Gericht

Sozialgericht Nürnberg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III.

Der Streitwert wird auf 963,24 € festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 963,24 € nebst Zinsen in Höhe von 8%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2012 nach Abgabe des Arzneimittels „REMICADE(r) 100 mg TAM 3 St“ der K. GmbH durch ihn am 08.03.2012 und Retaxation dieses Betrags am 27.09.2012 durch die Beklagte hat.

Am 08.03.2012 gab der Kläger aufgrund vertragsärztlicher Verordnung des Internisten und Rheumatologen W.R. eine Packung des Importarzneimittels „REMICADE 100 mg Trockenampullen 3 St“ der K. GmbH zulasten der Beklagten ab. In der ärztlichen Verordnung war das sog. „aut idem“ Feld nicht angekreuzt. Zum Zeitpunkt der Abgabe benutzte der Kläger die Apotheken-Software „a.“. Dem Kläger wurde im Rahmen der Abfrage des Arzneimittels am 08.03.2012 durch die benutzte Apotheken-Software erkennbar angezeigt, dass das Arzneimittel die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln nach § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einhält, d. h. der Preis des abgegebenen Arzneimittels mindestens 15% bzw. 15,00 € niedriger ist als der Preis des Bezugsarzneimittels. Gleichzeitig wurde dem Kläger angezeigt, dass für das rabattbegünstigte Originalpräparat „Remicade(r) der M. GmbH“ ein Rabattvertrag bestand. Zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels „Remicade(r)“ am 08.03.2012 konnte der Kläger in der von ihm benutzten Apothekensoftware jedoch nicht erkennen, ob das rabattbegünstigte Originalpräparat „Remicade(r) der M.GmbH“ günstiger als das von ihm abgegebene Importprodukt war.

Mit Schriftsatz vom 01.08.2012 beanstandete die S. IT-Dienstleistungs GmbH, die im Namen und im Auftrag der Beklagten Rezept- und Abrechnungsprüfungen vornimmt, die Nichtberücksichtigung des Rabattvertrags wegen der Abgabe von Remicade(r) der K. GmbH am 08.03.2012. Die abgerechnete Verordnung werde beanstandet und eine Kürzung/Retaxation des Gesamtabrechnungsbetrags für das Arzneimittel in Höhe von 2.752,12 € um 35% in Höhe von 963,24 € vorgenommen, d. h. es werde eine Aufrechnung mit dem Vergütungsanspruch des Klägers erfolgen. Die vom Kläger hiergegen mit Schriftsätzen vom 30.08.2012 und 13.11.2012 erhobenen Einsprüche lehnte die S. IT-Dienstleistungs GmbH mit Schriftsätzen vom 17.10.2012 und 12.12.2012 ab. Die Retaxation des Betrags in Höhe von 963,24 € war am 27.09.2012 erfolgt.

Am 22.02.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (Schriftsatz vom 21.02.2013) und zur Begründung mit Schriftsätzen vom 21.02.2013, 01.08.2013, 15.10.2013, 13.01.2014, 03.03.2014, 26.05.2014, 22.10.2014 und 12.02.2015 insbesondere Folgendes vorgetragen:

Er habe einen gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Beklagte und somit einen Anspruch auf Zahlung von 2.752,12 € (Preis für eine Packung Remicade(r) der K. GmbH nach Abzug des Hersteller-Apothekenrabatts) gemäß § 129 SGB V i. V. m. dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V i. d. F. vom 01.02.2011 und dem Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay) vom 14.06.2007. Eine Verpflichtung zur bevorzugten Abgabe des rabattierten Originalarzneimittels nach § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V und § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrages habe nicht bestanden. Denn das abgegebene K.-Präparat sei wirtschaftlich gewesen. Grundsätzlich seien die Apotheken nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenvertrags zur Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln an Versicherte verpflichtet. Die Auslegung des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V (als gesetzliche Basis des § 5 Abs. 1 Satz 3 des Rahmenvertrags) nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie nach der Systematik ergebe eindeutig, dass kein pauschaler Vorrang eines rabattierten Originalarzneimittels gegenüber einem Importarzneimittel bestehe.

Der Wortlaut des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V sei sehr wohl der Auslegung fähig. Einen eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Gesetzeswortlaut gebe es bereits nicht (so auch Secker in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, Einleitung, Rn. 115). Maßgeblich für die Auslegung sei in jedem Falle, dass der Gesetzeszweck („ratio legis“) bei der Anwendung der Vorschrift verwirklicht und ein widersinniges, d. h. mit dem Gesetzeszweck unvereinbares Ergebnis vermieden werde (vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 333). Die Vorschrift sei durch das „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ (AMNOG) in das SGB V integriert worden. Ziel des Gesetzes sei es, „die rasant steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen einzudämmen“. Gehe es damit vorrangig um Kosteneffizienz und Kostenersparnis, sei es mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar, dass rabattbegünstigte Arzneimittel gegenüber parallelimportierten, nicht rabattbegünstigten Arzneimitteln immer vorrangig abzugeben seien und zwar selbst dann, wenn sie tatsächlich teurer seien als parallelimportierte, nicht rabattbegünstigte Arzneimittel.

Nach dem Wortlaut der Norm habe zwar die Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels „Vorrang“ vor der Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln. Allerdings seien gemäß § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V die Sätze 3 und 4 nicht unmittelbar, sondern nur „entsprechend“ anzuwenden. § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V schränke im 2. Halbsatz die unbedingte Substitutionspflicht des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V („.... ist die Ersetzung vorzunehmen ...“) ein („ ... hat die Abgabe eines [Rabatt-]Arzneimittels [...] Vorrang ... „). Bereits aus diesem Unterschied im Wortlaut ergebe sich ohne weiteres, dass der Gesetzgeber die Substitutionspflicht des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht eins zu eins für den Importbereich habe übernehmen wollen. Andernfalls hätte es ausgereicht, den 2. Halbsatz des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V schlicht wegzulassen. Wäre es tatsächlich die Absicht des Gesetzgebers gewesen, den Apotheker zur Abgabe des rabattierten Arzneimittels in allen Fällen ohne weitere Prüfung der Wirtschaftlichkeit zu verpflichten, hätte der Gesetzgeber formulieren können und müssen: „Bei Bestehen einer Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 ist entgegen Satz 1 Nr. 2 das rabattierte Arzneimittel abzugeben“. Die Einlassung der Beklagten diene ersichtlich lediglich den Partikularinteressen der Beklagten, nicht jedoch dem elementaren Grundsatz der Beitragsstabilität (siehe LSG Bayern, Urteil vom 04.12.2013, L 12 KA 37/11) und schon gar nicht der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, obwohl diese „in einem Sozialstaat ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ sei (so schon BVerfG vom 13.09.2005, 2 BvF 2/03, Rn. 239 m.w.N).

Die Gesetzesbegründungen untermauerten dieses:

Die Gesetzesbegründung zu § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V, auf die die Beklagte auf Satz 2 ihres Schriftsatzes vom02.12.2013 verweise, sei zur Auslegung des erst später eingeführten § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V nur insoweit ergiebig, als sie den Unterschied in der Auslegung der beiden Normen verdeutliche. In der Gesetzesbegründung zu § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V heiße es ausdrücklich, dass „Voraussetzung für die Austauschpflicht der Apotheke ist, dass das rabattierte Arzneimittel nach Abzug des Rabatts preisgünstiger ist“ (BT-Drs. 17/3698 S. 53). Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung damit klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass ein Vorrang zugunsten eines rabattierten patentgeschützten Arzneimittels nur bestehen solle, wenn das rabattierte Originalarzneimittel tatsächlich preisgünstiger als das Importarzneimittel sei. Anders sei dies für das Verhältnis von Originalarzneimittel und Generikum nach § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Bei der Einführung der vorrangigen Abgabe von Rabattarzneimitteln gemäß § 129 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) habe der Gesetzgeber - anders als bei der vorliegenden Regelung - in der Gesetzesbegründung gerade nicht erläutert, dass ein Vorrang nur bestehe, wenn das rabattierte Arzneimittel preisgünstiger sei. Im Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20.07.2011 u. a. an den GKV-Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den Deutschen Apothekerverband e.V. heiße es:

„Hat eine Krankenkasse für ein patentgeschütztes Bezugsarzneimittel eine Rabattvereinbarung getroffen und ist der sich daraus ergebende Zahlbetrag der Krankenkassen höher als der Schwellenwert für die Preisgünstigkeit von Importen zu marktüblichen Preisen, gilt auch nach dem Inkrafttreten des AMNOG, dass die Krankenkasse die Apotheken nicht zur Abgabe des unwirtschaftlichen Bezugsarzneimittels durch Hinterlegung eines Rabatt-Kennzeichens verpflichten darf. Dies gilt unabhängig vom Inhalt dieses Rabattvertrags zwischen der Krankenkasse und dem pharmazeutischen Unternehmen nach § 130 a Abs. 8 SGB V“.

Es werde ausdrücklich bestritten, dass das rabattbegünstigte Arzneimittel „Remicade(r) der M. GmbH“ preisgünstiger als das tatsächlich abgegebene der K. GmbH gewesen sei. Die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 17.10.2012 lediglich behauptet, der Rabattvertrag mit dem Originalhersteller sei für die Kasse günstiger. Sie bleibe allerdings jegliche Beweise für diese pauschale Behauptung schuldig. Das Verhalten der Beklagten sei als vorwerfbare Beweisvereitelung zu werten, die zu einer Beweislastumkehr führe (vgl. BSG Urteil vom 29.04.1976, Az. 12/3 RK 66/75, Rn. 20). Auch sei er grundsätzlich an das in § 12 Abs. 1 SGB V verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden. § 70 SGB V regele ebenfalls ausdrücklich, dass die Versorgung der Versicherten wirtschaftlich erbracht werden müsse.

Eine Verpflichtung zur vorrangigen Abgabe ergebe sich für ihn auch nicht aufgrund § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrags. Diese Vorschrift könne ihm keine weitergehenden Pflichten auferlegen als es die gesetzlichen Bestimmungen des SGB V vorsähen. Ferner habe sich für ihn keine Verpflichtung zur bevorzugten Abgabe des rabattierten Originalarzneimittels wegen fehlerhafter Hinterlegung eines Rabatthinweises ergeben, weil das Rabattkennzeichen - wegen Unwirtschaftlichkeit des rabattbegünstigten Arzneimittels im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V - durch die Beklagte in der Arzneimitteldatenbank nicht habe hinterlegt werden dürfen.

Die von der Beklagten gezahlten Arzneimittelvergütungen könnten nur dann zurückgefordert werden, wenn zwischen ihm und der Beklagten kein wirksamer Beschaffungsvertrag für das Arzneimittel „Remicade(r)“ zustande gekommen sei (vgl. BSG, Urteil vom 03.08.2006, B 3 KR 6/06 R). Hier sei aber ein wirksamer Vertrag zustande gekommen, weil die Abgabe durch ihn im Einklang mit den Vorgaben des SGB V und des Rahmenvertrags erfolgt sei.

Hilfsweise solle darauf hingewiesen werden, dass die von der Beklagten geltend gemachte Retaxation in Höhe von 35% der Kosten für Remicade(r), also ein Retaxierungsbetrag in Höhe von 963,24 €, jeglicher Rechtsgrundlage entbehre. Weder im SGB V noch im Rahmenvertrag oder im AV-Bay finde sich eine entsprechende Regelung, die eine derartige Aufrechnung erlaube. Da es vorliegend nicht um die Sanktionierung von Verstößen, sondern lediglich darum gehe, eine etwaige unrechtmäßige Vermögenslage nachträglich zu korrigieren, könne im Falle eines Verstoßes gegen die Bestimmungen der §§ 129 Abs. 1 SGB V, 4 Abs. 2 Rahmenvertrag -also bei Nichtabgabe eines vorrangigen rabattbegünstigten Arzneimittels- eine Folgenbeseitigung nur die entgangene Rabatthöhe umfassen, weil nur insoweit eine unrechtmäßige Vermögenslage tatsächlich bestehe. Eine derartige Retaxierung des dem Grunde nach entstandenen Vergütungsanspruchs des Apothekers würde -analog den im Urteil des SG Lübeck (Urteil vom 02.02.2012, Az. S 3 KR 761/09) entwickelten Grundsätzen -eine Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bedeuten, die nicht durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Die Regelungen in § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 SGB V hätten das Ziel, die Abgabe rabattgünstiger Arzneimittel zu fördern und dadurch Wirtschaftlichkeitsreserven bei der Arzneiversorgung auszuschöpfen. Dieser Zweck rechtfertige es nicht, bei Verstößen gegen die Pflicht zur Abgabe der Arzneimittel, für die eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 SGB V bestehe, die Retaxierung eines Pauschalbetrags vorzunehmen, da ein solcher Eingriff nicht erforderlich sei. Die Krankenkassen hätten die Möglichkeit, dem Apotheker bei Verstößen gegen Bestimmungen über die Abgabe von Arzneimitteln die in § 11 Abs. 1 Rahmenvertrag vorgesehenen Sanktionen aufzuerlegen. Die Beklagte könne nur die Erstattung des tatsächlich entstandenen Schadens verlangen. Dazu müsste sie jedoch den Schadensbetrag nachweisen, d. h. den Rabattvertrag offenlegen.

Die Entscheidungen des BSG vom 02.07.2013 seien in einem vom Deutschen Apothekerverband und der TKK geführten sog. Musterstreitverfahren ergangen, was darauf hinweise, dass es in diesen Rechtsstreitigkeiten allein um die Frage gegangen sei, ob bei der Nichtabgabe eines rabattbegünstigen Arzneimittels der Rechnungsbetrag durch die Krankenkasse in voller Höhe (sog. Null-Retaxation) berichtigt werden könne, vgl. § 1 Musterstreitvereinbarung. Die Fallgestaltungen der BSG-Entscheidungen hätten das Verhältnis zwischen rabattierten Arzneimitteln und generischen (wirkstoffgleichen) Arzneimitteln und damit die Fallgestaltung des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V betroffen.

Für die nicht durch Aufrechnung erloschene Forderung stünden ihm Verzugszinsen gemäß § 61 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. den §§ 288 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog in geltend gemachter Höhe zu. Die Zinshöhe betrage, da hier ein Verbraucher nicht beteiligt sei, analog § 288 Abs. 2 BGB 8%-Punkte über dem Basiszinssatz.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 963,24 € nebst Zinsen in Höhe von 8%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2012 zu zahlen.

Hingegen beantragt die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Zur Klageerwiderung trägt die Beklagte mit Schriftsätzen vom 04.07.2013, 20.09.2013, 02.12.2013, 31.01.2014, 24.04.2014, 11.06.2014, 26.08.2014, 20.01.2015 und 06.08.2015 insbesondere Folgendes vor:

Zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels „Remicade(r)“ am 08.03.2012 habe für den Kläger eine Substitutionspflicht bestanden, die in § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Satz 3 SGB V mit dem GKV-WSG vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) geregelt worden sei. Die Substitutionspflicht als Vorrang eines rabattierten Arzneimittels gegenüber einem nicht rabattierten Arzneimittel habe der Gesetzgeber mit dem ANMOG (BT-Drs. 17/3698) auf den Bereich der Importarzneimittel ausgedehnt. Die vom Kläger zitierte Gesetzesbegründung zu Art. I Nr. 15 Buchst. a „cc“ der vorgenannten Drucksache werde auf deren S. 76 wie folgt eingeleitet:

„Mit Satz 7 [des § 129 Abs. 1 SGB V] wird die Verpflichtung zur Abgabe von Arzneimitteln, für die eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 besteht, auch für importierte Arzneimittel und ihre Bezugsarzneimittel hergestellt (...). Künftig haben auch Hersteller patentgeschützter Arzneimittel sowie Arzneimittelimporteure die Gewähr, dass Arzneimittel, für die sie eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 geschlossen haben, an Versicherte der jeweiligen Krankenkasse vorrangig abgegeben werden. Voraussetzung für die Austauschpflicht der Apotheke ist, dass das rabattierte Arzneimittel nach Abzug des Rabatts preisgünstiger ist. Bei Rabattverträgen für Importarzneimittel sowie ihre Bezugsarzneimittel ist die Lieferfähigkeit sicherzustellen. Nur unter dieser Voraussetzung darf eine Krankenkasse an die maßgebliche Datenbank ein entsprechendes Kennzeichen melden, so dass die Apotheke das rabattierte Arzneimittel vorrangig abgeben muss“.

Die vorstehenden Ausführungen fänden auch in der jüngsten Rechtsprechung des BSG (vom 04.07.2013, B 1 KR 49/12 R) ihre Entsprechung. Diese Pflicht zur vorrangigen Abgabe von Rabattarzneimitteln sei dem Gesetzeswortlaut unzweifelhaft zu entnehmen, eines Rückgriffs auf die Gesetzesbegründung bedürfe es daher nicht. Zudem habe der Gesetzgeber des AMNOG diese Pflicht zur vorrangigen Abgabe von Rabattarzneimitteln nicht relativiert, sondern ausgedehnt.

Der Kläger habe zur Zeit der Abgabe des Importarzneimittels gewusst, dass in der Apothekensoftware ein rabattiertes Arzneimittel hinterlegt gewesen sei. Er berufe sich dabei darauf, dass die Abgabe des Importarzneimittels wirtschaftlicher gewesen wäre, gibt in seiner Klagebegründung jedoch zugleich zu erkennen, dass er den Abgabepreis des rabattierten Arzneimittels nicht kenne. Nach den allgemeinen Beweislastregeln sei es zum einen Sache des Klägers, darzulegen und zu beweisen, dass das Importarzneimittel tatsächlich günstiger gewesen sei. Wenn er sich zudem sehenden Auges in eine Beweisnot begebe, sei das Verlangen nach einer Umkehr der Beweislast treuwidrig. Zum anderen verhalte es sich tatsächlich so, dass das Rabattarzneimittel günstiger gewesen sei, zumal der gesamte Rabattvertrag andernfalls keinen Sinn für die Beklagte mache. Letztlich komme es darauf aber nicht mehr an. Das BSG habe mit den Urteilen vom 02.07.2013 (B 1 KR 49/12 R und B 1 5/13 R) entschieden, dass sich die Apotheken zwingend an Rabattverträge zu halten hätten, weil der Versicherte - so lange die Substitution - wie hier - nicht ausgeschlossen sei - ausschließlich Anspruch auf das rabattierte Präparat habe. Der Gesetzeswortlaut sei insoweit eindeutig. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit sei dem Leistungsgefüge des SGB V immanent. Es sei jedoch innerhalb des Systems der Arzneimittelabgabe gemäß § 129 Abs. 1 SGB V kein Raum und auch in § 129 Abs. 1 SGB V gesetzlich nicht vorgesehen, dass der Leistungserbringer bei unstreitig bestehendem Rabattvertrag eine Wahlmöglichkeit unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit habe. Das vom Kläger zitierte Schreiben des BMG richte sich ausschließlich als Verwaltungsinternum an die Krankenkassen und stelle klar, unter welchen Voraussetzungen eine Krankenkasse ein Rabattkennzeichen melden dürfe. Hierdurch werde aber kein Handlungsspielraum für den Kläger eröffnet, insbesondere kein Recht. Auch könne es nicht sein, dass der Kläger das Melden von Rabattkennzeichen durch die Beklagte einem „Generalverdacht“ der Unwirtschaftlichkeit bzw. des Verstoßes gegen die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Rabattkennzeichnung aussetze und damit das System der Rabattverträge auf den Kopf stelle. Wäre dies möglich, müssten die Kassen die Inhalte der Rabattverträge regelmäßig offenlegen, dann wäre das Substitutionsgebot nicht mehr praktikabel, weil es stets sein könnte, dass ein anderes (Import-)Arzneimittel vielleicht gerade günstiger gewesen wäre. Der Rabattvorrang gelte grundsätzlich, insbesondere auch im Verhältnis zur Abgabe von Importarzneimitteln gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V, zumal sonst die vom Gesetzgeber gewünschte Wirksamkeit der Arzneimittelrabatte unterlaufen werde (vgl. auch BSG, a. a. O.). Das System der Arzneimittelabgabe mit der von den Krankenkassen selbst herbeigeführten und aufrechterhaltenen Intransparenz der Arzneimittelabgabepreise (vgl. Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 13.01.2014, S. 5 oben) beruhe nicht zuletzt auf der Rahmenvereinbarung nach § 129 Abs. 2 SGB V, die zwischen dem GKV Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband e.V., mithin der Spitzenorganisation der Apothekerinnen und Apotheker, geschlossen worden sei. Aus der so beschriebenen Substitutionspflicht auf Seiten des Klägers als Leistungserbringer resultiere auch eine leistungsrechtliche Anspruchsberechtigung des Versicherten, die hierdurch und hierauf begrenzt sei.

Die Beklagte hätte eine Retaxation auf Null durchführen können. Weil ihr diese Maßnahme als zu hart erschienen sei, habe sie zu einem milderen Mittel gegriffen und eine Retaxation auf 65% dadurch durchgeführt, dass sie 35% des Arzneimittelbetrags einbehalten habe, dem Kläger mithin 65% verblieben seien.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Stellungnahmen der Beteiligten in der Gerichtsakte verwiesen.

Gründe

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; es liegt ein Streit im Gleichordnungsverhältnis vor, in dem auf Seiten der Krankenkassen eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSGE 90/1 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3 S. 18, 20, BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 12, Rn. 10). Es bedurfte weder der Einhaltung einer Klagefrist gemäß § 87 SGG noch der Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 78 SGG.

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von 963,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2012 zu. Denn der Vergütungsanspruch des Klägers für die Abgabe des Arzneimittels „REMICADE(r) 100 mg TAM 3 St“ der K. GmbH am 08.03.2012 ist am 27.09.2012 durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen.

Nach § 129 SGB V (i. d. F. des Gesetzes vom 22.12.2010 - Arzneimittelmarktverordnungsgesetz BGBl. I 2010, 2262) geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarung und Landesverträge (§ 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V, vgl. auch § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab. Diese Vorschrift begründet in Verbindung mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 02.07.2013, B 1 KR 49/12 R; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 2 Rn. 13; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 §129 Nr. 5 Rn. 15). Die entsprechende Anwendung von Grundsätzen des Kaufvertragsrechts (vgl. §§ 433 ff. BGB i. V. m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V) scheidet aus.

Der in Höhe von 963,24 Euro entstandene streitgegenständliche Vergütungsanspruch des Klägers erlosch dadurch, dass die Beklagte analog § 387 BGB in gleicher Höhe mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen ihn am 27.09.2012 aufrechnete.

Die Anwendbarkeit der §§ 387 ff BGB analog folgt aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (siehe BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 16; BSG, Urteil vom 02.07.2013, a. a. O.) geht die erkennende Kammer davon aus, dass das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen umfassend ist. Daher betrifft es nicht nur die Korrektur von sog. Abrechnungsfehlern. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind vielmehr grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es z. B. an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt oder ein Medikament unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages (ALV) abgegeben worden ist (vgl. z. B. BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6 - fehlende Genehmigung der Krankenkassen vor Abgabe des Importarzneimittels). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des Rahmenvertrags. Ein Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis ergibt sich hier weder aus dem Gesetz noch aus den Rahmenverträgen.

Die Aufrechnung mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung durch die Beklagte am 27.09.2012 war rechtmäßig (vgl. zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch z. B. BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17 b Nr. 2, Rn. 10 f m. w. N.; zur Aufrechnung mit diesen z. B. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 11; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 10; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr. 3 Rn. 15). Die Rückabwicklungsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern aus einer fehlgeschlagenen, aber intendierten Leistungserbringung für nach dem SGB V Versicherte sind kongruent zu den Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Natur. Der Vergütungsanspruch des Klägers einerseits und der von der Beklagten gemäß den rahmenvertraglichen Bestimmungen formell ordnungsgemäß geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllten zum Zeitpunkt der Aufrechnung am 27.09.2012 die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war fällig und der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllbar.

Die Beklagte hatte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm ohne Rechtsgrund 963,24 Euro aufgrund der Lieferung des Arzneimittels „REMICADE(r) 100 mg TAM 3 St“ der K. GmbH gezahlt hatte. Der vom Kläger hierfür geltend gemachte Vergütungsanspruch war nicht entstanden. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wertersatz oder zumindest auf Erstattung der Kosten der Warenbeschaffung. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten wie auch seine Geltendmachung im Aufrechnungswege stehen im Einklang mit höherrangigem Recht.

Der Kläger erwarb keinen Vergütungsanspruch, weil er zur Abgabe des Arzneimittels „REMICADE(r) 100 mg TAM 3 ST“ der K. GmbH an die Versicherte nicht berechtigt war. Er erfüllte damit nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht, sondern missachtete das Substitutionsgebot für „aut idem“ verordnete Rabattarzneimittel. Dieses Substitutionsgebot beruht auf § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V und dem ergänzenden Vertragsrecht und gilt nach § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V auch im Verhältnis von Rabattarzneimitteln zu Importarzneimitteln. Die Verletzung des Substitutionsgebots schließt einen Vergütungsanspruch des Klägers aus, weil er sich nicht darauf berufen kann, dass das von ihm abgegebene Importarzneimittel preisgünstiger war als das rabattbegünstigte Originalpräparat „Remicade(r)“ der M. GmbH.

Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe der Rahmenvertrags nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels u. a. in den Fällen verpflichtet, in denen der verordnende Arzt die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat (§ 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b SGB V). In den Fällen der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt (Satz 2). Nach § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 SGB V mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in ergänzenden Verträgen auf Landesebene nach § 129 Abs. 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist (Satz 3). Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 SGB V, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrags vorzunehmen. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 4 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nr. 2, Satz 7.

Zur Überzeugung der erkennenden Kammer steht fest, dass die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 SGB V besteht, Vorrang vor der Abgabe nach § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V hat. Dies ergibt sich aus der grammatikalischen Auslegung des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V, dem systematischen Zusammenhang mit den Sätzen 3 und 4 sowie Satz 1 Nr. 2 sowie aufgrund der teleologischen Auslegung des Satz 7.

Bei der grammatikalischen Auslegung ist die Grenze des möglichen Wortsinns auch die Grenze der Auslegung (siehe BVerfGE 71, 115; 87, 224). Will die Rechtsprechung diese Grenze überschreiten, so kann das nicht durch Interpretation, sondern nur durch gesetzesergänzende oder gesetzesberichtigende Rechtsfortbildung, insbesondere durch „Lückenausfüllung“ geschehen (siehe Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl., § 9 II S. 47). Maßgeblich ist, welche Bedeutungen einem Wort (bzw. Satz) gerade noch beigelegt werden können und zwar - soweit das Gesetz keine abweichende Begriffsbestimmung enthält - nach dem Sprachgebrauch der Rechtsgemeinschaft (Zippelius, a. a. O., Seite 47).

Der Wortlaut des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V verpflichtet den Apotheker jedoch eindeutig und ohne Einschränkung zur vorrangigen Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 SGB V besteht, vor der Abgabe eines Importarzneimittels. Dies ist insbesondere dem 2. HS des Satz 7 mit der Formulierung: „... dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130 a Abs. 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nr. 2...“ zu entnehmen. Damit hat der Gesetzgeber den uneingeschränkten Vorrang des Rabattarzneimittels gegenüber dem Importarzneimittel ausdrücklich normiert. Bei der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung hätte der Gesetzgeber eine andere Formulierung wählen müssen. Seine Argumentation, einen eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Gesetzeswortlaut gebe es bereits nicht, entwertet die grammatikalische Auslegung einer Norm als eigenständige Auslegungsmethode und hätte letztlich eine durch die historische, systematische und teleologische Auslegung nicht zu kompensierende Rechtsunsicherheit zur Folge.

Die Einwendungen des Klägers gegen diese Interpretation sind unbegründet. Insoweit trägt der Kläger vor, dass die Sätze 3 und 4 nach § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend anzuwenden seien, so dass nach dem insoweit ungenauen Gesetzeswortlaut unklar bleibe, ob der Vorrang uneingeschränkt gelte. Dies sei allerdings nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht anzunehmen. § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB V regelten in direkter Anwendung lediglich das Verhältnis von rabattierten Arzneimitteln zu generischen (wirkstoffgleichen) Arzneimitteln. Es finde hier § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V Anwendung, der auf eine lediglich entsprechende Anwendung des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V verweise und im 2. HS die unbedingte Substitutionspflicht des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V („... ist die Ersetzung vorzunehmen...“) eingeschränkt habe („... hat die Abgabe eines Arzneimittels <...> Vorrang...“). Bereits aus diesem Unterschied im Wortlaut ergebe sich ohne Weiteres, dass der Gesetzgeber die Substitutionspflicht des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht eins zu eins für den Importbereich habe übernehmen wollen. Andernfalls hätte es ausgereicht, den 2. HS des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V schlicht wegzulassen.

Soweit die Sätze 3 und 4 des § 129 Abs. 1 SGB V nach Satz 7 dieser Vorschrift „entsprechend“ anzuwenden sind, lässt sich daraus weder eine Unklarheit der Vorschrift noch eine Wahlmöglichkeit des Apothekers unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ableiten. Dies ergibt sich schon aus der klarstellenden Funktion des 2. HS des Satz 7. Die unterschiedliche Wortwahl (einerseits „... ist die Ersetzung vorzunehmen...“, andererseits „... hat die Abgabe eines Rabattarzneimittels Vorrang...“) ist kein stichhaltiges Argument für die Rechtsauffassung des Klägers, dass der Gesetzgeber die Substitutionspflicht des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht eins zu eins für den Importbereich habe übernehmen wollen. Vielmehr ist der Wortlaut „... Vorrang...“ eindeutig und gerade nicht mit einer inhaltlichen Einschränkung bzw. einem Adjektiv verbunden, das den Apotheker als Leistungserbringer zu einer Prüfung des preisgünstigeren Arzneimittels im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung berechtigt bzw. verpflichtet. Der weitere Rückschluss des Klägers „... andernfalls hätte es ausgereicht, den 2. HS des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V schlicht wegzulassen...“ verkennt die klarstellende Funktion des 2. HS und ist logisch nicht nachvollziehbar.

Ebensowenig vermag die erkennende Kammer der Argumentation des Klägers zu folgen, eine Verpflichtung zur vorrangigen Abgabe ergebe sich für ihn nicht aufgrund § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrags, weil diese Vorschrift ihm keine weitergehenden Pflichten auferlegen könne als es die gesetzlichen Bestimmungen des SGB V vorsähen. Vielmehr wurde durch § 4 Abs. 4 i. V. m. § 5 des Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V (i. d. F. vom 1. Februar 2011) der Vorrang der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel gegenüber importierten Arzneimitteln vertraglich vereinbart. Denn nach § 4 Abs. 4 des Rahmenvertrags (a. a. O.) steht ein importiertes Arzneimittel nach Maßgabe des § 5 des Rahmenvertrags nur dann zur Auswahl, wenn eine vorrangige Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel nach Absatz 2 nicht zustande kommt. Entsprechend § 129 Abs. 1 Satz 7 2. HS SGB V bestimmt § 5 Abs. 1 Satz 3 des Rahmenvertrags (a. a. O.) ausdrücklich, dass die Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels Vorrang vor der Abgabe eines nicht rabattbegünstigten importierten Arzneimittels hat. Ein Widerspruch der Regelungen des Rahmenvertrags zu § 129 Abs. 1 Satz 7 2. HS SGB V ist gerade nicht erkennbar.

Auch die Gesetzesbegründung zum Satz 7 des § 129 Abs. 1 SGB V rechtfertigt nicht die Rechtsauffassung des Klägers. Satz 7 ist durch das „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) vom 22.12.2010 (BGBl. I, S. 378) in das SGB V integriert worden. Ziel des Gesetzes war es, „die rasant steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen einzudämmen“. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung unter anderem ausdrücklich, dass „Voraussetzung für die Austauschpflicht der Apotheke ist, dass das rabattierte Arzneimittel nach Abzug des Rabatts preisgünstiger ist“ (BT Drucks. 17/3698 S. 53). Diese Gesetzesbegründung hat jedoch keinen Niederschlag im Gesetz selbst, d. h. im Wortlaut des Satz 7 des § 129 Abs. 1 SGB V gefunden (siehe zu diesem Erfordernis BVerfG, Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11, Rn. 158; BSG, Urteil vom 23.07.2014, B 12 KR 21/12 R).

Somit hat das Kriterium, welches Arzneimittel preisgünstiger ist, im Gesetzestext des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V keinen Niederschlag gefunden, so dass eine gegen den Wortlaut gerichtete Auslegung ausgeschlossen ist (so zu Recht auch SG für das Saarland, Urteil vom 18.07.2014, S 1 KR 343/11, Rn. 60).

Auch unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs mit den Sätzen 3 und 4 des § 129 Abs. 1 SGB V ist nach Satz 7 des § 129 Abs. 1 SGB V eine Wahlmöglichkeit des Apothekers, im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung das jeweils preisgünstigere Arzneimittel (im Verhältnis Importarzneimittel Rabattarzneimittel) abzugeben, ausgeschlossen. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit ist zwar dem Leistungsgefüge des SGB V immanent und richtet sich in § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V auch ausdrücklich an die Leistungserbringer, jedoch ist innerhalb des Systems der Arzneimittelabgabe gemäß § 129 Abs. 1 SGB V kein Raum - vielmehr durch § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V ausgeschlossen -, dass der Leistungserbringer bei unstreitig bestehendem Rabattvertrag eine Wahlmöglichkeit unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit hat. Zudem spricht die Systematik des SGB V und insbesondere des § 129 Abs. 1 SGB V dafür, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung in die Phase des Abschlusses eines entsprechenden Rabattvertrags vorverlagert ist (so zu Recht LG Hamburg, Urteil vom 05.05.2011, 327 O 106/11 Rn. 40). Weder die Systematik des Satz 7 im Zusammenhang mit den Sätzen 3 und 4 des § 129 Abs. 1 SGB V noch Sinn und Zweck dieser Vorschrift lassen die vom Kläger dargestellte Interpretation des Satz 7 zu.

Sinngemäß begehrt der Kläger letztlich eine teleologische Reduktion des Satz 7 des § 129 Abs. 1 SGB V in dem Sinne, dass der Vorrang der Abgabe eines Rabattarzneimittels nicht uneingeschränkt gilt, sondern lediglich dann, wenn es preisgünstiger als ein Importarzneimittel ist. Die teleologische Reduktion gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (BVerfG, Beschluss vom 15.10.2004, 2 BvR 1316/04 = NJW 2005, 352, 353; BVerfG, Beschluss vom 07.04.1997 - 1 BvL 11/96 = NJW 1997, 2230, 2231; BVerfG, Beschluss vom 14.03.2011, 1 BvL 13/07 = NZS 2011, 812; BSG, Urteil vom 19.12.2013, B 2 U 17/12 R). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Beschluss vom 07.04.1997, 1 BvL 11/96 = NJW 1997, 2230, 2231; BSG, Urteil vom 18.08.2011, B 10 EG 7/10 R = BSGE 109, 42 = SozR 4-7837, § 2 Nr. 10). Bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß kann eine zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung der Norm entgegen deren Wortlaut sogar geboten sein.

Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und Sinn und Zweck des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V sprechen im vorliegenden Fall jedoch gegen eine teleologische Reduktion im vom Kläger begehrten Sinne. Die Frage der Preisgünstigkeit eines Arzneimittels ist von der konkreten Abgabesituation in der Apotheke unabhängig und in die Phase des Abschlusses eines entsprechenden Rabattvertrags vorgelagert. Hierfür spricht zum einen, dass die Vorschrift des § 129 SGB V, die sich explizit an Apotheker richtet und die Verpflichtung des Apothekers bei der Abgabe eines Arzneimittels beschreibt, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung des Arzneimittels - wie bereits dargelegt - nicht normiert. Darüber hinaus bestätigt die Gesetzesbegründung eine weitere Voraussetzung für eine vorrangige Abgabe rabattierter Präparate durch folgenden Hinweis:

„Bei Rabattverträgen für Importarzneimittel sowie ihrer Bezugsarzneimittel ist die Lieferfähigkeit sicherzustellen. Nur unter dieser Voraussetzung darf eine Krankenkasse an die maßgebliche Datenbank ein entsprechendes Kennzeichen melden, so dass die Apotheke das rabattierte Arzneimittel vorrangig abgeben muss“.

Somit ist eine weitere Voraussetzung für eine vorrangige Abgabe eines rabattierten Produkts die Sicherstellung der Lieferfähigkeit desselben. Daraus wird deutlich, dass diese Frage allein von den Vertragsparteien des entsprechenden Rabattvertrages geprüft, bewertet und vom Unternehmer schließlich auch sichergestellt werden kann (so zu Recht LG Hamburg, a. a. O., Rn. 39 f).

Bei der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung wären für die Rabattarzneimittel Planungssicherheit und Kalkulationsgrundlage nicht mehr gegeben, so dass die Wirksamkeit von Arzneimittelrabatten unterlaufen würde und letztlich die Funktionsfähigkeit des Systems von Rabattverträgen in Frage gestellt wäre.

Gegen die Rechtsauffassung des Klägers spricht ferner, dass der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht kongruent mit dem Anspruch der Versicherten auf Rabattarzneimittel wäre. Der Anspruch des Klägers als Leistungserbringer kann nämlich nicht weiter reichen als der Anspruch des Versicherten auf das in Frage stehende Arzneimittel. Ein Versicherter, dem ein Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung oder unter seinem Produktnamen verordnet, ohne dessen Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel auszuschließen, hat aus den dargelegten Gründen jedoch lediglich Anspruch auf Verschaffung eines entsprechenden Rabattvertragsarzneimittels unter Achtung des Substitutionsgebots (vgl. allgemein zum Verhältnis von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht z. B. BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr. 4, Rn. 20 f).

Das vom Kläger zitierte Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 20.07.2011 erläutert die Rechtsauffassung des BMG, leistet jedoch keinen rechtlich relevanten Beitrag zur Interpretation des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V.

Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass der Apotheker bei der von ihm benutzten Software „a.“ nicht erkennen kann, welches Arzneimittel das preisgünstigere ist und er derzeit schon aus praktischen Gründen nicht in der Lage ist, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vorzunehmen. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang auch, dass das billigste Medikament nicht immer und nicht zwangsläufig das wirtschaftlichste sein muss (so zu Recht SG für das Saarland, a. a. O., Rn. 62).

Der Verstoß des Klägers gegen das Substitutionsgebot bei Abgabe des Importarzneimittels am 08.03.2012 schließt jeglichen Vergütungsanspruch für die Abgabe des Arzneimittels aus. Ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse besteht bei Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an deren Versicherte lediglich als Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung (vgl. BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 13; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 5, Rn. 16). Fehlt es an einer Lieferberechtigung und -verpflichtung des Apothekers, kann aus einer dennoch erfolgten Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte einer Krankenkasse kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse erwachsen. Das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regelt, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfene welche Risiken trägt. Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko: Die Krankenkasse muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nichts zahlen (so zu Recht BSG, Urteil vom 02.07.2013, B 1 KR 49/12 R, Rn. 21).

Gegen die Annahme einer Vergütungspflicht der Krankenkassen für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel spricht auch, dass Versicherte keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot zugun-sten von Rabattarzneimitteln haben. Anhaltspunkte für eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegen im vorliegenden Fall nicht vor (siehe hierzu z. B. BSG GesR 2007, 276, Rn. 55; BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 10, Rn. 33; BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 9; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 5, Rn. 23; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 20; nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG hat ein Apotheker, der bei der Abgabe einzelimportierter Fertigarzneimittel an Versicherte gegen Vertragspflichten verstößt, selbst dann keinen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkasse, wenn der Versicherte das Mittel zur Behandlung einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit beanspruchen kann . Danach genügt es für einen Vergütungsanspruch trotz Verletzung des Substitutionsgebotes nicht, dass ein Versicherter das abgegebene Arzneimittel beanspruchen könnte).

In Übereinstimmung mit dem BSG (Urteil vom 02.07.2013, a. a. O., Rn. 25) geht auch die erkennende Kammer davon aus, dass der dem Grunde nach bestehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten den vollen Betrag der rechtsgrundlos gezahlten Vergütung erfasst. Eine Retaxierung in Höhe von lediglich 35% ist daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden. Die dargelegten Grenzen eines Vergütungsanspruchs stehen der Anwendung der Regelungen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen entgegen (§§ 812 ff BGB i. V. m. § 69 Satz 4 SGB V i. d. F. des Art. 1 Nr. 40 a GKV-WSG). Der Anwendungsbereich der Vorschriften über eine ungerechtfertigte Bereicherung gemäß §§ 812 ff BGB ist nicht eröffnet, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - gesetzliche und (normen) vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsgeschehen in der GKV steuern, zu unterlaufen drohen. Diese Regelungen können ihre Steuerungsfunktion nur erfüllen, wenn sie vollständig beachtet werden. Auf die Schwere des Verstoßes kommt es dabei nicht an. Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zu Gun-sten des Leistungserbringers würde den Sinn und Zweck des Substitutionsgebotes missachten (vgl. entsprechend hierzu 1. Senat des BSG z. B. BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 21 S. 97; BSGE 89, 93, 44 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 25 S. 121; BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 9, Rn. 24 zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung).

§ 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V verstößt in der vorgenommenen Auslegung auch nicht gegen höherrangiges Recht. Zwar liegt in der aus § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V folgenden Verpflichtung der Apotheker zur Einhaltung des Substitutionsgebots und erst recht in dem durch die angegriffenen Entscheidungen bestätigten vollständigen Vergütungsausschluss ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG vor (vgl. z. B. zu Preisregelungen für Apotheker BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr. 9 Rn. 129 ff; siehe auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 15). In Übereinstimmung mit dem BSG geht die erkennende Kammer jedoch davon aus, dass die Berufsausübungsregelung - wie verfassungsrechtlich geboten - durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist (siehe BSG, Urteil vom 02.07.2013, B 1 KR 49/12 R, Rn. 28; aA. erstinstanzlich: SG Lübeck, Urteil vom 02.02.2012, S 3 KR 761/09). Sie dient in geeigneter Weise und nach vertretbarer Einschätzung des Gesetzgebers in erforderlichem Umfang der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV. Das Substitutionsgebot ist auch verhältnismäßig. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV ist als Gemeinwohlbelang von überragender Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 02.07.2013, a. a. O., Rn. 28; BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr. 9, Rn. 233; BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art. 5 Nr. 1 S. 3). Das Gebot, Rabattvertragsarzneimittel abzugeben, kann nur dann seinen Zweck sicher erfüllen, wenn es zugleich umfassend verbietet, nicht rabattierte Arzneimittel abzugeben. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Gesetz dessen strikte Einhaltung einfordert und bei insoweit fehlerhafter Abgabe einen Vergütungsanspruch vollständig ausschließt. Eine Retaxierung um 35% - wie im vorliegenden Fall - ist daher erst recht nicht zu beanstanden.

Die Aufrechnung ist auch nicht durch die in § 11 des Rahmenvertrags geregelten „Vertragsmaßnahmen“ (Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25.000 €) ausgeschlossen. Derartige Sanktionen schließen einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nämlich nicht aus. Vielmehr knüpfen sie als vertraglich vereinbarte Sanktionen an ein rechtswidriges und schuldhaftes Fehlverhalten des Apothekers an. Sie haben aber nicht die Rückabwicklung von rechtswidrigen Vermögensverschiebungen zum Gegenstand. Nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck schließen sie einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht aus, weil andernfalls ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot gegeben wäre (zu einer gegen die Krankenkassen gerichteten Ausschlussfrist vgl. BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr. 1, Rn. 35).

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Klage abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 GKG.

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Sozialgericht Nürnberg Urteil, 16. Sept. 2015 - S 11 KR 69/13 zitiert 25 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden


#BJNR001950896BJNE028103377 (1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. (2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, betr

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 812 Herausgabeanspruch


(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mi

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 2 Leistungen


(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. B

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 12 Wirtschaftlichkeitsgebot


(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungs

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 387 Voraussetzungen


Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 129 Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, Verordnungsermächtigung


(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur1.Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzta)ein Arzneimittel nu

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(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn 1. ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder2. der Verwaltungsakt v

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(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der B

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 87


(1) Die Klage ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Bei einer öffentlichen Bekanntgabe nach § 85 Abs. 4 beträgt die Frist ein Jahr. Die Frist beginnt mit dem

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 4 Krankenkassen


(1) Die Krankenkassen sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. (2) Die Krankenversicherung ist in folgende Kassenarten gegliedert:Allgemeine Ortskrankenkassen,Betriebskrankenkassen,Innungskrankenkassen,Sozial

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(1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten m

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 61 Ergänzende Anwendung von Vorschriften


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bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

(1) Die Krankenkassen sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.

(2) Die Krankenversicherung ist in folgende Kassenarten gegliedert:

Allgemeine Ortskrankenkassen,
Betriebskrankenkassen,
Innungskrankenkassen,
Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als Träger der Krankenversicherung der Landwirte,
die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der Krankenversicherung (Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See),
Ersatzkassen.

(3) Im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung arbeiten die Krankenkassen und ihre Verbände sowohl innerhalb einer Kassenart als auch kassenartenübergreifend miteinander und mit allen anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens eng zusammen.

(4) Die Krankenkassen haben bei der Durchführung ihrer Aufgaben und in ihren Verwaltungsangelegenheiten sparsam und wirtschaftlich zu verfahren und dabei ihre Ausgaben so auszurichten, dass Beitragserhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten.

(5) Im Jahr 2023 dürfen sich die sächlichen Verwaltungsausgaben der einzelnen Krankenkasse nicht um mehr als 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöhen. Die Begrenzung nach Satz 1 gilt nicht für sächliche Verwaltungsausgaben, die wegen der Durchführung der Sozialversicherungswahlen einschließlich der Teilnahme am Modellprojekt zur Durchführung von Online-Wahlen und der Kostenumlage für dieses Modellprojekt nach § 194a Absatz 3 entstehen, sowie für Aufwendungen für Datentransparenz nach den §§ 303a bis 303e.

(6) (weggefallen)

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.

(3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendem Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewußt oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regreßverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muß ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muß in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden.

(2) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken.

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.

(3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendem Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewußt oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regreßverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

Soweit sich aus den §§ 53 bis 60 nichts Abweichendes ergibt, gelten die übrigen Vorschriften dieses Gesetzbuches. Ergänzend gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend.

(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.

(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.

(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.

(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beigeladene tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 17,49 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Aufrechnung wegen Nichtberücksichtigung von Arzneimittelrabattverträgen.

2

Der klagende Apotheker gab am 2.10.2007 an eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) das in der ärztlichen Verordnung vom 1.10.2007 mit der Maßgabe "aut idem" bezeichnete Arzneimittel Junizac 150 mg ab (Apothekenabgabepreis: 19,79 Euro). Die Beklagte hatte für dieses Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V geschlossen, hingegen für andere mit dem abgegebenen Arzneimittel nach Wirkstoff, Wirkstärke, Darreichungsform, Packungsgröße und Indikationsbereich austauschbare Arzneimittel. Die Beklage vergütete dem Kläger unter Abzug des Apothekerrabatts zunächst 17,49 Euro, machte sodann einen Erstattungsanspruch geltend und rechnete diesen Betrag gegen einen anderen Vergütungsanspruch des Klägers auf. Das SG hat unter Zulassung der Sprungrevision die Beklagte zur Zahlung von 17,49 Euro verurteilt. Die Beklagte habe einen Erstattungsanspruch nur in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Rabattvertragsarzneimittel und dem tatsächlich abgegebenen Arzneimittel. Da die Beklagte den Inhalt der Rabattverträge nicht mitteile, sei die Ermittlung des Differenzbetrages nicht möglich. Der Ausschluss jeglicher Vergütung (Retaxierung auf Null) habe weder im Gesetz noch in den Rahmenverträgen eine Grundlage (Urteil vom 2.2.2012).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und des § 4 Abs 2 S 2 und Abs 4 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung. Sie habe wirksam mit einem Erstattungsanspruch aufgerechnet. Der Kläger habe infolge Verstoßes gegen die genannten Vorschriften keinen Vergütungsanspruch erworben.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie halten das SG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Sprungrevision der beklagten KK ist begründet. Das SG-Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an den klagenden Apotheker 17,49 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der zulässig mittels der echten Leistungsklage geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers für die Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte der Beklagten (dazu 1.) ist durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen (dazu 2.).

8

1. Nach § 129 SGB V(idF durch Art 1 Nr 95 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.4.2007) geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarung und Landesverträge (§ 129 Abs 2 und Abs 5 S 1 SGB V, vgl auch § 2 Abs 2 S 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKn, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird(stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 13; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 15). Die entsprechende Anwendung von Grundsätzen des Kaufvertragsrechts (vgl §§ 433 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V, jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V)scheidet aus.

9

Der Vergütungsanspruch des Klägers, gegenüber dem die Beklagte am 20.2.2009 aufrechnete, erfüllte die dargelegten Voraussetzungen. Dies ergibt sich aus den dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe des SG zu entnehmenden unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen aufgrund des zulässig vom SG zugrunde gelegten übereinstimmenden Beteiligtenvortrags (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17; § 163 SGG).

10

2. Der in Höhe von 17,49 Euro entstandene streitgegenständliche Vergütungsanspruch des Klägers erlosch dadurch, dass die Beklagte analog § 387 BGB in gleicher Höhe mit einem eigenen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen ihn aufrechnete.

11

a) Die Anwendbarkeit der §§ 387 ff BGB folgt aus § 69 S 4 SGB V(jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V). In Einklang mit der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 16) geht der erkennende Senat davon aus, dass das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen umfassend ist. Es betrifft nicht nur die Korrektur von sog Abrechnungsfehlern. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es zB an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt, ein Medikament - wie hier - nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst wird oder unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages (ALV) abgegeben worden ist (vgl zB BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6 - fehlende Genehmigung der KK vor Abgabe des Importarzneimittels; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 - Überschreitung der einmonatigen Frist zur Vorlage eines Kassenrezepts). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des RV. Ein Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Rahmenverträgen.

12

Insbesondere schließen die in § 11 RV geregelten "Vertragsmaßnahmen" (Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25 000 Euro, Ausschluss des Apothekenleiters/der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren) einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht aus. Sie regeln vertraglich vereinbarte Sanktionen, die an ein rechtswidriges und schuldhaftes Fehlverhalten des Apothekers anknüpfen. Sie haben aber nicht die Rückabwicklung von rechtswidrigen Vermögensverschiebungen zum Gegenstand. Weder wollen noch könnten sie nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ausschließen, weil die Vorschrift dann gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen würde (zu einer gegen KKn gerichteten Ausschlussfrist vgl BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 35).

13

Die Beklagte konnte mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung aufrechnen (vgl allgemein zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zB BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 10 f mwN; zur Aufrechnung mit diesem zB BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 11; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Auch die sich aus der fehlgeschlagenen, aber intendierten Leistungserbringung für nach dem SGB V Versicherte ergebenden Rückabwicklungsbeziehungen zwischen KKn und Apothekern sind spiegelbildlich zu den Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Natur. Der Vergütungsanspruch des Klägers und der von der Beklagten nach den Feststellungen des SG - und dem übereinstimmenden Beteiligtenvortrag - gemäß den rahmenvertraglichen Bestimmungen von der Beklagten formell ordnungsgemäß geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllte die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch fällig und der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllbar.

14

Die Beklagte hatte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm ohne Rechtsgrund 17,49 Euro aufgrund der Lieferung des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) gezahlt hatte. Der vom Kläger hierfür geltend gemachte Vergütungsanspruch war nicht entstanden (dazu b). Der Kläger hatte auch keinen Anspruch auf Wertersatz oder zumindest auf Erstattung der Kosten der Warenbeschaffung (dazu c). Sowohl der sich dem Grunde und der Höhe nach ergebende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als solcher als auch seine Geltendmachung im Aufrechnungswege stehen in Einklang mit höherrangigem Recht (dazu d).

15

b) Der Kläger erwarb keinen Vergütungsanspruch, weil er zur Abgabe des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) an die Versicherte nicht berechtigt war. Er erfüllte damit nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht, sondern missachtete das Substitutionsgebot für "aut idem" verordnete Rabattarzneimittel. Dieses Substitutionsgebot beruht auf § 129 Abs 1 S 3 SGB V und dem ergänzenden Vertragsrecht(dazu aa). Seine Voraussetzungen waren erfüllt (dazu bb). Die Verletzung des Substitutionsgebots schließt einen Vergütungsanspruch aus (dazu cc).

16

aa) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach § 129 Abs 2 SGB V zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels ua in den Fällen verpflichtet, in denen der verordnende Arzt die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat(§ 129 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB V). In den Fällen der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt (S 2). Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V mit Wirkung für die KK besteht, soweit hierzu in ergänzenden Verträgen auf Landesebene nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist(S 3).

17

Der Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V regelt Ergänzungen zum Substitutionsgebot gemäß § 129 Abs 1 S 3 SGB V. Maßgebend ist hier der auf Bundesebene zwischen den Spitzenverbänden der KKn einschließlich der Ersatzkassen und dem beigeladenen Deutschen Apothekerverband eV (DAV) geschlossene "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung" (RV) idF vom 23.3.2007. Der RV ist als Normenvertrag für den Kläger nach § 129 Abs 3 Nr 1 SGB V verbindlich, weil sein Landesverband ein Mitgliedsverband des Beigeladenen ist. Die Verbindlichkeit des RV ergibt sich für die Beklagte unmittelbar aus dem Gesetz. § 4 Abs 2 S 2 RV sieht vor, dass die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen ist, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V (Rabattvertrag) besteht und für das die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 RV gegeben sind, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist. § 4 Abs 4 S 1 und 2 RV bestimmen: Die Apotheke hat ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel abzugeben, für das ein Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V (rabattbegünstigtes Arzneimittel) besteht, wenn (a) bei unter dem Produktnamen verordneten Fertigarzneimitteln der Vertragsarzt die Ersetzung nicht ausgeschlossen hat, (b) die Angaben zu dem rabattbegünstigten Arzneimittel nach § 4 Abs 5 RV vollständig und bis zu dem vereinbarten Stichtag mitgeteilt wurden, (c) die Voraussetzungen für die Auswahl nach § 4 Abs 3 S 2 RV vorliegen, (d) das rabattbegünstigte Arzneimittel im Zeitpunkt der Vorlage der Verordnung verfügbar ist. Hat die KK für mehrere Arzneimittel, die die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 S 1 RV erfüllen, Rabattverträge geschlossen, ist die Apotheke in der Auswahl unter diesen Arzneimitteln frei. Die Voraussetzungen für die Auswahl liegen nach § 4 Abs 3 S 2 RV nur vor, wenn die Rabattvertragsarzneimittel mit dem verordneten Arzneimittel in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind, ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen und das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel zuzuordnen ist, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Hinweise zur Austauschbarkeit nach § 129 Abs 1a SGB V gegeben hat.

18

Der für den Kläger und die Beklagte geltende, hier anzuwendende ergänzende Vertrag auf Landesebene enthält nichts Abweichendes zum Substitutionsgebot. Nach § 129 Abs 5 S 1 SGB V können die Landesverbände der KKn und die Verbände der Ersatzkassen mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Maßgeblich ist hier der ab 1.7.2005 geltende ALV, geschlossen ua zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV (einschließlich ihrer Landesvertretungen; VdAK) und dem Beigeladenen, handelnd für die Landesapothekerverbände. Der Kläger ist als Mitglied des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein eV nach § 2 Abs 2 ALV, die Beklagte als Mitgliedskasse des vertragsschließenden VdAK nach § 2 Abs 1 ALV an diesen Landesvertrag gebunden(zum zwischenzeitlichen Wechsel der Abschlussbefugnis vom VdAK auf den Verband der Ersatzkassen vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 14). Die Regelungen zur "Unterstützung von Rabattverträgen gemäß § 130a Absatz 8 SGB V durch Apotheken" in Anlage 8 ALV dienten lediglich dazu, den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht gesetzlich geregelten Vorrang der Rabattvertragsarzneimittel ohne Offenlegung des Inhalts der Rabattverträge durch Belohnung eines entsprechenden Abgabeverhaltens der Apotheker herbeizuführen(vgl § 4 Anlage 8 ALV).

19

bb) Der Kläger durfte nach den Feststellungen des SG der Versicherten aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung nicht das Arzneimittel Junizac abgeben, da die dargelegten Voraussetzungen des Substitutionsgebots erfüllt waren. Im Zeitpunkt der Abgabe erfüllten fünf andere Rabattvertragsarzneimittel die Voraussetzungen für die Ersetzung des nur dem Produktnamen nach verordneten Arzneimittels, wie der Kläger in seiner Klageschrift im Übrigen selbst vorgetragen hat. Soweit er mit seinen Ausführungen in der Revisionserwiderung zur Nichtnachprüfbarkeit der von der Beklagten behaupteten Rabattverträge konkludent eine Verfahrensrüge erhoben haben sollte, ist diese schon wegen § 161 Abs 4 SGG unbeachtlich. Hiernach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

20

cc) Der Verstoß des Klägers gegen das Substitutionsgebot schließt jegliche Vergütung für die Abgabe des Arzneimittels aus. Dies folgt schon aus den allgemeinen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs für Apotheker (dazu (1). Es widerspräche auch dem Gesetzeszweck des Substitutionsgebots (dazu (2). Schließlich ließe die Annahme einer Vergütungspflicht außer Acht, dass eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot keinen Anspruch der Versicherten erfüllt (dazu (3).

21

(1) Nach der Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats und des 3. Senats des BSG besteht ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK bei Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an deren Versicherte lediglich als Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung des Apothekers (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 13; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 16). Fehlt es an einer Lieferberechtigung und -verpflichtung, kann aus einer dennoch erfolgten Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte einer KK kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK erwachsen. Das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regelt, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfene welche Risiken trägt. Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko: Die KK muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nichts zahlen.

22

(2) Eine Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde dem Zweck der Regelung widersprechen. Der Gesetzgeber fügte dieses Gebot in das SGB V ein (vgl § 129 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Art 1 Nr 95 Buchst a Doppelbuchst bb GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378), um die Wirksamkeit von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB V zu erhöhen. Nach den Gesetzesmaterialien sollte grundsätzlich die Apotheke bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln eine Ersetzung durch Präparate vornehmen, für die Vereinbarungen über Preisnachlässe auf den Abgabepreis mit dem pharmazeutischen Unternehmer nach § 130a Abs 8 SGB V gelten. Damit - so die Begründung - wird die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen verbessert (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 142 zu Nummer 95 (§ 129), zu Buchst a, zu Doppelbuchst cc). Die Annahme einer Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde diese Zielsetzung konterkarieren.

23

(3) Wie fernliegend es ist, eine Vergütungspflicht der KKn für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel anzunehmen, wird schließlich daran deutlich, dass Versicherte keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot haben. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hat dagegen ein Apotheker, der bei der Abgabe einzelimportierter Fertigarzneimittel an Versicherte gegen Vertragspflichten verstößt, selbst dann keinen Anspruch auf Vergütung gegen die KK, wenn der Versicherte das Mittel zur Behandlung einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit beanspruchen kann (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 17 ff und LS 2). Für einen Vergütungsanspruch des vertragswidrig handelnden Apothekers genügt es dementsprechend nicht, dass ein Versicherter letztlich das abgegebene Arzneimittel beanspruchen könnte. Nur ganz besondere Risikoabwägungen können es rechtfertigen, Leistungserbringern einen Vergütungsanspruch zuzuerkennen, obwohl sie mit ihrer Leistung keinen Anspruch eines Versicherten erfüllen (vgl hierzu zB BSG GesR 2007, 276, RdNr 55; BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 33; BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr 9; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 23; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 20). Für solche Erwägungen liegt hier nichts vor.

24

Versicherte, denen ein Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung oder unter seinem Produktnamen verordnet, ohne dessen Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel auszuschließen, haben nach Maßgabe des dargelegten Gesetzes- und Vertragsrechts lediglich Anspruch auf Verschaffung eines entsprechenden Rabattvertragsarzneimittels unter Achtung des Substitutionsgebots. Dies folgt aus dem dargelegten Wortlaut des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und seinem Regelungszusammenhang mit den Ansprüchen Versicherter(vgl allgemein zum Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht zB BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 20 f). Die Entwicklungsgeschichte zeigt die Begrenzung besonders prägnant: Nach § 129 Abs 1 S 5 SGB V(eingefügt durch Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung - Arzneimittelmarktneuordnungs-gesetz - AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011) können Versicherte inzwischen - abweichend von § 129 Abs 1 S 3 und 4 SGB V - gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach § 129 Abs 1 S 2 SGB V erfüllt sind. Die Regelung gestattet Versicherten im Zusammenspiel mit den ebenfalls eingefügten Bestimmungen des § 13 Abs 2 S 11(vgl Art 1 Nr 1 AMNOG) und § 129 Abs 1 S 6 SGB V(vgl Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc AMNOG) vor allem, sich nunmehr durch spontan gewillkürte Wahl im medizinisch austauschbaren "aut idem"-Bereich vom Naturalleistungsbezug als Regelfall zu lösen und stattdessen selbst für den Einzelfall eines Arzneimittels Kostenerstattung zu wählen (vgl Hauck, GesR 2011, 69, 73). Die Regelung wäre überflüssig gewesen, wenn Versicherte entgegen § 129 Abs 1 S 3 SGB V Anspruch auf ein vertraglich nicht rabattiertes Arzneimittel gehabt hätten und die ärztliche Verordnung ohne Beachtung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V Grundlage für die Abgabe eines derartigen Arzneimittels hätte sein können. Die Beschränkung des Sachleistungsanspruchs der Versicherten unter den dargelegten Voraussetzungen auf vom Apotheker ausgewählte Rabattvertragsarzneimittel entspricht schließlich dem Regelungszweck des § 129 Abs 1 S 3 SGB V, Arzneimittelkosten in der GKV ohne Qualitätsverlust einzusparen. Dies harmoniert in besonderer Weise mit der Verwirklichung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 SGB V) und der Sicherung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (§ 71 S 1 SGB V).

25

c) Der dem Grunde nach bestehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten erfasst den vollen Betrag der rechtsgrundlos gezahlten Vergütung. Er ist der Höhe nach nicht auf den Betrag beschränkt, der sich - nach Abzug des Apothekerrabatts - aus der Differenz der von der Beklagten gezahlten Vergütung für das abgegebene Arzneimittel Junizac 150 mg N3 und einem Rabattvertragsarzneimittel ergibt. Die dargelegten Grenzen eines Vergütungsanspruchs stehen der Anwendung der Regelungen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen entgegen (§§ 812 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 40a GKV-WSG) .

26

§ 69 S 4 SGB V schließt nicht schon grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung(§§ 812 ff BGB) im Leistungserbringungsrecht aus. Ihr Anwendungsbereich ist indes nicht eröffnet, wenn sie gesetzliche und (normen)vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsgeschehen in der GKV steuern, zu unterlaufen drohen. Diese Regelungen können ihre Steuerungsfunktion nur erfüllen, wenn sie vollständig beachtet werden. Auf die Schwere des Verstoßes kommt es dabei nicht an. So liegt es hier. Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zugunsten des Leistungserbringers würde den oben aufgezeigten Zweck des Substitutionsgebots missachten (vgl entsprechend 1. Senat des BSG zB BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97; BSGE 89, 39, 44 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 121; BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24 zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder der ungerechtfertigten Bereicherung; vgl zu ersteren auch BSGE 109, 133 = SozR 4-1750 § 68 Nr 1, RdNr 21; 6. Senat des BSG, zB BSG Urteil vom 26.1.2000 - B 6 KA 59/98 R - Juris RdNr 26; BSGE 80, 1, 4 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 9; BSGE 79, 239, 249 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 14 S 57 f; 3. Senat des BSG BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 7 RdNr 29, zur Vergütung von Krankenhausleistungen außerhalb des Versorgungsauftrags des Krankenhauses; BSGE 94, 213 RdNr 26 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 23 mwN, zu einem rechtswidrig importierten Arzneimittel).

27

d) § 129 Abs 1 S 3 SGB V und § 4 Abs 2 S 2 RV verstoßen in der vorgenommenen Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ist die darin liegende Berufsausübungsregelung für Apotheker wie den Kläger gerechtfertigt. Die Regelung, die Apothekern abverlangt, das dargelegte Substitutionsgebot zu beachten, ist als Berufsausübungsregelung an Art 12 Abs 1 GG zu messen (vgl zB zu Preisregelungen für Apotheker BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 129 ff; s auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 15). Die damit verbundene Belastung ist für Apotheker spürbar, aber gering: Sie dürfen vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur unter zusätzlicher Achtung des Substitutionsgebots an Versicherte abgeben. Dies entspricht den von ihnen zu fordernden und zu erwartenden professionellen Fähigkeiten. Sie müssen hierzu die ihnen zur Verfügung stehenden, durch Softwareprogramme abrufbaren Daten über Rabattverträge nutzen, um die Ersetzungsvoraussetzungen zu prüfen und Rabattvertragsarzneimittel auszuwählen.

28

Diese Berufsausübungsregelung ist - wie verfassungsrechtlich geboten - durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Sie dient - wie dargelegt - in geeigneter Weise und nach vertretbarer Einschätzung des Gesetzgebers in erforderlichem Umfang der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV. Das Substitutionsgebot ist auch verhältnismäßig. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV ist ein Gemeinwohlbelang sogar von überragender Bedeutung (vgl BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 233; BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3). Das Gebot, Rabattvertragsarzneimittel abzugeben, kann nur dann seinen Zweck sicher erfüllen, wenn es zugleich umfassend verbietet, nicht rabattierte Arzneimittel abzugeben. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Gesetz dessen strikte Einhaltung einfordert und bei insoweit fehlerhafter Abgabe einen Vergütungsanspruch vollständig ausschließt.

29

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Teils 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

(1) Die Klage ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Bei einer öffentlichen Bekanntgabe nach § 85 Abs. 4 beträgt die Frist ein Jahr. Die Frist beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem seit dem Tag der letzten Veröffentlichung zwei Wochen verstrichen sind.

(2) Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beigeladene tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 17,49 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Aufrechnung wegen Nichtberücksichtigung von Arzneimittelrabattverträgen.

2

Der klagende Apotheker gab am 2.10.2007 an eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) das in der ärztlichen Verordnung vom 1.10.2007 mit der Maßgabe "aut idem" bezeichnete Arzneimittel Junizac 150 mg ab (Apothekenabgabepreis: 19,79 Euro). Die Beklagte hatte für dieses Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V geschlossen, hingegen für andere mit dem abgegebenen Arzneimittel nach Wirkstoff, Wirkstärke, Darreichungsform, Packungsgröße und Indikationsbereich austauschbare Arzneimittel. Die Beklage vergütete dem Kläger unter Abzug des Apothekerrabatts zunächst 17,49 Euro, machte sodann einen Erstattungsanspruch geltend und rechnete diesen Betrag gegen einen anderen Vergütungsanspruch des Klägers auf. Das SG hat unter Zulassung der Sprungrevision die Beklagte zur Zahlung von 17,49 Euro verurteilt. Die Beklagte habe einen Erstattungsanspruch nur in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Rabattvertragsarzneimittel und dem tatsächlich abgegebenen Arzneimittel. Da die Beklagte den Inhalt der Rabattverträge nicht mitteile, sei die Ermittlung des Differenzbetrages nicht möglich. Der Ausschluss jeglicher Vergütung (Retaxierung auf Null) habe weder im Gesetz noch in den Rahmenverträgen eine Grundlage (Urteil vom 2.2.2012).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und des § 4 Abs 2 S 2 und Abs 4 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung. Sie habe wirksam mit einem Erstattungsanspruch aufgerechnet. Der Kläger habe infolge Verstoßes gegen die genannten Vorschriften keinen Vergütungsanspruch erworben.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger und der Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie halten das SG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Sprungrevision der beklagten KK ist begründet. Das SG-Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an den klagenden Apotheker 17,49 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der zulässig mittels der echten Leistungsklage geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers für die Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte der Beklagten (dazu 1.) ist durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen (dazu 2.).

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1. Nach § 129 SGB V(idF durch Art 1 Nr 95 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.4.2007) geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarung und Landesverträge (§ 129 Abs 2 und Abs 5 S 1 SGB V, vgl auch § 2 Abs 2 S 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKn, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird(stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 13; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 15). Die entsprechende Anwendung von Grundsätzen des Kaufvertragsrechts (vgl §§ 433 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V, jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V)scheidet aus.

9

Der Vergütungsanspruch des Klägers, gegenüber dem die Beklagte am 20.2.2009 aufrechnete, erfüllte die dargelegten Voraussetzungen. Dies ergibt sich aus den dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe des SG zu entnehmenden unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen aufgrund des zulässig vom SG zugrunde gelegten übereinstimmenden Beteiligtenvortrags (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17; § 163 SGG).

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2. Der in Höhe von 17,49 Euro entstandene streitgegenständliche Vergütungsanspruch des Klägers erlosch dadurch, dass die Beklagte analog § 387 BGB in gleicher Höhe mit einem eigenen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen ihn aufrechnete.

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a) Die Anwendbarkeit der §§ 387 ff BGB folgt aus § 69 S 4 SGB V(jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V). In Einklang mit der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 16) geht der erkennende Senat davon aus, dass das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen umfassend ist. Es betrifft nicht nur die Korrektur von sog Abrechnungsfehlern. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es zB an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt, ein Medikament - wie hier - nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst wird oder unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages (ALV) abgegeben worden ist (vgl zB BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6 - fehlende Genehmigung der KK vor Abgabe des Importarzneimittels; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 - Überschreitung der einmonatigen Frist zur Vorlage eines Kassenrezepts). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des RV. Ein Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Rahmenverträgen.

12

Insbesondere schließen die in § 11 RV geregelten "Vertragsmaßnahmen" (Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25 000 Euro, Ausschluss des Apothekenleiters/der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren) einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht aus. Sie regeln vertraglich vereinbarte Sanktionen, die an ein rechtswidriges und schuldhaftes Fehlverhalten des Apothekers anknüpfen. Sie haben aber nicht die Rückabwicklung von rechtswidrigen Vermögensverschiebungen zum Gegenstand. Weder wollen noch könnten sie nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ausschließen, weil die Vorschrift dann gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen würde (zu einer gegen KKn gerichteten Ausschlussfrist vgl BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 35).

13

Die Beklagte konnte mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung aufrechnen (vgl allgemein zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zB BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 10 f mwN; zur Aufrechnung mit diesem zB BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 11; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Auch die sich aus der fehlgeschlagenen, aber intendierten Leistungserbringung für nach dem SGB V Versicherte ergebenden Rückabwicklungsbeziehungen zwischen KKn und Apothekern sind spiegelbildlich zu den Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Natur. Der Vergütungsanspruch des Klägers und der von der Beklagten nach den Feststellungen des SG - und dem übereinstimmenden Beteiligtenvortrag - gemäß den rahmenvertraglichen Bestimmungen von der Beklagten formell ordnungsgemäß geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllte die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch fällig und der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllbar.

14

Die Beklagte hatte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm ohne Rechtsgrund 17,49 Euro aufgrund der Lieferung des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) gezahlt hatte. Der vom Kläger hierfür geltend gemachte Vergütungsanspruch war nicht entstanden (dazu b). Der Kläger hatte auch keinen Anspruch auf Wertersatz oder zumindest auf Erstattung der Kosten der Warenbeschaffung (dazu c). Sowohl der sich dem Grunde und der Höhe nach ergebende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als solcher als auch seine Geltendmachung im Aufrechnungswege stehen in Einklang mit höherrangigem Recht (dazu d).

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b) Der Kläger erwarb keinen Vergütungsanspruch, weil er zur Abgabe des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) an die Versicherte nicht berechtigt war. Er erfüllte damit nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht, sondern missachtete das Substitutionsgebot für "aut idem" verordnete Rabattarzneimittel. Dieses Substitutionsgebot beruht auf § 129 Abs 1 S 3 SGB V und dem ergänzenden Vertragsrecht(dazu aa). Seine Voraussetzungen waren erfüllt (dazu bb). Die Verletzung des Substitutionsgebots schließt einen Vergütungsanspruch aus (dazu cc).

16

aa) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach § 129 Abs 2 SGB V zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels ua in den Fällen verpflichtet, in denen der verordnende Arzt die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat(§ 129 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB V). In den Fällen der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt (S 2). Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V mit Wirkung für die KK besteht, soweit hierzu in ergänzenden Verträgen auf Landesebene nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist(S 3).

17

Der Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V regelt Ergänzungen zum Substitutionsgebot gemäß § 129 Abs 1 S 3 SGB V. Maßgebend ist hier der auf Bundesebene zwischen den Spitzenverbänden der KKn einschließlich der Ersatzkassen und dem beigeladenen Deutschen Apothekerverband eV (DAV) geschlossene "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung" (RV) idF vom 23.3.2007. Der RV ist als Normenvertrag für den Kläger nach § 129 Abs 3 Nr 1 SGB V verbindlich, weil sein Landesverband ein Mitgliedsverband des Beigeladenen ist. Die Verbindlichkeit des RV ergibt sich für die Beklagte unmittelbar aus dem Gesetz. § 4 Abs 2 S 2 RV sieht vor, dass die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen ist, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V (Rabattvertrag) besteht und für das die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 RV gegeben sind, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist. § 4 Abs 4 S 1 und 2 RV bestimmen: Die Apotheke hat ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel abzugeben, für das ein Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V (rabattbegünstigtes Arzneimittel) besteht, wenn (a) bei unter dem Produktnamen verordneten Fertigarzneimitteln der Vertragsarzt die Ersetzung nicht ausgeschlossen hat, (b) die Angaben zu dem rabattbegünstigten Arzneimittel nach § 4 Abs 5 RV vollständig und bis zu dem vereinbarten Stichtag mitgeteilt wurden, (c) die Voraussetzungen für die Auswahl nach § 4 Abs 3 S 2 RV vorliegen, (d) das rabattbegünstigte Arzneimittel im Zeitpunkt der Vorlage der Verordnung verfügbar ist. Hat die KK für mehrere Arzneimittel, die die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 S 1 RV erfüllen, Rabattverträge geschlossen, ist die Apotheke in der Auswahl unter diesen Arzneimitteln frei. Die Voraussetzungen für die Auswahl liegen nach § 4 Abs 3 S 2 RV nur vor, wenn die Rabattvertragsarzneimittel mit dem verordneten Arzneimittel in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind, ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen und das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel zuzuordnen ist, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Hinweise zur Austauschbarkeit nach § 129 Abs 1a SGB V gegeben hat.

18

Der für den Kläger und die Beklagte geltende, hier anzuwendende ergänzende Vertrag auf Landesebene enthält nichts Abweichendes zum Substitutionsgebot. Nach § 129 Abs 5 S 1 SGB V können die Landesverbände der KKn und die Verbände der Ersatzkassen mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Maßgeblich ist hier der ab 1.7.2005 geltende ALV, geschlossen ua zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV (einschließlich ihrer Landesvertretungen; VdAK) und dem Beigeladenen, handelnd für die Landesapothekerverbände. Der Kläger ist als Mitglied des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein eV nach § 2 Abs 2 ALV, die Beklagte als Mitgliedskasse des vertragsschließenden VdAK nach § 2 Abs 1 ALV an diesen Landesvertrag gebunden(zum zwischenzeitlichen Wechsel der Abschlussbefugnis vom VdAK auf den Verband der Ersatzkassen vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 14). Die Regelungen zur "Unterstützung von Rabattverträgen gemäß § 130a Absatz 8 SGB V durch Apotheken" in Anlage 8 ALV dienten lediglich dazu, den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht gesetzlich geregelten Vorrang der Rabattvertragsarzneimittel ohne Offenlegung des Inhalts der Rabattverträge durch Belohnung eines entsprechenden Abgabeverhaltens der Apotheker herbeizuführen(vgl § 4 Anlage 8 ALV).

19

bb) Der Kläger durfte nach den Feststellungen des SG der Versicherten aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung nicht das Arzneimittel Junizac abgeben, da die dargelegten Voraussetzungen des Substitutionsgebots erfüllt waren. Im Zeitpunkt der Abgabe erfüllten fünf andere Rabattvertragsarzneimittel die Voraussetzungen für die Ersetzung des nur dem Produktnamen nach verordneten Arzneimittels, wie der Kläger in seiner Klageschrift im Übrigen selbst vorgetragen hat. Soweit er mit seinen Ausführungen in der Revisionserwiderung zur Nichtnachprüfbarkeit der von der Beklagten behaupteten Rabattverträge konkludent eine Verfahrensrüge erhoben haben sollte, ist diese schon wegen § 161 Abs 4 SGG unbeachtlich. Hiernach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

20

cc) Der Verstoß des Klägers gegen das Substitutionsgebot schließt jegliche Vergütung für die Abgabe des Arzneimittels aus. Dies folgt schon aus den allgemeinen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs für Apotheker (dazu (1). Es widerspräche auch dem Gesetzeszweck des Substitutionsgebots (dazu (2). Schließlich ließe die Annahme einer Vergütungspflicht außer Acht, dass eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot keinen Anspruch der Versicherten erfüllt (dazu (3).

21

(1) Nach der Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats und des 3. Senats des BSG besteht ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK bei Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an deren Versicherte lediglich als Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung des Apothekers (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 13; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 16). Fehlt es an einer Lieferberechtigung und -verpflichtung, kann aus einer dennoch erfolgten Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte einer KK kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK erwachsen. Das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regelt, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfene welche Risiken trägt. Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko: Die KK muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nichts zahlen.

22

(2) Eine Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde dem Zweck der Regelung widersprechen. Der Gesetzgeber fügte dieses Gebot in das SGB V ein (vgl § 129 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Art 1 Nr 95 Buchst a Doppelbuchst bb GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378), um die Wirksamkeit von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB V zu erhöhen. Nach den Gesetzesmaterialien sollte grundsätzlich die Apotheke bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln eine Ersetzung durch Präparate vornehmen, für die Vereinbarungen über Preisnachlässe auf den Abgabepreis mit dem pharmazeutischen Unternehmer nach § 130a Abs 8 SGB V gelten. Damit - so die Begründung - wird die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen verbessert (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 142 zu Nummer 95 (§ 129), zu Buchst a, zu Doppelbuchst cc). Die Annahme einer Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde diese Zielsetzung konterkarieren.

23

(3) Wie fernliegend es ist, eine Vergütungspflicht der KKn für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel anzunehmen, wird schließlich daran deutlich, dass Versicherte keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot haben. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hat dagegen ein Apotheker, der bei der Abgabe einzelimportierter Fertigarzneimittel an Versicherte gegen Vertragspflichten verstößt, selbst dann keinen Anspruch auf Vergütung gegen die KK, wenn der Versicherte das Mittel zur Behandlung einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit beanspruchen kann (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 17 ff und LS 2). Für einen Vergütungsanspruch des vertragswidrig handelnden Apothekers genügt es dementsprechend nicht, dass ein Versicherter letztlich das abgegebene Arzneimittel beanspruchen könnte. Nur ganz besondere Risikoabwägungen können es rechtfertigen, Leistungserbringern einen Vergütungsanspruch zuzuerkennen, obwohl sie mit ihrer Leistung keinen Anspruch eines Versicherten erfüllen (vgl hierzu zB BSG GesR 2007, 276, RdNr 55; BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 33; BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr 9; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 23; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 20). Für solche Erwägungen liegt hier nichts vor.

24

Versicherte, denen ein Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung oder unter seinem Produktnamen verordnet, ohne dessen Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel auszuschließen, haben nach Maßgabe des dargelegten Gesetzes- und Vertragsrechts lediglich Anspruch auf Verschaffung eines entsprechenden Rabattvertragsarzneimittels unter Achtung des Substitutionsgebots. Dies folgt aus dem dargelegten Wortlaut des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und seinem Regelungszusammenhang mit den Ansprüchen Versicherter(vgl allgemein zum Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht zB BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 20 f). Die Entwicklungsgeschichte zeigt die Begrenzung besonders prägnant: Nach § 129 Abs 1 S 5 SGB V(eingefügt durch Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung - Arzneimittelmarktneuordnungs-gesetz - AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011) können Versicherte inzwischen - abweichend von § 129 Abs 1 S 3 und 4 SGB V - gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach § 129 Abs 1 S 2 SGB V erfüllt sind. Die Regelung gestattet Versicherten im Zusammenspiel mit den ebenfalls eingefügten Bestimmungen des § 13 Abs 2 S 11(vgl Art 1 Nr 1 AMNOG) und § 129 Abs 1 S 6 SGB V(vgl Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc AMNOG) vor allem, sich nunmehr durch spontan gewillkürte Wahl im medizinisch austauschbaren "aut idem"-Bereich vom Naturalleistungsbezug als Regelfall zu lösen und stattdessen selbst für den Einzelfall eines Arzneimittels Kostenerstattung zu wählen (vgl Hauck, GesR 2011, 69, 73). Die Regelung wäre überflüssig gewesen, wenn Versicherte entgegen § 129 Abs 1 S 3 SGB V Anspruch auf ein vertraglich nicht rabattiertes Arzneimittel gehabt hätten und die ärztliche Verordnung ohne Beachtung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V Grundlage für die Abgabe eines derartigen Arzneimittels hätte sein können. Die Beschränkung des Sachleistungsanspruchs der Versicherten unter den dargelegten Voraussetzungen auf vom Apotheker ausgewählte Rabattvertragsarzneimittel entspricht schließlich dem Regelungszweck des § 129 Abs 1 S 3 SGB V, Arzneimittelkosten in der GKV ohne Qualitätsverlust einzusparen. Dies harmoniert in besonderer Weise mit der Verwirklichung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 SGB V) und der Sicherung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (§ 71 S 1 SGB V).

25

c) Der dem Grunde nach bestehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten erfasst den vollen Betrag der rechtsgrundlos gezahlten Vergütung. Er ist der Höhe nach nicht auf den Betrag beschränkt, der sich - nach Abzug des Apothekerrabatts - aus der Differenz der von der Beklagten gezahlten Vergütung für das abgegebene Arzneimittel Junizac 150 mg N3 und einem Rabattvertragsarzneimittel ergibt. Die dargelegten Grenzen eines Vergütungsanspruchs stehen der Anwendung der Regelungen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen entgegen (§§ 812 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 40a GKV-WSG) .

26

§ 69 S 4 SGB V schließt nicht schon grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung(§§ 812 ff BGB) im Leistungserbringungsrecht aus. Ihr Anwendungsbereich ist indes nicht eröffnet, wenn sie gesetzliche und (normen)vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsgeschehen in der GKV steuern, zu unterlaufen drohen. Diese Regelungen können ihre Steuerungsfunktion nur erfüllen, wenn sie vollständig beachtet werden. Auf die Schwere des Verstoßes kommt es dabei nicht an. So liegt es hier. Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zugunsten des Leistungserbringers würde den oben aufgezeigten Zweck des Substitutionsgebots missachten (vgl entsprechend 1. Senat des BSG zB BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97; BSGE 89, 39, 44 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 121; BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24 zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder der ungerechtfertigten Bereicherung; vgl zu ersteren auch BSGE 109, 133 = SozR 4-1750 § 68 Nr 1, RdNr 21; 6. Senat des BSG, zB BSG Urteil vom 26.1.2000 - B 6 KA 59/98 R - Juris RdNr 26; BSGE 80, 1, 4 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 9; BSGE 79, 239, 249 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 14 S 57 f; 3. Senat des BSG BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 7 RdNr 29, zur Vergütung von Krankenhausleistungen außerhalb des Versorgungsauftrags des Krankenhauses; BSGE 94, 213 RdNr 26 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 23 mwN, zu einem rechtswidrig importierten Arzneimittel).

27

d) § 129 Abs 1 S 3 SGB V und § 4 Abs 2 S 2 RV verstoßen in der vorgenommenen Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ist die darin liegende Berufsausübungsregelung für Apotheker wie den Kläger gerechtfertigt. Die Regelung, die Apothekern abverlangt, das dargelegte Substitutionsgebot zu beachten, ist als Berufsausübungsregelung an Art 12 Abs 1 GG zu messen (vgl zB zu Preisregelungen für Apotheker BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 129 ff; s auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 15). Die damit verbundene Belastung ist für Apotheker spürbar, aber gering: Sie dürfen vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur unter zusätzlicher Achtung des Substitutionsgebots an Versicherte abgeben. Dies entspricht den von ihnen zu fordernden und zu erwartenden professionellen Fähigkeiten. Sie müssen hierzu die ihnen zur Verfügung stehenden, durch Softwareprogramme abrufbaren Daten über Rabattverträge nutzen, um die Ersetzungsvoraussetzungen zu prüfen und Rabattvertragsarzneimittel auszuwählen.

28

Diese Berufsausübungsregelung ist - wie verfassungsrechtlich geboten - durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Sie dient - wie dargelegt - in geeigneter Weise und nach vertretbarer Einschätzung des Gesetzgebers in erforderlichem Umfang der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV. Das Substitutionsgebot ist auch verhältnismäßig. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV ist ein Gemeinwohlbelang sogar von überragender Bedeutung (vgl BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 233; BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3). Das Gebot, Rabattvertragsarzneimittel abzugeben, kann nur dann seinen Zweck sicher erfüllen, wenn es zugleich umfassend verbietet, nicht rabattierte Arzneimittel abzugeben. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Gesetz dessen strikte Einhaltung einfordert und bei insoweit fehlerhafter Abgabe einen Vergütungsanspruch vollständig ausschließt.

29

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Teils 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.

(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.

(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.

(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.

(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.

Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.

(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.

(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.

(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.

(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

Tenor

1. § 6a Absatz 2 Satz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 ist mit Artikel 28 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 70 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit er anordnet, dass der Antrag in den dafür zuständigen Vertretungskörperschaften der kommunalen Träger einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder bedarf. Die Vorschrift gilt für bestehende Zulassungen fort.

Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer zu 1. die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerden betreffen die rechtliche Stellung sogenannter Optionskommunen nach der Aufnahme von Art. 91e in das Grundgesetz und der Neuregelung der Leistungsträgerschaft und Aufgabenwahrnehmung auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 (BGBl I S. 1112).

I.

2

1. Im Rahmen ihres "Zukunftsprogramms Agenda 2010" legten die Bundesregierung und die sie tragenden Bundestagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Herbst 2003 mehrere Gesetzentwürfe für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vor, darunter den Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 5. September 2003 (BTDrucks 15/1516). Wesentliches Anliegen dieses Entwurfs war es, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Arbeitslose zur Grundsicherung für Arbeitsuchende zusammenzuführen, um sie als einheitliche Leistung "aus einer Hand" anbieten zu können. Damit sollten Doppelstrukturen in der Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeverwaltung, die als ineffizient empfunden wurden, beseitigt und der angespannten Finanzlage der Kommunen Rechnung getragen werden (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 41 f.).

3

a) Diese Zielsetzung bedingte grundlegende Änderungen in der Organisation der Leistungsverwaltung. Im Gesetzgebungsverfahren waren deshalb neben der materiell-rechtlichen Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende insbesondere die Fragen der Leistungsträgerschaft und der Finanzierungsverantwortung umstritten. Ein Teil der Länder und der Deutsche Landkreistag strebten eine kommunale Trägerschaft an, während andere Länder, der Bund, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Städtetag die Bundesagentur für Arbeit als alleinige Trägerin der Leistungen durchsetzen wollten.

4

Nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren (zu den Einzelheiten vgl. BVerfGE 119, 331 <332 ff.>) wurde das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 24. Dezember 2003 beschlossen und am 29. Dezember 2003 verkündet (BGBl I S. 2954).

5

Eine Vorschrift über die Option für eine kommunale Trägerschaft (§ 6a SGB II a.F.) war kurzfristig in das Gesetz aufgenommen, die Ausgestaltung im Einzelnen einem weiteren Gesetzgebungsverfahren vorbehalten worden. Dessen Eckpunkte wurden in gleichlautenden Entschließungsanträgen des Deutschen Bundestages und des Bundesrates festgelegt (BTDrucks 15/2264; BRDrucks 943/03 ) und führten unter anderem zu einer Änderung der §§ 6 ff. und § 44b SGB II a.F. durch das Gesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 2014).

6

Um verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Finanzierung der mit der Trägerschaft verbundenen Ausgaben aus Bundesmitteln auszuräumen, hatte der Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen, dass die kommunalen Träger als Organe der Bundesagentur tätig werden sollten (vgl. BTDrucks 15/2816, S. 11 f.), wovon im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch Abstand genommen wurde. Der im Vermittlungsverfahren neu gefasste § 6b SGB II a.F. sprach in der Überschrift stattdessen von der "Rechtsstellung der zugelassenen kommunalen Träger", ohne diese Rechtsstellung weiter zu thematisieren. Hinsichtlich der Finanzierung wurde - gestützt auf Art. 106 Abs. 8 GG - bestimmt, dass der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten trägt, mit Ausnahme der Aufwendungen für die Aufgaben, die auch die nicht optierenden Kommunen selbst zu tragen haben. Darüber hinaus wurden unter anderem eine Experimentierklausel (§ 6a SGB II a.F.), ein Anspruch der kommunalen Träger auf Aufwendungs- und Verwaltungskostenerstattung durch den Bund (§ 6b Abs. 2 SGB II a.F.) und Prüfbefugnisse des Bundesrechnungshofes (§ 6b Abs. 3 SGB II) vorgesehen.

7

b) Um die Zulassung als kommunale Träger bewarben sich 67 Gemeindeverbände und sechs kreisfreie Städte. Mit der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung - KomtrZV) vom 24. September 2004 (BGBl I S. 2349) ließ das damals zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 69 Antragsteller als Optionskommunen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2010 zu.

8

2. Mit Urteil vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331 ff.) entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die in § 44b SGB II a.F. geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung auf die Arbeitsgemeinschaften und die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung derselben mit Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 83 GG unvereinbar war. Die Vorschrift bleibe jedoch bis zum 31. Dezember 2010 anwendbar, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor eine andere Regelung treffe. Ordne der Gesetzgeber an, dass Aufgaben gemeinsam von Bund und Gemeinden oder Gemeindeverbänden wahrgenommen werden, sei für die verfassungsrechtliche Prüfung auch entscheidend, ob die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern gemäß Art. 83 ff. GG eingehalten würden. Überschreite der Gesetzgeber die ihm dort gesetzten Grenzen eines zulässigen Zusammenwirkens von Bundes- und Landesbehörden, führe dies zugleich zu einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Die Kompetenzaufteilung nach Art. 83 ff. GG sei eine wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips. Die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern seien grundsätzlich getrennt und könnten auch mit Zustimmung der Beteiligten nur in den vom Grundgesetz vorgesehenen Fällen zusammengeführt werden. Das Grundgesetz schließe, von begrenzten Ausnahmen abgesehen, eine sogenannte Mischverwaltung aus. Dies gelte auch für das Verhältnis von Bund und Kommunen. Gemeinden und Gemeindeverbände seien staatsorganisationsrechtlich wie finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet und blieben hinsichtlich der grundgesetzlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen Teil der Länder.

9

Die Arbeitsgemeinschaften seien als Gemeinschaftseinrichtung von Bundesagentur und kommunalen Trägern nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Nach der Systematik des Grundgesetzes werde der Vollzug von Bundesgesetzen entweder von den Ländern oder vom Bund, nicht hingegen zugleich von Bund und Land oder einer von beiden geschaffenen dritten Institution wahrgenommen. Zwar bedürfe das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der Verwaltung nicht in jedem Fall einer besonderen verfassungsrechtlichen Ermächtigung. Es widerspreche allerdings der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, wenn in weitem Umfang Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse des Bundes im Aufgabenbereich der Länder ohne entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung vorgesehen würden. Eine Ausnahme von den Art. 83 ff. GG bedürfe daher eines besonderen sachlichen Grundes und könne nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen. Unabhängig davon, dass ein Abweichen von der Kompetenzordnung des Grundgesetzes schon wegen Bedeutung und Umfang der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausscheide, fehle es auch an einem hinreichenden sachlichen Grund, der eine gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung in den Arbeitsgemeinschaften rechtfertigen könnte. Das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitsuchende "aus einer Hand" zu gewähren, sei zwar ein sinnvolles Regelungsziel; dieses könne aber sowohl dadurch erreicht werden, dass der Bund für die Ausführung den Weg des Art. 87 GG wähle, als auch dadurch, dass der Gesamtvollzug nach der Grundregel des Art. 83 GG insgesamt den Ländern als eigene Angelegenheit überlassen werde. Ein sachlicher Grund zur Vermischung beider Varianten bestehe nicht.

10

3. Nach Verkündung des Urteils wurde von den politisch Verantwortlichen eine Neuregelung der für verfassungswidrig erklärten Verwaltungsstruktur in Angriff genommen. Nach längerer Debatte wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e) vom 21. Juli 2010 (BGBl I S. 944) in den Abschnitt VIIIa "Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit" ein neuer Art. 91e eingefügt. Dieser ist am 26. Juli 2010 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und am 27. Juli 2010 in Kraft getreten. Er lautet:

Artikel 91e

(1) Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen.

(2) Der Bund kann zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach Absatz 1 allein wahrnimmt. Die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund, soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen nach Absatz 1 vom Bund wahrzunehmen sind.

(3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

11

4. Parallel zur Änderung des Grundgesetzes beschloss der Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 (BGBl I S. 1112), das am 10. August 2010 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde und - soweit entscheidungserheblich - zum 11. August 2010 (§ 6a SGB II) beziehungsweise 1. Januar 2011 (§ 6b SGB II) in Kraft getreten ist. Durch dieses Gesetz erhielten die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Vorschriften ihre streitgegenständliche Fassung. Sie haben folgenden Wortlaut:

§ 6 Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende

(1) Träger der Leistungen nach diesem Buch sind:

1. die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur), soweit Nummer 2 nichts Anderes bestimmt,

2. die kreisfreien Städte und Kreise für die Leistungen nach § 16a, §§ 22 und 23 Abs. 3, soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind (kommunale Träger). […]

(2) und (3) …

§ 6a Zugelassene kommunale Träger

(1) Die Zulassungen der auf Grund der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24. September 2004 (BGBl. I S. 2349) anstelle der Bundesagentur als Träger der Leistungen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 zugelassenen kommunalen Träger werden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung über den 31. Dezember 2010 hinaus unbefristet verlängert, wenn die zugelassenen kommunalen Träger gegenüber der zuständigen obersten Landesbehörde die Verpflichtungen nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 und 5 bis zum 30. September 2010 anerkennen.

(2) Auf Antrag wird eine begrenzte Zahl weiterer kommunaler Träger vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Träger im Sinne des § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zugelassen, wenn sie

1. geeignet sind, die Aufgaben zu erfüllen,

2. sich verpflichten, eine besondere Einrichtung nach Absatz 5 zu schaffen,

3. sich verpflichten, mindestens 90 Prozent der Beamten und Arbeitnehmer der Bundesagentur, die zum Zeitpunkt der Zulassung mindestens seit 24 Monaten in der im Gebiet des kommunalen Trägers gelegenen Arbeitsgemeinschaft oder Agentur für Arbeit in getrennter Aufgabenwahrnehmung im Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Satz 1 tätig waren, vom Zeitpunkt der Zulassung an, dauerhaft zu beschäftigen,

4. sich verpflichten, mit der zuständigen Landesbehörde eine Zielvereinbarung über die Leistungen nach diesem Buch abzuschließen, und

5. sich verpflichten, die in der Rechtsverordnung nach § 51b Absatz 1 Satz 2 festgelegten Daten zu erheben und gemäß den Regelungen nach § 51b Absatz 4 an die Bundesagentur zu übermitteln, um bundeseinheitliche Datenerfassung, Ergebnisberichterstattung, Wirkungsforschung und Leistungsvergleiche zu ermöglichen.

Für die Antragsberechtigung gilt § 6 Absatz 3 entsprechend. Der Antrag bedarf in den dafür zuständigen Vertretungskörperschaften der kommunalen Träger einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder sowie der Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde. Die Anzahl der nach den Absätzen 1 und 2 zugelassenen kommunalen Träger beträgt höchstens 25 Prozent der zum 31. Dezember 2010 bestehenden Arbeitsgemeinschaften nach § 44b in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung, zugelassenen kommunalen Trägern sowie der Kreise und kreisfreien Städte, in denen keine Arbeitsgemeinschaft nach § 44b in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung errichtet wurde (Aufgabenträger).

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, Voraussetzungen der Eignung nach Absatz 2 Nummer 1 und deren Feststellung sowie die Verteilung der Zulassungen nach den Absätzen 2 und 4 auf die Länder durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu regeln.

(4) Der Antrag nach Absatz 2 kann bis zum 31. Dezember 2010 mit Wirkung zum 1. Januar 2012 gestellt werden. Darüber hinaus kann vom 30. Juni 2015 bis zum 31. Dezember 2015 mit Wirkung zum 1. Januar 2017 ein Antrag auf Zulassung gestellt werden, soweit die Anzahl der nach den Absätzen 1 und 2 zugelassenen kommunalen Träger 25 Prozent der zum 1. Januar 2015 bestehenden Aufgabenträger nach Absatz 2 Satz 4 unterschreitet. Die Zulassungen werden unbefristet erteilt.

(5) Zur Wahrnehmung der Aufgaben anstelle der Bundesagentur errichten und unterhalten die zugelassenen kommunalen Träger besondere Einrichtungen für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch.

(6) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Zulassung widerrufen. Auf Antrag des zugelassenen kommunalen Trägers, der der Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde bedarf, widerruft das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Zulassung durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates. Die Trägerschaft endet mit Ablauf des auf die Antragstellung folgenden Kalenderjahres.

(7) Auf Antrag des kommunalen Trägers, der der Zustimmung der obersten Landesbehörde bedarf, widerruft, beschränkt oder erweitert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Zulassung nach Absatz 1 oder 2 durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, wenn und soweit die Zulassung auf Grund einer kommunalen Neugliederung nicht mehr dem Gebiet des kommunalen Trägers entspricht. Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 bis 5 gilt bei Erweiterung der Zulassung entsprechend. Der Antrag nach Satz 1 kann bis zum 1. Juli eines Kalenderjahres mit Wirkung zum 1. Januar des folgenden Kalenderjahres gestellt werden.

§ 6b Rechtsstellung der zugelassenen kommunalen Träger

(1) Die zugelassenen kommunalen Träger sind an Stelle der Bundesagentur im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit Träger der Aufgaben nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 mit Ausnahme der sich aus den §§ 44b, 48b, 50, 51a, 51b, 53, 55, 56 Absatz 2, §§ 64 und 65d ergebenden Aufgaben. Sie haben insoweit die Rechte und Pflichten der Agentur für Arbeit.

(2) Der Bund trägt die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2. § 46 Absatz 1 Satz 4, Absatz 2 und 3 Satz 1 gilt entsprechend. § 46 Absatz 5 bis 9 bleibt unberührt.

(3) Der Bundesrechnungshof ist berechtigt, die Leistungsgewährung zu prüfen.

(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales prüft, ob Einnahmen und Ausgaben in der besonderen Einrichtung nach § 6a Absatz 5 begründet und belegt sind und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. Die Prüfung kann in einem vereinfachten Verfahren erfolgen, wenn der zugelassene kommunale Träger ein Verwaltungs- und Kontrollsystem errichtet hat, das die Ordnungsmäßigkeit der Berechnung und Zahlung gewährleistet und er dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Beurteilung ermöglicht, ob Aufwendungen nach Grund und Höhe vom Bund zu tragen sind. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kündigt örtliche Prüfungen bei einem zugelassenen kommunalen Träger gegenüber der nach § 48 Absatz 1 zuständigen Landesbehörde an und unterrichtet sie über das Ergebnis der Prüfung.

(5) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann von dem zugelassenen kommunalen Träger die Erstattung von Mitteln verlangen, die er zu Lasten des Bundes ohne Rechtsgrund erlangt hat. Der zu erstattende Betrag ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

§ 44b Gemeinsame Einrichtung

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. […]

(2) bis (6) …

§ 47 Aufsicht

(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales führt die Rechts- und Fachaufsicht über die Bundesagentur, soweit dieser nach § 44b Absatz 3 ein Weisungsrecht gegenüber den gemeinsamen Einrichtungen zusteht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann der Bundesagentur Weisungen erteilen und sie an seine Auffassung binden; es kann organisatorische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen des Bundes an der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende treffen.

(2) Die zuständigen Landesbehörden führen die Aufsicht über die kommunalen Träger, soweit diesen nach § 44b Absatz 3 ein Weisungsrecht gegenüber den gemeinsamen Einrichtungen zusteht. Im Übrigen bleiben landesrechtliche Regelungen unberührt.

(3) Im Aufgabenbereich der Trägerversammlung führt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Rechtsaufsicht über die gemeinsamen Einrichtungen im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde. Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, gibt der Kooperationsausschuss eine Empfehlung ab. Von der Empfehlung kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nur aus wichtigem Grund abweichen. Im Übrigen ist der Kooperationsausschuss bei Aufsichtsmaßnahmen zu unterrichten.

(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Wahrnehmung seiner Aufgaben nach den Absätzen 1 und 3 auf eine Bundesoberbehörde übertragen.

(5) Die aufsichtführenden Stellen sind berechtigt, die Wahrnehmung der Aufgaben bei den gemeinsamen Einrichtungen zu prüfen.

§ 48 Aufsicht über die zugelassenen kommunalen Träger

(1) Die Aufsicht über die zugelassenen kommunalen Träger obliegt den zuständigen Landesbehörden.

(2) Die Rechtsaufsicht über die obersten Landesbehörden übt die Bundesregierung aus, soweit die zugelassenen kommunalen Träger Aufgaben anstelle der Bundesagentur erfüllen. Zu diesem Zweck kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften zu grundsätzlichen Rechtsfragen der Leistungserbringung erlassen. Die Bundesregierung kann die Ausübung der Rechtsaufsicht auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales übertragen.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann allgemeine Verwaltungsvorschriften für die Abrechnung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erlassen.

12

5. Aufgrund des § 6a Abs. 3 SGB II erließ das nunmehr zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 12. August 2010 die Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (KtEfV; BGBl I S. 1155). Soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung, lauten deren Vorschriften:

§ 1 Zulassungsverfahren

(1) Kommunale Träger können gemäß § 6a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch als Träger der Leistungen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zugelassen werden, wenn sie die in § 6a Absatz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch genannten Voraussetzungen erfüllen und die dort benannte Höchstgrenze nicht überschritten ist. Die kommunalen Träger treten insoweit an die Stelle der für ihr Gebiet jeweils zuständigen Agentur für Arbeit.

(2) Die zuständigen obersten Landesbehörden legen unter Berücksichtigung der Höchstgrenze des § 6a Absatz 2 Satz 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch einvernehmlich fest, wie viele kommunale Träger in einem Land jeweils zugelassen werden können.

(3) Stellen in einem Land mehr kommunale Träger einen Antrag auf Zulassung, als auf dieses auf Grund des Verteilungsschlüssels nach Absatz 2 entfallen, schlägt die oberste Landesbehörde dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 31. März 2011 vor, in welcher Reihenfolge die antragstellenden kommunalen Träger aus dem jeweiligen Land zugelassen werden. Die jeweils am höchsten gereihten kommunalen Träger werden entsprechend dem Verteilungsschlüssel nach Absatz 2 durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ohne Zustimmung des Bundesrates bis zur Höchstgrenze des § 6a Absatz 2 Satz 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zugelassen.

(4) […]

§ 2 Voraussetzungen der Eignungsfeststellung

(1) Zur Feststellung der Eignung und Bestimmung der Reihenfolge haben die antragstellenden kommunalen Träger mit dem Antrag bei der zuständigen obersten Landesbehörde Konzepte zu ihrer Eignung zur alleinigen Aufgabenwahrnehmung nach § 3 einzureichen und die Verpflichtungserklärungen nach § 6a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 bis 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch abzugeben.

(2) Zur Bewertung der eingereichten Konzepte erstellen die zuständigen obersten Landesbehörden eine Bewertungsmatrix, anhand derer die zuständigen obersten Landesbehörden eine Punktzahl vergeben. Der kommunale Träger muss bei jedem Kriterium eine von der zuständigen obersten Landesbehörde festzulegende Mindestpunktzahl erzielen. Die summierten Einzelwerte müssen ihrerseits eine von der zuständigen obersten Landesbehörde zu bestimmende Mindestpunktzahl ergeben. Die erreichte Punktzahl ist auch maßgeblich für die Platzierung in der für das jeweilige Land von der zuständigen obersten Landesbehörde zu erstellenden Reihenfolge.

§ 3 Eignungskriterien

(1) Der kommunale Träger stellt in dem Konzept nach § 2 Absatz 1 die organisatorische Leistungsfähigkeit seiner Verwaltung dar. Dieses muss zu folgenden Bereichen Angaben enthalten:

1. infrastrukturelle Voraussetzungen,

2. Personalqualifizierung,

3. Aktenführung und Rechnungslegung und

4. bestehende und geplante Verwaltungskooperationen sowie Kooperationen mit Dritten.

(2) Der kommunale Träger stellt zum Nachweis seiner Fähigkeit zur Erfüllung der Aufgaben und Ziele nach § 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch dar,

1. mit welchem Konzept und mit welchem Erfolg er sich seit 2003 arbeitsmarktpolitisch engagiert hat und wie dieses Engagement künftig ausgestaltet werden soll,

2. nach welchen Grundsätzen und in welchem Umfang er seit 2005 kommunale Eingliederungsleistungen erbracht hat und wie die Erbringung kommunaler Eingliederungsleistungen künftig ausgestaltet werden soll,

3. wie die kommunalen Eingliederungsleistungen bisher mit Leistungen der Agenturen für Arbeit verknüpft wurden und zukünftig verknüpft werden sollen,

4. nach welchen Zweckmäßigkeitserwägungen die arbeitsmarktpolitischen Leistungen erbracht werden sollen und

5. wie das Eingliederungsbudget verwendet und eine bürgerfreundliche und wirksame Arbeitsvermittlung aufgebaut werden soll.

(3) Der kommunale Träger legt ein Konzept für eine überregionale Arbeitsvermittlung vor.

(4) Der kommunale Träger legt ein Konzept für ein transparentes internes System zur Kontrolle der recht- und zweckmäßigen Leistungserbringung und Mittelverwendung vor.

(5) Der kommunale Träger legt ein Konzept für den Übergang der in seinem Gebiet bestehenden Aufgabenwahrnehmung in die zugelassene kommunale Trägerschaft vor. Das Konzept umfasst einen Arbeits- und Zeitplan zur Vorbereitung der Trägerschaft, zur rechtlichen und tatsächlichen Abwicklung der bestehenden Trägerform sowie zur Überführung des Daten- und Aktenbestandes und des Eigentums in die zugelassene kommunale Trägerschaft.

13

6. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 4) sollten insgesamt 110 kommunale Träger für die Grundsicherung für Arbeitslose zugelassen werden, wobei die Betrauung der bereits unter der alten Rechtslage zugelassenen Träger nicht in Frage gestellt werden sollte (§ 6a Abs. 1 und Abs. 2 SGB II). Um die noch zur Verteilung anstehenden 41 Plätze bewarben sich bundesweit 77 Gemeinden und Gemeindeverbände. Mit Ausnahme des Beschwerdeführers zu 1. hatten alle Antragsteller das von § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II geforderte Zwei-Drittel-Quorum in ihren zuständigen Vertretungskörperschaften erreicht. Im Kreistag des Beschwerdeführers zu 1. hatten in der Sitzung vom 25. Oktober 2010 von den 60 Mitgliedern des Kreistages jedoch nur 36 mit "Ja" gestimmt, 19 mit "Nein"; fünf Mitglieder waren entschuldigt abwesend. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erließ am 14. April 2011 sodann die Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung (BGBl I S. 645) und ließ 41 Gemeinden und Gemeindeverbände mit Wirkung zum 1. Januar 2012 als Optionskommunen neu zu. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 15. wurden nicht zugelassen. Der Beschwerdeführer zu 16. ist hingegen bereits seit dem 1. Januar 2005 zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

II.

14

Zur Begründung ihrer Verfassungsbeschwerden tragen die Beschwerdeführer im Wesentlichen vor:

15

1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. gegen § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II sei zulässig (a) und begründet (b).

16

a) Der Beschwerdeführer zu 1. sei von der gesetzlichen Vorschrift unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen. Die Kommunen würden von § 6a Abs. 2 SGB II vor die Wahl gestellt, die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende in alleiniger Verantwortung wahrzunehmen oder sie in einer gemeinsamen Einrichtung zu erfüllen. Die den kreisfreien Städten und Kreisen spezialgesetzlich in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II zugeordneten Aufgaben und die Aufgaben, die von Optionskommunen nach §§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 6a ff. SGB II wahrgenommen würden, fielen in den Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie. Mit der Festschreibung einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den Antrag auf Zulassung in § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II greife der Bundesgesetzgeber in die kommunale Binnenorganisation ein. Eines weiteren Vollzugsakts bedürfe es nicht.

17

b) Der Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG sei eröffnet, denn der Antragstellung komme eine "weichenstellende Bedeutung" zu. Sie sei nach der gesetzlichen Konzeption Voraussetzung für eine alleinige Aufgabenwahrnehmung; andernfalls bleibe nur die Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen. Das erhöhte Mehrheitserfordernis erschwere diese Entscheidung und greife damit in die Selbstverwaltungsgarantie ein. Der Eingriff sei verfassungswidrig, weil der Bund über keine Gesetzgebungszuständigkeit verfüge. Im Bundesstaat des Grundgesetzes seien die Kommunen den Ländern zugeordnet; die Gesetzgebungszuständigkeit für das Kommunalrecht liege gemäß Art. 70 GG ausschließlich bei diesen. Zwar sei der Bund zu kommunalrelevanten, nicht jedoch zu kommunalspezifischen Regelungen befugt. Er dürfe insbesondere keine Regelungen erlassen, welche die innere Kommunalverfassung beträfen. § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II könne - auch wenn er als "Zulassungskriterium" deklariert worden sei - vor diesem Hintergrund nicht auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) gestützt werden, denn nach seinem Gehalt betreffe er allein die kommunalinterne Willensbildung. Art. 91e Abs. 3 GG stelle insoweit keine Ausnahme zu Art. 70 GG dar, sondern knüpfe an die nach Art. 74 Abs. 1 GG bestehende Kompetenzverteilung an. Für eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs sei schließlich kein Raum. Das Antragserfordernis sei zwar von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gedeckt; der Antrag selbst müsse jedoch von den zuständigen Organen (Kreistag, Gemeinderat) nach landesrechtlichen Vorschriften gestellt werden.

18

2. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. bis 15.gegen § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II seien ebenfalls zulässig (a) und begründet (b).

19

a) Die Beschwerdeführer zu 2. bis 15. seien von der gesetzlichen Quotierung unmittelbar betroffen, auch wenn noch Zwischenschritte zur endgültigen Entscheidung über die Zulassung erforderlich gewesen seien, wie die Bewerbung von mehr als einem Viertel der Kommunen, eine Reihung und die Aufteilung auf Länderkontingente; denn diese Zwischenschritte seien gerichtlich nicht überprüfbar. Die Beschwerdebefugnis ergebe sich bereits aus der Begrenzung der Optionskommunen auf höchstens 25 Prozent. Diese beschneide die kommunale Entscheidungsfreiheit, sei gleichheitswidrig und willkürlich. Es handele sich dabei um eine objektive Zulassungsbeschränkung, auf deren Erfüllung die einzelne Kommune keinen Einfluss habe. Die länderbezogene Kontingentierung habe zudem zur Folge, dass in Ländern mit einer großen Zahl von Antragstellern Bewerber nicht zugelassen worden seien, die in einem anderen Land ohne weiteres zugelassen worden wären. Darin liege ein besonders intensiver Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, das interkommunale Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot.

20

b) Entschließe sich der Gesetzgeber, über die bereits zugelassenen Optionskommunen hinaus weitere Gemeinden und Gemeindeverbände zuzulassen, sei dies an der Garantie kommunaler Selbstverwaltung in Verbindung mit dem Gleichheitssatz zu messen. Art. 91e GG sehe nur ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor. § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II beschränke die neu zuzulassenden Optionskommunen dagegen auf 25 Prozent der Aufgabenträger. Der Sache nach handele es sich bei dieser Quote um einen tagespolitischen Kompromiss, den der Gesetzgeber umgesetzt habe, ohne abweichende Erwägungen anzustellen oder ein Regelwerk für eine nachvollziehbare Zulassungsreihenfolge vorzugeben. Die auf Art. 91e Abs. 3 GG basierenden gesetzlichen Regelungen müssten verfassungskonform ausgelegt werden, damit sie nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstießen. Für den Fall eines Überhangs an Antragstellern müsse der Gesetzgeber ein Verteilungsverfahren normieren, das die Auswahl der besten Antragsteller gewährleiste. Das sei bisher nicht der Fall. Die geltenden Regelungen sähen keine Bewertung der Qualität der Antragsteller vor. Das Verfahren genüge auch nicht dem Grundsatz der interkommunalen Gleichbehandlung, wenn es in § 1 Abs. 2 KtEfV den Ländern überlassen werde, wie viele kommunale Träger in einem Land zugelassen würden, unabhängig von der Zahl der antragsberechtigten Kommunen und konkreten Antragsteller sowie ihrer qualitativen Bewertung.

21

3. Schließlich sei auch die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 16. gegen § 6b Abs. 3, § 6b Abs. 4 SGB II zulässig (a) und begründet (b).

22

a) Die Verfassungsbeschwerde sei insbesondere fristgerecht erhoben worden. Durch die Novellierung im Jahr 2010 habe § 6b Abs. 3 SGB II eine den Beschwerdeführer zu 16. stärker belastende Wirkung erhalten als zuvor. § 6b Abs. 3 und Abs. 4 SGB II sähen Prüfbefugnisse des Bundes vor, obwohl die betroffenen Aufgaben von den Kommunen als Selbstverwaltungsaufgaben wahrgenommen würden, die Länder die Aufsicht führten und keinerlei Verwaltungsbefugnisse des Bundes bestünden. Diese Prüfbefugnisse griffen in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein und seien nicht durch Art. 91e GG gedeckt.

23

b) Bei einem Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeit sei für die Prüfbefugnis auf die Verwaltungszuständigkeit abzustellen. Bei der Aufgabenwahrnehmung nach den §§ 6a ff. SGB II bestünden jedoch keine Verwaltungsbefugnisse des Bundes; die Aufsicht werde von den Ländern ausgeübt. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus Art. 91e Abs. 2 und Abs. 3 GG. Für Prüfbefugnisse des Bundes sei daher kein Raum. Andernfalls sähen sich die Kommunen drei Prüfungsinstanzen ausgesetzt: den kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen (Kommunalprüfungsämtern), der Aufsicht des Landes und der des Bundes.

24

Die Datenerhebung durch den Bundesrechnungshof sei nicht anders zu beurteilen als die Informationsbeschaffung durch die Bundesverwaltung. Die Befugnisse des Bundesrechnungshofes seien weder im Sinne ihrer Effektivierung großzügig auszulegen noch von der Finanzierungskompetenz des Bundes her zu begründen, sondern folgten den Verwaltungskompetenzen des Bundes. Von der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof gingen im Übrigen, etwa durch öffentlichen Druck und politische Reaktionen, auch dann Einwirkungen auf die Rechtssphäre Dritter aus, wenn er keine unmittelbar eingreifenden und belastenden Entscheidungen treffe.

25

Der Bund trage nach § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II die Aufwendungen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Vor Inkrafttreten des Art. 91e GG seien die Aufwendungen im Rahmen des Sonderlastenausgleichs nach Art. 106 Abs. 8 GG erstattet worden. Dies habe die Verwaltungszuständigkeiten jedoch unberührt gelassen, so dass § 6b Abs. 3 SGB II nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 6a ZuInvG bereits damals verfassungswidrig gewesen sei und die Gesetzesbegründung zu Art. 91e GG (BTDrucks 17/1554, S. 5) somit auf eine verfassungswidrige Rechtslage beziehungsweise Praxis Bezug nehme. Daran ändere auch Art. 91e GG nichts. Wie Art. 106 Abs. 8 GG ("erforderliche"), so knüpfe auch Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG ("notwendige") an materiell-rechtliche Vorgaben an. Er lasse sich auch nicht als Ausnahme zu Art. 84 Abs. 3 GG verstehen. Für die Bundesaufsicht über die Länder verbleibe es vielmehr bei den allgemeinen Regeln der Art. 84 Abs. 3 und Abs. 4 GG.

III.

26

Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und alle Landesregierungen hatten Gelegenheit zur Äußerung. Von den Äußerungsberechtigten hat nur die Bundesregierung eine Stellungnahme abgegeben.

27

1. a) Die Verfassungsbeschwerde sei bereits unzulässig. Der Beschwerdeführer zu 1. sei von der angegriffenen Vorschrift nicht unmittelbar betroffen, weil die Zulassungsentscheidung durch Rechtsverordnung erfolge, in deren Rahmen die Zulassungsvoraussetzungen geprüft würden. Um den fachgerichtlichen Rechtsweg zu erschöpfen, hätte der Beschwerdeführer zu 1. zudem Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erheben müssen; jedenfalls wäre dies aufgrund des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität geboten gewesen, um die sachnäheren Fachgerichte mit der Sache befassen zu können. Im Übrigen fehle die für die Beschwerdebefugnis erforderliche Kausalität zwischen der angegriffenen Rechtsnorm und der behaupteten Rechtsverletzung, denn auch bei Erreichen der Zwei-Drittel-Mehrheit hätte der Beschwerdeführer zu 1. mangels Eignung nicht als Optionskommune zugelassen werden können.

28

b) Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. sei aber jedenfalls unbegründet, weil es bereits an einem Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie fehle. Deshalb könne auch das Fehlen einer - in der Sache durchaus vorhandenen - Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht gerügt werden.

29

aa) Die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG folge nicht den Regeln der abstrakten Normenkontrolle, so dass kompetenzwidrige Gesetzgebungsakte nur dann mit Erfolg angegriffen werden könnten, wenn sie zugleich einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie darstellten. Dies sei hier nicht der Fall. Ein Eingriff in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG scheide schon deshalb aus, weil dem Beschwerdeführer zu 1. nach den Feststellungen des zuständigen Bayerischen Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung die nach § 6a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II erforderliche fachliche Eignung gefehlt habe und das qualifizierte Mehrheitserfordernis somit für die behauptete Rechtsverletzung schon nicht ursächlich sei; der Beschwerdeführer zu 1. hätte auch bei Erreichen des Quorums nicht als kommunaler Träger zugelassen werden können.

30

Art. 28 Abs. 2 GG begründe aber auch keinen Anspruch auf Zulassung als kommunaler Träger und auf alleinige Wahrnehmung der Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Im Gegenteil: Bei Gemeindeverbänden beschränke sich der Schutz des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG von vornherein auf den gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich. Regelungen wie § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II erschwerten zwar die Aussichten auf eine Zulassung als kommunaler Träger, griffen aber nicht in den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ein. Wäre der Beschwerdeführer zu 1. früher als Optionskommune zugelassen worden, griffe auch der Entzug dieser Aufgabe nicht in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ein; umso weniger könne dies bei einer vorenthaltenen Zulassung der Fall sein. Aus Art. 91e GG folge nichts anderes, denn dieser sehe als Regelfall die Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen vor; diese verfassungsrechtliche Vorgabe präge zugleich den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG.

31

Ein Eingriff liege auch nicht unter dem - nicht gerügten - Gesichtspunkt der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung vor. Diese sei den Gemeindeverbänden ebenfalls nur nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet. Bei ihrer inhaltlichen Ausgestaltung müsse der Gesetzgeber nur sicherstellen, dass der Kernbereich der Selbstverwaltung unangetastet bleibe. Gesetzliche Vorgaben bedürften lediglich eines am Gemeinwohl orientierten, rechtfertigenden Grundes, der sich im vorliegenden Fall aus der Gesetzesbegründung ergebe.

32

bb) § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II sei keine Regelung des allgemeinen Kommunalverfassungsrechts, sondern eine Regelung über die Organisation der Aufgabenerledigung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Insoweit folge die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, der auch die Befugnis einschließe, die Organisation der Aufgabenerledigung zu regeln. Zur Organisation in diesem Sinne gehöre die Frage, ob und inwieweit Kommunen die Aufgaben in gemeinsamen Einrichtungen oder alleine wahrnehmen und unter welchen Voraussetzungen sie als kommunale Träger zugelassen werden können. § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II enthalte eine Zulassungsvoraussetzung; gesetzessystematisch handele es sich dabei um eine Konkretisierung des Antragserfordernisses. Das qualifizierte Mehrheitserfordernis solle die Nachhaltigkeit der Aufgabenwahrnehmung sicherstellen, was ebenfalls für eine Einordnung als Zulassungsvoraussetzung spreche. Auch aus Art. 91e Abs. 3 GG folge, dass dem Bundesgesetzgeber die Ausgestaltung der Zulassungskriterien obliege. Dass die Vorschrift formal Anforderungen an ein Entscheidungsorgan der Kommune stelle, mache sie noch nicht zu einer kommunalverfassungsrechtlichen Regelung. Einzelne Regelungen dürften insoweit nicht aus dem Regelungszusammenhang gelöst werden; komme eine Zugehörigkeit zu verschiedenen Kompetenzbereichen in Betracht, sei auf den Schwerpunkt abzustellen. Der Schwerpunkt von § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II liege nach der gesetzgeberischen Zielsetzung auf den Anforderungen an die Zulassung als kommunaler Träger. Das Kommunalverfassungsrecht werde durch die Regelung allenfalls reflexhaft betroffen.

33

2. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. bis 15. seien ebenfalls unzulässig (a), jedenfalls aber unbegründet (b).

34

a) Auch den Beschwerdeführern zu 2. bis 15. fehle es insoweit an der unmittelbaren Betroffenheit. Hinzu komme, dass das 25-Prozent-Kontingent nicht nur der Umsetzung, sondern auch der Konkretisierung durch Rechtsverordnung bedürfe. Mit der Begrenzung des Kontingents auf 25 Prozent allein stehe noch nicht fest, welche Kommunen insoweit nachteilig betroffen seien. Zudem seien die Beschwerdeführer zu 3. bis 15. nicht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG, die Beschwerdeführerin zu 2. nicht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG beschwerdebefugt. Da es sich nicht um Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft handele, griffen gesetzliche Regelungen, die die Aussichten auf eine Zulassung als kommunaler Träger erschwerten, weder in den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG noch in den des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ein. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 91e GG, denn dieser bestimme die Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen zum Regelfall. Schließlich sei auch insoweit der Rechtsweg nicht erschöpft beziehungsweise dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität nicht Genüge getan worden, weil die Beschwerdeführer zu 2. bis 15. keine atypische Feststellungsklage vor den Sozialgerichten erhoben hätten.

35

b) § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II verletze weder Art. 28 Abs. 2 GG noch das Willkürverbot oder das interkommunale Gleichbehandlungsgebot.

36

aa) Die Beschwerdeführer zu 3. bis 15. könnten sich nur auf Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleiste dieser lediglich, dass den Kreisen ein Mindestbestand an Aufgaben zugewiesen wird, was offensichtlich der Fall sei. Soweit die Beschwerdeführerin zu 2. sich auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berufen könne, liege ebenfalls keine Verletzung vor, weil es sich bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht um Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft handele.

37

bb) Das Willkürverbot sei nur verletzt, wenn sich schlechthin kein sachgerechter Grund für eine Maßnahme finden lasse oder wenn diese unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei. Dies sei nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber habe den ihm zustehenden Gestaltungspielraum genutzt. Zudem gebe es sachliche Gründe für die Begrenzung, weil damit die Vorgabe eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses durch Art. 91e GG umgesetzt worden sei.

38

cc) Die von den Beschwerdeführern insoweit gerügte Ungleichbehandlung - Zulassung sämtlicher Antragsteller in drei Ländern aufgrund des dortigen Kontingents und der fehlenden Antragskonkurrenz, nicht aber Zulassung der Beschwerdeführer zu 2. bis 15. - ergebe sich nicht aus der Begrenzung der Zahl der neu zuzulassenden kommunalen Träger, sondern aus deren Aufteilung auf die von den Ländern gemäß der Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende vereinbarten Länderkontingente.

39

3. Auch der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 16. müsse der Erfolg versagt bleiben.

40

a) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen § 6b Abs. 3 SGB II richte, sei sie verfristet. Die Vorschrift sei bereits am 6. August 2004 in Kraft getreten. Weder § 6b Abs. 4 SGB II n.F. noch Art. 91e GG enthielten insoweit neue, belastende Wirkungen. Im Übrigen sei Art. 91e GG am 27. Juli 2010 in Kraft getreten, sodass die Jahresfrist auch dann verstrichen wäre, wenn man dieser Vorschrift neue Belastungen im Hinblick auf das Schutzgut des Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG zuschreiben wollte. Soweit § 6b Abs. 4 SGB II angegriffen werde, fehle es an einer gegenwärtigen Beschwer, weil es vollkommen ungewiss sei, ob der Beschwerdeführer von einer anlasslosen Vor-Ort-Überprüfung jemals betroffen sein werde.

41

b) Die Verfassungsbeschwerde gegen § 6b Abs. 4 SGB II sei jedenfalls unbegründet. In der Entscheidung zum Zukunftsinvestitionsgesetz (BVerfGE 127, 165 ff.) habe das Bundesverfassungsgericht offengelassen, ob Prüfbefugnisse des Bundes die Finanzhoheit der Gemeinden beeinträchtigten. Die Schranken der Finanzkontrolle des Bundes gegenüber den Ländern seien vielmehr aus dem Grundsatz der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern (Art. 109 Abs. 1 GG) sowie der Zuweisung der Erfüllung staatlicher Aufgaben an die Länder (Art. 30 GG) abgeleitet worden. Auf diese Bestimmungen könnten sich Gemeindeverbände im Rahmen einer kommunalen Verfassungsbeschwerde jedoch nicht berufen.

42

Die Kompetenz des Bundes für die Anordnung von Prüfbefugnissen sowohl des Bundesrechnungshofes als auch des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales folge aus Art. 91e Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG. Art. 91e GG stelle die Beziehung zwischen Bund und Optionskommune auf eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage und enthalte nicht nur die Abstützung der Optionskommunen und der Kostenbeteiligung des Bundes, sondern auch eine Ermächtigung des Bundes zur Einrichtung einer Finanzkontrolle. Er sei insoweit eine Ausnahmevorschrift zu Art. 83 ff. und Art. 104a ff. GG. Art. 91e GG beschränke die Kostentragungspflicht des Bundes auf "notwendige Ausgaben", so dass auch eine Kontrolle erforderlich sei, ob die Ausgaben für diese Zwecke tatsächlich eingesetzt würden. Die materielle Beschränkung der Finanzierungspflicht begründe mit anderen Worten eine entsprechende Kontrollbefugnis des Bundes und eine Informationspflicht der Begünstigten. Dies belegten auch die Gesetzgebungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Vorschrift. Eine "verfassungssystematische" Auslegung zeige überdies, dass Art. 91e Abs. 2 GG dem Bund die Möglichkeit eröffne, anlasslose Vor-Ort-Prüfungen zuzulassen. Insoweit handele es sich um eine Ausnahmevorschrift zu Art. 84 f. und Art. 30 GG.

43

Die Prüfbefugnisse des Bundes hätten keine aufsichtsgleiche Wirkung. Zwar bestehe ein Risiko von Rückforderungen, wenn eine Kommune am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (HKR-Verfahren) teilnehme und der Bund ihr somit Mittel vorstrecke; dieses Risiko wurzele aber im rechtswidrigen Mitteleinsatz, nicht in den Prüfbefugnissen des Bundes. Diese erleichterten allenfalls die Aufdeckung. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung liege nicht in den Händen des Bundesministeriums, sondern der Sozialgerichte. Somit seien die Prüfbefugnisse des § 6b Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB II ebenso verfassungskonform wie die anlasslosen Überprüfungen vor Ort (§ 6b Abs. 4 Satz 3 SGB II). § 6b Abs. 4 Satz 1 SGB II sei auf die Feststellung des Sachverhalts und dessen Bewertung beschränkt. Das entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung zu § 6a Satz 3 ZuInvG und finde seine Stütze in Art. 91e Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG. Die Vorschrift begründe keine Befugnis zur aktiven Informationsbeschaffung, sondern setze die Verfügbarkeit der zur Prüfung benötigten Informationen voraus. § 6b Abs. 4 Satz 2 SGB II knüpfe an eine freiwillige Entscheidung der Optionskommune zur Teilnahme an dem Informations- und Kontrollsystem an, während § 6b Abs. 4 Satz 3 SGB II eine Befugnis des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales statuiere, Informationen vor Ort zu erheben. Dies sei von Art. 91e Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG gedeckt und diene der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen in Fällen, in denen die von den zugelassenen kommunalen Trägern im automatisierten Verfahren abgerufenen Bundesmittel rechtswidrig verwendet worden seien.

44

c) Schließlich sei auch die Verfassungsbeschwerde gegen § 6b Abs. 3 SGB II zumindest unbegründet. Durch die Prüfbefugnisse des Bundesrechnungshofes werde die Selbstverwaltungsgarantie ebenfalls nicht beeinträchtigt. Weder Art. 109 Abs. 1 GG noch Art. 30 GG begründeten eine für die Kommunen wehrfähige Position. Zudem sei Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG im übertragenen Wirkungskreis nicht anzuwenden. Art. 91e Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG decke auch die Prüfbefugnisse des Bundesrechnungshofes. Wenn bei einer Verwaltungsaufgabe eine alleinige und umfassende Finanzierungsverantwortung des Bundes bestehe, sei die uneingeschränkte Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof nicht nur zulässig, sondern im Interesse einer möglichst lückenlosen parlamentarischen Finanzkontrolle über die Verwendung der Bundesmittel sogar geboten.

IV.

45

Als sachkundige Dritte gemäß § 27a BVerfGG hatten der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. und der Deutsche Landkreistag haben sich zu den vorliegenden Verfassungsbeschwerden geäußert. Die übrigen sachkundigen Dritten haben von ihrem Äußerungsrecht keinen Gebrauch gemacht.

46

1. Der Deutsche Landkreistag hält die Verfassungsbeschwerden für zulässig und begründet.

47

a) Es habe - vor der Föderalismusreform und der Einfügung des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG - zwei mögliche Wege gegeben, wie der Bund Aufgaben auf Kommunen übertragen konnte. Entweder habe er den Weg über Art. 85 GG oder über Art. 84 GG gewählt. Im ersten Fall seien die übertragenen Aufgaben nicht dem Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG unterfallen, im zweiten Fall schon. Eine dritte Kategorie von Selbstverwaltungsaufgaben, die nicht dem Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG unterfalle, existiere nicht. Zum Schutz der Organisationshoheit der Länder sei es dem Bund auch grundsätzlich untersagt, eine weitergehende Kategorisierung kommunaler Aufgaben vorzunehmen.

48

b) Das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der zuständigen Vertretungskörperschaft sei verfassungswidrig, da es nicht auf Art. 91e Abs. 3 GG gestützt werden könne. Art. 91e GG modifiziere die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus nicht. Die Zuordnung der Kommunen zu den Ländern sei mithin nicht nur bei der Gestaltung der Aufsichtsbeziehungen zu berücksichtigen, sondern auch bei der Gesetzgebungszuständigkeit. Die Regelung sei wegen Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 70 GG verfassungswidrig.

49

c) Ausweislich des Wortlauts von Art. 91e Abs. 2 GG bestehe zwar keine Verpflichtung, überhaupt Optionskommunen zuzulassen. Entscheide sich der Gesetzgeber aber, dies zu tun, seien das Willkürverbot und das interkommunale Gleichbehandlungsgebot zu beachten. Die Kontingentierung in Höhe von 25 vom Hundert finde sich zwar in der Begründung zu Art. 91e GG. Die textliche Fixierung eines tagespolitischen Kompromisses binde den Gesetzgeber jedoch nicht. In der Sache gebe es keinen nachvollziehbaren Grund für die Festlegung des konkreten Kontingents. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Erbringung der Leistungen durch kommunale Träger nicht auch ohne zahlenmäßige Begrenzung erfolgen könne, zumal auch die Zulassung aller geeigneten Träger zu einer Quote von weniger als einem Drittel der Aufgabenträger führen würde.

50

d) Mit Blick auf die Prüfbefugnisse des Bundes sei von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2010 auszugehen (BVerfGE 127, 165 ff.). Dabei sei besonders problematisch, dass der Bund seine Prüfbefugnisse dazu nutze, Rückforderungsansprüche gegenüber den Optionskommunen ohne materiell-rechtliche Rechtsgrundlage geltend zu machen. Die kommunalen Träger würden damit bei der Verwaltung von Bundesmitteln einer "Quasi-Fachaufsicht" des Bundes unterstellt und faktisch zu Bundesbehörden degradiert. Aufsichtsrechte des Bundes bestünden jedoch nur nach Maßgabe des Art. 84 Abs. 3 und Abs. 4 GG. § 48 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei insoweit verfassungswidrig.

51

Art. 91e Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz GG sei der Sache nach eine Regelung der Finanzverfassung, modifiziere die Art. 104a Abs. 1 und Abs. 5 GG und begründe eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen. Für die Prüfbefugnisse des Bundes müssten die in BVerfGE 127, 165 ff. zu Art. 104b GG entwickelten Grundsätze übertragen werden. Zwar handele es sich bei Art. 104b GG und Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG um unterschiedliche Anknüpfungsnormen; den Prüfbefugnissen des Bundes vor Ort liege jedoch eine vergleichbare Konstellation zugrunde. In beiden Fällen fielen Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung auseinander.

52

Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG entspreche den Mehrbelastungsausgleichsverpflichtungen in den Landesverfassungen. Da Art. 91e Abs. 2 GG eine Ausnahme vom Aufgabenübertragungsverbot des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG darstelle, sei dies konsequent. Der Pflicht des Bundes, die "notwendigen Ausgaben" zu tragen, korrespondiere allerdings kein Recht zur Prüfung der Ausgaben und zur Rückforderung.

53

Dass die Aufsicht über die Optionskommunen lückenhaft sei, lasse sich nicht belegen. In den Jobcentern habe es bislang fünf Betrugsfälle von Bediensteten gegeben, wovon vier vom zuständigen Landkreis selbst aufgedeckt worden seien und der fünfte im Kontext des Geldwäschegesetzes. Eine Prüftätigkeit des Bundes sei für keinen dieser Fälle erforderlich gewesen.

54

Weder Art. 91e Abs. 2 noch Abs. 3 GG ermächtigten zur Regelung einer umfassenden Finanzkontrolle. Die Bundesregierung behaupte einerseits einen Unterschied zwischen Fachaufsicht und Finanzkontrolle, qualifiziere die Aufsicht der Länder über die Kommunen aber mit dem Argument ab, diese hätten mangels Einsatzes eigener Mittel kein Interesse an einer rechtmäßigen Verwaltung. Der Bund wolle eigene, den zweistufigen Staatsaufbau negierende Kontrollmechanismen an deren Stelle setzen und die Aufgabenerfüllung nach Art. 91e Abs. 2 GG dem Modell der gemeinsamen Träger nach Art. 91e Abs. 1 GG annähern. Sinn der unterschiedlichen Modelle sei jedoch gerade die andere Ausgestaltung der Verwaltungsstruktur.

55

Die unterschiedlichen Auffassungen der Kommunen und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Kontrolle der Kommunen schlügen sich in den Verwaltungsvereinbarungen nieder, die Möglichkeiten zur Anpassung, Änderung oder Kündigung offen ließen. Soweit sich Kommunen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht auf den Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung verständigen konnten, habe der Bund die Bereitstellung der abzurufenden Mittel verweigert. Die Verwaltungsvereinbarungen nicht abzuschließen, habe somit zur Folge, dass die Kommunen in Vorleistung treten müssten.

56

2. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. hat seine Stellungnahme auf § 6a SGB II beschränkt.

57

a) Er ist ebenfalls der Auffassung, das Zwei-Drittel-Quorum sei nicht von der Bundeskompetenz gedeckt. Der Regelung des § 6a SGB II mangele es schon deshalb an Konsistenz, weil der Widerruf der Zulassung von der Kommune mit einfacher Mehrheit beantragt werden könne (vgl. § 6a Abs. 6 Satz 2 SGB II). Zwar greife die Vorschrift nicht in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie ein; gleichwohl sei das Antragserfordernis in Art. 91e Abs. 2 Satz 1 GG Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Zudem seien die Kommunen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ohnehin für einen Teil der Grundsicherungsaufgaben zuständig, so dass der kommunale Wirkungskreis schon insoweit eröffnet sei (Art. 28 Abs. 2 GG). Das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit greife in die Entscheidungsfreiheit der Kommunen ein, was auch jenseits des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung nur durch ein formell und materiell verfassungskonformes Gesetz geschehen dürfe. Die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG decke aber nicht die Regelung von Mehrheitserfordernissen in der kommunalen Repräsentativkörperschaft. Auch Art. 91e Abs. 2 und Abs. 3 GG gebe dafür nichts her. Regelungen der kommunalinternen Willensbildung unterfielen vielmehr der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder.

58

b) Die gesetzliche Begrenzung der Optionskommunen auf ein Viertel der Aufgabenträger stelle sich ebenfalls als Eingriff in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung dar. Zwar dürfe der Bund eine zahlenmäßige Höchstgrenze festlegen. Verfassungsrechtlich geboten sei die Begrenzung auf ein Viertel jedoch nicht. Weder die frühere Zahl von 69 Optionskommunen noch ihre Erweiterung auf höchstens ein Viertel der Aufgabenträger sei verfassungsrechtlich gefordert. Die Auswahl der Optionskommunen durch die obersten Landesbehörden sei problematisch, weil der Bund ein transparentes bundesweites Verfahren hätte vorsehen müssen.

V.

59

In der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2014 haben die Beteiligten ihr Vorbringen bekräftigt und vertieft. Für den Deutschen Landkreistag hat der Senat außerdem Frau Dr. Vorholz als sachverständige Auskunftsperson gehört.

B.

60

Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 1. (I.) sowie zu 2. bis 15. (II.) sind zulässig. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 16. gegen § 6b Abs. 4 SGB II richtet, ist sie ebenfalls zulässig (III.1.); soweit sie sich gegen § 6b Abs. 3 SGB II richtet, ist sie unzulässig (III.2.).

I.

61

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. gegen § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II ist zulässig. Der Beschwerdeführer ist durch die gesetzliche Regelung unmittelbar betroffen.

62

1. Das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit gilt grundsätzlich auch für Kommunalverfassungsbeschwerden (vgl. BVerfGE 59, 216 <225>; 71, 25 <34 f.>). Diese Anforderung an die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde beruht auf dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck gekommenen und dieser Vorschrift zugrunde liegenden Gedanken der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Sie fällt vor allem dann ins Gewicht, wenn das Gesetz der Verwaltung einen Spielraum lässt, gilt grundsätzlich aber auch, wenn ein solcher Spielraum fehlt. In beiden Fällen entspricht es dem Grundsatz der Subsidiarität, dass zunächst die für das jeweilige Rechtsgebiet zuständigen Fachgerichte eine Klärung insbesondere darüber herbeiführen, ob und in welchem Ausmaß der Bürger oder die Gemeinde durch die beanstandete Regelung konkret in seinen Rechten betroffen und ob sie mit der Verfassung vereinbar ist; dabei ist nach Maßgabe der Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vorschriften gegebenenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen(vgl. BVerfGE 71, 25 <34 f.>). Mit Blick auf die Kommunalverfassungsbeschwerde ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich diese ausschließlich gegen Gesetze richtet und etwaige Vollzugsakte gar nicht angegriffen werden können. Gemeinden und Gemeindeverbände können daher grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden, zunächst einen gegen den Vollzugsakt eröffneten Rechtsweg zu beschreiten, weil Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG sonst weitgehend leer liefen.

63

Es ist Gemeinden und Gemeindeverbänden allerdings auch im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde verwehrt, ein Gesetz anzugreifen, das noch der Konkretisierung durch eine Rechtsverordnung bedarf, weil sie die verfassungsgerichtliche Überprüfung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in diesem Fall grundsätzlich auch im Rahmen einer gegen die Rechtsverordnung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerde erreichen können (vgl. BVerfGE 71, 25 <34 f.>; 76, 107 <112 f.>). Mit der Kommunalverfassungsbeschwerde können nicht nur Gesetze im formellen Sinne angegriffen werden, sondern alle untergesetzlichen Rechtsnormen mit Außenwirkung (vgl. BVerfGE 71, 25 <34>; 107, 1 <10>). Rechtsverordnungen (vgl. BVerfGE 26, 228 <236>; 56, 298 <309>; 71, 25 <34>; 107, 1 <8>) des Bundes und der Länder sind daher ebenso tauglicher Gegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde wie Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. BVerfGE 26, 228 <245>).

64

2. Nach diesen Grundsätzen ist der Beschwerdeführer zu 1. durch die angegriffene Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Er musste die Anforderungen der Norm erfüllen, um überhaupt einen aussichtsreichen Antrag auf Zulassung als Optionskommune stellen zu können und hat sie verfehlt. Dass die zuständige oberste Landesbehörde dies im Zulassungsverfahren festgestellt und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, daran anknüpfend, den Beschwerdeführer zu 1. aus dem Kreis der in Betracht kommenden Optionskommunen ausgeschieden hat, vermag daran nichts zu ändern.

II.

65

Die gegen § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II gerichteten Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. bis 15. sind ebenfalls zulässig. Diese sind durch die angegriffene Regelung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.

66

Die von den Beschwerdeführern beanstandete zahlenmäßige Begrenzung der Optionskommunen durch § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II wird zwar sowohl durch die Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende als auch durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung umgesetzt. Vor allem die unmittelbare Betroffenheit der Beschwerdeführer zu 2. bis 15. durch die angegriffene Regelung stellt dies jedoch nicht in Frage, weil sich die Kontingentierung der Anzahl der Optionskommunen und damit die bloße Einräumung einer Zulassungschance unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

III.

67

1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 16. ist zulässig, soweit sie die Vorschrift des § 6b Abs. 4 SGB II angreift; insbesondere ist der Beschwerdeführer zu 16. von der angegriffenen Vorschrift auch gegenwärtig betroffen (vgl. BVerfGE 1, 97 <102>; 43, 291 <385 f.>; 60, 360 <371>; 74, 297 <319>; 114, 258 <277>).

68

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seinem Tätigkeitsbericht 2010/2011 ausgeführt, es sei geplant, die Prüfung der Schlussrechnungen 2010 und 2011 im Jahr 2012 zusammen durchzuführen und abzuschließen, um dadurch mit der Prüfung der Schlussrechnungen 2012, die erstmalig auch von den neuen zugelassenen kommunalen Trägern einzureichen seien, gemeinsam für alte und neue kommunale Träger im Jahr 2013 beginnen zu können (HaushaltsausschussDrucks 17/3512, S. 4). Darüber hinaus ergibt sich aus den bisherigen Tätigkeitsberichten - die sich auf die bislang 69 zugelassenen kommunalen Träger beziehen -, dass bei der Prüfung der Jahresschlussrechnung zwischen 14 und 17 - auch verdachtsunabhängige - Vor-Ort-Prüfungen durchgeführt wurden, jährlich also etwa 20 Prozent bis 25 Prozent der zugelassenen kommunalen Träger derartige Überprüfungen hinzunehmen hatten (HaushaltsausschussDrucks 16/3434, S. 6; 16/4563, S. 2; 17/151, S. 4; 17/3512, S. 4). Aus der angekündigten Prüfung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der hinreichend großen Wahrscheinlichkeit, einer anlasslosen Vor-Ort-Prüfung unterzogen zu werden, ergibt sich auch eine gegenwärtige Betroffenheit für den Beschwerdeführer zu 16. durch die angegriffene gesetzliche Regelung.

69

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 16. gegen § 6b Abs. 3 SGB II richtet, ist sie hingegen unzulässig, da sie nicht fristgerecht eingelegt wurde (§ 93 Abs. 3 BVerfGG).

70

a) Für die Kommunalverfassungsbeschwerde gilt - wie für alle Rechtssatzverfassungsbeschwerden - die Fristvorschrift des § 93 Abs. 3 BVerfGG. Danach ist die Verfassungsbeschwerde innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten der angegriffenen Norm einzulegen (vgl. BVerfGE 76, 107 <115>; 79, 127 <142>; 107, 1 <8>). Wird eine Bestimmung im Rahmen einer Gesetzesnovellierung nicht verändert, so beginnt die Frist nicht alleine deshalb neu zu laufen, weil der Gesetzgeber die in Rede stehende Bestimmung - im Sinne einer Bestätigung - erneut in seinen Willen aufgenommen hat (vgl. BVerfGE 11, 255 <259 f.>; stRspr). Auch die Bekanntmachung des gleichen Wortlauts ohne inhaltliche Änderungen führt nicht zu einem neuen Fristlauf (vgl. BVerfGE 17, 364 <368 f.>). Von der Bestimmung muss vielmehr eine neue, den Beschwerdeführer ersichtlich stärker belastende Wirkung ausgehen (vgl. BVerfGE 45, 104 <119 f.>; 78, 350 <356>; 100, 313 <356>). Dies kann der Fall sein, wenn die Änderungen dazu führen, dass der unverändert gebliebenen Norm faktisch ein neuer Inhalt gegeben wird (vgl. BVerfGE 11, 351 <359 f.>; 74, 69 <73>; 78, 350 <356>), oder die Einbettung in ein anderes gesetzliches Umfeld erfolgt, so dass auch von der Anwendung der älteren Vorschrift neue belastende Wirkungen ausgehen können (vgl. BVerfGE 100, 313 <356>; vgl. auch BVerfGE 12, 10 <24>; 49, 1 <7>; 120, 274 <298>).

71

b) Soweit sie sich gegen § 6b Abs. 3 SGB II richtet, ist die am 1. August 2011 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerde demnach verfristet. Da § 6b Abs. 3 SGB II bereits am 6. August 2004 in Kraft getreten ist, endete die Beschwerdefrist gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG in Verbindung mit § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2, 2. Alt. BGB (vgl. BVerfGE 102, 254 <295 f.>) am 5. August 2005. Sie wurde weder durch die Einfügung des Art. 91e GG (aa) noch durch die Neubekanntmachung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (bb) oder durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende erneut in Gang gesetzt. Letzteres hat auch keine neue Belastung für den Beschwerdeführer zu 16. mit sich gebracht (cc).

72

aa) Ob die Einfügung von Art. 91e GG in das Grundgesetz mit Blick auf § 6b Abs. 3 SGB II eine neue Belastung für den Beschwerdeführer zu 16. verursacht hat, kann im Ergebnis offenbleiben. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, wäre die Verfassungsbeschwerde nicht fristgerecht erhoben worden. Art. 91e GG ist gemäß Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e) am 27. Juli 2010 in Kraft getreten (BGBl I S. 944), die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde folglich am 26. Juli 2011 abgelaufen.

73

bb) Die Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13. Mai 2011 im Bundesgesetzblatt (BGBl I S. 850) hat ausschließlich den aktuellen Wortlaut in übersichtlicher Form, jedoch ohne inhaltliche Änderungen bekannt gemacht und die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde daher nicht erneut in Gang gesetzt (vgl. BVerfGE 17, 364 <368 f.>).

74

cc) Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 (BGBl I S. 1112) ist der Wortlaut des § 6b Abs. 3 SGB II gegenüber der Vorfassung unverändert geblieben. Aus der Begründung des Gesetzentwurfes ergibt sich überdies, dass der Gesetzgeber die Norm nicht ändern und ihr keinen veränderten Inhalt oder eine vom bisherigen Verständnis abweichende Bedeutung geben wollte. Ausdrücklich heißt es dort, dass das Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofes unberührt bleibe und in der schon bisher geregelten Form aufrechterhalten werde (BTDrucks 17/1555, S. 16). Auch führen die neu in das Gesetz aufgenommenen Bestimmungen, insbesondere § 6b Abs. 4 SGB II, nicht dazu, dass § 6b Abs. 3 SGB II eine neue, den Beschwerdeführer zu 16. stärker als bisher belastende Wirkung erhalten hätte. § 6b Abs. 3 SGB II und § 6b Abs. 4 SGB II weisen inhaltlich keinerlei Bezug zueinander auf und begründen für unterschiedliche Institutionen unterschiedliche Befugnisse.

C.

75

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. ist begründet. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden, soweit sie zulässig sind, unbegründet.

I.

76

Mit Art. 91e GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber für das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine umfassende Sonderregelung getroffen, die in ihrem Anwendungsbereich die allgemeinen Vorschriften des Grundgesetzes verdrängt (1.). Die Vorschrift begründet eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden und dem Bund und relativiert insoweit die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus (2.). Art. 91e Abs. 2 GG räumt Gemeinden und Gemeindeverbänden eine von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie geschützte Chance ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende alleinverantwortlich wahrzunehmen (3.). Zur näheren Ausgestaltung der mit der Zulassung kommunaler Träger nach Art. 91e Abs. 2 GG zusammenhängenden Rechtsverhältnisse zwischen den Kommunen und dem jeweiligen Land sowie zwischen den Kommunen und dem Bund weist Art. 91e Abs. 3 GG dem Bund eine abschließende Gesetzgebungskompetenz zu (4.).

77

1. Art. 91e GG enthält eine Spezialregelung für den Vollzug der Verwaltungsaufgabe Grundsicherung für Arbeitsuchende. Soweit er die Kommunen betrifft, konkretisiert er die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 119, 331 <356 f.>) (a). Dies belegen die Entstehungsgeschichte der Norm und ihre Stellung im Grundgesetz (b). Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Art. 91e GG bestehen nicht (c). Soweit sein Anwendungsbereich reicht, geht Art. 91e GG den Regelungen des Grundgesetzes über die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung sowie das Finanzwesen vor (d).

78

a) Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit Art. 91e GG für das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine umfassende Sonderregelung geschaffen. Er hat damit auf das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331 ff.) reagiert, das die Unvereinbarkeit von § 44b SGB II a.F. mit Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 83 GG festgestellt hatte. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass sich die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Arbeitsgemeinschaften grundsätzlich bewährt habe und dass die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen gewährleiste, dass die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aus einer Hand betreut würden und Leistungen aus einer Hand erhielten. Diese Organisationsform solle daher als Regelfall fortgesetzt werden (BTDrucks 17/1554, S. 4). Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte mit Art. 91e GG somit den für verfassungswidrig erklärten, im politischen Raum aber für praktikabel befundenen Zustand aufrechterhalten und absichern. Zweck von Art. 91e GG ist es daher, die verfassungsrechtliche Grundlage für die Fortsetzung der Aufgabenwahrnehmung der aus den Agenturen für Arbeit und den kommunalen Trägern bestehenden Arbeitsgemeinschaften in gemeinsamen Einrichtungen zu schaffen und so sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit in gemeinsamen Einrichtungen über das Jahr 2010 hinaus weitergeführt werden kann (BTDrucks 17/1554, S. 4).

79

b) Dass der verfassungsändernde Gesetzgeber für die Grundsicherung für Arbeitsuchende eine eigenständige Form der Verwaltungsorganisation schaffen wollte (vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 4), in der die Beteiligten, losgelöst von den übrigen Strukturen des Staatsaufbaus, zu einer Zusammenarbeit eigener Art finden, wird auch durch systematische Gesichtspunkte bestätigt. So war von Seiten der Bundesregierung zunächst vorgeschlagen worden, den nunmehrigen Art. 91e GG als Art. 86a oder Art. 87 Abs. 2a und Art. 125d GG in den VIII. und XI. Abschnitt des Grundgesetzes aufzunehmen (vgl. BTDrucks 17/182, S. 3; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Hopfauf, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 91e Rn. 18 ff.; ders., Der Landkreis 2009, S. 55 ff., 111 ff.) und die beabsichtigte Regelung insoweit in die überkommenen Verwaltungsstrukturen des Grundgesetzes einzupassen. Dem ist der verfassungsändernde Gesetzgeber jedoch nicht gefolgt, sondern hat Art. 91e GG in den Abschnitt VIIIa. des Grundgesetzes "Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit" eingefügt.

80

c) Bei Art. 91e GG handelt es sich um eine eng begrenzte Durchbrechung der grundsätzlich auf Trennung von Bund und Ländern angelegten Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten nach den Art. 83 ff. GG (vgl. Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 11). Sie beschränkt sich auf die Regelung der Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeiten im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die in Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG enthaltenen und durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Systementscheidungen der Demokratie sowie des Rechts- und Bundesstaates stellt sie nicht in Frage. Die im Schrifttum teilweise geäußerte Auffassung, Art. 91e GG sei "verfassungswidriges Verfassungsrecht" (vgl. hierzu Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 20 f.; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 13 ; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 11; Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 13 <32. Erg.-Lfg. VI/11>), vermag daher nicht zu überzeugen.

81

aa) Zwar durchbricht Art. 91e Abs. 1 GG das grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 20. Dezember 2007 nicht nur auf Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 83 ff. GG gestützt, sondern auch mit Argumenten untermauert hat, die im Demokratieprinzip wurzeln (BVerfGE 119, 331 <365 f.>). Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. Sie sind vielmehr Rechtsprinzipien, die ihren praktischen Niederschlag in der Verfassungswirklichkeit finden müssen (vgl. BVerfGE 5, 85 <204 f.>; 107, 59 <91 f.>; 130, 76 <123 f.>; 131, 316 <334>). Die Wahlen zum Bundestag und zu den Volksvertretungen der Länder dienen so gesehen nicht nur der Kreation dieser Verfassungsorgane, sondern weisen auch eine real- wie personalplebiszitäre Dimension auf, welche die mit der Wahl verbundene politische Richtungsentscheidung auch konkret erfahrbar macht. Eine Verflechtung von Zuständigkeiten stellt sich vor diesem Hintergrund als Problem dar, weil sie dazu führen kann, dass der Auftrag des Wählers auf Bundes- oder Landesebene durch die Mitwirkung anderer Ebenen relativiert und konterkariert wird. Das gilt auch im Hinblick auf die Verwaltungskompetenzen. Demokratische Verantwortlichkeit setzt auch hier grundsätzlich eine hinreichend klare Zuordnung voraus. Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (vgl. BVerfGE 119, 331 <366>). Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet deshalb nicht nur eine weitgehende Normierung von Zuständigkeitszuweisungen, Verfahren und Aufsichtsrechtsverhältnissen, sondern enthält auch ein grundsätzliches Verbot der Mischverwaltung (vgl. BVerfGE 119, 331 <364 ff.>; 127, 165 <191 f.>).

82

bb) Die Anforderungen des Demokratieprinzips berühren sich insoweit mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG), der mit Blick auf die Verwaltungsräume von Bund und Ländern und im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes eine klare und auf Vollständigkeit angelegte Zuordnung von Kompetenzen der handelnden Staatsorgane gebietet. Auch das Rechtsstaatsprinzip verlangt mit Blick auf die für die Ausrichtung und das Verständnis der Verfassungsordnung maßgebliche Sicht des Bürgers zuallererst Klarheit der Kompetenzordnung.

83

cc) Das Gebot der Bundesstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) schließlich gebietet in seinem verfassungsänderungsfesten Kern lediglich, dass den Ländern im Bereich aller drei Staatsfunktionen - Legislative, Exekutive und Judikative - Aufgaben von substantiellem Gewicht als "Hausgut" unentziehbar verbleiben (vgl. BVerfGE 34, 9 <19 f.>). Bestimmte Aufgaben werden damit nicht zugewiesen.

84

dd) Ein Verstoß von Art. 91e GG gegen Art. 79 Abs. 3 GG scheidet vor diesem Hintergrund aus. Ein absolutes Verbot der Mischverwaltung lässt sich weder aus dem Demokratie- noch aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ableiten (vgl. BVerfGE 63, 1 <38 ff.>; 108, 169 <182>; 119, 331 <364 ff.>; 127, 165 <191>; siehe auch Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 13 <32. Erg.-Lfg. VI/11>). Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung gilt hingegen ohnehin nur so, wie sie durch das Grundgesetz konkret ausgestaltet ist (vgl. BVerfGE 119, 331 <364>). Selbst wenn man - entgegen der sehr engen Interpretation von Art. 79 Abs. 3 GG durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 15. Dezember 1970 (BVerfGE 30, 1 <24 ff.>) - mit dem Sondervotum der Richter Geller, von Schlabrendorff und Rupp (vgl. BVerfGE 30, 1, 33 <39>) und Ansätzen in der jüngeren Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte (vgl. BayVerfGHE 52, 104 <122 ff.>; 53, 42 <60 ff.>; Thüringer Verfassungsgerichtshof, LVerfGE 12, 405 <424 ff.>) unverhältnismäßige Beschränkungen oder eine substantielle Erosion der in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze einer Verfassungsänderung entzogen sieht, wird diese Schwelle hier nicht überschritten. Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG hindern den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht, in begrenzten Ausnahmefällen die konkreten Ausprägungen der dort verankerten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren (vgl. BVerfGE 109, 279 <310>; 132, 195 <244> Rn. 118). Das hat er mit Art. 91e GG getan.

85

d) In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 91e GG sowohl die Art. 83 ff. GG (aa) als auch Art. 104a GG (bb).

86

aa) Im Verhältnis zu Art. 83 ff. GG wirkt Art. 91e GG als abschließende Sonderregelung.

87

Dass Art. 91e GG eine Ausnahme vom Verbot der Mischverwaltung für die Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende enthält und auch das Verbot einer bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Gemeinden und Gemeindeverbände (Art. 84 Abs. 1 Satz 7, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG) insoweit nicht gilt (BTDrucks 17/1554, S. 5), ist offensichtlich (vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 4; Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 48; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 31 ; Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 31 <32. Erg.-Lfg. VI/11>; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 22; Mager, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 91e Rn. 12). Der Umfang dieser Spezialregelung reicht jedoch weiter. Im Verfahren der Verfassungsänderung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass im Bereich des Art. 91e GG auch die sonstigen Vorgaben der Art. 83 ff. GG, insbesondere Art. 84 Abs. 2 bis Abs. 5 GG, nicht gelten sollen: Die Aufsicht über die Aufgabenwahrnehmung durch die Optionskommunen nach Art. 91e Abs. 2 GG solle sich zwar an der Zuständigkeitsverteilung orientieren, die für die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit gelte. Sie solle jedoch "durch ein einheitliches und transparentes Steuerungssystem durch Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern sowie entsprechende Zielvereinbarungen zwischen den jeweiligen Ländern und Optionskommunen ergänzt" werden (BTDrucks 17/1554, S. 5). Im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung wurde in § 48 Abs. 2 Satz 3 SGB II zudem vorgesehen, dass die Bundesregierung die Ausübung der Rechtsaufsicht auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales übertragen kann, was auf der Grundlage von Art. 84 GG nicht möglich wäre. Wäre Art. 84 GG neben Art. 91e GG anwendbar, wären sowohl die in der Gesetzesbegründung skizzierten Aufsichtsstrukturen als auch § 48 Abs. 2 Satz 3 SGB II erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 48 f.; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 31 f. ; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 23). Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte offenkundig keine Regelung schaffen, die sich möglichst schonend in die allgemeinen Strukturen einfügt und als Ausnahme grundsätzlich restriktiv interpretiert werden müsste (vgl. Mehde, in: Beck'scher OK-GG, Art. 91e Rn. 13 <1. Juni 2014>; a.A. Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 35). Er wollte vielmehr eine umfassende Absicherung der Verwaltungspraxis ermöglichen.

88

bb) Das zeigt auch die Regelung über die Kostentragung in Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG. Diese Bestimmung - wonach der Bund bei einer Aufgabenwahrnehmung durch Optionskommunen die Kosten trägt, soweit er dies auch im Regelfall des Art. 91e Abs. 1 GG täte - bedeutet in der Sache eine direkte Finanzierung kommunalen Verwaltungshandelns durch den Bund. Dies ermöglicht es zwar, die Verteilung der Finanzierungslasten zwischen Bund und Ländern im Übrigen unangetastet zu lassen, stellt in der Sache jedoch eine Abweichung von den Grundsätzen des Art. 104a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 GG dar (vgl. Mager, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 91e Rn. 10). Auch insoweit geht Art. 91e GG den allgemeinen Regelungen der Finanzverfassung vor.

89

2. Indem Art. 91e Abs. 2 GG unmittelbare Verwaltungs- und Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen herstellt, durchbricht er, wenn auch nur punktuell, die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus der Bunderepublik Deutschland. Zwar sind die Gemeinden grundsätzlich den Ländern zugeordnet (a); eine klarere Trennung und Entflechtung der Aufgaben der unterschiedlichen staatlichen Ebenen war zudem ein zentrales Anliegen der Föderalismusreform des Jahres 2006 (b). Art. 91e GG enthält jedoch eine teilweise Abkehr von diesen Grundsätzen und Zielsetzungen (c).

90

a) Im zweistufigen Bundesstaat des Grundgesetzes sind die Kommunen - unbeschadet ihrer finanzverfassungsrechtlichen Absicherung durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3, Art. 106 Abs. 5 bis Abs. 8 GG - grundsätzlich Teil der Länder (vgl. BVerfGE 39, 96 <109>; 119, 331 <364>). Ihre Aufgaben und ihr Finanzgebaren werden den Ländern zugerechnet (vgl. BVerfGE 86, 148 <215>).

91

aa) Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist es daher grundsätzlich Sache der Länder, die staatlichen Aufgaben zu erfüllen und staatliche Befugnisse auszuüben (Art. 30 GG). Dazu gehört, dass die Länder die Bundesgesetze grundsätzlich in eigener Verantwortung und durch eigene Behörden ausführen (Art. 83 GG). Die Verwaltung des Bundes und die Verwaltung der Länder sind in Aufbau und Organisation voneinander getrennt (vgl. BVerfGE 108, 169 <182>; 119, 331 <364>). Die Verwaltungszuständigkeiten des Bundes und seine Ingerenzrechte in die Verwaltung der Länder sind in den Art. 83 ff. GG abschließend geregelt und können - soweit nichts anderes vorgesehen ist - grundsätzlich weder abbedungen (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>; 119, 331 <364>) noch erweitert werden. Insoweit findet auch der Spielraum des Bundes zur organisatorischen Ausgestaltung der Verwaltung in den Kompetenz- und Organisationsnormen der Art. 83 ff. GG seine Grenzen (vgl. BVerfGE 63, 1 <39>; 119, 331 <365>). Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse des Bundes gleich welcher Art im Aufgabenbereich der Länder sind durch das Grundgesetz daher ausgeschlossen, soweit nicht die Verfassung dem Bund entsprechende Sach- und Verwaltungskompetenzen übertragen hat (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>; 108, 169 <182>; 119, 331 <365>).

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bb) Diese strikte Trennung von Bundes- und Länderhoheit setzt sich auch im Bereich der Finanzverfassung fort (vgl. Art. 104a Abs. 1, Art. 109 Abs. 1 GG) und wird mit Blick auf die Kommunen in Art. 106 Abs. 9 GG noch einmal ausdrücklich bestätigt.

93

b) Mit der Föderalismusreform des Jahres 2006 wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber eine noch klarere Trennung von Aufgaben und Befugnissen der unterschiedlichen staatlichen Ebenen erreichen und zu einer Entflechtung der Verantwortung gelangen (vgl. BVerfGE 127, 165 <197>; Bauer, in: Dreier, GG, Supplementum 2007, Art. 20 Rn. 11c; Trute, in: Starck, Föderalismusreform, 2007, Rn. 147 und 149; Burgi, in: Henneke, Kommunen in den Föderalismusreformen I und II, 2008, S. 44 <45 ff.>). Dementsprechend heißt es in der Begründung des einschlägigen Gesetzentwurfs, dass sich die bundesstaatliche Ordnung zwar grundsätzlich bewährt habe, jedoch von langwierigen und komplizierten Entscheidungsprozessen geprägt sei und dass sie an einer übermäßigen institutionellen Verflechtung von Bund und Ländern leide (BTDrucks 16/813, S. 7). Dem sollte durch eine Reihe von Verfassungsänderungen abgeholfen werden, unter anderem durch das in Art. 84 Abs. 1 Satz 7 und Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG normierte sogenannte Durchgriffsverbot (vgl. Trute, a.a.O., Rn. 174).

94

c) Art.91e GG bedeutet in der Sache eine punktuelle Abkehr von der Zielsetzung einer möglichst klaren Trennung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen (aa). Er begründet eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen dem Bund und den Optionskommunen und ermöglicht eine Finanzkontrolle, die sich von der Aufsicht wie auch von der Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof unterscheidet (bb).

95

aa) Aufsichtsbefugnisse über Behörden und Einrichtungen der Länder kommen dem Bund nur insoweit zu, als sie vom Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen werden. So räumt etwa Art. 84 GG dem Bund Einflussmöglichkeiten auf die Anwendung des von ihm gesetzten Rechts ein. Er soll die Möglichkeit haben, auf eine einheitliche Geltung der Rechtsvorschriften hinzuwirken (vgl. BVerfGE 11, 6 <18>; 127, 165 <203>) und für einen wirksamen Gesetzesvollzug zu sorgen (vgl. BVerfGE 22, 180 <210>; 127, 165 <203>). Dabei kommen ihm insbesondere die Rechte nach Art. 84 Abs. 3 und Abs. 4 GG zu (vgl. BVerfGE 39, 96 <109>; 127, 165 <203>). Zur Aufsichtskompetenz gehört auch die Möglichkeit der Aktenanforderung. Diese ist allerdings auf Fälle beschränkt, in denen es Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß gibt (vgl. BVerfGE 127, 165 <221>). Daneben besteht die Befugnis zur Akteneinsicht vor Ort durch den gemäß Art. 84 Abs. 3 Satz 2 GG entsandten Beauftragten. Ein unmittelbarer Durchgriff auf Behörden der Länder ist damit nicht verbunden; auch im Bereich der Bundesauftragsverwaltung sind Weisungen grundsätzlich an die oberste Landesbehörde zu richten (Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG). Diese ist zudem in den Vollzug der Weisung einzubinden (Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG). Ein unmittelbarer Durchgriff auf die Gemeinden war dem Bund - vom Sonderfall des Art. 106 Abs. 8 GG abgesehen - bislang grundsätzlich versagt. Namentlich war er weder berechtigt noch verpflichtet, deren finanzielle Verhältnisse ohne Einschaltung der Länder zu ordnen (vgl. BVerfGE 26, 172 <181 f.>).

96

bb) Art. 91e GG hat diese Rechtslage für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende teilweise modifiziert. Art. 91e Abs. 2 GG begründet eine direkte Finanzbeziehung zwischen dem Bund und der kommunalen Ebene (BTDrucks 17/1554, S. 5) und ermöglicht eine besondere Finanzkontrolle des Bundes, die sich von der Aufsicht (1) wie auch von der Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof (2) unterscheidet.

97

Zusammen mit der Finanzierungsbefugnis hat der verfassungsändernde Gesetzgeber dem Bund auch die Möglichkeit einer Finanzkontrolle eröffnet. Ohne eine solche Finanzkontrolle bestünde die Gefahr, dass Vollzugs- und Finanzierungsverantwortung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende auseinanderfallen und keine Anreize für ein wirtschaftliches und sparsames Verwaltungshandeln der Optionskommunen bestehen. Angesichts dieser verfassungsrechtlich ungewöhnlichen Konstellation hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die Finanzbeziehungen in diesem eng abgegrenzten Bereich neu geordnet und dem Bund nicht nur die Finanzierungslast zugewiesen, sondern ihm auch die Befugnis wirksamer Finanzkontrolle eingeräumt. So wird in der Begründung zu dem Gesetzentwurf zum einen zwischen einer Finanzkontrolle und der Aufsicht unterschieden und zum anderen in Bezug auf Art. 91e Abs. 2 GG bestimmt, dass "das Bundesgesetz unter anderem Regelungen (…) zu Aufsicht, (…) Finanzkontrolle, Rechnungsprüfung und Leistungsbewertung sowie Übergangsbestimmungen bei Veränderung der Organisation der Gesetzesdurchführung treffen" werde (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 5; siehe hierzu bereits BVerfGE 127, 165 <203 f.>).

98

(1) Die (Rechts- und Fach-)Aufsicht über die Optionskommunen ist hingegen nicht Regelungsgegenstand von Art. 91e GG. Weder enthält der Wortlaut entsprechende Anhaltspunkte noch lassen sich der Entstehungsgeschichte, nach welcher der verfassungsändernde Gesetzgeber im Wesentlichen die ursprüngliche Rechtslage absichern wollte, solche Anhaltspunkte entnehmen (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 5). Die Aufsicht über Gemeinden und Gemeindeverbände bleibt insoweit Sache der Länder.

99

Die durch Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG ermöglichte Finanzkontrolle des Bundes hebt sich hinreichend von einer Aufsicht ab (vgl. hierzu BVerfGE 127, 165 <203 f.>). Während es bei der Wahrnehmung von Aufsichtsbefugnissen um ein auf Kontrolle zielendes Beobachten, in der Regel in einem hierarchischen Verhältnis, geht, das die Befugnis zum Einwirken auf die zu beaufsichtigende Stelle umfasst, so dass der Aufsichtsmaßstab gegebenenfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann (vgl. Kahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 47 Rn. 12 m.w.N.), beschränkt sich die Finanzkontrolle des Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG auf die Überprüfung der Rechnungslegung, die Wirtschaftlichkeit der Ausgaben und die Durchsetzung eventueller Erstattungsansprüche. Sie dient nicht der Rückkopplung des Gesetzesvollzugs an die Absichten des Gesetzgebers und insbesondere nicht der Gewährleistung eines grundsätzlich einheitlichen Gesetzesvollzugs, sondern richtet sich ausschließlich auf die Kontrolle der finanziellen Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, von der Möglichkeit des Art. 91e Abs. 2 GG Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 127, 165 <203 f.>).

100

(2) Die Finanzkontrolle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unterscheidet sich aber auch von jener des Bundesrechnungshofs. Der Bundesrechnungshof ist ein zur unabhängigen Finanzkontrolle berufenes Organ, dessen Prüftätigkeit das allgemeine Verfassungsgebot der Kontrolle über die staatliche Finanzgewalt umsetzt und damit letztlich im Demokratieprinzip gründet (vgl. Hufeld, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 56 Rn. 10; Degenhart, VVDStRL 55 <1995>, S. 190 <204>; Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 <1995>, S. 231 <234>; Schwarz, DVBl 2011, S. 135 <136>). Dies legitimiert ihn, alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes zu prüfen und ihre Wirtschaftlichkeit zu bewerten. Ziel der Prüfung ist es allein, Missstände aufzuzeigen und ihre Beseitigung durch Mitteilung an die zuständigen Organe und gegebenenfalls durch Veröffentlichung zu bewirken. Die Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofes beschränkt sich jedoch auf eine reine Kontrolle; Mitentscheidungs- oder Sanktionsbefugnisse kommen ihm nicht zu. Seine Finanzkontrolle kann daher auch allenfalls mittelbar dazu beitragen, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu sichern, ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern und Fehlentwicklungen zu vermeiden (vgl. Bergel, Rechnungshöfe als vierte Staatsgewalt, 2010, S. 30). Die Finanzkontrolle nach Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG ist in ihrem Anwendungsbereich und ihrer Zielsetzung enger als jene des Bundesrechnungshofes, reicht hinsichtlich ihrer Befugnisse jedoch weiter. Sie bezieht sich ausschließlich auf die fiskalischen Interessen des Bundes, gestattet es ihm aber auch, öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche geltend zu machen und im Wege der Verrechnung durchzusetzen.

101

3. Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Chance ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als kommunale Träger alleinverantwortlich wahrzunehmen (a). Die gesetzliche Ausgestaltung dieser Chance muss willkürfrei erfolgen (b). Ihre Wahrnehmung fällt in den Schutzbereich der Garantie kommunaler Selbstverwaltung (c).

102

a) Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden keinen Anspruch, wohl aber eine Chance darauf ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als sogenannte Optionskommune alleinverantwortlich wahrzunehmen. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut von Art. 91e Abs. 2 GG (aa) als auch aus dem in Art. 91e Abs. 1 und Abs. 2 GG angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis (bb) und gilt unbeschadet des Umstandes, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, das "Optionsmodell" umzusetzen (cc).

103

aa) Nach Art. 91e Abs. 2 Satz 1 GG kann der Bund zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende allein wahrnimmt. Die Formulierung "eine begrenzte Anzahl" macht dabei deutlich, dass nicht alle Gemeinden und Gemeindeverbände die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende allein wahrnehmen sollen, selbst wenn sie die in der Ausführungsgesetzgebung nach Art. 91e Abs. 3 GG niedergelegten Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Damit steht zugleich fest, dass es auch keinen verfassungsunmittelbaren Zulassungsanspruch zur alleinigen Aufgabenerfüllung gibt. Verfassungsrechtliche Ansprüche einer einzelnen Kommune aus Art. 91e Abs. 2 GG kommen nur insoweit in Betracht, als der Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine begrenzte Anzahl von Optionskommunen zuzulassen. Sie beschränken sich - der Rechtsstellung von Bewerbern um kontingentierte Zulassungen in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 33, 303 <336>; 45, 393 <399>; 85, 36 <54>; 97, 298 <313>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. April 2001 - 1 BvR 1282/99 -, DVBl 2002, S. 400 <401>; vgl. auch BVerwGE 42, 296 <300>; 64, 238 <245>; 139, 210 <212>; BVerwG, Urteil vom 27. April 1984 - 1 C 24/82 -, NVwZ 1984, S. 585) vergleichbar - von vornherein auf eine chancengleiche Teilhabe an der Verteilung der zahlenmäßig begrenzten Optionsmöglichkeiten.

104

bb) Systematische Gesichtspunkte erhärten diesen Befund. Ausweislich des Nebeneinanders von Art. 91e Abs. 1 und Abs. 2 GG besteht zwischen der Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen nach Art. 91e Abs. 1 GG und ihrer alleinigen Erfüllung durch Optionskommunen gemäß Art. 91e Abs. 2 GG ein Regel-Ausnahme-Verhältnis (BTDrucks 17/1554, S. 4) in dem Sinne, dass die Wahrnehmung der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch Optionskommunen die Ausnahme bleiben muss (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 39; Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 9; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 15; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 27 ; Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 23 <32. Erg.-Lfg. VI/11>; Mager, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 91e Rn. 8; Luthe, ZfF 2011, S. 1).

105

cc) Ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Zulassung als Optionskommune scheitert schließlich auch daran, dass Art. 91e Abs. 2 Satz 1 GG es dem Gesetzgeber freistellt, das "Optionsmodell" überhaupt einzuführen. Hat er es eingeführt, kann er es auch wieder auslaufen lassen(vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 10).

106

b) Bei der Ausgestaltung der Zulassungschance nach Art. 91e Abs. 2 GG ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei. Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG vermitteln Gemeinden und Gemeindeverbänden keinen verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf eine bestimmte Ausgestaltung der Zulassungschance, auf eine bestimmte Anzahl von Optionsmöglichkeiten oder auf deren Optimierung im Rahmen des dem Gesetzgeber eröffneten Gestaltungsspielraumes. Schafft der Gesetzgeber allerdings eine Verteilungssituation und eröffnet er Gemeinden und Gemeindeverbänden zumindest eine Chance auf das normativ verknappte Gut, so hat er dabei das allgemeine Willkürverbot in Gestalt des Gebotes interkommunaler Gleichbehandlung zu beachten (aa). Gemeinden und Gemeindeverbände können sich auf dieses Gebot berufen (bb). In Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip fordert es zumindest eine gleichmäßige Verteilung der knappen Optionsmöglichkeiten (cc).

107

aa) Zwar gelten die Grundrechte im Allgemeinen und das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG im Besonderen grundsätzlich nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 21, 362 <372 f.>; 26, 228 <244>; stRspr); sie gelten daher auch nicht für Gemeinden und Gemeindeverbände, die insoweit keine Grundrechtsträger im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG sind (vgl. BVerfGE 45, 63 <78 f.>; 61, 82 <100 ff.>). Dessen ungeachtet verpflichten das Bundesstaatsprinzip und das Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) Bund und Länder, mit Blick auf ihnen nachgeordnete Hoheitsträger das Gebot der Gleichbehandlung zu beachten.

108

Das gilt grundsätzlich auch mit Blick auf Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. BVerfGE 83, 363 <393>; zuvor bereits ähnlich BVerfGE 76, 107 <119>). Soweit Bund und Länder Verteilungsentscheidungen zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden vorsehen und durchführen, dürfen sie zwischen diesen jedenfalls nicht willkürlich differenzieren. Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot verbietet, einzelne Gemeinden oder Gemeindeverbände aufgrund sachlich nicht vertretbarer Differenzierungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen, und ist verletzt, wenn für eine unterschiedliche Behandlung kein sachlicher Grund besteht. Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, Begünstigungen und Vorteile nach einheitlichen und sachlich vertretbaren Maßstäben auf die einzelnen Kommunen zu verteilen; auch dürfen die Modalitäten des Verteilungssystems nicht zu willkürlichen Ergebnissen führen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, LVerfGE 17, 103 <118>; Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, OVGE 53, 264 <270>; Landesverfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23. Februar 2012 - LVerfG 37/10 -, NVwZ-RR 2012, S. 377 <379>; Kempny/Reimer, Die Gleichheitssätze, 2012, S. 26; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 28 Rn. 23). Gefordert ist nicht die bestmögliche und gerechteste Lösung; angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist auch nicht entscheidend, ob eine Regelung notwendig oder gar unabweisbar ist. Vielmehr kommt ihm insoweit ein weiter Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu, der gewahrt ist, wenn er sich auf eine nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung stützt (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, LVerfGE 17, 103 <118>; Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23. Februar 2012 - LVerfG 37/10 -, NVwZ-RR 2012, S. 377 <379>).

109

bb) Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 25. September 2008 - Vf. 54-VIII-08 - NVwZ 2009, S. 39 <44>; BbgVerfG, Urteil vom 16. September 1999 - VfGBbg 28/98 -, NVwZ-RR 2000, S. 129 <132>) ist Teil der durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten subjektiven Rechtsstellungsgarantie der Kommunen. Gemeinden und Gemeindeverbände können sich deshalb gegenüber dem Staat auf dieses Gebot berufen und seine Verletzung vor dem Bundesverfassungsgericht rügen (vgl. auch BVerfGE 23, 353 <372 f.>; 26, 228 <244>; 76, 107 <119>; 83, 363 <393 >).

110

cc) Fordert das Gebot interkommunaler Gleichbehandlung eine gleichmäßige Verteilung knapper Mittel oder Güter zwischen den konkurrierenden Kommunen, so ist aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit ein transparentes Verteilungsverfahren zu gewährleisten (vgl. StGH BW, ESVGH 49, 241 <256 ff.>; Schoch, AfK 39 <2000>, S. 225 <240>; ders., in: Ehlers/Krebs, Grundfragen des Verwaltungsrechts und des Kommunalrechts, 2000, S. 93 <127 f.>; Meyer, LKV 2000, S. 1 <4 f.>).

111

Für den Bereich des Grundrechtsschutzes ist anerkannt, dass die in Ansehung einer Entscheidung betroffenen Grundrechte nach einer adäquaten Verfahrensgestaltung verlangen. Unter diesen Voraussetzungen kann ein materieller Zulassungsanspruch in Knappheitssituationen zu einem Anspruch auf chancengerechte Teilhabe am Verfahren reduziert werden, wobei die sachgerechte, rechtswahrende und faire Ausgestaltung des Verteilungsverfahrens der Minderung der Eingriffsintensität dient (vgl. BVerfGE 33, 303 <336>; 45, 393 <399>; 54, 173 <192 ff.>; 73, 280 <296>; 85, 36 <54>; BVerfGK 1, 292 <295>). Prozedurale Vorkehrungen sind auch dort erforderlich, wo eine nachgelagerte gerichtliche Kontrolle etwaige Grundrechtsverletzungen nicht mehr korrigieren kann (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>; 65, 1 <44>; 84, 34 <46>; 90, 60 <95>; stRspr).

112

Dieser Grundgedanke gilt auch für die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (vgl. Gebhardt, Das kommunale Selbstverwaltungsrecht, 2007, S. 55 ff.). So hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem niedersächsischen Rück-Neugliederungsgesetz ausgesprochen, dass die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung zu ihrem Schutz bestimmter prozeduraler Vorkehrungen, namentlich von Anhörungsrechten und Begründungspflichten bedarf (vgl. BVerfGE 86, 90 <107 f.; 110>). In der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte ist dieser Ansatz mit Blick auf Gebietsreformen und die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs weiter ausgebaut worden (vgl. VerfGH NW, OVGE 30, 306 <307>; Nds.StGH, OVGE 33, 497 <499 f.>; ThürVerfGH, Urteil vom 28. Mai 1999 - VerfGH 39/97 -, LKV 2000, S. 31; SächsVerfGH, Urteil vom 25. September 2008 - Vf. 54-VIII-08 -, NVwZ 2009, S. 39 <40>; Gebhardt, a.a.O., S. 55 ff. m.w.N.).

113

c) Die Chance auf Zulassung als Optionskommune nach Art. 91e Abs. 2 GG wird durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützt (aa). Er gewährleistet grundsätzlich auch das Recht von Gemeinden und Gemeindeverbänden, die ihnen zugewiesenen Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen (bb). Dieses Recht besteht indes nur "im Rahmen der Gesetze" (cc).

114

aa) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG statuiert ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden (vgl. dazu BVerfGE 79, 127 <150 f.>; 83, 363 <383>; 91, 228 <236>; 110, 370 <400>). Jenseits dessen enthalten weder Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG noch Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG eine inhaltlich umrissene Aufgabengarantie zugunsten von Gemeinden und Gemeindeverbänden. Insbesondere Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG knüpft lediglich an die vom Gesetzgeber zugewiesenen Aufgaben an, erschöpft sich hierin aber auch. Die kommunale Selbstverwaltung der Gemeindeverbände besteht insoweit nur nach Maßgabe der Gesetze. Allerdings muss der Gesetzgeber den Kreisen hinreichende Aufgaben des eigenen Wirkungskreises zuweisen und darf sich nicht ausschließlich auf die Zuweisung materiell staatlicher Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises beschränken (vgl. BVerfGE 83, 363 <383>; 119, 331 <353 f.>). Auch auf der Ebene der Kreise muss der Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben für sich genommen und im Vergleich zu den zugewiesenen materiell staatlichen Aufgaben ein Gewicht haben, das der institutionellen Garantie der Kreise als Selbstverwaltungskörperschaften gerecht wird. Würden ihnen nur randständige, in Bedeutung und Umfang nebensächliche Aufgaben des eigenen Wirkungskreises zugewiesen, so wäre Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (vgl. BVerfGE 119, 331 <353 f.>).

115

Hat der Gesetzgeber Kreisen und Gemeinden Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen, fällt deren Erledigung grundsätzlich in den Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG (vgl. BVerfGE 119, 331 <354> unter Bezugnahme auf NWVerfGH, Urteil vom 22. September 1992 - VerfGH 3/91 -, NVwZ-RR 1993, S. 486 <487>; Urteil vom 12. Dezember 1995 - VerfGH 5/94 -, NVwZ 1996, S. 1100; Urteil vom 9. Dezember 1996 - VerfGH 11, 12, 15, 34 u. 37/95 -, NVwZ 1997, S. 793 f.; RhPfVerfGH, Urteil vom 16. März 2001 - VGH 88/00 -, NVwZ 2001, S. 912 <914>; SachsAnhVerfG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - LVG 10-97 -, NVwZ-RR 1999, S. 393 <396>; siehe auch Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 100 ; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 28 Rn. 231). Soweit der Gesetzgeber den Zugang zu einer kommunalen Aufgabe kontingentiert und den Kommunen lediglich eine entsprechende Chance eröffnet hat, ist der Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG ebenfalls berührt. Das gilt auch für die durch Art. 91e Abs. 2 GG eröffnete Chance auf alleinige Aufgabenwahrnehmung der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

116

bb) Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet Gemeinden und Gemeindeverbänden ferner das Recht, die ihnen zugewiesenen Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen (vgl. BVerfGE 21, 117 <129>; 23, 353 <365>; 83, 363 <383>; 119, 331 <361>).

117

Eine Regelung gemeindlicher Angelegenheiten in eigener Verantwortung, wie sie Art. 28 Abs. 2 GG garantiert, ist ohne eine gewisse Selbstständigkeit bei der Organisation der Aufgabenwahrnehmung nicht vorstellbar (vgl. BVerfGE 91, 228 <237 f.>). Eine umfassende staatliche Steuerung der kommunalen Organisation widerspräche der vom Verfassungsgeber vorgefundenen und in Art. 28 Abs. 2 GG niedergelegten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (vgl. BVerfGE 91, 228 <239>). Zu der von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden garantierten Eigenverantwortlichkeit gehört daher auch die Organisationshoheit (vgl. BVerfGE 38, 258 <278 ff.>; 52, 95 <117>; 78, 331 <341>; 83, 363 <382>; 91, 228 <236>). Sie gewährleistet den Gemeinden - Vergleichbares gilt nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG für die Gemeindeverbände (vgl. BVerfGE 21, 117 <129>; 23, 353 <365>; 83, 363 <383>; 119, 331 <361>; siehe auch Th. J. Schmidt, Kommunale Kooperation, 2005, S. 58) - das grundsätzliche Recht, die Wahrnehmung der eigenen Aufgaben, Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im Einzelnen festzulegen und damit auch über Gewichtung, Qualität und Inhalt der Entscheidungen zu befinden. Die Organisationshoheit von Gemeinden und Gemeindeverbänden verbietet Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen ersticken würden. Zu ihr rechnet ferner die Möglichkeit, für die Wahrnehmung einzelner Verwaltungsaufgaben aus mehreren vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Organisationsformen auswählen zu können (vgl. Schmidt-Jortzig, in: von Mutius, Festgabe für von Unruh, 1983, S. 525 <527>).

118

cc) Die Organisationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände erfasst sowohl den eigenen als auch den übertragenen Wirkungskreis (vgl. BVerfGE 83, 363 <382>; ebenso Schmidt-Jortzig, in: von Mutius, Festgabe für von Unruh, 1983, S. 525 <531> m.w.N.; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 28 Rn. 81 m.w.N.). Sie besteht indes gemäß Art. 28 Abs. 2 GG nur im Rahmen der Gesetze. Dementsprechend sind die Organisationsbefugnisse der Gemeinden oder Gemeindeverbände an Vorgaben des Gesetzgebers nicht nur gebunden (vgl. BVerfGE 83, 363 <382>; 91, 228 <238>); ihre Organisationshoheit gilt grundsätzlich nur nach Maßgabe der gesetzlichen Ausgestaltung.

119

Bei dieser Ausgestaltung setzt die Selbstverwaltungsgarantie dem Gesetzgeber allerdings insoweit Grenzen, als ihr Kernbereich nicht ausgehöhlt werden darf (vgl. BVerfGE 1, 167 <174 f.>; 79, 127 <146>; stRspr). Der Gesetzgeber muss zudem der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 59, 216 <226>; 76, 107 <118>; 79, 127 <146>; stRspr) und ihnen bei der Ausgestaltung ihrer internen Organisation eine hinreichende (Mit-)Verantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben lassen. Seine Vorgaben dürfen die Gemeinden aus dieser Verantwortung nicht verdrängen. Daraus folgt nicht nur, dass den Gemeinden insgesamt nennenswerte organisatorische Befugnisse verbleiben müssen, sondern auch, dass ihnen ein hinreichender organisatorischer Spielraum bei der Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabenbereiche offengehalten wird. Unterschiede zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises mögen dabei eine Rolle spielen; in keinem Fall darf jedoch ausgeschlossen werden, dass die Gemeinden im Bereich ihrer inneren Organisation individuell auf die besonderen Anforderungen vor Ort durch eigene organisatorische Maßnahmen reagieren können (vgl. BVerfGE 79, 127 <147>; 91, 228 <239 f.>). Die Organisation einer Kommune erschließt sich so erst aus dem Ineinandergreifen von staatlichen Vorgaben und eigenverantwortlichen kommunalen Organisationsentscheidungen.

120

4. Art. 91e Abs. 3 GG enthält einen umfassenden und weit zu verstehenden Gesetzgebungsauftrag zugunsten des Bundes. Der Bund verfügt insoweit über die Gesetzgebungskompetenz, die mit der Zulassung als kommunaler Träger zusammenhängenden Rechtsverhältnisse zu regeln (a). Für die Abgrenzung dieser Gesetzgebungskompetenz gelten die allgemeinen Grundsätze (b).

121

a) Nach Art. 91e Abs. 3 GG regelt "das Nähere" ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Vorschrift weist dem Bund eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu und enthält zugleich einen Gesetzgebungsauftrag (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 39 ; Mager, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 91e Rn. 11). Dieser ist bewusst weit gefasst und soll dem Bundesgesetzgeber bei der organisatorischen Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende einen großen Spielraum eröffnen (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 39 ).

122

Der Stellung von Art. 91e GG im Gemeinschaftsaufgaben und Verwaltungszusammenarbeit gewidmeten VIIIa. Abschnitt des Grundgesetzes lässt sich entnehmen, dass Art. 91e Abs. 3 GG den Bundesgesetzgeber ermächtigt, Art und Weise des Vollzugs der in materiell-rechtlicher Hinsicht unter die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fallenden Grundsicherung für Arbeitsuchende zu regeln. Das gilt sowohl für das Zusammenwirken von Bund und Ländern als auch für das von Bund und Gemeinden und Gemeindeverbänden. Es gilt für die nähere Ausgestaltung der gemeinsamen Einrichtungen (Art. 91e Abs. 1 GG) und für die Festlegung der Anzahl der Optionskommunen, die Kriterien für ihre Zulassung, das von ihnen durchzuführende Antragsverfahren und - im Falle der Zulassung - die Kostentragung (Art. 91e Abs. 2 GG). In der Begründung zu Art. 91e GG heißt es mit Blick auf Absatz 2, dass das Bundesgesetz "unter anderem Regelungen zur Festlegung der Anzahl der Optionskommunen, zu den Kriterien für die Zulassung von Optionskommunen, […] und zu Kostentragung, Aufsicht, […] Finanzkontrolle, Rechnungsprüfung […] treffen" werde, wobei "die Aufzählung nicht abschließend" sei. Bei der Wahrnehmung dieses Auftrags habe der Gesetzgeber zudem zu berücksichtigen, dass im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Mischverwaltung als Regelfall und die alleinige Aufgabenwahrnehmung durch Kommunen als Ausnahmefall vorgesehen sei (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 5).

123

b) Aus dem Hinweis der Gesetzesbegründung auf die "zwingenden Vorgaben des Grundgesetzes" folgt hingegen, dass die Regelungen des Grundgesetzes im Übrigen zu beachten sind. Namentlich will Art. 91e Abs. 3 GG nichts an der Verteilung der Sachgesetzgebungszuständigkeiten durch die Art. 70 ff. GG ändern. Für die Abgrenzung gelten die allgemeinen Regelungen. Besteht eine sachliche Verknüpfung eines Regelungsgegenstands mit den Materien verschiedener Gesetzgebungszuständigkeiten, so ist zunächst auf die wesensmäßige und historische Zugehörigkeit zu einem dieser Sachgebiete abzustellen (vgl. BVerfGE 7, 29 <40>; 36, 193 <203>). Teilregelungen eines umfassenden Regelungskomplexes dürfen dabei nicht aus ihrem Regelungszusammenhang gelöst und isoliert betrachtet werden. Kommt die Zuordnung einer solchen Regelung zu verschiedenen Kompetenzbereichen in Betracht, so ist aus dem Regelungszusammenhang zu erschließen, wo sie ihren Schwerpunkt hat. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, wie eng die fragliche Teilregelung mit dem Gegenstand der Gesamtregelung verbunden ist. Eine enge Verzahnung und ein geringer eigenständiger Regelungsgehalt der Teilregelung sprechen regelmäßig für eine Zuordnung zum Kompetenzbereich der Gesamtregelung (vgl. BVerfGE 97, 228 <251 f.>).

II.

124

Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. gegen § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II begründet (1.). Soweit sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. bis 15. gegen § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II (2.) und des Beschwerdeführers zu 16. gegen § 6b Abs. 4 SGB II richten (3.), sind sie unbegründet.

125

1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. gegen § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II ist begründet. Die Rüge, das angegriffene Gesetz verstoße gegen die Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 GG), kann das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde prüfen (a). § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II greift in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ein (b). Der Sache nach stellt er eine Regelung des Kommunalverfassungsrechts dar, für das ausschließlich die Länder zuständig sind (c).

126

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt die Kommunalverfassungsbeschwerde des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG, auch wenn sie ausschließlich gegen Rechtsnormen gerichtet werden kann, nicht den Regeln der abstrakten Normenkontrolle. Gemeinden und Gemeindeverbände können sich im Rahmen dieses Verfahrens deshalb nur eingeschränkt darauf berufen, dass eine gesetzliche Regelung - über Art. 28 Abs. 2 GG hinaus - auch sonstiges Verfassungsrecht verletzt. Namentlich ist das Bundesverfassungsgericht nicht befugt, im Gefolge einer zulässigen Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß § 91 BVerfGG die Begründetheitsprüfung beliebig auf andere Verfassungsbestimmungen auszuweiten (vgl. BVerfGE 119, 331 <356>).

127

Mit der Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß § 91 BVerfGG gerügt werden kann jedoch, dass das angegriffene Gesetz unter Verstoß gegen die grundgesetzliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zustande gekommen ist, weil die Art. 70 ff. GG ihrem Inhalt nach geeignet sind, das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen. Nach Art. 70 GG gehören Gemeindeangelegenheiten grundsätzlich zur Gesetzgebungsbefugnis der Länder. Eingriffe des Bundesgesetzgebers in das kommunale Selbstverwaltungsrecht sind hiernach grundsätzlich ausgeschlossen, soweit nicht die Verfassung besondere Kompetenznormen bereithält, die den Bund auch zu einer Einschränkung der gemeindlichen Selbstverwaltung berechtigen (vgl. BVerfGE 1, 167 <176>; 56, 298 <310>). Das hat der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht zuletzt durch die Aufnahme der Art. 84 Abs. 1 Satz 7 und Art. 85 Abs. 1 Satz 2 in das Grundgesetz unterstrichen.

128

b) § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II beschränkt die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Er verkürzt die von Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete Organisationshoheit der Gemeinden in ihrer konkreten gesetzlichen Ausgestaltung hinsichtlich der Art und Weise ihrer Willensbildung.

129

Die durch Art. 28 Abs. 2 GG verbürgte Organisationshoheit gestattet es den Kommunen, über ihre interne Organisation und Willensbildung grundsätzlich selbst zu entscheiden. Sie umfasst das Recht zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte und gewährleistet insoweit eine grundsätzliche Freiheit von staatlicher Reglementierung in Bezug auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung (vgl. BVerfGE 119, 331 <362>). Art. 28 Abs. 2 GG verbürgt auch die Befugnis der Gemeinden und Gemeindeverbände, über "Ob", "Wann" und "Wie" bei der Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Aufgaben im Rahmen der Gesetze grundsätzlich eigenverantwortlich zu entscheiden. Ändert der Gesetzgeber daher die Vorgaben für die interne Organisation und Willensbildung von Gemeinden und Gemeindeverbänden, greift er damit zugleich in die konkrete Ausgestaltung der verfassungsrechtlich geschützten Organisationshoheit ein.

130

Dies ist bei § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II der Fall. Er bestimmt, dass der Antrag auf Zulassung als Optionskommune unter anderem einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder in der zuständigen Vertretungskörperschaft bedarf. Damit erschwert er, verglichen mit den allgemeinen Regelungen des Kommunalrechts (vgl. Art. 45 Abs. 1 BayLKrO; Art. 51 Abs. 1 BayGO, § 50 Abs. 1 GO-NW, § 35 KrO-NW, § 37 Abs. 6 GemOBW, § 32 Abs. 6 LKrOBW, § 39 Abs. 1 ThürKO, § 112 ThürKO), die Willensbildung in den Stadträten und Kreistagen und greift damit in die de lege lata bestehende Ausgestaltung der kommunalen Organisationshoheit ein. Die Vorschrift knüpft die Realisierung der vom Gesetzgeber eingeräumten Chance, die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende allein zu erbringen, an zusätzliche Hürden. Im Fall des Beschwerdeführers zu 1. käme, obwohl sich eine Mehrheit des Kreistages - 36 von 60 Mitgliedern - für den Antrag auf Zulassung als Optionskommune ausgesprochen hatte, eine Realisierung der gesetzlich eröffneten Chance schon deshalb nicht mehr in Betracht.

131

c) § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II ist der Sache nach eine Regelung des Kommunalverfassungsrechts. Dieses fällt als Teil des Kommunalrechts in die Gesetzgebungskompetenz der Länder (aa). Etwas anderes folgt weder aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (bb) noch aus Art. 91e Abs.3 GG (cc) oder aus einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs (dd).

132

aa) Das Grundgesetz weist die Gesetzgebungszuständigkeit für das Kommunalrecht nicht dem Bund zu, sondern belässt sie bei den Ländern (vgl. BVerfGE 22, 180 <210>; 77, 288 <299>; vgl. auch BVerfGE 1, 167 <176>; 26, 172 <181>; 48, 64 <83>; 56, 298 <310>; 57, 43 <59>; 58, 177 <191 f.>). Das Kommunalrecht in diesem Sinne umfasst die Summe der Rechtssätze, die sich mit der Rechtsstellung, der Organisation, den Aufgaben sowie den Handlungsformen der kommunalen Körperschaften befassen. Darunter fällt auch das Gemeindeverfassungsrecht (vgl. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 70 Rn. 104 ) und insbesondere die Art und Weise der kommunalen Willensbildung (vgl. Burgi, Kommunalrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 Rn. 10).

133

§ 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II ist eine Regelung des Kommunalrechts. Er regelt das Zustandekommen von Beschlüssen in Stadträten und Kreistagen und betrifft damit die interne Willensbildung in den Kommunen, die Verwirklichung des Mehrheitsprinzips und der Demokratie auf kommunaler Ebene (vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) und in gewissem Umfang auch die funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen den Organen der in Rede stehenden Kommune. Die interne Willensbildung in den Kommunen und das Zusammenwirken zwischen den unterschiedlichen Organen der Kommune wird in allen Ländern in den jeweiligen Kommunalordnungen geregelt (vgl. Art. 51 Abs. 1 BayGO, Art. 45 Abs. 1 BayLKrO, § 50 Abs. 1 GO-NW, § 35 KrO-NW, § 37 Abs. 6 GemOBW, § 32 Abs. 6 LKrOBW, § 39 Abs. 1 ThürKO, § 112 ThürKO) und ist ein wesentlicher Teil des Kommunal(verfassungs)rechts. Dieses bestimmt, wie die Willensbildung innerhalb einer Kommune abzulaufen hat und wie die Gewichtsverteilung zwischen Bürgermeister und Gemeinderat beziehungsweise Landrat und Kreistag auszugestalten ist. Wäre dies anders, könnte der Bund in allen Bereichen, in denen er eine Gesetzgebungskompetenz besitzt, auch Vorgaben über die Beschlussfähigkeit der kommunalen Vertretungskörperschaften, die Form der Beschlussfassung oder den Ablauf der Sitzungen treffen. Die den Ländern zustehende Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht liefe damit leer.

134

bb) Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für "die öffentliche Fürsorge" aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG vermag die angegriffene Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II nicht zu stützen.

135

(1) Zwar ist der Begriff der "öffentlichen Fürsorge" im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht eng auszulegen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <341>). Zu dieser Materie gehören nicht nur Bestimmungen darüber, was die Träger der Fürsorge an materiellen Fürsorgeleistungen zu erbringen haben und auf welche Weise dies geschehen soll. Der Regelungsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfasst auch organisatorische Vorschriften über die Abgrenzung öffentlicher und privater Träger (vgl. BVerfGE 22, 180 <203>; 106, 62 <133 f.>).

136

Bei der Bestimmung der Reichweite der aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG folgenden Gesetzgebungskompetenz ist jedoch Zurückhaltung geboten, wenn mit ihr Regelungen gerechtfertigt werden sollen, von denen nach dem Grundgedanken der Art. 70 ff. GG anzunehmen ist, dass der Regelungsgegenstand im Wesentlichen oder weitgehend in der Kompetenz der Länder verbleiben soll. Das gilt insbesondere mit Blick auf das Kommunalrecht, das nicht nur zum "Hausgut" jener Zuständigkeiten zählen dürfte, das die Organisationshoheit der Länder prägt und den Ländern daher unentziehbar verbleiben muss, sondern das der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahre 2006 auch noch mit einem generellen Durchgriffsverbot gegen Zugriffe des Bundes abgesichert hat (Art. 84 Abs. 1 Satz 7, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG). Damit hat er auch punktuelle Übergriffe des Bundes, wie sie aufgrund seiner Zuständigkeiten zur Regelung des Verwaltungsvollzugs nach der alten Rechtslage möglich waren (vgl. BVerfGE 22, 180 <209 f.>; 77, 288 <299>), ausgeschlossen. Im Hinblick auf organisationsrechtliche Regelungen ist zudem zu bedenken, dass die Verfassung zwischen der materiellen Gesetzgebungskompetenz in Art. 70 ff. GG und der Regelung von Behördenorganisation und Verwaltungsverfahren in Art. 83 ff. GG unterscheidet und dies nicht durch eine extensive Interpretation von dem Vollzug dienenden Vorschriften wie Art. 91e GG unterlaufen werden darf.

137

(2) Hieran gemessen kann § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt werden. Das Erfordernis einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen in der zuständigen Vertretungskörperschaft der Kommune regelt keine rein organisatorische Frage bei der Erbringung sozialrechtlicher Leistungen, sondern die Art und Weise der Willensbildung auf kommunaler Ebene (). Gegen die Annahme, die Regelung könne auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt werden, spricht zudem die Existenz des Art. 91e GG selbst ().

138

(a) Das Erfordernis einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen in der zuständigen Vertretungskörperschaft der Kommune regelt die Art und Weise der Willensbildung auf kommunaler Ebene. Mit der qualifizierten Mehrheit des § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II statuiert der Gesetzgeber verfahrensrechtliche Anforderungen an die Willensbildung der Kommunen, also die Voraussetzungen, unter denen sie zu einer rechtlich relevanten Willensbildung in der Lage sind. Nach der Auffassung des Gesetzgebers soll mit § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II "eine sorgfältige und ausführliche politische Meinungsbildung" sichergestellt werden, welche die Gewähr für "eine langfristig angelegte, umfassend aktiv unterstützte und nachhaltige Aufgabenwahrnehmung" bietet. Dies stelle sicher, dass für die alleinige Wahrnehmung der Aufgaben ein hoher Grad an Akzeptanz vorhanden und die für eine nachhaltige Aufgabenwahrnehmung unabdingbare Kontinuität der Verwaltungsstrukturen gewährleistet sei (vgl. BTDrucks 17/1555, S. 18). Wäre § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II gültig, verdrängte er in seinem Anwendungsbereich die kommunalrechtlichen Regelungen über Form und Verfahren der Beschlussfassung in den Gemeinderäten und Kreistagen und würde sie - da er denselben Gegenstand mit unterschiedlichen Rechtsfolgen regelt - nach Art. 31 GG brechen. Denn er weist denselben Regelungsgegenstand auf wie etwa Art. 51 Abs. 1 BayGO, Art. 45 Abs. 1 BayLKrO, § 50 Abs. 1 GO-NW, § 35 KrO-NW, § 37 Abs. 6 GemOBW, § 32 Abs. 6 LKrOBW, § 39 Abs. 1 ThürKO, § 112 ThürKO und vergleichbare Bestimmungen, an deren kompetenzrechtlicher Zulässigkeit keine Zweifel bestehen. Ist die Festlegung der Mehrheitserfordernisse in den kommunalen Repräsentativkörperschaften aber eine Regelung des Kommunalrechts, dann kann sie nach der Systematik der Art. 70 und Art. 72 Abs. 1 GG nicht zugleich eine solche des Sozialrechts sein.

139

Dem steht auch die Rechtsprechung des Senats zur grundsätzlich weiten Interpretation von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (vgl. BVerfGE 22, 180 <212 f.>; 106, 62 <133 f.>) nicht entgegen. Die dort entschiedenen Fälle betrafen die Regelung des Zusammenwirkens und Nebeneinanders von öffentlicher Hand und Privaten und damit Rechte und Pflichten in einem fürsorgerechtlichen Rechtsverhältnis. § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II betrifft dagegen nicht das Rechtsverhältnis, in dem das Zusammenwirken von Bund und Gemeinden oder Gemeindeverbänden bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende näher ausgestaltet wird und Antragserfordernisse, Formvorschriften oder Mitwirkungshandlungen statuiert werden. Er regelt vielmehr, nach welchen Regeln die interne Willensbildung bei einem der Beteiligten im Vorfeld des Zusammenwirkens mit Bund und Ländern zu erfolgen hat. Das Rechtsverhältnis zwischen Kommune und Bund, das insoweit allein möglicher Anknüpfungspunkt für eine Regelung auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG sein könnte, ist somit nicht Regelungsgegenstand der Norm, mag diese auch reflexartige Rückwirkungen auf die Interessen des Bundes haben, indem sie dazu beitragen kann, die Anzahl der antragstellenden Kommunen zu begrenzen und das Risiko zu reduzieren, dass sich einmal zugelassene Optionskommunen aus der Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6a Abs. 7 SGB II wieder zurückziehen.

140

(b) Gegen die Annahme, die organisatorische beziehungsweise verfahrensrechtliche Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 3 GG könne auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt werden, spricht zudem die Stellung des Art. 91e GG im VIIIa. Abschnitt des Grundgesetzes. Die Regelungen über die gemeinsamen Einrichtungen und die Optionskommunen wurden nach längerer Debatte (vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 16) an dieser Stelle eingefügt, weil es auch nach Auffassung des verfassungsändernden Gesetzgebers um eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Mischverwaltung ging, also um den Vollzug des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches und damit zusammenhängende Fragen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens. Dies unterstreicht die Systematik des Grundgesetzes, nach der die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren gerade keine Frage der Sachgesetzgebungskompetenzen sind und schließt es aus, für eine den Vollzug des materiellen Sozialrechts betreffende Regelung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zurückzugreifen.

141

cc) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich auch nicht aus Art. 91e Abs. 3 GG. Auf dieser Grundlage kann der Gesetzgeber zwar die Voraussetzungen für die Zulassung von Gemeinden und Gemeindeverbänden als Optionskommunen regeln, insbesondere deren Anzahl sowie Kriterien für die Zulassung festlegen. Auf die Art und Weise der internen Willensbildung der Kommunen erstreckt sich seine Regelungskompetenz jedoch nicht.

142

(1) Nach Art. 91e Abs. 3 GG regelt das Nähere über das Zusammenwirken von Bund und Ländern oder der nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Vorschrift weist dem Bund eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu und enthält zugleich einen Gesetzgebungsauftrag, der bewusst weit gefasst wurde und dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einen großen Spielraum lassen soll (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 39 ). In der Sache bezieht er sich, wie dargelegt, auf die nähere Ausgestaltung der gemeinsamen Einrichtungen (Art. 91e Abs. 1 GG), die Anzahl möglicher Optionskommunen, das von ihnen zu durchlaufende Verfahren und - im Falle der Zulassung - die Kostentragung für die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG).

143

(2) Auch wenn diese Aufzählung nicht abschließend ist, kann § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II nicht auf Art. 91e Abs. 3 GG gestützt werden. Weder kann das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit in der zuständigen Repräsentativkörperschaft als Zulassungskriterium angesehen werden noch darf der Gesetzgeber über den Regelungsgehalt von Art. 91e Abs. 1 und 2 GG hinausgehen.

144

In der Begründung zu Art. 91e GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber unter anderem betont, dass sich der Gesetzgeber "an die zwingenden Vorgaben des Grundgesetzes zu halten" habe (BTDrucks 17/1554, S. 5) und damit deutlich gemacht, dass Art. 91e GG nichts an der in Art. 70 ff. und 109 GG niedergelegten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ändern will. Art. 91e Abs. 3 GG erlaubt vor diesem Hintergrund zwar den Erlass von Vorschriften "zur Festlegung der Anzahl der Optionskommunen" und "zu den Kriterien für die Zulassung von Optionskommunen". Insoweit sind Regelungen über das Erfordernis einer Antragstellung durch die kommunalen Träger und das verfahrensmäßige Zusammenwirken der Kommunen mit anderen Verwaltungsträgern - ähnlich wie bei dem auf Art. 84 Abs. 1 GG gestützten Erfordernis des Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 BauGB - Teil der auf die Vollziehung der Verwaltungsaufgabe gerichteten Regelung und gestalten die Rechtsverhältnisse zwischen dem Bund und der Kommune beziehungsweise dem Land und der Kommune näher aus. Der Regelungsgehalt von § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II betrifft dagegen nicht die Rechtsverhältnisse zwischen der antragstellenden Kommune und dem Bund oder dem Land, sondern die interne Organisation der Kommunen. Mit dem Erfordernis der Zwei-Drittel-Mehrheit in den zuständigen Vertretungskörperschaften regelt er die Modalitäten ihrer Beschlussfassung und modifiziert damit nicht nur die Anforderungen an die demokratische Willensbildung in den Kommunen, sondern auch die funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen ihren Organen. Als in der Sache kommunalrechtliche Vorschrift ist § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II nicht von Art. 91e Abs. 3 GG gedeckt.

145

dd) Dem Bund steht schließlich auch keine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs zu. Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ist von vornherein nur dann anzuerkennen, wenn eine Materie verständiger Weise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine dem Bund nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der in Rede stehenden Materie ist (vgl. BVerfGE 3, 407 <421>; 8, 143 <149>; 12, 205 <237>; 15, 1 <20>; 26, 246 <256>; 26, 281 <300>; 97, 228 <251>; 98, 265 <299>; 106, 62 <114 f.>; stRspr). Die umfassende Regelung eines den Ländern vorbehaltenen Bereichs ist dem Bund in keinem Fall eröffnet (vgl. BVerfGE 61, 149 <205>; 98, 265 <299>; 106, 62 <115>).

146

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Es liegt schon fern, dass eine Frage der internen Willensbildung der kommunalen Repräsentativkörperschaften eine zentrale Bedeutung für die Aufgabenerledigung durch sogenannte Optionskommunen haben sollte. Mag das Antragserfordernis sicherstellen, dass die Kommune die Aufgabe aus eigenem Antrieb übernimmt, und dazu beitragen, dass sie sich an diesem rechtserheblichen Schritt festhalten lassen muss, so ist die Frage, auf welche Weise die dem Antrag zugrunde liegenden Beschlüsse zustande kommen, für die Aufgabenwahrnehmung nachrangig und für die organisatorische Ausgestaltung insgesamt unbedeutend. Schon der Blick auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 zeigt, dass die Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II keineswegs unerlässlich ist, um eine Behördenstruktur zu schaffen, die die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Zielsetzung des Gesetzgebers entsprechend erfüllen kann (ebenso Luthe, in: Hauck/Noftz/Voelzke, SGB II, § 6a Rn. 11 ; ders., ZfF 2011, S. 1 <3>). Nach § 6a Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. wurden kommunale Träger auf Antrag vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit als Träger im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 durch Rechtsverordnung zugelassen, wenn sie sich zur Schaffung einer besonderen Einrichtung nach § 6a Abs. 6 SGB II a.F. und zur Mitwirkung an der Wirkungsforschung nach § 6c SGB II<2004> verpflichtet hatten. Weitergehende Anforderungen wurden zum damaligen Zeitpunkt als nicht erforderlich angesehen. Vollzugsprobleme haben sich daraus nicht ergeben. Wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, ist es auch nicht zu einem nennenswerten Rückzug von Optionskommunen gekommen.

147

d) § 6a Abs. 2 Satz 3 1.Halbsatz SGB II verletzt danach Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 70 GG. Im Hinblick auf einen geordneten Gesetzesvollzug im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist § 6a Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz SGB II für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären. Die Vorschrift gilt für bestehende Zulassungen fort (vgl. BVerfGE 103, 1 <1, 19 f.>). Sie darf in neuen Zulassungsverfahren nach § 6a SGB II nicht mehr angewandt werden. Die bisher ergangenen Zulassungsentscheidungen bleiben unberührt. Das gilt insbesondere für die Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 14. April 2011 (BGBl I S. 645).

148

aa) Verstößt eine Norm gegen das Grundgesetz, führt dies in der Regel zur Nichtigkeit der angegriffenen Vorschrift. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung, verbunden mit der Anordnung einer teilweisen Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung kommt statt der gesetzlich vorgesehenen Nichtigkeit als Rechtsfolge dann in Betracht, wenn es aus verfassungsrechtlichen Gründen unabdingbar ist, eine verfassungswidrige Vorschrift für eine Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (vgl. BVerfGE 119, 331 <382 f.> m.w.N.). Neben den Grundrechten (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 92, 158 <186>) werden vor allem das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 37, 217 <261>; 73, 40 <101 f.>; 119, 331 <383 f.>) als verfassungsrechtliche Gründe anerkannt, welche die befristete Weitergeltung einer nicht verfassungskonformen Regelung rechtfertigen können. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn mit der Nichtigerklärung der angegriffenen Regelung ein rechtliches Vakuum aufträte und sowohl bei den Behörden als auch bei den Rechtsunterworfenen Unsicherheit über die Rechtslage entstünde (vgl. BVerfGE 37, 217 <261>; 73, 40 <102>; 92, 53 <74>). Die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Rechtslage mit dem Grundgesetz darf auch nicht dazu führen, dass der Verwaltung zeitweilig die Erfüllung verfassungsrechtlicher Pflichtaufgaben mangels hinreichender gesetzlicher Grundlage unmöglich gemacht wird (vgl. BVerfGE 83, 130 <152 ff.>; auch 51, 268 <290 f.>).

149

bb) Danach ist § 6a Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz SGB II lediglich für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären, um zu verhindern, dass durch die Nichtigerklärung der angegriffenen Regelung bei den betroffenen Behörden und Rechtsunterworfenen Unsicherheit über die Rechtslage entsteht, und um eine wirkungsvolle, durch das Sozialstaatsprinzip gebotene Aufgabenwahrnehmung zu ermöglichen. Die durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende gewährten Leistungen decken weite Bereiche der Sozialleistungen des Staates ab. Bei einer Nichtigerklärung könnten die Aufgaben ab sofort nicht mehr einheitlich durch alle zugelassenen Optionskommunen wahrgenommen werden. Hiervon wären eine hohe Zahl von Leistungsempfängern und die Mitarbeiter der Kommunen betroffen. Ohne die Aufrechterhaltung der Regelung für die Vergangenheit ist es nicht möglich, eine geordnete Sozialverwaltung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 119, 331 <383>).

150

Als Folge der Übergangsregelung kann auch der Beschwerdeführer zu 1. derzeit nicht als Optionskommune zugelassen werden. Er wird einen neuen Antrag stellen müssen (vgl. BVerfGE 103, 1 <20>).

151

2. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Gegen die Vorschrift des § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung ist formell verfassungsgemäß (a). Mit § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II füllt der Bundesgesetzgeber in nicht zu beanstandender Weise den ihm eingeräumten Gestaltungsauftrag aus (b). Die Festlegung der Anzahl möglicher kommunaler Träger auf 25 Prozent der zum 31. Dezember 2010 bestehenden Aufgabenträger verstößt auch nicht gegen Art. 28 Abs. 2 GG (c). Der Gesetzgeber hat das Verteilungsverfahren schließlich hinreichend bestimmt ausgestaltet; die Verordnungsermächtigung des § 6a Abs. 3 SGB II ist insoweit nicht zu beanstanden (d).

152

a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II ergibt sich aus Art. 91e Abs. 3 GG. Danach regelt das Nähere im Hinblick auf Organisation und Verfahren bei der Erledigung der Verwaltungsaufgabe "Grundsicherung für Arbeitsuchende" ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Zum "Näheren" gehört neben Regelungen über die Ausgestaltung des Zulassungs- und Verteilungsverfahrens sowie die Organisation der Aufgabenerfüllung auch die Festlegung der Anzahl zuzulassender Optionskommunen. In der Begründung zu Art. 91e GG ist im Hinblick auf Absatz 2 insoweit ausdrücklich davon die Rede, dass das Bundesgesetz Regelungen über die Festlegung der Anzahl der Optionskommunen treffen werde (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 5). Mit § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II hat der Gesetzgeber die Anzahl möglicher Optionskommunen auf 25 Prozent festgelegt und insoweit das Nähere zu Art. 91e Abs. 2 GG geregelt. Dazu ist er durch Art. 91e Abs. 3 GG ermächtigt.

153

b) Art. 91e Abs. 3 GG eröffnet dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum für die Ausgestaltung des Verwaltungsvollzugs in alleiniger Trägerschaft der Kommunen (aa). Dessen Grenzen überschreitet § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II nicht (bb).

154

aa) Indem Art. 91e Abs. 3 GG den Bundesgesetzgeber ermächtigt, "das Nähere" zu regeln, räumt er ihm grundsätzlich einen nicht unerheblichen Spielraum bei der Ausgestaltung des Vollzugs der Verwaltungsaufgabe "Grundsicherung für Arbeitsuchende" in alleiniger Verantwortung der Kommunen ein (vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 12; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 39 ). Inhaltlich geben Art. 91e Abs. 1 und Abs. 2 GG allerdings ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor: Die Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen soll danach die Regel sein, die alleinige Aufgabenwahrnehmung durch Optionskommunen die Ausnahme. Dies belegen sowohl der Wortlaut des Art. 91e GG (1) als auch seine systematische Stellung und seine Entstehungsgeschichte (2).

155

(1) Bereits dem Wortlaut des Art. 91e GG lässt sich entnehmen, dass das Grundgesetz die Wahrnehmung der Verwaltungsaufgabe "Grundsicherung für Arbeitsuchende" in gemeinsamen Einrichtungen als Regelfall vorsieht. In diesem Sinne ist in Art. 91e Abs. 2 GG davon die Rede, dass der Bund zulassen "könne", dass eine "begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden" auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach Absatz 1 allein wahrnimmt. Nicht nur die Formulierung "eine begrenzte Anzahl" weist dabei auf ein "Regel-Ausnahme-Verhältnis" (BTDrucks 17/1554, S. 4) hin; auch die ausdrückliche Eröffnung eines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums ("kann zulassen") unterstreicht dies.

156

(2) Art. 91e GG stellt eine allein auf den Vollzug der Verwaltungsaufgabe Grundsicherung für Arbeitsuchende zugeschnittene abschließende Spezialregelung dar. Er wurde bewusst in den Abschnitt VIIIa. "Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit" aufgenommen und ordnet ausweislich des Art. 91e Abs. 1 GG grundsätzlich eine Mischverwaltung als Regelfall an. Soweit Art. 91e Abs. 2 GG in diesem Zusammenhang ausnahmsweise auch einen Vollzug durch Optionskommunen vorsieht, stellt er die Grundentscheidung des Art. 91e Abs. 1 GG für den Vollzugstyp der Mischverwaltung nicht in Frage. Art. 91e Abs. 2 GG ist insoweit - anders als in der Literatur zum Teil angenommen wird (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 31 ; Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 31 <32. Erg.-Lfg. VI/11>; Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 48; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 22) - keine Norm, die einen Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen über die Landesexekution gemäß Art. 83 f. GG wieder eröffnete (BTDrucks 17/1554, S. 4), sondern eine spezifische Ausnahmevorschrift von einer ihrerseits abschließenden Spezialregelung.

157

bb) Aus dem Wortlaut des Art. 91e Abs. 2 GG lässt sich eine konkrete Anzahl möglicher Optionskommunen nicht ableiten (1). Die mit § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II vorgenommene Konkretisierung des von Art. 91e Abs. 1 und Abs. 2 GG vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben (2).

158

(1) Der Gesetzgeber ist im Rahmen der Vorgaben des Art. 91e Abs. 3 GG grundsätzlich frei, die Anzahl der möglichen Optionskommunen aufgrund politischer Dezision festzusetzen. Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die Festlegung auf 25 Prozent sei willkürlich und daher verfassungswidrig (Hermes, in: Dreier, GG, Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 42; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 91e Rn. 27 ; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 20), vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar hat die Begrenzung auf 25 Prozent in der Tat lediglich in den Gesetzgebungsmaterialien Niederschlag gefunden (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 4; 17/2192, S. 2), nicht jedoch im Wortlaut des Art. 91e Abs. 2 GG. Auch lassen sich der Norm über das Regel-Ausnahme-Verhältnis hinaus keine weiteren Kriterien für dessen Konkretisierung entnehmen. Das macht die Bestimmung des Art. 91e Abs. 2 GG jedoch nicht verfassungswidrig, sondern hat lediglich zur Folge, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Verfassung und unter Beachtung des Mehrheitsprinzips (Art. 42 Abs. 2 GG) nach seinen politischen Präferenzen über die Konkretisierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses entscheiden kann. Er ist dabei rechtlich auch nicht an im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens getroffene politische Absprachen gebunden. Den auf die Einführung eines 25-Prozent-Quorums zielenden Absichtserklärungen in den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 4) kommt, für sich genommen, insoweit kein verfassungsrechtlicher Gehalt zu.

159

Mit dem Tatbestandsmerkmal der "begrenzten Anzahl" gibt Art. 91e Abs. 2 GG einen deutlichen Anhaltspunkt dafür vor, dass der Gesetzgeber das Regel-Ausnahme-Verhältnis weitgehend frei konkretisieren darf (vgl. Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 91e Rn. 20). Da sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis bereits aus dem Nebeneinander von Art. 91e Abs. 1 und 2 GG ergibt, wäre die Aufnahme dieses unbestimmten Verfassungsbegriffs nicht erforderlich gewesen. Spezifischen Bedeutungsgehalt erfährt er daher nur, wenn er als die Bekräftigung der Befugnis des Gesetzgebers verstanden wird, die Anzahl der zuzulassenden Optionskommunen weitgehend nach politischen Präferenzen zu bestimmen.

160

(2) Mit der Festlegung auf 25 Prozent hat der Gesetzgeber die bereits im Verfahren zur Einführung von Art. 91e GG avisierte Zielgröße übernommen und den politischen Erwartungen der Beteiligten Rechnung getragen. Dies ist nicht deshalb willkürlich, weil sich aus der Gesetzesbegründung kein weiteres überzeugendes Regelungsmotiv für die Gewichtung ergibt (vgl. Mehde, in: Beck'scher OK-GG, Art. 91e Rn. 26 <1. Juni 2014>).

161

Es ist nicht ersichtlich, dass § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II den von Art. 91e Abs. 2 GG gezogenen Konkretisierungsspielraum überschreitet (vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 10; Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 26, Fn. 102 <32. Erg.-Lfg. VI/11>; Mager, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 91e Rn. 9; Rixen/Weißenberger, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 6a Rn. 8). Dem Gesetzgeber hätte es zwar frei gestanden, über das 25-Prozent-Quorum hinaus zu gehen (vgl. Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 26 <32. Erg.-Lfg. VI/11>). Verfassungsrechtlich verpflichtet war er dazu jedoch nicht.

162

c) § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II bedarf auch keiner verfassungskonformen Auslegung im Lichte von Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden (aa), Art. 28 Abs. 2 Satz 2 den Gemeindeverbänden (bb) eine unterschiedlich weit reichende und wehrfähige Aufgabenausstattung. Diese wird durch die Kontingentierung der möglichen Optionskommunen nicht berührt (cc).

163

aa) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich (vgl. BVerfGE 26, 228 <237 f.>; 56, 298 <312>; 59, 216 <226>; 79, 127 <143>). Dazu gehören diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (vgl. BVerfGE 8, 122 <134>; 50, 195 <201>; 52, 95 <120>; 79, 127 <151 f.>; 83, 363 <384>; 86, 148 <220 f.>; 110, 370 <400>), die also den Gemeindeeinwohnern als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen (vgl. BVerfGE 79, 127 <151 f.>; 83, 363 <384>; 86, 148 <220 f.>; 110, 370 <400>). Verändert der Gesetzgeber den Aufgabenbestand der Gemeinden, so hat er den Vorrang zu berücksichtigen, den Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG der Gemeindeebene in den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft einräumt. Dagegen ist er in seiner Zuordnung weitgehend frei, wenn eine Aufgabe keinen oder keinen relevanten örtlichen Charakter besitzt; sie fällt dann von vornherein nicht in den Gewährleistungsbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 79, 127 <152>; 110, 370 <400>).

164

bb) Den Gemeindeverbänden ist das Recht der Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG dagegen im Hinblick auf ihren Aufgabenbestand nur eingeschränkt gewährleistet. Anders als bei den Gemeinden beschreibt die Verfassung die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantwortet ihre Festlegung dem Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 119, 331 <353> m.w.N.). Dessen Gestaltungsspielraum stößt, wie dargelegt, bei der Ausgestaltung des Aufgabenbereichs der Kreise erst dort an Grenzen, wo die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts der Kreise entwertet würde. Der Gesetzgeber darf Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG deshalb nicht dadurch unterlaufen, dass er den Kreisen keine Aufgaben zuweist, die in der von der Verfassung selbst gewährten Eigenverantwortlichkeit wahrgenommen werden könnten. Er muss vielmehr einen Mindestbestand an Aufgaben vorsehen, die die Kreise unter Inanspruchnahme der auch ihnen gewährten Eigenverantwortlichkeit erledigen können (vgl. BVerfGE 119, 331 <353>). Ist dies der Fall, so liegt es im (politischen) Ermessen des Gesetzgebers, ob und inwieweit er über den verfassungsrechtlich geforderten Mindestbestand an Aufgaben hinausgeht.

165

cc) Soweit die Beschwerdeführerin zu 2. nicht als Optionskommune anerkannt worden ist, berührt sie dies nicht in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Selbstverwaltungsgarantie. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist keine Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft. Ihre unterlassene Übertragung berührt Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG von vornherein nicht. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nur diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln, also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen (vgl. BVerfGE 79, 127 <151 f.>; 83, 363 <384>; 86, 148 <220 f.>; 110, 370 <400>). Fürsorge- und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende lassen sich darunter nicht fassen. Die den Optionskommunen zusätzlich zu übertragenden Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II betreffen die Eingliederung in Arbeit, die normalerweise Gegenstand der Arbeitslosenversicherung ist und von der Bundesagentur für Arbeit überregional und im Bundesgebiet einheitlich wahrgenommen wird. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass Ansprüche auf Sozialhilfe durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende abgelöst worden sind, Sozialhilfe jedoch von den kreisfreien Städten und Landkreisen nach Maßgabe der landesrechtlichen Vorschriften in eigener Verantwortung geleistet wird (vgl. § 1 Abs. 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch; § 1 Satz 1 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs; § 1 Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - für das Land Nordrhein-Westfalen; § 1 Thüringer Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch). Dass diese Gebietskörperschaften seit Jahrzehnten örtliche Träger der Sozialhilfe sind, macht die Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht zu einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft (vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 91e Rn. 10). Der Schutzbereich des Art 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist insoweit nicht eröffnet (vgl. Rixen/Weißenberger, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 6a Rn. 8; vgl. auch Dyllick/Lörincz/Neubauer, NJ 2011, S. 15 <20>).

166

Vor diesem Hintergrund ist auch die Selbstverwaltungsgarantie der Beschwerdeführer zu 3. bis 15. aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG nicht verletzt. Da das Recht der Selbstverwaltung den Gemeindeverbänden von vornherein nur nach Maßgabe der Gesetze eingeräumt ist, obliegt es grundsätzlich auch dem Gesetzgeber, die Aufgaben der Gemeindeverbände festzulegen. Der ihm dabei zukommende Spielraum stößt erst dort an Grenzen, wo durch die Zuweisung neuer Aufgaben, deren Entzug oder Nichtzuweisung die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Selbstverwaltung entleert würde (vgl. BVerfGE 119, 331 <352 ff.>). Die Beschwerdeführer zu 3. bis 15. waren bislang nicht als kommunale Träger zugelassen und haben ihre Zulassung als Optionskommune erstmals beantragt. Ihre Nichtzulassung stellt sich somit weder als Aufgabenentzug noch als eine Änderung ihres bisherigen Aufgabenbestandes dar, die an Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG zu messen wäre. Die Beschwerdeführer begehren vielmehr die Zuweisung einer neuen Aufgabe. Dies könnten sie unter Berufung auf die Selbstverwaltungsgarantie nur verlangen, wenn ohne eine Zuständigkeit für die Grundsicherung für Arbeitsuchende die ihnen zukommende Selbstverwaltungsgarantie in ihrem Kern entwertet wäre. Das ist offensichtlich nicht der Fall.

167

d) Eröffnet der Gesetzgeber den Kommunen die Chance auf eine bestimmte Aufgabenzuständigkeit, so muss er allerdings ein Verfahren vorsehen, das eine transparente und nachvollziehbare Verteilungs- und Zulassungsentscheidung sicherstellt (aa). Der Gesetzgeber musste dieses Verteilungsverfahren nicht im Einzelnen ausgestalten, sondern konnte dies auch dem Verordnungsgeber überlassen. § 6a Abs. 3 SGB II ist insoweit eine ausreichende Rechtsgrundlage (bb). Ob die Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (KtEfV) diesen Anforderungen genügt, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung (cc).

168

aa) Angesichts der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Kontingentierung der Anzahl der Optionskommunen durch § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Verteilung der Zulassungen willkürfrei, transparent und nachvollziehbar bewältigt wird und dem Gebot interkommunaler Gleichbehandlung entspricht (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 2. Aufl. Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 47; Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 28 <32. Erg.-Lfg. VI/11>). Dieser aus der Grundrechtsdogmatik entlehnte Gedanke eines Rechtsgüterschutzes durch Verfahren gilt mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 GG auch im vorliegenden Zusammenhang.

169

bb) Der Gesetzgeber muss das Verteilungsverfahren allerdings nicht im Einzelnen selbst ausgestalten, sondern kann dies auch dem Verordnungsgeber überlassen. Allerdings muss er die wesentlichen Grundzüge des Verfahrens im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG selbst regeln.

170

Anders als in der Vorgängerregelung des § 6a Abs. 3 bis 6 SGB II in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004 hat sich der Gesetzgeber für die (weitere) Zulassung von Optionskommunen auf die Normierung einer Verordnungsermächtigung in § 6a Abs. 3 SGB II beschränkt, die ein willkürfreies, transparentes und nachvollziebares Verteilungsverfahren jedenfalls in den Grundzügen vorstrukturiert und die Regelung der Einzelheiten dem Verordnungsgeber überlässt (vgl. Engels, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 91e Rn. 28 <32. Erg.-Lfg. VI/11>). Hiergegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.

171

§ 6a Abs. 3 SGB II ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Voraussetzungen der Eignung nach § 6a Abs. 2 Nr. 1 SGB II und deren Feststellung sowie die Verteilung der Zulassungen nach § 6a Abs. 2 und Abs. 4 SGB II auf die Länder durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu regeln. Damit hat der Gesetzgeber festgelegt, dass der Zulassung von Optionskommunen eine Eignungsprüfung und -feststellung sowie ein Verteilungsverfahren voranzugehen haben, das an der bestmöglichen Erfüllung der Verwaltungsaufgabe auszurichten ist. Das genügt den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, der nicht verlangt, dass eine Verordnungsermächtigung so bestimmt wie irgend möglich ist, sondern eine hinreichende Bestimmtheit ausreichen lässt (vgl. BVerfGE 8, 274 <312>; 26, 228 <241>; 55, 207 <226>; 58, 257 <277>; 62, 203 <210>; 123, 39 <78>). Vor diesem Hintergrund reicht es, wenn sich - wie hier - das Ausmaß der Ermächtigung mit hinreichender Deutlichkeit aus dem begrenzten Zweck der Ermächtigung ergibt (vgl. BVerfGE 4, 7 <22>; 20, 296 <306>; 28, 66 <86>; 35, 179 <183>; 38, 61 <84>).

172

cc) Ob das Verteilungsverfahren, das die Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende näher ausgestaltet, selbst den Anforderungen an ein willkürfreies, transparentes und nachvollziehbares Zulassungsverfahren genügt (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 2. Aufl. Supplementum 2010, Art. 91e Rn. 47 Fn. 149), und ob es insbesondere nicht bundesrechtlicher Regelungen über die Verteilung der möglichen Optionskommunen auf die Länderkontingente bedarf, um ein willkürfreies, transparentes und dem interkommunalen Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechendes Verteilungsverfahren sicherzustellen, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die insoweit möglicherweise unzureichende Verordnung ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

173

3. Schließlich begegnet auch die Vorschrift des § 6b Abs. 4 SGB II keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gesetzgebungskompetenz hierfür folgt ebenfalls aus Art. 91e Abs. 3 GG (a). Mit der Schaffung einer unmittelbaren Finanzbeziehung zwischen dem Bund und der kommunalen Ebene geht für diesen Bereich eine Befugnis des Bundes einher, die ordnungsgemäße Verwendung der eingesetzten Mittel zu kontrollieren (b).

174

a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 6b Abs. 4 SGB II folgt aus Art. 91e Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 GG. In der Gesetzesbegründung zu Art. 91e Abs. 3 GG heißt es, dass in Bezug auf Art. 91e Abs. 2 das Bundesgesetz unter anderem Regelungen zu Kostentragung, Aufsicht, Finanzkontrolle und Rechnungsprüfung treffen werde (vgl. BTDrucks 17/1554, S. 5). Nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers sollte der Bund folglich zu einer derartigen Regelung befugt sein.

175

b) Die Befugnis des Bundes zu einer finanziellen Kontrolle der Optionskommunen folgt zwar nicht schon aus der Finanzierungsverantwortung des Bundes (aa). Mit der Schaffung einer unmittelbaren Finanzbeziehung zwischen dem Bund und der kommunalen Ebene sind ihm jedoch zugleich Befugnisse eingeräumt worden, die eine wirksame Finanzkontrolle ermöglichen (bb). Dies verletzt nicht die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (cc).

176

aa) Dass den Bund eine Finanzierungsverantwortung für Aufgaben trifft, welche die zugelassenen kommunalen Träger wahrnehmen, zwingt, für sich genommen, nicht dazu, ihm auch Finanzkontrollbefugnisse einzuräumen. Zwar wird im Schrifttum mit Blick auf den Bundesrechnungshof die Auffassung vertreten, dass Kontrollkompetenzen nicht an die Verwaltungs-, sondern an die Finanzierungsverantwortung anknüpfen (vgl. Kammer, DVBl 1990, 555 <558 f.>; Mähring, DÖV 2006, S. 195 <203>). Mit Blick auf den Bundesrechnungshof hat das Bundesverfassungsgericht es jedoch stets abgelehnt, von der Finanzierungsverantwortung auf eine Kontrollzuständigkeit zu schließen. Für die Reichweite seiner Befugnisse gebe die Annahme einer Finanzgewalt nichts her. Aus ihr ergebe sich insbesondere nicht, dass der Bund Erhebungsbefugnisse im Hinblick auf die Gesamtheit der föderalen Finanzströme haben müsse. Die Kompetenz des Bundes, durch seinen Rechnungshof Erhebungen im Länderbereich durchzuführen, folge im Hinblick auf Finanzhilfen nach Art. 104b GG den Verwaltungskompetenzen des Bundes (vgl. BVerfGE 127, 165 <219 f.>). Daran ist auch im vorliegenden Zusammenhang festzuhalten.

177

bb) Mit der Einfügung von Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG in das Grundgesetz hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen dem Bund und der kommunalen Ebene etabliert und damit eine Sonderregelung geschaffen, die dem Bund spezifische Verwaltungskompetenzen zuweist und den allgemeinen Regelungen über das Finanzwesen vorgeht. Sie ermächtigt den Bund auch zu einer effektiven Finanzkontrolle über die Optionskommunen. Die Finanzkontrolle des Bundes ist strikt auf die Verwaltung der von ihm zur Verfügung gestellten Mittel für die Grundsicherung für Arbeitsuchende beschränkt (1). Seine Kontrollbefugnisse unterscheiden sich insoweit von jenen des Bundesrechnungshofes (2) und haben weder rechtlich noch faktisch aufsichtsgleiche Wirkung (3).

178

(1) Der Gesetzgeber hat die Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Kontrollformen aufgenommen und die Befugnisse des Bundes zur Finanzkontrolle in § 6b Abs. 4 SGB II, jene des Bundesrechnungshofes in § 6b Abs. 3 SGB II und die Aufsichtsbefugnisse des Bundes und der Länder in §§ 47, 48 SGB II geregelt.

179

(2) Die Befugnisse des Bundes im Rahmen der Finanzkontrolle unterscheiden sich von denen des Bundesrechnungshofes und beschränken sich auf die Gewährleistung der fiskalischen Interessen des Bundes. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass die Befugnisse des Bundesrechnungshofes in § 6b Abs. 3 SGB II, die des Bundes aber in § 6b Abs. 4 SGB II normiert sind, ergibt sich aber auch aus dem unterschiedlichen Inhalt der Befugnisse beider Behörden.

180

Die Finanzkontrolle nach § 6b Abs. 4 SGB II bezieht sich ausschließlich auf die fiskalischen Interessen des Bundes. Sie ist in ihrem Anwendungsbereich und ihrer Zielsetzung enger als jene des Bundesrechnungshofes, reicht hinsichtlich ihrer Befugnisse jedoch weiter. Insbesondere gestattet sie es ihm, öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche geltend zu machen und im Wege der Verrechnung durchzusetzen. In der Begründung zu § 6b Abs. 4 und Abs. 5 SGB II heißt es insoweit, dass sich der Erstattungsanspruch in der Finanzbeziehung zwischen Bund und zugelassenem kommunalen Träger zugunsten der Wiederherstellung der rechtmäßigen Ordnung der Haushalte auswirke. Somit werde im Zusammenwirken mit dem Prüfrecht des Bundes nach § 6b Abs. 4 SGB II eine effektive Finanzkontrolle ermöglicht, welche die Finanzinteressen des Bundes absichere. Dazu würden in Satz 1 die gesetzlichen Prüfbefugnisse des Bundes klargestellt, die jederzeit gewährleisteten, dass eine Kostenerstattung nur erfolge, soweit die Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers auf einem gesetzmäßigen Mitteleinsatz beruhten (vgl. BTDrucks 17/1555, S. 19).

181

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist im Rahmen der Finanzkontrolle somit befugt, die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsgemäßheit der von den zugelassenen kommunalen Trägern verausgabten Bundesmittel anhand der vorgelegten Jahresabschlussrechnung zu prüfen und dabei auch die Gesetzmäßigkeit der Ausgaben zu kontrollieren. Es darf zu diesem Zweck Informationen vor Ort erheben und auch ohne konkreten Anlass bei den zugelassenen kommunalen Trägern Prüfungen durchführen.

182

(3) Die dem Bund durch § 6b Abs. 4 SGB II eröffnete Finanzkontrolle über die Optionskommunen unterscheidet sich schließlich auch von der Rechts- und Fachaufsicht. Die Vorschrift statuiert keine Aufsichtsbefugnisse des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Sie dient nicht der Rückkopplung des Gesetzesvollzugs an die Absichten des Gesetzgebers und insbesondere nicht der Gewährleistung eines grundsätzlich einheitlichen Gesetzesvollzugs, sondern beschränkt sich ausschließlich auf die Kontrolle der finanziellen Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, von der Möglichkeit des Art. 91e Abs. 2 GG Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 127, 165 <203 f.>). Die Befugnisse des Bundes aus § 6b Abs. 4 SGB II erlauben es daher nicht, vertretbare Rechtsauffassungen des zugelassenen kommunalen Trägers zu beanstanden und auf dieser Grundlage Mittel vorzuenthalten oder Erstattungsansprüche durchzusetzen; die Durchsetzung einer einheitlichen Rechtsanwendung ist vielmehr der Rechts- und Fachaufsicht vorbehalten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist auch nicht befugt, einzelne Optionskommunen von dem automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (HKR-Verfahren) auszuschließen. Dieses Verfahren dient der Unterstützung und Dokumentation wesentlicher Tätigkeiten bei der Ausführung des Haushaltsplans, der Abwicklung des Zahlungsverkehrs, der Buchführung und der Rechnungslegung sowie der Bereitstellung von tagesaktuellen Informationen über den Stand des Haushaltsvollzugs für alle bewirtschaftenden Dienststellen und ermöglicht die automatisierte Bereitstellung der im Haushaltsgesetz festgestellten Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen sowie deren unterjährige Veränderungen (wie Restebewilligungen, Nachträge). Im vorliegenden Zusammenhang dient es der Sache nach dazu, eine Vorfinanzierung der Leistungen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die Optionskommunen zu vermeiden. Da ein Ausschluss vom HKR-Verfahren für die betroffenen kommunalen Träger erhebliche wirtschaftliche Belastungen und Risiken mit sich brächte und insoweit Sanktionscharakter besäße, ist er von § 6b Abs. 4 SGB II nicht gedeckt. Sanktionen sind kennzeichnend für die Aufsicht, zu der Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG den Bundesgesetzgeber gerade nicht ermächtigt.

183

cc) Ob ein Eingriff in die Finanzhoheit der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 1. Halbsatz GG) und Gemeindeverbände (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 1. Halbsatz GG) vorliegt, wenn staatliche Stellen über den Einsatz der Finanzmittel zu unterrichten sind und ihnen Einsicht in Bücher und sonstige Unterlagen gewährt werden muss, hat das Bundesverfassungsgericht bislang offen gelassen, da etwaige Einschränkungen in den entschiedenen Fällen jedenfalls gerechtfertigt waren (vgl. BVerfGE 127, 165 <208>). Das gilt auch hier, wo der Eingriff in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung mit Blick auf die gesamtstaatliche Bedeutung der Grundsicherung für Arbeitsuchende und den damit verbundenen erheblichen Einsatz von Bundesmitteln im öffentlichen Interesse liegt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Im Übrigen sind Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er über seine beigeladene Ehefrau in der Krankenversicherung der Landwirte (KVdL) familienversichert war.

2

Der im Juli 1944 geborene Kläger wurde auf seinen Antrag hin gemäß § 94 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) zum 1.10.1972 von der Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher/gartenbaulicher Unternehmer in der KVdL befreit. Bis 30.9.2006 war er in der privaten Krankenversicherung (PKV) versichert. Die Beigeladene war bis 4.8.2007 in seinem Betrieb versicherungspflichtig beschäftigt. Anfang August 2007 stellte der Kläger einen Insolvenzantrag und meldete sein Gewerbe zum 16.8.2007 ab. Die Beigeladene erhielt daraufhin ab 6.8.2007 Arbeitslosengeld und war seither versicherungspflichtiges Mitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten in der KVdL.

3

Durch einen an die Beigeladene gerichteten Bescheid des Grundsicherungsträgers (ARGE) vom 10.10.2007 wurden der Beigeladenen und dem Kläger ab 31.8.2007 Arbeitslosengeld II (Alg II) bewilligt und die Leistungen an die Beigeladene ausgezahlt. Der Alg II-Bezug des Klägers endete mit Vollendung seines 65. Lebensjahrs im Juli 2009. Seit 1.8.2009 beziehen sowohl der Kläger als auch die Beigeladene von der Alterskasse für den Gartenbau Rentenleistungen; die Beigeladene ist wegen ihres Rentenbezugs bei der Beklagten gegen Krankheit pflichtversichert.

4

Mit Formantrag vom 19.10.2007 (Eingang 23.10.2007) beantragten der Kläger und die Beigeladene bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Durchführung der Familienversicherung des Klägers, vermittelt über die Pflichtversicherung der Beigeladenen. Dies wurde unter Hinweis auf die im Jahr 1972 erfolgte Befreiung des Klägers von der Krankenversicherungspflicht in der KVdL abgelehnt (Bescheid der Krankenkasse für den Gartenbau vom 7.11.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.9.2008).

5

Das dagegen angerufene SG hat die Krankenkasse als Rechtsvorgängerin der Beklagten unter Aufhebung der genannten Bescheide verurteilt, den Kläger ab Antragstellung im Wege der Familienversicherung zu versichern (Urteil vom 7.6.2010). Auf die Berufung der Rechtsvorgängerin der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil geändert und ua festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 31.8.2007 bis 6.4.2009 bei ihr familienversichert gewesen sei: Er sei im Wege der Anschlussberufung berechtigt gewesen, die Feststellung der Familienversicherung bereits für die Zeit vom 31.8.2007 bis 6.4.2009 zu beantragen. Obwohl der streitige Zeitraum mittlerweile abgelaufen sei und währenddessen der Sozialhilfeträger die angefallenen Krankenbehandlungskosten des Klägers getragen habe, verfüge der Kläger über ein Feststellungsinteresse; denn die begehrte Feststellung sei für einen möglichen Anspruch auf freiwillige Weiterversicherung im Zeitraum ab 7.4.2009 von Bedeutung. Einen entsprechenden Antrag habe der Kläger - wenn auch nicht fristgemäß - gestellt. Im streitigen Zeitraum sei der Kläger selbst nicht als Bezieher von Alg II krankenversicherungspflichtig gewesen, weil der Bescheid der ARGE an die mit dem Kläger eine Bedarfsgemeinschaft bildende Beigeladene gerichtet gewesen sei. Die Voraussetzungen einer Familienversicherung seien erfüllt. Die ab 1.10.1972 erfolgte Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht nach § 94 Abs 1 KVLG stehe dem nicht entgegen, weil sich die Befreiungswirkung nicht auf Versicherungspflichttatbestände beziehe, die noch nicht im KVLG erfasst gewesen, sondern erst später neu hinzugekommen seien (hier: die erst unter Geltung des KVLG 1989 geschaffene Versicherungspflicht als Alg II-Bezieher). Besonderheiten des speziellen Ordnungssystems der KVdL rechtfertigten kein anderes Ergebnis (Urteil vom 6.6.2012).

6

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision und rügt eine Verletzung von § 94 Abs 1 KVLG sowie von § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 iVm § 10 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB V. Wortlaut und Zweckbestimmung der Regelungen stünden einer Familienversicherung des Klägers entgegen. Die in § 173a Abs 2 RVO nachgebildete Regelung des § 94 Abs 2 KVLG verdeutliche die seinerzeitige gesetzgeberische Konzeption, dem speziellen Personenkreis der privat gegen Krankheit abgesicherten Landwirte und Gärtner sowie deren Angehörigen die Möglichkeit einzuräumen, sich gegen das mit dem KVLG geschaffene gesetzliche System zu entscheiden und sich für immer von der Versicherungspflicht in der KVdL befreien zu lassen. Der damalige Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht sei als Statusentscheidung für die dauerhafte Zugehörigkeit zur PKV zu interpretieren. Dementsprechend ordne § 59 Abs 1 S 1 KVLG 1989 an, dass eine Befreiung nach § 4 und § 94 Abs 1 KVLG in der bis zum 31.12.1988 geltenden Fassung nicht widerrufen werden könne. Deswegen habe die Befreiung auch für später eintretende Versicherungspflichttatbestände gelten sollen (Hinweis auf BSGE 43, 194 = SozR 5420 § 4 Nr 1). Die Wirkung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdL als berufsständische Unternehmerversicherung rechtfertige eine Abweichung von der Rechtslage zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der allgemeinen Krankenversicherung (Hinweis auf BSGE 43, 194 = SozR 5420 § 4 Nr 1; BSG SozR 5420 § 2 Nr 4; BSGE 41, 157 = SozR 5420 § 2 Nr 2). Während die Befreiung von der Versicherungspflicht in der allgemeinen Krankenversicherung unverändert tatbestandsbezogen wirke, entfalte eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdL eine systembezogene Wirkung. Die Einbeziehung des Befreiten in die berufsständische Solidargemeinschaft der KVdL durch eine über den Ehegatten vermittelte Familienversicherung sei nicht gerechtfertigt, weil sonst die beitragsfreie Mitversicherung unzulässig aus Mitteln der relativ kleinen Versichertengemeinschaft getragen werden müsste.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Juni 2012 sowie das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 7. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Er verteidigt die angefochtenen Urteile.

10

Die Beigeladene äußert sich nicht.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und unter Klarstellung des Tenors des erstinstanzlichen Urteils die angefochtenen Bescheide aufgehoben sowie festgestellt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum vom 31.8.2007 bis 6.4.2009 über die Beigeladene in der KVdL familienversichert war. Seiner Familienversicherung standen weder eine eigene Versicherungspflicht noch seine zum 1.10.1972 erfolgte Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdL entgegen.

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Feststellung der Familienversicherung des Klägers in der Zeit vom 31.8.2007 bis 6.4.2009. Zu Recht hat das LSG eine Ausdehnung des ursprünglich im Klageverfahren vor dem SG beantragten Zeitraums der begehrten Feststellung "ab Antragstellung" auf die Zeit ab 31.8.2007 im Wege einer zulässigen Anschlussberufung und Klageerweiterung (§ 99 Abs 3 Nr 2 SGG; vgl BSGE 24, 247, 249 = SozR Nr 9 zu § 521 ZPO)angenommen.

13

2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig (vgl BSG SozR 4-2500 § 5 Nr 21 RdNr 12). Ein Rechtsschutz- und Feststellungsinteresse des Klägers ist dafür anzuerkennen, obwohl der genannte streitige Zeitraum in der Vergangenheit liegt und der Kläger nach den Feststellungen des LSG während dieser Zeit durch den Sozialhilfeträger gegen das Krankheitsrisiko abgesichert war.

14

Auch wenn die begehrte Feststellung für den Kläger keine unmittelbaren Auswirkungen auf seinen krankenversicherungsrechtlichen Status im genannten Zeitraum selbst hat, kann ein rechtliches Interesse jedenfalls für die Feststellung der Art seines an den streitigen Zeitraum anschließenden Krankenversicherungsschutzes ab 7.4.2009 nicht gänzlich verneint werden. Das LSG hat nämlich festgestellt, dass der Kläger am 15.10.2009 (vorsorglich) seine freiwillige Weiterversicherung in der KVdL gemäß § 6 Abs 1 KVLG 1989 anzeigte. Zwar ist ein entsprechendes potentielles Beitrittsrecht von weiteren Voraussetzungen abhängig, insbesondere von dem Fehlen einer Versicherungspflicht des Klägers als Rentner, die nach den Feststellungen des LSG zwischen den Beteiligten umstritten und daher (noch) ungeklärt ist. Eine der Voraussetzungen für die Weiterversicherungsberechtigung nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 KVLG 1989 ist aber jedenfalls auch das Erlöschen der Familienversicherung. Daher genügt vorliegend die Möglichkeit, dass eine uU rechtskräftig werdende Negierung des Bestehens einer Familienversicherung im streitigen Zeitraum durch die angefochtenen Bescheide einer späteren Entscheidung über die Wirksamkeit der Anzeige des Beitritts zur freiwilligen Versicherung entgegenstehen würde, um beim Kläger für das vorliegende Verfahren ein Rechtsschutz- und Feststellungsinteresse zu bejahen. In diesem Zusammenhang ist unbeachtlich, dass nach den Feststellungen des LSG die vom Kläger vorsorglich gemachte Anzeige nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des § 6 Abs 2 KVLG 1989 gestellt wurde, weil die Annahme einer gleichwohl fristgerecht geltenden Anzeige jedenfalls nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im vorliegenden Fall nicht gänzlich ausgeschlossen ist(vgl auch zum Fall eines nicht rechtzeitig ausgeübten Krankenkassenwahlrechts BSG SozR 4-2500 § 175 Nr 1 RdNr 13).

15

3. Der angefochtene Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger war im streitigen Zeitraum ausgehend von den einschlägigen gesetzlichen Regelungen (dazu a) über seine Ehefrau in der KVdL familienversichert, weil er nicht wegen des Bezugs von Alg II selbst versicherungspflichtig war (dazu b), die 1972 erfolgte Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdL seiner Familienversicherung nicht entgegenstand (dazu c) und auch die übrigen Voraussetzungen einer Familienversicherung erfüllt sind (dazu d).

16

a) Gemäß § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 in seiner seit Inkrafttreten unveränderten Fassung gilt für die Familienversicherung § 10 SGB V entsprechend. Nach § 10 Abs 1 S 1 SGB V(in der ab 30.3.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005, BGBl I 818) sind versichert der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern, wenn diese Familienangehörigen

1.    

ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben,

2.    

nicht nach § 5 Abs 1 Nr 1, 2, 3 bis 8, 11 oder 12 oder nicht freiwillig versichert sind,

3.    

nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach § 7 außer Betracht,

4.    

nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und

5.    

kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt; für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs 1 Nr 1, § 8a SGB IV beträgt das zulässige Gesamteinkommen 400 Euro.

17

b) Einer Familienversicherung des Klägers im streitigen Zeitraum steht sein zeitgleicher Bezug von Alg II nicht entgegen, weil dadurch keine eigene Versicherungspflicht iS von § 10 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V begründet wurde.

18

Im Gegensatz zu anderen Versicherungspflichttatbeständen wird die Versicherungspflicht als Alg II-Bezieher nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V bzw § 2 Abs 1 Nr 6 KVLG 1989 in den Ausschlussgründen für eine Familienversicherung nach § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 iVm § 10 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V nicht genannt. Dies führt de lege lata (ausnahmsweise) zu einem Vorrang der Familienversicherung vor dem Versicherungspflichttatbestand als Bezieher von Alg II (vgl Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz BT-Drucks 18/1307 S 32 zu Art 1 Zu Nr 1 <§ 5> Zu Buchst a; Just in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl 2014, § 10 RdNr 8; Peters in Kasseler Komm, Stand 81. EL 2014, § 10 SGB V RdNr 10; Wiegand in Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2013, § 10 RdNr 52; eine Änderung der Rechtslage erfolgt erst ab 1.1.2016 durch Art 1 Nr 1 Buchst a aa GKV-FQWG vom 21.7.2014, BGBl I 1133).

19

Indessen kann den vorliegend anzuwendenden gesetzlichen Regelungen nicht entnommen werden, welcher von beiden Ehegatten bei einem gemeinsamen Bezug von Alg II nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V bzw § 2 Abs 1 Nr 6 KVLG 1989 versicherungspflichtiges Mitglied und welcher familienversichert ist. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung des Senats, ob der nach § 38 S 2 SGB II Empfangsbevollmächtigte einer Bedarfsgemeinschaft - hier die Beigeladene - stets als versicherungspflichtig anzusehen ist oder ob die Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft insoweit ein Wahlrecht haben(im letztgenannten Sinne Spitzenverbände der Krankenkassen und Bundesagentur für Arbeit in einem Gemeinsamen Rundschreiben vom 26.1.2007 "Versicherungs-, Beitrags- und Melderecht der Bezieher von Alg II" S 17; zustimmend Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: 02/13, K § 5 RdNr 212b). Jedenfalls gehen die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits übereinstimmend von einer Versicherungspflicht und einer Mitgliedschaft der Beigeladenen bei der Beklagten in der KVdL aus. Eine abweichende Wahl haben der Kläger und seine Ehefrau nach den ausdrücklichen Feststellungen des LSG nicht getroffen.

20

c) Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die zum 1.10.1972 erfolgte Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der KVdL nicht iS von § 10 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB V iVm § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 seiner Familienversicherung im streitigen Zeitraum entgegenstand.

21

aa) Im Gegensatz zur Auffassung des LSG beruht dieses Ergebnis allerdings nicht schon auf einer (immanenten) Begrenzung der Wirkung einer Befreiung auf Versicherungspflichttatbestände, die bei Erteilung der Befreiung bereits existierten. Wie das LSG nämlich selbst zu Recht angenommen hat, kam beim Kläger die erst mit Wirkung zum 1.1.2005 (Gesetz vom 24.12.2003, BGBl I 2954) neu geschaffene Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Alg II im streitigen Zeitraum gerade nicht zum Tragen. Im Ergebnis würde eine derartige Begründung dazu führen, dass jedwede Änderung in den Versicherungspflichttatbeständen des SGB V bzw des KVLG 1989 - losgelöst von ihrer Relevanz in einem konkreten Einzelfall - zu einer Einschränkung der Wirkung einer einmal ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht führen würde. Dieses Ergebnis lässt sich aber mit den gesetzlichen Regelungen, insbesondere zur fortbestehenden Wirkung einer ausgesprochenen Befreiung in § 59 Abs 1 S 1 KVLG 1989, nur schwer in Einklang bringen.

22

bb) Die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bzw KVdL einer Familienversicherung entgegensteht, erfordert nach den allgemeinen, auch in anderen sozialrechtlichen Regelungsbereichen geltenden, und auch der Rechtsprechung des Senats zugrundeliegenden Grundsätzen vielmehr eine jeweils tatbestandsbezogene Betrachtung der individuellen versicherungsrechtlichen Situation (vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 8 Nr 3 RdNr 17 mwN; vgl auch zur gebotenen Anknüpfung an das konkrete Beschäftigungsverhältnis im Rahmen einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9; BSG SozR 4-2600 § 231 Nr 5; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand 84. EL 2014, § 10 SGB V RdNr 31). Der hier in Frage kommende Ausschlussgrund kann mit Blick auf diese Rechtsprechung nur so verstanden werden, dass eine Familienversicherung (nur) dann nicht zustande kommt, wenn eine an sich in dem jeweils relevanten Zeitraum bestehende Versicherungspflicht nur deshalb nicht zu einer eigenen Versicherung des Betroffenen führt, weil er von der Versicherungspflicht befreit ist. Hierfür sprechen der Wortlaut der Vorschrift, systematische Zusammenhänge sowie Sinn und Zweck der Regelung.

23

(1) § 10 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB V knüpft an den aktuellen Zustand und nicht an einen in der Vergangenheit liegenden Umstand einer "früheren" Befreiung an, indem die Formulierung "befreit sind" und nicht zB die Formulierung "befreit wurden" verwendet wird.

24

(2) Auch systematische Gründe sprechen für eine tatbestandsbezogene Sicht der individuellen versicherungsrechtlichen Situation: Das Zustandekommen einer Familienversicherung ist - anders als zB eine freiwillige Versicherung in der GKV nach § 9 SGB V bzw in der KVdL nach § 6 KVLG 1989 - grundsätzlich nicht von der Erfüllung bestimmter Vorversicherungszeiten oder einer früheren Versicherung in der GKV oder KVdL abhängig. Etwas anderes gilt seit der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) geschaffenen Regelung in § 10 Abs 1 S 4 SGB V(früher § 10 Abs 1 S 3 SGB V) nur für das Zustandekommen einer Familienversicherung während der Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz sowie der Elternzeit. Danach sind Betroffene während dieser Zeiten nicht (familien)versichert, wenn sie "zuvor" nicht gesetzlich krankenversichert waren. Diese gesetzliche Konzeption bestätigt zum einen, dass der Gesetzgeber entsprechend der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG SozR 3-2500 § 257 Nr 1 S 5) davon ausgeht, dass eine vorangegangene Versicherung in der GKV nur dann (weitere) Voraussetzung für das Zustandekommen einer Familienversicherung ist, wenn dies ausdrücklich gesetzlich so geregelt ist. Zum anderen bestätigt die Konzeption, dass es auf die individuelle aktuelle versicherungsrechtliche Situation des Betroffenen ankommt ("für die Dauer der Schutzfristen"; vgl zur Frage eines Fortwirkens von Versicherungsfreiheit im Falle des fehlenden Entgeltbezugs BSGE 72, 292, 996 = SozR 3-2500 § 10 Nr 2 S 6).

25

(3) Sinn und Zweck der Familienversicherung und ihres Ausschlusses im Falle der Befreiung von der Versicherungspflicht bestätigen dieses Ergebnis: In der beitragsfreien Familienversicherung liegt ein Element des sozialen Ausgleichs (Familienlastenausgleich), das die "soziale" Krankenversicherung prägt (Peters in Kasseler Komm, aaO, § 10 SGB V RdNr 2). Die Familienversicherung soll insbesondere (nur) für solche Angehörige nicht eingreifen, "die ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens von der Versicherung ausgeschlossen sind, weil sie nicht zu dem von der GKV geschützten Personenkreis gehören und auch nicht als Familienversicherter einbezogen werden sollen" (so Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum GRG, BT-Drucks 11/2237 S 161 zu § 10 Zu Abs 1 bis 4). Zwar klingt in der Gesetzesbegründung zur Schaffung der heute in § 10 Abs 1 S 4 SGB V enthaltenen Regelung der Gedanke einer Stärkung des Solidarprinzips in der GKV durch den Ausschluss von der Familienversicherung von zuvor privat versicherten Personen an(Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000, BT-Drucks 14/1245 S 61). Der Gesetzesgeber hat diesen Aspekt aber nicht zu einer allgemein gültigen Voraussetzung des Zugangs zur Familienversicherung gemacht (vgl dazu oben 3. c bb <2>).

26

cc) Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf § 94 KVLG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BSG berufen.

27

(1) § 94 Abs 1 KVLG hatte als Übergangsvorschrift nur das Ziel, bei einer bei Inkrafttreten des KVLG schon bestehenden (privaten) Absicherung gegen das Risiko der Krankheit eine Befreiung von der durch das KVLG angeordneten Versicherungspflicht zu gewähren. Die Vorschrift sollte die Beibehaltung des privaten Versicherungsschutzes ermöglichen und "insoweit" klare Verhältnisse schaffen (so Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung , BT-Drucks VI/3012 S 38 zu § 78). Die von der Beklagten der Vorschrift beigemessene Bedeutung als lebenslange "Systementscheidung" kann Wortlaut, Systematik und Historie der insoweit einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht entnommen werden.

28

(2) Dies gilt auch vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der 11. Senat des BSG hat zwar mit Urteil vom 4.2.1977 entschieden, dass sich in der Zusammenschau der Befreiungstatbestände in § 94 und § 4 KVLG eine aufgrund § 94 KVLG ausgesprochene Befreiung auf alle Versicherungspflichttatbestände nach § 2 KVLG beziehen muss, auch auf erst später eintretende Versicherungspflichten "nach dieser Vorschrift"(BSGE 43, 194, Leitsatz und 195 ff = SozR 5420 § 4 Nr 1). Dieses Ergebnis wurde seinerzeit daraus abgeleitet, dass sich eine Befreiung nach § 4 KVLG zwar nur auf die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG beziehe, die Regelung über die Gewährung eines Beitragszuschusses für die danach befreiten Personen in Abs 3 der Vorschrift aber praktisch leerliefe, müsste bei Verwirklichung eines neuen Versicherungspflichttatbestands, insbesondere nach § 2 Abs 1 Nr 4 oder 5 KVLG, erneut eine Befreiung von der Versicherungspflicht beantragt werden. Für die Befreiung nach § 94 KVLG könne - so das BSG - demzufolge nichts anderes gelten, zumal sich die dort geregelte Befreiung von vornherein auf jeden der in § 2 Abs 1 KVLG genannten Versicherungsgründe beziehe.

29

Es kann offenbleiben, inwieweit diese noch zum KVLG ergangene Rechtsprechung auch unter dem Blickwinkel der in § 59 Abs 1 KVLG 1989 angeordneten Unwiderruflichkeit einer nach § 4, § 94 Abs 1 KVLG erfolgten Befreiung auf das KVLG 1989 übertragbar ist. Hieran bestehen Zweifel, weil es sich bei § 94 KVLG lediglich um eine Übergangsvorschrift handelt(s bereits oben 3. c bb 3 cc <1>). Die Beklagte kann sich jedenfalls schon deshalb nicht mit Erfolg auf diese Rechtsprechung berufen, weil der vorliegende Rechtsstreit nicht die Frage des Bestehens von Versicherungspflicht des Klägers in der KVdL betrifft, sondern "nur" das Vorliegen einer über die in der KVdL versicherungspflichtige Beigeladene vermittelten Familienversicherung des Klägers nach § 10 SGB V iVm § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 zum Gegenstand hat.

30

dd) Ein der gegenteiligen Auffassung der Beklagten zugrunde liegende allgemeiner sanktionsähnlicher Perpetuierungsgedanke einer einmal erfolgten Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdL findet im geltenden Recht ebenfalls keinen Niederschlag.

31

Dagegen, dass eine früher unterbliebene Befreiung von der Versicherungspflicht (trotz entsprechender Möglichkeit) bzw das Festhalten an einer zuvor bestehenden Versicherung in der GKV bzw in der KVdL ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für das Zustandekommen einer Familienversicherung ist, spricht bereits, dass der Gesetzgeber in § 10 Abs 1 S 4 SGB V eine frühere Versicherung in der GKV nicht allgemein zu einer Voraussetzung dafür gemacht hat, sondern nur in bestimmten Fällen(vgl dazu erneut oben 3. c bb <2>). Auch kann den Regelungen über die Befreiung von der Versicherungspflicht und den veröffentlichten Motiven in den Gesetzesmaterialien dazu nicht entnommen werden, dass der Betroffene hierdurch letztlich eine weitreichende und nicht mehr zu revidierende, sondern lebenslang geltende Entscheidung gegen das Zustandekommen einer Familienversicherung in der GKV bzw der KVdL traf.

32

Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2011 (L 1 KR 175/10 - Juris) berufen. Im dort entschiedenen Fall hatte sich der als Rentner krankenversicherungspflichtige Kläger von der Versicherungspflicht befreien lassen, um auf diese Weise erneut in die zuvor bestehende Familienversicherung zu gelangen. Dieser Sachverhalt ist mit dem vorliegenden schon deshalb nicht vergleichbar, weil dort eine im relevanten Zeitraum an sich bestehende Versicherungspflicht (als Rentner) nur deshalb nicht zum Tragen kam, weil der Betroffene von dieser Versicherungspflicht befreit war; demgegenüber bestand im vorliegenden Fall im streitigen Zeitraum überhaupt keine Versicherungspflicht des Klägers in der KVdL bzw in der GKV, von der er sich zur Erlangung kostenfreien Krankenversicherungsschutzes mittels Familienversicherung hätte befreien lassen können, insbesondere - wie dargestellt - nicht über den Alg II-Bezug.

33

ee) Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten rechtfertigen auch Besonderheiten der KVdL kein abweichendes Ergebnis. Im Gegenteil muss bereits aus der undifferenzierten und umfassenden Verweisung des § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 auf die maßgebenden Regelungen der Familienversicherung nach § 10 SGB V der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber gerade einen Gleichklang der jeweiligen Regelungen in den Krankenversicherungssystemen erreichen wollte. Der pauschale Hinweis auf die Besonderheiten der KVdL als ein besonderes Ordnungssystem (vgl BSGE 41, 157, 159 = SozR 5420 § 2 Nr 2 S 3; BSGE 43, 194, 197 = SozR 5420 § 4 Nr 1 S 2) ist bei dieser für den Teilbereich der Familienversicherung angewandten Regelungstechnik des Gesetzgebers nicht geeignet, aus nicht in den Gesetzestext eingegangenen übergeordneten Erwägungen wiederum ein dem Regelungsziel entgegenstehendes Resultat herbeizuführen.

34

d) Das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer Familienversicherung nach § 10 SGB V iVm § 7 Abs 1 S 1 KVLG 1989 ist zwischen den Beteiligten außer Streit. Nach alledem war der Kläger daher im streitigen Zeitraum vom 31.8.2007 bis 6.4.2009 vermittelt über die Pflichtversicherung der Beigeladenen in der KVdL bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten familienversichert.

35

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

(1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muß ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muß in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden.

(2) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

Gründe

1

Das konkrete Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nach dem seit dem 1. Januar 2005 geltenden Arbeitsförderungsrecht Zeiten, in denen Mütter wegen mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen haben, bei der Bestimmung des Bemessungsentgelts, nach dem sich die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet, nicht unmittelbar berücksichtigt werden. Unmittelbarer Gegenstand der Vorlage ist § 130 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848) und seine Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 4 GG.

I.

2

1. a) Das Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz - MuSchG) vom 24. Januar 1952 (BGBl I S. 69) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juni 2002 (BGBl I S. 2318) regelt den Schutz von Schwangeren und Müttern nach der Geburt, soweit diese in einem Arbeitsverhältnis stehen (vgl. § 1 Nr. 1 MuSchG). Neben einem Kündigungsverbot für Schwangere und Mütter bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Geburt (§ 9 MuSchG) sieht es insbesondere nach Maßgabe von § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 MuSchG allgemeine Beschäftigungsverbote vor. Danach steht Arbeitnehmerinnen, die ein Kind zur Welt bringen, eine Mutterschutzzeit von mindestens 14 Wochen zu, die gegen ihren Willen nicht verkürzt werden kann.

3

Während der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG sowie für den Entbindungstag erhalten Arbeitnehmerinnen, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, zunächst Mutterschaftsgeld in Höhe des in den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor Beginn der Schutzfrist durchschnittlich bezogenen Nettolohns, höchstens jedoch 13 Euro pro Kalendertag (vgl. § 13 Abs. 1 MuSchG i.V.m. § 200 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 Reichsversicherungsordnung - RVO). Soweit das durchschnittliche kalendertägliche Nettoarbeitsentgelt 13 Euro übersteigt, erhalten sie darüber hinaus nach Maßgabe von § 14 Abs. 1 MuSchG den Differenzbetrag als Zuschuss zum Mutterschaftsgeld von ihrem Arbeitgeber.

4

Diesen Zuschuss bekommen auch solche Arbeitnehmerinnen, die zum Beispiel wegen des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 und 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Zusätzlich steht diesen Arbeitnehmerinnen nach § 13 Abs. 2 MuSchG ein Mutterschaftsgeld zu Lasten des Bundes zu, das jedoch auf einen Gesamtbetrag von 210 Euro beschränkt ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 24. November 1983 - 3 RK 41/82 -, juris, Rn. 12 ff.; Urteil vom 12. März 1985 - 3 RK 55/84 -, juris, Rn. 8 f. und BVerfG, Beschluss des Dreier-Ausschusses vom 16. November 1984 - 1 BvR 142/84 -, SozR 7830 § 13 MuSchG Nr. 6).

5

Im Arbeitsförderungsrecht werden Mutterschutzzeiten, vor allem wenn durch sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III unterbrochen wird, für die Erfüllung der Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (vgl. hierzu § 123 SGB III) unmittelbar berücksichtigt, das heißt sie wirken unmittelbar anwartschaftsbegründend. Eingeführt durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S. 3443) besteht seit dem 1. Januar 2003 nach Maßgabe von § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III (nunmehr gültig in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. November 2004, BGBl I S. 2902) während des Bezugs von Mutterschaftsgeld ein Versicherungspflichtverhältnis im Sinne von § 123 Abs. 1 SGB III, während dessen Beiträge zur Arbeitsförderung auf ein Arbeitsentgelt in Höhe des Mutterschaftsgeldes erhoben und von den Leistungsträgern (Bund oder Krankenkassen) getragen werden (vgl. § 345 Nr. 7, § 347 Nr. 8 SGB III). Davor stand im Ergebnis seit dem 1. Juli 1979 die Zeit des Bezugs von Mutterschaftsgeld der Zeit einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich, ohne dass der Bezug von Mutterschaftsgeld selbst Versicherungs- oder Beitragspflicht auslöste (vgl. zum Ganzen BVerfGE 115, 259 <261 ff., 275 f.> und § 427a Abs. 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen vom 19. April 2007, BGBl I S. 538; zur früheren Rechtslage vgl. BVerfGE 60, 68 <69 f.>).

6

b) aa) Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist in den §§ 129 ff. SGB III geregelt. Die Grundsätze der Bemessung des Arbeitslosengeldes enthält § 129 SGB III (seit dem 1. August 2001 gültig in der Fassung des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001, BGBl I S. 266). Das Arbeitslosengeld beträgt danach

7

1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuer-gesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbe-schränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz),

8

2. für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz)

9

des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

10

bb) Durch Art. 1 Nr. 71 und 72 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848) ist mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 (Art. 124 Abs. 3 dieses Gesetzes) das Recht der Bestimmung des Bemessungsentgelts reformiert worden (zum früheren Recht siehe BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2010 - 1 BvL 11/07 -, juris, Rn. 6 ff.).

11

Die hier maßgebenden Regelungen des SGB III erhielten folgenden Wortlaut:

12

§ 130

13

Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen

14

(1) Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs.

15

(2) Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bleiben außer Betracht

16

17

3. Zeiten, in denen der Arbeitslose Elterngeld bezogen oder Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war,

18

19

(3) Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn

20

1. der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder

21

22

§ 131

23

Bemessungsentgelt

24

(1) Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.

25

26

§ 132

27

Fiktive Bemessung

28

(1) Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.

29

(2) Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die

30

1. eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße,

31

2. einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße,

32

3. eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße,

33

4. keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße.

34

Die Bezugsgröße im Sinne der Vorschriften für die Sozialversicherung wird in § 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) definiert und durch eine auf der Grundlage von § 17 Abs. 2 SGB IV erlassene Rechtsverordnung (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung) im Voraus für jedes Kalenderjahr für die alten Bundesländer einerseits und das Beitrittsgebiet andererseits (Bezugsgröße Ost, § 18 Abs. 2 SGB IV) bestimmt.

35

Ausgangspunkt für die Bestimmung des Bemessungsentgelts ist nach diesen Vorschriften zunächst der allein kalendermäßig festzulegende Bemessungsrahmen, der gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III ausgehend von dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zunächst für die Dauer eines Jahres zurück zu rechnen ist. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist dann der Bemessungszeitraum zu bestimmen, der sich nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III nur aus den abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträumen der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III zusammen setzt. Anders als bei der Bestimmung des Zeitpunkts, von dem ab der Bemessungsrahmen zurückzurechnen ist, bleiben sonstige Versicherungspflichtverhältnisse im Sinne von § 26 SGB III bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums also unberücksichtigt (vgl. BTDrucks 15/1515, S. 85). Unberücksichtigt bleibt damit auch ein Versicherungspflichtverhältnis wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegt während der Mutterschutzfristen auch keine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt im Sinne der Legaldefinition der versicherungspflichtigen Beschäftigung in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor, weil es sich weder beim Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG noch beim Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG um Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne handelt (vgl. BSGE 72, 177 <182>; BSG, Urteil vom 20. März 1980 - 7 RAr 89/78 -, juris, Rn. 14; BSG, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 20/01 R -, juris, Rn. 14).

36

Aus den abgerechneten Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, die den Bemessungszeitraum bilden, ist dann gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt pro Tag zu errechnen, indem das gesamte auf den Bemessungszeitraum entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt durch die Summe der Kalendertage in den maßgeblichen Entgeltabrechnungszeiträumen, an denen Arbeitsentgelt erzielt worden ist, geteilt wird (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 131 Rn. 23 ).

37

Wie sich aus § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III ergibt, müssen die abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen allerdings mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten. Ist dies nicht der Fall, verlängert sich der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre. Können auch innerhalb dieses erweiterten Bemessungsrahmens nicht mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis festgestellt werden, kommt gemäß § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Bemessungsentgelt zur Anwendung. Die Bestimmung des Bemessungsentgelts löst sich damit von dem individuellen Bruttoverdienst, den der Arbeitslose zuletzt in seinem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tatsächlich erzielt hat. An seine Stelle tritt ein fiktives Arbeitsentgelt im Sinne eines pauschalen Durchschnittsverdienstes, von dem der Gesetzgeber annimmt, dass ihn der Arbeitslose gegenwärtig erzielen könnte, wenn er in eine Beschäftigung vermittelt würde, auf die sich die Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung entsprechend der Qualifikation des Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken haben (vgl. BTDrucks 15/1515, S. 85 f.). Der Ansatz eines fiktiven Bemessungsentgelts führt häufig, aber nicht immer zu einem niedrigeren Arbeitslosengeld, als es sich nach dem in der Vergangenheit zuletzt erzielten Lohn ergäbe (vgl. BSGE 100, 295 <306 Rn. 43>; BSG, Urteil vom 29. Mai 2008 - B 11a/7a AL 64/06 R -, juris, Rn. 41; Urteil vom 21. Juli 2009 - B 7 AL 23/08 R -, juris, Rn. 29; siehe auch BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 - B 11 AL 42/08 R -, juris, Rn. 14 ff.; Urteil vom 18. Mai 2010 - B 7 AL 49/08 R -, juris, Rn. 15 ff.).

38

Das Abstellen auf den zuletzt erzielten Bruttolohn kann insbesondere in Fällen zu unbilligen Ergebnissen führen, in denen das Arbeitsentgelt gegenüber dem ursprünglich vertraglich vereinbarten Lohn herabgesetzt wurde, zum Beispiel wenn innerhalb des Bemessungsrahmens wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit von einer Vollzeit- in eine Teilzeittätigkeit gewechselt wurde. Insoweit gilt § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III, wonach Zeiten, in denen der Arbeitslose zum Beispiel ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat, bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war. Es ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt, dass § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III lediglich bewirkt, dass die genannten Zeiten so behandelt werden, als handele es sich nicht um Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Sie können demgegenüber in keinem Fall dazu führen, dass sich auch der Bemessungsrahmen über die maximale Dauer von zwei Jahren (vgl. § 130 Abs. 3 Satz 1, § 132 Abs. 1 SGB III) hinaus verlängert (vgl. BSGE 100, 295 <299 ff. Rn. 22 ff.>; BSG, Urteil vom 29. Mai 2008 - B 11a/7a AL 64/06 R -, juris, Rn. 27 ff.; Urteil vom 6. Mai 2009 - B 11 AL 7/08 R -, juris, Rn. 21 ff.; Urteil vom 16. Dezember 2009 - B 7 AL 39/08 R -, juris, Rn. 15). Hatte der oder die Arbeitslose auch im erweiterten Bemessungsrahmen von zwei Jahren nicht wenigstens für die Dauer von 150 Tagen Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer Vollzeittätigkeit, kann § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III mithin dazu führen, dass nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt zugrunde zu legen ist. Da es sich allerdings bei den Regelungen des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB III um Vorschriften handelt, die den Arbeitslosen begünstigen sollen, kann nach überwiegend vertretener Auffassung im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschrift abweichend vom Gesetzeswortlaut das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt während einer im Bemessungsrahmen ausgeübten Teilzeittätigkeit zugrunde gelegt werden, wenn dies für den Arbeitslosen günstiger ist als der an sich nach § 132 Abs. 1 SGB III vorgegebene Ansatz eines fiktiven Bemessungsentgelts (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. September 2008 - L 3 AL 4581/06 -, juris, Rn. 27; Rolfs, in: Gagel, SGB III, § 130 Rn. 43 ; Behrend, in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 Rn. 61 ; in der Tendenz ebenso, aber die Entscheidung letztlich offen lassend auch BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 - B 11 AL 7/08 R -, juris, Rn. 18 ff.; Urteil vom 16. Dezember 2009 - B 7 AL 39/08 R -, juris, Rn. 16 f.).

39

2. Die 1972 geborene, verheiratete Klägerin des Ausgangsverfahrens ist Volljuristin und befand sich seit dem 1. Juli 2000 in einem Arbeitsverhältnis als Unternehmensjuristin. Das arbeitsvertraglich vereinbarte Entgelt betrug zuletzt 4.700 Euro brutto monatlich. Bis zum 21. März 2004 arbeitete sie Vollzeit (40 Stunden/Woche). Vom 22. März 2004 bis 29. Juni 2004 befand sie sich im Mutterschutz. Am 4. Mai 2004 wurde ihr Sohn geboren. Im Anschluss an den Mutterschutz nahm sie Elternzeit in Anspruch. Während der Elternzeit arbeitete sie ab dem 1. August 2004 in Teilzeit (20 Stunden/Woche) mit einem monatlichen Bruttogehalt von 2.431,33 Euro. Zum 31. Dezember 2005 wurde ihr Arbeitsverhältnis wegen Insolvenz des Arbeitgebers aufgelöst, woraufhin sie sich mit Wirkung zum 1. Januar 2006 arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld beantragte. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie privat krankenversichert.

40

Mit Bescheid vom 13. Januar 2006 bewilligte die Beklagte des Ausgangsverfahrens Arbeitslosengeld in Höhe von 29,62 Euro/Tag (= 888,60 Euro/Monat) ab dem 1. Januar 2006 für die Dauer von 360 Tagen. Der Berechnung legte sie ein Bemessungsentgelt von 98 Euro/Tag zugrunde, ermittelte hieraus unter Berücksichtigung der für das Jahr 2006 eingetragenen Lohnsteuerklasse V ein Leistungsentgelt von 44,21 Euro/Tag und ging von einem Leistungssatz von 67 % aus.

41

Mit ihrer nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage begehrt die Klägerin des Ausgangsverfahrens ein höheres Arbeitslosengeld durch Ansatz eines höheren Bemessungsentgelts. Sie macht mit ihrem Hauptantrag geltend, dass die Elternzeit bei der Bestimmung des Bemessungsrahmens ebenso unberücksichtigt bleiben müsse wie gemäß § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums. In ihrem Fall müsse der (einjährige) Bemessungsrahmen deshalb auf den Zeitraum vom 29. Juni 2004 (letzter Tag vor Beginn der Elternzeit) bis zum 30. Juni 2003 verschoben werden. In diesem Zeitrahmen seien als Bemessungszeitraum nicht nur die Zeiten der Vollzeittätigkeit mit einem Bruttoarbeitsentgelt von 4.700 Euro, sondern auch die Mutterschutzzeiten mit dem vom Arbeitgeber gezahlten Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG zu berücksichtigen, da es sich auch hierbei um Arbeitsentgelt handele. Hilfsweise (Hilfsantrag zu 1) beantragte sie, das Bemessungsentgelt aus dem im Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 29. Juni 2004 bezogenen Arbeitsentgelt und dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu ermitteln. Für den Fall, dass das Gericht der Auffassung sei, dass der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nicht als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen sei, beantragte sie äußerst hilfsweise (Hilfsantrag zu 2), die fehlenden Tage bis zum Erreichen der notwendigen 150 Tage mit dem fiktiven Arbeitsentgelt (98 Euro pro Kalendertag) aufzufüllen.

42

Nach einer im Auftrag des vorlegenden Gerichts angefertigten Probeberechnung der Beklagten des Ausgangsverfahrens wäre ausgehend von einem monatlichen Bruttogehalt von 4.700 Euro über ein ganzes Jahr (365 Tage) ein Bemessungsentgelt von 154,52 Euro/Tag anzusetzen. Bei Berücksichtigung des während der Elternzeit bezogenen Entgelts aus der Teilzeittätigkeit ergäbe sich demgegenüber ein Bemessungsentgelt von 80,07 Euro/Tag.

43

3. Mit Beschluss vom 23. Juli 2007 hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Aachen das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt,

44

ob § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der Fassung des Artikels 1 Nr. 71 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mit Artikel 6 Abs. 4 Grundgesetz vereinbar ist, soweit der Bemessungszeitraum nicht die Zeit des Mutterschutzes umfasst.

45

a) Das Sozialgericht hat zunächst dargelegt, dass die Klage vollständig abzuweisen wäre, wenn § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III gültig wäre, weil die Beklagte des Ausgangsverfahrens nach der geltenden Rechtslage das der Klägerin des Ausgangsverfahrens zustehende Arbeitslosengeld zutreffend berechnet habe.

46

Der zunächst anzusetzende Bemessungsrahmen von einem Jahr umfasse die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005, während dessen die Klägerin des Ausgangsverfahrens in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mit einer auf 20 Wochenstunden geminderten Arbeitszeit gestanden habe. Die in diesen Zeitraum fallenden abgerechneten Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt könnten allerdings nicht berücksichtigt werden, da sie nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben müssten. Die Frage, ob eine teleologische Reduktion der Vorschrift in den Fällen zu erfolgen habe, in denen die Anwendung von § 130 Abs. 2 SGB III zu einer für den Arbeitslosen ungünstigen Berechnung führe, könne hier offen bleiben, da das Bemessungsentgelt unter Berücksichtigung des während der Elternzeit erzielten Entgelts niedriger wäre als das von der Beklagten des Ausgangsverfahrens angesetzte fiktive Arbeitsentgelt nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III. § 130 Abs. 2 SGB III führe auch nicht zu einer Ausdehnung des Bemessungsrahmens, der rein kalendermäßig ablaufe.

47

Weil somit ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 (berücksichtigungsfähigen) Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht vorliege, sei der Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2005 zu erweitern. Innerhalb dieses erweiterten Bemessungszeitraums ließen sich aber nur 81 Tage mit zu berücksichtigendem Arbeitsentgelt aus versicherungspflichtiger Beschäftigung feststellen, nämlich der Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 21. März 2004, in dem die Klägerin des Ausgangsverfahrens Vollzeit gearbeitet habe. Die Zeit des Mutterschutzes vom 22. März 2004 bis zum 29. Juni 2004 könne nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung bewertet werden.

48

Mithin habe nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden müssen. Im Hinblick auf die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens absolvierte Hochschulausbildung habe die Beklagte des Ausgangsverfahrens nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III zutreffend ein Bemessungsentgelt von 98 Euro/Tag ermittelt. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung der maßgeblichen Lohnsteuerklasse zu Beginn des Jahres 2006 ein Leistungsentgelt von 44,21 Euro. Der erhöhte Leistungssatz von 67 % betrage dann 29,62 Euro.

49

b) Dieses Ergebnis - eine fiktive Bemessung des Arbeitsentgelts allein wegen des Mutterschutzes bei vorausgehender versicherungspflichtiger Beschäftigung - verstößt nach Auffassung des Sozialgerichts gegen Art. 6 Abs. 4 GG. Zur Begründung führt es unter Bezugnahme und Wiedergabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 - 1 BvL 10/01 -, BVerfGE 115, 259 <271 f.>, aus:

50

Nach Art. 6 Abs. 4 GG habe jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates. Daraus ergebe sich der bindende Auftrag an den Gesetzgeber, jeder Mutter Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft zukommen zu lassen. Er verpflichte den Gesetzgeber grundsätzlich auch, wirtschaftliche Belastungen der Mutter, die im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und Mutterschaft stehen, auszugleichen. Insoweit schütze Art. 6 Abs. 4 GG die Mutter in vergleichbarer Weise wie Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie. Dies gelte auch für das Gebiet der sozialen Sicherheit. Der Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG bedeute zwar nicht, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, dem Förderungsgebot ohne Rücksicht auf sonstige Belange nachzukommen. Untersage er aber, wie in § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG, der Frau für eine bestimmte Zeit vor und nach der Geburt eines Kindes die Fortsetzung oder Wiederaufnahme ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung, so sei er gehalten, die sich aus diesem Verbot unmittelbar ergebenden sozialrechtlichen Nachteile soweit wie möglich auszugleichen. Dazu gehöre auch der sozialversicherungsrechtliche Schutz im Falle der Arbeitslosigkeit. Grundsätzlich könne der Gesetzgeber frei entscheiden, wie er die ihm durch Art. 6 Abs. 4 GG auferlegte Förderung ausgestalten wolle. Sei er zum Schutz der Mutter gesetzgeberisch tätig geworden, indem er durch Beschäftigungsverbote der werdenden Mutter und dem Kind Schutz biete, so habe er damit jedoch eine Vorfestlegung getroffen und seinen weiteren Handlungsspielraum eingeschränkt. Der mit den Beschäftigungsverboten angestrebte Schutz bleibe, gemessen an Art. 6 Abs. 4 GG, unvollständig, wenn er nicht von Maßnahmen begleitet werde, die die sich daraus ergebende Benachteiligung der Mutter soweit wie möglich ausglichen.

51

Diesen Anforderungen entspreche der Gesetzgeber mit § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III insoweit nicht, als im Bemessungszeitraum die Zeit des Mutterschutzes bei Frauen, bei denen der Mutterschutz eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbreche, nicht berücksichtigt werden könne. Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 GG, denn dadurch erlitten Mütter einen sozialrechtlichen Nachteil, der Nichtmüttern nicht entstehe. Diesen sei es weiterhin möglich, ein Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu erzielen, während dies für Mütter aufgrund des Beschäftigungsverbotes ausgeschlossen sei. Damit würden Mütter gegenüber Arbeitnehmerinnen benachteiligt, für die kein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG bestehe. Diese Benachteiligung führe auch zu einem sozialrechtlichen Nachteil, sofern sich allein dadurch ein Bemessungszeitraum von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt im Sinn von "abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträumen der versicherungspflichtigen Beschäftigung" nicht feststellen lasse, es deshalb zu einer fiktiven Bemessung des Arbeitsentgelts komme und sich daraus ein niedrigeres Bemessungsentgelt ergebe als dies bei Berücksichtigung des vor dem Mutterschutz erzielten Arbeitsentgelts aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung der Fall gewesen wäre. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III sei in Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Gesamtzusammenhang der Norm und deren historischer Entwicklung nicht möglich.

52

c) Zur Entscheidungserheblichkeit des seiner Auffassung nach vorliegenden Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 4 GG führt das Sozialgericht sodann aus, erweise sich § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III als verfassungswidrig, soweit bei Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung die sich anschließende Zeit des Mutterschutzes bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums nicht berücksichtigt werden könne, sei der Kammer eine abschließende Entscheidung über den Hilfsantrag zu 1) nicht möglich. Denn mit diesem Antrag solle gerade die nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III von der Ermittlung des Bemessungszeitraums ausgeschlossene Zeit des Mutterschutzes einbezogen werden. Das Verfahren wäre deshalb bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber auszusetzen. Um den Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG zu erfüllen, werde der Gesetzgeber zwar gehalten sein, die Zeit des Mutterschutzes bei vorausgehender Beschäftigung im Rahmen der Ermittlung des Bemessungsentgelts zu berücksichtigen. Dies könne jedoch in unterschiedlicher Weise geschehen. Möglich wäre eine Regelung dahingehend, dass im Bemessungszeitraum auch Zeiten des Mutterschutzes bei vorausgehender versicherungspflichtiger Beschäftigung berücksichtigt werden können. Dann bedürfte es auch einer Regelung dazu, welches Entgelt für diese Zeit zugrunde zu legen wäre. Denkbar wäre auch, die Regelung hinsichtlich des Bemessungszeitraums zu belassen und stattdessen den zweijährigen Bemessungsrahmen um die Zeit des Mutterschutzes noch weiter zu verlängern. Es könnte aber auch eine Sonderregelung dahingehend getroffen werden, dass ein fiktives Arbeitsentgelt der Bemessung auch dann nicht zugrunde zu legen ist, wenn die Zeit des Mutterschutzes zusammen mit einer vorausgehenden versicherungspflichtigen Beschäftigung 150 Tage im Bemessungszeitraum ergebe.

II.

53

Die Vorlage ist unzulässig.

54

1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 <76>). Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht in den Gründen seiner Entscheidung ausführen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist.

55

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt ein Vorlagebeschluss dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur, wenn ihm zum Einen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 105, 61 <67>; stRspr). Zum Anderen muss das vorlegende Gericht die für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar und erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <78>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>). Es muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist. Dabei muss es sich intensiv mit der einfachen Rechtslage auseinandersetzen, auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen und die in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen ebenso verarbeiten wie die Entstehungsgeschichte der betreffenden Norm (vgl. BVerfGE 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 80, 96 <100>; 86, 52 <57>; 86, 71 <77 f.>; 89, 329 <337>; 92, 277 <312>; 105, 48 <56>).

56

2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht. Obwohl das vorlegende Gericht die vom Bundesverfassungsgericht insbesondere in dem Beschluss des Ersten Senats vom 28. März 2006 - 1 BvL 10/01 -, BVerfGE 115, 259 <271 f.>, entwickelten Grundsätze zutreffend wiedergegeben hat, hat es seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der allein vorgelegten Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BVerfGG entsprechend dargelegt.

57

a) Das tragende Argument, mit dem das vorlegende Gericht einen Verstoß des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegen Art. 6 Abs. 4 GG begründet, ist nicht schlüssig.

58

aa) Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts verstößt § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III deshalb gegen Art. 6 Abs. 4 GG, weil der Bemessungszeitraum nicht auch Mutterschutzzeiten umfasse und es deshalb, wie auch im vorliegenden Fall, "allein wegen des Mutterschutzes" zu einer fiktiven Bemessung komme. Diese Erwägung ist in der Argumentation des vorlegenden Gerichts tragend. So stellt es bereits eingangs seiner verfassungsrechtlichen Erörterungen fest, die "fiktive Bemessung des Arbeitsentgelts allein wegen des Mutterschutzes bei vorausgehender versicherungspflichtiger Beschäftigung" verstoße gegen Art. 6 Abs. 4 GG. An späterer Stelle führt es aus, die Benachteiligung von Müttern, die während der Mutterschutzfristen kein Arbeitsentgelt erzielen könnten, gegenüber anderen Arbeitnehmern führe auch zu einem sozialrechtlichen Nachteil, sofern sich "allein dadurch" ein Bemessungszeitraum von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt im Sinne von abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträumen der versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht feststellen lasse, es deshalb zu einer fiktiven Bemessung des Arbeitsentgelts komme und sich daraus ein niedrigeres Bemessungsentgelt ergebe, als dies bei Berücksichtigung des vor dem Mutterschutz erzielten Arbeitsentgelts aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung der Fall gewesen wäre.

59

bb) Diese Argumentation ist bezogen auf den Ausgangsfall nicht schlüssig. Die im vorliegenden Fall einen Zeitraum von 100 Tagen umfassenden Mutterschutzzeiten nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG sind keinesfalls die alleinige und auch nicht die überwiegende Ursache dafür, dass für die Klägerin des Ausgangsverfahrens ein fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt anzusetzen ist. Vielmehr führen mehrere Faktoren zu diesem Ergebnis. Das vor dem Mutterschutz bezogene Arbeitsentgelt kann vor allem deshalb nicht als Bemessungsentgelt zugrunde gelegt werden, weil die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Anschluss an den gesetzlichen Mutterschutz Elternzeit in Anspruch genommen hat und vom 1. August 2004 bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2005 lediglich in Teilzeit beschäftigt war. Diese 1 Jahr und 5 Monate umfassende Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bleibt nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums grundsätzlich außer Betracht, mit der Folge, dass das erzielte Arbeitsentgelt grundsätzlich nicht als Bemessungsentgelt berücksichtigt wird, ohne dass sich zugleich der Bemessungsrahmen verlängert. Eine teleologische Reduktion des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III kommt vorliegend nicht in Betracht, weil das während der Teilzeitbeschäftigung tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt niedriger war als das fiktive Bemessungsentgelt nach § 132 SGB III. Hätte die Klägerin nach Ablauf der Mutterschutzzeit zumindest für die Dauer von 69 Tagen wieder eine Vollzeittätigkeit ausgeübt oder ihre Arbeitszeit in einem geringeren Maße reduziert und deshalb ein Bruttogehalt von mehr als 98 Euro/Tag erzielt, wäre es nicht zum Ansatz eines fiktiven Bemessungsentgelts gekommen.

60

Es sind also nicht allein die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG, die dazu führen, dass im Falle der Klägerin des Ausgangsverfahrens ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu legen ist. Diese sind für dieses Ergebnis allenfalls mitursächlich. Es trifft zwar zu, dass der vom vorlegenden Gericht festgestellte sozialrechtliche Nachteil (Ansatz eines gegenüber dem Arbeitsentgelt vor dem Mutterschutz geringeren fiktiven Bemessungsentgelts) vermieden würde, wenn durch die vom vorlegenden Gericht für notwendig erachteten ergänzenden Regelungen sichergestellt würde, dass als Bemessungsentgelt das vor dem Mutterschutz erzielte Arbeitsentgelt zugrunde zu legen wäre. Ausgehend von der Argumentation des vorlegenden Gerichts ist jedoch nicht plausibel, warum dies aufgrund von Art. 6 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten sein soll, denn die Klägerin des Ausgangsverfahrens hätte den sozialrechtlichen Nachteil, wie bereits ausgeführt, selbst dadurch vermeiden können, dass sie auf die (freiwillige) Inanspruchnahme von Elternzeit verzichtet oder ihre Arbeitszeit in einem geringeren Umfang reduziert hätte. Dass und warum es verfassungsrechtlich geboten sein könnte, aus der Inanspruchnahme von Elternzeit resultierende Nachteile hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes zu kompensieren (siehe dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2010 - 1 BvL 11/07 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2010 - 1 BvR 2909/08 -, juris), hat das vorlegende Gericht nicht diskutiert.

61

b) Das vorlegende Gericht hat auch nicht erörtert, ob und inwieweit die in dem Beschluss des Ersten Senats vom 28. März 2006 - 1 BvL 10/01 -, BVerfGE 115, 259 <271 f.> aufgestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragbar sind. Eine solche Erörterung wäre jedoch naheliegend gewesen, weil die genannte Entscheidung offensichtlich eine andere rechtliche Problematik zum Gegenstand hatte.

62

In dem BVerfGE 115, 259 ff. zugrunde liegenden Verfahren erlitt die Klägerin des Ausgangsverfahrens alleine durch die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote einen sozialrechtlichen Nachteil: Wegen einer vorangegangenen Arbeitslosigkeit standen ihr bis zur erneuten Arbeitslosigkeit lediglich 13 Monate in einem Arbeitsverhältnis zur Verfügung, um die Anwartschaftszeit für einen erneuten Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erfüllen (vgl. BVerfGE 115, 259 <263 f.>). Dies scheiterte nach dem im Zeitraum von 1998 bis 2002 zunächst geltenden Recht allein daran, dass sie für die Dauer der Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand und die Mutterschutzzeiten einem solchen auch nicht gleichstanden oder selbst ein Versicherungspflichtverhältnis aus sonstigem Grund begründeten. Der sozialrechtliche Nachteil war deshalb anders als im vorliegenden Ausgangsfall nicht zusätzlich oder sogar überwiegend auf die Inanspruchnahme von Elternzeit zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund hätte sich das vorlegende Gericht die Frage stellen müssen, ob es in seinem Fall auch um einen sich "unmittelbar" aus den mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten ergebenden sozialrechtlichen Nachteil ging. Nur solche sind nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "soweit wie möglich" auszugleichen (vgl. BVerfGE 115, 259 <271>).

63

Die Mutterschutzzeiten und ihre fehlende Berücksichtigung bei der Erfüllung der Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bewirkten zudem in dem BVerfGE 115, 259 ff. zugrunde liegenden Verfahren einen schweren und irreparablen sozialrechtlichen Nachteil: Weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hatte, konnte die Klägerin des dortigen Ausgangsverfahrens wegen des gesetzlichen Mutterschutzes noch nicht einmal einen Anspruch auf Arbeitslosengeld dem Grunde nach erwerben; allein wegen der Mutterschutzzeiten wurde der Zugang zum Arbeitslosengeld vereitelt. Sie hätte allenfalls, wenn sie bedürftig gewesen wäre, Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz beantragen können. Im vorliegenden Ausgangsverfahren geht es demgegenüber nur um die Höhe des Arbeitslosengeldes.

64

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber aufgrund von Art. 6 Abs. 4 GG nicht gehalten, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen (vgl. BVerfGE 60, 68 <74>; 115, 259 <271>). Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens einen "sozialrechtlichen Nachteil" erleidet, der nach BVerfGE 115, 259 <271> soweit wie möglich auszugleichen ist, oder ob nicht vielmehr eine "einfache", mit der Mutterschaft im weiteren Sinne zusammenhängende, aber vor allem auf die Inanspruchnahme von Elternzeit zurückzuführende wirtschaftliche Belastung vorliegt, deren vollständigen Ausgleich Art. 6 Abs. 4 GG nicht zwingend gebietet.

65

c) Das vorlegende Gericht hat sich auch nicht hinreichend mit früheren Regelungen befasst, so dass seinen Ausführungen nicht entnommen werden kann, dass sich die Rechtslage - so wie in BVerfGE 115, 259 <272, 274> konstatiert -, zu Lasten von Müttern nicht unerheblich verschlechtert hat. Aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ergibt sich deshalb auch nicht hinreichend, warum gerade die vorgelegte Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegen Art. 6 Abs. 4 GG verstoßen soll.

66

Was die Auswirkungen von Mutterschutzzeiten auf die Bestimmung des Bemessungsentgelts betrifft, hat sich nach dem seit dem 1. Januar 2005 geltenden Recht im Prinzip nichts geändert. Dadurch, dass Mutterschutzzeiten nicht vom Bemessungszeitraum umfasst werden, wird grundsätzlich ermöglicht, dass das vor dem Mutterschutz bezogene Arbeitsentgelt in den Bemessungszeitraum nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III einbezogen und zur Grundlage der Bemessung des Arbeitslosengeldes gemacht wird. Allerdings ist dies nunmehr nur bis zur Grenze des maximal auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens möglich. Gegen die Verkürzung des Bemessungsrahmens erhebt das vorlegende Gericht jedoch keine verfassungsrechtlichen Einwände.

67

Was die alleinigen Folgen der Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG - unabhängig von der Inanspruchnahme von Elternzeit - für die Bemessung des Arbeitslosengeldes betrifft, ist es auch nicht offensichtlich, dass sich die Rechtslage zu Lasten von Müttern verschlechtert hat. Der Verkürzung des Bemessungsrahmens von drei auf zwei Jahren steht gegenüber, dass sich der Umfang der für eine Bemessung auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Arbeitsentgelts erforderlichen Entgeltabrechnungszeiträume gegenüber dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht in etwa halbiert hat (150 Tage gegenüber 39 Wochen, vgl. insoweit auch BSGE 100, 295 <302 Rn. 32>). Hierauf geht das vorlegende Gericht nicht ein.

68

Es setzt sich schließlich auch nicht damit auseinander, dass das seit dem 1. Januar 2005 geltende Recht Abweichungen vom Versicherungsprinzip, dem eine strenge Anknüpfung der Höhe des Arbeitslosengeldes an die Höhe des versicherungspflichtigen Entgelts und damit an die Höhe der entrichteten Beiträge entsprechen würde (vgl. hierzu Pawlak, in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 11 Rn. 19 f., sowie BVerfGE 92, 53 <69 ff.>; 102, 127 <143 ff.>), enthält, die gerade auch Müttern zugute kommen (vgl. insoweit auch BVerfGE 60, 68 <75 f.>). So hat der Gesetzgeber gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III darauf verzichtet, die beitragspflichtigen Einnahmen während der Mutterschutzfristen, das heißt nach § 345 Nr. 7 SGB III ein Arbeitsentgelt in Höhe des Mutterschaftsgeldes, bei der Bestimmung des Bemessungsentgelts heranzuziehen. Da das Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs. 1 MuSchG in Verbindung mit § 200 RVO und § 13 Abs. 2 MuSchG nur eine geringe Höhe aufweist, wird so auch einer Schlechterstellung von Müttern entgegengewirkt. Darüber hinaus wirkt es sich gerade auch zugunsten der Klägerin des Ausgangsverfahrens aus, dass das während der Teilzeittätigkeit, die der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorausgegangen ist, erzielte Arbeitsentgelt gemäß § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III nicht berücksichtigt und ein diesem gegenüber höheres fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt herangezogen wird. Gegen die Höhe des fiktiven Bemessungsentgelts nach § 132 Abs. 2 SGB III als solche macht das vorlegende Gericht ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Einwände geltend (vgl. insoweit auch BSGE 100, 295 <308 ff. Rn. 49 ff.>; BSG, Urteil vom 29. Mai 2008 - B 11a/7a AL 64/06 R -, juris, Rn. 47 ff.; Urteil vom 21. Juli 2009 - B 7 AL 23/08 R -, juris, Rn. 18 ff.).

69

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 25 vH anstatt bisher 20 vH hat.

2

Der 1965 geborene Kläger erlitt am 8.9.1993 einen Arbeitsunfall, als ihm bei Ladearbeiten eine Kartonecke gegen das rechte Auge prallte. Dies führte zu einer starken Einschränkung der Sehschärfe auf dem betroffenen Auge, die im Juni 1996 nach den Feststellungen eines Gutachters rechts 0,063 (nach Korrektur 0,16) und links 1,0 betrug. Der Gutachter schätzte die MdE mit 20 vH ein und wies darauf hin, es könne langfristig zur Erblindung des Auges kommen. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 vH (Bescheid vom 13.11.1996, Widerspruchsbescheid vom 20.3.1998, diese idF des vor dem SG Kassel - S 3 U 498/98 - am 9.9.1999 geschlossenen Vergleichs, nach dem sich die Beklagte verpflichtet hatte, die Rente bereits ab 1.1.1996 zu zahlen). Der Kläger bezieht wegen der Unfallfolgen eines weiteren Arbeitsunfalls vom 19.6.2005 eine weitere Rente nach einer MdE um 20 vH (Bescheid vom 27.11.2006).

3

Im Juni 2002 machte er eine Verschlechterung der Unfallfolgen geltend. Die augenärztliche Begutachtung ergab, dass das rechte Auge inzwischen funktionell einem erblindeten Auge gleichzusetzen sei, die MdE betrage 25 vH. Die Beklagte lehnte die Gewährung höherer Verletztenrente aber ab, weil eine wesentliche Änderung iS des § 73 Abs 3 SGB VII nicht vorliege. Der entsprechende Bescheid vom 12.9.2002 wurde bindend.

4

Im Dezember 2007 beantragte der Kläger, den "Anspruch auf Rente … hinsichtlich der Herabsetzung der Sehschärfe des rechten Auges … ab dem 23.8.2002 zu erhöhen". Der Sachverständige Dr. A. habe am 22.8.2002 eine MdE von 25 vH bestätigt. Die Beklagte verstand dies als Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 12.9.2002 und lehnte diesen ab (Bescheid vom 11.1.2008). Die Voraussetzungen für die Rücknahme des früheren Bescheids lägen nicht vor, denn der Verwaltungsakt vom 12.9.2002 sei nicht rechtswidrig gewesen. Zum Zeitpunkt seines Erlasses sei eine wesentliche Änderung in den Unfallfolgen nicht eingetreten, weil die MdE sich nicht um mehr als 5 vH erhöht habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29.2.2008).

5

Auf die zum SG Kassel erhobene Klage hat dieses die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1.1.2003 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 25 vH zu zahlen (Urteil vom 11.6.2010). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der zu überprüfende Bescheid der Beklagten vom 12.9.2002 sei rechtswidrig. Trotz des Wortlautes des § 73 Abs 3 SGB VII sei die Rente rückwirkend nach einer MdE um 25 vH zu zahlen. Es liege eine Gerechtigkeitslücke und eine Verletzung des Gleichheitssatzes vor, wenn der Unfallverletzte, der bei Erstfestsetzung der Verletztenrente erblindet sei, eine Rente von 25 vH bekomme, während derjenige, bei dem zunächst eine MdE um 20 vH festzusetzen war und der später erblinde, trotz identischer Unfallfolge nicht in den Genuss derselben nach einer MdE um 25 vH bemessenen Rente komme.

6

Die Beklagte hat Berufung zum Hessischen LSG eingelegt. Sie vertrat die Auffassung, § 73 Abs 3 SGB VII stehe einer Rente nach einer MdE um 25 vH entgegen. Die Gewährung einer höheren Rente komme auch nicht auf der Grundlage des § 46 SGB X in Betracht, weil sich die Vorschrift auf den Widerruf von Ermessensentscheidungen beschränke, die hier nicht vorgelegen habe. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 8.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, dass mit dem Eintritt der Erblindung keine wesentliche Änderung gegenüber der ursprünglichen Bewilligung eingetreten sei. Nach § 73 Abs 3 SGB VII sei eine Änderung der Unfallfolgen nur dann wesentlich iS des § 48 Abs 1 SGB X, wenn sie mehr als 5 vH betrage. Ausnahmen seien nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht vorgesehen. Dies verletze auch nicht den Gleichheitssatz.

7

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Das SG habe bereits zutreffend ausgeführt, dass eine "offensichtliche" Gerechtigkeitslücke vorliege, weil vor Eintritt der Verschlimmerung eine Rente nach einer MdE von 20 vH bezogen worden und trotz einer Änderung von nur 5 vH ein erblindetes Auge mit einer MdE von 25 vH zu bewerten sei. Dass er eine Rente nach einer MdE um 25 vH nicht erhalte, verletze den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Anspruch bestehe auch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der Beklagten sei ein Beratungsfehler anzulasten, weil sie ihn in dem Verwaltungsverfahren zur erstmaligen Festsetzung einer Rente nicht darauf hingewiesen habe, dass er bei Festsetzung der Rente nach einer MdE um 20 vH bei späterem Eintritt der Erblindung nicht in den Genuss einer Rente nach MdE um 25 vH kommen könne.

8

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. Juni 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Der Gleichheitssatz gebiete eine Anpassung der Rente des Klägers nicht. Die Gruppe der von Anfang an einäugig erblindeten Unfallrentner (MdE 25 vH) sei nicht mit der Gruppe der zunächst nicht vollständig erblindeten Unfallrentner (MdE 20 vH) zu vergleichen. Vielmehr seien die Vergleichsgruppen iS des Art 3 Abs 1 GG so zu bilden, dass die Gruppe der zunächst noch nicht vollständig erblindeten Unfallrentner mit einer Rente nach einer MdE um 20 vH mit der großen Gruppe aller Unfallrentner zu vergleichen sei, deren MdE sich nachträglich um 5 vH ändere. Für diese Gruppe schließe der Rechtssatz des § 73 Abs 3 SGB VII eine Anhebung der Rente aus. Auch hätten MdE-Werte allenfalls die Qualität von Erfahrungswerten, sie stellten daher keinen Rechtssatz auf, der einen Rechtsanspruch auf Rente in bestimmter Höhe begründe. Die MdE sei zum Zeitpunkt der ersten Bewilligung einer Rente auf unbestimmte Zeit festzusetzen (§ 62 Abs 2 SGB VII)und dürfe danach nur eine Anpassung erfahren, wenn die Änderung mehr als 5 vH betrage.

Entscheidungsgründe

11

Die noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG begründete Revision des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

12

Das LSG hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl dazu BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 34/11 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 4, Juris RdNr 15), mit der der Kläger die Beseitigung des Verwaltungsakts vom 11.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.2.2008, der seinen Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 12.9.2002 ablehnt, sowie die Verpflichtung der Beklagten zur (Teil)Aufhebung oder zum Widerruf des Verwaltungsakts vom 12.9.2002 sowie Zahlung einer Rente nach einer MdE um 25 vH begehrt, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts der Beklagten vom 12.9.2002 (1.), dieser war auf seinen Antrag hin weder nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII aufzuheben (2.) noch nach § 46 Abs 1 SGB X zu widerrufen (3.); deshalb ist auch weiterhin eine Rente nach einer MdE um 25 vH nicht zu zahlen. Der Kläger wird dadurch nicht in seinen Grundrechten verletzt (4.). Auch liegen die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vor (5.).

13

1. Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

14

Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Die Ablehnung der Rücknahme des Bescheids vom 12.9.2002 in dem Bescheid vom 11.1.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29.2.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn er hatte bei Erlass des Verwaltungsakts vom 12.9.2002 keinen Anspruch auf Aufhebung oder Widerruf des Verwaltungsakts vom 13.11.1996 und Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 25 vH.

15

2. Die Beklagte war nicht verpflichtet, auf den Antrag des Klägers den Bescheid vom 12.9.2002 zurückzunehmen. Dieser Verwaltungsakt war nicht deshalb rechtswidrig, weil er seinerseits die Aufhebung des früheren Bescheids aus dem Jahre 1996 wegen des Eintritts einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ablehnte (§ 48 Abs 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII). Bei Erlass des Bescheids vom 12.9.2002 war § 73 Abs 3 SGB VII anzuwenden, weil diese Vorschrift auch für Versicherungsfälle gilt, die vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten sind (§ 214 Abs 3 Satz 2 SGB VII).

16

Zwar war im August 2002 eine Änderung gegenüber den im November 1996 bestehenden tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, weil das rechte Auge des Klägers nunmehr funktionell erblindet war. Diese tatsächliche Änderung war aber nicht rechtlich "wesentlich" iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn diese Vorschrift wird durch die spezifisch unfallversicherungsrechtliche Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII modifiziert(vgl Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand VI/2007, K § 73 RdNr 30; Meibom in jurisPK-SGB VII, § 73 RdNr 32 f). Sie bestimmt, dass bei der Feststellung der MdE eine Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X nur dann (rechtlich) wesentlich ist, wenn sie mehr als 5 vH beträgt.

17

Wie das LSG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 163 SGG), war dem Kläger infolge eines Arbeitsunfalls mit Verletzungen des rechten Auges und Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,1 im Jahr 1996 eine Rente nach einer MdE um 20 vH durch Verwaltungsakt bewilligt worden. Damals wurde schon angenommen, es könne langfristig zur Erblindung des rechten Auges kommen. Bei der Untersuchung im August 2002 war die Funktion des rechten Auges so weit herabgesunken, dass der Befund einer funktionellen Erblindung gleichkam. Die MdE aufgrund einer einseitigen Erblindung wird allgemein mit einer MdE in Höhe von 25 vH eingeschätzt (vgl Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 292; Kranig in Hauck/ Noftz, SGB VII, Stand IX/2010, K § 56 RdNr 56; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 03/2009, Anhang 12 J 004a f).

18

Die Änderung der MdE auf nunmehr 25 vH (an Stelle von 20 vH) ist aber gemäß § 73 Abs 3 SGB VII nicht rechtlich wesentlich, weil sie nicht mehr als 5 vH beträgt. Die nach ihrem Wortlaut eindeutige Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII steht einer Teilaufhebung des maßgeblichen Rentenbescheids vom 13.11.1996 und einer Erhöhung der Verletztenrente auf eine MdE um 25 vH entgegen.

19

Dies ist anzunehmen, obwohl den Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung zur Feststellung und Bewertung der MdE von Unfallfolgen auch die Funktion zukommt, die Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Entschädigungspraxis zu gewährleisten (vgl Scholz in juris-PK-SGB VII, § 56 RdNr 52). Vorliegend geht den Erfahrungswerten der Unfallmedizin aber die gesetzliche Regelung vor, dass nach § 73 Abs 3 SGB VII, § 48 Abs 1 SGB X geringfügige Änderungen in der Höhe der MdE weder zu Gunsten noch zu Lasten der Versicherten zu einer Rentenänderung führen sollen.

20

§ 73 Abs 3 SGB VII kann auch nicht im Wege der teleologischen Auslegung in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt werden(statt vieler: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 391 ff; Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983). Die teleologische Reduktion gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (BVerfG, Beschluss vom 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04 - NJW 2005, 352, 353; BVerfG, Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BVerfG, Beschluss vom 14.3.2011 - 1 BvL 13/07 - NZS 2011, 812). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BSG vom 18.8.2011 - B 10 EG 7/10 R - BSGE 109, 42 = SozR 4-7837 § 2 Nr 10). Bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß kann eine zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung der Norm entgegen deren Wortlaut sogar geboten sein.

21

So liegen die Verhältnisse indessen hier nicht. Wie das BVerfG immer wieder betont hat (vgl BVerfG, Beschlüsse vom 26.9.2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 = NJW 2012, 1179), ist eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wurde (BVerfG, Beschlüsse vom 14.6.2007 - 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05 - BVerfGE 118, 212, 243). Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG, Beschluss vom 6.7.2010 - 2 BvR 2661/06 - BVerfGE 126, 286, 306).

22

Eine teleologische Reduktion des § 73 Abs 3 SGB VII würde die soeben aufgezeigten Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten. Im Wege der Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl BVerfG, Beschluss vom 25.1.2011 - 1 BvR 918/10 - NJW 2011, 836).

23

Einer teleologischen Reduktion steht hier zunächst der klar erkennbare Wille des historischen Gesetzgebers des § 73 Abs 3 SGB VII entgegen, Rentenanpassungen in Höhe von bis zu 5 vH in allen Fällen auszuschließen, in denen - wie etwa hier - zunächst eine rentenberechtigende MdE von 20 vH vorliegt und später eine MdE um 25 vH eintritt. Die Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII sollte gerade die frühere Rechtsprechung des BSG zur Frage der wesentlichen Änderung bei MdE-Erhöhungen(vgl BSG Urteile vom 2.3.1971 - 2 RU 300/68 und 2 RU 39/70 - BSGE 32, 245 = SozR Nr 11 zu § 622 RVO)übernehmen (so BT-Drucks 13/2204 S 93; vgl auch Meibom in jurisPK-SGB VII, § 73 RdNr 33 f; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII § 73 Anm 5.1; Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand VI/2007, K § 73 RdNr 22). Der Senat führte in einem der beiden Urteile vom 2.3.1971 (2 RU 300/68), in dem - genau wie im vorliegenden Fall - die Erhöhung der MdE von 20 vH auf 25 vH bei einer nachträglich eingetretenen einäugigen Blindheit streitig war, aus:

        

"Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben zu überprüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Dies ist jedoch im allgemeinen zu verneinen, wenn bei unstreitigen Unfallfolgen die gutachterlichen Beurteilungen der MdE sich lediglich um 5 v. H. unterscheiden, also innerhalb einer bei derartigen Schätzungen zwangsläufig eintretenden Schwankungsbreite liegen. Nicht anders wird es häufig sein, wenn im Rechtsstreit eine weitere Gesundheitsstörung als Unfallfolge angesehen wird, diese sich aber auf die Erwerbsfähigkeit so wenig nachteilig auswirkt, daß die Gutachter unterschiedlicher Meinung sind, ob durch die gesamten Unfallfolgen die Erwerbsfähigkeit in einem Maße eingeschränkt wird, welche um 5 v. H. über dem bisherigen Ergebnis liegt (a. A. Hess. LSG, Breithaupt 1963, 780, 781). Dagegen wird Sprang und Ricke zugestimmt, daß die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen - wenn es sich handelt um die Gewährung der Rente, die Schwerbeschädigteneigenschaft, um einen der Schwerbeschädigteneigenschaft gleichgestellten MdE-Grad - rechtssystematisch nicht zu begründen sind. Sie werden ersichtlich allein deshalb gemacht, um im Einzelfall zu einem vermeintlicher Billigkeit entsprechenden Ergebnis zu gelangen. Folgerichtig sind dann aber auch Änderungen um nur 5 v. H. für die Entziehung einer Rente von 20 v. H. der Vollrente sowie für die Herabsetzung von Rente nach einer MdE um 50 v. H. und um 30 v. H. wegen des Wegfalls der Schwerbeschädigteneigenschaft wesentlich im Sinne von § 622 Abs. 1 RVO (vgl. SozR Nr. 8 zu § 608 RVO aF; LSG Nordrhein-Westfalen, BG 1970, 279). Mangels einer rechtssystematischen Begründung für die bisher zugelassenen Ausnahmen wäre jedoch, wie der erkennende Senat in dem heute gefällten, zur Veröffentlichung bestimmten Urteil in der Sache 2 RU 39/70 näher ausgeführt hat, kein zwingender Grund gegeben, weitere Ausnahmen von dem o. a. Grundsatz zu Gunsten von Verletzten abzulehnen. Dies würde aber bedeuten, daß diese Ausnahmen sich auch zu ihren Ungunsten auswirken könnten. Schließlich würde dies aber dazu führen, daß sich der allgemeine Grundsatz nicht mehr aufrechterhalten ließe und Rentenherabsetzungen bei Änderungen um nur 5 v. H. allgemein als rechtens angesehen werden müßten. Daher erschien es dem Senat geboten, an dem auf eine jahrzehntelange allgemeine Erfahrung gestützten Grundsatz, daß Abweichungen um 5 v. H. in der Bewertung der MdE nicht statthaft sind, ausnahmslos festzuhalten und Unbilligkeiten in Einzelfällen im Hinblick darauf, daß sich dieser Grundsatz weitaus überwiegend zugunsten der Verletzten auswirkt, in Kauf zu nehmen. Diese auch den Bedürfnissen der Rechtssicherheit Rechnung tragende Auslegung verstößt nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen Art. 3 GG."

24

Danach waren zwei Gründe für den erkennenden Senat dafür maßgeblich, dass eine Änderung der Verletztenrente aufgrund einer geringfügigen Änderung der Einschätzung der MdE von nicht mehr als 5 vH unterbleiben soll. An diesen Gründen hat sich bis heute nichts geändert. Erstens ist eine Änderung der Höhe der MdE nach oben und unten nicht geboten, wenn sie innerhalb der bei gutachterlichen Schätzungen zwangsläufig bestehenden Schwankungsbreite liegt. Dies trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die Einschätzung der Erwerbsfähigkeit eines Menschen mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet und insoweit unvermeidlich durch einen Toleranzbereich gekennzeichnet ist. Zweitens hätte die Zulassung von Ausnahmen von diesem Grundsatz zur Folge, dass nicht nur die Erhöhung einer Rente wegen einer Änderung der MdE um 5 vH, sondern bei entsprechender Änderung zu Lasten des Versicherten auch eine Absenkung der Rente stattfinden müsste. Zugleich hat der Senat - wie in dem Zitat (s.o.) deutlich zum Ausdruck kommt - sich bereits 1971 ausgiebig mit der Frage möglicher Ausnahmen befasst und war zu dem Ergebnis gekommen, dass diese rechtssystematisch nicht zu begründen sind.

25

Mithin kann § 73 Abs 3 SGB VII weder nach seinem Wortlaut noch aufgrund historischer Auslegung so verstanden werden, dass er in seinem Geltungsanspruch über das Bezweckte hinausgeht und folglich in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt (teleologisch reduziert) werden müsste. Vielmehr entsprach es der vom Gesetzgeber übernommenen klaren Wertung der Rechtsprechung, dass im Bereich von bis zu 5 vH der Nachweis einer Verschlimmerung der Unfallfolgen mit solchen tatsächlichen Unsicherheiten behaftet sei, dass ausnahmslos kein Anspruch auf Aufhebung einer früheren Rentenbewilligung und Zahlung einer Rente nach einer um bis zu 5 vH höheren MdE erfolgen sollte.

26

3. Auch § 46 Abs 1 SGB X bietet keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf eine höhere Rente.

27

Nach § 46 Abs 1 SGB X kann die Beklagte einen rechtmäßigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Die Vorschrift ist mit dem SGB X am 1.1.1981 in Kraft getreten und galt zum Zeitpunkt der Prüfung der Rentenerhöhung im August 2002.

28

Es kann dahingestellt bleiben, ob § 46 Abs 1 SGB X auf Fälle der vorliegenden Art überhaupt Anwendung finden kann. In der Rechtsprechung des BSG ist die Frage bisher nicht beantwortet, ob die Vorschrift des § 46 Abs 1 SGB X eingreifen kann, wenn - wie hier - eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, diese aber nicht wesentlich iS des § 48 Abs 1 SGB X ist. Teilweise wird schon angenommen, die Regelung lasse nur den Widerruf von Ermessensentscheidungen zu (Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, K § 46 RdNr 3). Eine Ermessensentscheidung, die zu widerrufen sein könnte, lag hier aber gerade nicht vor. Ob § 46 SGB X auch auf Verwaltungsakte mit Dauerwirkung Anwendung finden kann, über die ohne Ermessen zu entscheiden war und in deren tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten war, die aber nicht rechtlich wesentlich ist, ist ebenfalls umstritten(dazu Gmati in jurisPK-SGB X § 46 RdNr 11 mwN; für Anwendung des § 46 SGB X: Ricke in: Kasseler Kommentar § 56 SGB VII RdNr 43, Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 73 RdNr 25; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 46 RdNr 3; Dahm in jurisPR-SozR 23/2010 Anm 3; nur ausnahmsweise anwendbar: Steinwedel in KassKomm, § 46 SGB X RdNr 3; gegen Anwendung des § 46 SGB X: Schütze in Schütze/von Wulffen, SGB X, § 46 RdNr 6).

29

Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn jedenfalls kann der Senat den Bescheid vom 12.9.2002 schon deshalb nicht nach Maßgabe des § 46 Abs 1 SGB X überprüfen, weil die Beklagte in diesem Verwaltungsakt über einen Widerruf des maßgeblichen Bescheids vom 13.11.1996 nicht entschieden hat. Der Bescheid vom 12.9.2002 kann auch nicht dahingehend umgedeutet werden, dass er einen Widerruf des maßgebenden Bescheids abgelehnt habe, denn es handelt sich bei der Entscheidung über den Widerruf nach § 46 Abs 1 SGB X seinerseits um eine Ermessensentscheidung(vgl nur Steinwedel in KassKomm, Stand 08/2012, § 46 RdNr 4). Der Beklagten steht grundsätzlich ein Entschließungsermessen zu, ob sie von der Ermächtigung zum Widerruf des rechtmäßig erlassenen Verwaltungsakts Gebrauch macht oder nicht. Die Umdeutung des Bescheids vom 12.9.2002 in eine Entscheidung über einen Widerruf würde in die Kompetenz der Beklagten, ihr Entschließungsermessen pflichtgemäß betätigen zu können, eingreifen (zum Ausschluss der Umdeutung von gebundenen Entscheidungen in Ermessensentscheidungen vgl § 43 Abs 3 SGB X; hierzu BSG vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3; BSG vom 17.4.1986 - 7 RAr 101/84; vgl auch Leopold in jurisPK-SGB X § 43 RdNr 50 f; Schütze in: von Wulffen/Schütze SGB X § 43 RdNr 12).

30

Vorliegend kommt hinzu, dass mit einer Anwendung der allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelung des § 46 Abs 1 SGB X die spezifisch unfallversicherungsrechtliche Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII (lex specialis) wieder unterlaufen würde. Denn eine Beseitigung der früheren Bewilligung und Erhöhung der Rente nach einer Änderung der MdE von lediglich bis zu 5 vH will § 73 Abs 3 SGB VII gerade ausschließen.

31

Der Bescheid vom 12.9.2002 ist also auch nicht deshalb rechtswidrig gewesen, weil er den Widerruf des maßgeblichen Bescheids vom 13.11.1996 gemäß § 46 SGB X zu Unrecht abgelehnt hätte.

32

4. Dieses maßgeblich durch § 73 Abs 3 SGB VII beeinflusste Ergebnis verletzt den Kläger nicht in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs 1 GG. Der Senat hat keine Zweifel, dass die fragliche Regelung eine im Lichte des Art 3 GG zulässige und sachlich gerechtfertigte Typisierung ist.

33

In Ansehung des allgemeinen Gleichheitssatzes bedürfen Differenzierungen der Rechtfertigung durch angemessene Sachgründe. Die hierbei dem Gesetzgeber gesetzten Grenzen reichen von einer Beschränkung auf das Willkürverbot bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen (vgl BVerfG, Beschluss vom 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 - NVwZ 2011, 1316, RdNr 64 f). So kann sich eine strengere Bindung des Gesetzgebers aus der Anknüpfung an - für den Einzelnen nicht verfügbare - Persönlichkeitsmerkmale oder aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl BVerfG, Beschluss vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 - BVerfGE 88, 87, 96). Andererseits verfügt er im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit grundsätzlich über einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl BVerfG, Beschluss vom 29.10.2002 - 1 BvL 16/95 - BVerfGE 106, 166, 175 f). Innerhalb dieses Gestaltungsspielraums kann er auch Typisierungen vornehmen, wenn die damit verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfG, Beschluss vom 6.7.2010 - 1 BvL 9/06 - BVerfGE 126, 233, 263 f).

34

Mit der Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, geringfügige Abweichungen in der Einschätzung der MdE unbeachtet zu lassen. Dabei geht die Regelung typisierend davon aus, dass die MdE regelmäßig der Beurteilung durch Sachverständige unterliegt und sich für deren Einschätzung "Erfahrungswerte" herausgebildet haben. Aufgrund des Erfahrungswissens, das der Beurteilung zu Grunde liegt, halten sich Abweichungen in der Schätzung der MdE um bis zu 5 vH typischerweise innerhalb des bestehenden gutachterlichen Beurteilungs- und letztlich auch Irrtumsspielraums. Die Regelung berücksichtigt damit, dass die so genannten Erfahrungswerte für die MdE-Schätzung keine exakten oder gar normativen Vorgaben sind. Weiter wird typisierend angenommen, dass in einem gewissen Bereich (von bis zu 5 vH) Schwankungen im Gesundheitszustand eines Betroffenen sowohl aufgrund des Heilungsverlaufs als auch aufgrund persönlicher Gegebenheiten regelmäßig auftreten können. Eine für den jeweiligen Zeitpunkt exakte Bestimmung des Vom-Hundert-Wertes der MdE ist schon deshalb nur unter Schwierigkeiten möglich. Für Änderungen in der Einschätzung der MdE, die 5 vH nicht übersteigen, schließt § 73 Abs 3 SGB VII deshalb sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Versicherten Änderungen in der Höhe der Rente aus. Die Regelung trägt damit auch zur Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit und zur Verstetigung der dem Versicherten zu gewährenden Leistungen bei. Innerhalb des Anwendungsbereichs des § 73 Abs 3 SGB VII findet eine Ungleichbehandlung von Versicherten im Übrigen nicht statt.

35

Diese auf langjähriger Praxis und Rechtsprechung beruhende sachgerechte Typisierung hält sich in dem durch Art 3 Abs 1 GG vorgegebenen Rahmen. Die den Kläger aufgrund der Typisierung treffende "Belastung" ist vergleichsweise gering. Zwar führt sie in seinem Fall dazu, dass eine Erhöhung der Rente unterbleibt, obwohl die MdE ab August 2002 mit 25 vH zu bewerten gewesen wäre. Wegen der relativ kleinteiligen Bewertung der MdE von Sehminderungen, für die dem Kläger eine Rente nach einer MdE in Höhe von bereits 20 vH bewilligt ist, kann er den nach den Erfahrungswerten vorgesehenen MdE-Wert von 25 vH nicht erreichen. Dennoch belastet ihn der mit der Typisierung verbundene Nachteil nicht unverhältnismäßig. Dass die Regelung zutreffend von einer Schwankungsbreite der Schätzung ausgeht, wird zum Beispiel daran deutlich, dass das rechte Auge des Klägers nicht vollständig, sondern (nur) funktionell erblindet ist. Dadurch relativiert sich auch dessen Rüge, eine andere Einschätzung der MdE als mit 25 vH führe zu einer für den Kläger unzumutbaren Härte.

36

5. Schließlich kann der Kläger auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu einer Rentengewährung nach einer MdE von 25 vH gelangen.

37

Ein Herstellungsanspruch setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger seine gegenüber einem Berechtigten obliegende Nebenpflicht aus dem Sozialversicherungsverhältnis verletzt, dem Berechtigten ein unmittelbarer (sozialrechtlicher) Nachteil entsteht und zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil ein Ursachenzusammenhang vorliegt. Der Herstellungsanspruch ist grundsätzlich auf die Vornahme der Amtshandlung gerichtet, die den möglichen und rechtlich zulässigen Zustand erreicht, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (stRspr; BSG vom 18.12.1975 - 12 RJ 88/75 - BSGE 41, 126, 127 = SozR 7610 § 242 Nr 5 S 5, BSG vom 2.2.2006 - B 10 EG 9/05 R - BSGE 96, 44, 48 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2 S 6 jeweils RdNr 19; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 34/07 R - SGb 2010, 47, 49).

38

Sinngemäß trägt der Kläger vor, die Beklagte habe ihn im Jahre 1996 auf die Möglichkeit eines Verzichts (§ 46 SGB I) hinweisen müssen, damit ihm die Möglichkeit einer späteren Rente nach einer MdE in Höhe von 25 vH erhalten geblieben wäre. Es dürfte mehr als fraglich sein, ob eine solche Beratung, wie sie der Kläger einfordert, eine auf der Hand liegende Gestaltungsmöglichkeit darstellt. Keinesfalls liegt eine Kausalität des behaupteten Beratungsverschuldens für einen sozialrechtlichen Nachteil vor. Würde man dem Kläger nachträglich die Möglichkeit einräumen, auf die seit 1.1.1996 gezahlte Verletztenrente gänzlich zu verzichten, so wäre er verpflichtet, die seit 1996 bezogene Rente in voller Höhe zurückzuzahlen. Soweit der Kläger hingegen meinen könnte, dass die Beklagte seine Rente erst nach Eintritt der funktionellen Erblindung rechts hätte festsetzen und zahlen dürfen, verkennt er, dass die Beklagte damit ihrerseits rechtswidrig hätte handeln müssen, um ihm erst von dem Zeitpunkt der vollständigen Erblindung an eine um 5 vH höhere Rente bewilligen zu können.

39

Da sich das Urteil des LSG mithin als zutreffend erweist, ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. April 2010 teilweise aufgehoben. Unter Abänderung des Bescheids vom 9. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2009 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Berücksichtigung ihres von September 2007 bis August 2008 erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit zu zahlen. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes der Klägerin nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).

2

Die Klägerin war nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit ab 17.9.2007 wieder abhängig beschäftigt und ging in der Folgezeit neben ihrer Hauptbeschäftigung auch einer Nebentätigkeit nach. Durch die nichtselbstständigen Beschäftigungen erzielte sie in dem Zeitraum bis April 2008 ein Nettoeinkommen in Höhe von insgesamt 11 363,36 Euro. In den Monaten Mai bis Juli 2008 konnte sie wegen einer Risikoschwangerschaft nicht mehr voll arbeiten; vom 28.7. bis 1.8.2008 war sie vollständig arbeitsunfähig. In der Zeit vom 3.8. bis 9.11.2008 bezog sie Mutterschaftsgeld. Ihre Tochter L. wurde am 9.9.2008 geboren.

3

Auf ihren Antrag vom 14.10.2008 wurde der Klägerin von der beklagten Freien und Hansestadt Hamburg mit Bescheid vom 9.1.2009 Elterngeld für den Zeitraum vom 9.11.2008 bis 8.9.2009 in Höhe von monatlich 659,08 Euro bewilligt, wobei diese das in einem Bemessungszeitraum von Mai 2007 bis April 2008 erzielte Arbeitsentgelt berücksichtigte und in Anwendung des § 2 Abs 2 BEEG von einem erhöhtem Elterngeldsatz von 69,6 % ausging.

4

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass sich ihr Erwerbseinkommen in den Monaten Mai bis Juli 2008 nur geringfügig verringert habe, während durch die Berücksichtigung der Monate Mai 2007 bis Juli 2007 Zeiten der Arbeitslosigkeit, also ohne Einkommen, in die Elterngeldberechnung einbezogen worden seien. Durch die Verschiebung des für die Elterngeldberechnung maßgeblichen Zwölfmonatszeitraums habe sich ihr Durchschnittseinkommen vor der Geburt fast halbiert, obwohl die maßgebliche Regel des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG gerade vor Einbußen schützen solle. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.3.2009 zurückgewiesen.

5

Die von der Klägerin erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg durch Urteil vom 27.4.2010 im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Bei der Bemessung des Elterngeldes gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG sei stets auf das vorgeburtliche Durchschnittseinkommen in einem Zwölfmonatszeitraum abzustellen. Dieser Bemessungszeitraum sei nach Maßgabe des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG - ausgehend von einer schwangerschaftsbezogenen Erkrankung der Klägerin ab dem 8.5.2008 - zwingend zu verschieben. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG dahingehend, diese Regelung nur dann anzuwenden, wenn sie für den berechtigten Elternteil von Vorteil sei, komme angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift nicht in Betracht. Schon aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung könnten individuelle Lebenssituationen - wie im Falle der Klägerin - bei der Ermittlung des nicht grundrechtlich abgesicherten Anspruchs auf Elterngeld keine Berücksichtigung finden. Gemessen an der Vergleichsgruppe der Beamtinnen und Beamten, die während einer Erkrankung keine Einbußen an Erwerbseinkommen erleiden, liege wegen der unterschiedlichen Einkommensstruktur gegenüber derjenigen von Angestellten kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG vor.

6

Die Klägerin hat die vom SG durch Beschluss vom 7.6.2010 zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des SG sei § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG in denjenigen Fällen, in denen sich die Verschiebung des für die Ermittlung des Elterngeldes maßgeblichen Zeitraums vor der Geburt nicht vorteilhaft, sondern nachteilig für den berechtigten Elternteil auswirke, nach Sinn und Zweck der Regelung verfassungskonform auszulegen. Dies könne einerseits dadurch erreicht werden, dass § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG in diesen Fällen nicht angewendet werde. Andererseits ließen es der Wortlaut dieser Bestimmung und die Systematik des BEEG auch zu, die betroffenen Monate auszusparen und das für die Ermittlung des Elterngeldes maßgebliche Durchschnittseinkommen vor der Geburt auf Grundlage der verbliebenen Monate - hier von September 2007 bis April 2008 - zu berechnen. Hierfür spreche insbesondere der von § 2 Abs 7 Satz 5 BEEG abweichende Wortlaut des Satzes 6 dieser Vorschrift. Ohne eine solche Auslegung verstoße die Norm in diesen Fällen gegen Art 3 Abs 1 GG: zum einen wegen einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Angestellten gegenüber Personen, insbesondere Beamtinnen, die während einer Erkrankung ihr Arbeitsentgelt oder ihre Dienstbezüge weiterhin erhalten; zum anderen wegen einer nicht gerechtfertigten Gleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen, die einerseits allein einer Hauptbeschäftigung nachgehen und andererseits neben ihrer Haupttätigkeit auch einen Nebenjob wahrnehmen. Allein der Wegfall des Nebeneinkommens aufgrund einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung rechtfertige nicht die Gleichbehandlung dieser Personengruppen, soweit beide in ihrer Hauptbeschäftigung keine Lohneinbußen hinzunehmen hätten. Schließlich werde sie unter Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG mit Personen gleich behandelt, die durch die Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG finanziell bessergestellt würden.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. April 2010 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2009 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr höheres Elterngeld unter Berücksichtigung ihres von September 2007 bis April 2008 - hilfsweise von September 2007 bis August 2008 - durchschnittlich erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Im Elterngeldrecht umfasse der Bemessungszeitraum nach der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG stets zwölf Kalendermonate. § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG sehe lediglich eine Modifizierung dieses Grundsatzes dahingehend vor, dass bei der Ermittlung dieser Kalendermonate bestimmte Monate auszusparen und durch eine entsprechende Anzahl vorhergehender Monate zu ersetzen seien. Der Beginn des Bemessungszeitraumes verschiebe sich so um die Zahl der übersprungenen Monate in die Vergangenheit. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der Gesetzessystematik und den Gesetzesmaterialien sowie dem Sinn und Zweck des Bemessungszeitraums iS des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG, ein möglichst repräsentatives Durchschnittseinkommen des berechtigten Elternteils zu ermitteln. Satz 6 des § 2 Abs 7 BEEG nehme unmittelbar auf Satz 5 dieses Abs Bezug und sei allein aus sprachlichen Gründen als eigenständiger Satz formuliert, ohne jedoch eine abweichende Rechtsfolge vorzusehen.

10

Die Regelung des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG sei zudem zwingend, auch wenn sie sich bei der Elterngeldberechnung im Einzelfall für den Elternteil nachteilig auswirken könne. Der Gesetzgeber habe im Rahmen der steuerfinanzierten Leistungsverwaltung einen weiten Gestaltungsspielraum und im Hinblick auf das legitime Ziel der Verwaltungsvereinfachung eine typisierende Regelung vorgesehen, die sich grundsätzlich zugunsten des Normadressaten auswirke. Der durch diese Vorschrift bezweckte Nachteilsausgleich müsse nicht in jedem Einzelfall erreicht werden. Gegen eine teleologische Reduktion der Norm in dem Sinne, dass sie nur Anwendung finde, wenn sie im Einzelfall zu einer tatsächlichen Verbesserung der Einkommensverhältnisse der berechtigten Person führe, spreche der eindeutige und abschließende Wortlaut des Gesetzes. Danach habe der Gesetzgeber bei selbstständig Erwerbstätigen ausdrücklich ein Wahlrecht normiert (§ 2 Abs 8 Satz 5 BEEG), bei abhängig Beschäftigten hingegen nicht. Diese Entscheidung des Gesetzgebers sei entsprechend zu berücksichtigen. Verfassungsrechtliche Bedenken (Art 3 Abs 1 GG) bestünden insoweit nicht. Die unterschiedliche Behandlung von verbeamteten und angestellten Elterngeldberechtigten sei bereits - wie auch in zahlreichen anderen Bereichen - wegen der grundlegend unterschiedlichen Einkommensstruktur gerechtfertigt. Auch im Übrigen könne kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG darin erkannt werden, wenn die Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG bei den weiteren, von der Klägerin genannten Personengruppen mit unterschiedlichen Voraussetzungen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führe.

Entscheidungsgründe

11

1. Die Sprungrevision ist zulässig.

12

Nach § 161 Abs 1 SGG steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie vom SG im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das SG hat die Revision auf Antrag der Klägerin, dem die schriftliche Zustimmungserklärung der Beklagten beigelegen hat (§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG), gemäß § 161 Abs 1 Satz 1 SGG durch Beschluss vom 7.6.2010 zugelassen. Dies ist zwar verfahrensfehlerhaft allein durch den Kammervorsitzenden erfolgt, ohne dass die ehrenamtlichen Richter beteiligt gewesen sind (vgl hierzu BSGE 51, 23, 26 ff = SozR 1500 § 161 Nr 27 S 54 ff). Die Revisionszulassung ist gleichwohl für das Bundessozialgericht (BSG) gemäß § 161 Abs 2 Satz 2 SGG bindend (vgl BSG aaO; BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 10 EG 2/08 R - juris RdNr 12; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 161 RdNr 8). Die Klägerin hat die Revision auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 164 Abs 1 SGG).

13

2. Die Revision ist teilweise begründet.

14

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf höheres Elterngeld unter Berücksichtigung ihres von September 2007 bis April 2008 - hilfsweise von September 2007 bis August 2008 - erzielten Erwerbseinkommens, den sie zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils iS des § 130 Abs 1 SGG(vgl BSG Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 11/09 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR), weiter verfolgt.

15

Soweit die Klägerin von der Beklagten höheres Elterngeld unter Berücksichtigung ihres von September 2007 bis April 2008 durchschnittlich erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit beansprucht, ist ihre Revision unbegründet. Das SG hat die Klage hinsichtlich dieses Hauptantrags zu Recht abgewiesen. Mit ihrem Hilfsantrag, der auf die Berücksichtigung des von September 2007 bis August 2008 durchschnittlich erzielten Erwerbseinkommens gerichtet ist, hat die Klage und damit auch die Revision hingegen Erfolg.

16

a) Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat(Nr 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Das Kind muss nach dem 31.12.2006 geboren sein (Art 3 Abs 1 Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5.12.2006, BGBl I 2748; vgl hierzu BSG Urteil vom 23.1.2008 - B 10 EG 5/07 R - BSGE 99, 293 = SozR 4-7837 § 27 Nr 1). Dass die Klägerin die Grundvoraussetzungen des § 1 Abs 1 BEEG erfüllt, haben alle mit der Sache befassten Stellen angenommen. Zweifel hieran bestehen nicht, zumal die Beteiligten die insoweit maßgeblichen Tatsachen in der mündlichen Revisionsverhandlung vor dem erkennenden Senat unstreitig gestellt haben (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 163 RdNr 5d mwN).

17

b) Die Klägerin kann mit ihrem Hauptantrag, bei der Elterngeldbemessung lediglich diejenigen Monate vor der Geburt ihres Kindes zu berücksichtigen, in denen sie - hier von September 2007 bis April 2008 - Einkommen aus Erwerbstätigkeit in ungeminderter Höhe erzielt hat, nicht durchdringen, da der Bemessungszeitraum nach § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG - auch bei Vorliegen der Tatbestände des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG - stets zwölf Kalendermonate umfasst.

18

Die Höhe des Elterngeldes richtet sich gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG idF vom 5.12.2006 (BGBl I 2748) nach dem in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Es beträgt grundsätzlich 67 % dieses durchschnittlichen Einkommens, höchstens 1800 Euro monatlich. § 2 Abs 5 BEEG sieht ein Mindestelterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro vor.

19

Bezüglich des Bemessungszeitraums enthält § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG idF vom 5.12.2006 (BGBl I 2748; die Anfügung des Satzes 7 durch Art 1 Nr 1 Buchst a Erstes Gesetz zur Änderung des BEEG vom 17.1.2009, BGBl I 61, erfolgte mit Wirkung vom 24.1.2009 und ist deshalb hier unbeachtlich) zusätzlich folgende Regelungen:

Kalendermonate, in denen die berechtigte Person vor der Geburt des Kindes ohne Berücksichtigung einer Verlängerung des Auszahlungszeitraums nach § 6 Satz 2 Elterngeld für ein älteres Kind bezogen hat, bleiben bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zu Grunde zu legenden Kalendermonate unberücksichtigt. Das Gleiche gilt für Kalendermonate, in denen die berechtigte Person Mutterschaftsgeld nach der Reichsversicherungsordnung oder dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte bezogen hat oder in denen während der Schwangerschaft wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung Einkommen aus Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise weggefallen ist.

20

Diese Bestimmungen sehen lediglich eine Modifizierung des Bemessungszeitraums dahingehend vor, dass an Stelle von bestimmten Monaten, die in den regulären Bemessungszeitraum fallen, weiter zurückliegende Kalendermonate in die Elterngeldberechnung einbezogen werden. Von der Länge des Bemessungszeitraums iS des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG von zwölf Kalendermonaten wird dabei nicht abgewichen(stRspr des Senats: vgl Urteil vom 19.2.2009 - B 10 EG 2/08 R - juris RdNr 17 ; Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR ; Urteil vom 17.2.2011 - B 10 EG 20/09 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR ; Urteil vom 17.2.2011 - B 10 EG 21/09 R - juris RdNr 19 ; vgl auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 26.1.2010 - L 12 EG 8/08 - juris RdNr 20; Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 2007, RdNr 119 ff; Buchner/Becker, MuSchG - BEEG, 8. Aufl 2008, § 2 BEEG RdNr 36; Pauli in Hambüchen, BEEG-EStG-BKGG Komm, Stand Dezember 2009, § 2 BEEG RdNr 19; vgl auch die Richtlinien zum BEEG des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , Stand Dezember 2010, Punkt 2.7.5).

21

Dieser Regelungsinhalt ergibt sich bereits aus einer am Wortlaut der Norm orientierten Auslegung. Nach Satz 5 des Abs 7 - und "das Gleiche" gilt für Satz 6 - bleiben lediglich Monate bei der "Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zu Grunde zu legenden Kalendermonate" unberücksichtigt, so dass zur Bestimmung dieses Bemessungszeitraums an Stelle der nicht zu berücksichtigenden Zeiten weiter in der Vergangenheit liegende Monate heranzuziehen sind. Aus der sprachlichen Fassung des Satzes 6 idF bis zum 23.1.2009 kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber für die Tatbestände des Bezugs von Mutterschaftsgeld oder des Wegfalls von Erwerbseinkommen wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung eine andere Rechtsfolge dahingehend vorgesehen hat, dass diese Monate bei der Bemessung der Elterngeldhöhe unter entsprechender Verkürzung des Bemessungszeitraums nicht berücksichtigt werden.

22

Dies belegen auch die Gesetzesmaterialien, in denen die Rechtsfolge der Tatbestände mit einem "Wechsel auf frühere Kalendermonate" umschrieben wird (Vorschlag des Bundestags-Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks 16/2785 S 38; zum häufigsten Anwendungsfall, dem Bezug von Mutterschaftsgeld vor der Geburt, vgl auch BT-Drucks 16/1889 S 20). Auch aus der sprachlichen Änderung des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG zum 24.1.2009 (BGBl I 61), mit der die Wörter "Das Gleiche gilt für" durch die Wörter "Unberücksichtigt bleiben auch" ersetzt worden sind, ergibt sich nichts Anderes. In der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs (BT-Drucks 16/9415) ist zur Einfügung des Satzes 7 in Abs 7 ausgeführt, dass Nachteile durch im Bemessungszeitraum liegende Wehr- und Zivildienstzeiten ohne Erwerbseinkommen dadurch ausgeglichen werden sollen, dass "die betroffenen Monate - wie in den Fällen schwangerschaftsbedingter Erkrankung - aus dem Bemessungszeitraum herausgenommen und durch weiter in der Vergangenheit liegende Monate ersetzt werden" (BT-Drucks 16/9415 S 5).

23

Diese Auslegung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG entspricht auch der Systematik des BEEG. Grundlage der Berechnung der Elterngeldhöhe nach § 2 Abs 1 und 7 bis 9 BEEG ist die sog Bezugs- und Referenzmethode(vgl hierzu auch Senatsurteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 5, RdNr 35; bereits BSG Urteil vom 22.6.1966 - 3 RK 105/63 - BSGE 25, 69, 70 = SozR Nr 7 zu § 13 MuSchG; BSG Urteil vom 22.2.1972 - 3 RK 85/69 - BSGE 34, 79 = SozR Nr 4 zu § 200 RVO und jüngst BSG Urteil vom 30.5.2006 - B 1 KR 19/05 R - BSGE 96, 246 = SozR 4-2500 § 47 Nr 4, RdNr 21 ff), nach der unter Bezugnahme auf den wirtschaftlichen Dauerzustand eines gerade vergangenen Zeitraums auf ein Durchschnittseinkommen geschlossen wird, das den individuellen Lebensstandard prägt. Hierbei ist der Gesetzgeber von Berechnungsvorschriften regulärer kurzfristiger Ersatzleistungen (vgl § 18a Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB IV) abgewichen und hat ein vereinfachtes Bemessungsrecht vorgesehen. Zugleich hat er Einkommenseinbußen aufgrund allgemeiner Erwerbsrisiken grundsätzlich der Sphäre des berechtigten Elternteils zugeordnet (vgl BSG Urteile vom 17.2.2011 - B 10 EG 17/09 R - RdNr 82 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, - B 10 EG 20/09 R - RdNr 63 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen und - B 10 EG 21/09 R - juris RdNr 62 ff sowie Urteil vom heutigen Tag - B 10 EG 8/10 R - ).

24

Durch die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens innerhalb von zwölf Kalendermonaten (§ 2 Abs 1 Satz 1 BEEG) sollen möglichst repräsentativ die Einkommensverhältnisse des berechtigten Elternteils vor der Geburt abgebildet werden. Entsprechend dem Sinn und Zweck des Elterngeldes, jedem betreuenden Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für die finanziellen Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes zu gewähren (vgl BT-Drucks 16/1889 S 2, 15; BT-Drucks 16/2454 S 2), setzt dies voraus, dass ein ausreichend langer Bemessungszeitraum herangezogen wird, worauf die Beklagte zutreffend hinweist.

25

Der erkennende Senat sieht weder einen Grund noch eine Möglichkeit, von dieser klaren Konzeption des Gesetzes abzuweichen. Die Beibehaltung des zwölfmonatigen Bemessungszeitraums im Rahmen des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG führt weder zu sachwidrigen, dem Sinn und Zweck dieser Regelung widersprechenden Ergebnissen noch ist insoweit eine Gesetzeslücke erkennbar, die rechtsfortbildend geschlossen werden könnte. Auch die Klägerin hat solche Gesichtspunkte nicht aufgezeigt. Sie befürwortet lediglich die für sie günstigste Berechnungsweise des Elterngeldes.

26

c) Der auf eine Elterngeldberechnung nach der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG(also ohne Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG) gerichtete Hilfsantrag der Klägerin ist hingegen begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Elterngeld unter Berücksichtigung ihres in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt ihrer Tochter am 9.9.2008 (von September 2007 bis August 2008) durchschnittlich erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit. Die Beklagte hat insoweit zu Unrecht § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG angewendet und bei der Elterngeldberechnung einen Bemessungszeitraum von Mai 2007 bis April 2008 zugrunde gelegt. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nach dessen Sinn und Zweck, der Gesetzessystematik und dem Gebot einer verfassungskonformen Auslegung im Wege einer teleologischen Reduktion einzuschränken. Diese Regelung ist nicht gegen den ausdrücklich erklärten Willen des berechtigten Elternteils anzuwenden.

27

aa) Eine teleologische Reduktion (vgl hierzu statt vieler Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983) gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04 - NJW 2005, 352, 353; BVerfG Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BVerfGE 88, 145, 167; BVerfGE 35, 263, 279 f; jüngst BVerfG Beschluss vom 14.3.2011 - 1 BvL 13/07 - juris RdNr 38). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231). Bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß kann eine zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung der Norm entgegen deren Wortlaut sogar geboten sein. Eine derartige Einschränkung der Anwendung ist bei § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG erforderlich.

28

Jede Auslegung findet allerdings dort ihre Grenzen, wo sie nicht nur mit dem Wortlaut, sondern auch dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde; im Wege der Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG, aaO; zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung vgl auch jüngst BVerfG Beschluss vom 25.1.2011 - 1 BvR 918/10 - NJW 2011, 836, RdNr 50-54). Das ist bei der vom Senat vertretenen Auslegung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nicht der Fall.

29

(1) Eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung des - hier allein in Betracht kommenden - § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG legt zunächst eine zwingende Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraums um diejenigen Kalendermonate nahe, in denen Mutterschaftsgeld bezogen worden oder wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung Erwerbseinkommen zumindest teilweise weggefallen ist(so die Vorinstanz SG Hamburg Urteil vom 27.4.2010 - S 31 EG 19/09 - und wohl die hM in der Literatur: vgl Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 2007, RdNr 120; Wersig in Vereinbarkeit von Familie und Beruf, 1. Aufl 2009, Kap 6.2, § 2 BEEG RdNr 6, juris; von Koppenfels-Spies in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 2 BEEG RdNr 15). Nach § 2 Abs 7 Satz 5 BEEG bleiben Zeiten des Bezuges von Elterngeld bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Kalendermonate unberücksichtigt. Wenn nach dem folgenden Satz 6 (des Abs 7) für Kalendermonate, in denen wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung eine Einkommensminderung eingetreten ist, das Gleiche gilt, so sieht der Wortlaut des Gesetzes auch insoweit eine ausnahmslose Modifizierung des Bemessungszeitraumes vor.

30

(2) Hingegen sprechen Sinn und Zweck der Verschiebenstatbestände des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG für eine teleologische Reduktion des Regelungsinhalts hinsichtlich derjenigen Fälle, in denen sich die (vermeintliche) Begünstigung für die Berechtigten im Ergebnis nachteilig auf die Leistungshöhe auswirkt(so auch Oyda, NZS 2010, 194, 197 ff; ähnlich Buchner/Becker, MuSchG - BEEG, 8. Aufl 2008, § 2 BEEG RdNr 36).

31

Sinn und Zweck der Modifizierung des Bemessungszeitraums nach § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG ist der Ausgleich von Nachteilen bei der Elterngeldberechnung, die darauf beruhen, dass das Einkommen des berechtigten Elternteils im vorgeburtlichen Zwölfmonatszeitraum aufgrund besonderer Sachverhalte ganz oder teilweise weggefallen ist. Während nach dem ersten Gesetzentwurf (BT-Drucks 16/1889) bei einem Einkommenswegfall wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung zunächst beabsichtigt war, "für den betreffenden Zeitraum das in dem der Erkrankung vorangegangenen Kalendermonat erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit für die Berechnung des Elterngeldes zu Grunde zu legen" (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 BEEG-Entwurf, BT-Drucks 16/1889 S 4 f), ist § 2 Abs 7 BEEG im Gesetzgebungsverfahren auf Vorschlag des Bundestags-Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend(BT-Drucks 16/2785 S 9) vollkommen neu gefasst worden, um eine in der Verwaltungspraxis einfacher zu handhabende Bestimmung mit gleicher Zielrichtung zu schaffen (BT-Drucks 16/2785 S 37 f). Danach soll durch diese Regelung gewährleistet sein, dass das besondere gesundheitliche Risiko Schwangerer bei der Berechnung des ihnen zustehenden Elterngeldes nicht zum Nachteil gereicht (BT-Drucks 16/1889 S 20) bzw ein "Absinken des Elterngeldes" durch das in den betroffenen Monaten geringere oder fehlende Erwerbseinkommen vermieden wird (BT-Drucks 16/2785 S 38).

32

Gleiches gilt für den Bezug von Mutterschaftsgeld unmittelbar vor der Geburt, währenddessen regelmäßig kein berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt erzielt wird (vgl BT-Drucks 16/1889 S 20), sowie für den Bezug von Elterngeld wegen der im Falle einer schnellen Geburtenfolge drohenden Nachteile bei der Leistungshöhe (BT-Drucks 16/2785 S 32, 34). Diesen Gesetzeszweck, Nachteile bei der Elterngeldberechnung in besonderen Fallgruppen auszugleichen, hat der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 2 Abs 7 Satz 7 BEEG zum 24.1.2009 (BGBl I 61) nochmals ausdrücklich hervorgehoben (BT-Drucks 16/9415 S 5). Die Verschiebenstatbestände sollen demnach eine den berechtigten Elternteil begünstigende Ausnahme von dem Grundsatz der Elterngeldberechnung gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG darstellen, nach dem in aller Regel allein das in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt erzielte Erwerbseinkommen für die Leistungsbemessung maßgeblich ist.

33

Im Gegensatz zu diesem Gesetzeszweck kann sich die Modifizierung des Bemessungszeitraums nach § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG in bestimmten Fallkonstellationen nachteilig für die Elterngeldberechtigten auswirken. Dies ist immer dann der Fall, wenn in den von den Verschiebenstatbeständen betroffenen Monaten zumindest teilweise Erwerbseinkommen erzielt worden ist, in den vor dem regulären Bemessungszeitraum (§ 2 Abs 1 Satz 1 BEEG) liegenden Kalendermonaten, die nach wortlautgetreuer Anwendung nach § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nunmehr einzubeziehen wären, jedoch jegliches Erwerbseinkommen fehlt(zB bei Berufs(wieder)einsteigern, die unmittelbar vor oder während der Schwangerschaft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, vgl Buchner/Becker, MuSchG - BEEG, 8. Aufl 2008, § 2 BEEG RdNr 36). Ein Abweichen von der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG ist in diesen Fällen zweckwidrig, da die Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nicht zu der beabsichtigten Besserstellung des Personenkreises führt, sondern zu einer Verringerung des nach der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG erreichbaren Elterngeldanspruchs.

34

Wird in dieser Weise der Zweck einer den Berechtigten an sich begünstigenden Ausnahmeregelung verfehlt, spricht dies entscheidend für eine teleologische Reduktion der Vorschrift, die den Gesetzeswortlaut einschränkt. So wird zB auch im Bemessungsrecht des Arbeitslosengeldes (§§ 129 ff SGB III)überwiegend die Auffassung vertreten, dass bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums die Regelungen des § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 1 bis 4 SGB III, die ebenfalls besondere Zeiten ohne repräsentatives Einkommen(ua auch Bezugszeiten von Elterngeld, § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III) zu Gunsten des Arbeitslosen außer Betracht lassen, teleologisch in der Weise einzuschränken sind, dass gleichwohl das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt berücksichtigt wird, soweit dies für den Arbeitslosen günstiger ist (so LSG Baden-Württemberg Urteil vom 10.9.2008 - L 3 AL 4581/06 - juris RdNr 27; SG Dresden Urteil vom 18.10.2007 - S 37 AL 675/06 - juris RdNr 69 ff; Rolfs in Gagel, SGB III, Stand März 2011, § 130 RdNr 43; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand April 2011, § 130 RdNr 61; aA Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand April 2011, K § 130 RdNr 46; in der Tendenz ebenso, aber die Entscheidung letztlich offenlassend auch BSG Urteil vom 6.5.2009 - B 11 AL 7/08 R - SozR 4-4300 § 130 Nr 5 RdNr 18 ff und BSG Urteil vom 16.12.2009 - B 7 AL 39/08 R - juris RdNr 16 f; vgl hierzu auch jüngst BVerfG Beschluss vom 14.3.2011 - 1 BvL 13/07 - juris RdNr 38).

35

(3) Systematische Gründe legen ebenfalls eine Einschränkung der Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG im Wege einer teleologischen Reduktion nahe. Insbesondere kann einer solchen Auslegung nicht entgegengehalten werden, dass hierdurch abweichend vom Förderzweck des Elterngeldes sachwidrig Zeiten ohne "repräsentatives" Erwerbseinkommen in die Elterngeldberechnung einbezogen werden.

36

Der Gesetzgeber hat die Systematik des Bemessungsrechts (§ 2 BEEG) nach dem Förderzweck des Elterngeldes ausgestaltet. Das Elterngeld bezweckt eine finanzielle Absicherung, die sich an dem "vor der Geburt des Kindes" durchschnittlich erzielten Nettoentgelt orientiert (vgl BT-Drucks 16/1889 S 19). Dabei durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass ein grundsätzlich auf zwölf Kalendermonate begrenzter Bemessungszeitraum die Einkommensverhältnisse der Berechtigten vor der Geburt des Kindes am besten abbildet (vgl BT-Drucks 16/1889 S 20; vgl hierzu auch BSG Urteil vom 17.2.2011 - B 10 EG 21/09 R - juris RdNr 58). Insoweit entspricht es der Grundregel aus § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG, dass nur im Bemessungszeitraum erzieltes Erwerbseinkommen in die Elterngeldberechnung einbezogen wird, auch wenn sich allgemeine Erwerbsrisiken - insbesondere krankheitsbedingte Einkommenseinbußen(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.2.2011 - B 10 EG 20/09 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR) - verwirklichen. Der Gesetzgeber verzichtet damit grundsätzlich auf einen - möglicherweise wünschenswerten (vgl dazu Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes eV vom 1.9.2008, Ausschuss-Drucks 16(13)371c NEU zu BT-Drucks 16/9415) - sozialen Ausgleich. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen werden Sachverhalte berücksichtigt, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Förderzweck des Elterngeldes stehen (vgl § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG in der hier maßgeblichen Fassung vom 5.12.2006). Die betreffenden Zeiten werden bei der Bestimmung des Bemessungszeitraumes ausgespart und durch weiter zurückliegende Kalendermonate ersetzt.

37

Bei einem solchen Wechsel auf frühere Kalendermonate zur Bestimmung des Bemessungszeitraums wird von der dem Förderzweck entsprechenden Beschränkung auf die Einkommensverhältnisse in dem vorgeburtlichen Zwölfmonatszeitraum abgewichen. Wenn nun zur Vermeidung von sachwidrigen Ergebnissen die zwingende Anwendung der Ausnahmeregelung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG beschränkt wird, so kommt dies der Grundregel des § 2 Abs 1 BEEG zugute, die wiederum den Kern der Systematik zur Berechnung des Elterngeldes ausmacht. Die betreffenden, an sich von § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG erfassten Fälle der Einkommensminderung werden damit systemkonform den anderen - von vorneherein nicht "privilegierten" - Einkommenseinbußen gleichgestellt, die im maßgeblichen Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt des Kindes eingetreten sind.

38

(4) Eine teleologische Reduktion der Verschiebenstatbestände iS des § 2 Abs 7 Satz 5 bis 7 BEEG steht zudem nicht im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber im Allgemeinen verfolgten Effektivität des Gesetzesvollzugs(vgl etwa BT-Drucks 16/9415 S 6; siehe dazu auch die Gesetzesinitiativen des Bundesrates zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs in BT-Drucks 16/9897 und BT-Drucks 17/1221). Dieses gesetzgeberische Bestreben ist zu erkennen an der Aufnahme des steuerrechtlichen Begriffs des Erwerbseinkommens in § 2 Abs 1 Satz 2 BEEG, der zwar eine differenziertere Regelung im Gesetz erforderlich, aber eine eigenständige Rechtsverordnung entbehrlich gemacht hat(vgl BT-Drucks 16/2454 S 8, 11), an der Einkommensermittlung auf der Grundlage der Lohn- und Gehaltsbescheinigungen nach § 2 Abs 7 Satz 4 BEEG(vgl hierzu BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 3/09 R - BSGE 105, 84 = SozR 4-7837 § 2 Nr 4, RdNr 27 unter Hinweis auf Dau, jurisPR-SozR 21/2009 Anm 5; jüngst BSG Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR) und an dem möglichen Rückgriff auf den für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid bei Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit gemäß § 2 Abs 9 Satz 1 BEEG(vgl hierzu BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 5 RdNr 23 ff; jüngst BSG Urteile vom 17.2.2011 - B 10 EG 1/10 R und B 10 EG 2/10 R - juris).

39

Die vom Senat für richtig gehaltene Einschränkung der Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG führt dazu, dass es in bestimmten Fällen nicht zu einer Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraumes unter gleichzeitiger Aussparung von in den letzten zwölf Kalendermonaten vor der Geburt liegenden Monaten kommt, sondern es bei dem in § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG vorgesehenen Bemessungszeitraum bleibt. Die dann erfolgende Elterngeldberechnung entspricht also dem Regelfall und damit auch den gesetzgeberischen Effektivitätsvorstellungen. Ein Verwaltungsmehraufwand kann daher nur dadurch entstehen, dass die Fälle, in denen eine Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG zu sachwidrigen Ergebnissen führt, in geeigneter Weise bestimmt werden müssen. Dafür bieten sich nach Ansicht des Senats zwei Wege an, die eine unterschiedliche, aber insgesamt gesehen jeweils begrenzte zusätzliche Verwaltungstätigkeit mit sich bringen:

40

Zum einen könnten die Behörden verpflichtet sein, bei Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG(ab 24.1.2009 auch des Satzes 7) stets eine Vergleichsberechnung dahingehend vorzunehmen, ob sich daraus für die Berechtigten gegenüber einer Anwendung der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG Nachteile ergeben. Der damit verbundene Verwaltungsmehraufwand erscheint als relativ gering, weil die Berechnung mittels elektronischer Datenverarbeitung erfolgen kann und die dafür erforderlichen Daten ohne Weiteres verfügbar sind (vgl dazu auch Oyda, NZS 2010, 194, 198). Sollte bereits die Vergleichsberechnung gegen die Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG sprechen, würde sich sogar die Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale (zB die Ermittlung, ob eine maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführende Erkrankung vorliegt) erübrigen.

41

Zum anderen könnte es den Berechtigten überlassen bleiben, von sich aus auf eine Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG zu verzichten. Dann brauchten die Behörden grundsätzlich nur in den für die Antragstellung ausgegebenen Merkblättern und Formularen auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Im Übrigen hätten sie bei Bedarf eine Beratung durchzuführen (vgl § 14 SGB I). Auch der damit verbundene Aufwand ist als überschaubar anzusehen, zumal in den Fällen des Verzichtes durch die Nichtanwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG eine Arbeitserleichterung eintritt.

42

(5) Schließlich streiten für eine einschränkende Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG verfassungsrechtliche Gründe, die sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz(Art 3 Abs 1 GG) ergeben.

43

Art 3 Abs 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Dieser hat gerade auch im Bereich des Sozialrechts, wozu die Bestimmungen über das Elterngeld im ersten Abschnitt des BEEG gehören (§ 6, § 25 Abs 2 Satz 2, § 68 Nr 15a SGB I), einen weiten Gestaltungsspielraum. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist grundsätzlich erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stRspr des BVerfG seit BVerfGE 55, 72, 88; vgl jüngst BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfGE 117, 272, 300 f). Umgekehrt verbietet Art 3 Abs 1 GG auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, insbesondere die Gleichbehandlung einer Gruppe von Normadressaten mit einer anderen, obwohl zwischen beiden Gruppen gewichtige Unterschiede bestehen, die deren Gleichbehandlung als sachwidrig erscheinen lassen (vgl Jarras in Jarras/Pieroth, GG, 11. Aufl 2011, Art 3 RdNr 8 mwN).

44

Eine Ungleichbehandlung des hier betroffenen Personenkreises bestünde bei einer wortlautorientierten Anwendung des Gesetzes bereits gegenüber der Vergleichsgruppe derjenigen Elterngeldberechtigten mit gleichen Einkommensverhältnissen, bei denen eine Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraumes gemäß § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG und damit die Einbeziehung von einkommenslosen Zeiten in die Elterngeldberechnung von vorneherein nicht stattfindet, weil die von ihnen erlittenen Einkommenseinbußen nicht von § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG erfasst werden. Beide Vergleichsgruppen hatten im regulären Bemessungszeitraum (§ 2 Abs 1 Satz 1 BEEG) aufgrund bestimmter Sachverhalte ein gemindertes Erwerbseinkommen; im Falle des § 2 Abs 7 Satz 6 Alt 1 BEEG unterscheiden sich die Gruppen zB lediglich darin, dass Erwerbseinkommen auf der einen Seite wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung und auf der anderen Seite wegen einer unabhängig von der Schwangerschaft bestehenden Erkrankung weggefallen ist. Gegenüber dem hier betroffenen Personenkreis hat die von § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nicht erfasste Vergleichsgruppe, deren Elterngeld ohnehin nach der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG zu ermitteln ist, bei einschränkungsloser Gesetzesanwendung einen höheren Leistungsanspruch. Diese Ungleichbehandlung ist gemessen an dem Gesetzeszweck, Nachteile bei der Elterngeldberechnung in besonderen Fällen zu vermeiden, sachlich nicht gerechtfertigt.

45

Auch unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Familienförderung (vgl hierzu jüngst BVerfG Beschluss vom 6.6.2011 - 1 BvR 2712/09 - juris RdNr 8 f; BVerfG Beschluss vom 20.4.2011 - 1 BvR 1811/08 - juris RdNr 9) überschreitet diese Ungleichbehandlung die sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Grenzen typisierender Regelungen (vgl zu diesen Grenzen bereits BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 5 RdNr 36 ff). Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des SG, der wohl herrschenden Meinung in der Literatur (vgl Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 2007, RdNr 120; Wersig in Vereinbarkeit von Familie und Beruf, 1. Aufl 2009, Kap 6.2, § 2 BEEG RdNr 6, juris; von Koppenfels-Spies in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 2 BEEG RdNr 15)des BMFSFJ (vgl Bericht des Petitionsausschusses <2. Ausschuss>, BT-Drucks 17/6250 S 35) und der Beklagten ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die sich aus der wortlautgetreuen Gesetzesanwendung in bestimmten Fällen ergebenden Nachteile unter Berücksichtigung der Typisierungskompetenz des Gesetzgebers unbeachtlich sind.

46

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Gesetzgeber insbesondere im Sozialrecht bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Eine mit der Typisierung verbundene Belastung ist aber nur hinzunehmen, wenn die mit ihr einhergehenden Härten nicht besonders schwer wiegen, nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (BVerfGE 111, 115, 137 = SozR 4-8570 § 6 Nr 3 RdNr 39; BVerfGE 111, 176, 188 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 37)und eine verhältnismäßig kleine Gruppe betreffen, also es sich nur um einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle und nicht um eine, wenn auch zahlenmäßig begrenzte, Gruppe typischer Fälle handelt (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; 21, 12, 27 f; 63, 119, 128, 130). Hierbei sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (BVerfGE 9, 20, 31 f; 63, 119, 128).

47

Zwar wird § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG in der Mehrzahl der Fälle den objektiven Gesetzeszweck erreichen. Wegen seiner Ausgestaltung, die eine Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraums in die Vergangenheit mit sich bringt, ist aber nicht gewährleistet, dass bei Vorliegen der von der Regelung erfassten besonderen Sachverhalte durch die unbeschränkte Gesetzesanwendung nur eine verhältnismäßig kleine Personengruppe - entgegen dem Gesetzeszweck - Nachteile bei der Elterngeldberechnung erfährt. Denn der Gesetzgeber hat bei dem betroffenen Personenkreis eine lückenlose Erwerbsbiografie - in diesen Fällen werden Einkommensminderungen im Bemessungszeitraum nach § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG weitestgehend ausgeglichen - unterstellt, eine Annahme, die insbesondere bei jungen Elternteilen den heutigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, der durch eine zunehmende Flexibilisierung, durch befristete Arbeitsverträge und Zeitarbeit geprägt ist(vgl nur die allgemeinen Ausführungen zum Entwurf eines Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks 15/25 S 23 f), nicht unbedingt gerecht wird. Auch der nicht geringe Personenkreis der Berufsanfänger und "Wiedereinsteiger" ist dabei in Betracht zu ziehen.

48

Zudem kann - jedenfalls in Einzelfällen - die mit der wortlautgetreuen Gesetzesanwendung einhergehende Ungleichbehandlung besonders schwer wiegen, insbesondere dann, wenn es im regulären Bemessungszeitraum über mehrere Monate hinweg zu einer nur geringen Einkommensminderung - wie etwa durch die von der Klägerin geltend gemachte Aufgabe einer Nebenbeschäftigung - kommt, aber durch die Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraums (völlig) einkommenslose Zeiten in die Leistungsbemessung einbezogen werden. Im Falle einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung bliebe das - trotz Erkrankung - erzielte Erwerbseinkommen unberücksichtigt, obwohl es die vorgeburtlichen Einkommensverhältnisse des Elternteils maßgeblich geprägt hat. Entsprechendes gilt für den Verschiebenstatbestand nach § 2 Abs 7 Satz 5 BEEG, soweit der berechtigte Elternteil neben der Erziehung des Kindes während des Bezuges von Elterngeld unter Beachtung des § 1 Abs 1 Nr 4 und Abs 6 BEEG Erwerbseinkommen erzielt hat(vgl auch Oyda, NZS 2010, 194, 198).

49

Diese mit einer allein am Wortlaut orientierten Anwendung der Verschiebenstatbestände im Einzelfall verbundenen Härten sind schließlich - wie aufgezeigt - ohne größere Schwierigkeiten vermeidbar.

50

bb) Ist danach eine Einschränkung der Verschiebenstatbestände iS des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nach Sinn und Zweck des BEEG, der Gesetzessystematik und dem Gebot einer verfassungskonformen Auslegung erforderlich, so sind bei der Ausgestaltung einer solchen teleologischen Reduktion wiederum auch Grenzen zu beachten, die sich insbesondere aus der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben(vgl dazu allgemein Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 352). Nach Auffassung des Senats ist unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte der gesetzliche Tatbestand des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG dahingehend zu ergänzen, dass die Regelung nicht anzuwenden ist, soweit der berechtigte Elternteil auf eine Verschiebung des Beginns des in § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG vorgesehenen Bemessungszeitraums in die Vergangenheit ausdrücklich verzichtet.

51

Dabei orientiert sich der Senat an § 2 Abs 8 Satz 5 BEEG, wonach bei Elternteilen, die Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit erzielen(§ 2 Abs 8 Satz 1 BEEG), die Verschiebenstatbestände des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG nur auf Antrag entsprechend anzuwenden sind. Diese im Gesetzgebungsverfahren erst auf Empfehlung des Bundestags-Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) eingefügte Regelung ist als erforderlich angesehen worden, "da der Wechsel auf frühere Kalendermonate etwa bei jungen Müttern, deren Betrieb sich noch im Aufbau befindet, zu Nachteilen führen kann, während es im konkreten Einzelfall überhaupt nicht zu Einkommensreduzierungen gekommen sein muss, weil die Zahlungseingänge aus selbstständiger Arbeit häufig mit längerer Verzögerung zur Leistungserbringung erfolgen" (BT-Drucks 16/2785 S 38). Aus dieser Begründung wird deutlich, dass die Möglichkeit einer für die Berechtigten nachteiligen Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG gesehen worden ist und durch die Ausgestaltung des Gesetzes ausgeschlossen werden sollte. Wenngleich der Gesetzgeber dabei die besondere Situation selbstständig Erwerbstätiger - das mögliche Auseinanderfallen von Leistung und Gegenleistung in zeitlicher Hinsicht - vor Augen gehabt hat, ist die Interessenslage bei abhängig beschäftigten Elternteilen, die durch die Anwendung des § 2 Abs 7 Satz 5 oder 6 BEEG - den "Wechsel auf frühere Monate" - Nachteile erleiden, durchaus vergleichbar.

52

Zugleich kann aus dem Antragsrecht nach § 2 Abs 8 Satz 5 BEEG geschlossen werden, dass der Gesetzgeber den Verschiebenstatbeständen iS des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG bei der Bemessung des Elterngeldes keine ausnahmslos zwingende Bedeutung beigemessen, sondern sie als disponibel angesehen hat. Er hat in diesen Fällen in gewisser Weise Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts berücksichtigt, wonach einseitige Rechte und Vergünstigungen grundsätzlich zur Disposition des Berechtigten stehen (vgl BSG Urteil vom 26.2.1986 - 9a RVs 4/83 - SozR 3870 § 3 Nr 21 S 66 mwN). Dabei ist davon auszugehen, dass die Regelungen des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG in erster Linie Nachteile bei der Elterngeldberechnung vermeiden sollen und keine überwiegenden öffentlichen Interessen für eine strikte Anwendung der Norm sprechen. Angesichts des grundsätzlich anwendbaren Bemessungsrechts des BEEG (§ 2 Abs 1 Satz 1 BEEG) enthalten diese Regelungen auch keine zwingenden Berechnungselemente in einem für die Leistungsbemessung maßgeblichen Gesamtkonzept (anders die Berechnungselemente nach den Bestimmungen der Rentenversicherungsgesetze, vgl dazu BSG Urteil vom 8.3.1979 - 12 RK 32/78 - juris RdNr 15).

53

Schließlich ist das gesetzgeberische Ziel der Effektivität des Gesetzesvollzugs zu berücksichtigen, das gegen eine teleologische Reduktion der Norm im Wege einer von Amts wegen zu prüfenden, meistbegünstigenden Regel spricht (aA Oyda, NZS 2010, 194, 198-200). Mit der Möglichkeit des Verzichts obliegt es dem berechtigten Elternteil, über die Anwendung der Verschiebenstatbestände zu entscheiden; so werden im Rahmen der Amtsermittlung zu erfolgende Vergleichsberechnungen weitgehend vermieden.

54

Der Verzicht auf die Anwendung der Verschiebenstatbestände iS des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG ist nach den allgemeinen Regeln in entsprechender Anwendung des § 46 Abs 1 Halbs 1 SGB I schriftlich zu erklären.

55

cc) Nach diesen Maßgaben beurteilt sich die Höhe des Elterngeldanspruchs der Klägerin allein nach der Grundregel des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG, so dass das von September 2007 bis August 2008 erzielte Erwerbseinkommen bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen ist. Eine Modifizierung des Bemessungszeitraums nach § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG iVm § 2 Abs 7 Satz 5 BEEG ist im vorliegenden Fall von Gesetzes wegen nicht durchzuführen. Denn die Klägerin hat bereits im Verwaltungsverfahren eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der Einbeziehung der Monate Mai bis Juli 2007, in denen sie aufgrund Arbeitslosigkeit kein Erwerbseinkommen erzielt hat, nicht einverstanden ist. Hierin ist ein wirksamer Verzicht auf die Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraums in die Vergangenheit nach Maßgabe des § 2 Abs 7 Satz 6 BEEG zu sehen.

56

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Teilobsiegen der Klägerin. Gegenüber dem bereits mit der Ausgangsentscheidung bewilligten Elterngeld in Höhe von monatlich 659,08 Euro hat sich der Hauptantrag der Klägerin wertmäßig auf die Bewilligung eines monatlichen Elterngeldbetrags in Höhe von etwa 951 Euro bezogen. Unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse der Klägerin ist ihr aufgrund dieses Urteils ein monatlicher Leistungsbetrag in Höhe von etwa 846 Euro zu bewilligen, so dass eine Erstattung von zwei Dritteln der außergerichtlichen Kosten durch die Beklagte billigem Ermessen entspricht.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beigeladene tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 17,49 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Aufrechnung wegen Nichtberücksichtigung von Arzneimittelrabattverträgen.

2

Der klagende Apotheker gab am 2.10.2007 an eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) das in der ärztlichen Verordnung vom 1.10.2007 mit der Maßgabe "aut idem" bezeichnete Arzneimittel Junizac 150 mg ab (Apothekenabgabepreis: 19,79 Euro). Die Beklagte hatte für dieses Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V geschlossen, hingegen für andere mit dem abgegebenen Arzneimittel nach Wirkstoff, Wirkstärke, Darreichungsform, Packungsgröße und Indikationsbereich austauschbare Arzneimittel. Die Beklage vergütete dem Kläger unter Abzug des Apothekerrabatts zunächst 17,49 Euro, machte sodann einen Erstattungsanspruch geltend und rechnete diesen Betrag gegen einen anderen Vergütungsanspruch des Klägers auf. Das SG hat unter Zulassung der Sprungrevision die Beklagte zur Zahlung von 17,49 Euro verurteilt. Die Beklagte habe einen Erstattungsanspruch nur in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Rabattvertragsarzneimittel und dem tatsächlich abgegebenen Arzneimittel. Da die Beklagte den Inhalt der Rabattverträge nicht mitteile, sei die Ermittlung des Differenzbetrages nicht möglich. Der Ausschluss jeglicher Vergütung (Retaxierung auf Null) habe weder im Gesetz noch in den Rahmenverträgen eine Grundlage (Urteil vom 2.2.2012).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und des § 4 Abs 2 S 2 und Abs 4 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung. Sie habe wirksam mit einem Erstattungsanspruch aufgerechnet. Der Kläger habe infolge Verstoßes gegen die genannten Vorschriften keinen Vergütungsanspruch erworben.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie halten das SG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Sprungrevision der beklagten KK ist begründet. Das SG-Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an den klagenden Apotheker 17,49 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der zulässig mittels der echten Leistungsklage geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers für die Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte der Beklagten (dazu 1.) ist durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen (dazu 2.).

8

1. Nach § 129 SGB V(idF durch Art 1 Nr 95 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.4.2007) geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarung und Landesverträge (§ 129 Abs 2 und Abs 5 S 1 SGB V, vgl auch § 2 Abs 2 S 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKn, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird(stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 13; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 15). Die entsprechende Anwendung von Grundsätzen des Kaufvertragsrechts (vgl §§ 433 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V, jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V)scheidet aus.

9

Der Vergütungsanspruch des Klägers, gegenüber dem die Beklagte am 20.2.2009 aufrechnete, erfüllte die dargelegten Voraussetzungen. Dies ergibt sich aus den dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe des SG zu entnehmenden unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen aufgrund des zulässig vom SG zugrunde gelegten übereinstimmenden Beteiligtenvortrags (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17; § 163 SGG).

10

2. Der in Höhe von 17,49 Euro entstandene streitgegenständliche Vergütungsanspruch des Klägers erlosch dadurch, dass die Beklagte analog § 387 BGB in gleicher Höhe mit einem eigenen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen ihn aufrechnete.

11

a) Die Anwendbarkeit der §§ 387 ff BGB folgt aus § 69 S 4 SGB V(jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V). In Einklang mit der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 16) geht der erkennende Senat davon aus, dass das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen umfassend ist. Es betrifft nicht nur die Korrektur von sog Abrechnungsfehlern. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es zB an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt, ein Medikament - wie hier - nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst wird oder unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages (ALV) abgegeben worden ist (vgl zB BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6 - fehlende Genehmigung der KK vor Abgabe des Importarzneimittels; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 - Überschreitung der einmonatigen Frist zur Vorlage eines Kassenrezepts). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des RV. Ein Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Rahmenverträgen.

12

Insbesondere schließen die in § 11 RV geregelten "Vertragsmaßnahmen" (Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25 000 Euro, Ausschluss des Apothekenleiters/der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren) einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht aus. Sie regeln vertraglich vereinbarte Sanktionen, die an ein rechtswidriges und schuldhaftes Fehlverhalten des Apothekers anknüpfen. Sie haben aber nicht die Rückabwicklung von rechtswidrigen Vermögensverschiebungen zum Gegenstand. Weder wollen noch könnten sie nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ausschließen, weil die Vorschrift dann gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen würde (zu einer gegen KKn gerichteten Ausschlussfrist vgl BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 35).

13

Die Beklagte konnte mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung aufrechnen (vgl allgemein zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zB BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 10 f mwN; zur Aufrechnung mit diesem zB BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 11; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Auch die sich aus der fehlgeschlagenen, aber intendierten Leistungserbringung für nach dem SGB V Versicherte ergebenden Rückabwicklungsbeziehungen zwischen KKn und Apothekern sind spiegelbildlich zu den Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Natur. Der Vergütungsanspruch des Klägers und der von der Beklagten nach den Feststellungen des SG - und dem übereinstimmenden Beteiligtenvortrag - gemäß den rahmenvertraglichen Bestimmungen von der Beklagten formell ordnungsgemäß geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllte die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch fällig und der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllbar.

14

Die Beklagte hatte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm ohne Rechtsgrund 17,49 Euro aufgrund der Lieferung des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) gezahlt hatte. Der vom Kläger hierfür geltend gemachte Vergütungsanspruch war nicht entstanden (dazu b). Der Kläger hatte auch keinen Anspruch auf Wertersatz oder zumindest auf Erstattung der Kosten der Warenbeschaffung (dazu c). Sowohl der sich dem Grunde und der Höhe nach ergebende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als solcher als auch seine Geltendmachung im Aufrechnungswege stehen in Einklang mit höherrangigem Recht (dazu d).

15

b) Der Kläger erwarb keinen Vergütungsanspruch, weil er zur Abgabe des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) an die Versicherte nicht berechtigt war. Er erfüllte damit nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht, sondern missachtete das Substitutionsgebot für "aut idem" verordnete Rabattarzneimittel. Dieses Substitutionsgebot beruht auf § 129 Abs 1 S 3 SGB V und dem ergänzenden Vertragsrecht(dazu aa). Seine Voraussetzungen waren erfüllt (dazu bb). Die Verletzung des Substitutionsgebots schließt einen Vergütungsanspruch aus (dazu cc).

16

aa) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach § 129 Abs 2 SGB V zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels ua in den Fällen verpflichtet, in denen der verordnende Arzt die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat(§ 129 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB V). In den Fällen der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt (S 2). Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V mit Wirkung für die KK besteht, soweit hierzu in ergänzenden Verträgen auf Landesebene nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist(S 3).

17

Der Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V regelt Ergänzungen zum Substitutionsgebot gemäß § 129 Abs 1 S 3 SGB V. Maßgebend ist hier der auf Bundesebene zwischen den Spitzenverbänden der KKn einschließlich der Ersatzkassen und dem beigeladenen Deutschen Apothekerverband eV (DAV) geschlossene "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung" (RV) idF vom 23.3.2007. Der RV ist als Normenvertrag für den Kläger nach § 129 Abs 3 Nr 1 SGB V verbindlich, weil sein Landesverband ein Mitgliedsverband des Beigeladenen ist. Die Verbindlichkeit des RV ergibt sich für die Beklagte unmittelbar aus dem Gesetz. § 4 Abs 2 S 2 RV sieht vor, dass die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen ist, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V (Rabattvertrag) besteht und für das die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 RV gegeben sind, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist. § 4 Abs 4 S 1 und 2 RV bestimmen: Die Apotheke hat ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel abzugeben, für das ein Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V (rabattbegünstigtes Arzneimittel) besteht, wenn (a) bei unter dem Produktnamen verordneten Fertigarzneimitteln der Vertragsarzt die Ersetzung nicht ausgeschlossen hat, (b) die Angaben zu dem rabattbegünstigten Arzneimittel nach § 4 Abs 5 RV vollständig und bis zu dem vereinbarten Stichtag mitgeteilt wurden, (c) die Voraussetzungen für die Auswahl nach § 4 Abs 3 S 2 RV vorliegen, (d) das rabattbegünstigte Arzneimittel im Zeitpunkt der Vorlage der Verordnung verfügbar ist. Hat die KK für mehrere Arzneimittel, die die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 S 1 RV erfüllen, Rabattverträge geschlossen, ist die Apotheke in der Auswahl unter diesen Arzneimitteln frei. Die Voraussetzungen für die Auswahl liegen nach § 4 Abs 3 S 2 RV nur vor, wenn die Rabattvertragsarzneimittel mit dem verordneten Arzneimittel in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind, ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen und das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel zuzuordnen ist, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Hinweise zur Austauschbarkeit nach § 129 Abs 1a SGB V gegeben hat.

18

Der für den Kläger und die Beklagte geltende, hier anzuwendende ergänzende Vertrag auf Landesebene enthält nichts Abweichendes zum Substitutionsgebot. Nach § 129 Abs 5 S 1 SGB V können die Landesverbände der KKn und die Verbände der Ersatzkassen mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Maßgeblich ist hier der ab 1.7.2005 geltende ALV, geschlossen ua zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV (einschließlich ihrer Landesvertretungen; VdAK) und dem Beigeladenen, handelnd für die Landesapothekerverbände. Der Kläger ist als Mitglied des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein eV nach § 2 Abs 2 ALV, die Beklagte als Mitgliedskasse des vertragsschließenden VdAK nach § 2 Abs 1 ALV an diesen Landesvertrag gebunden(zum zwischenzeitlichen Wechsel der Abschlussbefugnis vom VdAK auf den Verband der Ersatzkassen vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 14). Die Regelungen zur "Unterstützung von Rabattverträgen gemäß § 130a Absatz 8 SGB V durch Apotheken" in Anlage 8 ALV dienten lediglich dazu, den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht gesetzlich geregelten Vorrang der Rabattvertragsarzneimittel ohne Offenlegung des Inhalts der Rabattverträge durch Belohnung eines entsprechenden Abgabeverhaltens der Apotheker herbeizuführen(vgl § 4 Anlage 8 ALV).

19

bb) Der Kläger durfte nach den Feststellungen des SG der Versicherten aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung nicht das Arzneimittel Junizac abgeben, da die dargelegten Voraussetzungen des Substitutionsgebots erfüllt waren. Im Zeitpunkt der Abgabe erfüllten fünf andere Rabattvertragsarzneimittel die Voraussetzungen für die Ersetzung des nur dem Produktnamen nach verordneten Arzneimittels, wie der Kläger in seiner Klageschrift im Übrigen selbst vorgetragen hat. Soweit er mit seinen Ausführungen in der Revisionserwiderung zur Nichtnachprüfbarkeit der von der Beklagten behaupteten Rabattverträge konkludent eine Verfahrensrüge erhoben haben sollte, ist diese schon wegen § 161 Abs 4 SGG unbeachtlich. Hiernach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

20

cc) Der Verstoß des Klägers gegen das Substitutionsgebot schließt jegliche Vergütung für die Abgabe des Arzneimittels aus. Dies folgt schon aus den allgemeinen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs für Apotheker (dazu (1). Es widerspräche auch dem Gesetzeszweck des Substitutionsgebots (dazu (2). Schließlich ließe die Annahme einer Vergütungspflicht außer Acht, dass eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot keinen Anspruch der Versicherten erfüllt (dazu (3).

21

(1) Nach der Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats und des 3. Senats des BSG besteht ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK bei Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an deren Versicherte lediglich als Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung des Apothekers (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 13; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 16). Fehlt es an einer Lieferberechtigung und -verpflichtung, kann aus einer dennoch erfolgten Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte einer KK kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK erwachsen. Das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regelt, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfene welche Risiken trägt. Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko: Die KK muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nichts zahlen.

22

(2) Eine Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde dem Zweck der Regelung widersprechen. Der Gesetzgeber fügte dieses Gebot in das SGB V ein (vgl § 129 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Art 1 Nr 95 Buchst a Doppelbuchst bb GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378), um die Wirksamkeit von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB V zu erhöhen. Nach den Gesetzesmaterialien sollte grundsätzlich die Apotheke bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln eine Ersetzung durch Präparate vornehmen, für die Vereinbarungen über Preisnachlässe auf den Abgabepreis mit dem pharmazeutischen Unternehmer nach § 130a Abs 8 SGB V gelten. Damit - so die Begründung - wird die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen verbessert (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 142 zu Nummer 95 (§ 129), zu Buchst a, zu Doppelbuchst cc). Die Annahme einer Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde diese Zielsetzung konterkarieren.

23

(3) Wie fernliegend es ist, eine Vergütungspflicht der KKn für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel anzunehmen, wird schließlich daran deutlich, dass Versicherte keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot haben. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hat dagegen ein Apotheker, der bei der Abgabe einzelimportierter Fertigarzneimittel an Versicherte gegen Vertragspflichten verstößt, selbst dann keinen Anspruch auf Vergütung gegen die KK, wenn der Versicherte das Mittel zur Behandlung einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit beanspruchen kann (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 17 ff und LS 2). Für einen Vergütungsanspruch des vertragswidrig handelnden Apothekers genügt es dementsprechend nicht, dass ein Versicherter letztlich das abgegebene Arzneimittel beanspruchen könnte. Nur ganz besondere Risikoabwägungen können es rechtfertigen, Leistungserbringern einen Vergütungsanspruch zuzuerkennen, obwohl sie mit ihrer Leistung keinen Anspruch eines Versicherten erfüllen (vgl hierzu zB BSG GesR 2007, 276, RdNr 55; BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 33; BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr 9; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 23; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 20). Für solche Erwägungen liegt hier nichts vor.

24

Versicherte, denen ein Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung oder unter seinem Produktnamen verordnet, ohne dessen Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel auszuschließen, haben nach Maßgabe des dargelegten Gesetzes- und Vertragsrechts lediglich Anspruch auf Verschaffung eines entsprechenden Rabattvertragsarzneimittels unter Achtung des Substitutionsgebots. Dies folgt aus dem dargelegten Wortlaut des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und seinem Regelungszusammenhang mit den Ansprüchen Versicherter(vgl allgemein zum Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht zB BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 20 f). Die Entwicklungsgeschichte zeigt die Begrenzung besonders prägnant: Nach § 129 Abs 1 S 5 SGB V(eingefügt durch Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung - Arzneimittelmarktneuordnungs-gesetz - AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011) können Versicherte inzwischen - abweichend von § 129 Abs 1 S 3 und 4 SGB V - gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach § 129 Abs 1 S 2 SGB V erfüllt sind. Die Regelung gestattet Versicherten im Zusammenspiel mit den ebenfalls eingefügten Bestimmungen des § 13 Abs 2 S 11(vgl Art 1 Nr 1 AMNOG) und § 129 Abs 1 S 6 SGB V(vgl Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc AMNOG) vor allem, sich nunmehr durch spontan gewillkürte Wahl im medizinisch austauschbaren "aut idem"-Bereich vom Naturalleistungsbezug als Regelfall zu lösen und stattdessen selbst für den Einzelfall eines Arzneimittels Kostenerstattung zu wählen (vgl Hauck, GesR 2011, 69, 73). Die Regelung wäre überflüssig gewesen, wenn Versicherte entgegen § 129 Abs 1 S 3 SGB V Anspruch auf ein vertraglich nicht rabattiertes Arzneimittel gehabt hätten und die ärztliche Verordnung ohne Beachtung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V Grundlage für die Abgabe eines derartigen Arzneimittels hätte sein können. Die Beschränkung des Sachleistungsanspruchs der Versicherten unter den dargelegten Voraussetzungen auf vom Apotheker ausgewählte Rabattvertragsarzneimittel entspricht schließlich dem Regelungszweck des § 129 Abs 1 S 3 SGB V, Arzneimittelkosten in der GKV ohne Qualitätsverlust einzusparen. Dies harmoniert in besonderer Weise mit der Verwirklichung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 SGB V) und der Sicherung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (§ 71 S 1 SGB V).

25

c) Der dem Grunde nach bestehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten erfasst den vollen Betrag der rechtsgrundlos gezahlten Vergütung. Er ist der Höhe nach nicht auf den Betrag beschränkt, der sich - nach Abzug des Apothekerrabatts - aus der Differenz der von der Beklagten gezahlten Vergütung für das abgegebene Arzneimittel Junizac 150 mg N3 und einem Rabattvertragsarzneimittel ergibt. Die dargelegten Grenzen eines Vergütungsanspruchs stehen der Anwendung der Regelungen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen entgegen (§§ 812 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 40a GKV-WSG) .

26

§ 69 S 4 SGB V schließt nicht schon grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung(§§ 812 ff BGB) im Leistungserbringungsrecht aus. Ihr Anwendungsbereich ist indes nicht eröffnet, wenn sie gesetzliche und (normen)vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsgeschehen in der GKV steuern, zu unterlaufen drohen. Diese Regelungen können ihre Steuerungsfunktion nur erfüllen, wenn sie vollständig beachtet werden. Auf die Schwere des Verstoßes kommt es dabei nicht an. So liegt es hier. Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zugunsten des Leistungserbringers würde den oben aufgezeigten Zweck des Substitutionsgebots missachten (vgl entsprechend 1. Senat des BSG zB BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97; BSGE 89, 39, 44 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 121; BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24 zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder der ungerechtfertigten Bereicherung; vgl zu ersteren auch BSGE 109, 133 = SozR 4-1750 § 68 Nr 1, RdNr 21; 6. Senat des BSG, zB BSG Urteil vom 26.1.2000 - B 6 KA 59/98 R - Juris RdNr 26; BSGE 80, 1, 4 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 9; BSGE 79, 239, 249 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 14 S 57 f; 3. Senat des BSG BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 7 RdNr 29, zur Vergütung von Krankenhausleistungen außerhalb des Versorgungsauftrags des Krankenhauses; BSGE 94, 213 RdNr 26 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 23 mwN, zu einem rechtswidrig importierten Arzneimittel).

27

d) § 129 Abs 1 S 3 SGB V und § 4 Abs 2 S 2 RV verstoßen in der vorgenommenen Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ist die darin liegende Berufsausübungsregelung für Apotheker wie den Kläger gerechtfertigt. Die Regelung, die Apothekern abverlangt, das dargelegte Substitutionsgebot zu beachten, ist als Berufsausübungsregelung an Art 12 Abs 1 GG zu messen (vgl zB zu Preisregelungen für Apotheker BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 129 ff; s auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 15). Die damit verbundene Belastung ist für Apotheker spürbar, aber gering: Sie dürfen vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur unter zusätzlicher Achtung des Substitutionsgebots an Versicherte abgeben. Dies entspricht den von ihnen zu fordernden und zu erwartenden professionellen Fähigkeiten. Sie müssen hierzu die ihnen zur Verfügung stehenden, durch Softwareprogramme abrufbaren Daten über Rabattverträge nutzen, um die Ersetzungsvoraussetzungen zu prüfen und Rabattvertragsarzneimittel auszuwählen.

28

Diese Berufsausübungsregelung ist - wie verfassungsrechtlich geboten - durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Sie dient - wie dargelegt - in geeigneter Weise und nach vertretbarer Einschätzung des Gesetzgebers in erforderlichem Umfang der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV. Das Substitutionsgebot ist auch verhältnismäßig. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV ist ein Gemeinwohlbelang sogar von überragender Bedeutung (vgl BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 233; BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3). Das Gebot, Rabattvertragsarzneimittel abzugeben, kann nur dann seinen Zweck sicher erfüllen, wenn es zugleich umfassend verbietet, nicht rabattierte Arzneimittel abzugeben. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Gesetz dessen strikte Einhaltung einfordert und bei insoweit fehlerhafter Abgabe einen Vergütungsanspruch vollständig ausschließt.

29

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Teils 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.

(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.

(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.

(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.

(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.

(1) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Absatz 2 verpflichtet zur

1.
Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels in den Fällen, in denen der verordnende Arzt
a)
ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder
b)
die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat,
2.
Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln, wenn deren für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis unter Berücksichtigung der Abschläge nach § 130a Absatz 1, 1a, 1b, 2, 3a und 3b um den folgenden Prozentwert oder Betrag niedriger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels:
a)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro: mindestens 15 Prozent niedriger,
b)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro: mindestens 15 Euro niedriger,
c)
bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro: mindestens 5 Prozent niedriger;
in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Regelungen vereinbart werden, die zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen,
3.
Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen und
4.
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung. Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist; die Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 3 rabattierten Arzneimittels ist der Abgabe eines nach § 130a Absatz 8a Satz 6 rabattierten Arzneimittels gleichgestellt. Eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ist auch bei Fertigarzneimitteln vorzunehmen, die für in Apotheken hergestellte parenterale Zubereitungen verwendet werden, wenn für das wirkstoffgleiche Arzneimittel eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8c mit Wirkung für die Krankenkasse besteht und sofern in Verträgen nach Absatz 5 nichts anderes vereinbart ist. Besteht keine entsprechende Vereinbarung nach § 130a Abs. 8, hat die Apotheke die Ersetzung durch ein preisgünstigeres Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages vorzunehmen. Abweichend von den Sätzen 3 und 5 können Versicherte gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach Satz 2 erfüllt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 12 findet keine Anwendung. Bei der Abgabe von importierten Arzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln gelten die Sätze 3 und 5 entsprechend; dabei hat die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 besteht, Vorrang vor der Abgabe nach Satz 1 Nummer 2. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und antineoplatische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2021 einen Bericht über die Auswirkungen von Satz 1 Nummer 2 vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit leitet diesen Bericht an den Deutschen Bundestag weiter mit einer eigenen Bewertung zur Beschlussfassung, ob eine Regelung nach Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung des Berichts weiterhin notwendig ist. Die Regelungen für preisgünstige Arzneimittel nach Satz 1 Nummer 1 und den Sätzen 2 bis 7 gelten entsprechend für im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 eine Austauschbarkeit in Bezug auf ein biologisches Referenzarzneimittel festgestellt hat.

(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 die Arzneimittel, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgeschlossen ist; dabei sollen insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gibt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit. Die Hinweise sind erstmals bis zum 16. August 2020 zu bestimmen. Spätestens bis zum 16. August 2023 gibt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ebenfalls Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken. Dabei soll der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten geben. Zur Umsetzung des Regelungsauftrags erhält der Gemeinsame Bundesausschuss auf Verlangen Einsicht in die Zulassungsunterlagen bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere.

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Eine Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Werden Apotheken nur von einer vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung beliefert, liegt abweichend von Satz 2 eine Nichtverfügbarkeit vor, wenn das Arzneimittel innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei dieser vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlung im Sinne des § 52b Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz des Arzneimittelgesetzes nicht beschafft werden kann. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1.
die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
2.
die Packungsanzahl,
3.
die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
4.
die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

(3) Der Rahmenvertrag nach Absatz 2 hat Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie

1.
einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, daß von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben, oder
2.
dem Rahmenvertrag beitreten.
Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.

(4) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, daß Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können. Ferner ist vorzusehen, dass Apotheken bei einem gröblichen oder einem wiederholten Verstoß gegen Absatz 3 Satz 3 Vertragsstrafen von bis zu 50 000 Euro für jeden Verstoß erhalten, wobei die Gesamtvertragsstrafe für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße 250 000 Euro nicht überschreiten darf. Wird eine Vertragsstrafe nach Satz 4 ausgesprochen, kann vorgesehen werden, dass die Berechtigung zur weiteren Versorgung bis zur vollständigen Begleichung der Vertragsstrafe ausgesetzt wird. Die Vertragspartner bestimmen im Rahmenvertrag die für die Ahndung von Verstößen gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 oder gegen Absatz 3 Satz 3 zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen und regeln das Nähere zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens, einschließlich der Verwendung der vereinnahmten Vertragsstrafen. Kommt eine Regelung nach Satz 4 oder Satz 6 nicht bis zum 30. Juni 2021 zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.

(4a) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 sind bis zum 31. März 2020 die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verschreibungen von Leistungen nach § 31 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86.

(4b) Im Rahmenvertrag nach Absatz 2 ist ebenfalls das Nähere zur erneuten Abgabe und Abrechnung eines mangelfreien Arzneimittels für versicherte Personen im Fall des § 31 Absatz 3 Satz 7 zu vereinbaren, insbesondere zur Kennzeichnung entsprechender Ersatzverordnungen und zur Mitwirkungspflicht der Apotheken nach § 131a Absatz 1 Satz 3.

(4c) Eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln ist von den Vertragspartnern nach Absatz 2 sicherzustellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist bei einer Abgabe nach Satz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 die Mehrkosten. Das Nähere zur unmittelbaren Abgabe nach den Sätzen 2 und 3 und zur Abrechnung ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 festzulegen.

(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1.
die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
2.
das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3.
die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4.
die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5.
die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; in diesen Fällen besteht kein Anspruch der abgebenden Apotheke auf die Vergütung nach § 3 Absatz 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung.

(4e) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Dezember 2024 einen Bericht zu den Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 4d und zur Einhaltung der Vorgaben nach Absatz 2a vorzulegen.

(5) Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Absatz 3 gilt entsprechend. In dem Vertrag nach Satz 1 kann abweichend vom Rahmenvertrag nach Absatz 2 vereinbart werden, dass die Apotheke die Ersetzung wirkstoffgleicher Arzneimittel so vorzunehmen hat, dass der Krankenkasse Kosten nur in Höhe eines zu vereinbarenden durchschnittlichen Betrags je Arzneimittel entstehen. Verträge nach Satz 3 in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung werden mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam.

(5a) Bei Abgabe eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels gilt bei Abrechnung nach § 300 ein für die Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis in Höhe des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich der Zuschläge nach den §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. Dezember 2003 gültigen Fassung.

(5b) Apotheken können an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden; die Angebote sind öffentlich auszuschreiben. In Verträgen nach Satz 1 sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheke vereinbart werden. In der besonderen Versorgung kann in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der besonderen Versorgung teilnehmenden Versicherten auch abweichend von Vorschriften dieses Buches vereinbart werden.

(5c) Für Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln gelten die Preise, die zwischen der mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grund von Vorschriften nach dem Arzneimittelgesetz vereinbart sind. Für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie haben die Vertragspartner nach Satz 1 die Höhe der Preise nach Satz 1 neu zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 oder 2 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung nach Satz 2 ist bis zum 31. August 2017 zu treffen. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Gelten für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen keine Vereinbarungen über die zu berechnenden Einkaufspreise nach Satz 1, berechnet die Apotheke ihre tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise, höchstens jedoch die Apothekeneinkaufspreise, die bei Abgabe an Verbraucher auf Grund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz, nach Absatz 3 Satz 3 oder auf Grund von Satz 1 gelten, jeweils abzüglich der Abschläge nach § 130a Absatz 1. Kostenvorteile durch die Verwendung von Teilmengen von Fertigarzneimitteln sind zu berücksichtigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse können von der Apotheke Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise und vom pharmazeutischen Unternehmer über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen verlangen. Sofern eine Apotheke bei der parenteralen Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie einen Betrieb, der nach § 21 Absatz 2 Nummer 1b Buchstabe a erste Alternative des Arzneimittelgesetzes tätig wird, beauftragt, können der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankenkasse von der Apotheke auch einen Nachweis über den tatsächlichen Einkaufspreis dieses Betriebs verlangen. Der Anspruch nach Satz 8 umfasst jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte. Klagen über den Auskunftsanspruch haben keine aufschiebende Wirkung; ein Vorverfahren findet nicht statt. Die Krankenkasse kann ihren Landesverband mit der Prüfung beauftragen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 gelten in den Fällen, in denen ein Wirkstoff zu dem nach den Sätzen 1 bis 5 vereinbarten oder festgesetzten Preis nicht verfügbar ist, die Sätze 6 bis 12 entsprechend.

(5d) Für Leistungen nach § 31 Absatz 6 vereinbaren die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Apothekenzuschläge für die Abgabe als Stoff und für Zubereitungen aus Stoffen gemäß der auf Grund des § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung. Die Vereinbarung nach Satz 1 ist bis zum 29. Februar 2020 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort. Absatz 5c Satz 8 und 10 bis 12 gilt entsprechend. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Krankassen können auch von Arzneimittelgroßhändlern und Arzneimittelimporteuren Nachweise über die Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für Leistungen nach § 31 Absatz 6 verlangen.

(5e) Versicherte haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern. Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei

1.
der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
2.
der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
3.
der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
4.
der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen. Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung die pharmazeutischen Dienstleistungen nach den Sätzen 1 bis 3 sowie das Nähere zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen, zur Vergütung der erbrachten Dienstleistungen und zu deren Abrechnung. Die Vereinbarung nach Satz 4 ist bis zum 30. Juni 2021 zu treffen. Kommt eine Vereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8. Die Vereinbarung oder der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

(5f) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum 31. Dezember 2023 die Auswirkungen der Regelung des Absatzes 3 Satz 2 und 3 auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

(5g) Apotheken können bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erheben.

(6) Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ist verpflichtet, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 1a, die zur Herstellung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und die zur Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 Abs. 1 und 2 oder zur Erfüllung der Aufgaben nach § 35a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 erforderlichen Daten dem Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln und auf Verlangen notwendige Auskünfte zu erteilen. Das Nähere regelt der Rahmenvertrag nach Absatz 2.

(7) Kommt der Rahmenvertrag nach Absatz 2 ganz oder teilweise nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit bestimmten Frist zustande, wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Absatz 8 festgesetzt.

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. Sie besteht aus Vertretern der Krankenkassen und der Apotheker in gleicher Zahl sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Vertragspartner einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, gilt § 89 Absatz 6 Satz 3 entsprechend.

(9) Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. Sie sind an Weisungen nicht gebunden. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Mitglieder getroffen. Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Klagen gegen Festsetzungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung.

(10) Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. Es kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zahl und die Bestellung der Mitglieder, die Erstattung der baren Auslagen und die Entschädigung für Zeitaufwand der Mitglieder, das Verfahren, sein Teilnahmerecht an den Sitzungen sowie über die Verteilung der Kosten regeln.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beigeladene tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 17,49 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Aufrechnung wegen Nichtberücksichtigung von Arzneimittelrabattverträgen.

2

Der klagende Apotheker gab am 2.10.2007 an eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) das in der ärztlichen Verordnung vom 1.10.2007 mit der Maßgabe "aut idem" bezeichnete Arzneimittel Junizac 150 mg ab (Apothekenabgabepreis: 19,79 Euro). Die Beklagte hatte für dieses Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V geschlossen, hingegen für andere mit dem abgegebenen Arzneimittel nach Wirkstoff, Wirkstärke, Darreichungsform, Packungsgröße und Indikationsbereich austauschbare Arzneimittel. Die Beklage vergütete dem Kläger unter Abzug des Apothekerrabatts zunächst 17,49 Euro, machte sodann einen Erstattungsanspruch geltend und rechnete diesen Betrag gegen einen anderen Vergütungsanspruch des Klägers auf. Das SG hat unter Zulassung der Sprungrevision die Beklagte zur Zahlung von 17,49 Euro verurteilt. Die Beklagte habe einen Erstattungsanspruch nur in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Rabattvertragsarzneimittel und dem tatsächlich abgegebenen Arzneimittel. Da die Beklagte den Inhalt der Rabattverträge nicht mitteile, sei die Ermittlung des Differenzbetrages nicht möglich. Der Ausschluss jeglicher Vergütung (Retaxierung auf Null) habe weder im Gesetz noch in den Rahmenverträgen eine Grundlage (Urteil vom 2.2.2012).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und des § 4 Abs 2 S 2 und Abs 4 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung. Sie habe wirksam mit einem Erstattungsanspruch aufgerechnet. Der Kläger habe infolge Verstoßes gegen die genannten Vorschriften keinen Vergütungsanspruch erworben.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie halten das SG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Sprungrevision der beklagten KK ist begründet. Das SG-Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an den klagenden Apotheker 17,49 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der zulässig mittels der echten Leistungsklage geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers für die Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte der Beklagten (dazu 1.) ist durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen (dazu 2.).

8

1. Nach § 129 SGB V(idF durch Art 1 Nr 95 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.4.2007) geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarung und Landesverträge (§ 129 Abs 2 und Abs 5 S 1 SGB V, vgl auch § 2 Abs 2 S 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKn, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird(stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 13; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 15). Die entsprechende Anwendung von Grundsätzen des Kaufvertragsrechts (vgl §§ 433 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V, jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V)scheidet aus.

9

Der Vergütungsanspruch des Klägers, gegenüber dem die Beklagte am 20.2.2009 aufrechnete, erfüllte die dargelegten Voraussetzungen. Dies ergibt sich aus den dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe des SG zu entnehmenden unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen aufgrund des zulässig vom SG zugrunde gelegten übereinstimmenden Beteiligtenvortrags (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17; § 163 SGG).

10

2. Der in Höhe von 17,49 Euro entstandene streitgegenständliche Vergütungsanspruch des Klägers erlosch dadurch, dass die Beklagte analog § 387 BGB in gleicher Höhe mit einem eigenen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen ihn aufrechnete.

11

a) Die Anwendbarkeit der §§ 387 ff BGB folgt aus § 69 S 4 SGB V(jetzt § 69 Abs 1 S 3 SGB V). In Einklang mit der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 16) geht der erkennende Senat davon aus, dass das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen umfassend ist. Es betrifft nicht nur die Korrektur von sog Abrechnungsfehlern. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es zB an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt, ein Medikament - wie hier - nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst wird oder unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages (ALV) abgegeben worden ist (vgl zB BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6 - fehlende Genehmigung der KK vor Abgabe des Importarzneimittels; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 - Überschreitung der einmonatigen Frist zur Vorlage eines Kassenrezepts). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des RV. Ein Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Rahmenverträgen.

12

Insbesondere schließen die in § 11 RV geregelten "Vertragsmaßnahmen" (Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25 000 Euro, Ausschluss des Apothekenleiters/der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren) einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht aus. Sie regeln vertraglich vereinbarte Sanktionen, die an ein rechtswidriges und schuldhaftes Fehlverhalten des Apothekers anknüpfen. Sie haben aber nicht die Rückabwicklung von rechtswidrigen Vermögensverschiebungen zum Gegenstand. Weder wollen noch könnten sie nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ausschließen, weil die Vorschrift dann gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen würde (zu einer gegen KKn gerichteten Ausschlussfrist vgl BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 35).

13

Die Beklagte konnte mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung aufrechnen (vgl allgemein zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zB BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 10 f mwN; zur Aufrechnung mit diesem zB BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 11; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Auch die sich aus der fehlgeschlagenen, aber intendierten Leistungserbringung für nach dem SGB V Versicherte ergebenden Rückabwicklungsbeziehungen zwischen KKn und Apothekern sind spiegelbildlich zu den Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Natur. Der Vergütungsanspruch des Klägers und der von der Beklagten nach den Feststellungen des SG - und dem übereinstimmenden Beteiligtenvortrag - gemäß den rahmenvertraglichen Bestimmungen von der Beklagten formell ordnungsgemäß geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllte die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch fällig und der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllbar.

14

Die Beklagte hatte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm ohne Rechtsgrund 17,49 Euro aufgrund der Lieferung des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) gezahlt hatte. Der vom Kläger hierfür geltend gemachte Vergütungsanspruch war nicht entstanden (dazu b). Der Kläger hatte auch keinen Anspruch auf Wertersatz oder zumindest auf Erstattung der Kosten der Warenbeschaffung (dazu c). Sowohl der sich dem Grunde und der Höhe nach ergebende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als solcher als auch seine Geltendmachung im Aufrechnungswege stehen in Einklang mit höherrangigem Recht (dazu d).

15

b) Der Kläger erwarb keinen Vergütungsanspruch, weil er zur Abgabe des Arzneimittels Junizac 150 mg (100 Filmtabletten N3) an die Versicherte nicht berechtigt war. Er erfüllte damit nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht, sondern missachtete das Substitutionsgebot für "aut idem" verordnete Rabattarzneimittel. Dieses Substitutionsgebot beruht auf § 129 Abs 1 S 3 SGB V und dem ergänzenden Vertragsrecht(dazu aa). Seine Voraussetzungen waren erfüllt (dazu bb). Die Verletzung des Substitutionsgebots schließt einen Vergütungsanspruch aus (dazu cc).

16

aa) Die Apotheken sind bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach § 129 Abs 2 SGB V zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels ua in den Fällen verpflichtet, in denen der verordnende Arzt die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat(§ 129 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB V). In den Fällen der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt (S 2). Dabei ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V mit Wirkung für die KK besteht, soweit hierzu in ergänzenden Verträgen auf Landesebene nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist(S 3).

17

Der Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V regelt Ergänzungen zum Substitutionsgebot gemäß § 129 Abs 1 S 3 SGB V. Maßgebend ist hier der auf Bundesebene zwischen den Spitzenverbänden der KKn einschließlich der Ersatzkassen und dem beigeladenen Deutschen Apothekerverband eV (DAV) geschlossene "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung" (RV) idF vom 23.3.2007. Der RV ist als Normenvertrag für den Kläger nach § 129 Abs 3 Nr 1 SGB V verbindlich, weil sein Landesverband ein Mitgliedsverband des Beigeladenen ist. Die Verbindlichkeit des RV ergibt sich für die Beklagte unmittelbar aus dem Gesetz. § 4 Abs 2 S 2 RV sieht vor, dass die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen ist, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V (Rabattvertrag) besteht und für das die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 RV gegeben sind, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Abs 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist. § 4 Abs 4 S 1 und 2 RV bestimmen: Die Apotheke hat ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel abzugeben, für das ein Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V (rabattbegünstigtes Arzneimittel) besteht, wenn (a) bei unter dem Produktnamen verordneten Fertigarzneimitteln der Vertragsarzt die Ersetzung nicht ausgeschlossen hat, (b) die Angaben zu dem rabattbegünstigten Arzneimittel nach § 4 Abs 5 RV vollständig und bis zu dem vereinbarten Stichtag mitgeteilt wurden, (c) die Voraussetzungen für die Auswahl nach § 4 Abs 3 S 2 RV vorliegen, (d) das rabattbegünstigte Arzneimittel im Zeitpunkt der Vorlage der Verordnung verfügbar ist. Hat die KK für mehrere Arzneimittel, die die Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 S 1 RV erfüllen, Rabattverträge geschlossen, ist die Apotheke in der Auswahl unter diesen Arzneimitteln frei. Die Voraussetzungen für die Auswahl liegen nach § 4 Abs 3 S 2 RV nur vor, wenn die Rabattvertragsarzneimittel mit dem verordneten Arzneimittel in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind, ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen und das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel zuzuordnen ist, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Hinweise zur Austauschbarkeit nach § 129 Abs 1a SGB V gegeben hat.

18

Der für den Kläger und die Beklagte geltende, hier anzuwendende ergänzende Vertrag auf Landesebene enthält nichts Abweichendes zum Substitutionsgebot. Nach § 129 Abs 5 S 1 SGB V können die Landesverbände der KKn und die Verbände der Ersatzkassen mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen. Maßgeblich ist hier der ab 1.7.2005 geltende ALV, geschlossen ua zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV (einschließlich ihrer Landesvertretungen; VdAK) und dem Beigeladenen, handelnd für die Landesapothekerverbände. Der Kläger ist als Mitglied des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein eV nach § 2 Abs 2 ALV, die Beklagte als Mitgliedskasse des vertragsschließenden VdAK nach § 2 Abs 1 ALV an diesen Landesvertrag gebunden(zum zwischenzeitlichen Wechsel der Abschlussbefugnis vom VdAK auf den Verband der Ersatzkassen vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 14). Die Regelungen zur "Unterstützung von Rabattverträgen gemäß § 130a Absatz 8 SGB V durch Apotheken" in Anlage 8 ALV dienten lediglich dazu, den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht gesetzlich geregelten Vorrang der Rabattvertragsarzneimittel ohne Offenlegung des Inhalts der Rabattverträge durch Belohnung eines entsprechenden Abgabeverhaltens der Apotheker herbeizuführen(vgl § 4 Anlage 8 ALV).

19

bb) Der Kläger durfte nach den Feststellungen des SG der Versicherten aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung nicht das Arzneimittel Junizac abgeben, da die dargelegten Voraussetzungen des Substitutionsgebots erfüllt waren. Im Zeitpunkt der Abgabe erfüllten fünf andere Rabattvertragsarzneimittel die Voraussetzungen für die Ersetzung des nur dem Produktnamen nach verordneten Arzneimittels, wie der Kläger in seiner Klageschrift im Übrigen selbst vorgetragen hat. Soweit er mit seinen Ausführungen in der Revisionserwiderung zur Nichtnachprüfbarkeit der von der Beklagten behaupteten Rabattverträge konkludent eine Verfahrensrüge erhoben haben sollte, ist diese schon wegen § 161 Abs 4 SGG unbeachtlich. Hiernach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

20

cc) Der Verstoß des Klägers gegen das Substitutionsgebot schließt jegliche Vergütung für die Abgabe des Arzneimittels aus. Dies folgt schon aus den allgemeinen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs für Apotheker (dazu (1). Es widerspräche auch dem Gesetzeszweck des Substitutionsgebots (dazu (2). Schließlich ließe die Annahme einer Vergütungspflicht außer Acht, dass eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot keinen Anspruch der Versicherten erfüllt (dazu (3).

21

(1) Nach der Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats und des 3. Senats des BSG besteht ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK bei Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an deren Versicherte lediglich als Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung des Apothekers (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 13; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 16). Fehlt es an einer Lieferberechtigung und -verpflichtung, kann aus einer dennoch erfolgten Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte einer KK kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die KK erwachsen. Das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regelt, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfene welche Risiken trägt. Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko: Die KK muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nichts zahlen.

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(2) Eine Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde dem Zweck der Regelung widersprechen. Der Gesetzgeber fügte dieses Gebot in das SGB V ein (vgl § 129 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Art 1 Nr 95 Buchst a Doppelbuchst bb GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378), um die Wirksamkeit von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB V zu erhöhen. Nach den Gesetzesmaterialien sollte grundsätzlich die Apotheke bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln eine Ersetzung durch Präparate vornehmen, für die Vereinbarungen über Preisnachlässe auf den Abgabepreis mit dem pharmazeutischen Unternehmer nach § 130a Abs 8 SGB V gelten. Damit - so die Begründung - wird die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen verbessert (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 142 zu Nummer 95 (§ 129), zu Buchst a, zu Doppelbuchst cc). Die Annahme einer Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel würde diese Zielsetzung konterkarieren.

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(3) Wie fernliegend es ist, eine Vergütungspflicht der KKn für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel anzunehmen, wird schließlich daran deutlich, dass Versicherte keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot haben. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hat dagegen ein Apotheker, der bei der Abgabe einzelimportierter Fertigarzneimittel an Versicherte gegen Vertragspflichten verstößt, selbst dann keinen Anspruch auf Vergütung gegen die KK, wenn der Versicherte das Mittel zur Behandlung einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit beanspruchen kann (vgl BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 17 ff und LS 2). Für einen Vergütungsanspruch des vertragswidrig handelnden Apothekers genügt es dementsprechend nicht, dass ein Versicherter letztlich das abgegebene Arzneimittel beanspruchen könnte. Nur ganz besondere Risikoabwägungen können es rechtfertigen, Leistungserbringern einen Vergütungsanspruch zuzuerkennen, obwohl sie mit ihrer Leistung keinen Anspruch eines Versicherten erfüllen (vgl hierzu zB BSG GesR 2007, 276, RdNr 55; BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 33; BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr 9; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 23; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 20). Für solche Erwägungen liegt hier nichts vor.

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Versicherte, denen ein Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung oder unter seinem Produktnamen verordnet, ohne dessen Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel auszuschließen, haben nach Maßgabe des dargelegten Gesetzes- und Vertragsrechts lediglich Anspruch auf Verschaffung eines entsprechenden Rabattvertragsarzneimittels unter Achtung des Substitutionsgebots. Dies folgt aus dem dargelegten Wortlaut des § 129 Abs 1 S 3 SGB V und seinem Regelungszusammenhang mit den Ansprüchen Versicherter(vgl allgemein zum Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht zB BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 20 f). Die Entwicklungsgeschichte zeigt die Begrenzung besonders prägnant: Nach § 129 Abs 1 S 5 SGB V(eingefügt durch Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung - Arzneimittelmarktneuordnungs-gesetz - AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011) können Versicherte inzwischen - abweichend von § 129 Abs 1 S 3 und 4 SGB V - gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, wenn die Voraussetzungen nach § 129 Abs 1 S 2 SGB V erfüllt sind. Die Regelung gestattet Versicherten im Zusammenspiel mit den ebenfalls eingefügten Bestimmungen des § 13 Abs 2 S 11(vgl Art 1 Nr 1 AMNOG) und § 129 Abs 1 S 6 SGB V(vgl Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst cc AMNOG) vor allem, sich nunmehr durch spontan gewillkürte Wahl im medizinisch austauschbaren "aut idem"-Bereich vom Naturalleistungsbezug als Regelfall zu lösen und stattdessen selbst für den Einzelfall eines Arzneimittels Kostenerstattung zu wählen (vgl Hauck, GesR 2011, 69, 73). Die Regelung wäre überflüssig gewesen, wenn Versicherte entgegen § 129 Abs 1 S 3 SGB V Anspruch auf ein vertraglich nicht rabattiertes Arzneimittel gehabt hätten und die ärztliche Verordnung ohne Beachtung des § 129 Abs 1 S 3 SGB V Grundlage für die Abgabe eines derartigen Arzneimittels hätte sein können. Die Beschränkung des Sachleistungsanspruchs der Versicherten unter den dargelegten Voraussetzungen auf vom Apotheker ausgewählte Rabattvertragsarzneimittel entspricht schließlich dem Regelungszweck des § 129 Abs 1 S 3 SGB V, Arzneimittelkosten in der GKV ohne Qualitätsverlust einzusparen. Dies harmoniert in besonderer Weise mit der Verwirklichung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 SGB V) und der Sicherung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (§ 71 S 1 SGB V).

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c) Der dem Grunde nach bestehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten erfasst den vollen Betrag der rechtsgrundlos gezahlten Vergütung. Er ist der Höhe nach nicht auf den Betrag beschränkt, der sich - nach Abzug des Apothekerrabatts - aus der Differenz der von der Beklagten gezahlten Vergütung für das abgegebene Arzneimittel Junizac 150 mg N3 und einem Rabattvertragsarzneimittel ergibt. Die dargelegten Grenzen eines Vergütungsanspruchs stehen der Anwendung der Regelungen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen entgegen (§§ 812 ff BGB iVm § 69 S 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 40a GKV-WSG) .

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§ 69 S 4 SGB V schließt nicht schon grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung(§§ 812 ff BGB) im Leistungserbringungsrecht aus. Ihr Anwendungsbereich ist indes nicht eröffnet, wenn sie gesetzliche und (normen)vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsgeschehen in der GKV steuern, zu unterlaufen drohen. Diese Regelungen können ihre Steuerungsfunktion nur erfüllen, wenn sie vollständig beachtet werden. Auf die Schwere des Verstoßes kommt es dabei nicht an. So liegt es hier. Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zugunsten des Leistungserbringers würde den oben aufgezeigten Zweck des Substitutionsgebots missachten (vgl entsprechend 1. Senat des BSG zB BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97; BSGE 89, 39, 44 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 121; BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24 zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder der ungerechtfertigten Bereicherung; vgl zu ersteren auch BSGE 109, 133 = SozR 4-1750 § 68 Nr 1, RdNr 21; 6. Senat des BSG, zB BSG Urteil vom 26.1.2000 - B 6 KA 59/98 R - Juris RdNr 26; BSGE 80, 1, 4 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 9; BSGE 79, 239, 249 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 14 S 57 f; 3. Senat des BSG BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 7 RdNr 29, zur Vergütung von Krankenhausleistungen außerhalb des Versorgungsauftrags des Krankenhauses; BSGE 94, 213 RdNr 26 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 23 mwN, zu einem rechtswidrig importierten Arzneimittel).

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d) § 129 Abs 1 S 3 SGB V und § 4 Abs 2 S 2 RV verstoßen in der vorgenommenen Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ist die darin liegende Berufsausübungsregelung für Apotheker wie den Kläger gerechtfertigt. Die Regelung, die Apothekern abverlangt, das dargelegte Substitutionsgebot zu beachten, ist als Berufsausübungsregelung an Art 12 Abs 1 GG zu messen (vgl zB zu Preisregelungen für Apotheker BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 129 ff; s auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 15). Die damit verbundene Belastung ist für Apotheker spürbar, aber gering: Sie dürfen vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur unter zusätzlicher Achtung des Substitutionsgebots an Versicherte abgeben. Dies entspricht den von ihnen zu fordernden und zu erwartenden professionellen Fähigkeiten. Sie müssen hierzu die ihnen zur Verfügung stehenden, durch Softwareprogramme abrufbaren Daten über Rabattverträge nutzen, um die Ersetzungsvoraussetzungen zu prüfen und Rabattvertragsarzneimittel auszuwählen.

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Diese Berufsausübungsregelung ist - wie verfassungsrechtlich geboten - durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Sie dient - wie dargelegt - in geeigneter Weise und nach vertretbarer Einschätzung des Gesetzgebers in erforderlichem Umfang der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV. Das Substitutionsgebot ist auch verhältnismäßig. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV ist ein Gemeinwohlbelang sogar von überragender Bedeutung (vgl BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, RdNr 233; BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3). Das Gebot, Rabattvertragsarzneimittel abzugeben, kann nur dann seinen Zweck sicher erfüllen, wenn es zugleich umfassend verbietet, nicht rabattierte Arzneimittel abzugeben. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Gesetz dessen strikte Einhaltung einfordert und bei insoweit fehlerhafter Abgabe einen Vergütungsanspruch vollständig ausschließt.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Teils 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.