mindestens 12 Stunden vorher per E-Mail darüber zu informieren. Geschehe dies nicht, gehe man davon aus, dass sich der Antragsteller einer Abschiebung entziehen wolle, und werde unverzüglich Abschiebehaft beantragen. Eine Androhung oder gar bedingte Festsetzung von Zwangsmitteln zur Durchsetzung der Verfügung selbst enthält der Bescheid nicht. Voraussetzungen für die Abmeldung für ganze Nächte sind ebenfalls nicht ersichtlich; für die Beachtlichkeit der Abmeldung reicht – wie die Antragsgegnerin in einem Parallelverfahren auch bestätigt hat – anstelle einer Gestattung durch die Behörde die bloße Information von Seiten des Antragstellers aus. Der Verwendung des Wortes „einmal“ kommt hier nicht die Bedeutung zu, dass in dem Geltungszeitraum der Verfügung nur eine Abmeldung akzeptiert werde, denn dafür wäre es dem Satzteil „an einem bestimmten Tag“ voranzustellen gewesen. Dementsprechend trifft die Verfügung keinen wirksamen Ausschluss gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Abmeldungen, sondern lediglich gegenüber einer generellen Abmeldung.

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bbb) § 46 Abs. 1 AufenthG, auf den nach dem Willen des Gesetzgebers alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Voraussetzungen für die tatsächliche Ausreise des Ausländers zu fördern, gestützt werden können (vgl. o.), dürfte angesichts der betroffenen Grundrechte und der diesbezüglichen Eingriffsintensität auch als Grundlage für eine Verfügung wie die hier streitgegenständliche den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie genügen.

16

Hiernach hat der demokratisch legitimierte Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen“ alle wesentlichen Entscheidungen durch parlamentarisches Gesetz zu treffen. Was jeweils als wesentlich zu werten ist, ist im Hinblick auf den jeweiligen Sachbereich und die Intensität der Regelung zu ermitteln, wobei verfassungsrechtliche Wertkriterien hierfür in erster Linie die durch die Regelung betroffenen Grundrechte sind. Nach den gleichen Maßstäben beurteilt sich, ob der Gesetzgeber, wie der verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt weiter fordert, mit der jeweiligen Norm die wesentlichen normativen Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs selbst festgelegt und dies nicht dem Handeln etwa der Verwaltung überlassen hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77, juris, Rn. 77 ff.; Beschl. v. 21.9.2016, 2 BvL 1/15, juris, Rn. 38). Die streitgegenständliche Verfügung dürfte sich dabei voraussichtlich nicht als Freiheitsentziehung des Antragstellers (hierzu unter (1)), sondern allenfalls als Freiheitsbeschränkung oder lediglich als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG mit leichter bis mittlerer Intensität darstellen (hierzu unter (2)).

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(1) Die streitgegenständliche Verfügung wird sich voraussichtlich nicht als Freiheitsentziehung des Antragstellers darstellen. In den Schutzbereich der nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 GG geschützten Fortbewegungsfreiheit kann sowohl durch freiheitsbeschränkende (Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG) als auch durch freiheitsentziehende (Art. 104 Abs. 2 GG) Maßnahmen eingegriffen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt eine Abgrenzung hierzwischen nicht qualitativ, sondern allein graduell nach der Intensität des Eingriffs (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 52 BvR 502/16, juris, Rn. 67). Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 52 BvR 502/16, juris, Rn. 67). Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung (i.w.S.) liegt demgegenüber dann vor, wenn eine tatsächlich und rechtlich an sich gegebene Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung aufgehoben wird; sie setzt eine besondere Eingriffsintensität in räumlicher Hinsicht und eine nicht nur kurzfristige Dauer der Maßnahme voraus (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 52 BvR 502/16, juris, Rn. 67). In beiden Fällen muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein staatlicher Eingriff durch unmittelbaren Zwang, z.B. Verhaftung, Festnahme und ähnliche Eingriffe (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.1967, 2 BvR 534/62, juris, Rn. 14; sich auf diese Definition beziehend Beschl. v. 15.5.2002, 2 BvR 2292/00, juris, Rn. 22 und Urt. v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 52 BvR 502/16, juris, Rn. 65; sich anschließend Degenhart, in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 104, Rn. 4) vorliegen. Soweit das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus die (strafrechtliche) Verurteilung zu einer Haftstrafe als Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit einordnet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.1967, 2 BvR 534/62, juris, Rn. 14), begründet sich dies darin, dass in einem solchen Fall die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Vollstreckung des Strafurteils unmittelbar bevorsteht (vgl. auch Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 104, Rn. 11, der bereits die unmittelbare Androhung unmittelbaren Zwangs genügen lassen will).

18

Hiernach dürfte die Annahme einer Freiheitsentziehung vorliegend bereits deswegen ausscheiden, weil es an einem staatlichen Eingriff durch unmittelbaren Zwang gegenüber dem Antragsteller durch die streitgegenständliche Verfügung der Antragsgegnerin fehlt. Auch eine Parallelwertung zu einer unmittelbar bevorstehenden Strafvollstreckung wäre hier nicht tragfähig: Der Antragsteller ist am Verlassen des ihm zugewiesenen Zimmers in seiner Wohnunterkunft auch zur Nachtzeit nicht durch physische Hindernisse gehindert. Wie seitens der Antragsgegnerin in einem vergleichbaren Verfahren gegenüber dem Gericht bestätigt worden ist, findet eine Kontrolle der Einhaltung der Aufenthaltsanordnung vor Beginn des Vollzugs der Abschiebemaßnahme nicht statt. Die Antragsgegnerin hat auch eine Vollstreckung ihrer Verfügung nicht angedroht; eine solche käme ohnehin nicht ernstlich in Betracht, da wirksame Zwangsmittel offensichtlich nicht zur Verfügung stehen. Zwangsgeld wäre in aller Regel uneinbringlich; unmittelbarer Zwang wäre angesichts der weitreichenden Abmeldemöglichkeiten der Betroffenen sowie im Hinblick auf den unverhältnismäßigen Aufwand ebenfalls nicht darstellbar. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin gegenüber dem Gericht in einem vergleichbaren Verfahren ausdrücklich bestätigt, eine Durchsetzung der Anordnung mittels unmittelbaren Zwangs nicht zu beabsichtigen.

19

Der streitgegenständlichen Verfügung der Antragsgegnerin fehlt es auch im Übrigen nach der Gesamtheit ihrer Bestimmungen an der erforderlichen Eingriffsintensität, um sie einer Freiheitsentziehung gleichsetzen zu können. Insbesondere kann der Bewertung nicht gefolgt werden, dass die in der Verfügung getroffene Regelung im Ergebnis auf die Eingriffsintensität einer temporären Abschiebungshaft hinauslaufe (so VG Hamburg, Beschl. v. 29.5.2017, 19 E 5351/17, n.v. BA S. 4). Zwar ergeben sich aus der zunächst grundsätzlichen Bindung an das zugewiesene Zimmer in zeitlicher und räumlicher Hinsicht Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Diese Einschränkungen gelten aber nur in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr. Außerhalb dieses Zeitraums, also für die übrigen 16 Stunden eines Tages bleibt der Antragsteller in seinen Dispositionen frei. Die grundsätzliche Beschränkung auf das dem Antragsteller zugewiesene Zimmer ist ebenfalls deutlich abzugrenzen gegenüber einer Hafteinrichtung, denn es handelt sich um die Umgebung, in der er sich zur Nachtruhe ohnehin auch ohne die Anordnung regelmäßig aufhalten dürfte. Die Zwangswirkung der Verfügung wird schließlich und vor allem dadurch wesentlich abgemildert, dass dem Antragsteller Abweichungen zur nahezu freien, für die vollständige Abmeldung lediglich hinsichtlich der Spontaneität eingeschränkten Verfügung (vgl.o.) stehen. Selbst im Fall mangelnder Sprachkenntnisse ist nicht ersichtlich, dass es dem Antragsteller nicht möglich wäre – wie z.B. auch bei der Stellung des vorliegenden Eilantrags –, sich entsprechender Hilfe durch hinreichend sprachkundige Personen zu bedienen. Schließlich werden die beschriebenen Einschränkungen auch dadurch relativiert, dass es dem Antragsteller möglich wäre, etwaigen Einschränkungen durch eine Bereitschaft zur eigeninitiierten Ausreise (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.9.2015, 1 C 26/14, BVerwGE 153, 24) zuvorzukommen bzw. diese kurzfristig aufzuheben.

20

(2) Die insoweit allenfalls vorliegende Freiheitsbeschränkung – soweit entgegen den obigen Ausführungen hierfür bereits ein durch die Anordnung bzw. durch eine im Einzelfall bei Nichtbefolgung ggf. drohende Anordnung von Abschiebungshaft vermittelter psychischer Zwang ausreichen sollte – bzw. der ansonsten vorliegende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG dürften entsprechend den obigen Ausführungen nur in leichter bis mittlerer Intensität bestehen, so dass die Anwendung der Rechtsgrundlage des § 46 Abs. 1 AufenthG auf den vorliegenden Sachverhalt, der mit den einschränkenden Vorgaben der „vollziehbaren Ausreisepflicht“ und der „Förderung der Ausreise“ bereits entsprechende Entscheidungen bzw. Eingrenzungen auf den betreffenden Sachverhalt des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zugrunde liegen, den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie genügt.

21

2. Die Verfügung der Antragsgegnerin kann allerdings deshalb in der gerichtlichen Prüfung keinen Bestand haben, weil die getroffene Ermessensentscheidung im Sinne von § 114 VwGO wegen Überschreitung der Ermessensgrenzen fehlerhaft sein dürfte.

22

Zwar ist auch in diesem Zusammenhang nicht zu verkennen, dass die getroffene Regelung als solche, bei punktueller Betrachtung, den Antragsteller nicht übermäßig beeinträchtigen dürfte. Sein Aufenthalt ist nach der Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig im Rahmen der Dublin-III-Verordnung bereits von Gesetzes wegen insgesamt auf die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung hin ausgerichtet. So betont auch das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 17.9.2015, aaO., Rn. 20), dass die Gewährleistung der Überstellung an den zuständigen Dublin-Mitgliedsstaat dem Funktionieren des einheitlichen europäischen Asylsystems und damit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10) einem Gemeinwohlziel im Sinne von Art. 78 Abs. 2 AEUV dient. Zudem wird der Antragsteller lediglich auf die Räumlichkeiten beschränkt, die ihm ohnehin als Unterkunft dienen, sowie, ähnlich den Restriktionen einer Hausordnung, auf die Nachtzeiten, d.h. die Stunden, für die gemeinhin auch Obdach benötigt wird. Vor allem unterwirft ihn die streitgegenständliche Verfügung der Antragsgegnerin selbst für die Nachtzeit keiner dauernden Anwesenheitsverpflichtung, sondern belässt gewichtige Möglichkeiten selbstbestimmter Gestaltung (vgl.o.). Zu berücksichtigen ist schließlich auch, dass die Verfügung wegen des Zusammenwirkens des Erreichbarkeitsgebotes mit den Abmeldemöglichkeiten dem Antragsteller im Hinblick auf seine – für die etwaige Verlängerung der Überstellungsfrist, nach deren Ablauf er die Übernahme in das hiesige materielle Asylverfahren verlangen kann, um ein Jahr – gewichtige Obliegenheit, sich einer Abschiebung nicht zu entziehen, wesentlich mehr Sicherheit bietet. Während ihm nach der Praxis der Antragsgegnerin bzw. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ansonsten bereits dann der Vorwurf der Flüchtigkeit gemacht wird, wenn er einer Aufforderung zum Bereithalten vor der Unterkunft nicht hinreichend pünktlich nachgekommen ist bzw. wenn er schlicht in der Unterkunft nicht angetroffen worden ist, so kann er sich im vorliegenden Regelungszusammenhang durch die vorherige Abmeldung sanktionslos Bewegungsfreiheit verschaffen.

23

Es erscheint jedoch unverhältnismäßig, dass die verbleibende belastende Wirkung der Verfügung innerhalb ihres auf drei Monate angelegten Geltungszeitraums nicht weiter beschränkt wird (hierzu unter a)). Eine nur teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers ist dem Gericht nicht eröffnet (hierzu unter b)).

24

a) Nach dem Verständnis der Antragsgegnerin soll die streitgegenständliche Verfügung sicherstellen, dass der Antragsteller für eine Abschiebung zur Verfügung steht und dass die zuständige Behörde zu den in der Verfügung genannten Zeiten über den Aufenthaltsort des Antragstellers ständig informiert ist, um die gesetzlich vorgesehene unangekündigte Abholung zur Durchführung der Abschiebung durchführen zu können. Zur Erreichung dieses – für sich betrachtet legitimen (vgl.o.) – Zwecks ist es indes nicht erforderlich, dass der Antragsteller sich in Zeiträumen in der Unterkunft aufhält, in welchen der Vollzug einer Abschiebung bzw. Rückführungsmaßnahmen ohnehin nicht stattfindet bzw. nicht stattfinden könnte. Dies betrifft nach dem Ergebnis der im gerichtlichen Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung zunächst den Zeitraum des Wochenendes (Sonnabend und Sonntag) sowie Freitage. So erscheint es der mit einer Vielzahl von Rückführungsfällen, insbesondere sog. „Dublin-Fällen“, befassten Kammer praktisch ausgeschlossen, dass an Wochenenden Rückführungen bzw. Abschiebungen in andere Staaten erfolgen bzw. auf Seiten der jeweiligen Zielstaaten an diesen Tagen überhaupt entsprechende Aufnahmebereitschaft besteht, was Voraussetzung für die Möglichkeit des Vollzugs von Abschiebungen wäre. Speziell für den vorliegenden Fall gilt dabei, dass die belgischen Behörden ausweislich ihrer in der vom Gericht beigezogenen Asylakte des Antragstellers (dort Bl. 105) enthaltenen Mitteilung vom 12.7.2018 eine Überstellung des Antragstellers nur an den Wochentagen Montag bis Donnerstag akzeptieren würden. Eine dementsprechend – jedenfalls nach summarischer gerichtlicher Prüfung – gebotene Beschränkung der Anwesenheitszeiten des Antragstellers in dem ihm zugewiesenen Zimmer in seiner Unterkunft auf diese Wochentage (Montag bis Donnerstag) enthält die streitgegenständliche Verfügung – auch entgegen der in anderen Bundesländern geübten Praxis (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 22.11.2017, 6 B 128/17, juris, Rn. 4) – indes nicht.

25

Nicht erforderlich zur Erreichung des von der Antragsgegnerin mit der streitgegenständlichen Verfügung verfolgten Zwecks dürfte ferner die von der Antragsgegnerin vorgenommene Bestimmung des Zeitraums sein, in welchem sich der Antragsteller nach dem Inhalt der streitgegenständlichen Verfügung täglich in dem ihm zugewiesenen Zimmer in seiner Wohnunterkunft aufzuhalten hat (22:00 bis 6:00 Uhr). Dieser dürfte nach dem Ergebnis der summarischen gerichtlichen Prüfung zu lang bemessen sein, um in einem noch erforderlichen Maße sicherzustellen, dass der Antragsteller für eine Abschiebung zur Verfügung steht. Auch insofern ist der erkennenden Kammer aus langjähriger Praxis bekannt, dass Abschiebungen im Regelfall nicht in den frühen Nachtstunden durchgeführt werden, sondern meist in den frühen Morgenstunden mit der Abholung des bzw. der Betroffenen an seiner bzw. ihrer Wohnunterkunft beginnen. Auch die Antragsgegnerin selbst hat in einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Verfahren ausgeführt, in der Regel erfolge die Abholung zur Durchführung einer Abschiebung erst nach 0:00 Uhr. Ihr weiteres Vorbringen, im Zusammenhang mit Chartermaßnahmen komme es auch zu Abholungen im Zeitraum von 22:00 bis 0:00 Uhr, hat die Antragsgegnerin hingegen nicht weiter substantiiert. Entscheidend für den Erfolg eines Abschiebungsversuchs ist nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens daher, dass der Betroffene zum Zeitpunkt seiner geplanten Abholung in seiner Wohnunterkunft angetroffen werden kann, nicht aber, dass er sich auch in den vorangehenden Nachtstunden dort aufgehalten hat. Auch bei Anerkennung einer der Antragsgegnerin zuzubilligenden Notwendigkeit einer gewissen zeitlichen und planerischen Flexibilität bei der konkreten Durchführung von Abschiebungen – insbesondere wenn es sich um Sammelabschiebungen handelt –, dürfte es jedenfalls nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens hingegen regelmäßig nicht erforderlich sein, dass sich der von einer anstehenden Abschiebung Betroffene – hier der Antragsteller – auch bereits ab 22:00 Uhr des vorangehenden Tages in seiner Unterkunft aufhält. Dass aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls vorliegend anderes gelten könnte, ist nicht ersichtlich. So ist insbesondere nicht erkennbar, dass speziell im vorliegenden Fall der Antragsteller von einer solchen Chartermaßnahme oder einer ähnlichen Maßnahme betroffen sein könnte, die eine Abholung schon ab 22:00 Uhr notwendig machte.

26

b) Schließlich ist auch nicht geboten, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vorliegend (nur) auf die Teile der streitgegenständlichen Verfügung zu beschränken, die sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werden. Zwar ist im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO dem Gericht bei seiner Entscheidung ein Gestaltungsspielraum insoweit eingeräumt, als es dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nur teilweise stattgeben kann. Die nur teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung setzt jedoch die Teilbarkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dessen Vollzugsfähigkeit muss in der Weise teilbar sein, dass der von der Herstellung der aufschiebenden Wirkung erfasste Teil als „abspaltbares Minus“ gegenüber der gesamten Regelung qualifiziert werden kann (VGH München, Beschl. v. 6.6.2015, 10 CS 15.1210, juris, Rn. 36; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 34. EL., Stand: 5/2018, § 80, Rn. 426). Hiervon ist vorliegend nach dem Erkenntnisstand des gerichtlichen Eilverfahrens nicht auszugehen. So bestehen schon generell gegen die rechtliche Teilbarkeit eines – wie hier – Ermessensverwaltungsakts mit Blick auf die funktionellen Grenzen der Rechtsprechung im Verhältnis zur Verwaltung Bedenken, da solche Verwaltungsakte von der Behörde auch unter Berücksichtigung außerrechtlicher Maßstäbe wie Wirtschaftlichkeit, Effizienz etc. erlassen werden, welche einer gerichtlichen Kontrolle nicht vollumfänglich zugänglich sind (Emmenegger, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 113 VwGO, Rn. 64). Von solchen hat sich die Antragsgegnerin offensichtlich auch im vorliegenden Verfahren leiten lassen. Insbesondere dem Inhalt der streitgegenständlichen Verfügung ist zu entnehmen, dass der von der Antragsgegnerin mit dem Erlass der Verfügung verfolgte Zweck in der Sicherstellung einer möglichst effizient plan- und durchführbaren Abschiebung des Antragstellers besteht. Es soll insbesondere sichergestellt werden, dass die planungs- und kostenintensive Abschiebung des Antragstellers auch tatsächlich durchgeführt werden kann und hierzu notwendige personelle, finanzielle und sonstige Ressourcen nicht umsonst aufgewandt werden. Die mit der streitgegenständlichen Verfügung dem Antragsteller auferlegten Belastungen (Aufenthalt in dem ihm in seiner Wohnunterkunft zugewiesenen Zimmer über einen täglichen Zeitraum von 22:00 bis 6:00 Uhr und über einen Gesamtzeitraum von drei Monaten) scheint die Antragsgegnerin dabei im Sinne einer Regelungsgesamtheit als notwendig zu erachten, um diesen von ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Hierfür spricht insbesondere die von ihr in der streitgegenständlichen Verfügung hervorgehobene Notwendigkeit, dass die zuständige Behörde über den Aufenthaltsort des Antragstellers zu den in der Verfügung genannten Zeiten ständig informiert sein müsse, um die Abschiebung durchführen zu können. Eine für das gerichtliche Eilverfahren hinreichend klar erkennbare Teilbarkeit des Regelungsgehalts der streitgegenständlichen Verfügung, etwa im Sinne einer nur auf bestimmte Wochentage oder bestimmte Tageszeiten erfolgenden Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, ist dementsprechend nicht erkennbar gegeben. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich eines vergleichbaren Falles gegenüber dem Gericht erklärt hat, eine Teilbarkeit des Regelungsgehalts einer solchen Verfügung sei „grundsätzlich möglich“. Über diese grundsätzliche Äußerung hinaus begründet oder präzisiert die Antragsgegnerin diese Aussage nicht und führt auch nicht aus, in welcher Weise eine konkrete Beschränkung des Regelungsgehalts im Sinne einer rechtlichen Teilbarkeit der streitgegenständlichen oder einer ähnlichen Verfügung auch nach ihrem Dafürhalten möglich wäre. Dies könnte allenfalls im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens weiter aufgeklärt werden, was vorliegend im Ergebnis die ungeteilte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers rechtfertigt.

II.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 52 Abs. 1 GKG.

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 75 Aufschiebende Wirkung der Klage


(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 104


(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. (2) Über die Zuläss

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 61 Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinrichtungen


(1) Der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ist räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Von der räumlichen Beschränkung nach Satz 1 kann abgewichen werden, wenn der Ausländer zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Prüfun

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 46 Ordnungsverfügungen


(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen. (2) Ei

Referenzen - Urteile

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Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 16. Nov. 2018 - 7 E 4941/18 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 16. Nov. 2018 - 7 E 4941/18 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 06. Juni 2015 - 10 CS 15.1210

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Tenor I. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen. II. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird in Abänderung von Nr. I des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2015 der Antrag

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 21. Sept. 2016 - 2 BvL 1/15

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Tenor § 10 Absatz 1 und 3 des Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen und über die Verkeh

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 17. Sept. 2015 - 1 C 26/14

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 11. März 2013 - 2 M 168/12

bei uns veröffentlicht am 11.03.2013

Gründe I. 1 Mit Bescheiden vom 07.08.2012 änderte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bereits bestehende wohnsitzbeschränkende Auflagen und gab den Antragstellern auf, ab dem 01.09.2012 ihren Wohnsitz in der Gemeinsch

Referenzen

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Die Klage gegen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen oder zurückgenommen worden ist, hat in folgenden Fällen keine aufschiebende Wirkung:

1.
bei Widerruf oder Rücknahme wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2,
2.
bei Widerruf oder Rücknahme, weil das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.
Dies gilt entsprechend bei Klagen gegen den Widerruf oder die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Absatz 2. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

2

Der 1992 geborene Kläger reiste eigenen Angaben zufolge im Oktober 2013 nach Deutschland ein und stellte hier einen Asylantrag. Er gab gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - an, im Monat zuvor mit dem Schiff kommend in Italien eingereist zu sein, wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden sei.

3

Das Bundesamt hielt in seiner "Checkliste Aktenabgabe im Dublin-II-Verfahren" (ohne Datum) fest, dass kein Eurodac-Treffer der "Cat 1" (Asylbewerber) vorliege, wohl aber ein solcher der "Cat 2" (illegal Eingereiste). Am 30. Dezember 2013 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien und stützte dies auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung. Da die zuständigen italienischen Stellen hierauf nicht reagierten, wies das Bundesamt das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 3. März 2014 darauf hin, dass das Übernahmeersuchen als angenommen gelte.

4

Mit Bescheid vom 12. März 2014 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag unzulässig ist (Ziffer 1 des Bescheids), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG an (Ziffer 2 des Bescheids). Ein beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde durch Beschluss vom 7. April 2014 abgelehnt. Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung gegen das Urteil hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des Bundesamtsbescheids) zugelassen, hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bundesamtsbescheids) jedoch abgelehnt. Durch Urteil vom 27. August 2014 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat er im Wesentlichen wie folgt begründet: Die auf § 34a AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung der Beklagten sei mit Unionsrecht vereinbar, insbesondere mit den Dublin-Verordnungen zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats von 2003 und 2013. Es könne offenbleiben, welche dieser Verordnungen in einer Situation wie der vorliegenden anwendbar sei, in der das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen während der Geltung der Dublin II-Verordnung gestellt, das hier streitige Überstellungsverfahren aber erst nach Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung eingeleitet worden sei. Es widerspreche nicht dem Unionsrecht, wenn nach § 34a AsylVfG zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen sei. Denn der Wortlaut der Vorschrift sei in einer Weise offen, dass eine Abschiebung nicht ausnahmslos stattfinden müsse, etwa dann nicht, wenn Unionsrecht dem entgegenstehe. Zwar gewährten die Dublin-Regelungen den Mitgliedstaaten insoweit einen gewissen Spielraum, dieser werde aber durch den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Daher sei es unionsrechtlich nicht zulässig, die Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Dies sei bei der Entscheidung über den Vollzug der Überstellungsentscheidung von den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder zu beachten. Insoweit bedürfe es keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts. Die Verlagerung der Entscheidung über die Modalitäten der Überstellung auf die Ausländerbehörden entspreche der föderalen Struktur Deutschlands. Gegen die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung könne nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass eine Überstellung nach Italien nicht mehr möglich sei. Zum einen sei dies nach wie vor der Fall. Im Übrigen könne sich der Kläger auf einen Rückfall der Zuständigkeit auf Deutschland auch nicht berufen, weil Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids in Bestandskraft erwachsen und damit die Zuständigkeitsfrage rechtskräftig geklärt sei.

6

Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts und sieht darin einen Verstoß gegen das im Grundgesetz und im Unionsrecht verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Überstellung eines Asylbewerbers diene nur der Durchsetzung einer Zuständigkeitsregelung. Es sei unverhältnismäßig, hierfür allein das Zwangsmittel einer Abschiebungsanordnung vorzusehen. Eine Abschiebung werde typischerweise mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt. Die Anordnung der Abschiebung schließe bei realistischer Betrachtung das abgestufte Regelungswerk unterschiedlicher Modalitäten der Überstellung aus, wie es das Unionsrecht vorgebe. Es sei auch keine unionsrechtskonforme Auslegung oder Handhabung möglich, da der Inhalt des Begriffs der Abschiebungsanordnung einen zwingenden Imperativ enthalte, von dem nicht abgerückt werden könne. Der Verweis des angefochtenen Urteils auf den Handlungsspielraum der Ausländerbehörden beim Vollzug der Überstellung könne eine unionsrechtskonforme Anwendung nicht gewährleisten. Wenn das Bundesamt eine Überstellung durch Erlass einer Abschiebungsanordnung regele, seien die Ausländerbehörden hieran gebunden. Auch spreche viel dafür, dass das Unionsrecht eine einzige Grundentscheidung über die Unzuständigkeit und die Modalitäten der Überstellung fordere und dabei generell die Möglichkeit einer "freiwilligen Selbstüberstellung" einzuräumen sei.

7

Die Beklagte hält die verfügte Abschiebungsanordnung für rechtmäßig. Die unionsrechtlichen Regelungen machten dem nationalen Gesetzgeber keine Vorgaben, welche der unionsrechtlich zulässigen Überstellungsvarianten er vorzusehen habe. Seit April 2015 werde in den Bescheiden des Bundesamts die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise angeboten, wenn diese mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Hierauf bestehe jedoch kein Rechtsanspruch.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG. Die Rechtsgrundlage ist mit Unionsrecht vereinbar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Entscheidung der Ausländerbehörden über den Vollzug der angeordneten Abschiebung zu beachten. Die Anordnung ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil die Überstellung nach Italien nicht mehr vollzogen werden könnte.

10

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das Asylverfahrensgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), das Aufenthaltsgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

11

Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebung des Klägers nach Italien die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG erfüllt. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung eines Ausländers in den nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Dublin-Verordnungen der Europäischen Union über die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

12

1. Aufgrund der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids steht fest, dass der Asylantrag des Klägers nach § 27a AsylVfG unzulässig ist. Dabei handelt es sich - ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Der Asylantrag ist unzulässig") - nicht um eine Feststellung, sondern um eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylVfG verlangt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - DVBl 2015, 118, 123).

13

2. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, und zwar sowohl mit der hier anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO - und der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin II-VO (ABl. L 222 S. 3) - Dublin-DVO - als auch mit der hier nicht anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -.

14

a) Im vorliegenden Fall ist weiterhin die Dublin II-VO anwendbar. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 der Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift ist die Dublin III-VO erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden, also ab dem 1. Januar 2014. Hier war der Antrag im Oktober 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Darüber hinaus gilt die Dublin III-VO zwar ab dem 1. Januar 2014 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung -, dies aber nur dann, wenn sie nicht bereits vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - BVerwGE 150, 29 Rn. 27). Hier war der Aufnahmeantrag am 30. Dezember 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Eine Anwendbarkeit der Dublin III-VO lässt sich auch nicht aus der Überlegung ableiten, dass mit der hier zu beurteilenden Abschiebungsanordnung das Überstellungsverfahren im Sinne von Art. 29 ff. Dublin III-VO und damit ein eigenständiger Verfahrensabschnitt eingeleitet wurde. Denn die Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO gilt grundsätzlich für alle Anträge auf internationalen Schutz und enthält nur für nach dem Stichtag gestellte Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme eine Rückausnahme. Da der Aufnahmeantrag hier am 30. Dezember 2013 gestellt worden ist, findet folglich auch auf die das Überstellungsverfahren einleitende Abschiebungsanordnung die Dublin II-VO Anwendung.

15

b) Die Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor. Möglich ist danach eine Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist (Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO, Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1e Dublin II-VO, Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO), eine bis zum Besteigen des Beförderungsmittels im Inland von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitete Überstellung (Art. 7 Abs. 1b Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO) und eine bis zur Übergabe an die Behörden des zuständigen Staates eskortierte Überstellung (Art. 7 Abs. 1c Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO -; eine Abgrenzung dieser drei Varianten unternimmt das Urteil des französische Conseil d'Etat vom 11. Oktober 2011 - No. 353002). In welcher dieser Varianten die Überstellung erfolgt, obliegt der Regelungskompetenz des ersuchenden Mitgliedstaats ("gemäß den nationalen Rechtsvorschriften" - so Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, entsprechend Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO).

16

Ein genereller Vorrang der Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers ergibt sich auch nicht daraus, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO (entsprechend Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO) Mitteilungspflichten für den Fall der Überstellung auf eigene Initiative regelt. Denn diese werden ausdrücklich nur für den Fall normiert, dass dem Asylbewerber diese Möglichkeit eingeräumt wird ("gegebenenfalls"). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der hier nicht anwendbaren Dublin III-VO. Nach deren 24. Erwägungsgrund "sollten" sich die Mitgliedstaaten durch entsprechende Information des Antragstellers zwar für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen, ein Vorrang der selbstorganisierten Ausreise ergibt sich daraus jedoch nicht.

17

c) Eine Verpflichtung, dem Asylsuchenden zunächst eine Überstellung ohne Verwaltungszwang zu ermöglichen, ergibt sich auch nicht aus Regelungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) - Rückführungsrichtlinie. Zwar räumt Art. 7 dieser Richtlinie - anders als die Dublin-Regelungen - dem sich unrechtmäßig aufhaltenden Ausländer im Regelfall die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ein, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Die Rückführungsrichtlinie findet grundsätzlich auf alle illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen Anwendung (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie). Hierzu gehören auch illegal aus einem Drittstaat eingereiste Asylbewerber, denen gegenüber das Bundesamt das Bestehen einer Ausreisepflicht festgestellt hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 34a AsylVfG Rn. 11). Die Dublin-Verordnungen sind hinsichtlich der Modalitäten einer Überstellung aber leges speciales gegenüber den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie.

18

Das ergibt sich schon daraus, dass die Rückführungsrichtlinie die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger regelt. Dieses Ziel ist mit einer freiwilligen Ausreise zu erreichen, die hierfür das mildeste und damit vorrangige Mittel darstellt. Die Überstellungsregelungen der Dublin-Verordnungen dienen hingegen dem Zweck, dass der Asylbewerber im Rahmen eines behördlich überwachten Verfahrens den Behörden des für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats übergeben wird oder sich selbst bei diesen meldet. Erst mit dem Eintreffen bei der zuständigen Behörde ist die Überstellung vollzogen, bis zu diesem Zeitpunkt läuft die maßgebliche Überstellungsfrist (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 77). Kommt es nicht zu einer fristgerechten Überstellung, geht die Zuständigkeit auf den überstellenden Mitgliedstaat über (vgl. Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO). Eine freiwillige Ausreise im Sinne des Art. 7 Rückführungsrichtlinie vermag den von den Dublin-Regelungen erstrebten Übergang der Verantwortlichkeit auf den zuständigen Mitgliedstaat nicht zu begründen. Deshalb kennen die Dublin-Verordnungen auch nicht das Institut der freiwilligen Ausreise. Jede Dublin-Überstellung ist eine staatlich überwachte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat, auch wenn sie auf Initiative des Asylbewerbers und ohne Anwendung von Verwaltungszwang erfolgt (vgl. Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO). Sie muss hinsichtlich der Orts- und Terminabstimmung immer behördlich organisiert sein (vgl. Art. 7 bis 10 Dublin-DVO).

19

3. § 34a AsylVfG steht in der vom Senat vorgenommenen Auslegung auch mit dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

20

a) Nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen von Grundrechten (hier: der Freizügigkeit nach Art. 6 GR-Charta) nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und unter anderem den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GR-Charta). Die gesetzliche Regelung des § 34a AsylVfG dient der Gewährleistung einer den Regeln der Dublin-Verordnungen entsprechenden Überstellung eines Asylantragstellers und damit dem Funktionieren des einheitlichen europäischen Asylsystems. Dies ist ein Gemeinwohlziel im Sinne von Art. 78 Abs. 2 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. - Rn. 79 ff.).

21

Der deutsche Gesetzgeber durfte die Anordnung von Verwaltungszwang auch als grundsätzlich erforderlich zur Durchführung einer fristgerechten Überstellung nach der Dublin-Verordnung ansehen. In den Gesetzgebungsmaterialien wird die Notwendigkeit einer Abschiebungsanordnung damit begründet, dass eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann und die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise in den Drittstaat im Allgemeinen nicht besteht (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 23 zur Rückführung in einen sicheren Drittstaat). Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 wurde die Regelung auf Überstellung in Dublin-Verfahren erweitert (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 218). Die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Ausreise ist deshalb erheblich erschwert, weil der Ausländer zwar regelmäßig ein Recht auf Einreise in den Staat seiner Staatsangehörigkeit besitzt, nicht aber in einen anderen Staat, in dem sein Asylantrag nach den Regeln des Dublin-Verfahrens geprüft werden soll. Zudem ist eine Überstellung ohne staatliche Begleitung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO im Regelfall auch deshalb kein gleich geeignetes Mittel wie die Überstellung im Wege der Abschiebung, weil ihr Erfolg von der Kooperationsbereitschaft des Asylantragstellers abhängt und die Nichtbeachtung der Überstellungsfristen einen Zuständigkeitswechsel zur Folge hat. Dabei trägt der überstellende Staat die Konsequenzen aus der Wahl einer in der Praxis ungeeigneten Überstellungsmethode (so auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, S. 290 Anm. K2).

22

Die nationale Umsetzung der Dublin-Regelungen durch ein Regel-Ausnahme-System zugunsten der behördlich überwachten Überstellung entspricht auch der Handhabung in anderen am Dublin-Verfahren teilnehmenden Staaten. So hat das Schweizerische Bundesgericht mit Urteil vom 11. November 2013 (2 C 861/2013 - BGE 140 II 74) entschieden, dass die behördlich organisierte Überstellung Vorrang gegenüber einer solchen ohne Verwaltungszwang genießt. Es hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass zur Erfüllung der Pflichten nach den Dublin-Verordnungen sichergestellt sein muss, dass der zu überstellende Asylbewerber auch tatsächlich an seinem Bestimmungsort ankommt. Deshalb kommt die freiwillige Rückkehr nach der zitierten Entscheidung nur dann in Betracht, wenn keine Veranlassung zu der Annahme besteht, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet wird.

23

b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit im föderalen Gefüge Deutschlands durch die mit dem Vollzug der Überstellungsentscheidung betrauten Ausländerbehörden der Länder Rechnung getragen werden kann. Zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit sind diese Behörden auch nach nationalem Recht verpflichtet.

24

Die für den Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG zuständige Ausländerbehörde darf zwar für den Regelfall davon ausgehen, dass eine Überstellung im Sinne der Dublin-Verordnungen nur im Wege des Verwaltungszwangs vollzogen werden kann, sei es durch Begleitung des Ausländers bis zum Besteigen des Transportmittels, sei es durch Eskortierung bis zur verantwortlichen Behörde im zuständigen Mitgliedstaat. Allerdings kann im Einzelfall ausnahmsweise auch die Überstellung ohne behördliche Überwachung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO geeignet sein, einen Asylbewerber fristgerecht in die Obhut der Behörden im zuständigen Mitgliedstaat zu bringen. Das ist z.B. denkbar in Fällen der von ihm gewünschten Familienzusammenführung in dem anderen Mitgliedstaat. Die Initiative hierzu muss jedoch vom Asylbewerber ausgehen und er muss sich vorbehaltlich einer entgegenstehenden Regelung (vgl. etwa Art. 30 Abs. 3 Dublin III-VO) grundsätzlich auch die finanziellen Mittel für die Ausreise beschaffen. Erscheint nach Prüfung der Umstände des konkreten Falles eine rechtzeitige Überstellung auch bei einer selbstorganisierten Ausreise gesichert, muss die für den Vollzug zuständige Ausländerbehörde dem Ausländer diese Möglichkeit einräumen. Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur wegen des Eingriffs in die persönliche Freiheit durch den mit einer Abschiebung verbundenen unmittelbaren Zwang, sondern auch wegen der durch eine vollzogene Abschiebung bewirkten Einreisesperre gemäß § 11 AufenthG, die den Ausländer zusätzlich belastet.

25

Eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung obliegt den Vollstreckungsbehörden auch nach nationalem Verwaltungsvollstreckungsrecht. So hat die Vollstreckungsbehörde nach § 19 Abs. 2 des hier maßgeblichen LVwVG Baden-Württemberg bei der Wahl unter verschiedenen geeigneten Vollstreckungsmitteln dasjenige anzuwenden, das den Pflichtigen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Aber auch im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwangs - wie er eine Abschiebung kennzeichnet - ist unter verschiedenen Formen des unmittelbaren Zwangs das jeweils mildeste Mittel zu wählen (vgl. Deusch/Burr, Beck'scher Online-Kommentar VwVG, Stand 1. Juli 2015, § 12 Rn. 4). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet auch in der Rechtsprechung zum sogenannten "Austauschmittel" Ausdruck. Kommen zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es nach dieser Rechtsprechung, wenn eines davon bestimmt wird. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel (Austauschmittel) anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird (vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 30. Oktober 1991 - 3 S 2273/90 - juris). Auch hier hat aber die Initiative zur Wahl eines anderen Mittels vom Betroffenen auszugehen - wie bei der selbstorganisierten Überstellung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO. Durch die den Ausländerbehörden übertragene Prüfung, ob im Einzelfall ausnahmsweise vom Vollzug der Überstellung im Wege der Abschiebung abgesehen werden kann, wird - entgegen der Auffassung der Revision - auch dem nationalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, soweit für diesen neben dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch Raum besteht.

26

Schon der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Zuweisung der Verantwortung an die Ausländerbehörden, die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall herzustellen, unter Umständen eine Verdoppelung von Rechtsbehelfen zur Folge hat. Denn der Asylantragsteller, der seinen Antrag in Deutschland beschieden haben will, muss im Falle einer für ihn nachteiligen Zuständigkeitsentscheidung zunächst Rechtsmittel gegen die Verfügung des Bundesamts einlegen und im Fall eines Unterliegens in diesem Verfahren ein zweites gerichtliches Verfahren gegen die Ausländerbehörde einleiten, wenn er seine Überstellung ohne Verwaltungszwang durchsetzen will. Dies ist jedoch die Folge der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit in einem föderal gegliederten Staatswesen und entspricht auch der Praxis in anderen föderal gegliederten Staaten wie etwa der Schweiz (Zuständigkeit der Kantonsbehörden; vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 75). Zudem erlaubt sie die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, die erst nach Erlass des Bundesamtsbescheids eingetreten sind, etwa die nachträgliche Aufnahme von Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat, mit denen der Antragsteller zusammengeführt werden möchte. Auch lässt sich regelmäßig erst in diesem Verfahrensstadium konkretisieren, in welcher Form der Asylsuchende an seiner Überstellung mitwirken kann.

27

c) Der Senat weist darauf hin, dass eine etwaige vom Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsanordnung festgesetzte Sperrfrist nach § 11 AufenthG keine Geltung für Fälle der Überstellung ohne Verwaltungszwang nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO besitzt. Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsanordnung allein reicht hierfür nicht. Ferner kann die (nachträgliche) Reduzierung einer festgesetzten Sperrfrist bei Kooperation des Ausländers im Rahmen einer zwangsweisen Überstellung geboten sein, die im Einzelfall sogar zu einer Reduzierung der Sperre auf Null führen kann.

28

4. Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids steht nicht entgegen, dass dieser keine Belehrung über die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung ohne Verwaltungszwang bei der für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde enthält, was die Revision rügt.

29

Zwar ist nach Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO von der zuständigen Behörde "gegebenenfalls der Zeitpunkt und der Ort zu nennen, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt". Entsprechende Angaben enthält der angefochtene Bescheid des Bundesamts nicht. Es kann offenbleiben, ob das Fehlen entsprechender Angaben überhaupt Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung hat. Denn bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass entsprechende Angaben nur dann zu machen sind ("gegebenenfalls"), wenn dem Asylbewerber die Möglichkeit der Überstellung auf eigene Initiative eingeräumt wird. Das war hier nicht der Fall und würde zudem - wie oben ausgeführt - der Zuständigkeit der Ausländerbehörde obliegen. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist aber der Bescheid des Bundesamts und nicht die nachgelagerte Entscheidung der Ausländerbehörde.

30

Allerdings entspricht es dem Ziel der Transparenz des Dublin-Verfahrens, wenn das Bundesamt die Betroffenen auch ohne ausdrückliche Rechtspflicht auf die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung auf eigene Initiative bei der Ausländerbehörde gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO hinweist und damit der Zielstellung des 24. Erwägungsgrund der Dublin III-VO ("sollte") Rechnung trägt.

31

5. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt auch das gesetzliche Erfordernis des § 34a Abs. 1 AsylVfG, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Der Durchführbarkeit der Abschiebung steht insbesondere nicht ein Verstreichen der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO entgegen. Es kann offenbleiben, ob sich der Kläger überhaupt auf einen möglichen Fristablauf und den damit verbundenen Zuständigkeitswechsel berufen könnte. Denn die Überstellungsfrist war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht verstrichen.

32

Maßgebend sind insoweit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die Dublin-Regeln für die Aufnahme. Diese finden auf Asylantragsteller Anwendung, für die ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO vorliegen, etwa weil er sich in dem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, bevor er in denjenigen eingereist ist, in dem er erstmals einen Asylantrag gestellt hat. Hingegen finden die Regeln über die Wiederaufnahme Anwendung, wenn einer der Tatbestände des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO erfüllt ist, wenn der Asylbewerber also - anders als hier - schon in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat.

33

Hier finden aus folgenden Gründen die Regeln über die Aufnahme (Art. 19 Dublin II-VO) Anwendung: Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Kläger in Italien einen Asylantrag gestellt hat, das hat dieser auch selbst gar nicht behauptet. Auch das Bundesamt hat die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers aus dessen Ersteinreise in dieses Land abgeleitet (Eurodac-Treffer nach Cat 2, nicht nach Cat 1). Dem entsprechend hat es sein Übernahmeersuchen an Italien vom 30. Dezember 2013 auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO - illegaler Grenzübertritt - gestützt und nicht auf ein dortiges Asylverfahren gemäß Art. 13 Dublin II-VO. Damit finden die Regeln über die Aufnahme eines Asylantragstellers Anwendung und die Beantwortungsfrist für Italien betrug zwei Monate (Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO). Auf die Zwei-Monats-Frist nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO hat sich auch das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid vom 12. März 2014 bezogen, um den erfolgten Zuständigkeitsübergang auf Italien zu begründen.

34

Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Regeln über die Wiederaufnahme und damit von der Annahme des an Italien gerichteten Gesuchs schon nach zwei Wochen gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO ausgegangen. Sind aber die Fristen für ein Aufnahmegesuch maßgeblich, war die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO zum auch für die Revisionsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom 27. August 2014 noch nicht abgelaufen.

35

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

(1) Der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ist räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Von der räumlichen Beschränkung nach Satz 1 kann abgewichen werden, wenn der Ausländer zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Prüfung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 berechtigt ist oder wenn dies zum Zwecke des Schulbesuchs, der betrieblichen Aus- und Weiterbildung oder des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung erforderlich ist. Das Gleiche gilt, wenn dies der Aufrechterhaltung der Familieneinheit dient.

(1a) In den Fällen des § 60a Abs. 2a wird der Aufenthalt auf den Bezirk der zuletzt zuständigen Ausländerbehörde im Inland beschränkt. Der Ausländer muss sich nach der Einreise unverzüglich dorthin begeben. Ist eine solche Behörde nicht feststellbar, gilt § 15a entsprechend.

(1b) Die räumliche Beschränkung nach den Absätzen 1 und 1a erlischt, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält.

(1c) Eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers kann unabhängig von den Absätzen 1 bis 1b angeordnet werden, wenn

1.
der Ausländer wegen einer Straftat, mit Ausnahme solcher Straftaten, deren Tatbestand nur von Ausländern verwirklicht werden kann, rechtskräftig verurteilt worden ist,
2.
Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen hat, oder
3.
konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gegen den Ausländer bevorstehen.
Eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde soll angeordnet werden, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(1d) Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, ist verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Soweit die Ausländerbehörde nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat. Die Ausländerbehörde kann die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern; hierbei sind die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen. Der Ausländer kann den durch die Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen.

(1e) Auflagen können zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen. Insbesondere kann ein Ausländer verpflichtet werden, sich einmal wöchentlich oder in einem längeren Intervall bei der für den Aufenthaltsort des Ausländers zuständigen Ausländerbehörde zu melden.

(1f) Weitere Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden.

(2) Die Länder können Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer schaffen. In den Ausreiseeinrichtungen soll durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

Gründe

I.

1

Mit Bescheiden vom 07.08.2012 änderte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bereits bestehende wohnsitzbeschränkende Auflagen und gab den Antragstellern auf, ab dem 01.09.2012 ihren Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft G-Straße 7d/B-Straße in A-Stadt zu nehmen. Zur Begründung gab sie an, aufgrund der früheren Anerkennung als Flüchtlinge sei es den Antragstellern möglich gewesen, in einer privaten Wohnung und somit außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Da die Antragsteller nach den heute vorliegenden Erkenntnissen seit ihrer Einreise über ihre wahre Identität getäuscht hätten und diese weiterhin nicht preisgäben, bestehe nunmehr ein öffentliches Interesse an einer Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft. Dort könne sie intensivere Maßnahmen zur Identitätsklärung bzw. die damit verbundene Beschaffung von Heimreisedokumenten zur Beendigung des Aufenthalts durchführen. Ein weiterer Grund, der die Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft erforderlich mache, liege in dem Bezug öffentlicher Leistungen. Aufgrund der wiederholten Falschangaben zur Identität seien die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeschränkt worden. Die Privatwohnung könne mit den gekürzten Leistungen nicht mehr getragen werden. Nunmehr seien nachweislich Mietschulden entstanden, deren Übernahme das Sozialamt abgelehnt habe. Angesichts der nunmehr drohenden Kündigung seien die Antragsteller von Obdachlosigkeit bedroht. Es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug; denn zur Vermeidung der Anhäufung weiterer Mietschulden, des damit verbundenen Schadens für Dritte (Vermieter) und der drohenden Obdachlosigkeit der Antragsteller sei die unverzügliche Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft zwingend notwendig.

2

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Widersprüche wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt: Die Bescheide seien offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin das ihr nach § 46 Abs. 1 AufenthG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Sie habe nicht berücksichtigt, dass die Antragstellerin zu 4 nach einem Urteil der Kammer vom 07.09.2012 (4 A 212/11 MD) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG habe und die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die vollziehbare Ausreisepflicht entfallen lassen würde. Da der Antragstellerin zu 4 nach diesem Urteil die mangelnde Identitätsklärung nicht zugerechnet werden könne und deshalb die Nichtvorlage eines Personaldokuments der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstehe, entspreche es nicht dem Zweck der Regelung des § 46 Abs. 1 AufenthG, von ihr das Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft zu verlangen, um sie zur Beschaffung von Dokumenten zur Identitätsklärung und Erleichterung der Ausreise zu motivieren. Der Ermessensfehler wirke sich auch auf die Entscheidung hinsichtlich der übrigen Antragsteller aus, da im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft nur ein gemeinsames Wohnen der Eltern mit den beiden minderjährigen Kindern in Betracht komme und der Familienverbund auch hinsichtlich des Antragstellers zu 5 jedenfalls zu prüfen gewesen wäre.

3

Hiergegen wendet die Antragsgegnerin ein, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in seinem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil vom 07.09.2012 habe die Antragstellerin zu 4 keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und Nr. 4 AufenthG seien nicht erfüllt. Weder sei die Identität der Antragstellerin zu 4 geklärt noch besitze sie den erforderlichen Pass. Es sei keine Ausnahmesituation zu erkennen, die es rechtfertige, von der Passpflicht oder zumindest vom Identitätsnachweis abzusehen. Die von den Antragstellern angegebenen Personendaten seien falsch; nach einer Information der zentralen Abschiebestelle in Halberstadt gehe der armenische Botschaftsrat nach einer Vorführung der Antragsteller davon aus, dass sie armenischer Herkunft seien. Die Antragsteller behaupteten indes weiterhin wahrheitswidrig, aus dem Irak zu stammen. Spätestens seit der Leistungskürzung seien die Antragsteller nicht mehr in der Lage, die bisherige ca. 104 m² große Wohnung zu finanzieren.

II.

4

A. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

5

Das Verwaltungsgericht hat – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 07.08.2012 wiederhergestellt. Denn es ist zumindest offen, ob die in den Bescheiden jeweils ausgesprochene Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft im Widerspruchs- oder in einem ggf. nachfolgenden Hautsacheverfahren Bestand haben wird (1.). Die hiernach vorzunehmende Abwägungsentscheidung fällt zugunsten der Antragsteller aus (2.)

6

 1. Gemäß § 46 Abs. 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen. Mit der Verpflichtung, an einem bestimmten Ort Wohnsitz zu nehmen, soll die Erreichbarkeit des Ausländers und die Einwirkungsmöglichkeit der Ausländerbehörde sichergestellt werden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 15/420 S. 88). Eine entsprechende Anordnung muss einen sinnvollen Bezug zu diesem zulässigen Verfahrenszweck aufweisen, insbesondere dem der Identitätsfeststellung und Passbeschaffung, und darf nicht in Schikane mit strafähnlichem Charakter ausarten, auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen oder den Betreffenden im Einzelfall unverhältnismäßig treffen (vgl. Urt. d. Senats v. 29.11.2007 – 2 L 223/06 –, Juris, RdNr. 31, m.w.N.).

7

Der Senat hat Zweifel, ob mit den streitigen Anordnungen ein solcher zulässiger Verfahrenszweck verfolgt wird.

8

 1.1. Die von der Antragsgegnerin angeführte drohende Obdachlosigkeit der Antragsteller im Fall der Kündigung der von ihnen angemieteten Privatwohnung dürfte nach dem oben dargestellten Zweck des § 46 Abs. 1 AufenthG kein Grund für eine Anordnung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft sein.

9

 1.2. Es ist auch fraglich, inwieweit mit dieser Maßnahme die Erreichbarkeit der Antragsteller und die Einwirkungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin hinsichtlich der Beschaffung von Heimreisedokumenten verbessert werden. Die Antragsgegnerin hat nicht näher dargelegt, welche (konkreten) „intensivere Maßnahmen zur Identitätsklärung und Beschaffung von Heimreisedokumenten zur Beendigung des Aufenthalts“ sie dort durchführen will.

10

 1.3. Im Übrigen ist dem Verwaltungsgericht darin beizupflichten, dass eine auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützte Anordnung, den Wohnsitz in einer Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen, jedenfalls dann nicht mehr dem Zweck der Ermächtigung entspricht und damit ermessensfehlerhaft ist, wenn absehbar ist, dass die vollziehbare Ausreisepflicht des Ausländers entfallen wird, weil er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Gleiches dürfte gelten, wenn der Ausländer nach Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung durch die Ausländerbehörde hat.

11

Nach derzeitigem Sach- und Streitstand ist offen, ob die Antragstellerin zu 4 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG oder zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Antragsgegnerin hat.

12

Gemäß § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann einem geduldeten Ausländer, der in Deutschland geboren wurde oder vor Vollendung des 14. Lebensjahres eingereist ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn (1.) er sich seit sechs Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, (2.) er sechs Jahre erfolgreich im Bundesgebiet eine Schule besucht oder in Deutschland einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat und (3.) der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird, sofern gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Nach den von der Antragsgegnerin nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts erfüllt die Antragstellerin zu 4 diese Voraussetzungen. Solange sich der Jugendliche oder der Heranwachsende in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder einem Hochschulstudium befindet, schließt gemäß § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht aus. Die Antragsgegnerin hält der Antragstellerin zu 4 auch keine eigenen Täuschungshandlungen vor, die gemäß § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG zwingend zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führen.

13

Der Antragsgegnerin ist zwar darin beizupflichten, dass auch im Rahmen des § 25a Abs. 1 AufenthG grundsätzlich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sein müssen (vgl. BT-Drs. 17/5093, S. 15 f.). Von diesen Voraussetzungen kann aber gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG, die nicht bereits in § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG genannt sind, und damit auch in den Fällen des § 25a Abs. 1 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden (vgl. Beschl. d. Senats v. 30.03.2012 – 2 O 198/12 –). Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, es liege keine Ausnahmesituation vor, die ein Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen rechtfertige, verkennt sie, dass § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG einen atypischen Fall nicht voraussetzt, sondern in den darin bezeichneten Fällen allgemein die Behörde ermächtigt, im Ermessenswege von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abzusehen. Auch erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin bei ihren Ermessenserwägungen entscheidend darauf abstellen darf, dass die Antragstellerin zu 4 den langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur durch die Täuschungshandlungen ihrer Eltern erreichen konnte. Sollen nach § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur eigene Täuschungshandlungen, nicht aber Täuschungshandlungen Dritter zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führen, wird die Ausländerbehörde auch bei der Ermessensausübung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Täuschungshandlungen der Eltern nicht berücksichtigen dürfen. Unabhängig davon ist – wie die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerde selbst vorträgt – die Frage, welche Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG insbesondere in Bezug auf die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegen müssen, Gegenstand eines Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht (1 C 17.12) und damit als offen zu bewerten.

14

 2. Da nach alldem zumindest offen ist, ob die Antragstellerin zu 4 ausreisepflichtig ist und sie und die übrigen mit ihr in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Antragsteller auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 VwGO zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet werden können, ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnungen mit dem Interesse der Antragsteller, von der Vollziehung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, abzuwägen. Die dabei vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – Juris, RdNr. 18; BVerwG, Beschl. v. 30.08.1996 – 7 VR 2/96 –, NVwZ 1997, 497 [501]) fällt zugunsten der Antragsteller aus.

15

Wird der begehrte vorläufige Rechtsschutz versagt, so dass die Antragsteller ihren Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft nehmen müssen, lassen sich die dadurch insbesondere für die in Deutschland geborenen minderjährigen Antragsteller zu 3 und 4 eintretenden Folgen bei einem Obsiegen in der Hauptsache möglicherweise nur schwer wieder rückgängig machen. Sie sind – wie auch die Antragsgegnerin anerkennt – in das bisherige Umfeld integriert.

16

Wird dagegen die aufschiebende Wirkung der Widersprüche angeordnet, wird lediglich der bereits seit Jahren bestehende Zustand beibehalten. Anhaltspunkte dafür, dass – anders als bisher – eine besondere Dringlichkeit dafür besteht, entsprechend dem Zweck einer Anordnung nach § 46 Abs. 1 AufenthG die Ausreise der Antragsteller zu fördern, sind nicht ersichtlich. Zwar mögen – wie die Antragsgegnerin geltend macht – bei einem Verbleib in der bisherigen Wohnung bereits bestehende Mietschulden weiter anwachsen, weil ihr Sozial- und Wohnungsamt die Unterkunftskosten wegen der Größe der bisherigen Wohnung voraussichtlich auch weiterhin nicht in voller Höhe übernehmen würde. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei der Gewichtung der Interessen im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO dem Zweck des Gesetzes, dessen Vollzug der in Frage stehende Verwaltungsakt dient, maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 80 RdNr. 91; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 80 RdNr. 161, m.w.N; OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.04.1985 – 10 B 4/85 –, NJW 1986, 800). Eine Wohnsitzauflage auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 AufenthG soll – wie bereits dargelegt – nach dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung dazu dienen, die Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zu fördern. Sie hat hingegen nicht die Zielrichtung, das Anwachsen von Mietschulden zu verhindern und einer möglicherweise drohenden Obdachlosigkeit des Ausländers für den Fall der Kündigung der von ihm angemieteten Privatwohnung vorzubeugen. Darüber hinaus ist in Erwägung zu ziehen, dass die Antragsteller insbesondere im Fall einer Kündigung durch den jetzigen Vermieter die Möglichkeit haben, eine kleinere Wohnung anzumieten, die nach den Maßstäben der Sozialbehörde die Angemessenheitskriterien erfüllt.

17

 B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

18

 C. Den Antragstellern ist auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen.

19

Aus der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen ergibt sich, dass die Kläger nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO). Die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bleiben gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 119 Satz 2 ZPO im zweiten Rechtszug ungeprüft, da die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat.

20

Die Entscheidung über die Beiordnung folgt aus § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 und 3 ZPO.

21

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


(1) Der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ist räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Von der räumlichen Beschränkung nach Satz 1 kann abgewichen werden, wenn der Ausländer zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Prüfung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 berechtigt ist oder wenn dies zum Zwecke des Schulbesuchs, der betrieblichen Aus- und Weiterbildung oder des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung erforderlich ist. Das Gleiche gilt, wenn dies der Aufrechterhaltung der Familieneinheit dient.

(1a) In den Fällen des § 60a Abs. 2a wird der Aufenthalt auf den Bezirk der zuletzt zuständigen Ausländerbehörde im Inland beschränkt. Der Ausländer muss sich nach der Einreise unverzüglich dorthin begeben. Ist eine solche Behörde nicht feststellbar, gilt § 15a entsprechend.

(1b) Die räumliche Beschränkung nach den Absätzen 1 und 1a erlischt, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält.

(1c) Eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers kann unabhängig von den Absätzen 1 bis 1b angeordnet werden, wenn

1.
der Ausländer wegen einer Straftat, mit Ausnahme solcher Straftaten, deren Tatbestand nur von Ausländern verwirklicht werden kann, rechtskräftig verurteilt worden ist,
2.
Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen hat, oder
3.
konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gegen den Ausländer bevorstehen.
Eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde soll angeordnet werden, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(1d) Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, ist verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Soweit die Ausländerbehörde nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat. Die Ausländerbehörde kann die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern; hierbei sind die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen. Der Ausländer kann den durch die Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen.

(1e) Auflagen können zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen. Insbesondere kann ein Ausländer verpflichtet werden, sich einmal wöchentlich oder in einem längeren Intervall bei der für den Aufenthaltsort des Ausländers zuständigen Ausländerbehörde zu melden.

(1f) Weitere Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden.

(2) Die Länder können Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer schaffen. In den Ausreiseeinrichtungen soll durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

Tenor

§ 10 Absatz 1 und 3 des Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen und über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern (Rindfleischetikettierungsgesetz) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes vom 17. November 2000 (Bundesgesetzblatt I Seite 1510) ist mit Artikel 103 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 sowie mit Artikel 80 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 10 Abs. 1 und 3 des Rindfleischetikettierungsgesetzes (RiFlEtikettG) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

I.

2

1. Nach § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes vom 17. November 2000 (BGBl I S. 1510) wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 zuwiderhandelt, soweit eine Rechtsverordnung nach Absatz 3, in der das zuständige Bundesministerium die als Straftat nach Absatz 1 zu ahndenden Tatbestände bezeichnet, für einen bestimmten Tatbestand auf die Strafvorschrift des Absatzes 1 verweist.

3

2. Die vom vorlegenden Landgericht für verfassungswidrig gehaltene Vorschrift war zunächst als § 10 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 RiFlEtikettG im Rindfleischetikettierungsgesetz vom 26. Februar 1998 (BGBl I S. 380) enthalten, mit dem die Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen (ABl EG Nr. L 117 vom 7. Mai 1997, S. 1) in Deutschland umgesetzt worden war. Die für das Ausgangsverfahren relevante Fassung erhielt § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes vom 17. November 2000 (BGBl I S. 1510), das der Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates (ABl EG Nr. L 204 vom 11. August 2000, S. 1) diente.

4

3. Die allgemeinen Vorschriften des Systems zur obligatorischen Etikettierung von Rindfleisch, dessen Herkunft seit dem 1. Januar 2002 vollständig anzugeben ist, enthält Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000. Dieser lautet:

(1) Marktteilnehmer und Organisationen, die Rindfleisch in der Gemeinschaft vermarkten, müssen dies gemäß den Vorschriften dieses Artikels etikettieren.

Mit dem obligatorischen Etikettierungssystem wird gewährleistet, dass zwischen der Kennzeichnung des Schlachtkörpers, der Schlachtkörperviertel oder der Fleischstücke einerseits und dem Einzeltier bzw. - wenn dies zur Kontrolle der Richtigkeit der Angaben auf dem Etikett ausreicht - der betreffenden Gruppe von Tieren andererseits eine Verbindung besteht.

(2) Auf dem Etikett sind folgende Angaben zu machen:

a) eine Referenznummer oder ein Referenzcode, mit dem die Verbindung zwischen dem Fleisch und dem Tier bzw. den Tieren gewährleistet wird. Diese Nummer kann die Kennnummer des Tieres, von dem das Fleisch stammt, oder die Kennnummer einer Gruppe von Tieren sein;

b) die Zulassungsnummer des Schlachthofs, in dem das Tier oder die Tiergruppe geschlachtet wurde, und der Mitgliedstaat oder das Drittland, in dem der Schlachthof liegt. Die Angabe muss lauten: "Geschlachtet in: (Name des Mitgliedstaats oder des Drittlands) (Zulassungsnummer)";

c) die Zulassungsnummer des Zerlegungsbetriebs, in dem der Schlachtkörper oder die Gruppe von Schlachtkörpern zerlegt wurden, und der Mitgliedstaat oder das Drittland, in dem der Zerlegungsbetrieb liegt. Die Angabe muss lauten: "Zerlegt in: (Name des Mitgliedstaats oder des Drittlands) (Zulassungsnummer)".

(3) Mitgliedstaaten, in denen über das Kennzeichnungs- und Registrierungssystem für Rinder gemäß Titel I ausreichende Angaben vorliegen, können jedoch bis zum 31. Dezember 2001 für Fleisch von Rindern, die in ihrem Hoheitsgebiet geboren, gemästet und geschlachtet wurden, vorschreiben, dass auf dem Etikett zusätzliche Angaben gemacht werden müssen.

(4) Ein obligatorisches System im Sinne des Absatzes 3 darf nicht zu Störungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten führen.

Die Durchführungsbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten gelten, die Absatz 3 anwenden wollen, bedürfen der vorherigen Zustimmung der Kommission.

(5) a) Ab 1. Januar 2002 sind von den Marktteilnehmern und Organisationen zusätzlich folgende Angaben auf den Etiketten zu machen:

i) Mitgliedstaat oder Drittland, in dem das Tier geboren wurde,

ii) Mitgliedstaaten oder Drittländer, in denen die Mast durchgeführt wurde,

iii) Mitgliedstaat oder Drittland, in dem die Schlachtung erfolgt ist,

b) Erfolgten Geburt, Aufzucht und Schlachtung der Tiere, von denen das Fleisch stammt,

i) in ein und demselben Mitgliedstaat, so kann die Angabe wie folgt lauten: "Herkunft: (Name des Mitgliedstaats)";

ii) in ein und demselben Drittland, so kann die Angabe wie folgt lauten: "Herkunft: (Name des Drittlandes)".

5

4. Da Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 ebenso wie die insofern gleichlautende Folgevorschrift des Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 vorsah, dass die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Verordnung treffen und etwaige Sanktionen, die die Mitgliedstaaten verhängen, in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen müssen, wurde die Blankettstrafvorschrift des § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG geschaffen (BTDrucks 13/8052, S. 7).

6

5. § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG bezog sich in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 26. Februar 1998 ausdrücklich auf die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 in der jeweils geltenden Fassung, soweit sie die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen betraf, sowie auf die "zu ihrer Durchführung erlassenen Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft". Diese Bezugnahme wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes vom 17. November 2000 (BGBl I S. 1510) durch die Formulierung "Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen" ersetzt. Letztere wurde durch das Gesetz zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes und des Düngegesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl I S. 2539) auf "Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern" erweitert.

7

6. Durch § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG wurde das zuständige Bundesministerium (vgl. nunmehr § 3a Abs. 3 RiFlEtikettG) ermächtigt, durch Rechtsverordnung die als Straftat zu ahndenden Tatbestände zu bezeichnen. Diese Bezeichnung erfolgte durch Erlass der Verordnung zur Durchsetzung des Rindfleischetikettierungsrechts (Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung - RiFlEtikettStrV) vom 5. März 2001 (BGBl I S. 339), zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung vom 22. Juli 2015 (BGBl I S. 1407).

8

7. Die vom vorlegenden Landgericht als verfassungswidrig erachtete Vorschrift des § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG und der ihren Anwendungsbereich regelnde § 1 RiFlEtikettG lauteten zum für das Ausgangsverfahren relevanten Tatzeitpunkt am 15. März 2010:

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz dient der Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern.

(2) Unberührt von den Vorschriften dieses Gesetzes und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen bleiben die Vorschriften des Lebensmittel- und Futtermittelrechts, des Handelsklassenrechts, des Lebensmittelspezialitätenrechts und des Markenrechts.

§ 10 Strafvorschriften

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 zuwiderhandelt, soweit eine Rechtsverordnung nach Absatz 3 für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Das Bundesministerium wird ermächtigt, soweit es zur Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft erforderlich ist, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach Absatz 1 zu ahnden sind.

9

8. § 1 RiFlEtikettStrV lautete am 15. März 2010:

§ 1 Durchsetzung der Angaben bei der obligatorischen Etikettierung von Rindfleisch

(1) Nach § 10 Abs. 1 des Rindfleischetikettierungsgesetzes wird bestraft, wer gegen die Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates (ABl. EG Nr. L 204 S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. EU Nr. L 363 S. 1), verstößt, indem er

1. entgegen Artikel 13 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit

a) Abs. 2 Buchstabe a Satz 1, Buchstabe b oder c, Artikel 14 Satz 1 oder

b) Abs. 5 Buchstabe a, dieser in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1825/2000 der Kommission vom 25. August 2000 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen (ABl. EG Nr. L 216 S. 8), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 275/2007 der Kommission vom 15. März 2007 (ABl. EU Nr. L 76 S. 12),

jeweils auch in Verbindung mit Artikel 5a Abs. 1, Artikel 5b oder 5c Abs. 1 oder 2 Unterabs. 1 oder 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1825/2000 Rindfleisch nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig etikettiert,

2. entgegen Artikel 13 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit

a) Abs. 2 Buchstabe a Satz 1, Artikel 14 Satz 1 oder

b) Abs. 5 Buchstabe a Nr. iii, dieser in Verbindung mit Artikel 14 Satz 2,

Rinderhackfleisch nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig etikettiert,

3. entgegen Artikel 15 in die Gemeinschaft eingeführtes Rindfleisch nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig etikettiert.

(2) Wer eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung fahrlässig begeht, handelt nach § 11 Abs. 1 des Rindfleischetikettierungsgesetzes ordnungswidrig.

II.

10

1. Mit Urteil vom 31. Mai 2012 sprach das Amtsgericht Tiergarten den geständigen Angeklagten des Ausgangsverfahrens des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Rindfleischetikettierungsgesetz schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 250 Tagessätzen zu je 100 Euro. Der Angeklagte hatte es als Betriebsinhaber einer Dönerproduktion GmbH in B…, die eine Zulassung als Zerlege- und Handelsbetrieb von Geflügelfleisch und als Herstellungsbetrieb für Fleischzubereitungen ("Hackfleisch-Drehspieße nach Döner-Art" und Geflügelfleisch-Drehspieße) als Tiefkühl- und Frischwaren aus Geflügel-, Rind- und Lammfleisch (exklusive die Herstellung von Ciclik) besaß, welche aber nicht die Zerlegung von und den Handel mit rohem Rindfleisch umfasste, am 15. März 2010 unterlassen, im Warenausgangskühlraum lagernde 60 kg frischen Rindfleischs zu etikettieren und weitere, in kleineren Gebinden abgepackte 106 kg frischen Rindfleischs richtig zu etikettieren. Auf den Etiketten des abgepackten frischen Rindfleischs fehlten die Referenznummer oder der Referenzcode und zum Teil die Zulassungsnummern des Schlacht- und des Zerlegungsbetriebs. Letztere waren auch an Hand der Buchführungsbelege und der im Betrieb erforderlichen Dokumentation nicht nachvollziehbar. Zudem handelte es sich bei dem Fleisch beider Mengen um reines, nicht behandeltes, insbesondere nicht gewürztes Rindfleisch und damit auch nicht um von der Zulassung der Gesellschaft umfasste Rindfleischerzeugnisse.

11

2. Das Landgericht Berlin hat gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Berufungshauptverhandlung ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG mit Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar und daher nichtig ist. Seine Entscheidung hänge davon ab, ob § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG verfassungsgemäß sei oder nicht. Wäre § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, müsste der Angeklagte aufgrund seines wissentlichen und willentlichen zum Teil partiellen, zum Teil vollständigen Unterlassens der Etikettierung der festgestellten Rindfleischmengen gemäß §§ 1, 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettStrV und Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 schuldig gesprochen werden. Im Falle der Verfassungswidrigkeit wäre der Angeklagte hingegen aus Rechtsgründen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freizusprechen.

12

Das vorlegende Gericht ist von der Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG überzeugt. Seine Auffassung stützt es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

13

a) Bei § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG handele es sich um ein Blankettstrafgesetz, das gegen Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verstoße, weil es das strafbare Verhalten nicht nachvollziehbar umschreibe und auch keine durch Auslegung ermittelbare Maxime erkennen lasse, anhand derer die Adressaten der Norm ihr Verhalten ausrichten könnten.

14

Der Gesetzgeber habe sich zur Beschreibung des unter Strafe gestellten Gesetzesverstoßes einer doppelten Verweisung bedient. Zum einen verweise er in § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG auf "Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern", zum anderen auf die Bestimmungen der nach § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG durch das zuständige Bundesministerium zu erlassenden Rechtsverordnung. Zwar sei Blankettstrafgesetzgebung, insbesondere bei Bezugnahme auf Inhalte von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union, im Grundsatz zulässig, doch lasse die dynamische Verweisung auf das in § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG nur formelhaft umschriebene Gemeinschaftsrecht nicht erkennen, welche Rechtsakte konkret davon erfasst sein sollten und was diese regelten. Auch der Inhalt der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 könne zur Ermittlung des Normbefehls des § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG nicht herangezogen werden, da der Gesetzgeber durch die Übertragung der Auswahl der als strafwürdig anzusehenden Tatbestände auf den nationalen Verordnungsgeber in § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG deutlich gemacht habe, dass nicht unterschiedslos der komplette Regelungsgehalt jeglicher Verordnung in diesem Rechtsgebiet erfasst sein solle. Auf Fachwissen der dem Regelungsbereich unterworfenen Fachkreise könne nicht abgestellt werden, weil es nicht um die Interpretation normativer gewerbespezifischer Begriffe gehe, sondern um die dieser Interpretation vorgelagerte Bestimmung, welche Normen überhaupt gelten sollten.

15

b) Die Verordnungsermächtigung des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG verstoße gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

16

Der Gesetzgeber habe sich in unzulässiger Weise seiner Rechtsetzungskompetenz und -pflicht aus Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG begeben, Raum für exekutive Strafrechtssetzung geschaffen und dadurch den Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt. Statt die Voraussetzungen der Strafbarkeit in einem förmlichen Gesetz hinreichend deutlich zu umschreiben und lediglich deren nähere Beschreibung über eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte Verordnungsermächtigung der Exekutive zu überlassen, habe der Gesetzgeber sich durch die auf der ersten Verweisungsebene des § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG erfolgte Bezugnahme auf die auf der Gemeinschaftsebene erlassenen Rechtsakte über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen auf einen hinsichtlich des Strafrechts nicht hinreichend demokratisch legitimierten Rechtsetzungsakt bezogen und auf der zweiten Verweisungsebene über § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG dem nationalen Verordnungsgeber als ebenfalls demokratisch nicht unmittelbar legitimiertem Akteur Strafrechtssetzungskompetenz zugesprochen. Der Gesetzgeber habe nicht über das "Ob" der Strafbarkeit entschieden, sondern es ohne jede Beschränkung dem nationalen Verordnungsgeber übertragen, unter Verwendung einer Rückverweisungsklausel gemeinschaftsrechtliche Normen zu benennen, deren Verletzung strafbewehrt sein solle. Damit könne dieser aufgrund der dynamischen Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht zeitlich unbeschränkt und ohne Einbindung des Gesetzgebers strafrechtsetzend tätig werden.

III.

17

Zu der Vorlage hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft namens der Bundesregierung Stellung genommen. Der Bundestag, der Bundesrat und die Länderregierungen haben von einer Stellungnahme abgesehen.

18

Die Bundesregierung hält die vorgelegte Vorschrift für verfassungskonform. Soweit das vorlegende Gericht den Straftatbestand für nicht hinreichend bestimmt halte, weil der Verweis auf das Gemeinschaftsrecht dynamisch sei, verkenne es, dass die insoweit maßgebliche nationale Verordnungsregelung statisch auf EU-Verordnungen Bezug nehme. Das Gericht verkenne zudem, dass dem Verordnungsgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Spezifizierungsbefugnis eingeräumt werden könne, wovon § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG in zulässiger Weise Gebrauch mache. Dem Verordnungsgeber werde durch den begrenzten Anwendungsbereich des Gesetzes und die Maßgabe, die Sanktionierung müsse zur Durchsetzung der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft erforderlich sein, nur ein geringer Entscheidungsspielraum eingeräumt, zumal die Strafandrohung im unteren Bereich zu verorten sei, so dass keine erhöhten Bestimmtheitsanforderungen bestünden. Auch dürfe für die Prüfung der Bestimmtheit einer Strafnorm auf das Fachwissen der betroffenen Kreise abgestellt werden, für die es auf der Hand liege, dass es sich bei dem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen um die Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 handele. Hinzu komme, dass dem Normadressaten durch die im Nebenstrafrecht verbreitete Verwendung einer so genannten Rückverweisungsklausel das Auffinden der strafbewehrten Tatbestände deutlich erleichtert werde. Der weitere Einwand, dass dem Verordnungsgeber durch solche Rückverweisungsklauseln die Entscheidung über das "Ob" der Strafbarkeit übertragen werde, gehe fehl, da der Gesetzgeber durch die Ermächtigungsklausel zu erkennen gebe, dass das Gemeinschaftsrecht aus seiner Sicht eine strafrechtliche Bewehrung gebiete, und auch der Verordnungsgeber an europäisches Recht gebunden und ihm folglich keine Wahlfreiheit über die Strafbewehrung eingeräumt sei.

IV.

19

Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, dass die Strafsenate mit den streitigen Rechtsvorschriften noch nicht befasst gewesen sind und von einer weitergehenden Stellungnahme abgesehen haben. Der Generalbundesanwalt, der Deutsche Richterbund, die Neue Richtervereinigung, der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer haben sich wie folgt geäußert:

20

1. Der Generalbundesanwalt hält die Vorschrift des § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG für verfassungsgemäß.

21

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 103 Abs. 2 GG an die Bestimmtheit des Strafgesetzes seien noch gewahrt. Es sei unschädlich, dass § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG keine explizite Verweisung auf einen bestimmten Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union enthalte, da eine hinreichende Eingrenzung durch den erforderlichen Bezug zum Regelungsgegenstand der Verweisungsnormen gegeben und für den Normadressaten bei verständiger Würdigung und unter zulässiger Heranziehung des gesteigerten Wissens der betroffenen Fachkreise der Bereich der Strafbarkeit noch hinreichend erkennbar und vorhersehbar sei. Zudem enthielten die primär in Bezug genommenen Gebote des Art. 13 Abs. 1 und Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 jeweils klare und präzise Vorgaben zu Art und Umfang der Etikettierungspflichten, die dem Normadressaten kaum Interpretationsspielräume über den Umfang seiner Pflichten ließen.

22

Ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG sei nicht erkennbar. Verweisungen auf Unionsrecht seien nicht anders zu beurteilen als solche auf nationales Recht, da die Kompetenz des nationalen parlamentarischen Gesetzgebers weitgehend unangetastet bleibe, wenn er selbst die Reichweite der Strafandrohung festlege und dem Unionsgesetzgeber lediglich die Konkretisierung des tatbestandlichen Verbotes überlasse. Eine unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips unzulässige pauschale Blankoermächtigung liege nicht vor. Auch die Gestaltungsmacht des nationalen Verordnungsgebers sei in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise hinreichend begrenzt, zum einen aufgrund der in § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG statuierten Bedingung der Erforderlichkeit, zum anderen deshalb, weil der dem europarechtlichen Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtete Gesetzgeber durch die Rückverweisungsklausel nur die tatsächliche Ausgestaltung seiner Grundsatzentscheidung, eine Strafbewehrung vorzusehen, von dem hinzutretenden Rechtsakt des Verordnungsgebers abhängig gemacht habe.

23

2. Der Deutsche Richterbund sieht das Bestimmtheitsgebot für Strafnormen durch § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG nicht verletzt, äußert aber zu § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG Bedenken, ob es noch verfassungsgemäß sei, dem Verordnungsgeber die Entscheidung zu überlassen, welche Tatbestände des europäischen Rechts im nationalen Recht strafbar sein sollten.

24

3. Nach Auffassung der Neuen Richtervereinigung verstößt § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG durch die doppelte Verweisung auf Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft und auf eine zu erlassende nationale Rechtsverordnung gegen die Gewährleistungsinhalte der Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Bestimmtheitsgebot sei verletzt, weil das mit Strafe bedrohte Verhalten durch § 10 RiFlEtikettG aufgrund der Globalverweisung auf das gesamte unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht nicht hinreichend präzise gesetzlich bestimmt werde. Zudem sei das Delegationsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Da die durch § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG erlaubte Rückverweisung nicht nur deklaratorisch sei, ergebe sich die eigentliche Strafbarkeit vorliegend erst aus der Rechtsverordnung, so dass letztlich die Exekutive über die Strafbarkeit entscheide.

25

4. Der Deutsche Anwaltverein hält § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG für verfassungswidrig, weil die Voraussetzungen der Strafbarkeit angesichts des zugunsten des Verordnungsgebers eröffneten Spielraums nicht aus der gesetzlichen Ermächtigung, sondern erst aus der auf sie gestützten Verordnung voraussehbar seien. Es könne nicht von einer bloßen Spezifizierung des Tatbestandes gesprochen werden, wenn das Gesetz wie vorliegend einen Tatbestand nicht oder nur in höchst abstraktem Sinn definiere und Kern dieses ohnehin nur rudimentär beschriebenen Tatbestandes eine dynamische Verweisung auf das Unionsrecht sei. Denn dadurch komme es zu einer aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbaren versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen. Zudem ahnde § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG bloßen Verwaltungsungehorsam gegebenenfalls mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, so dass strenge Anforderungen an die erforderliche Bestimmtheit zu stellen seien, die vorliegend aber nicht erfüllt seien.

26

5. Auch nach Ansicht der Bundesrechtsanwaltskammer ist § 10 RiFlEtikettG verfassungswidrig. Die Blankettverweisung in § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG lasse nicht hinreichend klar erkennen, auf welche Normen verwiesen werde, da die Vorschrift weder eine Bezugsnorm bezeichne, noch das zu schützende Rechtsgut und das Regelungsziel konkret beschreibe, während die Verweisung in § 1 RiFlEtikettG lediglich auf das Regelungsinstrument der Kennzeichnung abstelle. Somit fehle es an der von Art. 103 Abs. 2 GG geforderten gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen der Strafbarkeit, zumal der Gesetzgeber durch die Ermächtigung des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG dem Verordnungsgeber die Entscheidung überlassen habe, Strafbarkeitsanordnungen zu treffen. Eine Strafrechtsnorm in einer Rechtsverordnung, deren Ermächtigungsgrundlage den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht entspreche und somit aufgrund unzureichender Beschreibung des Inhalts der Ermächtigung zwingend auch Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verletze, könne jedoch eine Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nicht rechtfertigen.

B.

27

Die Vorlage ist zulässig.

28

Die vorgelegte Frage, ob § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG mit Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar und daher nichtig ist, ist entscheidungserheblich. Das Landgericht hat in einer den Anforderungen des Art. 100 Abs. 1 GG und des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise dargelegt, dass der Angeklagte - die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG unterstellt - aufgrund seines wissentlichen und willentlichen zum Teil partiellen, zum Teil vollständigen Unterlassens der Etikettierung der festgestellten Rindfleischmengen gemäß §§ 1, 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettStrV und Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 schuldig zu sprechen ist, anderenfalls - bei Verfassungswidrigkeit der Vorschrift - aber aus Rechtsgründen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen werden muss. Diese Auffassung des vorlegenden Gerichts ist nicht offensichtlich unhaltbar (vgl. BVerfGE 7, 171 <175>; 71, 255 <267>; 75, 329 <340>; 105, 61 <67>; 124, 251 <260>).

29

Das Landgericht hält § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG für eine wegen Verstoßes gegen die an Strafbestimmungen zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen unzulässige Blankettstrafnorm und bringt in hinreichender Weise seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift zum Ausdruck.

C.

30

§ 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG genügt den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen der Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nicht (II.) und verstößt zugleich gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (III.). Unionsrechtliche Vorgaben stehen der Überprüfung anhand nationaler verfassungsrechtlicher Maßstäbe vorliegend nicht entgegen (I.).

I.

31

Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ist nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen oder eingeschränkt, weil die bezeichnete Norm in wesentlichen Teilen unionsrechtlich determiniert ist.

32

Die im Grundsatz umfassende Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht kann zwar eingeschränkt sein, wenn eine Vorschrift einen Bezug zum europäischen Gemeinschaftsrecht, heute zum Recht der Europäischen Union, aufweist. So sind innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie oder eine Verordnung der Europäischen Union in deutsches Recht umsetzen, grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes, sondern am Unionsrecht zu messen, soweit die Richtlinie oder die Verordnung den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht (vgl. BVerfGE 73, 339 <387>; 102, 147 <162 ff.>; 118, 79 <95>; 121, 1 <15>; 122, 1 <20>; zur dabei fortbestehenden Identitätskontrolle zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, juris, Rn. 43 ff.). Demgegenüber sind Rechtsvorschriften des nationalen Gesetzgebers, die im Rahmen eines den Mitgliedstaaten verbliebenen Umsetzungsspielraums ergangen sind, der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (vgl. BVerfGE 122, 1 <20 f.>; 129, 78 <90 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, juris, Rn. 39).

33

Vorliegend hindert Unionsrecht die verfassungsrechtliche Prüfung der vorgelegten Vorschrift nicht, da der deutsche Gesetzgeber mit § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG von seinem Spielraum zur Umsetzung der an die Mitgliedstaaten gerichteten Vorgabe des Art. 21 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 sowie des diesen ablösenden, aber insofern gleich lautenden Art. 22 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000, alle erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Verordnung zu treffen, Gebrauch gemacht hat.

II.

34

1. Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Als Gesetz im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG sind nicht nur Gesetze im formellen Sinn zu verstehen, sondern auch Rechtsverordnungen, die im Rahmen von Ermächtigungen ergangen sind, die den Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen (stRspr; vgl. BVerfGE 14, 174 <185>; 14, 245 <251>; 22, 21 <25>; 32, 346 <362>; 38, 348 <371>), sowie aufgrund einer entsprechenden landesgesetzlichen Ermächtigung ergangene Satzungen von Gemeinden (vgl. BVerfGE 32, 346 <362>).

35

Die Bedeutung des Art. 103 Abs. 2 GG erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Art. 103 Abs. 2 GG enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie (stRspr; vgl. BVerfGE 14, 174 <185>; 73, 206 <234>; 75, 329 <340>; 126, 170 <194>; 130, 1 <43>).

36

Durch diese Garantien soll zum einen sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 <120>; 57, 250 <262>; 73, 206 <234 f.>; 75, 329 <341>; 78, 374 <382>; 92, 1 <12>; 126, 170 <194 f.>; 130, 1 <43>; stRspr). Der Gesetzgeber übernimmt mit der Entscheidung über strafwürdiges Verhalten die demokratisch legitimierte Verantwortung für eine Form hoheitlichen Handelns, die zu den intensivsten Eingriffen in die individuelle Freiheit zählt; es ist eine ihm vorbehaltene grundlegende Entscheidung, in welchem Umfang und in welchen Bereichen ein politisches Gemeinwesen gerade das Mittel des Strafrechts als Instrument sozialer Kontrolle einsetzt (vgl. BVerfGE 123, 267 <408>; 126, 170 <194>).

37

Zum anderen hat Art. 103 Abs. 2 GG auch eine freiheitsgewährleistende Funktion (vgl. BVerfGE 75, 329 <341> m.w.N.; 126, 170 <194 f.>). Jeder Teilnehmer am Rechtsverkehr soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.

38

2. a) In seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot enthält Art. 103 Abs. 2 GG dementsprechend die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (stRspr seit BVerfGE 25, 269<285>). Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (vgl. BVerfGE 101, 1 <34>; 108, 282 <312>) und Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Grundsatz der Normenklarheit, vgl. BVerfGE 93, 213 <238>), gelten danach für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass der Normadressat im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht (vgl. BVerfGE 126, 170 <195> m.w.N.).

39

Eine Strafe kann nach Art. 103 Abs. 2 GG nur auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes verhängt werden. Ist der Straftatbestand in einer Verordnung enthalten, müssen somit die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung erkennbar sein (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerfGE 14, 174 <185 f.>; 75, 329 <342>; 78, 374 <382>; stRspr). Der Gesetzgeber hat selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit zu bestimmen und darf diese Entscheidung nicht den Organen der vollziehenden Gewalt überlassen (vgl. BVerfGE 47, 109 <120>; 78, 374 <382>). Erlässt er eine Strafvorschrift, die Freiheitsstrafe androht, muss er - auch in Anbetracht von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG - mit hinreichender Deutlichkeit selbst bestimmen, was strafbar sein soll, und Art und Maß der Freiheitsstrafe im förmlichen Gesetz festlegen (vgl. BVerfGE 14, 245 <251>; 78, 374 <383>) und zwar umso präziser, je schwerer die angedrohte Strafe ist (vgl. BVerfGE 14, 245 <251>; 75, 329 <342>).

40

b) Allerdings muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zur werden (vgl. BVerfGE 28, 175 <183>; 47, 109 <120 f.>; 126, 170 <195>; 131, 268 <307>). Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten (vgl. BVerfGE 14, 245 <251>).

41

Daher schließt das Bestimmtheitsgebot die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus (vgl. BVerfGE 11, 234 <237>; 28, 175 <183>; 48, 48 <56>; 92, 1 <12>; 126, 170 <196>; 131, 268 <306 f.>). Gegen ihre Verwendung bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (BVerfGE 45, 363 <371 f.>; 86, 288 <311>; 131, 268 <307>). Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben (BVerfGE 28, 175 <183>; 86, 288 <311>; 126, 170 <196>; 131, 268 <307>; 134, 33 <81 f. Rn. 112>).

42

c) Der Gesetzgeber muss den Tatbestand nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften verweisen. Solche Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, und wenn diese Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind (vgl. BVerfGE 5, 25 <31>; 22, 330 <346>; 26, 338 <365 f.>; 47, 285 <311>). Dabei kann der Gesetzgeber auch auf Vorschriften eines anderen Normgebers verweisen; denn eine solche Verweisung bedeutet rechtlich nur den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen (vgl. BVerfGE 47, 285 <311 f.> für bundesrechtliche Verweisungen auf Landesrecht). Das gilt auch für Verweisungen auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Union. Unionsrecht und nationales Recht der Mitgliedstaaten sind zwar zwei verschiedene Teilrechtsordnungen. Beide stehen jedoch nicht unverbunden nebeneinander, sondern greifen auf mannigfache Weise ineinander. Diese vielfältige Verschränkung von Unionsrecht und nationalem Recht verbietet es, Verweisungen auf Unionsrecht anders zu beurteilen als Verweisungen auf nationales Recht (vgl. BVerfGE 29, 198 <210>).

43

Die mit einer Verweisung in aller Regel verbundene gesetzestechnische Vereinfachung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der verweisende Gesetzgeber sich den Inhalt von Rechtsvorschriften des anderen Normgebers in der Fassung zu eigen macht, wie sie bei Erlass seines Gesetzesbeschlusses galt (statische Verweisung; vgl. BVerfGE 26, 338 <366>; 47, 285 <312>; 60, 135 <155>; 67, 348 <362 f.>; 78, 32 <35 f.>). Verweist ein Gesetzgeber hingegen auf andere Vorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung), kann dies dazu führen, dass er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und damit der Entscheidung Dritter überlässt. Damit sind dynamische Verweisungen zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit ziehen; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen (vgl. BVerfGE 47, 285 <312 ff.>; 78, 32 <36>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Februar 2016 - 1 BvL 8/10 -, juris, Rn. 75).

44

d) Bei einem Blankettstrafgesetz ersetzt der Gesetzgeber die Beschreibung des Straftatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz oder in anderen - auch künftigen - Gesetzen oder Rechtsverordnungen, die nicht notwendig von derselben rechtsetzenden Instanz erlassen werden müssen (vgl. BVerfGE 14, 245 <252>; 87, 399 <407>). Die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik ist verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern das Blankettstrafgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht (vgl. BVerfGE 14, 245 <252 f.>; 48, 48 <55>; 51, 60 <74>; 75, 329 <342>). Dazu gehört, dass die Blankettstrafnorm die Regelungen, die zu ihrer Ausfüllung in Betracht kommen und die dann durch sie bewehrt werden, sowie deren möglichen Inhalt und Gegenstand genügend deutlich bezeichnet und abgrenzt (vgl. BVerfGE 23, 265 <269>).

45

Das gilt auch für Blankettstrafgesetze, die Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Verbote oder Gebote eines unmittelbar anwendbaren Rechtsakts der Europäischen Union bewehren und zu diesem Zweck auf das Unionsrecht verweisen. Zum einen sind an Verweisungen auf das Unionsrecht keine strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen zu stellen als an solche auf das innerstaatliche Recht (vgl. BVerfGE 29, 198 <210>). Zum anderen ist es dem nationalen Gesetzgeber im Grundsatz verwehrt, unmittelbar anwendbares Unionsrecht im nationalen Recht durch gleichlautende Vorschriften zu wiederholen, da die Normadressaten über den Unionscharakter einer Rechtsnorm nicht im Unklaren gelassen werden dürfen (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1973, Variola, C-34/73, Slg. 1973, S. 981 <990>; Urteil vom 2. Februar 1977, Amsterdam Bulb, C-50/76, Slg. 1977, S. 137 <146 f.>; Urteil vom 28. März 1985, Kommission/Italienische Republik, C-272/83, Slg. 1985, S. 1057 <1074>).

46

Dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot genügen Blankettstrafgesetze jedoch nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe also bereits entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich um-schrieben sind (vgl. BVerfGE 14, 174 <185 f.>; 23, 265 <269>; 37, 201 <208 f.>; 75, 329 <342>; 78, 374 <382 f.>). Zudem müssen neben der Blankettstrafnorm auch die sie ausfüllenden Vorschriften die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen erfüllen (vgl. BVerfGE 23, 265 <270>; 37, 201 <209>; 75, 329 <342, 344 ff.>; 87, 399 <407>).

47

Legt die Blankettstrafnorm nicht vollständig selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz fest, welches Verhalten durch sie bewehrt werden soll, sondern erfolgt dies erst durch eine nationale Rechtsverordnung, auf die verwiesen wird, müssen daher nach Art. 103 Abs. 2 GG und - soweit Freiheitsstrafe angedroht wird - in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Rechtsverordnung vorhersehbar sein (vgl. BVerfGE 14, 174 <185 f.>; 14, 245 <251>; 75, 329 <342>; 78, 374 <382 f.>; stRspr). Um den Grundsatz der Gewaltenteilung zu wahren, darf dem Verordnungsgeber lediglich die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt werden, nicht aber die Entscheidung darüber, welches Verhalten als Straftat geahndet werden soll (vgl. bereits BVerfGE 14, 174 <187>; 14, 245 <251>; 22, 21 <25>; 23, 265 <269 f.>; 75, 329 <342>; 78, 374 <383>). Diese Anforderungen lassen sich sinngemäß auf den Fall übertragen, dass Blankettstrafgesetze auf das Unionsrecht verweisen (vgl. BVerfGK 17, 273 <293>).

48

3. Nach diesen Maßstäben wird § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG den Anforderungen an die nach Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Bestimmtheit nicht gerecht.

49

a) Nach § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG in der zum Tatzeitpunkt am 15. März 2010 geltenden Fassung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG zuwiderhandelt, soweit eine Rechtsverordnung nach Absatz 3 für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist. Gemäß § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG wird das Bundesministerium ermächtigt, soweit es zur Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft erforderlich ist, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach Absatz 1 zu ahnden sind.

50

§ 10 Abs. 1 RiFlEtikettG ist damit eine Blankettstrafnorm, die die Strafandrohung nach Art und Maß der Strafe regelt, den Straftatbestand aber lediglich als Zuwiderhandlung gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG skizziert und dessen genaue Beschreibung letztlich durch die über § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG erfolgende Verweisung auf Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern und durch den Verweis auf die nach § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG ergangene Rechtsverordnung ersetzt.

51

b) § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG lässt jedoch auch in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG nicht hinreichend klar erkennen, welche Verstöße gegen unionsrechtliche Vorgaben sanktioniert werden sollen. Denn § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG benennt durch die Verweisung auf die genannten europäischen Rechtsakte lediglich einen nicht weiter konkretisierten Bezugspunkt erst noch näher zu bestimmender Verhaltensgebote und -verbote. Anstatt selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz festzulegen, welches Verhalten mit Strafe bewehrt werden soll, überlässt § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG es dem Bundesministerium, soweit es zur Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft erforderlich ist, durch Rechtsverordnung nach § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG zu ahnden sind. Da mithin der Verordnungsgeber darüber entscheidet, welches Verhalten strafbar sein soll, lassen sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit nicht schon aufgrund des Gesetzes, sondern erst aufgrund der auf Basis des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG ergangenen Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung voraussehen. Somit handelt es sich um eine unzulässige pauschale Blankoermächtigung zur Umsetzung des Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 durch eine nationale Rechtsverordnung.

52

c) Da § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG nicht hinreichend klar zu entnehmen ist, welche Verstöße gegen unionsrechtliche Vorgaben sanktioniert werden sollen, fehlt es bereits an einem gesetzlich geregelten, wenngleich konkretisierungsbedürftigen Straftatbestand. Damit bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, inwieweit in die Prüfung der Frage, ob der Tatbestand einer Strafnorm im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG gesetzlich bestimmt ist, einzubeziehen ist, ob und in welchem Umfang die Normadressaten aufgrund besonderen Fachwissens imstande sind, den Regelungsinhalt unbestimmter Rechtsbegriffe und von Verweisungen zu verstehen und diesen konkrete Handlungsanforderungen zu entnehmen (vgl. BVerfGE 48, 48 <57>).

III.

53

§ 10 Abs. 3 RiFlEtikettG als Ermächtigungsgrundlage der Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung genügt darüber hinaus auch in Verbindung mit § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG und den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

54

1. a) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. BVerfGE 29, 198 <210>; 58, 257 <277>; 80, 1 <20>; 113, 167 <268 f.>).

55

b) Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (stRspr; vgl. BVerfGE 8, 274 <307>; 80, 1 <20 f.>; 106, 1 <19>; 113, 167 <269>).

56

Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich somit nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. So muss die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, sind höhere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (vgl. BVerfGE 58, 257 <277 f.>; 80, 1 <20 f.>; 113, 167 <269>). Ob hinsichtlich der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geringere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm zu stellen sind als im Fall der Strafbewehrung, kann hier dahinstehen. Dafür spräche jedenfalls, dass die Beurteilung einer Handlung als ordnungswidrig nicht zugleich einen sozialethischen Vorwurf enthält, wie er das Wesen der Kriminalstrafe charakterisiert (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 90, 145 <200 - abw. M.>; 95, 96 <140>; 96, 10 <25>; 96, 245 <249>; 109, 133 <167>; 109, 190 <217>; 120, 224 <240>; 123, 267 <408>; 133, 168 <198 Rn. 54>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, juris, Rn. 58).

57

Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist (vgl. BVerfGE 56, 1 <13>). Dies kann es auch nahe legen, von einer detaillierten gesetzlichen Regelung abzusehen und die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 101, 1 <35>). Ein Bedürfnis, staatliche Regelungen rasch und allgemeinverbindlich und damit gerade durch Rechtsverordnung zu erlassen, kann insbesondere auch aus der Pflicht zur Umsetzung, Durchführung und Ergänzung inter- oder supranationaler Vorgaben resultieren (vgl. dazu BVerfGE 19, 17 <28 ff.>).

58

c) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass zur näheren Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung auch Rechtsakte außerhalb der eigentlichen Verordnungsermächtigung, insbesondere auch Rechtsakte anderer Normgeber, herangezogen werden können (vgl. BVerfGE 19, 17 <31>). So kann der Gesetzgeber in einer Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen auch auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Union verweisen.

59

Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers können sich aus den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an den Einsatz von Verweisungen ergeben. Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, und die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind (vgl. BVerfGE 47, 285 <311>). Auch dynamische Verweisungen sind nicht schlechthin ausgeschlossen, wenngleich ein besonders strenger Prüfungsmaßstab geboten ist. Bei fehlender Identität der Gesetzgeber bedeutet eine dynamische Verweisung mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen und ist daher nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit setzen; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen (vgl. BVerfGE 47, 285 <312 ff.>; 78, 32 <36>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Februar 2016 - 1 BvL 8/10 -, juris, Rn. 75).

60

2. Diesen Anforderungen an eine hinreichende gesetzliche Bestimmtheit von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen wird § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG nicht gerecht.

61

a) Der Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG nicht erkennen lässt, welchem Bundesministerium die Verordnungsermächtigung gilt, da das zur Tatzeit geltende Rindfleischetikettierungsgesetz dazu keine nähere Festlegung enthielt. Nachdem § 2 Abs. 2 RiFlEtikettG in der Ursprungsfassung des Gesetzes vom 26. Februar 1998 (BGBl I S. 380) das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten durch den Klammerzusatz "(Bundesministerium)" als Ermächtigungsadressat bestimmt hatte, ist unter Zuhilfenahme der historischen Auslegung als anerkannter Auslegungsregel mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm davon auszugehen, dass das genannte Bundesministerium unabhängig von seiner jeweiligen Bezeichnung weiterhin Adressat der Verordnungsermächtigung war. Das wird inzwischen auch durch die neu eingefügte Vorschrift des § 3a Abs. 3 RiFlEtikettG in der Fassung des Gesetzes vom 8. Juli 2015 (BGBl I S. 1165) bestätigt.

62

§ 10 Abs. 3 RiFlEtikettG erfüllt aber mangels hinreichender Bestimmtheit nicht die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Inhalt möglicher Regelungen durch Rechtsverordnung ist danach die Bezeichnung von Tatbeständen, die als Straftat nach § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG zu ahnden sind, während § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG zu Zweck und Ausmaß der Ermächtigung nur festlegt, dass die Bezeichnung der Tatbestände der "Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft" dienen und - insofern als einzige Begrenzung - zu deren Durchsetzung "erforderlich" sein muss. Welchem konkreten Bestand an Normen in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft diese Tatbestände zu entnehmen sind, um jene Rechtsakte durchzusetzen, lässt § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG offen.

63

b) Auch in Verbindung mit § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG erfüllt § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht. § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG regelt einzig Art und Ausmaß der Strafe, indem er eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe für eine Zuwiderhandlung gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG androht, soweit der nationale Verordnungsgeber unter Rückverweis auf diese Strafvorschrift die Verletzung eines bestimmten Tatbestands mit Strafe bewehrt hat.

64

§ 10 Abs. 1 RiFlEtikettG fehlt es damit an einer gesetzgeberischen Entscheidung zu Inhalt und Programm der über § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG erteilten Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, so dass weder erkennbar noch vorhersehbar ist, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz der Verordnungsgeber von dieser Ermächtigung und unbegrenzt an ihn delegierten Entscheidungsbefugnis Gebrauch machen wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassene Verordnung haben kann. Bei § 10 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 RiFlEtikettG handelt es sich daher um eine unzulässige pauschale Blankoermächtigung zur Schaffung von Straftatbeständen bei Verstößen gegen gemeinschaftsrechtliche Regelungen zur Rindfleischetikettierung durch den Verordnungsgeber.

65

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch den gesetzesinternen Verweis des § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG auf Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG - mithin auf Rechtsakte über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig, dass eine Vorschrift wie § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG über § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG für die Bestimmung von Zweck und Ausmaß und damit auch für die nähere Eingrenzung des Inhalts der dem Verordnungsgeber erteilten Ermächtigung auf bestimmte gemeinschafts-, heute unionsrechtliche Regelungen verweist.

66

Vorliegend stellt die Blankettnorm des § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG dem Verordnungsgeber indes völlig frei, zu bestimmen, welche Verstöße gegen das in Bezug genommene Gemeinschaftsrecht als strafwürdig angesehen werden. Aus der pauschalen Umschreibung "Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie über die Verkehrsbezeichnung und Kennzeichnung von Fleisch von bis zu zwölf Monate alten Rindern" können die Normadressaten nicht mit der notwendigen Klarheit anhand des Gesetzes erkennen, welche Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts konkret sanktioniert werden sollen. Dies genügt den Anforderungen des Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GG an eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigung des Verordnungsgebers nicht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

2

Der 1992 geborene Kläger reiste eigenen Angaben zufolge im Oktober 2013 nach Deutschland ein und stellte hier einen Asylantrag. Er gab gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - an, im Monat zuvor mit dem Schiff kommend in Italien eingereist zu sein, wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden sei.

3

Das Bundesamt hielt in seiner "Checkliste Aktenabgabe im Dublin-II-Verfahren" (ohne Datum) fest, dass kein Eurodac-Treffer der "Cat 1" (Asylbewerber) vorliege, wohl aber ein solcher der "Cat 2" (illegal Eingereiste). Am 30. Dezember 2013 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien und stützte dies auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung. Da die zuständigen italienischen Stellen hierauf nicht reagierten, wies das Bundesamt das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 3. März 2014 darauf hin, dass das Übernahmeersuchen als angenommen gelte.

4

Mit Bescheid vom 12. März 2014 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag unzulässig ist (Ziffer 1 des Bescheids), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG an (Ziffer 2 des Bescheids). Ein beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde durch Beschluss vom 7. April 2014 abgelehnt. Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung gegen das Urteil hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des Bundesamtsbescheids) zugelassen, hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bundesamtsbescheids) jedoch abgelehnt. Durch Urteil vom 27. August 2014 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat er im Wesentlichen wie folgt begründet: Die auf § 34a AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung der Beklagten sei mit Unionsrecht vereinbar, insbesondere mit den Dublin-Verordnungen zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats von 2003 und 2013. Es könne offenbleiben, welche dieser Verordnungen in einer Situation wie der vorliegenden anwendbar sei, in der das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen während der Geltung der Dublin II-Verordnung gestellt, das hier streitige Überstellungsverfahren aber erst nach Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung eingeleitet worden sei. Es widerspreche nicht dem Unionsrecht, wenn nach § 34a AsylVfG zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen sei. Denn der Wortlaut der Vorschrift sei in einer Weise offen, dass eine Abschiebung nicht ausnahmslos stattfinden müsse, etwa dann nicht, wenn Unionsrecht dem entgegenstehe. Zwar gewährten die Dublin-Regelungen den Mitgliedstaaten insoweit einen gewissen Spielraum, dieser werde aber durch den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Daher sei es unionsrechtlich nicht zulässig, die Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Dies sei bei der Entscheidung über den Vollzug der Überstellungsentscheidung von den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder zu beachten. Insoweit bedürfe es keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts. Die Verlagerung der Entscheidung über die Modalitäten der Überstellung auf die Ausländerbehörden entspreche der föderalen Struktur Deutschlands. Gegen die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung könne nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass eine Überstellung nach Italien nicht mehr möglich sei. Zum einen sei dies nach wie vor der Fall. Im Übrigen könne sich der Kläger auf einen Rückfall der Zuständigkeit auf Deutschland auch nicht berufen, weil Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids in Bestandskraft erwachsen und damit die Zuständigkeitsfrage rechtskräftig geklärt sei.

6

Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts und sieht darin einen Verstoß gegen das im Grundgesetz und im Unionsrecht verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Überstellung eines Asylbewerbers diene nur der Durchsetzung einer Zuständigkeitsregelung. Es sei unverhältnismäßig, hierfür allein das Zwangsmittel einer Abschiebungsanordnung vorzusehen. Eine Abschiebung werde typischerweise mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt. Die Anordnung der Abschiebung schließe bei realistischer Betrachtung das abgestufte Regelungswerk unterschiedlicher Modalitäten der Überstellung aus, wie es das Unionsrecht vorgebe. Es sei auch keine unionsrechtskonforme Auslegung oder Handhabung möglich, da der Inhalt des Begriffs der Abschiebungsanordnung einen zwingenden Imperativ enthalte, von dem nicht abgerückt werden könne. Der Verweis des angefochtenen Urteils auf den Handlungsspielraum der Ausländerbehörden beim Vollzug der Überstellung könne eine unionsrechtskonforme Anwendung nicht gewährleisten. Wenn das Bundesamt eine Überstellung durch Erlass einer Abschiebungsanordnung regele, seien die Ausländerbehörden hieran gebunden. Auch spreche viel dafür, dass das Unionsrecht eine einzige Grundentscheidung über die Unzuständigkeit und die Modalitäten der Überstellung fordere und dabei generell die Möglichkeit einer "freiwilligen Selbstüberstellung" einzuräumen sei.

7

Die Beklagte hält die verfügte Abschiebungsanordnung für rechtmäßig. Die unionsrechtlichen Regelungen machten dem nationalen Gesetzgeber keine Vorgaben, welche der unionsrechtlich zulässigen Überstellungsvarianten er vorzusehen habe. Seit April 2015 werde in den Bescheiden des Bundesamts die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise angeboten, wenn diese mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Hierauf bestehe jedoch kein Rechtsanspruch.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG. Die Rechtsgrundlage ist mit Unionsrecht vereinbar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Entscheidung der Ausländerbehörden über den Vollzug der angeordneten Abschiebung zu beachten. Die Anordnung ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil die Überstellung nach Italien nicht mehr vollzogen werden könnte.

10

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das Asylverfahrensgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), das Aufenthaltsgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

11

Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebung des Klägers nach Italien die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG erfüllt. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung eines Ausländers in den nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Dublin-Verordnungen der Europäischen Union über die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

12

1. Aufgrund der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids steht fest, dass der Asylantrag des Klägers nach § 27a AsylVfG unzulässig ist. Dabei handelt es sich - ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Der Asylantrag ist unzulässig") - nicht um eine Feststellung, sondern um eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylVfG verlangt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - DVBl 2015, 118, 123).

13

2. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, und zwar sowohl mit der hier anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO - und der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin II-VO (ABl. L 222 S. 3) - Dublin-DVO - als auch mit der hier nicht anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -.

14

a) Im vorliegenden Fall ist weiterhin die Dublin II-VO anwendbar. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 der Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift ist die Dublin III-VO erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden, also ab dem 1. Januar 2014. Hier war der Antrag im Oktober 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Darüber hinaus gilt die Dublin III-VO zwar ab dem 1. Januar 2014 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung -, dies aber nur dann, wenn sie nicht bereits vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - BVerwGE 150, 29 Rn. 27). Hier war der Aufnahmeantrag am 30. Dezember 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Eine Anwendbarkeit der Dublin III-VO lässt sich auch nicht aus der Überlegung ableiten, dass mit der hier zu beurteilenden Abschiebungsanordnung das Überstellungsverfahren im Sinne von Art. 29 ff. Dublin III-VO und damit ein eigenständiger Verfahrensabschnitt eingeleitet wurde. Denn die Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO gilt grundsätzlich für alle Anträge auf internationalen Schutz und enthält nur für nach dem Stichtag gestellte Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme eine Rückausnahme. Da der Aufnahmeantrag hier am 30. Dezember 2013 gestellt worden ist, findet folglich auch auf die das Überstellungsverfahren einleitende Abschiebungsanordnung die Dublin II-VO Anwendung.

15

b) Die Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor. Möglich ist danach eine Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist (Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO, Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1e Dublin II-VO, Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO), eine bis zum Besteigen des Beförderungsmittels im Inland von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitete Überstellung (Art. 7 Abs. 1b Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO) und eine bis zur Übergabe an die Behörden des zuständigen Staates eskortierte Überstellung (Art. 7 Abs. 1c Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO -; eine Abgrenzung dieser drei Varianten unternimmt das Urteil des französische Conseil d'Etat vom 11. Oktober 2011 - No. 353002). In welcher dieser Varianten die Überstellung erfolgt, obliegt der Regelungskompetenz des ersuchenden Mitgliedstaats ("gemäß den nationalen Rechtsvorschriften" - so Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, entsprechend Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO).

16

Ein genereller Vorrang der Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers ergibt sich auch nicht daraus, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO (entsprechend Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO) Mitteilungspflichten für den Fall der Überstellung auf eigene Initiative regelt. Denn diese werden ausdrücklich nur für den Fall normiert, dass dem Asylbewerber diese Möglichkeit eingeräumt wird ("gegebenenfalls"). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der hier nicht anwendbaren Dublin III-VO. Nach deren 24. Erwägungsgrund "sollten" sich die Mitgliedstaaten durch entsprechende Information des Antragstellers zwar für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen, ein Vorrang der selbstorganisierten Ausreise ergibt sich daraus jedoch nicht.

17

c) Eine Verpflichtung, dem Asylsuchenden zunächst eine Überstellung ohne Verwaltungszwang zu ermöglichen, ergibt sich auch nicht aus Regelungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) - Rückführungsrichtlinie. Zwar räumt Art. 7 dieser Richtlinie - anders als die Dublin-Regelungen - dem sich unrechtmäßig aufhaltenden Ausländer im Regelfall die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ein, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Die Rückführungsrichtlinie findet grundsätzlich auf alle illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen Anwendung (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie). Hierzu gehören auch illegal aus einem Drittstaat eingereiste Asylbewerber, denen gegenüber das Bundesamt das Bestehen einer Ausreisepflicht festgestellt hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 34a AsylVfG Rn. 11). Die Dublin-Verordnungen sind hinsichtlich der Modalitäten einer Überstellung aber leges speciales gegenüber den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie.

18

Das ergibt sich schon daraus, dass die Rückführungsrichtlinie die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger regelt. Dieses Ziel ist mit einer freiwilligen Ausreise zu erreichen, die hierfür das mildeste und damit vorrangige Mittel darstellt. Die Überstellungsregelungen der Dublin-Verordnungen dienen hingegen dem Zweck, dass der Asylbewerber im Rahmen eines behördlich überwachten Verfahrens den Behörden des für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats übergeben wird oder sich selbst bei diesen meldet. Erst mit dem Eintreffen bei der zuständigen Behörde ist die Überstellung vollzogen, bis zu diesem Zeitpunkt läuft die maßgebliche Überstellungsfrist (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 77). Kommt es nicht zu einer fristgerechten Überstellung, geht die Zuständigkeit auf den überstellenden Mitgliedstaat über (vgl. Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO). Eine freiwillige Ausreise im Sinne des Art. 7 Rückführungsrichtlinie vermag den von den Dublin-Regelungen erstrebten Übergang der Verantwortlichkeit auf den zuständigen Mitgliedstaat nicht zu begründen. Deshalb kennen die Dublin-Verordnungen auch nicht das Institut der freiwilligen Ausreise. Jede Dublin-Überstellung ist eine staatlich überwachte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat, auch wenn sie auf Initiative des Asylbewerbers und ohne Anwendung von Verwaltungszwang erfolgt (vgl. Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO). Sie muss hinsichtlich der Orts- und Terminabstimmung immer behördlich organisiert sein (vgl. Art. 7 bis 10 Dublin-DVO).

19

3. § 34a AsylVfG steht in der vom Senat vorgenommenen Auslegung auch mit dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

20

a) Nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen von Grundrechten (hier: der Freizügigkeit nach Art. 6 GR-Charta) nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und unter anderem den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GR-Charta). Die gesetzliche Regelung des § 34a AsylVfG dient der Gewährleistung einer den Regeln der Dublin-Verordnungen entsprechenden Überstellung eines Asylantragstellers und damit dem Funktionieren des einheitlichen europäischen Asylsystems. Dies ist ein Gemeinwohlziel im Sinne von Art. 78 Abs. 2 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. - Rn. 79 ff.).

21

Der deutsche Gesetzgeber durfte die Anordnung von Verwaltungszwang auch als grundsätzlich erforderlich zur Durchführung einer fristgerechten Überstellung nach der Dublin-Verordnung ansehen. In den Gesetzgebungsmaterialien wird die Notwendigkeit einer Abschiebungsanordnung damit begründet, dass eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann und die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise in den Drittstaat im Allgemeinen nicht besteht (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 23 zur Rückführung in einen sicheren Drittstaat). Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 wurde die Regelung auf Überstellung in Dublin-Verfahren erweitert (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 218). Die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Ausreise ist deshalb erheblich erschwert, weil der Ausländer zwar regelmäßig ein Recht auf Einreise in den Staat seiner Staatsangehörigkeit besitzt, nicht aber in einen anderen Staat, in dem sein Asylantrag nach den Regeln des Dublin-Verfahrens geprüft werden soll. Zudem ist eine Überstellung ohne staatliche Begleitung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO im Regelfall auch deshalb kein gleich geeignetes Mittel wie die Überstellung im Wege der Abschiebung, weil ihr Erfolg von der Kooperationsbereitschaft des Asylantragstellers abhängt und die Nichtbeachtung der Überstellungsfristen einen Zuständigkeitswechsel zur Folge hat. Dabei trägt der überstellende Staat die Konsequenzen aus der Wahl einer in der Praxis ungeeigneten Überstellungsmethode (so auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, S. 290 Anm. K2).

22

Die nationale Umsetzung der Dublin-Regelungen durch ein Regel-Ausnahme-System zugunsten der behördlich überwachten Überstellung entspricht auch der Handhabung in anderen am Dublin-Verfahren teilnehmenden Staaten. So hat das Schweizerische Bundesgericht mit Urteil vom 11. November 2013 (2 C 861/2013 - BGE 140 II 74) entschieden, dass die behördlich organisierte Überstellung Vorrang gegenüber einer solchen ohne Verwaltungszwang genießt. Es hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass zur Erfüllung der Pflichten nach den Dublin-Verordnungen sichergestellt sein muss, dass der zu überstellende Asylbewerber auch tatsächlich an seinem Bestimmungsort ankommt. Deshalb kommt die freiwillige Rückkehr nach der zitierten Entscheidung nur dann in Betracht, wenn keine Veranlassung zu der Annahme besteht, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet wird.

23

b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit im föderalen Gefüge Deutschlands durch die mit dem Vollzug der Überstellungsentscheidung betrauten Ausländerbehörden der Länder Rechnung getragen werden kann. Zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit sind diese Behörden auch nach nationalem Recht verpflichtet.

24

Die für den Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG zuständige Ausländerbehörde darf zwar für den Regelfall davon ausgehen, dass eine Überstellung im Sinne der Dublin-Verordnungen nur im Wege des Verwaltungszwangs vollzogen werden kann, sei es durch Begleitung des Ausländers bis zum Besteigen des Transportmittels, sei es durch Eskortierung bis zur verantwortlichen Behörde im zuständigen Mitgliedstaat. Allerdings kann im Einzelfall ausnahmsweise auch die Überstellung ohne behördliche Überwachung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO geeignet sein, einen Asylbewerber fristgerecht in die Obhut der Behörden im zuständigen Mitgliedstaat zu bringen. Das ist z.B. denkbar in Fällen der von ihm gewünschten Familienzusammenführung in dem anderen Mitgliedstaat. Die Initiative hierzu muss jedoch vom Asylbewerber ausgehen und er muss sich vorbehaltlich einer entgegenstehenden Regelung (vgl. etwa Art. 30 Abs. 3 Dublin III-VO) grundsätzlich auch die finanziellen Mittel für die Ausreise beschaffen. Erscheint nach Prüfung der Umstände des konkreten Falles eine rechtzeitige Überstellung auch bei einer selbstorganisierten Ausreise gesichert, muss die für den Vollzug zuständige Ausländerbehörde dem Ausländer diese Möglichkeit einräumen. Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur wegen des Eingriffs in die persönliche Freiheit durch den mit einer Abschiebung verbundenen unmittelbaren Zwang, sondern auch wegen der durch eine vollzogene Abschiebung bewirkten Einreisesperre gemäß § 11 AufenthG, die den Ausländer zusätzlich belastet.

25

Eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung obliegt den Vollstreckungsbehörden auch nach nationalem Verwaltungsvollstreckungsrecht. So hat die Vollstreckungsbehörde nach § 19 Abs. 2 des hier maßgeblichen LVwVG Baden-Württemberg bei der Wahl unter verschiedenen geeigneten Vollstreckungsmitteln dasjenige anzuwenden, das den Pflichtigen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Aber auch im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwangs - wie er eine Abschiebung kennzeichnet - ist unter verschiedenen Formen des unmittelbaren Zwangs das jeweils mildeste Mittel zu wählen (vgl. Deusch/Burr, Beck'scher Online-Kommentar VwVG, Stand 1. Juli 2015, § 12 Rn. 4). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet auch in der Rechtsprechung zum sogenannten "Austauschmittel" Ausdruck. Kommen zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es nach dieser Rechtsprechung, wenn eines davon bestimmt wird. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel (Austauschmittel) anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird (vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 30. Oktober 1991 - 3 S 2273/90 - juris). Auch hier hat aber die Initiative zur Wahl eines anderen Mittels vom Betroffenen auszugehen - wie bei der selbstorganisierten Überstellung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO. Durch die den Ausländerbehörden übertragene Prüfung, ob im Einzelfall ausnahmsweise vom Vollzug der Überstellung im Wege der Abschiebung abgesehen werden kann, wird - entgegen der Auffassung der Revision - auch dem nationalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, soweit für diesen neben dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch Raum besteht.

26

Schon der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Zuweisung der Verantwortung an die Ausländerbehörden, die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall herzustellen, unter Umständen eine Verdoppelung von Rechtsbehelfen zur Folge hat. Denn der Asylantragsteller, der seinen Antrag in Deutschland beschieden haben will, muss im Falle einer für ihn nachteiligen Zuständigkeitsentscheidung zunächst Rechtsmittel gegen die Verfügung des Bundesamts einlegen und im Fall eines Unterliegens in diesem Verfahren ein zweites gerichtliches Verfahren gegen die Ausländerbehörde einleiten, wenn er seine Überstellung ohne Verwaltungszwang durchsetzen will. Dies ist jedoch die Folge der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit in einem föderal gegliederten Staatswesen und entspricht auch der Praxis in anderen föderal gegliederten Staaten wie etwa der Schweiz (Zuständigkeit der Kantonsbehörden; vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 75). Zudem erlaubt sie die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, die erst nach Erlass des Bundesamtsbescheids eingetreten sind, etwa die nachträgliche Aufnahme von Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat, mit denen der Antragsteller zusammengeführt werden möchte. Auch lässt sich regelmäßig erst in diesem Verfahrensstadium konkretisieren, in welcher Form der Asylsuchende an seiner Überstellung mitwirken kann.

27

c) Der Senat weist darauf hin, dass eine etwaige vom Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsanordnung festgesetzte Sperrfrist nach § 11 AufenthG keine Geltung für Fälle der Überstellung ohne Verwaltungszwang nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO besitzt. Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsanordnung allein reicht hierfür nicht. Ferner kann die (nachträgliche) Reduzierung einer festgesetzten Sperrfrist bei Kooperation des Ausländers im Rahmen einer zwangsweisen Überstellung geboten sein, die im Einzelfall sogar zu einer Reduzierung der Sperre auf Null führen kann.

28

4. Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids steht nicht entgegen, dass dieser keine Belehrung über die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung ohne Verwaltungszwang bei der für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde enthält, was die Revision rügt.

29

Zwar ist nach Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO von der zuständigen Behörde "gegebenenfalls der Zeitpunkt und der Ort zu nennen, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt". Entsprechende Angaben enthält der angefochtene Bescheid des Bundesamts nicht. Es kann offenbleiben, ob das Fehlen entsprechender Angaben überhaupt Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung hat. Denn bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass entsprechende Angaben nur dann zu machen sind ("gegebenenfalls"), wenn dem Asylbewerber die Möglichkeit der Überstellung auf eigene Initiative eingeräumt wird. Das war hier nicht der Fall und würde zudem - wie oben ausgeführt - der Zuständigkeit der Ausländerbehörde obliegen. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist aber der Bescheid des Bundesamts und nicht die nachgelagerte Entscheidung der Ausländerbehörde.

30

Allerdings entspricht es dem Ziel der Transparenz des Dublin-Verfahrens, wenn das Bundesamt die Betroffenen auch ohne ausdrückliche Rechtspflicht auf die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung auf eigene Initiative bei der Ausländerbehörde gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO hinweist und damit der Zielstellung des 24. Erwägungsgrund der Dublin III-VO ("sollte") Rechnung trägt.

31

5. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt auch das gesetzliche Erfordernis des § 34a Abs. 1 AsylVfG, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Der Durchführbarkeit der Abschiebung steht insbesondere nicht ein Verstreichen der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO entgegen. Es kann offenbleiben, ob sich der Kläger überhaupt auf einen möglichen Fristablauf und den damit verbundenen Zuständigkeitswechsel berufen könnte. Denn die Überstellungsfrist war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht verstrichen.

32

Maßgebend sind insoweit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die Dublin-Regeln für die Aufnahme. Diese finden auf Asylantragsteller Anwendung, für die ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO vorliegen, etwa weil er sich in dem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, bevor er in denjenigen eingereist ist, in dem er erstmals einen Asylantrag gestellt hat. Hingegen finden die Regeln über die Wiederaufnahme Anwendung, wenn einer der Tatbestände des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO erfüllt ist, wenn der Asylbewerber also - anders als hier - schon in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat.

33

Hier finden aus folgenden Gründen die Regeln über die Aufnahme (Art. 19 Dublin II-VO) Anwendung: Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Kläger in Italien einen Asylantrag gestellt hat, das hat dieser auch selbst gar nicht behauptet. Auch das Bundesamt hat die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers aus dessen Ersteinreise in dieses Land abgeleitet (Eurodac-Treffer nach Cat 2, nicht nach Cat 1). Dem entsprechend hat es sein Übernahmeersuchen an Italien vom 30. Dezember 2013 auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO - illegaler Grenzübertritt - gestützt und nicht auf ein dortiges Asylverfahren gemäß Art. 13 Dublin II-VO. Damit finden die Regeln über die Aufnahme eines Asylantragstellers Anwendung und die Beantwortungsfrist für Italien betrug zwei Monate (Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO). Auf die Zwei-Monats-Frist nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO hat sich auch das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid vom 12. März 2014 bezogen, um den erfolgten Zuständigkeitsübergang auf Italien zu begründen.

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Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Regeln über die Wiederaufnahme und damit von der Annahme des an Italien gerichteten Gesuchs schon nach zwei Wochen gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO ausgegangen. Sind aber die Fristen für ein Aufnahmegesuch maßgeblich, war die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO zum auch für die Revisionsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom 27. August 2014 noch nicht abgelaufen.

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6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Ausländerbehörde kann gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen.

(2) Einem Ausländer kann die Ausreise in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Im Übrigen kann einem Ausländer die Ausreise aus dem Bundesgebiet nur untersagt werden, wenn er in einen anderen Staat einreisen will, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse zu sein. Das Ausreiseverbot ist aufzuheben, sobald der Grund seines Erlasses entfällt.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

I.

Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

II.

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird in Abänderung von Nr. I des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2015 der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung insgesamt abgelehnt.

III.

In Abänderung von Nr. II des Beschlusses trägt die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

IV.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners richten sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen versammlungsrechtliche Beschränkungen in Bezug auf einen Sternmarsch anlässlich des G7-Gipfels in Elmau teilweise angeordnet der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Übrigen jedoch abgelehnt worden ist.

Durch Allgemeinverfügung vom 29. April 2015, die am 5. Mai 2015 im Amtsblatt des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen bekanntgegeben wurde, richtete der Antragsgegner im Umgriff des Schlosses Elmau, in dem am 7. und 8. Juni 2015 der G7-Gipfel stattfindet, sowie jeweils seitlich entlang der nach Elmau führenden Mautstraße ab der Mautstelle in der Zeit vom 30. Mai 2015 bis 9. Juni 2015 einen Sicherheitsbereich ein (Nr. 1 der Allgemeinverfügung), zu dem nur die am G7-Gipfel teilnehmenden Gäste und deren Begleitpersonen Zutritt erhalten. Personen, die ein besonderes berechtigtes Interesse am Betreten des Sicherheitsbereichs nachweisen, können auf Antrag eine Betretungserlaubnis erhalten (Nr. 2 der Allgemeinverfügung).

Mit Bescheid vom 28. Mai 2015 beschränkte der Antragsgegner unter anderem den Streckenverlauf zweier im Rahmen eines Sternmarsches am 7. Juni 2015 als „Route 4 - Klais“ (im Folgenden: Route 4) und „Route 5 - Mittenwald“ (im Folgenden: Route 5) von der Antragstellerin im Namen des Aktionsbündnisses STOP G 7 - Elmau angemeldeter Demonstrationen. Die Beschränkung der Route 4, die um 8.00 Uhr am Bahnhof Klais beginnen und von dort auf der Mautstraße nach Elmau führen sollte und für die nach der Anmeldung etwa 500 Teilnehmer erwartet werden, besteht darin, dass der Demonstrationszug am nahegelegenen Anwesen Bahnhofstraße 18 zu enden hat. Die Demonstration auf der Route 5, die um 8.00 Uhr am Bahnhof Mittenwald beginnen und von dort über die Arnspitzstraße, die Viererspitzstraße, die Karwendelstraße, die Innsbrucker Straße und die Ferchenseestraße am Lautersee vorbei nach Elmau führen sollte, wird dahingehend beschränkt, dass die Route stattdessen über die Bahnhofstraße, die Hochstraße, den Fritz-Prölß-Platz, die Partenkirchener Straße, die Straße Am Anger, die Goethestraße, den Schlipferweg, den Gröblweg, die Straße Am Kalvarienberg, den Parkplatz am Kranzbergsessellift und Kaffeefeld und sodann über die Wanderwege Nr. 828, 826 und 812 bis zur Gabelung der Wanderwege Nr. 812 und Nr. 807 verläuft, wobei der Wanderweg Nr. 807 nicht betreten werden darf (Nr. 1.2.2 des Bescheids).

Unter anderem gegen diese Beschränkungen in Nr. 1.2.2 des Bescheids vom 28. Mai 2015 sowie gegen Nr. 1 und 2 der Allgemeinverfügung vom 29. April 2015 erhob die Antragstellerin Klage und beantragte gleichzeitig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bezüglich der unter Nr. 1.2.2 des Bescheids vom 28. Mai 2015 verfügten Streckenänderungen der Routen 4 und 5 (Nr. II des Antrags), hilfsweise bezüglich der unter Nr. 1.2.2 des Bescheids verfügten Streckenänderungen der Route 5 (Nr. II.a des Antrags), hilfsweise dazu bezüglich der unter Nr. 1.2.2 des Bescheids verfügten Streckenänderungen der Route 4 (Nr. II.b des Antrags), hilfsweise dazu bezüglich der unter Nr. 1.2.2 verfügten Streckenänderungen der Route 4 mit der Maßgabe, dass den Versammlungsteilnehmern aufgegeben wird, sich auf der ursprünglich von den Antragstellern angemeldeten Route 4 lediglich in Zweierreihen fortzubewegen (Nr. II.c), hilfsweise dazu bezüglich der unter Nr. 1.2.2 verfügten Streckenänderungen der Route 4 mit der Maßgabe, dass den Versammlungsteilnehmern aufgegeben wird, sich auf der ursprünglich von den Antragstellern angemeldeten Route 4 lediglich in einer Reihe (sog. Gänsemarsch) fortzubewegen (Nr. II.d des Antrags), und schließlich hilfsweise dazu bezüglich der unter Nr. 1.2.2 verfügten Streckenänderungen der Route 4 mit der Maßgabe, dass lediglich einer Anzahl von bis zu 50 Versammlungsteilnehmern gestattet wird, sich bis in Ruf- und Sichtweite des Schlosses Elmau zu bewegen und dort Transparente zu zeigen und Sprechchöre (auch mit Hilfe von Handmegaphonen) anzustimmen (Nr. II.e des Antrags). Außerdem beantragte die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 1 und 2 der Allgemeinverfügung vom 29. April 2015 wiederherzustellen, soweit es für die Durchführung der ursprünglich von den Veranstaltern beantragten Versammlungsrouten erforderlich ist (Nr. III des Antrags).

Mit Beschluss vom 5. Juni 2015 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage an, soweit die Antragstellerin hilfsweise beantragt hat, die in Nummer 1.2.2 des Bescheides vom 28. Mai 2015 angeordnete Streckenänderung der Route 4 der Versammlung mit der Maßgabe aufzuheben, dass es einer Anzahl von bis zu 50 Versammlungsteilnehmern gestattet wird, sich in Hör- und Sichtweite des Schlosses Elmau aufzuhalten und dort Transparente zu zeigen und Sprechchöre (auch mit Hilfe von Handmegaphonen) anzustimmen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erfolgte dabei unter der Auflage, dass weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen des Antragsgegners zu dulden sind, die dem Schutz von der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgütern dienen, insbesondere dass sich die Versammlungsteilnehmer außerhalb des inneren Sicherheitsbereichs 1 auf einer ihnen vom Antragsgegner zugewiesenen Fläche aufzustellen haben und den gleichen Personenkontrollen unterliegen wie andere Personen (Journalisten u. a.), denen der Zutritt zu dem eingerichteten Sicherheitsbereich gewährt wird. Im Übrigen lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab.

Das Verwaltungsgericht sah die Änderung der Versammlungsrouten als nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG zulässig an. Die Einrichtung eines Ringverkehrs für den Rettungs- und Evakuierungsverkehr in Form eines ohne Gegenverkehr nutzbaren Straßensystems auf den angemeldeten Routen 4 und 5 sei zur Gewährleistung der Sicherheit der am Tagungsort versammelten rund 5.000 Personen und einer ausreichend gesicherten Protokollstrecke zwingend notwendig. Das Erfordernis einer uneingeschränkten Nutzungsmöglichkeit beider Strecken schließe unter Berücksichtigung der von den jeweiligen Demonstrationen ausgehenden Blockadegefahr die von der Antragstellerin begehrte parallele Nutzung durch die von der Antragstellerin begehrte parallele Nutzung durch Versammlungsteilnehmer auch dann aus, wenn diese sich in Zweierreihen oder im Gänsemarsch fortbewegten. Auf der Mautstraße, auf der sich Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit bewegten, bestehe darüber hinaus ein nicht hinnehmbares Verletzungsrisiko für die Versammlungsteilnehmer.

Soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung anordnete, begründete es dies im Wesentlichen damit, dass die vom Antragsgegner angestellte Gefahrenprognose die Verkürzung der Route 4 nicht trage, wenn die Demonstration in Form einer auf 50 individualisierbare Teilnehmer beschränkten (stationären) Protestkundgebung in Hör- und Sichtweite des Tagungsortes in Elmau stattfinde, ein fahrzeuggebundener Personentransport an den Kundgebungsort erfolge und für die im Sicherheitsbereich stattfindende Versammlung weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen zugunsten der öffentlichen Sicherheit erfolgten. Von wenigen Versammlungsteilnehmern ausgehende Sicherheitsstörungen könnten durch ein noch vertretbares Aufgebot an Polizeikräften rasch unterbunden werden. Hingegen komme eine sich zu Fuß von Klais nach Elmau fortbewegende Versammlung im Hinblick auf die Funktion der Mautstraße als Not- und Rettungsweg und als Protokollstrecke ebensowenig in Betracht wie eine Kundgebung im inneren Sicherheitsbereich, den der Antragsgegner zum Schutz der Gipfelteilnehmer, vor allem der besonders gefährdeten Staatsgäste, und zur Gewährleistung eines störungsfreien Ablaufs der staatlichen Veranstaltung unmittelbar am Tagungsort eingerichtet habe. Darüber hinaus seien weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen erforderlich. Den Versammlungsteilnehmern sei eine Aufstellfläche zuzuweisen, die den störungsfreien Ablauf des Gipfelgeschehens und den Schutz sonstiger bedeutender Rechtsgüter wie etwa der Sicherheit des Flugverkehrs gewährleiste. Im Hinblick auf die Beanspruchung der dort tätigen Polizeikräfte sei auch eine zeitliche Beschränkung der Kundgebung im Sicherheitsbereich denkbar. Außerdem komme eine Beschränkung in Betracht, durch die den Versammlungsteilnehmern in gleicher Weise wie den Pressevertretern aufgegeben werde, den Versammlungsort in einem Fahrzeug zu erreichen und beim Einlass in den Sicherheitsbereich Personenkontrollen hinzunehmen.

Schließlich hält das Verwaltungsgericht die Klage bezüglich der Allgemeinverfügung für voraussichtlich unbegründet, weil den Versammlungsteilnehmern nach deren Nr. 2 eine Betretenserlaubnis zu erteilen und die Allgemeinverfügung auch im Übrigen nicht zu beanstanden sei.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts haben sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner Beschwerde erhoben.

Die Antragstellerin macht im Wesentlichen geltend, die Beschränkungen hinsichtlich der Routen 4 und 5 seien nicht gerechtfertigt. Angesichts der Breite der betreffenden Straßen könne der Fahrverkehr durch geeignete Anordnungen gesichert werden. Einer Blockadegefahr könne durch polizeiliche Anordnungen und durch die sich vor Ort befindenden Polizeikräfte wirksam begegnet werden. Ebenso könne dem Verletzungsrisiko für die Versammlungsteilnehmer durch geeignete Maßnahmen entgegengewirkt werden. Außerdem komme als milderes Mittel eine Beschränkung auf 500 oder weniger Personen in Betracht. Auch die Hilfsanträge der Antragstellerin zeigten Möglichkeiten auf, dem Begehren der Versammlungsteilnehmer, ihr Anliegen in hinreichender Nähe zum Versammlungsort sichtbar zu machen, Rechnung zu tragen. Soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung angeordnet habe, seien die damit verbundenen Beschränkungen nicht akzeptabel. Die Maßgabe, dass weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen des Antragsgegners zu dulden seien, verletze den Bestimmtheitsgrundsatz. Die im Tenor als weitere Beschränkung genannte Personenkontrolle beinhalte auch die Feststellung der Personalien und verstoße gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Sie sei geeignet, die Teilnehmer von der Wahrnehmung ihres Versammlungsrechts abzuhalten und laufe auf eine Durchleuchtung der politischen Gesinnung der Betroffenen hinaus. Eine solche Kontrolle sei auch nicht erforderlich, weil die Teilnehmer einer Versammlung leichter überwachbar seien als sich im Sicherheitsbereich frei bewegende Journalisten und weil der Versammlungsleiter jedenfalls bei höchstens 50 Personen in der Lage sei, den sicheren Verlauf der Versammlung zu gewährleisten. Die Versammlungsteilnehmer könnten notfalls auch im Nachhinein individualisiert werden. Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass die Versammlungsteilnehmer zum Versammlungsort im Sicherheitsbereich transportiert werden müssten, könne dies nur durch die Polizei geschehen. Darin liege aber ein Verstoß gegen elementare Grundsätze des Versammlungsrechts. Schon der Anschein einer Lenkung einer Kundgebung widerspreche dem grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsteilnehmer könnten als Alibidemonstranten erscheinen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen und unter Abänderung der Nr. I des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2015 die aufschiebende Wirkung ihrer Klage nach Maßgabe von Nr. II, hilfsweise Nr. II.a bis II.e, und III ihres erstinstanzlichen Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen, den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München aufzuheben, soweit darin die aufschiebende Wirkung angeordnet worden ist, und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in vollem Umfang abzulehnen.

Er ist der Ansicht, sämtliche Routenbeschränkungen seien durch die Durchführung des G7-Gipfels als einer rechtmäßigen Veranstaltung des Staates gerechtfertigt. Das Verwaltungsgericht habe daher die aufschiebende Wirkung der Klage zu Unrecht teilweise angeordnet. Die verfügte Auflage sei zu unbestimmt. Es ergebe sich nicht in hinreichender Weise, wie die konfligierenden Interessen der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG und dem sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Auftrag zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben sowie zur Sicherung der Durchführung der internationalen Konferenz zu einem konkordanten Ausgleich gebracht werden könnten. Unbestimmt seien nicht nur die Begriffe der Sicht- und der Hörweite, sondern auch die weiteren Auflagen, weil sie bei der Zuweisung des Kundgebungsstandorts den Schutz des störungsfreien Ablaufs des Gipfels und etwaige andere bedeutende Rechtsgüter berücksichtigen müssten. Dies gelte auch für eine zeitliche Beschränkung und die Personenkontrollen. Auch gebe es für die Auflage weder nach Prozessrecht noch nach materiellem Recht eine Rechtsgrundlage. Die Delegation von 50 Personen sei keine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG. Eine Auswahl dieser Personen allein durch die Antragstellerin verletze die Versammlungsfreiheit der übrigen Demonstranten. Auch gewähre Art. 8 Abs. 1 GG kein Leistungsrecht auf Bereitstellung einer Versammlungsfläche oder auf einen Transport zum Versammlungsort durch von behördlicher Seite zur Verfügung gestellte Fahrzeuge, der hier, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt habe, unerlässlich sei. Letztlich handele es sich bei der vom Verwaltungsgericht verfügten Auflage nicht um ein milderes Mittel gegenüber den Beschränkungen des Bescheids. Die Dimension eines Abwehrrechts im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung könne nicht zu einem Teilhabeanspruch modifiziert werden. Das Verwaltungsgericht lasse auch offen, wie die Delegationslösung rechtlich vertretbar durchgeführt werden könne. Die Antragstellerin könne die Delegationsteilnehmer nicht für den Antragsgegner verbindlich auswählen, weil sie nicht über die Ausübung der Grundrechte Dritter entscheiden könne. Auch binde die Auflage, andere versammlungsrechtliche Beschränkungen des Antragsgegners zu dulden, nur die Antragstellerin, nicht aber den Mitanmelder oder andere Mitglieder des Aktionsbündnisses STOP G7 - Elmau. Der Umsetzung der Maßgaben des Verwaltungsgerichts stünden erhebliche konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen. Es sei mit einer erheblichen Zahl gewalttätiger Störer zu rechnen. Selbst von 50 Teilnehmern könnten Sicherheitsstörungen ausgehen. Die Auflösung einer Sitzblockade von 50 Personen nehme 90 Minuten in Anspruch. Es sei nicht vertretbar, das besondere Sicherheitsniveau durch den Einlass einer Delegation in den Sicherheitsbereich zu konterkarieren, zumal wenn diese möglicherweise an einem Blockadetraining oder ähnlichen taktischen Schulungen teilgenommen hätten, die es ihnen ermöglichten, sich der polizeilichen Begleitung zu entziehen. Im Übrigen stehe dem Beschluss des Verwaltungsgerichts die für rechtmäßig erachtete Allgemeinverfügung entgegen. Darin sei das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfassend abgewogen worden. Es könne daher ein besonderes berechtigtes Interesse am Betreten des Sicherheitsbereichs nicht mehr rechtfertigen. Der kommunikative Zweck der Versammlung der Antragstellerin werde schließlich nicht verfehlt. Der Protest könne auf andere Weise medial wirksam vermittelt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die jeweiligen Beschwerdebegründungen und Beschwerdeerwiderungen vom 5. und 6. Juni 2015 Bezug genommen.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zurückzuweisen. Demgegenüber hat die Beschwerde des Antragsgegners Erfolg.

1. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt nicht zu dem Ergebnis, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin in weitergehendem Umfang hätte anordnen müssen. Vielmehr wird sich die Klage, soweit der Bescheid vom 28. Mai 2015 Gegenstand des Eilverfahrens ist, im Hauptsacheverfahren voraussichtlich in vollem Umfang als unbegründet erweisen.

a) Dies gilt zunächst, soweit sich die Klage gegen die Beschränkung des Streckenverlaufs der Routen 4 und 5 in Nr. 1.2.2 des Bescheids vom 28. Mai 2015 richtet, im Hinblick auf die die Antragstellerin mit Nr. II ihres Antrags die Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt.

Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann eine Versammlung unter freiem Himmel beschränkt werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (BVerfG, B. v. 6.6.2007 - 1 BvR 1423/07 - juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfG, B. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 17).

Das Verwaltungsgericht hat dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Bescheid vom 28. Mai 2015 angeordneten Beschränkungen der Demonstrationen auf den Routen 4 und 5 rechtmäßig sind, weil bei Durchführung dieser Versammlungen die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist, und die Beschränkungen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

aa) Es ist davon ausgegangen, dass zur Gewährleistung der Sicherheit der am Tagungsort versammelten rund 5.000 Personen die Einrichtung eines gegenverkehrfreien Ringverkehrs für den Rettungs- und Evakuierungsverkehr über die Mautstraße, die als Aufzugstrecke der Demonstration auf der Route 4 dienen soll, und die Ferchenseestraße, auf der die Demonstration auf der Route 5 stattfinden soll, sowie eine ausreichend gesicherte Protokollstrecke tatsächlich zwingend erforderlich ist. Es legt außerdem dar, dass dies die parallele Nutzung dieser Straßen durch die Versammlungsteilnehmer, deren Zahl vom Veranstalter mit 500 angegeben wird, selbst in Zweierreihen oder im Gänsemarsch insbesondere im Hinblick auf die von den Versammlungsteilnehmern ausgehende Blockadegefahr ausgeschlossen ist, die das Gericht nicht zuletzt mit den Erfahrungen aus früheren Großveranstaltungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2007, und damit begründet hat, dass das Aktionsbündnis als Veranstalter des Sternmarsches selbst zu Blockaden aufgerufen und im Internet ein entsprechendes Blockadekonzept veröffentlicht hat. Neben dem Leben und der Gesundheit der in Elmau anwesenden Personen, sowie dem Schutz der Staatsgäste und der Durchführung der von der Bundesregierung einberufenen internationalen Konferenz als einer rechtmäßigen Veranstaltung des Staates, die jeweils selbstständig vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst sind (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.2007 - 1 BvR 1423/07 - juris Rn. 26 und 28), hat das Verwaltungsgericht bei einer Unpassierbarkeit der Rettungswege darüber hinaus das Leben und die Gesundheit der Versammlungsteilnehmer selbst als unmittelbar gefährdet angesehen, weil auf der Mautstraße, die gegebenenfalls mit hoher Geschwindigkeit und von überbreiten Fahrzeugen befahren werde, ein hohes Verletzungsrisiko bestehe.

Diese Gefahrenprognose hat die Antragstellerin nicht substantiiert angegriffen. Mit der Erforderlichkeit eines gegenverkehrfreien Ringverkehrs für den Rettungs- und Evakuierungsverkehrs über die Mautstraße und die Ferchenseestraße setzt sie sich ebenso wenig auseinander wie mit der Notwendigkeit, diese Straßen uneingeschränkt als Rettungs-, Evakuierungs- und Protokollstrecke nutzen zu können, und der Blockadegefahr, die von den Demonstrationsteilnehmern ausgeht. Auch zieht sie die Beeinträchtigung des Ringverkehrs durch die Demonstration auf der Route 5 nicht in Zweifel, die das Verwaltungsgericht auf die Stellungnahme des Roten Kreuzes vom 2. Mai 2015 (wohl irrtümlich 20. Mai 2014) stützt, nach der eine Demonstration auf dieser Straße auch in Zweierreihen bei der angemeldeten Zahl der Teilnehmer unweigerlich zu einer Blockade des Rettungsweges führen würde und es den Versammlungsteilnehmern in weiten Teilen nicht möglich wäre auszuweichen, weil eine Ausweichmöglichkeit aus Platzmangel nicht besteht.

bb) Vielmehr beschränkt sich die Antragstellerin darauf, die Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen der Demonstrationen auf den Routen 4 und 5 in Zweifel zu ziehen.

Insoweit macht sie geltend, angesichts der Breite der Mautstraße könne der Fahrverkehr durch geeignete Beschränkungen wie die Verpflichtung, nur eine Straßenseite zu nutzen oder in Zweierreihen oder im Gänsemarsch zu gehen, gesichert werden. In Betracht kämen insbesondere wohl für die Ferchenseestraße Beschränkungen, mit denen die Versammlungsteilnehmer verpflichtet würden, an breiten Straßenstellen zu halten oder die Versammlung vorübergehend zu teilen. Jedoch lässt sich aus diesen Ausführungen die Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Beschränkungen nicht herleiten. Denn diese Beschränkungen sind nicht geeignet, die auch von der Antragstellerin nicht in Abrede gestellte Blockadegefahr zu beseitigen. Auch kann die Blockadegefahr entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht durch polizeiliche Anordnungen und durch die große Zahl der vor Ort befindlichen Polizeikräfte wirksam verhindert werden. Denn da auch ein Mitglied des Aktionsbündnisses STOP G7 - Elmau dazu aufgerufen hat, an einem Blockadetraining teilzunehmen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Blockaden trotz der Anwesenheit einer großen Zahl von Polizeibeamten nicht sicher verhindert oder erst nach einiger Zeit durch die Polizei wieder aufgelöst werden können.

Angesichts der erheblichen Blockadegefahr spielt es auch keine Rolle, dass wie die Antragstellerin meint, die Gefahr für die Demonstranten durch die die Mautstraße mit hoher Geschwindigkeit befahrenden Fahrzeuge möglicherweise durch Warnung der betreffenden Fahrzeuge und der Demonstranten verringert werden könnte. Soweit die Antragstellerin darüber hinaus eine Begrenzung der Versammlungsteilnehmer auf 500 oder weniger als geeignete Beschränkung vorschlägt, trägt sie nicht vor, auf welche Zahl von Teilnehmern die Versammlung begrenzt werden müsste, damit eine Blockadegefahr nicht mehr bestünde. Denn angesichts des Blockadekonzepts des Veranstalters des Sternmarsches und der zu erwartenden Teilnahme von blockadegeschulten Demonstranten besteht die Gefahr von Blockaden auch bei einer geringeren Teilnehmerzahl fort.

b) Schließlich kommt im Hinblick auf die von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogene Notwendigkeit eines Ringverkehrs auch nicht die alternative Beschränkung des Streckenverlaufs der Demonstrationen auf den Routen 4 und 5 in Betracht, um es den Versammlungsteilnehmern zu ermöglichen, in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort des G7-Gipfels zu demonstrieren, wie die Antragstellerin dies hilfsweise mit Nr. II.a und II.b ihres Antrags begehrt. Denn der Ringverkehr ist auf beiden Strecken durch die Demonstration gefährdet. Wie ausgeführt, steht die konkrete Blockadegefahr schließlich auch der in Nr. II.c und II.d des Antrags der Antragstellerin hilfsweise beantragten Versammlung auf der Route 4 in Zweierreihen oder im Gänsemarsch entgegen.

c) Die Klage hat in der Hauptsache voraussichtlich auch insoweit keinen Erfolg, als die Antragstellerin mit Nr. II.e ihres Antrags die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die unter Nr. 1.2.2 des Bescheids vom 28. Mai 2015 verfügten Streckenänderungen der Route 4 hilfsweise mit der Maßgabe begehrt, dass einer Anzahl von bis zu 50 Versammlungsteilnehmern gestattet wird, sich bis in Ruf- und Sichtweite des Schlosses Elmau zu bewegen und dort Transparente zu zeigen und Sprechchöre (auch mit Hilfe von Handmegaphonen) anzustimmen.

Zwar hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Demonstration auf der Route 4 teilweise angeordnet, weil es davon ausgeht, dass die für eine unbegrenzte, sich auf den Tagungsort zubewegende Menschenmenge geltende Gefahrenprognose nicht das in der Streckenbeschränkung enthaltene Verbot einer zahlenmäßig stark begrenzten, von individualisierbaren Teilnehmern veranstalteten Protestkundgebung in Hör- und Sichtweite des Tagungsortes des G7-Gipfels trage. Es hat aber gleichwohl auch eine auf höchstens 50 Teilnehmer beschränkte Versammlung, die sich auf der Mautstraße zu Fuß zum Kundgebungsort in Hör- und Sichtweite von Schloss Elmau bewegt, als Versammlung angesehen, bei deren Durchführung die öffentliche Sicherheit im Hinblick auf die Notwendigkeit eines gegenverkehrfreien Ringverkehrs für den Rettungs- und Evakuierungsverkehr und das Freihalten der Protokollstrecke sowie das Verletzungsrisiko für die Demonstranten aufgrund des Befahrens der Mautstraße mit hoher Geschwindigkeit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG unmittelbar gefährdet ist und deshalb durch den Ausschluss dieses Streckenabschnitts beschränkt werden kann.

Dies zieht die Antragstellerin mit der Beschwerde aber nur insoweit in Zweifel, als sie vorbringt, eine Blockade könne bei einer Teilnehmerzahl von 50 Personen durch vorsorgende Anordnungen wie Gänsemarsch oder polizeiliche Begleitung schon im Ansatz verhindert und eine etwaige Blockade in wenigen Minuten beseitigt werden. Abgesehen davon, dass im Falle eines Notfalls auch wenige Minuten etwa den Abtransport von Verletzten oder das Anrücken der Feuerwehr so erheblich verzögern können, dass dies zu nicht unerheblichen Schäden führen kann, ist angesichts des Blockadekonzepts des Aktionsbündnisses STOP G7 Elmau und des Aufrufs eines seiner führenden Vertreter zur Teilnahme an einem Blockadetraining, wie ausgeführt, die Gefahr von Blockaden trotz vorbeugender Maßnahmen der Polizei auch bei einer kleineren Gruppe von Demonstranten gegeben. Angesichts dessen ist aber die Ansicht des Verwaltungsgerichts, ein Aufzug auf der Mautstraße stelle eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, die seine Untersagung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG rechtfertige, nicht zu beanstanden.

Kommt damit aber eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich einer solchen Versammlung auch bei einer Begrenzung auf 50 Personen nicht in Betracht, so kommt es auf die im Übrigen von der Antragstellerin geltend gemachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Verwaltungsgericht angeordneten Maßgaben und Auflagen nicht entscheidungserheblich an.

2. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

Der Antragsgegner wendet sich mit der Beschwerde insbesondere gegen die Maßgaben und Auflagen, mit denen das Verwaltungsgericht die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin versehen hat. Er macht insoweit namentlich geltend, § 80 Abs. 5 VwGO stelle dafür keine Rechtsgrundlage dar. Dies trifft im Ergebnis zu, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wie sie das Verwaltungsgericht vorgenommen hat, aufzuheben und der Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO insgesamt abzulehnen ist.

Im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist dem Gericht bei seiner Entscheidung ein Gestaltungsspielraum insoweit eingeräumt, als es dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nur teilweise stattgeben und dies gemäß § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO zudem nach pflichtgemäßem Ermessen von Auflagen abhängig machen kann (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Oktober 2014, § 80 Rn. 426 f. und 436 ff.; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 86 ff.; Gersdorf in BeckOK VwGO, Stand: 1.10.2013, § 80 Rn. 193). Die nur teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung setzt die Teilbarkeit des Verwaltungsakts voraus. Dessen Vollzugsfähigkeit muss in der Weise teilbar sein, dass der von der Herstellung der aufschiebenden Wirkung erfasste Teil als „abspaltbares Minus“ gegenüber der gesamten Regelung qualifiziert werden kann (Schoch, a. a. O., Rn. 426; Gersdorf, a. a. O., Rn. 193 jeweils m. w. N.).

Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die versammlungsrechtliche Beschränkung in Form der verfügten Streckenänderung der Route 4 durch die streitbefangenen Bescheide nur insoweit angeordnet, als diese Beschränkung auch eine (stationäre) Protestkundgebung mit einer Anzahl von bis zu 50 Versammlungsteilnehmern in Hör- und Sichtweite des Tagungsorts Schloss Elmau betrifft. Diese Protestkundgebung am Tagungsort hat das Verwaltungsgericht dabei als einen abtrennbaren Teil der Gesamtregelung (Beschränkung der Route 4) und nicht als ein aliud zu der unter anderem durch die Antragstellerin angezeigten Versammlung angesehen, weil davon auszugehen sei, dass die beabsichtigte Meinungskundgabe (auch) dieses Teils des Sternmarsches vor allem unmittelbar vor Ort in der Nähe des Tagungshotels stattfinden solle und daher die Gestattung einer zahlenmäßig begrenzten Protestkundgebung vor Ort prozessual als Minus gegenüber den weitergehenden Klageanträgen zur Verlegung der Versammlungsrouten 2 bis 5 zu werten sei. Den von der Route 4 nach Maßgabe des erstinstanzlichen Antrags II.e mit umfassten Teil eines Aufzugs der Versammlungsteilnehmer vom Ausgangspunkt in Klais über die Mautstraße nach Elmau hat das Verwaltungsgericht dagegen im Hinblick auf die von einer sich auf der Mautstraße fortbewegenden Versammlung ausgehenden Gefahren als nicht hinnehmbar erachtet, so dass insoweit eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht in Betracht kam.

Um dem erforderlichen Interessenausgleich zwischen einem wirksamen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) der Versammlungsteilnehmer auf Verwirklichung ihres Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und ihres besonderen kommunikativen Anliegens einerseits und dem staatlichen Vollzugsinteresse an der Beschränkung dieser Route wegen des besonderen Gefahrenpotenzials einer Protestkundgebung in Hör- und Sichtweite des Tagungsortes andererseits hinreichend Rechnung zu tragen, hat das Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegenüber der Antragstellerin von der Auflage im Sinne von § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO abhängig gemacht, dass weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen dieser stationären Protestkundgebung durch den Antragsgegner zu dulden sind, insbesondere solche zur Zuweisung einer Aufstellfläche, einer zeitlichen Beschränkung dieses Versammlungsteils, zu Personenkontrollen der Versammlungsteilnehmer in der Sicherheitszone und zu einem fahrzeuggebundenen Transport der Versammlungsteilnehmer zum Versammlungsort. Derartige verbindliche versammlungsrechtliche Beschränkungen hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung selbst jedoch nicht getroffen, sondern diese vielmehr der zuständigen Versammlungsbehörde in Kooperation mit dem Veranstalter dieser Versammlung (vgl. dazu Art. 14 Abs. 1 BayVersG) anheimgestellt.

Diese Beurteilung der Teilbarkeit der auf die Demonstration auf der Route 4 bezogenen versammlungsrechtlichen Beschränkung des Antragsgegners und die auf dieser Grundlage erfolgte Vorgehensweise des Erstgerichts gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 und 4 VwGO sind jedoch letztlich aufgrund einer inzwischen geänderten Sachlage nicht mehr aufrechtzuerhalten. Zwar durfte das Verwaltungsgericht auf der Grundlage gerade auch der Einlassungen der Antragstellerin im Eilverfahren davon ausgehen, dass eine Beschränkung der Versammlung bezüglich der angezeigten Route 4 nach Maßgabe des im Eilverfahren gestellten Antrags Nr. II.e auf eine zeitlich begrenzte stationäre Protestkundgebung vor Ort den Charakter der Versammlung nicht so verändert, dass dies auf die Durchführung einer ganz anderen, von der Antragstellerin bislang nicht beantragten Versammlung hinauslaufen würde, weil dadurch der vom Zeitpunkt, dem Motto, dem Erscheinungsbild und dem Veranstaltungsort geprägte Charakter der Versammlung wesentlich verändert würde (vgl. dazu BVerfG, B.v. 16.11.2002 - 1 BvQ 47/02 - juris Rn. 4; B.v. 24.3.2001 - 1 BvQ 13/01 - juris Rn. 33). Auch ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass in bestimmten außergewöhnlichen Situationen eine zeitliche und örtliche Begrenzung einer als Aufzug geplanten und angemeldeten Versammlung auf eine stationäre Versammlung versammlungsrechtlich zulässig und damit hinnehmbar ist (BVerfG, B.v. 10.5.2006 - 1 BvQ 14/06 - juris Rn. 15).

Diese Bewertung ist allerdings durch den Senat im für seine Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt vor allem im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin neu vorzunehmen. Denn die Antragstellerin hat in ihrer Beschwerdebegründung mehrfach unmissverständlich klargestellt, dass der vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorausgesetzte fahrzeuggebundene Transport der Versammlungsteilnehmer zum Kundgebungsort auch unter Einbeziehung der sonstigen Entscheidungsgründe des Erstgerichts letztlich nur ein polizeilicher Transport sein könne, ein solcher unter polizeilicher Aufsicht durchgeführter Transport mit (Polizei-)Fahrzeugen aber nicht nur einen eklatanten Widerspruch zur grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit darstelle, sondern als „unerträglich“ kategorisch abgelehnt werde. Durchführbare bzw. praktikable Alternativen, die in der dargelegten außergewöhnlichen Situation dem erforderlichen Interessenausgleich gerecht würden, werden aber weder von der Antragstellerin noch vom Antragsgegner aufgezeigt. Vielmehr machen beide Seiten aus unterschiedlichen Gründen geltend, dass eine stationäre Versammlung vor Ort unter dieser Voraussetzung rechtlich und tatsächlich nicht möglich sei. Demnach ist es aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs gerade auch im Hinblick auf die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters dieses Sternmarsches nicht mehr gerechtfertigt, weiterhin von einem abtrennbaren Abschnitt der angemeldeten Versammlung auf der Route 4 und nicht von einem aliud der angezeigten Versammlung auszugehen. Dementsprechend ist dann aber auch eine teilweise Stattgabe nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO von der richterlichen Gestaltungsbefugnis im Rahmen dieser Bestimmung nicht mehr gedeckt.

Ist aber, wie im Rahmen der Beschwerde der Antragstellerin dargelegt, auch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung im vollen Umfang des Antrags Nr. II.e der Antragstellerin nicht möglich, so ist mangels Rechtsgrundlage für die getroffene Regelung der Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern, soweit er die aufschiebende Wirkung der Klage anordnet, und der Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO insgesamt abzulehnen. Eines Eingehens auf die Einwände, die der Antragsgegner im Übrigen gegen die vom Verwaltungsgericht angeordneten Maßgaben und Auflagen vorgebracht hat, bedarf es nicht mehr.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.