Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 10. Aug. 2017 - 3 A 2263/16 HGW

bei uns veröffentlicht am10.08.2017

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Der Kläger ist Eigentümer des gewerblich genutzten Grundstücks G1, in einer Größe von 9.181 m². Das Grundstück, das an die von der Stadt Barth betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigungsanlage angeschlossen ist, ist aus dem Grundstück G2 hervorgegangen. Dieses Grundstück hatte der Kläger auf Grundlage des notariellen Kaufvertrages vom 27. Oktober 1992 – UR-Nr. 2112 des Notars G.M. in Ribnitz-Damgarten – zu einem Kaufpreis von umgerechnet 17,90 EUR/m² von der Stadt Barth erworben.

3

In § 6 Abs. 3 „Gewährleistung“ des Vertrages heißt es in Bezug auf den Kaufgegenstand:

4

Es handelt sich um ein voll erschlossenes Grundstück.

5

Der Anschluss des zuvor dezentral entsorgten Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage erfolgte ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten enthaltenen „Anschlusslaufkarte“ im August 1993.

6

Mit Bescheid vom 16. März 2015 zog der Beklagte den Kläger zu einem Anschlussbeitrag (Schmutz- und Niederschlagswasser) i.H.v. 89.000,35 EUR heran. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2016 zurück.

7

Am 14. Dezember 2016 hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, seine Heranziehung sei rechtswidrig. Es sei zweifelhaft, ob die Anschlussbeitragssatzung ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Ungeachtet dessen hätten die Beteiligten mit der Wendung „voll erschlossenes Grundstück“ eine Vereinbarung getroffen, nach der die Stadt Barth den Kläger von Beitragsforderungen freizustellen habe. Diese Vereinbarung sei wirksam. Insbesondere verstoße sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot. Das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Kommunalabgabengesetz 1991 habe keine Beitragserhebungspflicht normiert, sondern die Beitragserhebung in das Ermessen der beitragsberechtigten Körperschaft gestellt.

8

Der Kläger beantragt,

9

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16. März 2015 – Nr. 15-5041 – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 17. November 2016 aufzuheben.

10

Der Beklagte beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er ist der Auffassung, bei der fraglichen Klausel handele es sich lediglich um eine Beschaffenheitsvereinbarung. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei die Erschließung des klägerischen Grundstücks gerade erst erfolgt. Eine Freistellung von der Erhebung von Anschlussbeiträgen sei nicht vereinbart worden. Dies nicht zuletzt deshalb nicht, weil die Stadt Barth zum damaligen Zeitpunkt erst mit der Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungsanlagen begonnen hatte und die Kosten nicht abschätzbar gewesen seien. Damit sei nicht absehbar gewesen, in welcher Höhe der Kläger freigestellt worden wäre.

13

Mit Beschluss vom 26. April 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

16

Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt Barth (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015.

17

1. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 27.01.2015 – 3 B 844/14 –, juris). Ihre öffentliche Bekanntmachung erfolgte gemäß § 12 Nr. 1 der Hauptsatzung der Stadt Barth vom 6. November 2008 i.d.F. der 5. Änderung vom 4. Januar 2013 durch das Internet. Fehler sind insoweit nicht erkennbar. Die fehlerhafte – wenngleich unschädliche – Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (VG Greifswald, a.a.O. Rn. 26) ist von der Stadt Barth in der genannten Änderungssatzung ersatzlos gestrichen worden. Auch die in § 5 ABS normierten Beitragssätze begegnen keinen Bedenken. Zwar war die Kalkulation des Beitragssatzes für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung (Beitragssatz I) von 4,28 EUR/m² zunächst fehlerhaft, weil bei dem Ansatz der Klärwerkskosten die auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt wurden. Dieser Fehler wirkt sich jedoch nicht aus, da der rechnerisch ermittelte (höchstzulässige) Beitragssatz auch bei einer aufwandsmindernden Berücksichtigung dieser Auslastungsanteile über dem in der Anschlussbeitragssatzung normierten (abgesenkten) Beitragssatz liegt. Daher konnte der Fehler durch die in dem Verfahren 3 A 1031/15 (vgl. die Sitzungsniederschrift vom 27. Juli 2017 sowie VG Greifswald, Urt. v. 27.07.2017 – 3 A 1330/14 –, S. 8 ff. des Entscheidungsumdrucks) abgegebene „Heilungserklärung“ i.S.d. § 2 Abs. 3 KAG M-V beseitigt werden. Weil sich die Fehlerheilung auf die Wirksamkeit der Anschlussbeitragssatzung auswirkt, kommt ihr eine „inter-omnes-Wirkung“ zu. Sie ist daher auch in Verfahren zu beachten, in denen eine solche Erklärung nicht abgegeben wurde.

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

19

a. So ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Anschluss des Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der am 27. Juli 2017 erfolgten Heilung der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 nach § 2 Abs. 3 KAG M-V entstanden (s.o.).

20

Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt Barth vom 26. August 2010 ist unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet (VG Greifswald, Urt. v. 29.22.2012 – 3 A 678/11 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks). Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen wiesen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt Barth (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

21

b. Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

22

c. Schließlich steht die Vereinbarung in § 6 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages der Beitragserhebung nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist damit keine Freistellung von öffentlichen Grundstückslasten vereinbart worden.

23

aa. Das Verwaltungsgericht ist nicht wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit an der Prüfung der in § 6 Abs. 3 getroffenen Vereinbarung gehindert. Die Frage des zulässigen Rechtsweges kann nicht mit Blick auf § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, auf sich beruhen. Denn bei dem vom Kläger geltend gemachten Freistellungsanspruch handelt es sich nicht um einen „rechtlichen Gesichtspunkt“ des Rechtsstreits im Sinne dieser Regelung, sondern um ein selbstständiges Gegenrecht. Solche Gegenrechte werden von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht erfasst, denn die Vorschrift soll lediglich eine einheitliche Sachentscheidung durch das Gericht ermöglichen, wenn derselbe prozessuale Anspruch auf mehreren, eigentlich verschiedenen Rechtswegen zugeordneten Anspruchsgrundlagen beruht (OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.07.2015 – 12 W 1374/15 –, juris Rn. 29; VG Bremen, Urt. v. 01.10.2008 – 5 K 3144/07 –, juris Rn. 26).

24

Für die Prüfung des Einwandes ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Nach dem Vortrag des Klägers haben die Parteien des Grundstückskaufvertrages mit der Wendung „Es handelt sich um ein voll erschlossenes Grundstück“ eine Freistellungsvereinbarung getroffen, die die Erhebung von Anschlussbeiträgen für das Grundstück ausschließt. Dieser Vortrag ist der Rechtswegprüfung zugrunde zu legen. Ob er zutrifft, ist eine Frage der Sachprüfung. Dies zugrunde gelegt, handelt es sich bei der streitigen Vereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Damit ist der Streit um die Auslegung der Vereinbarung als öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO anzusehen. Der Erlass eines Vorbehaltsurteils analog § 302 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 173 VwGO scheidet mithin aus. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

25

Grundsätzlich handelt es sich bei einer Freistellungsvereinbarung um eine zivilrechtliche Vereinbarung, mit der die gesetzliche Regelung über die Tragung öffentlicher Grundstückslasten abbedungen wird. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses galt § 436 BGB a.F., wonach der Verkäufer eines Grundstücks nicht für die Freiheit des Grundstücks von öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten haftet, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind. Es darf bei der rechtlichen Einordnung der Vereinbarung aber nicht verkannt werden, dass bei Verträgen zur Abbedingung der gesetzlichen Kostentragungslast – sei es der nach § 436 BGB a.F., sei es der nach § 436 BGB in der aktuell gültigen Fassung – in der Regel keine der Vertragsparteien zugleich auch Gläubiger des (aktuellen oder künftigen) Abgabenanspruchs ist. Es ist vielmehr so, dass die Abbedingungsvereinbarung zwischen dem (aktuellen oder künftigen) Schuldner des Abgabenanspruchs und dem Grundstückskäufer getroffen wird. Weil das Bestehen oder Nichtbestehen öffentlicher Grundstückslasten wertbildend ist, ist es sinnvoll, durch eine Freistellungsvereinbarung festzulegen, wer diese Lasten im Innenverhältnis zu tragen hat. Der Abgabengläubiger ist von dieser Vereinbarung nicht betroffen.

26

Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Stadt Barth nicht nur Partei des Grundstückskaufvertrages, sondern eben auch Gläubigerin des Abgabenanspruchs ist. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war sie potentielle Gläubigerin eines Abgabenanspruchs, denn § 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) gab ihr die Befugnis zur Erhebung von Anschlussbeiträgen. Dies hat zur Folge, dass mit der Freistellungsvereinbarung nicht nur im Innenverhältnis der Vertragsparteien bestimmt wurde, wer die Kosten der von der Vereinbarung erfassten Erschließungsmaßnahmen trägt. Da der Beitragsanspruch grundstücksbezogen ist und neben dem Grundstückseigentümer bzw. Erbbauberechtigten (vgl. § 8 Abs. 2 KAG 1991) kein weiterer Abgabenschuldner existiert, umfasst der Abschluss einer Freistellungsvereinbarung notwendigerweise einen Verzicht auf die Abgabenerhebung. Da öffentliche Abgabenansprüche nur einem Hoheitsträger zustehen können, handelt es sich bei einem Verzicht bzw. – wie hier – Vorausverzicht um eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung, die der Prüfungskompetenz des Verwaltungsgerichts unterliegt.

27

Weil der Streit eine vertragliche Vereinbarung betrifft, greift auch die abdrängende Sonderzuweisung in § 40 Abs. 2 Satz 1 zweite Var. VwGO nicht.

28

bb. Die Vereinbarung in § 6 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages steht der Beitragserhebung nicht entgegen. Zwar bestehen keine Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Insbesondere scheidet die Annahme eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB aus. Eine Beitragserhebungspflicht bestand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht, denn nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1991 stand die Erhebung von Anschlussbeiträgen im Ermessen der beitragsberechtigten Körperschaften. Eine Pflicht zur Beitragserhebung ist erst durch § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 begründet worden (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 10.08.2017 – 3 A 403/15 –).

29

Jedoch haben die Beteiligten mit der Wendung „Es handelt sich um ein voll erschlossenes Grundstück“ keine Freistellung von der Erhebung der vorliegend allein streitigen Anschlussbeiträge vereinbart. Bei der Vertragsklausel handelt es sich vielmehr um eine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 459 Abs. 1 BGB a.F. Für die rechtliche Einordnung der nach ihrem Wortlaut nicht eindeutigen Vereinbarung sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblich, wobei insbesondere die Interessenlage der Vertragsparteien bei Vertragsschluss in den Blick zu nehmen ist.

30

Danach ist von einer Beschaffenheitsvereinbarung auszugehen. Hierfür sprechen zunächst systematische Erwägungen. Die Vereinbarung ist in den § 6 „Gewährleistung“ aufgenommen worden. Dies spricht dafür, dass sie sich auf die Begründung von Nachbesserungs- bzw. Sekundäransprüchen bezieht. Vornehmlich aber die Interessenlage spricht für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung. Nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden § 459 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. haftet der Verkäufer einer Sache dem Käufer dafür, dass sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Die Kaufsache ist fehlerhaft, wenn ihre physische Beschaffenheit von der vertraglich Vereinbarten abweicht. Von der Beschaffenheitsvereinbarung können auch Beziehungen der Kaufsache zur Umwelt, wie z.B. die abwasserseitige Erschließung eines Baugrundstücks erfasst sein (OLG Hamm, Urt. v. 18.03.2002 – 22 U 86/00 –, juris Rn. 10). Weichen die Umweltbeziehungen von der vertraglichen Vereinbarung ab, liegt ein zum Mangel führender Fehler vor (OLG Naumburg, Urt. v. 08.11.2005 – 3 U 41/05 –, juris Rn. 7). Der Kläger hatte ein Interesse an einer Beschaffenheitsvereinbarung, denn er hatte die Absicht und war nach § 8 Abs. 1 des Kaufvertrages sogar verpflichtet, auf dem Kaufgrundstück ein Autohaus zu betreiben. Diese Nutzung erfordert die wege- und die leitungsmäßige Erschließung des Grundstücks. Die dafür erforderlichen Anlagen bzw. Anlagenteile im Erschließungsgebiet „Mastweg“ hatte die Stadt Barth kurz zuvor in Eigenregie herstellen lassen. Der Grundstücksanschluss, also die Verbindung zwischen dem Hauptsammler und dem Grundstück, wurde erst nach dem Vertragsschluss im August 1993 hergestellt. Die Vereinbarung in § 6 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages bezog sich damit auf konkrete Erschließungsmaßnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der angestrebten gewerblichen Nutzung des Grundstücks.

31

Für vom Kläger favorisierte Annahme einer Freistellungsvereinbarung i.S.d. § 436 BGB a.F. finden sich dagegen keine überzeugenden Argumente. Gegen eine solche Annahme spricht zunächst, dass eine Freistellungsvereinbarung den Notaren geläufig ist und üblicherweise in einem eigenen Abschnitt des Vertrages ausdrücklich formuliert wird. Dies fehlt hier.

32

Hinzu kommt, dass die Stadt Barth zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Abwasserbeseitigung noch nicht zuständig war. Die Abwasserbeseitigungspflicht ist den Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern erst mit dem Inkrafttreten des Landeswassergesetzes (LWaG) am 1. Dezember 1992 als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 LWaG i.V.m. § 56 Satz 1 Wasserhaushaltsgesetz – WHG –) übertragen worden. Dies schlägt auf die Zuständigkeit für die Abgabenerhebung durch, denn dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits in Kraft getretene Kommunalabgabengesetz 1991 allein begründet keine Befugnis zur Abgabenerhebung. Hinzukommen muss, dass die Gemeinde für die Durchführung der abgabenpflichtigen Maßnahme sachlich zuständig ist (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 15.06.2017 – 3 A 247/13 –, S. 15 des Entscheidungsumdrucks). Dies ist – wie dargelegt – erst seit dem 1. Dezember 1992 der Fall. Die Freistellung von Anschlussbeiträgen wäre von der Stadt A-Stadt daher außerhalb ihrer damaligen Zuständigkeit vereinbart worden.

33

Zudem darf nicht verkannt werden, dass die Stadt Barth mit der Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung gerade erst begonnen hatte. Wichtige zentrale Einrichtungen wie das Klärwerk wurden erst Mitte der 1990er Jahre hergestellt. Die Kosten und die Größe der Gesamtanlage, die ihre Endausbaustufe nach dem aktuellen Abwasserbeseitigungskonzept der Stadt Barth nicht vor dem Jahr 2028 erreichen soll, waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht abschätzbar. Eine Beitragssatzung fehlte ebenso, wie eine Beitragskalkulation. Damit war die Höhe der auf das Kaufgrundstück entfallenden Beitragsbelastung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ermittelbar. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Herstellungskosten der zentralen Abwasserbeseitigung im Rahmen der Kaufpreisbildung bereits berücksichtigt waren.

34

Abweichendes folgt schließlich nicht aus der vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung.

35

Die Erwägungen in dem Urteil des OLG Rostock vom 14. Dezember 2006 (– 7 U 33/06 –) können auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden, denn die Entscheidung betrifft ein anderes Regelungssystem. Streitig war die Erstattung eines Baukostenzuschusses. Baukostenzuschüsse werden im Rahmen eines zivilrechtlichen Entgeltsystems auf Grundlage des § 9 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) erhoben. Im Unterschied zur Beitragserhebung für leitungsgebundene Anlagen nach dem Kommunalabgabengesetz beruht die Erhebung von Baukostenzuschüssen nach der AVBWasserV nicht auf dem Gesamtanlagenprinzip (vgl. hierzu § 2 Abs. KAG M-V). Es werden nicht die Kosten der Gesamtanlage in ihrer Endausbaustufe nach den aus dem Vorteilsprinzip folgenden Maßgaben auf die Beitragspflichtigen umgelegt. Stattdessen erfolgt die Kostenermittlung in einem wesentlich kleinteiligeren Rahmen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 AVBWasserV umfasst der Baukostenzuschuss die Kosten für die Erstellung oder Verstärkung von derörtlichen Versorgung dienenden Verteilungsanlagen. Zudem sind die Herstellungskosten solcher Verteilungsanlagen verhältnismäßig einfach zu ermitteln und verteilen (vgl. 9 Abs. 2 AVBWassV: Kosten für einen Meter Versorgungsleitung multipliziert mit der Straßenfrontlänge des Grundstücks). Auch insoweit unterscheidet sich die AVBWasserV von dem aufwändigen System der Vorteilsermittlung und -verteilung nach dem Kommunalabgabengesetz. Bei dieser Sachlage ist die Annahme vertretbar, dass der Kläger jenes Verfahrens bei Vertragsschluss schutzwürdig davon ausgehen konnte, dass die Herstellungskosten der Trinkwasserhauptleitung bei der Kaufpreisbildung berücksichtigt worden waren. Für den vorliegenden Fall gibt die Entscheidung dagegen nichts her.

36

Die entscheidungstragende Annahme, der Kläger jenes Verfahrens habe darauf vertrauen dürfen, dass die Erschließungskosten – hier die Kosten der trinkwasserseitigen Erschließung – bereits bei der Kaufpreisbildung berücksichtigt worden und damit im Kaufpreis enthalten seien (OLG Rostock, Urt. v. 14.12.2006 – 7 U 33/06 –, S. 6 des Entscheidungsumdrucks), kann auch deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, weil eine solche Auslegung zur Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrages führen würde. Erschließungskosten sind im Kaufpreis nicht gesondert ausgewiesen. Dies ist bei einem Grundstücksverkäufer – auch einem kommunalen Grundstücksverkäufer – prinzipiell unproblematisch, nicht aber bei einem kommunalen Grundstücksverkäufer, der – wie vorliegend die Stadt Barth – Gläubiger eines künftigen Beitragsanspruchs ist. Zwar kann ein solcher Anspruch durch Vertrag abgelöst werden. Auch kann die Ablösung des Beitrags in einem Grundstückskaufvertrag erfolgen. Allerdings muss in einem solchen Fall der Ablösebetrag gesondert ausgewiesen werden. Ein „verdeckte“ Ablösung ist unzulässig (OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2004 – 1 M 10/04 –, juris Rn. 12) und führt zur Nichtigkeit des Vertrages.Es kann aber nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien eine rechtliche Konstruktion bei Vertragsabschluss haben wählen wollen, die sich bei einer gerichtlichen Prüfung als nichtig erweisen würde (vgl. OVG Greifswald a.a.O.).

37

Die vom Kläger weiter zitierten Entscheidungen (BGH, Urt. v. 02.07.1993 – V ZR 157/92 –, juris und OLG Hamm, Urt. v. 05.05.1988 – 22 U 297/87 –, juris) betreffen Grundstückskaufverträge, die ausdrückliche Vereinbarungen über die im Kaufpreis enthaltenen Erschließungskosten aufweisen. Die Entscheidungen sind daher auf den vorliegenden Fall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass solche Vereinbarungen fehlen, nicht übertragbar. Die Wendung „voll erschlossen“, auf die der Kläger seine gesamte Argumentation stützt, wird in den (veröffentlichten) Entscheidungsgründen überhaupt nicht erwähnt.

38

cc. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung schließlich hat vortragen lassen, er hätte den Kaufvertrag nie abgeschlossen, wenn ihm bewusst gewesen sei, dass er neben dem Kaufpreis noch Anschlussbeiträge zu entrichten habe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Vertrauensschutzgesichtspunkte können bereits deshalb nicht greifen, weil die fehlerhafte Interpretation einer Vertragsklausel keinen Vertrauenstatbestand begründet. Im Übrigen besteht Anlass zu dem Hinweis, dass der vereinbarte Kaufpreis von umgerechnet 17,90 EUR/m² für ein gewerblich nutzbares Baugrundstück zumindest nicht als besonders hoch erscheint.

39

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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Tenor 1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Antragstellern als Gesamtschuldnern auferlegt. 3. Der Streitwert beträgt 986,91 EUR. Gründe I. 1 Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlus

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Antragstellern als Gesamtschuldnern auferlegt.

3. Der Streitwert beträgt 986,91 EUR.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Die Antragsteller sind Eigentümer des Wohngrundstücks Flurstück G1 in einer Größe von 487 m². Sie haben das Grundstück auf Grundlage eines notariellen Kaufvertrages vom 18. April 1991 von der Stadt A-Stadt erworben.

3

Nach § 1 des Kaufvertrages ist das Grundstück erschlossen zu liefern. Nach § 2 des Vertrages hat die Auszahlung des Kaufpreises von 40,00 DM/m² wie folgt zu erfolgen:

4

1. DM 3,50 pro Quadratmeter der verkauften Teilfläche an die Gemeinde A-Stadt (…).

2. DM 36,50 DM pro Quadratmeter der verkauften Teilfläche an die Firma S.-GMBH Baubetreuungsgesellschaft mbH (…)

5

In § 4 Abs. 3 des Vertrages heißt es weiter:

6

Für den vorhandenen Ausbau von Straße und Siel trägt der Erwerber unbeschadet der gesetzlichen Haftung keine Kosten. Der Veräußerer hat den Erwerber insoweit freizuhalten. Kosten für Straßen- und Sielbauarbeiten, die nach dem Übergabetag ausgeführt werden, treffen den Erwerber. Der Veräußerer versichert, dass ihm zur Zeit drohende Straßen- und Sielbaumaßnahmen nicht bekannt sind. (…).

7

In der Folgezeit entrichteten die Antragsteller den vereinbarten Kaufpreis an die Stadt A-Stadt und die Firma S.GMBH (künftig: Firma S.-GMBH). Der am 7. Juni 1991 von der Stadt A-Stadt mit der Firma S.-GMBH geschlossene Erschließungsvertrag wurde in der Folgezeit von der Stadt A-Stadt gekündigt. Die Erschließung des Baugebiets erfolgte auf Grundlage des mit der Arbeitsgemeinschaft zur Erschließung der Gewerbegebiete der Stadt A-Stadt GmbH (künftig: Arbeitsgemeinschaft) geschlossenen Erschließungsvertrages vom 3. April 1992.

8

In Ziffer 4.2 Abs. 3 dieses Erschließungsvertrages heißt es:

9

Von der Arbeitsgemeinschaft bzw. den Erwerbern der von ihr erschlossenen und bebaut oder unbebaut verkauften Bauparzellen erhebt die Stadt keine Erschließungskosten und keine Anschlussgebühren.

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Das Grundstück ist an die zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlage angeschlossen.

11

Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 zog der Antragsgegner die Antragsteller zu einem Anschlussbeitrag für das Grundstück Flurstück 48/44 i.H.v. 3.947,62 EUR heran. Der Betrag ergibt sich aus der Summe der Teilbeiträge Schmutz- und Niederschlagswasser i.H.v. 2.605,45 EUR und 1.342,17 EUR. Unter dem 17. Juli 2014 legten die Antragsteller Widerspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Unter dem 25. Juli 2014 lehnte der Antragsteller den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2014 wies der Antragsgegner den Rechtsbehelf zurück.

12

Am 24. September 2014 haben die Antragsteller z. Az. 3 A 843/14 Anfechtungsklage erhoben und um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht. Zugleich haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie sind der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Freihaltevereinbarung in § 4 des Grundstückskaufvertrages stehe der Beitragserhebung entgegen.

13

Die Antragsteller beantragen,

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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 25. Juni 2014 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 anzuordnen.

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Der Antragsgegner verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,

16

den Antrag abzulehnen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Antragsgegner entstandenen Verwaltungsvorgänge sowie die beigezogenen Akten des Verfahrens 3 A 843/14 vorgelegen.

II.

18

Der zulässige Antrag ist unbegründet. Das Gericht ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) an, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Letzteres wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht.

19

1. In der Vollziehung des Beitragsbescheides liegt trotz der nicht unerheblichen Höhe der Festsetzung keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte. Eine unbillige Härte i.S.d. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO liegt nur vor, wenn durch die sofortige Vollziehung oder Zahlung dem Abgabepflichtigen wirtschaftliche Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer – etwa durch eine spätere Rückzahlung – wieder gutzumachen sind, insbesondere wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Abgabepflichtigen gefährdet wäre (VGH München, Beschl. v. 25.01.1988 – Nr. 6 CS 97.03857 –, BayVBl. 1988, 727; OVG Bremen, Beschl. v. 12.03.1985 – 1 B 6/85 –, DVBl. 1985, 1182; OVG Münster, Beschl. v. 17.03.1994 – 15 B 3022/93 –, NVwZ-RR 1994, 617; Beschl. v. 22.02.1989 – 16 B 3000/88 –, NVwZ-RR 1989, 588). Die Vorschrift setzt mithin das Vorliegen eines persönlichen Billigkeitsgrundes in der Person des Abgabepflichtigen voraus, wobei Gegenstand der Beurteilung gerade die Vollziehung des Abgabenbescheides bzw. die sofortige Zahlung durch den Abgabepflichtigen darstellt. Die Kammer hält es für sachgerecht, zur näheren Inhaltsbestimmung des Begriffes "unbillige Härte" im Rahmen der Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO darauf abzustellen, ob die sofortige Vollziehung bzw. Zahlung der geforderten Abgabe eine wesentliche Ursache für eine Existenzgefährdung darstellen würde, d.h. die Existenzgefährdung gerade durch den Sofortvollzug des Abgabenbescheides verursacht oder entscheidend mitverursacht würde (so auch VG Gera, Beschl. v. 13.01.1999 - 5 E 530/98 GE, ThürVBl. 1999, 93 <94>).

20

Hierfür bestehen aber keine Anhaltspunkte. Zwar haben die Antragsteller um die Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht und sich dabei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird jedoch nicht damit begründet, dass die sofortige Vollziehung eine unbillige Härte darstelle. Insbesondere haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht vorgetragen, den festgesetzten Betrag nicht oder nicht vollständig zahlen zu können. Aufgrund der von den Antragstellern vorgelegten Unterlagen kann auch nicht gleichsam von Amts wegen auf eine unbillige Härte geschlossen werden. Denn es ist z.B. nicht auszuschließen, dass die benötigten Mittel durch ein Darlehen beschafft werden können.

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2. Entgegen der Auffassung der Antragsteller bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides. Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt A-Stadt (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013.

22

a. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen im Prüfungsumfang des Eilverfahrens nicht. Ausweislich der dem Satzungsbeschluss zu Grunde liegenden Beschlussvorlage (BA-Abw/B/921/2013) erfolgte der Neuerlass der Abwasserbeitragssatzung zur Beseitigung der vom Verwaltungsgericht Greifswald in dem Urteil vom 29. November 2012 – 3 A 678/11 – festgestellten Fehler. Die Regelung der (schlichten) Tiefenbegrenzung in § 4 Abs. 2 Buchst. c ABS ist nicht zu beanstanden. Anders als die Festlegung der Tiefenbegrenzung in der dem Urteil vom 29. November 2012 zu Grunde liegenden Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 beruht die Festlegung der nunmehr normierten Tiefenbegrenzung auf einer Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe anhand mehrerer repräsentativer Straßen in der Ortslage (vgl. hierzu OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris). Von weiteren Darlegungen wird mit Blick auf den summarischen Charakter des Eilverfahrens abgesehen, zumal die Antragsteller diesbezügliche Einwände nicht geltend gemacht haben.

23

Auch die Maßstabsregelung für die Ermittlung des Niederschlagswasserbeitrags und dabei insbesondere die nunmehr in § 4 Abs. 6 Buchst. c Satz 2 ABS normierte Auffangregelung für Grundstücke, die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen und bei denen die Baunutzungsverordnung (BauNVO) auch nicht über § 34 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) Anwendung findet, ist unter Vorteilsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Da die Antragsteller auch insoweit keine Einwände geltend machen, kann von weiteren Darlegungen ebenfalls abgesehen werden.

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Fehlerhaft ist allerdings die Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS, wonach Grundstücke der Beitragspflicht unterliegen, die über eine Anschlussleitung an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung, die zentrale Niederschlagswasserbeseitigung (verfügen) oder an beide genannten Einrichtungen angeschlossen werden können und wenn sie bebaut sind oder wenn sie gewerblich genutzt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift sprachlich fehlerhaft formuliert ist. Das im Klammerzusatz ergänzte Wort „verfügen“ fehlt in der Bestimmung. Es ergibt sich aber aus dem Sinn der Regelung, so dass von einem unschädlichen Redaktionsversehen auszugehen ist.

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Ungenau ist auch die Verknüpfung der unterschiedlichen Varianten der Vorschrift. Ihre ersten beiden Varianten (vorhandene Anschlussleitung an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasser, vorhandene Anschlussleitung an die öffentliche Einrichtung der Niederschlagswasserbeseitigung) sind lediglich mit einem Komma getrennt, eine Konjunktion fehlt. Damit ist davon auszugehen, dass ein Grundstück bereits dann der Beitragspflicht unterliegt, wenn es über einen tatsächlichen Anschluss an eine der beiden genannten Einrichtung verfügt. Dies ist mit Blick auf den Umstand, dass die Stadt A-Stadt gemäß § 1 Abs. 2 der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentlichen Abwasseranlagen der Stadt A-Stadt (Abwassersatzung – AwS) vom 20. Juni 2013 i.d.F. der ersten Änderung vom 24. Oktober 2013 jeweils selbstständige öffentliche Einrichtungen zur zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung betreibt, auch nicht zu beanstanden. Die dritte Variante der Vorschrift („… oder an beide genannten Einrichtungen angeschlossen werden können …“) lässt demgegenüber den Eindruck entstehen, dass bei Grundstücken, die bereits beim Bestehen einer Anschlussmöglichkeit der Beitragspflicht unterliegen, eine Anschlussmöglichkeit an beide Einrichtungen gegeben sein muss. Dies wäre mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz – GG) nicht zu vereinbaren, denn es ist kein Grund erkennbar, der es rechtfertigt, bei tatsächlich angeschlossenen Grundstücken jeweils gesondert Anschlussbeiträge für die Einrichtungen zur Schmutz- und Niederschlagswasser zu erheben, bei Grundstücken, die bereits wegen des Bestehens einer Anschlussmöglichkeit der Beitragspflicht unterliegen, dagegen das Vorhandensein der Anschlussmöglichkeit an beide Einrichtungen zu fordern. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass es sich auch insofern um ein unschädliches Redaktionsversehen handelt. Denn der Regelung über die Entstehung der Beitragspflicht in § 3 Abs. 1 ABS kann wegen der dort normierten Konjunktion „und/oder“ mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, dass auch in den Fällen, in denen das bloße Bestehen einer Anschlussmöglichkeit für die Entstehung der Beitragspflicht ausreicht, das Bestehen einer Anschlussmöglichkeit an eine der Einrichtungen gemeint ist.

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Fehlerhaft und nicht durch Auslegung zu heilen ist jedoch der Umstand, dass nach § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (jeweils in der dritten Variante) auch Grundstücke der Beitragspflicht unterliegen, die an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung bzw. der Niederschlagswasserbeseitigung angeschlossen werden können und die baulich bzw. gewerblich genutzt werden. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auf Außenbereichsgrundstücke (§ 35 BauGB) beschränkt. Hierzu zwingt der Umkehrschluss aus den übrigen Bestimmungen des § 2 Abs. 1 ABS. § 2 Abs. 1 Buchst. a ABS betrifft Grundstücke im Geltungsbereich von Bebauungsplänen (vgl. § 30 BauGB), denn nur dort kann eine bauliche oder gewerbliche Nutzung „festgesetzt“ sein. § 2 Abs. 1 Buchst. b ABS bezieht sich auf Grundstück im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB), denn nur diese Grundstücke können „nach der Verkehrsauffassung Bauland“ sein; bei Außenbereichsflächen scheidet eine solche Annahme regelmäßig aus (vgl. § 35 Abs. 2 BauGB). Die Annahme einer Beitragspflicht für bebaute oder gewerblich genutzte Außenbereichsgrundstücke bereits beim Vorliegen einer Anschlussmöglichkeit ist mit dem Vorteilsprinzip nicht zu vereinbaren. Denn bei diesen Grundstücken ist die Vorteilslage – anders als bei Grundstücken im Geltungsbereich von Bebauungsplänen und im unbeplanten Innenbereich – erst gegeben, wenn das Grundstück an die zentrale Abwasseranlage tatsächlich angeschlossen ist (OVG Greifswald, Urt. v. 15.04.2009 – 1 L 205/07 –, juris Rn. 43).

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Die Fehlerhaftigkeit der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS schlägt aber nicht auf die übrigen Bestimmungen der Vorschrift durch. Denn deren Regelungsbereiche sind logisch von dem des § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS trennbar. Die verbleibenden Regelungen des § 2 Abs. 1 und 2 ABS sind auch vollständig, denn die Bestimmungen decken die drei allein in Betracht kommenden Fallgruppen (Grundstücke im Geltungsbereich von Bebauungsplänen – § 2 Abs. 1 Buchst. a ABS, Grundstücke im unbeplanten Innenbereich – § 2 Abs. 1 Buchst. b ABS und tatsächlich angeschlossene Grundstücke im Außenbereich – § 2 Abs. 2 ABS) vollständig ab. Offen bleiben kann auch, ob und in welchem Umfang auf Grundlage des § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS Beitragseinheiten auf der Flächenseite der Beitragskalkulation berücksichtigt worden sind. Deren Berücksichtigung wäre zwar unzulässig. Der – hier nur unterstellte – Fehler führt jedoch lediglich dazu, dass die Anzahl der Beitragseinheiten überhöht ist. Wegen der damit verbundenen Absenkung des (höchstzulässigen) Beitragssatzes führt dies nicht zu einer Benachteiligung der Beitragspflichtigen. Es liegt damit ein Fall der Teilnichtigkeit nach dem Rechtsgedanken aus § 139 BGB vor.

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b. Die Rechtsanwendung durch den Antragsgegner ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

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aa. So ist die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück der Antragsteller entstanden, obwohl es weit vor dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung an die zentralen Einrichtungen zur Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung angeschlossen wurde. Dies folgt aus § 3 Abs. 1 ABS i.V.m. § 9 Abs. 3 KAG M-V. Nach der zuletzt genannten Bestimmung, an deren Verfassungsgemäßheit auch mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (– 1 BvR 2457/08 –) keine Zweifel bestehen (eingehend: OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014 – 1 L 142/13 –, S. 22 ff. des Entscheidungsumdrucks), entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Die Vorschrift gibt damit keine bestimmte zeitliche Reihenfolge für das Vorliegen der Entstehungsvoraussetzungen der sachlichen Beitragspflicht vor. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist das Vorliegen eines Anschlusses bzw. einer Anschlussmöglichkeit des Grundstücks und die Existenz einer wirksamen Beitragssatzung. Liegen beide Voraussetzungen vor, so entsteht ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge ihres Eintritts die sachliche Beitragspflicht. Daraus folgt, dass bei Grundstücken, die – wie hier – vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung an die Anlage angeschlossen worden sind, die sachliche Betragspflicht gleichwohl erst mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entsteht.

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Die Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 ist ausweislich des bereits benannten Urteils des VG Greifswald vom 29. November 2012 unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet. Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14.12.2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an, so dass von einer Einzeldarstellung abgesehen werden kann.

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bb. Der Umstand, dass das Grundstück der Antragsteller nicht in Eigenregie der Stadt A-Stadt, sondern auf Grundlage des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 erschlossen wurde, steht der Entstehung der Beitragspflicht nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass dem Antragsgegner in Ansehung der „inneren“ Erschließung, also der innerhalb des Erschließungsgebietes „Bockmühlenweg/Mastweg“ gelegenen leitungsgebundenen Erschließungsanlagen kein beitragsfähiger Aufwand entstanden ist, weil diese Anlagen vom Erschließungsträger auf eigene Rechnung hergestellt worden sind (vgl. Nr. 4.2 Abs. 1 Satz 3 des Erschließungsvertrages). Soweit in Nr. 4.2 Abs. 1 Satz 1 des Erschließungsvertrages bestimmt ist, dass die Stadt A-Stadt u.a. für die Erschließung des Grundstücks der Antragsteller den Betrag von 33,50 DM/m² an die Arbeitsgemeinschaft zahlt, erklärt sich dies vor dem Hintergrund, dass die Stadt A-Stadt nach § 4 Abs. 3 Satz 5 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 hinsichtlich der Firma S.-GMBH das Ausfallrisiko trägt (dazu sogleich). Ein beitragsfähiger Aufwand konnte durch diese Zahlung nicht begründet werden, denn die Kosten, die dem Erschließungsträger auf Grundlage eines Erschließungsvertrages i.S.d. § 124 a.F. BauGB (vgl. insbesondere § 124 Abs. 2 BauGB) entstehen, sind einer Beitragserhebung generell entzogen („Regimeentscheidung“, vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 6 Rn. 10 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner die Zahlungen aufgrund des Erschließungsvertrages gleichwohl aufwandserhöhend berücksichtigt hat, bestehen nicht. Die Beitragskalkulation weist für das „Gebiet am Mastweg“ lediglich Aufwand für den Zeitraum ab 2005 aus. Eine vertiefte Prüfung hat erforderlichenfalls im Hauptsacheverfahren zu erfolgen. Für das vorliegende Eilverfahren ist davon auszugehen, dass die Beitragserhebung nicht der Refinanzierung des Aufwandes für die „innere“ Erschließung, sondern des Aufwandes für die „äußere“ Erschließung, d.h. der außerhalb von Erschließungsgebieten gelegenen Bestandteile der öffentlichen Einrichtungen zur zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung dient.

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cc. Entgegen der Auffassung der Antragsteller begründen die Vereinbarungen in § 4 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 keinen Einwand gegen die Beitragserhebung. Zwar sind sie wirksam. Die gegenteiligen Ausführungen des Antragsgegners im Widerspruchbescheid übersehen, dass kommunalabgabenrechtliche Kriterien wie das Vorteilsprinzip oder die „Vertragsfeindlichkeit“ des Abgabenrechts in Ansehung des Grundstückskaufvertrages bereits deshalb keine Anwendung finden können, weil der Kaufvertrag geschlossen wurde, bevor das (erste) Kommunalabgabengesetz vom 11. April 1991 (KAG 1991) in Kraft getreten ist. Seine Bekanntgabe erfolgte erst am 29. April 1991 (vgl. GVOBl. M-V 1991, S. 113). Die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1991 können daher nicht den Rechtmäßigkeitsmaßstab für Vereinbarungen des Kaufvertrages bilden. Dies gilt erst Recht für die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1993.

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Dennoch steht § 4 des Grundstückskaufvertrages der Beitragserhebung nicht entgegen, denn die darin getroffene Freistellung der Antragsteller bezieht sich allein auf die Kosten der „inneren“ Erschließung. Von den Kosten der „äußeren“ Erschließung werden die Antragsteller dagegen nicht freigestellt. Diese Kosten werden von dem Vertrag überhaupt nicht erfasst. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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Der Kaufvertrag wurde zu einem Zeitpunkt geschlossen, als der erst am 7. Juni 1991 zwischen der Stadt A-Stadt und der Firma S.-GMBH geschlossene Erschließungsvertrag noch nicht existierte. Damit fehlte es jedenfalls an der vollständigen Erschließung des Kaufgegenstandes. Gleichwohl hatten die Vertragsparteien die angestrebte Erschließung des Baugebietes durch die Firma S.-GMBH im Blick, denn das Grundstück war nach § 1 Abs. 3 des Kaufvertrages erschlossen zu liefern. Zudem hatten die Antragsteller den auf die Erschließungskosten für die Maßnahmen gemäß § 1 Satz 2 des Vertrages vom 7. Juni 1991 entfallenden Anteil des Kaufpreises nach § 2 des Kaufvertrages unmittelbar an die Firma S.-GMBH zu zahlen. Diese Zahlung diente der Vorfinanzierung der Erschließungsmaßnahmen, denn nach den Angaben in der Präambel des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 war die Zahlung durch die Antragsteller vor Durchführung, jedenfalls aber vor Abschluss der Erschließungsmaßnahme erfolgt. Damit dürfte ihnen das Grundstück auch vor Abschluss der Erschließungsarbeiten übergeben worden sein (vgl. § 3 Abs. 1 des Kaufvertrages).

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Die Vereinbarungen in § 4 Abs. 3 erklären sich vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgefundenen Erschließungssituation. Zu diesem Zeitpunkt waren im Erschließungsgebiet bereits Erschließungsanlagen vorhanden, denn es existierten 17 Grundstücke („Parzellen“), die bereits vor dem 1. April 1991 bebaut worden waren (vgl. § 2 Satz 1 des Vertrages vom 7. Juni 1991 und die Präambel des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992). Allerdings handelte es sich bei den vorhandenen Erschließungsanlagen ausweislich der Angaben in der Präambel des bereits benannten Erschließungsvertrages offenbar um Provisorien oder jedenfalls unfertige Anlagen, denn der Erschließungsvertrag vom 3. April 1992 diente der „Fertigstellung der Erschließung im Sinne des Baugesetzbuchs sowie der Ver- und Entsorgungsanlagen“. An den bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages bereits entstandenen Kosten der vorhandenen wegemäßigen bzw. leitungsgebundenen Erschließungsanlagen sollten die Antragsteller nach § 4 Abs. 3 Satz 1 des Kaufvertrages nicht beteiligt werden. Insoweit wurde in § 4 Abs. 3 Satz 2 des Vertrages eine Freihaltevereinbarung getroffen.

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Damit erschöpft sich der Regelungsbereich der Freihaltevereinbarung. Denn in § 4 Abs. 3 Satz 3 des Grundstückskaufvertrages ist klargestellt, dass die Stadt A-Stadt auf die Erhebung der Kosten für künftige Straßen- und Sielbauarbeiten nicht verzichten wollte, auch wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Absicht zur Durchführung solcher Arbeiten bestand (§ 4 Abs. 3 Satz 4 des Kaufvertrages). Mit Blick auf die von den Antragstellern nach § 2 des Kaufvertrages unmittelbar an die Firma S.-GMBH zu zahlenden anteiligen Kosten der Primärerschließung wurde zu ihrem Schutz allerdings vereinbart, dass sie für die Kosten der Primärerschließung nicht haften (§ 4 Abs. 3 Satz 5 des Kaufvertrages). Das Risiko eines Ausfalls des Erschließungsträgers lag damit bei der Stadt A-Stadt, was dazu führte, dass diese nach Nr. 4.2 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 die auf das Grundstück der Antragsteller entfallenden Erschließungskosten zu tragen hatte.

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dd. Auch die Vereinbarung in Ziffer 4.2 Abs. 3 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 steht der Beitragserhebung nicht entgegen, denn die Antragsteller haben ihr Grundstück nicht von der Arbeitsgemeinschaft erworben. Daher kann dahinstehen, was mit dem Begriff „Anschlussgebühren“ gemeint ist, und ob die Vereinbarung überhaupt wirksam ist.

38

ee. Da der Beitragsanspruch des Antragsgegners erst im Jahre 2013 entstanden ist, scheidet die Annahme seines Erlöschens wegen Festsetzungsverjährung (§ 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) von vornherein aus.

39

ff. Weiter hat der Antragsgegner sein Recht, den Beitragsanspruch gegenüber den Antragstellern geltend zu machen, nicht verwirkt (vgl. § 242 BGB). Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (OVG Greifswald, Urt. v. 02.11.2005 – 1 L 105/05 –, juris Rn 81).

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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Geht man davon aus, dass nur ein bereits entstandener Beitragsanspruch der Verwirkung unterliegen kann (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 28.02.2002 – 2 S 2327/01 –, juris Rn. 39), scheidet ihre Annahme bereits deshalb aus, weil der Anspruch erst mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 entstanden ist (s.o. S. 8), so dass von einer verspäteten Geltendmachung keine Rede sein kann.

41

Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass mit dem Recht der Beitragserhebung nicht ein konkret bestehender Anspruch, sondern – in einem weiteren Sinne – allgemein die Befugnis zur Beitragserhebung gemeint ist, die in Mecklenburg-Vorpommern seit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes 1991 besteht. Im Falle der Antragsteller wäre die Erhebung eines Anschlussbeitrages ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage – dem Zeitpunkt der Schaffung der Anschlussmöglichkeit an die zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlagen im Jahre 1992 – möglich gewesen. Bezogen auf diesen Zeitpunkt erfolgte die Beitragserhebung im Jahre 2013 ohne Zweifel verspätet. Dennoch konnte durch den Zeitablauf keine Vertrauensgrundlage dahingehend entstehen, dass Anschlussbeiträge nicht erhoben werden, denn der Antragsgegner hatte in § 4 Abs. 3 Satz 3 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 ausdrücklich klargestellt, dass die Antragsteller die Kosten für Sielbauarbeiten tragen, die nach dem Übergabetag durchgeführt werden.

42

Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass sich die Antragsteller nicht auf eine Verwirkung des Beitragsanspruchs berufen. Daher fehlen Angaben zum Vertrauenstatbestand und zur Vertrauensbetätigung, so dass die Annahme einer Verwirkung auch aus diesem Grund ausscheidet (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.11.2006 – 3 B 1909/06 –, juris Rn. 6).

43

gg. Schließlich steht der Geltendmachung des Beitragsanspruchs auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Dies wäre dann der Fall, wenn die betroffenen Eigentümer durch die Beitragserhebung in dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verletzt würden, so etwa, wenn dem Abgabengläubiger eine Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt und die Ausübung des Rechts aufgrund dieser eigenen Pflichtenverletzung treuwidrig erscheint (BVerwG, Urt. v. 20.03.2014 – 4 C 11/13 –, juris Rn. 31). Die Erwägungen der zur Erhebung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags nach § 154 ff. BauGB ergangenen Entscheidung sind wegen einer vergleichbaren Risikosituation der Abgabenpflichtigen – der Ausgleichsanspruch entsteht unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage gemäß § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB erst nach Abschluss der Sanierung, auch wenn dieser von der Gemeinde verzögert wird – auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen übertragbar.

44

In der – bezogen auf den Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage – verzögerten Beitragserhebung allein liegt noch keine Treuwidrigkeit. Treuwidrig ist die Abgabenerhebung erst dann, wenn es aufgrund einer Pflichtverletzung der Gemeinde unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht mehr zumutbar erscheint, den Bürger mit der Abgabenerhebung zu konfrontieren (BVerwG a.a.O. Rn. 32). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Verzögerung beruht ersichtlich auf dem gerichtsbekannten Umstand, dass die Stadt A-Stadt in der Vergangenheit erhebliche Schwierigkeiten hatte, eine wirksame Beitragssatzung als Voraussetzung für eine rechtmäßige Beitragserhebung zu erlassen. In Bezug auf die Antragsteller kommen offenbar auch Auslegungsschwierigkeiten in Bezug auf die bereits benannten Klauseln des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 hinzu.

45

Auch die Wertungen allgemeiner Verjährungsvorschriften führen vorliegend nicht zur Annahme des Treuwidrigkeitstatbestandes. Nach § 53 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) beginnt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren zu laufen, wenn ein Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unanfechtbar wird. Diese Vorschrift ist zwar auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nicht unmittelbar anwendbar. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unabhängig vom Zeitpunkt seiner Entstehung (vgl. § 199 BGB) auf die längste im Zivilrecht vorgesehene Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 197 BGB) zu beschränken, kann aber zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes übernommen werden (BVerwG a.a.O., Rn. 32). Die Erhebung von Anschlussbeiträgen ist damit generell ausgeschlossen, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen.

46

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei der streitige Abgabenbetrag für das Eilverfahren zu vierteln war.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern als Gesamtschuldnern auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Der Kläger sind Eigentümer des Grundstücks G1 in einer Größe von 470 m². Das Grundstück ist an die von der Stadt A-Stadt betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlage angeschlossen. Im Jahre 2009 hat die Stadt A-Stadt ihr ursprüngliches Abwasserbeseitigungskonzept geändert und will bestimmte Gebiete nicht mehr an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung anschließen. Die davon betroffenen Flächen werden in der Beitragskalkulation nicht berücksichtigt.

3

Mit Bescheid vom 23. Juni 2014 zog der Beklagte die Kläger zu Anschlussbeiträgen i.H.v. 2.011,60 EUR (Schmutzwasser) und 1.295,32 EUR (Niederschlagswasser) - zusammen: 3.306,92 EUR heran. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 20. November 2014 zurück.

4

Am 18. Dezember 2014 haben die Kläger Anfechtungsklage erhoben. Sie sind der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die normierten Beitragssätze beruhten auf fehlerhaften Beitragskalkulationen. Die Kalkulation des Schmutzwasserbeitrags sei auf der Aufwandsseite fehlerhaft, weil die Kläranlage überdimensioniert sei. Sie sei für 24.000 Einwohnerwerte ausgelegt, was 11.500 Einwohnern entspreche. Tatsächlich seien aber nur 6.370 Einwohner angeschlossen. Damit werde der Grundsatz der anlagenbezogenen Erforderlichkeit verletzt.

5

Auch die Flächenseite der Beitragskalkulation sei fehlerhaft. Die Herausnahme der Flächen der ehemaligen Bebauungsplangebiete Nr. 14 „N.“, Nr. 18 „P.“ und des Sondergebietes „Golf G.“ aus der Beitragskalkulation sei fehlerhaft. Selbst wenn die Bebauungspläne unwirksam seien, unterlägen die betreffenden Flächen der Beitragspflicht, weil sie dem unbeplanten Innenbereich zuzuordnen seien. Der Umstand, dass die Stadt A-Stadt in diesen Bereichen von der Abwasserbeseitigungspflicht befreit sei, ändere hieran nichts. Zudem sei in den Gebieten eine flächendeckende Befreiung nicht erfolgt. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die umfangreichen Befreiungen nicht zu Lasten der übrigen Beitragspflichtigen gehen dürften. Die Herausnahme von Teilflächen des Bebauungsplanes Nr. 2 „Am Betonwerk“ sei ebenfalls unzulässig. Die betreffenden Grundstücke seien erschlossen. Zwar habe die Stadt A-Stadt die Änderung des Bebauungsplanes beschlossen. Der Aufstellungsbeschluss sei jedoch erst am 24. April 2014 und damit etwa ein halbes Jahr nach der Beschlussfassung über die Beitragssatzung gefasst worden.

6

Die Kläger beantragen,

7

die Beitragsbescheide des Beklagten vom 23. Juni 2014 – Nr. … – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 20. November 2014 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Er ist der Auffassung, das Klärwerk sei weder überdimensioniert, noch sei die Flächenermittlung fehlerhaft. Das Klärwerk sei auf nur 12.000 Einwohnergleichwerte (EGW) ausgelegt. Von der ursprünglichen Planung als „zweistraßige Anlage“ mit je 12.000 EGW sei die Stadt A-Stadt wegen des massiven Wegfalls von Industriebetrieben abgewichen. Der für den Betrieb des Klärwerks notwendige Dünnschlammspeicher sei nicht zusätzlich gebaut worden. Stattdessen sei die die „zweite Straße“ als Dünnschlammspeicher umfunktioniert worden. Nach dem derzeit noch nicht abgeschlossenen Anschluss der C. Straße würden die Abwässer von ca. 8000 Einwohnern zentral gereinigt. Hinzu kämen die Abwässer der von Gewerbebetrieben, insbesondere aus dem Hotel- und Gaststättenbereich.

11

Die von den Klägern gerügte Herausnahme der Flächen im Geltungsbereich der Bebauungsplangebiete Nr. 14 und Nr. 18 sowie des Sondergebietes und des „Solarfeldes“ beruhe auf dem Umstand, dass die Grundstücke im Kalkulationszeitraum nicht an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen werden könnten.

12

Mit dem im Verfahren 3 A 1031/15 bei Gericht eingereichten Schriftsatz vom 25. Juli 2017 erklärte der Beklagte unter Vorlage einer nachgebesserten Kalkulation, dass die ursprüngliche Kalkulation zwar fehlerhaft sei, weil bei der Ermittlung des Klärwerkskosten die auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt worden seien. Da der rechnerisch ermittelte Beitragssatz auch bei einem Abzug dieser Auslastungsanteile über dem beschlossenen liege, werde an dem beschlossenen Beitragssatz festgehalten.

13

Mit Beschluss vom 26. April 2017 hatte das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

16

1. Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt A-Stadt (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 27.01.2015 – 3 B 844/14 –, juris). Die fehlerhafte – wenngleich unschädliche – Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (VG Greifswald, a.a.O. Rn. 26) ist von der Stadt A-Stadt in der genannten Änderungssatzung ersatzlos gestrichen worden.

17

Entgegen der Auffassung der Kläger sind die in § 5 ABS normierten Beitragssätze nicht zu beanstanden. Einwände gegen die Kalkulation des Beitragssatzes II (zentrale Niederschlagswasserbeseitigung) werden von den Klägern nicht geltend gemacht. Sie drängen sich auch nicht auf. Von einer Darlegung kann daher abgesehen werden. Die Einwände gegen den Beitragssatz I (zentrale Schmutzwasserbeseitigung) verfangen nicht.

18

a. Entgegen der Auffassung der Kläger begegnet die Ermittlung der Anzahl der Beitragseinheiten (Flächenseite der Beitragskalkulation) keinen Bedenken. Die Anzahl der Beitragseinheiten ergibt sich durch eine Addition der gewichteten Flächen der in diesem Zeitraum bevorteilten Grundstücke, ausgedrückt in Quadratmetern. Bei einer Vorteilsbemessung nach dem in § 4 ABS normierten Vollgeschossmaßstab erfolgt die Gewichtung, indem die bevorteilten Grundstücksflächen mit den das Maß ihrer baulichen oder gewerblichen Nutzung berücksichtigenden Faktoren der Maßstabsregelung multipliziert werden. Bevorteilt sind dabei alle Grundstücke, die ungeachtet ihrer bauplanungsrechtlichen Einstufung im Kalkulationszeitraum an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage tatsächlich angeschlossen werden oder dies bereits sind und die Grundstücke, die in diesem Zeitraum an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen werden können, soweit es sich dabei um Baugrundstücke, d.h. Grundstücke im Geltungsbereich von Bebauungsplänen (vgl. § 30 BaugesetzbuchBauGB) oder im unbeplanten Innenbereich (vgl. § 34 Abs. 1 BauGB) gelegene Grundstücke handelt. Die Ermittlung der bevorteilten Grundstücke erfolgt dabei zum einen durch eine Bestandsaufnahme bezogen auf den Zeitpunkt der Erstellung der Kalkulation bzw. ihrer Fortschreibung und zum anderen auf Grundlage einer Prognose der im Kalkulationszeitraum künftig bevorteilten Flächen. Maßgeblich für diese Prognose ist das gemeindliche Abwasserbeseitigungskonzept, denn es gibt Aufschluss über die Flächen, die im Kalkulationszeitraum an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen werden sollen.

19

Gemessen an diesen Kriterien ist die Flächenermittlung der Beitragskalkulation nicht zu beanstanden. Die von der Stadtvertretung der Stadt A-Stadt im Oktober 2013 beschlossene Beitragskalkulation ist im Jahre 2013 für einen Zeitraum von 15 Jahren fortgeschrieben worden. Damit umfasst der Kalkulationszeitraum den Zeitraum von der Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf die Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern durch § 40 Abs. 1 Satz 1 Landeswassergesetz (LWaG) im Jahre 1992 bis zum Jahr 2028.

20

Anhaltspunkte dafür, dass auf der Flächenseite der Beitragskalkulation in erheblichem Umfang Grundstücke unberücksichtigt bleiben, obwohl sie im Kalkulationszeitraum bevorteilt sind, sind nicht ersichtlich. Dies betrifft zunächst die Flächen der ehemaligen Bebauungsplangebiete Nr. 14 „N.“, Nr. 18 „P.“ und des Sondergebietes „Golf G.“. Die dort gelegenen Grundstücke sind weder aktuell bevorteilt, weil es gegenwärtig an der Möglichkeit des Anschlusses an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage fehlt – die Grundstücke entwässern dezentral –, noch wird die Vorteilslage im Kalkulationszeitraum eintreten. Eine Anschlussmöglichkeit für die im Geltungsbereich des ehemaligen Bebauungsplanes Nr. 14 gelegenen Grundstücke soll erst nach 2028 und damit Ablauf des Kalkulationszeitraums erfolgen. Die im Geltungsbereich des ehemaligen Bebauungsplanes Nr. 18 und des Sondergebietes gelegenen Grundstücke werden nach dem Abwasserbeseitigungskonzept dezentral entsorgt. Zwar sah das ursprüngliche Abwasserbeseitigungskonzept einen Anschluss dieser Flächen an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vor. Diese Planung ist aber bereits im Rahmen der im Jahre 2009 erfolgten Fortschreibung des Abwasserbeseitigungskonzepts aufgegeben worden.

21

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, es sei willkürlich, die „N.-Grundstücke“ erst nach 2028 und die im Ortsteil P. und im „Sondergebiet Golf“ gelegenen Grundstücke überhaupt nicht an die zentrale Abwasserbeseitigung anzuschließen, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob sich eine willkürbedingte Nichtigkeit des Abwasserbeseitigungskonzepts auf die Wirksamkeit der Beitragskalkulation auswirkt, denn die Unwirksamkeit des Abwasserbeseitigungskonzepts führt nicht dazu, dass sich in den im Rahmen der Beitragskalkulation zu berücksichtigenden vorteilsrelevanten Daten (insbesondere die Anschlusszeitpunkte für Baugebiete) ändern (vgl. für ein zum Kalkulationszeitpunkt noch nicht beschlossenes Abwasserbeseitigungskonzept: VG Schwerin, Beschl. v. 24.11.2010 – 8 B 2010/10 –, S. 6 des Entscheidungsumdrucks, zit. nach Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 12/2016, § 2 Anm. 8.3.5.2). Ungeachtet dessen haben die Kläger keine Umstände geltend gemacht, die den Nichtigkeitsvorwurf rechtfertigen. Die Erstellung des Abwasserbeseitigungskonzepts steht im Ermessen des kommunalen Aufgabenträgers, vorliegend der Stadt A-Stadt. Im Rahmen der Ausübung dieses Ermessens hat der Aufgabenträger eine Vielzahl von Belangen zu berücksichtigen. Zu diesen Belangen gehören neben den wasser- und umweltrechtlichen Vorgaben und Fragen der Wirtschaftlichkeit die Bedürfnisse der Einwohner und Gewerbetreibenden und – nicht zuletzt – die finanzielle Leistungsfähigkeit des Aufgabenträgers. Vor diesem Hintergrund ist es nicht willkürlich, die „N.-Grundstücke“ trotz ihrer Zentrumsnähe erst nach 2028 an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung anzuschließen. Die Vertreterin des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung plausibel dargelegt, dass die Anbindung dieser Grundstücke in einem größeren Zusammenhang (mit benachbarten Baugebieten) erfolgen soll. Danach gehören zu dem anzuschließenden Gebiet gehören auch Flächen, für die die Bauleitplanung aktuell geändert wird. Da die Änderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist, kann auch die künftige Grundstücksnutzung und damit auch der Verlauf und die erforderliche Größe der Rohrleitungen gegenwärtig noch nicht abgeschätzt werden. Schließlich darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass das Klärwerk bereits gegenwärtig in den Sommermonaten seine Kapazitätsgrenze erreicht (s.u.).

22

Entsprechendes gilt für die im Ortsteil P. und im „Sondergebiet Golf“ gelegenen Grundstücke. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten handelt es sich dabei um verhältnismäßig wenige Grundstücke, die mit vergleichsweise hohen Kosten angeschlossen werden müssten. So verständlich das Bestreben der Kläger nach einer Absenkung des Beitragssatzes durch Ausweitung der bevorteilten Flächen ist: Der Beklagte muss bei der Entwicklung des Abwasserbeseitigungskonzepts auch wirtschaftliche Erwägungen und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt A-Stadt in den Blick nehmen. Im Übrigen wäre bei einer kostenintensiven Ausweitung des an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung angeschlossenen Gebiets für die Kläger nichts gewonnen, denn der mit der größeren Anzahl von Beitragseinheiten verbundene Vorteil würde durch den höheren Aufwand wieder aufgezehrt.

23

Auch für die Teilflächen des Bebauungsplanes Nr. 2 „Am Betonwerk, auf denen das „Solarfeld“ entstanden ist, besteht keine Anschlussmöglichkeit an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung. Damit trifft der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe den Bestand fehlerhaft ermittelt, nicht zu. Selbst wenn in diesem Bereich ein Schmutzwasserkanal verlaufen sollte, sind die Grundstücke nicht bevorteilt, weil es jedenfalls am Vorliegen von Grundstücksanschlussleitungen fehlt. Da diese gemäß § 2 Abs. 3.1 Buchst. a) der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentlichen Abwasseranlagen der Stadt A-Stadt vom 20. Juni 2013 (Abwassersatzung – AbwS) i.d.F. der ersten Änderung vom 24. Oktober 2013 zur beitragsfähigen öffentlichen Einrichtung gehören, liegt eine die Beitragspflicht begründende Möglichkeit der Inanspruchnahme i.S.d. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 3 Abs. 1 ABS erst vor, wenn neben der Sammelleitung die notwendigen Grundstücksanschlüsse hergestellt sind. Dies ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht der Fall. Mit Blick auf die Nutzung dieser Flächen ist ihre Herstellung auch nicht vorgesehen. Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass die fehlerhafte Nichtberücksichtigung einzelner Grundstücke nicht zur Fehlerhaftigkeit der Beitragskalkulation führen kann.

24

b. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes (Aufwandsseite der Beitragskalkulation) nicht gegen den Grundsatz der anlagenbezogenen Erforderlichkeit. Insbesondere ist das Klärwerk nicht überdimensioniert. Es ist nicht – wie ursprünglich geplant – auf 24.000 EGW, sondern lediglich auf 12.000 EGW ausgelegt. Nach dem Anschluss der C. Straße an die zentrale Abwasserbeseitigung werden die Abwässer von ca. 8000 Einwohnern zentral gereinigt. Hinzu kommen die Abwässer der von Gewerbebetrieben, insbesondere aus dem Hotel- und Gaststättenbereich. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten werden bereits jetzt in den Sommermonaten die Kapazitätsgrenzen des Klärwerks erreicht. Dies spricht ebenfalls gegen eine Überdimensionierung, denn die von abwasserbeseitigungspflichtigen Körperschaft zu erbringende Vorhalteleistung darf sich nicht allein an der durchschnittlichen Abwassermenge orientieren, sondern muss auch Spitzenbelastungen bewältigen.

25

Soweit die Kläger die Überdimensionierung des Klärwerks mit der Vielzahl von Befreiungen von der Abwasserbeseitigungspflicht begründen wollen, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Der Beklagte hat hierzu dargelegt, dass er lediglich für 95 Grundstücke Befreiungen von der Abwasserbeseitigungspflicht erwirkt habe. Bei großzügiger Berechnung betreffe dies nur etwa 240 Einwohner. Dem sind die Kläger nicht weiter entgegen getreten.

26

c. Dennoch war die Aufwandsermittlung für das Klärwerk zunächst fehlerhaft, weil die auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt worden sind. Dies ist unzulässig, denn das Vorteilsprinzip gebietet es, die Beitragspflichtigen nur mit den Kosten zu belasten, die der zentralen Schutzwasserbeseitigung zugeordnet werden können. Die Kalkulation ist aber gemäß § 2 Abs. 3 KAG M-V durch den Beklagten so nachgebessert worden, dass eine Fehlerheilung eingetreten ist. Nach Satz 1 der genannten Vorschrift darf die abgabenberechtigte Körperschaft einzelne Aufwands- oder Kostenpositionen nachträglich einstellen oder anders bewerten, soweit dadurch nicht der Abgabensatz erhöht wird. Einer erneuten Befassung der Vertretungskörperschaft bedarf es nach Satz 2 nicht. Damit wird der Verwaltung der abgabenberechtigten Körperschaft (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 11.04.2007 – 3 A 620/05 –, n.v.) die Befugnis zur Fortschreibung und Korrektur der Kalkulation eingeräumt. Davon hat der Beklagte Gebrauch gemacht. Er hat in dem Verfahren 3 A 1031/15 mit Schriftsatz vom 25. Juli 2017 erklärt, dass die Kalkulation fehlerhaft sei, weil bei der Ermittlung der Klärwerkskosten die Auslastungsanteile der auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt worden seien. Da der rechnerisch ermittelte (höchstzulässige) Beitragssatz auch bei einem Abzug dieser Auslastungsanteile über dem beschlossenen liege, werde an dem beschlossenen Beitragssatz festgehalten. Diese Erklärung führt gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 KAG M-V zu einer rückwirkenden (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 27.01.2010 – 3 A 126/07 –, juris Rn. 20 m.w.N.) Fehlerheilung und bewirkt – da andere Fehler nicht ersichtlich sind – den rückwirkenden Eintritt der Wirksamkeit der Anschlussbeitragssatzung. Wegen dieser „inter-omnes-Wirkung“ wäre sie im vorliegenden Verfahren auch dann zu berücksichtigen, wenn der Beklagte nicht – wie vorliegend erfolgt – in der mündlichen Verhandlung auf die in dem Parallelverfahren 3 A 1031/15 abgegebene Erklärung Bezug genommen hätte.

27

Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 KAG M-V liegen vor. So bleibt die ursprüngliche Kalkulation auch in der geänderten Kalkulation erkennbar. Es werden lediglich Teile des beitragsfähigen Aufwandes für das Klärwerk und die darauf bezogenen Fördermittel aus der Aufwandskalkulation „herausgerechnet“. Damit erreicht die Veränderung an der beschlossenen Kalkulation weder in quantitativer Hinsicht einen Umfang, der einer Neukalkulation nahekommt, noch ist sie in qualitativer Hinsicht so wesentlich, dass eine Befassung Stadtvertretung als erforderlich erscheint (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 12.03.2010 – 3 A 1326/06 –, juris Rn. 18).

28

Auch inhaltlich begegnet die vom Beklagten vorgelegte Neuberechnung, auf die Bezug genommen wird, keinen Bedenken. Der rechnerisch ermittelte (höchstzulässige) Beitragssatz für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung liegt auch bei Abzug der die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung und die Fremdeinleiter betreffenden Auslastungsanteile des Klärwerks bei 5,50 EUR/m² und damit über dem in § 5 Abs. 1 ABS normierten Beitragssatz von 4,28 EUR/m², so dass an dem normierten Beitragssatz festgehalten werden kann. Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Neuberechnung bestehen nicht. Zwar weisen die Kläger zutreffend darauf hin, dass die der Berechnung der Auslastungsanteile zu Grunde liegenden durchschnittlichen Jahresschmutzwassermengen von 85.000 m³ (Fremdeinleiter) bzw. 5.000 m³ (dezentrale Abwasserbeseitigung) nicht mit den der „Globalkalkulation Abwasser A-Stadt 2015“ vom 22. Oktober 2014 zu Grunde liegenden Jahresmengen übereinstimmen. Die Globalkalkulation geht von lediglich 79.000 m³ (Fremdeinleiter) aber 49.000 m³ (dezentrale Abwasserbeseitigung) aus. Dies erlaubt jedoch keinen Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit der Neuberechnung.

29

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Zahlen der Globalkalkulation veraltet seien. Inzwischen lägen Kalkulationen für das Jahr 2016 und für die Jahre 2017/2018 vor. Insbesondere die Einleitmengen aus abflusslosen Gruben hätten wegen der weitgehenden Umstellung der dezentralen Abwasserbeseitigung auf biologische Kleinkläranlagen stark abgenommen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Einleitmengen aus biologischen Kleinkläranlagen weitaus geringer seien, als aus abflusslosen Gruben. Während diese in der Regel jährlich geleert werden müssten, sei dies bei jenen durchschnittlich nur alle drei Jahre notwendig. Der höhere Schmutzfrachtanteil des bei biologischen Kleinkläranlagen anfallenden Abwassers sei bei der Neuberechnung berücksichtigt worden. Zudem hat der Beklagte die Mengenermittlung nicht auf eine Gebührenkalkulation und die darin zwangsläufig enthaltenden Prognosedaten gestützt. Vielmehr erfolgte die Berechnung der Auslastungsanteile anhand der tatsächlichen Einleitmengen. Die Vertreterin des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die Mengenermittlung anhand der Einleitprotokolle des Klärwerks für das Jahr 2016 erfolgt sei. Die sich danach ergebenden durchschnittlichen Einleitmengen der Fremdeinleiter und der dezentralen Abwasserbeseitigung seien um einen „Sicherheitszuschlag“ erhöht worden. Erst auf dieser Grundlage seien dann die Auslastungsanteile berechnet worden. Diesen plausiblen Ausführungen sind die Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht substantiiert entgegen getreten.

30

Das Gericht hat erwogen, ob § 2 Abs. 3 KAG M-V so zu verstehen ist, dass sich die Fehlerheilung auf den rechnerisch ermittelten (höchstzulässigen) Beitragssatz beschränkt und daher in Fällen ausgeschlossen ist, in denen sie sich – wie hier – auf den normierten (abgesenkten) Beitragssatz bezieht. Denn es darf nicht verkannt werden, dass die Beschlussfassung der Stadtvertretung der Stadt A-Stadt über die Anschlussbeitragssatzung und den in § 5 Abs. 1 ABS normierten Beitragssatz auch den damit angestrebten Deckungsgrad von etwa 73 v.H. umfasst (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 30.11.2009 – 1 M 134/09 –, juris Rn. 18 ff.). Zwar ist dieser Deckungsgrad in der Kalkulation nicht ausdrücklich ausgewiesen. Ausgewiesen ist ein Deckungsgrad von 75 v.H. bei einem Beitragssatz von 4,42 EUR/m². Beschlossen wurde ein Beitragssatz von 4,28 EUR/m². Damit stand fest, dass der Deckungsgrad jedenfalls bei weniger als 75 v.H. liegt. Im Rahmen der Neukalkulation wird der Deckungsgrad auf etwa 78 v.H. angehoben und so die von der Stadtvertretung getroffene Ermessensentscheidung modifiziert. Gegen eine einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 3 KAG M-V spricht aber, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift bei dieser Betrachtungsweise weitgehend leer liefe. Denn wenn bei der Ermittlung des höchstzulässigen Beitragssatzes eine fehlerhafte Kostenposition ohne weiteres durch eine ansatzfähige ersetzt werden kann, liegt in der Regel keine fehlerhafte Kalkulation, sondern lediglich eine fehlerhafte Begründung der rechnerisch richtigen Kalkulation vor. In einem solchen Fall bedarf es keiner Fehlerheilung nach § 2 Abs. 3 KAG M-V. Ausschlaggebend kommt hinzu, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 3 KAG M-V als Reaktion des Landesgesetzgebers auf die Rechtsprechung des OVG Greifswald zur Kontrolldichte bei Abgabenkalkulationen (sog. Inhaltsrichtigkeitstheorie, vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, S. 64) verstanden werden kann (Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 08/2015, § 2 Anm. 8.3.5.2). Wenn es aber im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 KAG M-V nicht auf die „Inhaltsrichtigkeit“, sondern allein auf die „Ergebnisrichtigkeit“ und damit nur darauf ankommt, dass der normierte Abgabensatz rechnerisch begründet werden kann, steht die Modifikation des von der Stadtvertretung beschlossenen Deckungsgrades der Fehlerheilung nicht entgegen.

31

2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

32

a. So sind die Kläger als Grundstückseigentümer persönlich beitragspflichtig i.S.d. § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 6 Abs. 1 ABS. Auch ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 entstanden. Zu einem früheren Zeitpunkt konnten sachliche Beitragspflichten nicht entstehen und damit auch die Festsetzungsfrist nicht ablaufen, denn die davor Geltung beanspruchenden Beitragssatzungen sind unwirksam. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 ist wegen einer Fehlerhaftigkeit der Regelung über die Tiefenbegrenzung unwirksam (VG Greifswald, Urt. v. 29.11.2012 – 3 A 678/11 –, n.v.). Dieser Fehler haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen weisen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt A-Stadt (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

33

b. Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –).

34

c. Die Kläger haben die im Widerspruchsverfahren aus dem zwischen der Stadt A-Stadt und der Firma T. GmbH geschlossenen Erschließungsvertrag vom 20. Januar 1997 hergeleiteten Einwände im Klageverfahren nicht weiter verfolgt. Daher kann auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20. November 2014 (Seite 2 und 3) verwiesen werden (vgl. auch VG Greifswald, Urt. v. 27.07.2017 – 3 A 878/14 –).

35

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225), Aufrechnung (§ 226), Erlass (§§ 163, 227), Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen.

(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

(2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn

1.
eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Absatz 1 später beginnt,
2.
eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu zahlen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem für den Steuerfall Steuerzeichen oder Steuerstempler verwendet worden sind, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuerzeichen oder Steuerstempler hätten verwendet werden müssen.
Dies gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Energiesteuer auf Erdgas und die Stromsteuer.

(3) Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird.

(4) Wird durch Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 auf die Vermögensteuer oder die Grundsteuer der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(5) Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2

1.
bei einem Erwerb von Todes wegen nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat,
2.
bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat,
3.
bei einer Zweckzuwendung unter Lebenden nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist.

(6) Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die

1.
aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und
2.
nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Absatz 1 oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden,
beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(7) Für Steuern auf Einkünfte oder Erträge, die in Zusammenhang stehen mit Beziehungen zu einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die der Steuerpflichtige allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Beziehungen durch Mitteilung des Steuerpflichtigen oder auf andere Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.

(1) Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges wird durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Während der Rechtshängigkeit kann die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden.

(2) Das Gericht des zulässigen Rechtsweges entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Artikel 14 Abs. 3 Satz 4 und Artikel 34 Satz 3 des Grundgesetzes bleiben unberührt.

Tenor

I.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Ansbach vom 22.05.2015 (Az. 5 HK O 523/09) in Ziffer I abgeändert. Hinsichtlich der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen der Beklagten - soweit diese auf die Verletzung von Gesellschafterpflichten und auf damit im Zusammenhang stehende unerlaubte Handlungen gestützt werden - wird der Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig erklärt. Der Antrag des Klägers, insoweit die Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs auszusprechen, und die insoweit weitergehende sofortige Beschwerde des Klägers werden zurückgewiesen.

II.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Ansbach vom 22.05.2015 (Az. 5 HK O 523/09) in Ziffer II aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Aussetzungsantrag an das Landgericht Ansbach zurückverwiesen.

III.

Hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen Ziffer I des Beschlusses des Landgerichts Ansbach vom 22.05.2015 (Az. 5 HK O 523/09) werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegeneinander aufgehoben. Hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen Ziffer II des Beschlusses des Landgerichts Ansbach vom 22.05.2015 (Az. 5 HK O 523/09) ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst.

IV.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen Ziffer I des Beschlusses des Landgerichts Ansbach vom 22.05.2015 auf 239.984,05 EUR und hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen Ziffer II des Beschlusses des Landgerichts Ansbach vom 22.05.2015 auf 143.990,23 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs sowie über die Aussetzung des Rechtsstreits.

Der Kläger war seit 1979 als Arbeitnehmer der Beklagten - zuletzt als angestellter Vertriebsleiter mit Einzelprokura - tätig. Der Kläger sowie Herr H. S. - einer der Geschäftsführer der Beklagten - waren zudem Gesellschafter der verklagten GmbH. Vom Stammkapital von 500.000,00 EUR hatte der Kläger zuletzt 120.000,00 EUR (24%) und H. S. 380.000,00 EUR (76%) übernommen. Der Kläger war zum Prokuristen der Beklagten bestellt und als solcher in das Handelsregister eingetragen.

Mit Wirkung zum 31.12.2007 ist der Kläger als Gesellschafter aus der Beklagten ausgeschieden; seine Prokura ist erloschen. Dies wurde am 15.01.2008 im Handelsregister eingetragen.

Der Kläger macht Ansprüche auf ein gesellschaftsvertraglich vereinbartes Abfindungsguthaben geltend. Er hat insoweit Klage auf Zahlung von 202.400,00 EUR erhoben.

Die Beklagte hat hilfsweise die Aufrechnung mit Gegenforderungen erklärt und insoweit eine Vielzahl einzelner Schadensersatzforderungen in Gesamthöhe von 719.952,15 EUR aufgelistet. Die Beklagte hat weiter im Hinblick auf von ihr vorgetragene Verstöße des Klägers gegen eine Wettbewerbsklausel Stufenwiderklage auf Auskunft und Schadensersatz erhoben.

Der Kläger trägt vor, die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen seien im Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zu klären, da sie aus behaupteten Pflichtverletzungen des Klägers während dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten herrühren.

Die Beklagte trägt vor, die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen seien im ordentlichen Rechtsweg zu den Zivilgerichten zu klären; es handele sich jeweils um zivilrechtliche Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung und aus gesellschaftsvertraglicher Pflichtverletzung.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 29.10.2009 den Streitwert für die Klage auf 202.400,00 EUR und für die Widerklage auf 1.800,000,00 EUR, mithin insgesamt auf 2.002.400,00 EUR festgesetzt.

Das Landgericht hat mit Teil-Vorbehalts- und Teilurteil vom 25.02.2015 über die Klage- und Widerklageansprüche entschieden und hierbei die Beklagte zur Zahlung von 202.400,00 EUR nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt; zugleich hat es ausgesprochen, dass die Entscheidung über die Aufrechnung der Beklagten mit deren Gegenansprüchen auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen des Klägers als ihres Gesellschafters dem Nachverfahren vorbehalten bleibt. Auf das Urteil und dessen Begründung wird Bezug genommen.

Im Nachverfahren hat der Kläger unter dem 12.05.2015 Antrag auf Entscheidung gemäß § 17a Abs. 3 GVG gestellt, mit dem er die Feststellung begehrt, dass das Landgericht Ansbach wegen der strgg. Hilfsaufrechnungen der Beklagten unzuständig ist.

Das Landgericht hat mit Verfügung vom 15.05.2015 auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit einer Entscheidung gemäß § 17a GVG hingewiesen, da die (Un)Zulässigkeit des Rechtswegs nur für die Rechtssache insgesamt ausgesprochen werden könne, nicht jedoch für im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Gegenforderungen.

Der Kläger hat darauf verwiesen, dass beim Arbeitsgericht Nürnberg unter Az. 3 Ca 1754/15 eine negative Feststellungsklage des Klägers gegen die Beklagte (vgl. Anlage B65) rechtshängig sei, in der das Nichtbestehen der strgg. Aufrechnungsforderungen festgestellt werden solle. Er hat eine Aussetzung des Nachverfahrens im Hinblick hierauf beantragt.

Die Beklagte hat beantragt, den Antrag des Klägers auf Entscheidung gemäß § 17a GVG als unzulässig abzuweisen; sie hat weiter einer Aussetzung des Nachverfahrens widersprochen. Für die beim Arbeitsgericht rechtshängige negative Feststellungsklage bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da das (Nicht)Bestehen der Aufrechnungsforderungen infolge der Aufrechnung bereits im strgg. Verfahren geklärt werde.

Das Landgericht Ansbach hat mit Beschluss vom 22.05.2015 den Antrag des Klägers, die Unzulässigkeit des Rechtswegs zum Landgericht Ansbach hinsichtlich der Aufrechnungsforderungen der Beklagten festzustellen, als unzulässig zurückgewiesen (Ziffer I des Beschlusstenors). Zugleich hat es den Antrag des Klägers, das Nachverfahren auszusetzen, als unbegründet zurückgewiesen (Ziffer II des Beschlusstenors). Auf den Beschluss wird Bezug genommen.

Gegen diesen, ihm am 23. oder 28. oder 29.05.2015 (EB unleserlich) zugestellten Beschluss richtet sich die am 03.06.2015 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers. Der Kläger beantragt insoweit:

1. Der angegriffene Beschluss wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass das Landgericht Ansbach, Kammer für Handelssachen, wegen der von der Beklagten hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen unzuständig ist und das Nachverfahren ausgesetzt wird, bis die Beklagte eine Entscheidung des Arbeitsgerichts über diese Forderungen herbeigeführt hat.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beklagte beantragt:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Mit Beschluss vom 06.07.2015 hat das Landgericht Ansbach der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde gegen die in Ziffer I des Beschlusses vom 22.05.2015 erfolgte Rechtswegentscheidung ist zulässig (siehe unten 1) und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Der Antrag des Klägers, die Unzulässigkeit des Rechtswegs zum Landgericht Ansbach hinsichtlich der Aufrechnungsforderungen der Beklagten festzustellen, kann nicht als unzulässig zurückgewiesen werden (siehe unten 2). Dieser Antrag ist indes unbegründet, da hinsichtlich der Aufrechnungsforderungen der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet ist; dies ist - unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde - festzustellen (siehe unten 3).

1. Bei dem Rechtsmittel des Klägers handelt es sich um eine sofortige Beschwerde gegen eine Rechtswegentscheidung gemäß § 17a Abs. 2 und 3 GVG (wie sie vom Kläger explizit unter dem 12.05.2015 beantragt worden war). Unerheblich ist, dass das Landgericht in der Sache nicht über die (Un)Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden hat - seine diesbezüglichen Ausführungen sind im Rahmen der Verbescheidung des Aussetzungsantrags erfolgt - sondern den Antrag des Klägers auf Erlass einer Rechtswegentscheidung als unzulässig zurückgewiesen hat. In der Sache handelt es sich auch insoweit um die Verbescheidung eines Antrags auf Erlass einer Rechtswegentscheidung, damit um einen Beschluss im Sinne des § 17a Abs. 2 und 3 GVG.

Die sofortige Beschwerde ist damit gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist zudem form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 ZPO) und auch sonst zulässig.

2. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann der Antrag des Klägers, die Unzulässigkeit des Rechtswegs zum Landgericht Ansbach hinsichtlich der Aufrechnungsforderungen der Beklagten festzustellen, nicht als unzulässig zurückgewiesen werden.

Das Landgericht hat ausgeführt, eine Rechtswegentscheidung gemäß § 17a Abs. 2 und 3 GVG sei nur über eine Rechtssache insgesamt möglich, nicht jedoch auch über nach Ansicht einer Partei rechtswegfremde Aufrechnungsforderungen. Diese Rechtsansicht trifft nicht zu. Der eigenständigen Rechtswegprüfung steht nicht entgegen, dass hier allein die Rechtswegzulässigkeit eines zur Aufrechnung gestellten Anspruchs in Frage steht.

a) Bereits vor der Neufassung der §§ 17ff. GVG und des § 48 ArbGG durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - 4. VwGOÄndG) vom 17.12.1990, in Kraft getreten am 01.01.1991 (BGBl. Teil I Seite 2809) entsprach es allgemeiner Auffassung, dass eine Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen nur dann berücksichtigt werden kann, wenn die Forderungen - woran es im Streitfall fehlt - rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder unbestritten sind (vgl. BGH, Urteil vom 11.01.1955 - I ZR 106/53, BGHZ 16, 124, 129; BVerwGE 77, 19; BSGE 19, 207, 209 f.; BFHE 152, 317; jeweils m. w. N.).

b) Hieran hat die Novellierung des insoweit maßgeblichen § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nichts geändert. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Die Befugnis zur Entscheidung über eine zur Aufrechnung gestellte Forderung, für die originär ein anderer Rechtsweg vorgesehen ist, ergibt sich hieraus indes nicht. Denn bei der Aufrechnung handelt es sich nicht um einen „rechtlichen Gesichtspunkt“ des Rechtsstreits im Sinne dieser Regelung, sondern um ein selbstständiges Gegenrecht, das dem durch die Klage bestimmten Streitgegenstand einen weiteren Gegenstand hinzufügt (vgl. BAG, Beschluss vom 23.08.2001 - 5 AZB 3/01, BAGE 98, 384; Beschluss vom 28.11.2007 - 5 AZB 44/07, BAGE 125, 66; BFHE 198, 55; LG Saarbrücken MDR 2012, 669; MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 3. Aufl. § 17 GVG Rn. 15; Prütting/Gehrlein/Bitz, ZPO 7. Aufl. § 17 GVG Rn. 15; Prütting/Gehrlein/Dörr, a. a. O. § 145 Rn. 20; Zöller/Lückemann, ZPO 30. Aufl. § 17 GVG Rn. 10). Durch § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG soll eine einheitliche Sachentscheidung durch ein Gericht ermöglicht werden, wenn derselbe prozessuale Anspruch auf mehreren, eigentlich verschiedenen Rechtswegen zugeordneten Anspruchsgrundlagen beruht (vgl. BGH, Urteil vom 28.02.1991 - III ZR 53/90, BGHZ 114, 1; BAG, Beschluss vom 23.08.2001 - 5 AZB 3/01, BAGE 98, 384; LG Saarbrücken a. a. O.); hieran fehlt es indes bei der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung.

Gegen eine erweiternde Auslegung der Regelung spricht zudem, dass die Problematik der Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen bei der Änderung der §§ 17 ff. GVG durch das 4. VwGOÄndG seit langem bekannt war, aber die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucksache 11/7030 Seiten 37 ff.) allein die Fälle alternativer und kumulativer Klagebegründungen durch verschiedene Anspruchsgrundlagen behandeln (vgl. BAG, Beschluss vom 23.08.2001 a. a. O.). Deshalb fehlt es auch an den Voraussetzungen einer Gesetzesanalogie, zumal die Rechtsprechung bereits früher für die Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen eine verfahrensrechtlich befriedigende Lösung in der Aussetzung des Rechtsstreits oder dem Erlass eines Vorbehaltsurteils gefunden hat.

c) Ist indes das Gericht zur Entscheidung über eine Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen nicht befugt, insoweit vielmehr eine eigenständige Rechtswegprüfung und -entscheidung geboten, dann kann diesbezüglich auch der in § 17a Abs. 2 und 3 GVG vorgesehene Beschluss über die (Un)Zulässigkeit des Rechtswegs ergehen.

Entsprechend war auf die sofortige Beschwerde hin die angefochtene Entscheidung in Ziffer I des Beschlusses vom 22.05.2015 abzuändern.

3. In der Sache führt die sofortige Beschwerde indes nicht - wie beantragt - zur Feststellung der Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs hinsichtlich der aufgerechneten Gegenforderungen, vielmehr zur Bejahung des ordentlichen Rechtswegs zu den Zivilgerichten.

a) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist grundsätzlich für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten eröffnet, § 13 GVG. Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis ist jedoch der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten, die insoweit ausschließlich zuständig sind, gegeben, § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG.

b) Grundlage der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist allein der Sachvortrag der Klagepartei, da nur er den Streitgegenstand bestimmt; Einwendungen der Beklagtenpartei sind insoweit unbeachtlich (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 22.03.1976 - GSZ 2/75, BGHZ 67, 81 - Auto-Analyzer; Beschluss vom 11.07.1996 - V ZB 6/96, BGHZ 133, 240; Beschluss vom 04.03.1998 - VIII ZB 25/97, NJW 1998, 2057; OLG Nürnberg OLGR 2009, 473; Zöller/Lückemann, ZPO 30. Aufl. § 13 GVG Rn. 54; jeweils m. w. N.).

Ob für eine Streitigkeit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, beurteilt sich hierbei weder nach der vorgetragenen Anspruchsgrundlage noch nach der Bewertung durch die klagende Partei. Entscheidend ist vielmehr, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der nach dem bürgerlichen Recht zu beurteilen ist (BGH a. a. O.; BGH, Urteil vom 25.02.1993 - III ZR 9/92, NJW 1993, 1799). Denn die rechtliche Bewertung, ob der Tatsachenvortrag der Klagepartei die behauptete Zulässigkeit des Zivilrechtsweges ergibt, obliegt gleichermaßen wie die Überprüfung der Schlüssigkeit des materiellen Klagevorbringens allein dem angerufenen Gericht. Dies gilt selbst dann, wenn die zuständigkeits- und die anspruchsbegründenden Tatsachen zusammenfallen. Auch dann kommt nicht eine auch nur vorläufige oder summarische Prüfung der für die Zuständigkeitsfrage entscheidungserheblichen Rechtsnormen in Betracht. Vielmehr muss sich auch die behauptete Zuständigkeit schlüssig aus dem Klagevorbringen ergeben; lediglich Beweise brauchen nicht erhoben zu werden (BGH a. a. O. m. w. N.).

c) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht bereits gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG eröffnet.

Danach gelten als Arbeitnehmer nicht in Betrieben einer juristischen Person tätige Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person berufen sind. Der Kläger war auch als Prokurist der Beklagten gemeinsam mit einem Geschäftsführer zur Vertretung der Beklagten befugt.

Die Klage ist jedoch erst nach Beendigung der Prokuristenstellung des Klägers und nach dessen Ausscheiden aus der Beklagten erhoben, die strgg. aufgerechneten Gegenansprüche sind erst nach diesem Zeitpunkt geltend gemacht worden. Nach Beendigung der Organstellung entfällt indes die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, so dass nicht unter diesem Gesichtspunkt die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs bejaht werden kann (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2014 - 10 AZB 98/14, NJW 2015, 718).

d) Die aufgerechneten Gegenansprüche weisen vielmehr in rechtlicher Beziehung eine Doppelnatur auf: einerseits sollen sie - entsprechend dem Vortrag des Klägers - aus behaupteten Pflichtverletzungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses des Klägers herrühren, andererseits - entsprechend dem Vortrag der Beklagten - aus behaupteten gesellschaftsvertraglichen Pflichtverletzungen wie auch aus unerlaubten Handlungen des Klägers. Die Beklagte hat ausdrücklich vorgetragen, dass die von ihr zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzansprüche nur auf die Verletzung von Pflichten als Gesellschafter und auf unerlaubte Handlung gestützt werden.

Wie oben (unter II 3 b) dargelegt, ist Grundlage der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges allein der Sachvortrag der Klagepartei, da nur er den Streitgegenstand bestimmt; Einwendungen der Beklagtenpartei sind insoweit unbeachtlich. Entsprechend ist, soweit es um seitens des Beklagten aufgerechnete Gegenforderungen geht, Grundlage der Entscheidung über die diesbezügliche Zulässigkeit des Rechtsweges allein der Sachvortrag der die Aufrechnung erklärenden Beklagtenpartei, da nur diese hinsichtlich der Aufrechnungsforderungen den Streitgegenstand bestimmt; Einwendungen der Klagepartei sind demnach insoweit unbeachtlich. Ergeben sich aus den diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten, ihre Richtigkeit unterstellt, Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen, für die die Zuständigkeit der Zivilgerichte besteht, so ist für die aufgerechneten Gegenforderungen der Zivilrechtsweg eröffnet.

Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ist die vom Landgericht (im Rahmen der Ausführungen zum Aussetzungsantrag) geäußerte Rechtsauffassung, für die Entscheidung über die aufgerechneten Gegenforderungen sei, soweit diese auf die Verletzung von Gesellschafterpflichten und auf damit (und nicht mit dem Arbeitsverhältnis, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. d ArbGG sowie BGH, Urteil vom 07.02.1958 - VI ZR 49/57, MDR 1958, 331) im Zusammenhang stehende unerlaubte Handlungen gestützt werden, der ordentliche Rechtsweg eröffnet, nicht zu beanstanden. Entsprechend den diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten ergeben sich insoweit zivilrechtliche, insbesondere gesellschafterliche, Beziehungen, für die eine Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben ist.

III.

Die sofortige Beschwerde gegen die in Ziffer II des Beschlusses vom 22.05.2015 erfolgte Entscheidung über den Aussetzungsantrag ist zulässig (siehe unten 1) und führt wegen eines Verfahrensfehlers zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht Ansbach (siehe unten 2).

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen Entscheidungen, durch die die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird, ist statthaft, § 252 ZPO. Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht (§ 569 ZPO) eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

a) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei, § 148 ZPO.

Bei nur teilweise bestehender Vorgreiflichkeit kann ein Rechtsstreit im Hinblick auf ein anderweit anhängiges Verfahren nur dann teilweise ausgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen der Aussetzung nur für einen selbstständigen abtrennbaren Teil des Streitstoffs vorliegen (BGH, Beschluss vom 23.11.2006 - VII ZB 40/06, MDR 2007, 600).

Soweit - wie im Falle des § 148 ZPO - die Aussetzung eines Verfahrens in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, kann die Entscheidung im Beschwerderechtszug nur auf Ermessensfehler kontrolliert werden. Bei der Ermessensentscheidung muss das Gericht Gesichtspunkte der Prozessbeschleunigung wie auch der Prozessökonomie beachten, insbesondere berücksichtigen, ob die gebotene Förderung und Beschleunigung des Prozesses auf andere Weise besser zu erreichen ist. Das Beschwerdegericht hat stets uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (BGH, Beschluss vom 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704; Zöller/Greger, ZPO 30. Aufl. § 252 Rn. 3).

Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO kommt nur in Fällen der Vorgreiflichkeit im Sinne einer präjudiziellen Bedeutung des in dem anderen Prozess (Verwaltungsverfahren) festzustellenden Rechtsverhältnisses in Betracht. Eine Aussetzung scheidet dagegen aus, wenn die in dem anderen Prozess zu treffende Entscheidung auf das vorliegende Verfahren lediglich Einfluss ausüben kann (BGH, Beschluss vom 12.12.2005 - II ZB 30/04 a. a. O.; Beschluss vom 30.03.2005 - X ZB 26/04, BGHZ 162, 373 - Aussetzung wegen Parallelverfahren).

b) Im Streitfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung der Nichtaussetzung auf fehlerfreier Ermessensausübung beruht.

Der angefochtene Beschluss selbst, insbesondere die dort enthaltene Bezugnahme auf Seite 16 der Gründe des am 25.02.2015 verkündeten Teil-Vorbehalts- und Teilurteils, wie auch der Nichtabhilfebeschluss lässt mangels tragfähiger Begründung nicht erkennen, dass überhaupt eine Ermessensausübung stattgefunden hat.

Zur Begründung der gerichtlichen Entscheidung wird lediglich auf den für die aufgerechneten Gegenansprüche (zutreffend, siehe oben) bejahten Zivilrechtsweg verwiesen; diese Begründung erweckt den Eindruck, dass das Landgericht bei Bejahung des Zivilrechtswegs hinsichtlich der Aufrechnungsansprüche eine Aussetzung nicht für möglich gehalten hat. Auf die beim Arbeitsgericht Nürnberg unter gleichem Rubrum anhängige negative Feststellungsklage (Az. 3 Ca 1754/15), die gleichfalls die aufgerechneten Gegenforderungen betrifft (vgl. Anlage B65) und im Hinblick auf die der Kläger explizit Aussetzung des Nachverfahrens beantragt hat, insbesondere auf die Frage einer Vorgreiflichkeit dieses Verfahrens, geht das Landgericht nicht ein. Die angefochtene Entscheidung lässt auch nicht erkennen, dass das Gericht etwaige (welche?) Vorteile einer Aussetzung aufgrund der konkreten Umstände des Falls gegen den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess abgewogen hat (vgl. für eine Aussetzung gemäß § 149 ZPO: BGH, Beschluss vom 17.11.2009 - VI ZB 58/08, MDR 2010, 280). Soweit derartige Vorteile einer Aussetzung etwa in einer möglicherweise gründlicheren Klärung der Gegenansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren liegen könnten, müssten hierzu die streitigen Umstände, auf die es im Zivilverfahren ankommt und die im arbeitsgerichtlichen Verfahren leichter oder einfacher geklärt werden können, so konkret und eingehend dargestellt werden, dass die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Ermessensfehler überprüft werden kann.

Für das Beschwerdegericht muss aufgrund der Begründung des Aussetzungsbeschlusses nachprüfbar sein, dass das Gericht eine entsprechende Abwägung vorgenommen hat. Dies ist im Streitfall indes nicht möglich. Der Senat hat insoweit keine eigene neue Sachentscheidung zu treffen und nicht zu überprüfen, ob bzw. in welchem Ausmaß die Entscheidung des Landgerichts, den Rechtsstreit nicht auszusetzen, sinnvoll ist; seine Kompetenz ist auf eine Prüfung des Vorliegens einer ermessensfehlerhaften Entscheidung beschränkt, also darauf, ob ein Ermessen überhaupt ausgeübt wurde, ob die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurden und ob alle wesentlichen Umstände Beachtung gefunden haben. Dem Beschwerdegericht ist es dagegen verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten zu setzen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO 30. Aufl. § 252 Rn. 3; Zöller/Heßler a. a. O. § 546 Rn. 14 m. w. N.).

c) Im Hinblick auf eine nicht erkennbare Ermessensausübung war auf die sofortige Beschwerde der Aussetzungsbeschluss aufzuheben.

Soweit die Beschwerde weitergehend die Anordnung der Aussetzung des Nachverfahrens erstrebt, kann, wie dargelegt, der Senat keine eigene Ermessensentscheidung treffen. Insoweit wird das Landgericht erneut zu entscheiden haben.

IV.

1. Hinsichtlich der Rechtswegentscheidung hat der Senat die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegeneinander aufgehoben. Der Kläger hat auf seine Beschwerde hin zwar eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung erreicht, indes nicht den von ihm erstrebten Ausspruch der Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs für die Aufrechnungsforderungen.

Hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst; etwa entstandene Kosten sind Teil der Prozesskosten und ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704).

2. Hinsichtlich der Rechtswegentscheidung liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde zum Bundesgerichtshof gemäß § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG nicht vor.

Hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vor, so dass die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen war.

3. Hinsichtlich der Rechtswegentscheidung hat der Senat den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren gemäß § 3 ZPO mit einem Bruchteil von 1/3 der aufgerechneten Gegenforderungen bemessen (vgl. Zöller/Lückemann, ZPO 30. Aufl. § 17a GVG Rn. 20). Ausgehend von hilfsweise aufgerechneten Gegenforderungen im Gesamtumfang von 719.952,15 EUR ergibt dies einen Beschwerdewert von 239.984,05 EUR.

Hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung folgt die Festsetzung des Beschwerdewerts aus § 3 ZPO. Für eine Beschwerde gegen einen (Nicht)Aussetzungsbeschluss bemisst sich der Streitwert an dem nach § 3 ZPO zu schätzenden Interesse der Parteien an der Entscheidung über die Aussetzung, das regelmäßig mit 1/5 des Hauptsachewerts zu bemessen ist (vgl. Zöller/Herget, ZPO 30. Aufl. § 3 Rn. 16 Stichwort „Aussetzungsbeschluss“ m. w. N.). Im Streitfall ergibt dies einen Beschwerdewert von 143.990,23 EUR.

(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.

(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.

(1) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so kann, wenn nur die Verhandlung über die Forderung zur Entscheidung reif ist, diese unter Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung ergehen.

(2) Enthält das Urteil keinen Vorbehalt, so kann die Ergänzung des Urteils nach Vorschrift des § 321 beantragt werden.

(3) Das Urteil, das unter Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung ergeht, ist in Betreff der Rechtsmittel und der Zwangsvollstreckung als Endurteil anzusehen.

(4) In Betreff der Aufrechnung, über welche die Entscheidung vorbehalten ist, bleibt der Rechtsstreit anhängig. Soweit sich in dem weiteren Verfahren ergibt, dass der Anspruch des Klägers unbegründet war, ist das frühere Urteil aufzuheben, der Kläger mit dem Anspruch abzuweisen und über die Kosten anderweit zu entscheiden. Der Kläger ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist. Der Beklagte kann den Anspruch auf Schadensersatz in dem anhängigen Rechtsstreit geltend machen; wird der Anspruch geltend gemacht, so ist er als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.

(1) Soweit nicht anders vereinbart, ist der Verkäufer eines Grundstücks verpflichtet, Erschließungsbeiträge und sonstige Anliegerbeiträge für die Maßnahmen zu tragen, die bis zum Tage des Vertragsschlusses bautechnisch begonnen sind, unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld.

(2) Der Verkäufer eines Grundstücks haftet nicht für die Freiheit des Grundstücks von anderen öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Der Wiederverkäufer kann für Verwendungen, die er auf den gekauften Gegenstand vor dem Wiederkauf gemacht hat, insoweit Ersatz verlangen, als der Wert des Gegenstandes durch die Verwendungen erhöht ist. Eine Einrichtung, mit der er die herauszugebende Sache versehen hat, kann er wegnehmen.

(1) Soweit nicht anders vereinbart, ist der Verkäufer eines Grundstücks verpflichtet, Erschließungsbeiträge und sonstige Anliegerbeiträge für die Maßnahmen zu tragen, die bis zum Tage des Vertragsschlusses bautechnisch begonnen sind, unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld.

(2) Der Verkäufer eines Grundstücks haftet nicht für die Freiheit des Grundstücks von anderen öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind.

(1) Das Wasserversorgungsunternehmen ist berechtigt, von den Anschlußnehmern einen angemessenen Baukostenzuschuß zur teilweisen Abdeckung der bei wirtschaftlicher Betriebsführung notwendigen Kosten für die Erstellung oder Verstärkung von der örtlichen Versorgung dienenden Verteilungsanlagen zu verlangen, soweit sie sich ausschließlich dem Versorgungsbereich zuordnen lassen, in dem der Anschluß erfolgt. Baukostenzuschüsse dürfen höchstens 70 vom Hundert dieser Kosten abdecken.

(2) Der von den Anschlußnehmern als Baukostenzuschuß zu übernehmende Kostenanteil kann unter Zugrundelegung der Straßenfrontlänge des anzuschließenden Grundstücks und des Preises für einen Meter Versorgungsleitung bemessen werden. Der Preis für einen Meter Versorgungsleitung ergibt sich aus den Anschaffungs- und Herstellungskosten der in Absatz 1 genannten Verteilungsanlagen, geteilt durch die Summe der Straßenfrontlängen aller Grundstücke, die im betreffenden Versorgungsbereich an die Verteilungsanlagen angeschlossen werden können. Das Wasserversorgungsunternehmen kann der Berechnung eine die Verhältnisse des Versorgungsbereichs berücksichtigende Mindeststraßenfrontlänge von bis zu 15 Metern zugrunde legen.

(3) Das Wasserversorgungsunternehmen kann bei der Bemessung des Baukostenzuschusses an Stelle oder neben der Straßenfrontlänge andere kostenorientierte Bemessungseinheiten, wie die Grundstücksgröße, die Geschoßfläche oder die Zahl der Wohnungseinheiten oder gleichartiger Wirtschaftseinheiten verwenden. In diesem Fall ist bei der Berechnung des Baukostenzuschusses die Summe der Bemessungseinheiten der Grundstücke zu berücksichtigen, die im betreffenden Versorgungsbereich angeschlossen werden können.

(4) Ein weiterer Baukostenzuschuß darf nur verlangt werden, wenn der Anschlußnehmer seine Leistungsanforderung wesentlich erhöht. Er ist nach den Absätzen 2 und 3 zu bemessen.

(5) Wird ein Anschluß an eine Verteilungsanlage hergestellt, die vor dem 1. Januar 1981 errichtet worden oder mit deren Errichtung vor diesem Zeitpunkt begonnen worden ist, so kann das Wasserversorgungsunternehmen abweichend von den Absätzen 1 bis 3 einen Baukostenzuschuß nach Maßgabe der für die Anlage bisher verwendeten Berechnungsmaßstäbe verlangen.

(6) Der Baukostenzuschuß und die in § 10 Abs. 5 geregelten Hausanschlußkosten sind getrennt zu errechnen und dem Anschlußnehmer aufgegliedert auszuweisen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.