Sozialgericht München Urteil, 11. Dez. 2014 - S 15 R 2135/14

bei uns veröffentlicht am11.12.2014

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 20.2.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.7.2014 verurteilt, der Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 465,64 € zu erstatten.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Klägerin trägt 3/4, die Beklagte 1/4 der Kosten des Verfahrens.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine zusätzliche Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.753,94 €.

Mit Bescheid vom 12.8.2013 wurde festgestellt, dass die Tätigkeit von Herrn C. als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin vom 1.1.2013 bis zum 17.6.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde. Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 22.8.2013 im Namen der Klägerin und im Namen von Herrn C. Widerspruch. Vorgelegt wurde eine Niederschrift der Gesellschafterversammlung vom 20.6.2013, wonach beschlossen wurde, dass ein zum 6.6.2013 beschlossenes Erfordernis der Zustimmung eines Gesellschafter-Geschäftsführers zu sämtlichen Beschlüssen der Gesellschafter bereits seit dem 1.1.2013 gelten sollte und dies auch so gelebt worden sei. Daraufhin wurde der Bescheid vom 12.8.2013 mit Bescheid vom 6.2.2014 zurückgenommen. Aufgrund der zeitnahen Änderung der Beschlussfassung wurde seitens der Beklagten davon ausgegangen, dass bereits seit Beginn der Tätigkeit von Herrn C. keine abhängige Beschäftigung ausgeübt wurde.

Mit Kostennote vom 12.2.2014 wurde eine Rechnung in Höhe von 2.246,48 € zur Erstattung geltend gemacht. Hierbei wurde ein Gegenstandswert von 14.526 € zu Grunde gelegt, eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,8 sowie eine Erledigungsgebühr geltend gemacht. Der Gegenstandswert ergebe sich aus einer Vergütung in Höhe von 36.000 € brutto für den Zeitraum vom 1.1.2013 bis zum 30.6.2013. Der Gegenstandswert entspreche dann einem Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 40,35%. Bezug genommen wurde auf eine Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4.3.2011 (Az. L 5 R 647/10 B).

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20.2.2014 wurden die zu erstattenden Kosten auf 492,54 € festgesetzt. Hierbei wurde eine 1,3fache Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 5.000 € zu Grunde gelegt, da der Wert mangels genügender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht anders festgestellt werden könne. Die Wertgebühren nach Nr. 2300 VV könnten nur dann über 1,3 gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen war. Vorliegend habe es sich um ein durchschnittliches Verfahren gehandelt, da die rechtsanwaltliche Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig gewesen sei. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV sei nicht angefallen, da sich die Rechtssache nicht ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt habe. Die Anerkennung einer Erledigungsgebühr setze eine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit des Anwalts voraus. Erforderlich sei ein gezielt auf die einvernehmliche Beilegung des Streits gerichtetes Tätigwerden. Der Bevollmächtigte habe nur im Rahmen der Darlegung eines Beweismittels die Niederschrift über die Gesellschafterversammlung kopieren müssen. Dies alleine genüge nicht, um zusätzlich die Erledigungsgebühr anfallen zu lassen.

Nach Widerspruch vom 6.3.2014 wurde dieser mit Widerspruchsbescheid vom 28.7.2014 zurückgewiesen. Es sei ein Rechtsverhältnis strittig gewesen. Das Ergebnis der vorgeschalteten zu klärenden Statusfrage sei entscheidend für eine daraus resultierende und nachrangige Beitragsforderung gewesen. Anhaltspunkte für die Schätzung des Gegenstandswerts eines Feststellungsbescheids lägen nicht vor. Ein vermögensrechtlicher Gegenstand sei noch nicht betroffen.

Der Klägerbevollmächtigte erhob am 26.8.2014 Klage zum Sozialgericht München. Er begründete seine Klage am 2.4.2014 erneut mit der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bayerischen Landessozialgerichts. Eine 1,5fache Geschäftsgebühr sei angemessen. Eine Erhöhung um einen 0,3fachen Satz sei gerechtfertigt, da der Klägerbevollmächtigte zwei Auftraggeber vertreten hat. Eine Erledigungsgebühr würde dann entstehen, wenn der Rechtsanwalt besonders bei der Erledigung der Angelegenheit mitwirkte. Dies sei dadurch gegeben, dass die Anwaltskanzlei gesellschaftsrechtlich den Beschluss vom 20.6.2013 herbeigeführt habe.

Die Klägerin beantragt,

der Bescheid vom 20.2.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.7.2014 wird dahingehend abgeändert, dass ein weiterer Betrag in Höhe von 1753,94 € zu erstatten ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf das Vorbringen im Widerspruchsbescheid.

Nach Erlass des Gerichtsbescheids vom 21.10.2014 (Az. S 15 R 1629/14) beantragte die Beklagte fristgemäß Anberaumung der Mündlichen Verhandlung. Sie macht geltend, dass der Prozessbevollmächtigte im Widerspruchsverfahren sowohl den kostenprivilegierten Geschäftsführer als auch die nicht privilegierte Klägerin vertreten habe. Entsprechend der Rechtsprechung zur einheitlichen Kostenentscheidung im Gerichtsverfahren müsste der Rechtsanwalt dann einheitlich nach Betragsrahmengebühren abrechnen. Auch unter Berücksichtigung einer Erhöhung aufgrund des zweiten vom Rechtsanwalt vertretenen Mandanten würde (bereits unter Berücksichtigung einer Erhöhungsgebühr für die Vertretung mehrerer Auftraggeber) nur ein zu erstattender Betrag von 487,90 € resultieren. Die Klägerin sei daher nicht beschwert, der Klageantrag abzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die vorliegenden Prozessakten zu den Aktenzeichen S 15 R 1629/14 und S 15 R 2135/14 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der angegriffene Bescheid vom 20.2.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.7.2014 beschwert die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur insoweit, als die Klägerin Anspruch auf eine weitere Erstattung in Höhe von 465,64 € hat.

Die Erstattung der Rechtsanwaltskosten bestimmt sich nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Gebühren bestimmen sich nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 mit Abs. 2 RVG entstehen Betragsrahmengebühren in Verfahren, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist. In sonstigen Verfahren berechnen sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert.

Der Geschäftsführer der Klägerin, Herr C., ist im Sinne von § 183 SGG privilegiert (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 183 Rn. 5b). Soweit ersichtlich ist in der Sozialrechtsprechung nicht geklärt, inwieweit bei einem Nebeneinander von zwei Widerspruchsführern, bei denen der eine kostenprivilegiert ist, der andere aber nicht, kostenrechtlich zu verfahren ist.

Die Kammer folgt der Auffassung der Beklagten, dass in analoger Anwendung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung vorliegend die Regelungen für Kostenprivilegierte anzuwenden sind, mithin grundsätzlich nach Betragsrahmengebühren abzurechnen ist (vgl. Urteil der angerufenen Kammer vom 19.2.2014, S 15 R 825/12, Rn. 39 unter juris, unter Berufung auf BSG, Urteil vom 29.5.2006, B 2 U 391/05 B). Einer gesonderten, kumulativen Abrechnung nach Wertgebühren für die Vertretung der Klägerin und nach Betragsrahmengebühren für die Vertretung von Herrn C. (wie sie bei der Vertretung der Beteiligten durch zwei unabhängige Rechtsanwälte entstehen würden) steht die Wertung von 1008 VV entgegen, wonach bei Vertretung von mehreren Personen in derselben Angelegenheit (vgl. hierzu BSG, Entscheidung vom 2.4.2014, B 4 AS 27/13, Rn. 15 unter juris; KassKomm/Mutschler SGB X, § 63 Rn. 27b) keine eigenständige Gebühr für die Doppelvertretung anfällt, sondern lediglich die angefallene Gebühr erhöht wird.

Demnach würde unter Berücksichtigung einer Schwellengebühr von 300 €, einer Erhöhungsgebühr, der Auslagenpauschale sowie der Umsatzsteuer - wie von der Beklagten richtig berechnet - eine Erstattung von 487,50 € resultieren (zum Nichtvorliegen einer umfangreichen bzw. schwierigen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten vergleiche weiter unten).

Jedoch ist es nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) nicht zu rechtfertigen, dass die Klägerin alleine aufgrund der zusätzlichen Vertretung des privilegierten Kostenschuldners durch ihren Bevollmächtigten einen reduzierten Kostenerstattungsanspruch haben soll, den sie bei alleiniger Vertretung nicht hätte. Denn die Klägerin kann keinen Einfluss darauf nehmen, ob ihr Bevollmächtigter noch zusätzlich von Herrn C. mandatiert wird. Zudem ist es im Ergebnis nicht sachdienlich, wenn der Klägervertreter aufgrund des mit der Doppelvertretung verbundenen Mehraufwands erheblich weniger verdienen soll als dies bei einer Einzelvertretung der nicht privilegierten Klägerin der Fall wäre. Dies führte im Endeffekt dazu, dass das Kostenrecht die im Ergebnis für alle Beteiligten preisgünstigere Mehrfachvertretung in Statusverfahren behindern würde, da die zusätzliche Vertretung des privilegierten Auftragnehmers für den Bevollmächtigten unwirtschaftlich wäre. Schließlich würde sich die vom Gesetzgeber erwünschte kostenrechtliche Privilegierung des § 183 SGG in ihr Gegenteil verkehren, da die Klägerin alleine aufgrund des Wechsels der rechtsanwaltlichen Vergütungssystematik im Ergebnis eine geringere Erstattung erhalten würde. Bei häufig bestehenden Vergütungsabreden nach abgeleisteten Arbeitsstunden führte die „Privilegierung“, an der die Klägerin aufgrund der gleichzeitigen Vertretung des Auftragnehmers teilhat, in der Praxis zu einem nicht unerheblichen Nachteil.

Im Wege einer Günstigerprüfung ist die Klägerin bzgl. der Höhe der zu erstattenden Forderung daher jedenfalls so zu stellen, dass sie bei Doppelvertretungen in Statusverfahren zumindest die Anwaltsvergütung erstattet bekommt (und spiegelbildlich der Klägerbevollmächtigte dieselbe Summe mindestens fordern darf), die sich bei einer nichtprivilegierten Einzelvertretung ergeben würde.

Der Gegenstandswert richtet sich in diesem Fall nach dem Streitwert im gerichtlichen Verfahren, § 23 Abs. 1 S. 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG. Die sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebende Bedeutung der Sache ist nach Ermessen des Gerichts zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Die Bedeutung für die Klägerin entspricht ihrem Interesse an der angestrebten Entscheidung. Dabei gilt ein objektiver Maßstab. Entscheidend sind die rechtliche Tragweite und die Auswirkungen, die ein Erfolg des Begehrens für die wirtschaftliche Lage eines Klägers hat (vgl. Hartmann, Kostengesetz, 39. Auflage, § 52 GKG, Rdnr. 9). Eine Entscheidung der Beklagten über das Vorliegen einer Beschäftigung und das Bestehen der Sozialversicherungspflicht hat Zahlung von Beiträgen zur Folge. Für die Klägerin, als Schuldnerin des Gesamtsozialversicherungsbeitrages nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV, war mit dem Ausgang ihres Klageverfahrens unmittelbar verknüpft eine mögliche Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Die Bezifferung dieses Risikos für einen klagenden Arbeitgeber, abhängig vom Erfolg des Anfrageverfahrens nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), ist daher Inhalt der Bestimmung nach § 52 Abs. 1 GKG (strittig, so die Rechtsprechung des 5. Senats des Bayer. LSG; a.A. BSG, Beschluss vom 05. März 2010 - B 12 R 8/09 R -, juris, welches ohne weitere Begründung bestimmt, dass für eine Bestimmung des Streitwerts nach der wirtschaftlichen Bedeutung hinreichende Anhaltspunkte fehlen würden).

Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Bayer. LSG, da hinreichende Anhaltspunkte gegeben sind, um die wirtschaftliche Bedeutung der Sache zu bestimmen. Beitragsbemessungsgrenzen für die Rentenversicherung bzw. für die Kranken- und Pflegeversicherung waren im Jahr 2013 5.800 € bzw. 3.937,50 €. Die Beitragssätze waren (jeweils Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil summiert) 18,9% (Rentenversicherung), 15,5% (Krankenversicherung), 3% (Arbeitslosenversicherung) sowie 2,05% (Pflegeversicherung).

Die wirtschaftliche Bedeutung errechnet sich somit unter Berücksichtigung der Deckelung durch die Beitragsbemessungsgrenzen bei fünfeinhalb Monaten zu 10.819,78 € (5,5 * 3.937,50 € * 0,155 + 5,5 * 3.937,50 *0,0205 + 5,5 * 5.800 € *0,189 + 5,5 * 6.000 € *0,03).

Eine Geschäftsgebühr ist lediglich in Höhe von 1,3 gerechtfertigt (2300 VV-RVG). Die Tätigkeit des Rechtsanwalts war weder besonders umfangreich noch schwierig, so dass eine Geschäftsgebühr von 1,3 grundsätzlich angemessen ist. Die Rechtsprechung zum Status des Gesellschafter-Geschäftsführer ist gefestigt (vgl. BSG, Urteile vom 29.8.2012, B 12 R 14/10 R, B 12 KR 25/10 R), so dass weder ein besonderer Ermittlungs- noch ein besonderer Argumentationsaufwand notwendig wurde.

Eine Erledigungsgebühr fiel nicht an. Eine Erledigungsgebühr entsteht nur, wenn sich die Rechtssache ganz oder teilweise erledigt und hierfür ein zusätzliches, über die allgemeine Prozessführung hinausgehendes, auf die unstreitige Erledigung gerichtetes anwaltliches Handeln zumindest mitursächlich gewesen ist (vgl. dazu zuletzt die Beschlüsse des LSG NRW vom 18.07.2014 - L 20 SO 173/14 B m.w.N. und vom 23.07.2014 - L 20 SO 444/12 B, und vom 06.07.2012 - L 19 AS 766/12 B), wobei die Abgabe einer verfahrensbeendenden Erledigungserklärung allein nicht genügt (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 09.12.2010 - B 13 R 63/09 R und vom 05.05.2009 - B 13 R 137/08 R). Eine solche anwaltliche Tätigkeit ist nicht erfolgt. Soweit der Klägerbevollmächtigte darauf hingewirkt hat, dass die Gesellschafterversammlung der Klägerin den Beschluss vom 20.6.2013 fasste, unterlag dies seiner anwaltlichen Beratungsobliegenheit gegenüber der Mandantschaft. Er hat damit lediglich darauf hingewirkt, dass sich der Sachverhalt zugunsten seiner Mandantschaft ändert, nicht aber durch ein außergewöhnliches außerprozessuales Einflussnehmen auf den Streitgegner eine Erledigung herbeigeführt.

Dementsprechend steht der Klägerin eine Erstattung in Höhe des 1,3 fachen Satzes der Geschäftsgebühr in Bezug auf einen Gegenstandswert von 10.819,78 € zu, mithin 785,20 € netto. Hieraus ergibt sich ein Erstattungsbetrag von 958,19 €. Nur insoweit (d.h. in Bezug auf die Differenz zum verbeschiedenen Erstattungsbetrag von 492,54 € in Höhe von 465,64 €) war die Klage erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG i.V.m. § 155 VwGO.

Die Berufung war für die Beklagte zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil von einer Entscheidung des BSG abweicht (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG). Soweit ersichtlich ist die kostenrechtliche Behandlung der Mehrfachvertretung von kostenprivilegierten und nicht-kostenprivilegierten Widerspruchsführern nicht geklärt. Hieraus ergibt sich die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit. Das BSG nimmt in Statusentscheidungen einen Streitwert von 5.000 € an. Der 5. Senat des Bayer. LSG folgt dem nicht. Insoweit besteht eine Divergenz dieses Urteils mit höchstrichterlichen Entscheidungen des BSG.

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(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

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(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des v

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(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den versicherungsrechtlichen Status der Klägerin im Hinblick auf ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen in der Zeit vom 1.1.2011 bis zum 11.10.2011 und um die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die 1964 geborene Klägerin zu 1. beantragte am 20.5.2011 bei der Beklagten die Feststellung, dass eine Beschäftigung im Sinne von § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch -SGB IV - nicht vorliegt. Die Klägerin ist seit dem 1.1.2011 Gesellschafter-Geschäftsführerin der Klägerin zu 2. . Die Klägerin zu 1. ist für den Unternehmensbereich „Internationales Profiling und Marketing-Kampagnen“, der Mit- und Mehrheitsgesellschafter C. (Anteil: 75%) für die „Lead-Generierung“ zuständig, das heißt beide Geschäftsführer verantworten jeweils einen eigenständigen Geschäftsbereich.

Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin zu 2. mit dem Unternehmensgegenstand „Anbieten von Marketing- und Vertriebsberatung“ wurde mit notariellem Vertrag vom 9.9.2009 neu gefasst. Die Klägerin zu 1. hält nach dem Gesellschaftsvertrag (nunmehr: GV) einen Anteil von 25%, Herr C. einen Anteil von 75% des Stammkapitals in Höhe von 40.000 €. Die Klägerin zu 1. ist mit Herrn C. nicht verwandt oder verschwägert. Gemäß § 6 GV kann jedem Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss die Befugnis erteilt werden, die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten uneingeschränkt zu vertreten. Gemäß Handelsregisterauszug vom 11.2.2014 sind beide Geschäftsführer einzelvertretungsberechtigt.

Die Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 75% des Stammkapitals anwesend oder vertreten sind. Ist dies nicht der Fall, so ist eine neue Gesellschafterversammlung zu berufen, die ohne Rücksicht auf die Höhe des erschienenen oder vertretenen Stammkapitals beschlussfähig ist, § 8 GV. Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, § 7 GV. Gemäß § 20 GV gelten die gesetzlichen Bestimmungen, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes geregelt. Die Klägerin zu 1. konnte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht durch in der Satzung festgeschriebene Sonderrechte Gesellschaftsbeschlüsse herbeiführen oder verhindern. Sie gewährte der Klägerin zu 2. keine Darlehen oder übernahm Bürgschaften für diese.

Die Tätigkeit der Klägerin zu 1. ist im Anstellungsvertrag vom 10.1.2011 (nunmehr: AV) geregelt. Dieser wurde für die Beigeladene von Herrn C. unterzeichnet. Der unbefristete Vertrag kann mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden. Die Bestellung der Klägerin zu 1. zur Geschäftsführerin kann durch Beschluss der Gesellschafterversammlung jederzeit widerrufen werden; der Widerruf gilt dann als Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt, § 1 Abs. 1 und Abs. 2 AV. Die Klägerin zu 1. hat für die im Gesellschaftsvertrag als zustimmungspflichtig bestimmten Geschäfte (§ 20 Abs. 1 GV) die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen. Im Übrigen ist sie in ihren Handlungen nicht eingeschränkt, § 2 Abs. 2 AV. Sie führt die Geschäfte jedoch nach Maßgabe der Gesetze, Weisungen der Gesellschafterversammlung und des Gesellschaftsvertrags unter Berücksichtigung des AV mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns aus, § 2 Abs. 3 AV. Die Klägerin zu 1. ist einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch befreit, § 2 Abs. 4 AV. Sie ist befugt, selbstständig Personal einzustellen und zu entlassen, § 2 Abs. 5 AV.

Die Klägerin zu 1. erhielt im streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 1.1.2011 nach der ursprünglichen Vertragsfassung ein monatliches Gehalt von 5.000 €. Mit Ergänzungsvertrag vom 2.9.2011 wurde der AV dahingehend abgeändert, dass die Klägerin zu 1. rückwirkend zum 1.1.2011 ein variables Gehalt in Höhe von einem Drittel des Projektertrags aus den von der Geschäftsführerin betreuten und auf diese zugeschlüsselten Projekte erhält. Der nach dem Ergänzungsvertrag vereinbarte Abschlag in Höhe von jährlich 60.000 € in 12 Monatsraten wird auf dieses variable Gehalt angerechnet. Die Verrechnung erfolgt spätestens bis zum 31. März des Folgejahres, wobei die Klägerin zu 2. einen Erstattungsanspruch hat, sofern die Abschlagszahlungen das variable Gehalt überschreitet.

Reisekosten und sonstige Aufwendungen, die im Interesse der Gesellschaft notwendig waren, werden gegen Einzelnachweis erstattet, § 3 AV. Gemäß § 5 AV ist eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vorgesehen, wobei die Klägerin zu 1. an bestimmte Arbeitszeiten und an einen bestimmten Arbeitsort nicht gebunden ist. Bzgl. des Arbeitsortes unterhielt die Klägerin zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum eine eigene Betriebsstätte in A-Stadt (D-Straße). Von dort führte sie auslaufende Arbeiten bezüglich ihrer vorherigen selbstständigen Unternehmungen sowie Arbeiten für die Klägerin zu 2. aus.

Die Klägerin zu 1. erhielt 28 Arbeitstage Urlaub im Kalenderjahr, wobei der Zeitpunkt des jeweiligen Urlaubsantritts mit den jeweiligen betrieblichen Notwendigkeiten abgestimmt werden sollte, § 6 AV. Bei Krankheit oder sonstiger Verhinderung blieb der Gehaltsanspruch bis zur Dauer von drei Monaten in vollem Umfang bestehen. § 9 AV enthält schließlich eine doppelte Schriftformklausel.

Nach Anhörung vom 31.5.2011 wies die Klägerin zu 1. insbesondere auf die Regelungen von § 2 AV hin. Soweit der Vertrag Einschränkungen der Freiheitsposition der Klägerin zu 1. vorgenommen habe, sei dies nur erfolgt, um Herrn C. zu schützen. Dieser habe der Klägerin zu 2. nur insoweit Freiheitsrechte einräumen können, als elementare Gesellschafterrechte von ihm nicht eingeschränkt oder verletzt würden. Um Gehalt, Reisekosten etc. steuerlich geltend machen zu können, hätten diese im Arbeitsvertrag geregelt werden müssen. An dem Gewinnanteil des wichtigsten Kunden, den alleine die Klägerin zu 1. akquiriert habe, würde die Klägerin zu 2. überproportional partizipieren.

Die Beklagte stellte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 5.8.2011 fest, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 1. als Gesellschafter-Geschäftsführerin der Klägerin zu 2. seit dem 1.1.2011 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. In der Krankenversicherung bestehe keine Versicherungspflicht. Die Klägerin zu 1. habe keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft kraft ihres Anteils am Stammkapital, da sie als Minderheitengesellschafterin nicht aufgrund besonderer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag Beschlüsse der Gesellschafter im Sinne einer Sperrminorität verhindern könne. Somit könne die Klägerin zu 1. auch keine Beschlüsse verhindern, die ihr Dienstverhältnis benachteiligen würden. Weiter würden Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wie ein gesonderter Arbeitsvertrag mit arbeitsvertragstypischen Regelungen (Gehalt, Urlaubsanspruch, Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitsunfähigkeit, Gewährung von Sonderzahlungen) bestehen. Angesichts der Zahlung fester Bezüge würde die Klägerin zu 1. auch kein Unternehmerrisiko tragen. Zwar sei sie über die gewinnabhängigen Zahlungen von Tantiemen indirekt am Gewinn der Gesellschaft beteiligt, jedoch müsse die Klägerin zu 1. deshalb keinen Wegfall der Bezüge bei schlechter Geschäftslage befürchten.

Mit Widerspruch vom 9.9.2011 wurde auf den „Vorschusscharakter“ der Gehaltszahlung hingewiesen sowie auf die Änderung des Gesellschaftsvertrags durch eine Stimmrechtsabtretung nach § 7a mit Wirkung vom 20.10.2011, wodurch nunmehr die Klägerin zu 1. ebenfalls 50% der Stimmen innehat. Weiter wurden zwei Gesellschafterversammlungsprotokolle vom 20.7.2011 und 1.2.2011 beigelegt. Danach erfolgte die Gewinnausschüttung für das Jahr 2010 in Höhe von 110.000 € gemäß den gesetzlichen Bestimmungen (§ 29 Abs. 3 GmbHG), das heißt die Klägerin zu 1. erhielt 27.500 € und mithin 25%. Die Klägerin zu 1. sei aufgrund ihrer Branchenkenntnisse und der Bedeutung ihrer Person unverzichtbar für die Beigeladene.

Mit Abhilfebescheid vom 13.12.2011 wurde der Bescheid vom 5.8.2011 für die Zeit ab dem 12.10.2011 (Beurkundung der Stimmrechtsabtretung) zurückgenommen, da die Klägerin zu 1. seit diesem Zeitpunkt ein wirksames, d. h. satzungsmäßiges, Vetorecht habe. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.3.2012 zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 20.4.2012 erfolgte Klage zum Sozialgericht München. Die Klägerin zu 1. habe maßgeblichen Einfluss, da sie im Hinblick auf die Bedeutung des von ihr akquirierten Großkunden „Kopf und Seele“ der Klägerin zu 2. gewesen sei. Dieser Großkunde, der an die Klägerin zu 1. gebunden sei, bringe 80% des Umsatzes der Klägerin zu 2. Aufgrund dieses Einflusses der Klägerin zu 1. habe sie in tatsächlicher Hinsicht, und nur dies sei entscheidend, einen maßgeblich höheren Einfluss auf die Geschicke der Klägerin zu 2., als dies die formale Stimmrechtsverteilung vermuten lasse. Dies hätte sich letztlich auch im notariellen Vertrag vom 12.10.2011 gezeigt, womit die Stimmrechtsverteilung geändert worden ist. Es sei einheitlich ein übereinstimmendes Vorgehen mündlich vereinbart und auch entsprechend umgesetzt worden. § 2 Abs. 3 AV würde lediglich an das GmbHG anknüpfen, mit der der Geschäftsführer nach den gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet wird, etwaige Beschränkungen durch Gesellschafterversammlung und Gesellschaftsvertrag einzuhalten.

Die Beklagte erwiderte mit Schriftsätzen vom 7.12.2012 und 25.1.2013, dass ein maßgeblicher Einfluss der Klägerin zu 1. auf die Geschicke der Klägerin zu 2. aufgrund der vertraglichen Befugnisse im strittigen Zeitraum nicht vorgelegen habe. Gemäß § 2 Abs. 3 AV sei die Klägerin zu 1. verpflichtet gewesen, ihre Geschäftsführertätigkeit nach Maßgabe der Gesetze, Weisungen der Gesellschafterversammlung und des Gesellschaftsvertrags auszuüben. Die Klägerin zu 1. habe also nicht weisungsfrei im Unternehmen tätig sein können. Die Klausel zeige deutlich, wo die Rechtsmacht im Unternehmen wirklich gelegen hat und dass die Klägerin zu 1. weisungsgebunden war.

Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung ein Teilanerkenntnis dergestalt abgegeben, dass der klägerische Anspruch insoweit begründet ist, als für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung besteht. Das Teilanerkenntnis wurde vom Klägerbevollmächtigten angenommen.

Der Klägerbevollmächtigte hat für die Klägerinnen beantragt:

1. Die Bescheide vom 5.8.2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.3.2012 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin zu 1. ihre Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführerin vom 1.1.2011 bis 11.10.2011 für die Klägerin zu 2. selbstständig ausgeführt hat und dass keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit sie nicht durch das Teilanerkenntnis erledigt ist.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die vorliegende Prozessakte Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Bescheid vom 5.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.3.2012 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerinnen im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Die Klägerin zu 1. hat im streitgegenständlichen Zeitraum ihre Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführerin der Klägerin zu 2. nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI; § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III).

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dem gegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.

Ob eine „Beschäftigung“ vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich daraus ergebene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 4; BSG SozR 3-4100 § 168 Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSG SozR 2200 § 1227 Nr. 8; BSG SozR 3-2400 § 7 Nrn. 13 und 15). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung, so wie sie praktiziert wird, und die praktische Beziehung, so wie sie rechtlich zulässig ist.

In der vorzunehmenden Gesamtschau spricht das Gesamtbild der Arbeitsleistung für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit. Die Klägerin zu 1. hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keinen bestimmenden Einfluss auf die Klägerin zu 2. (hierzu unter Ziffer 1). Die Klägerin zu 1. trug jedoch ein vollumfängliches unternehmerisches Risiko und war auch sonst wie eine Unternehmerin tätig, so dass in der Gesamtschau von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen ist (hierzu unter Ziffer 2).

1. Nach der Rechtsprechung des BSG hängt die Versicherungspflicht eines Geschäftsführers einer GmbH, der zugleich deren Gesellschafter ist, davon ab, ob wegen seiner Kapitalbeteiligung noch ein Verhältnis der persönlichen Abhängigkeit vorliegt. Hat ein solcher Geschäftsführer aufgrund seiner Kapitalbeteiligung einen so maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft, dass er jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann, so fehlt die das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis wesentlich kennzeichnende persönliche Abhängigkeit. Dies ist der Fall, wenn der Geschäftsführer Mehrheitsgesellschafter ist, er also über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft oder mehr verfügt, und zwar auch dann, wenn er von der ihm zustehenden Rechtsmacht tatsächlich keinen Gebrauch macht und die Entscheidung anderen überlässt. Unter Umständen genügt auch schon ein geringerer Kapitalanteil, insbesondere wenn er über eine Sperrminorität verfügt, die sich u. a. darauf erstreckt, ihm nicht genehme Weisungen gerade hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort der Tätigkeit zu verhindern (BSG, Urteil vom 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, bestätigt von BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, Rn. 25 unter juris).

Die Klägerin zu 1. war nach dem Gesellschaftsvertrag aufgrund ihres Kapitalanteils von 25% nicht in der Lage, bestimmenden Einfluss auf die Klägerin zu 2. zu nehmen. Der Mehrheitsgesellschafter C. war im streitigen Zeitraum jederzeit in der Lage, der Klägerin zu 1. über seine Mehrheit in der Gesellschaftsversammlung Weisungen für den Einzelfall zu erteilen, § 20 Abs. GV mit § 46 Nr. 6 GmbHG. Die Klägerin zu 1. konnte sich mangels Mehrheit oder satzungsverbürgtem Vetorecht nicht gegen eine solche Weisung wehren.

Rechtlich unbeachtlich ist es, dass das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung in der Praxis nicht ausgeübt wurde, solange diese Rechtsposition des Mehrheitsgesellschafters - wie hier im streitgegenständlichen Zeitraum - nicht wirksam abbedungen wurde (BSG, Urteil vom 22.8.1973, Az. 12 RK 24/72).

2. Der Umkehrschluss, dass mangels eines durch die Kapitalbeteiligung hervorgerufenen beherrschenden Einflusses auf die Gesellschaft regelmäßig ein Abhängigkeitsverhältnis des Gesellschafter-Geschäftsführers anzunehmen ist, ist allerdings von der Rechtsprechung des BSG nicht gebilligt worden (BSGE 13, 196, 200 = SozR a. a. O.; Brackmann/Wiester, a. a. O.; BSG, Urteil vom 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, Rn. 20 ff.). In solchen Fällen hängt das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach allgemeinen Grundsätzen wesentlich davon ab, ob der Geschäftsführer nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit einem seine persönliche Abhängigkeit begründenden Weisungsrecht der GmbH unterliegt. Denn auch wenn der geschäftsführende Gesellschafter über keine Mehrheit am Stammkapital und auch nicht über eine Sperrminorität verfügt, kann eine abhängige Beschäftigung weiter dann ausgeschlossen sein, wenn es ihm sein tatsächlicher Einfluss auf die Willensbildung der GmbH gestattet, nicht genehme Weisungen der genannten Art zu verhindern (vgl. BSG SozR 2100 § 7 Nr. 7; SozR 3-2400 § 7 Nr. 4). Dies kann z. B. der Fall sein, wenn er in der GmbH „schalten und walten“ kann, wie er will, weil er die Gesellschafter persönlich dominiert oder weil diese wirtschaftlich von ihm abhängig sind.

Das LSG Bayern hat hierzu weiter ausgeführt (Urteil vom 23.10.2012, L 5 R 767/10, Rn. 79 unter juris):

„Nichts anderes gilt für die Beurteilung von Geschäftsführern einer GmbH. Auch für diese gelten für die Beurteilung ihrer Tätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbstständige Arbeit die Kriterien des § 7 Abs. 1 SGB IV in ihrer von der Rechtsprechung entwickelten Ausprägung. Auch hier ist zu klären, ob es sich um eine Tätigkeit des Geschäftsführers nach Weisungen handelt und ob der Geschäftsführer in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingegliedert ist (abhängige Beschäftigung) oder ob seine Arbeitsleistung im Gegensatz dazu vor allem durch ein eigenes unternehmerisches Risiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit geprägt ist (selbstständige Tätigkeit). Das Gesamtbild der Arbeitsleistung ist entscheidend.“

Unter Berücksichtigung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ist vorliegend ausnahmsweise trotz Nichtvorliegens eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschicke der Klägerin zu 2. von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen. Hierfür spricht maßgeblich die Vergütungsvereinbarung, die im Endeffekt zu einem vollen unternehmerischen Risiko der Klägerin zu 1. führt. Macht der Bereich der Klägerin zu 1. Verluste, so reduziert sich ihre Geschäftsführervergütung auf Null. Macht ihr Bereich hohe Gewinne, so verdient sie wesentlich mehr als die jährliche Abschlagszahlung von 60.000 € und zwar in einem Verhältnis, welches über ihrer Kapitalbeteiligung liegt. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung entscheidend von der vom BSG am 29.8.2012 (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 19, 25, 29) entschiedenen, da dort ein regelmäßiges Entgelt bezahlt wurde und der dortige Kläger im Übrigen nicht einmal ordentlich bestellter Geschäftsführer war.

Die überproportionale Gewinnbeteiligung der Klägerin zu 1. gem. der Ergänzungsvereinbarung im Hinblick auf ihren Geschäftsbereich (ein Drittel und nicht - gem. ihrer Beteiligung - ein Viertel) bestätigt zudem den Vortrag der Klägerinnen, dass die Klägerin zu 1. einen maßgeblichen wirtschaftlichen Einfluss auf die Klägerin zu 2. hat. Zu berücksichtigen ist weiter, dass nach dem glaubwürdigen Vortrag der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung die Klägerin zu 2. von der Klägerin zu 1. wirtschaftlich abhängig ist (vgl. zu diesem Merkmal BSG, Urteil vom 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, Rn. 20), da der von ihr akquirierte und betreute Großkunde 80% des Umsatzes der Klägerin zu 2. ausmacht.

Unerheblich ist aus Sicht der Kammer, dass die Klägerinnen die Vergütungsregelung mit Ergänzungsvertrag vom 2.9.2011 rückwirkend zum 1.1.2011 implementierten. Das Schriftformerfordernis des ursprünglichen Anstellungsvertrags wurde eingehalten; zivilrechtlich sind die Parteien frei, auch rückwirkend Gehaltsregelungen bzw. Änderungen von ursprünglichen Regelungen vorzunehmen. Auch ein Umgehungsgeschäft liegt nicht vor, da die Klägerin zu 2. das volle neu vereinbarte Gehalt der Klägerin zu 1. als Betriebsausgabe absetzen kann und die Klägerin zu 1. verpflichtet ist, das neu geregelte Gehalt vollumfänglich zu versteuern. Nach der glaubwürdigen Aussage der Klägerin zu 1. ist dies in Bezug auf den streitgegenständlichen Zeitraum auch geschehen. Im Übrigen war die Regelung, wie glaubwürdig vorgetragen, von Anfang an so geplant gewesen und wäre auch ohne den Ergänzungsvertrag so gelebt worden. Trotz der Rechtswirkung ex tunc der Ergänzungsregelung im Statusverfahren ist zu beachten, dass die Regelung auch für die Zukunft, durchaus möglicherweise auch zum Nachteil der Klägerin zu 1., wirkt und es weder dem Mehrheitsgesellschafter noch der Klägerin zu 1. (wegen der notariell geänderten Stimmrechtsverhältnisse) möglich ist, aufgrund einseitiger Bestimmung die ursprüngliche Regelung wieder zu implementieren.

Weiter spricht für eine selbstständige Tätigkeit, dass die Klägerin zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum noch eine eigenfinanzierte Betriebsstätte unterhalten hatte, in der sie sowohl sonstige eigene unternehmerische Geschäfte als auch Arbeiten für die Klägerin zu 2. durchführte. Sie war nach dem Anstellungsvertrag auch frei, dort tätig zu sein und insoweit Weisungen der Klägerin zu 2. nicht unterworfen. Auch die zeitliche Freiheit spricht indiziell für das Unternehmertum der Klägerin zu 1., selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Weisungsgebundenheit bei Diensten höherer Art zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein kann (vergleiche Rittweger, Beck'scher Online-Kommentar, SGB IV, § 7 Rn. 10/2.1).

Aufgrund dieser maßgeblichen Kriterien, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, ist es nach Auffassung der erkennenden Kammer von untergeordneter Bedeutung, dass der Anstellungsvertrag Regelungen enthält, die der Klägerin zu 1. auch typische Arbeitnehmerrechte garantieren (Erstattung von Reisekosten, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub).

Der Klage war daher stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG, folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache und berücksichtigt ferner die Tatsache, dass die Klägerin zu 2. an der Privilegierung der Klägerin zu 1. teilhat (vgl. BSG, Urteil vom 29.5.2006, B 2 U 391/05 B).

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht. Ist ein Träger der Kranken- oder Rentenversicherung oder die Bundesagentur für Arbeit der Arbeitgeber, gilt der jeweils für diesen Leistungsträger oder, wenn eine Krankenkasse der Arbeitgeber ist, auch der für die Pflegekasse bestimmte Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als gezahlt; dies gilt für die Beiträge zur Rentenversicherung auch im Verhältnis der Träger der Rentenversicherung untereinander.

(2) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes unwirksam ist, so hat er auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Hinsichtlich der Zahlungspflicht nach Satz 3 gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(2a) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht, die sich für den Arbeitgeber knappschaftlicher Arbeiten im Sinne von § 134 Absatz 4 des Sechsten Buches ergibt, haftet der Arbeitgeber des Bergwerkbetriebes, mit dem die Arbeiten räumlich und betrieblich zusammenhängen, wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten nach § 13 Absatz 1 Satz 2 haften Arbeitgeber und Reeder als Gesamtschuldner.

(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Satz 1 gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3b) Die Haftung nach Absatz 3a entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Ein Verschulden des Unternehmers ist ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 6a der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz. AT 19.02.2019 B2) erfüllt.

(3c) Ein Unternehmer, der Bauleistungen im Auftrag eines anderen Unternehmers erbringt, ist verpflichtet, auf Verlangen der Einzugstelle Firma und Anschrift dieses Unternehmers mitzuteilen. Kann der Auskunftsanspruch nach Satz 1 nicht durchgesetzt werden, hat ein Unternehmer, der einen Gesamtauftrag für die Erbringung von Bauleistungen für ein Bauwerk erhält, der Einzugsstelle auf Verlangen Firma und Anschrift aller Unternehmer, die von ihm mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt wurden, zu benennen.

(3d) Absatz 3a gilt ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275 000 Euro, wobei für Schätzungen die Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624) in der jeweils geltenden Fassung gilt.

(3e) Die Haftung des Unternehmers nach Absatz 3a erstreckt sich in Abweichung von der dort getroffenen Regelung auf das von dem Nachunternehmer beauftragte nächste Unternehmen, wenn die Beauftragung des unmittelbaren Nachunternehmers bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände als ein Rechtsgeschäft anzusehen ist, dessen Ziel vor allem die Auflösung der Haftung nach Absatz 3a ist. Maßgeblich für die Würdigung ist die Verkehrsanschauung im Baubereich. Ein Rechtsgeschäft im Sinne dieser Vorschrift, das als Umgehungstatbestand anzusehen ist, ist in der Regel anzunehmen,

a)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder selbst eigene Bauleistungen noch planerische oder kaufmännische Leistungen erbringt oder
b)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder technisches noch planerisches oder kaufmännisches Fachpersonal in nennenswertem Umfang beschäftigt oder
c)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer in einem gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Hauptunternehmer steht.
Besonderer Prüfung bedürfen die Umstände des Einzelfalles vor allem in den Fällen, in denen der unmittelbare Nachunternehmer seinen handelsrechtlichen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat.

(3f) Der Unternehmer kann den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch für den Zeitraum des Auftragsverhältnisses durch Vorlage von lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen der zuständigen Einzugsstellen für den Nachunternehmer oder den von diesem beauftragten Verleiher erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten.

(3g) Für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist und der einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragt, gelten die Absätze 3a, 3b Satz 1, 3e und 3f entsprechend. Absatz 3b Satz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Präqualifikation die Voraussetzung erfüllt, dass der Nachunternehmer in einem amtlichen Verzeichnis eingetragen ist oder über eine Zertifizierung verfügt, die jeweils den Anforderungen des Artikels 64 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 (ABl. L 337 vom 19.12.2017, S. 19) geändert worden ist, entsprechen. Für einen Unternehmer, der im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördert, gilt Absatz 3c entsprechend. Beförderung von Paketen im Sinne dieses Buches ist

a)
die Beförderung adressierter Pakete mit einem Einzelgewicht von bis zu 32 Kilogramm, soweit diese mit Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen erfolgt,
b)
die stationäre Bearbeitung von adressierten Paketen bis zu 32 Kilogramm mit Ausnahme der Bearbeitung im Filialbereich.

(3h) Die Bundesregierung berichtet unter Beteiligung des Normenkontrollrates zum 31. Dezember 2023 über die Wirksamkeit und Reichweite der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge für die Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragen, insbesondere über die Haftungsfreistellung nach Absatz 3b und Absatz 3f Satz 1.

(4) Die Haftung umfasst die Beiträge und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzung zu zahlen sind, sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (Beitragsansprüche).

(5) Die Satzung der Einzugsstelle kann bestimmen, unter welchen Voraussetzungen vom Arbeitgeber Vorschüsse auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag verlangt werden können.

(1) Die Beteiligten können bei der Deutschen Rentenversicherung Bund schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob bei einem Auftragsverhältnis eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung von Versicherungspflicht auf Grund einer Beschäftigung eingeleitet. Die Einzugsstelle hat einen Antrag nach Satz 1 zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers (§ 28a) ergibt, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist.

(2) Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt. Wird die vereinbarte Tätigkeit für einen Dritten erbracht und liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Auftragnehmer in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt, stellt sie bei Vorliegen einer Beschäftigung auch fest, ob das Beschäftigungsverhältnis zu dem Dritten besteht. Der Dritte kann bei Vorliegen von Anhaltspunkten im Sinne des Satzes 2 ebenfalls eine Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 beantragen. Bei der Beurteilung von Versicherungspflicht auf Grund des Auftragsverhältnisses sind andere Versicherungsträger an die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung Bund gebunden.

(3) Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilt den Beteiligten schriftlich oder elektronisch mit, welche Angaben und Unterlagen sie für ihre Entscheidung benötigt. Sie setzt den Beteiligten eine angemessene Frist, innerhalb der diese die Angaben zu machen und die Unterlagen vorzulegen haben.

(4) Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilt den Beteiligten mit, welche Entscheidung sie zu treffen beabsichtigt, bezeichnet die Tatsachen, auf die sie ihre Entscheidung stützen will, und gibt den Beteiligten Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern. Satz 1 gilt nicht, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund einem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten entspricht.

(4a) Auf Antrag der Beteiligten entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund bereits vor Aufnahme der Tätigkeit nach Absatz 2. Neben den schriftlichen Vereinbarungen sind die beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung zu Grunde zu legen. Ändern sich die schriftlichen Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung bis zu einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, haben die Beteiligten dies unverzüglich mitzuteilen. Ergibt sich eine wesentliche Änderung, hebt die Deutsche Rentenversicherung Bund die Entscheidung nach Maßgabe des § 48 des Zehnten Buches auf. Die Aufnahme der Tätigkeit gilt als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse.

(4b) Entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund in einem Einzelfall über den Erwerbsstatus, äußert sie sich auf Antrag des Auftraggebers gutachterlich zu dem Erwerbsstatus von Auftragnehmern in gleichen Auftragsverhältnissen. Auftragsverhältnisse sind gleich, wenn die vereinbarten Tätigkeiten ihrer Art und den Umständen der Ausübung nach übereinstimmen und ihnen einheitliche vertragliche Vereinbarungen zu Grunde liegen. In der gutachterlichen Äußerung sind die Art der Tätigkeit, die zu Grunde gelegten vertraglichen Vereinbarungen und die Umstände der Ausübung sowie ihre Rechtswirkungen anzugeben. Bei Abschluss eines gleichen Auftragsverhältnisses hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer eine Kopie der gutachterlichen Äußerung auszuhändigen. Der Auftragnehmer kann für gleiche Auftragsverhältnisse mit demselben Auftraggeber ebenfalls eine gutachterliche Äußerung beantragen.

(4c) Hat die Deutsche Rentenversicherung Bund in einer gutachterlichen Äußerung nach Absatz 4b das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit angenommen und stellt sie in einem Verfahren nach Absatz 1 oder ein anderer Versicherungsträger in einem Verfahren auf Feststellung von Versicherungspflicht für ein gleiches Auftragsverhältnis eine Beschäftigung fest, so tritt eine Versicherungspflicht auf Grund dieser Beschäftigung erst mit dem Tag der Bekanntgabe dieser Entscheidung ein, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 5 Satz 1 Nummer 2 erfüllt sind. Im Übrigen findet Absatz 5 Satz 1 keine Anwendung. Satz 1 gilt nur für Auftragsverhältnisse, die innerhalb von zwei Jahren seit Zugang der gutachterlichen Äußerung geschlossen werden. Stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund die Beschäftigung in einem Verfahren nach Absatz 1 fest, so entscheidet sie auch darüber, ob die Voraussetzungen des Absatzes 5 Satz 1 Nummer 2 erfüllt sind.

(5) Wird der Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Beschäftigung fest, gilt der Tag der Bekanntgabe der Entscheidung als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis, wenn der Beschäftigte

1.
zustimmt und
2.
er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellt den Zeitpunkt fest, der als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis gilt. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird erst zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem die Entscheidung, dass eine Beschäftigung vorliegt, unanfechtbar geworden ist.

(6) Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen nach den Absätzen 2 und 4a haben aufschiebende Wirkung. Im Widerspruchsverfahren können die Beteiligten nach Begründung des Widerspruchs eine mündliche Anhörung beantragen, die gemeinsam mit den anderen Beteiligten erfolgen soll. Eine Klage auf Erlass der Entscheidung ist abweichend von § 88 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes nach Ablauf von drei Monaten zulässig.

(7) Absatz 2 Satz 2 und 3, Absätze 4a bis 4c und Absatz 6 Satz 2 treten mit Ablauf des 30. Juni 2027 außer Kraft. Die Deutsche Rentenversicherung Bund legt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 31. Dezember 2025 einen Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des Absatzes 2 Satz 2 und 3, der Absätze 4a bis 4c und des Absatzes 6 Satz 2 vor.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

Tenor

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 72 Nr 1 Halbsatz 2, § 63 Abs 2, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 des Gerichtskostengesetzes in Höhe des Regelstreitwerts festzusetzen. Für eine Bestimmung des Streitwerts in hiervon abweichender Höhe nach der wirtschaftlichen Bedeutung fehlen hinreichende Anhaltspunkte. Entgegen der Auffassung des LSG bieten die gesetzlichen Regelungen keine Grundlage dafür, den Regelstreitwert wegen der Länge des Zeitraums zu vervielfältigen, für den der versicherungsrechtliche Status des Beigeladenen umstritten ist, wenn die wirtschaftliche Bedeutung in diesem Zeitraum nicht beziffert werden kann.

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen zu 2. werden das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 5. November 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2009 aufgehoben, soweit es die Feststellung der Rentenversicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 1. Februar 2003 bis 31. Dezember 2005 betrifft.

Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu erstatten. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten (noch) darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 1.2.2003 bis 31.12.2005 als Beschäftigter in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) versicherungspflichtig war.

2

Der 1975 geborene Kläger war bereits während seines Gartenbaustudiums für die Beigeladene zu 1. - eine GmbH & Co. KG mit dem Unternehmensgegenstand "Handel mit Baumschulerzeugnissen" - tätig. Persönlich haftende Gesellschafterin war die " H Verwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung" (im Folgenden: Komplementär-GmbH). Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren ursprünglich die Eltern des Klägers mit einer Einlage in Höhe von insgesamt 20 000 DM sowie Herr D (im Folgenden D.) mit einer Einlage in Höhe von 30 000 DM. D. war zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. Kommanditisten der Beigeladenen zu 1. waren D. mit einer Kommanditeinlage von 15 000 DM und die Mutter des Klägers mit einer Kommanditeinlage von 10 000 DM. Die Beigeladene zu 1. ist dem Einzelunternehmen "Baumschule H" (im Folgenden: Baumschule) "vorgeschaltet", um die Baumschule von Haftungsrisiken aus dem Handel mit den Erzeugnissen zu entlasten. Die Baumschule verkauft sämtliche Pflanzen an die Beigeladene zu 1., die sie wiederum an Gartenzentren weiterverkauft. Die Baumschule ist der einzige Lieferant der Beigeladenen zu 1. Sie verfügte über ca 100 Beschäftigte, während die Beigeladene zu 1. als "Vertriebsgesellschaft" über neun Beschäftigte verfügte. Die Baumschule ist ein Hof im Sinn der Höfeordnung. Der Kläger ist der einzige Hoferbe. Die Nachfolge ist zum 1.1.2006 tatsächlich vollzogen worden. Der Kläger führt seit diesem Zeitpunkt auch die Geschäfte der Baumschule und hat deren Bewirtschaftung übernommen.

3

Der Kläger wurde durch einen zwischen ihm und der Beigeladenen zu 1. geschlossenen "Anstellungsvertrag" vom 27.1.2003 neben dem Geschäftsführer D. zum weiteren Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. bestellt. In dem Vertrag wurde festgehalten, dass der Geschäftsführer berechtigt und verpflichtet ist, die Gesellschaft nach Maßgabe der Gesetze, des Gesellschaftsvertrages und einer etwaigen Geschäftsführerordnung allein zu vertreten und die Geschäfte der Gesellschaft allein zu führen. Weiterhin wurde der Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Als Monatsgehalt wurde ein Betrag in Höhe von 2100 Euro brutto vereinbart. Im Krankheitsfall sollte eine sechsmonatige Weiterzahlung der Bezüge erfolgen. Als Jahresurlaub wurden 24 Arbeitstage vereinbart. Zeitgleich mit der Übernahme der Leitung der Baumschule wurde der Kläger am 1.1.2006 Gesellschafter der Beigeladenen zu 1.

4

Durch Bescheid vom 23.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.2.2007 stellte die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle aufgrund der Angaben des Klägers in einem Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung fest, dass der Kläger in der Zeit vom 1.2.2003 bis 31.12.2005 kranken-, pflege-, renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig sei.

5

Die dagegen erhobene Anfechtungsklage ist in beiden Vorinstanzen erfolgreich gewesen (Urteil des SG vom 22.10.2009; Urteil des LSG vom 5.11.2010). Das LSG ist von fehlender Versicherungspflicht des Klägers ausgegangen und hat ausgeführt: Für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung sprächen zwar der Anstellungsvertrag, die Vereinbarung eines monatlichen festen Gehalts, der Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall sowie der Anspruch auf bezahlten jährlichen Erholungsurlaub; zudem habe der Kläger mangels Kapitalbeteiligung im streitigen Zeitraum nicht die Rechtsmacht gehabt, Beschlüsse der Gesellschaft herbeizuführen oder zu verhindern. Gleichwohl habe der Kläger "in der Familiengesellschaft" wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken das Geschäft geführt. Als Geschäftsführer sei er alleinvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit gewesen. Er habe in weitaus größerem Maße als der Mitgeschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter D. über die erforderlichen Branchenkenntnisse verfügt. Er habe bereits seine Diplomarbeit über "die Betriebswirtschaft und das Rating in seinem Unternehmen" geschrieben und konkrete Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung des Betriebs entwickelt. Wesentliche Geschäftsbereiche habe er selbst wahrgenommen. Er habe die Verhandlungen mit wichtigen Kunden geführt, neue Märkte erschlossen, mit Banken verhandelt und sei Ansprechpartner für den Bilanzbuchhalter und den Steuerberater gewesen. Der Kläger habe über Einstellungen und Entlassungen von Mitarbeitern entschieden, soweit sie in seinem Geschäftsbereich - "dem Vertriebsunternehmen der Beigeladenen zu 1." - tätig waren. Er habe die Verantwortung getragen und das Unternehmen weiter entwickelt. Weder der Gesellschafter D. noch die Mutter des Klägers hätten seine Aktivitäten tatsächlich kontrolliert. Darüber hinaus habe der Kläger regelmäßig auf einen Teil des vertraglich vereinbarten Jahresurlaubs verzichtet. Besonders zu berücksichtigen seien die familiären Umstände und die Verbindung der beiden Unternehmen. Der Kläger habe als künftiger Mitgesellschafter der Beigeladenen zu 1. und künftiger Inhaber der Baumschule und Hoferbe ein besonderes eigenes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg der "miteinander verbundenen Unternehmen" gehabt. Aufgrund der vorliegenden Konstellation sei der Mitgeschäftsführer und Gesellschafter D. eher vom Kläger abhängig gewesen als umgekehrt.

6

Mit der allein von ihm eingelegten Revision rügt der RV-Träger (Beigeladene zu 2.) sinngemäß eine Verletzung von § 7 Abs 1 SGB IV, insbesondere eine Divergenz zur seit dem Jahr 2006 ergangenen Rechtsprechung des BSG(BSG Urteil vom 25.1.2006 - B 12 KR 30/04 R - USK 2006-8 = Die Beiträge, Beilage 2006, 66; BSG Urteil vom 24.1.2007 - B 12 KR 31/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 7), da nach der Rechtsauffassung des LSG eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ausscheide, wenn die tatsächlichen Verhältnisse (vorliegend eine familiäre Verbundenheit und eine Verbindung von zwei Unternehmen) die für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sprechenden rechtlichen Aspekte überlagern. Dabei habe das LSG nicht die aktuelle Rechtsprechung des BSG berücksichtigt, wonach maßgeblich die Rechtsbeziehung sei, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Bei einem Geschäftsführer, der wie der Kläger nicht Gesellschafter der GmbH ist, sei auf die ihm eingeräumte Rechtsmacht abzustellen. Sowohl der Anstellungsvertrag als auch der Gesellschaftsvertrag unterwürfen jedoch Änderungen der Vertragsbestimmungen der Schriftform. Entsprechende Änderungen seien nicht dokumentiert, weshalb davon auszugehen sei, dass der Kläger Beschlüsse der Gesellschafterversammlung weder habe herbeiführen noch verhindern können.

7

Die Beigeladene zu 2. beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 5. November 2010 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2009 aufzuheben, soweit sie die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung in seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. vom 1. Februar 2003 bis 31. Dezember 2005 betreffen und die Klage insoweit abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beigeladenen zu 2. zurückzuweisen.

9

Er verteidigt die angefochtenen Urteile. Er habe in Bezug auf die Beigeladene zu 1. ohne Beschränkungen handeln können. Ein nach dem Gesellschaftsvertrag eventuell erforderliches Zustimmungserfordernis der Kommanditisten für außergewöhnliche Geschäfte sei stillschweigend abbedungen worden. Die Schriftformklausel sei hierfür ohne Belang, da auch sie stillschweigend abbedungen worden sei.

10

Die Beklagte hat sich dem Antrag der Beigeladenen zu 2. angeschlossen. Die Beigeladenen zu 1., 3. und 4. äußern sich nicht.

Entscheidungsgründe

11

Die auf die Feststellung von Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen RV im Zeitraum 1.2.2003 bis 31.12.2005 beschränkte Revision der Beigeladenen zu 2. ist zulässig und begründet. Bescheid und Widerspruchsbescheid der beklagten Krankenkasse (als Einzugsstelle) erweisen sich insoweit als rechtmäßig. In diesem Umfang sind die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und ist die Klage abzuweisen.

12

1. Obwohl die Beigeladene zu 2. in der Revisionsbegründung entgegen § 164 Abs 2 S 3 SGG keine Rechtsnorm ausdrücklich bezeichnet hat, die sie durch das Urteil des LSG als verletzt ansieht, ist die Revision noch zulässig. Denn es reicht aus, wenn sich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt, dass er sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Meinung ist (BSG SozR 3-5555 § 15 Nr 1 S 2 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 9c, 11 mwN). Die Revisionsbegründung macht hinreichend deutlich, dass die Beigeladene zu 2. zum einen die Auffassung des LSG angreift, bei der Abgrenzung von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit komme den familiären Umständen und der besonderen wirtschaftlichen Verbindung zwischen zwei Unternehmen ausschlaggebende Bedeutung zu, und zum anderen dadurch § 7 Abs 1 SGB IV als verletzt ansieht.

13

2. Die Revision der Beigeladenen zu 2. ist auch begründet.

14

Zu Unrecht hat das LSG die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen RV verneint und die Berufung der Beklagten gegen das die Bescheide der Beklagten aufhebende SG-Urteil zurückgewiesen. Das LSG ist zunächst zutreffend von den in der Rechtsprechung des BSG zum Typus der Beschäftigung aufgestellten Rechtssätzen ausgegangen, hat in diesem Rahmen aber die jüngere Rechtsprechung zum Vorrang der tatsächlichen Verhältnisse gegenüber den individualvertraglichen sowie handels- und gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht hinreichend berücksichtigt (hierzu a). Zutreffend hat das LSG Merkmale der konkret vom Kläger ausgeübten Tätigkeit festgestellt (hierzu b). Die hierauf aufbauende rechtliche Würdigung und Beurteilung des Gesamtbilds der Tätigkeit als selbstständige Tätigkeit kann jedoch aufgrund der fehlerhaften Maßstabsbildung keinen Bestand haben (hierzu c). Damit sind auch die vom LSG entscheidungserheblich in den Fokus gerückten familiären Umstände und die Verbindung der beiden Unternehmen miteinander nicht geeignet, die Annahme von Selbstständigkeit zu rechtfertigen (hierzu d).

15

a) Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen RV (vgl § 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes vom 19.2.2002, BGBl I 754). Nach § 7 Abs 1 SGB IV in seiner bis heute unverändert geltenden Fassung ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (stRspr; vgl zum Ganzen zB zuletzt BSG SozR 4-2400 § 28e Nr 4 RdNr 17; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 6 RdNr 14 mwN; siehe insbesondere auch BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 19 S 69 f, Nr 13 S 31 f und Nr 4 S 13, jeweils mwN; BSGE 78, 34, 36 = SozR 3-2940 § 2 Nr 5 S 26 f mwN; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr 11).

16

Die Beigeladene zu 2. weist in ihrer Revisionsbegründung zu Recht darauf hin, dass bei der Feststellung des Gesamtbilds den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zukommt. Zwar hat der Senat noch im Urteil vom 22.6.2005 (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 5 RdNr 7) ausgeführt, dass beim Abweichen der Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen letztere den Ausschlag geben. Jedoch hat er diese Aussage in Zusammenfassung älterer Entscheidungen nachfolgend präzisiert (insbesondere BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 7 RdNr 17; ebenso Urteil vom 25.1.2006 - B 12 KR 30/04 R - USK 2006-8 = ZIP 2006, 678 = Die Beiträge, Beilage 2006, 66, und Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - Die Beiträge, Beilage 2008, 333, 341 f): Danach sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Hieran hat der Senat seither festgehalten (vgl zB BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 KR 21/07 R - USK 2009-25; BSG Urteil vom 29.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-125 = Juris RdNr 17; ferner auch BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 12 KR 25/10 R -, SozR 4-2400 § 7 Nr 17, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

17

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzurücken: Die tatsächlichen Verhältnisse weichen hier nach den Feststellungen des LSG zwar insbesondere von den Regelungen des zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. geschlossenen Anstellungsvertrags ab, jedoch führt dies mit Blick auf die Frage des Vorliegens einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit zu keinem anderen Ergebnis (hierzu c). Daher vermögen auch die Gesichtspunkte "familiäre Umstände" und "Verbindung der beiden Unternehmen" kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen (hierzu d).

18

b) Die dargestellten Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall maßgebend, denn der Kläger war im streitigen Zeitraum nicht in seinem eigenen, sondern in einem fremden Betrieb tätig. Die alleinige Betriebs- bzw Unternehmensinhaberin war die Beigeladene zu 1., die als GmbH & Co. KG ein Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit ist und deshalb unabhängig von den als Gesellschafter dahinterstehenden juristischen oder natürlichen Personen (hierzu vgl nur BSGE 95, 275 = SozR 4-2600 § 2 Nr 7, RdNr 21 mwN)und deren verwandtschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen betrachtet werden muss.

19

Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Geschäftsführertätigkeit des Klägers für die Beigeladene zu 1. im Rahmen einer Beschäftigung oder selbstständig ausgeübt wurde, ist der "Anstellungsvertrag" vom 27.1.2003, der deren Vertragsverhältnis bestimmte. Dieser Vertrag hatte sowohl nach der Bezeichnung als auch nach seinem vom LSG festgestellten Inhalt - monatliches festes Gehalt, Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie Anspruch auf bezahlten jährlichen Erholungsurlaub - ein Arbeitsverhältnis zum Gegenstand. Auf der Grundlage dieses Vertrages wurde der Kläger als weiterer Geschäftsführer neben dem Geschäftsführer D. der Beigeladenen zu 1. tätig. Rechtlich relevante Änderungen des schriftlichen "Anstellungsvertrags" - unabhängig von der Frage insoweit einzuhaltender Formerfordernisse - hat das LSG nicht festgestellt.

20

c) Der Kläger verrichtete seine Geschäftsführertätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. im Zeitraum vom 1.2.2003 bis 31.12.2005 im Rahmen einer (abhängigen) Beschäftigung.

21

Der Kläger war im streitigen Zeitraum weder an der Beigeladenen zu 1. noch an deren Komplementär-GmbH beteiligt. Er war weder Kommanditist der Beigeladenen zu 1. noch Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Vielmehr war er insoweit als Fremdgeschäftsführer anzusehen. Bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH hat das BSG jedoch regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen und diese nur unter besonderen Umständen verneint (vgl BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 20 S 79 mwN).

22

Der Kläger war auch in die Arbeitsorganisation der Beigeladenen zu 1. eingebunden. Nach § 2 Abs 1 des Anstellungsvertrags hatte er seine Arbeitskraft und seine gesamten Kenntnisse und Erfahrungen der Beigeladenen zu 1. zur Verfügung zu stellen.

23

Der Kläger war zudem auch nicht alleiniger Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. Vielmehr war neben ihm D. als weiterer Geschäftsführer tätig. Eine Einschränkung der Befugnisse von D. als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. hat das LSG nicht festgestellt. Zwar ergibt sich aus dem vom Kläger ausgefüllten Feststellungsbogen aus dem Jahr 2006, dass er für die Geschäftsbereiche "Kredit, Steuern, Werbung, Investition" exklusiv zuständig war. Die Geschäftsbereiche "Einkauf, Vertrieb, Personal" fielen danach aber sowohl in die Zuständigkeit des Klägers als auch in die Zuständigkeit des D. Auch in der praktischen Zusammenarbeit bewahrte sich D. einen eigenen Aufgabenbereich: Nach den Feststellungen der Vorinstanzen beschränkte er seine Tätigkeit mehr auf den praktischen Bereich des Unternehmens, insbesondere auf die Verpackung und Übersendung der Ware. Auch ist ausdrücklich festgestellt worden, dass D. dem Kläger lediglich "in seinen Geschäftsbereichen" völlig freie Hand gelassen habe. Schließlich haben die Vorinstanzen auch bei der Feststellung, dass der Kläger über die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern entschieden habe, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nur für den Geschäftsbereich galt, für den er zuständig war.

24

Weder die dem Kläger im Anstellungsvertrag eingeräumte Handlungsfreiheit noch die darin eingeräumte Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot können eine Selbstständigkeit des Klägers im Rechtssinne rechtfertigen. Dies gilt schon deshalb, weil sich nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen die Handlungsfreiheit des Klägers von vornherein nur auf bestimmte Geschäftsbereiche der Beigeladenen zu 1. bezog. Zudem hat das BSG bereits entschieden, dass die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot nicht zwingend für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit spricht (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 1 RdNr 11 und Nr 8 RdNr 17). Im Übrigen ist die Wahrnehmung von Handlungsfreiheiten für leitende Angestellte, die in einem Betrieb höhere Dienste leisten, geradezu charakteristisch. Sie werden dennoch im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung geleistet, wenn sie - wie hier - fremdbestimmt bleiben, weil sie in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (stRspr seit BSGE 16, 289, 294 = SozR Nr 30 zu § 165 RVO und BSGE 21, 57, 58 f = SozR Nr 2 zu § 2 AVG S 4; in jüngerer Zeit zB BSG SozR 3-2940 § 3 Nr 2 S 9 mwN; BSGE 66, 168 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1 und SozR 3-2400 § 7 Nr 20 S 80; vgl - zum Fehlen einer Eingliederung einer hauswirtschaftlichen Familienbetreuerin - BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-125 = Juris RdNr 22; vgl zum Begriff des "Betriebes" BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 33 ff). Wie weit die Lockerung des Weisungsrechts in der Vorstellung des Gesetzgebers gehen kann, ohne dass deswegen die Stellung als Beschäftigter entfällt, zeigen beispielhaft die gesetzlichen Sonderregelungen zur Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in der RV und Arbeitslosenversicherung (§ 1 S 4 SGB VI sowie § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III), die regelmäßig abhängig beschäftigt sind, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten haben und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (stRspr BSGE 65, 113, 116 f = SozR 2200 § 1248 Nr 48 S 125; SozR 3-2400 § 7 Nr 18 S 65; BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr 3, RdNr 16; BSGE 107, 185 = SozR 4-2600 § 1 Nr 6, RdNr 14). Allein weit reichende Entscheidungsbefugnisse eines "leitenden Angestellten", der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem gemilderten Weisungsrecht unterliegt, machen diesen nicht schon zu einem Selbstständigen. Auch der von den Vorinstanzen ohne konkrete Feststellungen angeführte Verzicht des Klägers auf einen Teil des Jahresurlaubs spricht per se nicht für Selbstständigkeit, da es auch unter (abhängig) Beschäftigten vorkommt, dass diese auf einen Teil ihres Jahresurlaubs verzichten. Der Verzicht auf einen Teil des Jahresurlaubs hat somit lediglich indiziellen Charakter (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 17 S 60).

25

Eine solche, noch dem Typus der Beschäftigung zuzuordnende Eingliederung des Klägers in eine vorgegebene Ordnung des Betriebes der Beigeladenen zu 1. bestand während des gesamten streitigen Zeitraums. Als Mitgeschäftsführer blieb er in die vorgegebene Organisation der Beigeladenen zu 1. eingebunden. Der Kläger besaß keine rechtliche Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Organisation der Beigeladenen zu 1. Einfluss zu nehmen. Die Organe einer juristischen Person können nicht in einem rechtsfreien bzw der Beliebigkeit der Beteiligten unterstehenden Raum agieren. Vielmehr sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie sie insbesondere durch das Zivilrecht ausgestaltet sind, zu beachten. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass diese Rahmenbedingungen keinen bloßen, auf den Innenbereich der juristischen Person beschränkten Anwendungsbereich haben, sondern vielfältige und umfangreiche weitere Konsequenzen, etwa zum Schutz von Gläubigern, bei Haftungsfragen oder beispielsweise im Steuerrecht nach sich ziehen. So macht § 164 S 1 HGB bei einer KG Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgehen, von der Zustimmung der grundsätzlich von der Führung der Geschäfte der Gesellschaft ausgeschlossenen Kommanditisten abhängig. Zwar ist § 164 HGB dispositiv. Der Kernbereich der Kommanditistenrechte ist jedoch unantastbar (vgl hierzu zB Hopt in Hopt ua, HGB, 35. Aufl 2012, § 164 RdNr 6). Hinzu kommt, dass sog Grundlagengeschäfte, die das Gesellschaftsverhältnis und seine Gestaltung betreffen, stets der Zustimmung aller Gesellschafter bedürfen (vgl § 114 HGB; BGHZ 132, 263, 266). Angesichts dieser rechtlichen Rahmenbedingungen kann vorliegend aus der vom LSG angenommenen faktischen Nichtwahrnehmung von Aufsichts-, Kontroll- und Weisungsrechten durch die dazu gesellschaftsrechtlich berufenen Organe nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass dadurch die ihnen zugrundeliegenden Rechte und Pflichten "stillschweigend" abbedungen worden seien. Dabei kommt es auch auf die Frage des Einhaltens der in dem Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Schriftform nicht an. Vor dem Hintergrund der umfangreichen gesellschaftsrechtlichen Verfahrens- und Formvorschriften (vgl §§ 114, 119 Abs 1 HGB) ist eine "stillschweigende" Änderung der grundlegenden rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft ausgeschlossen. Darüber hinaus sieht § 3 Abs 1 des Gesellschaftsvertrags, der der Gründung der Beigeladenen zu 1. zugrunde lag, ausdrücklich vor, dass zur Geschäftsführung und Vertretung die Komplementärin berechtigt und verpflichtet ist. Änderungen des Gesellschaftsvertrags oder Gesellschafterbeschlüsse der Beigeladenen zu 1. oder der Komplementär-GmbH, die eine Änderung der Geschäftsführerbefugnisse oder eine Definition der Wahrnehmung von Aufsichts-, Kontroll- und Weisungsrechten innerhalb der Beigeladenen zu 1. dokumentieren würden, haben SG und LSG nicht festgestellt. Der Kläger hatte auch weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit, wie ein beherrschender oder zumindest mit einer Sperrminorität ausgestatteter Gesellschafter-Geschäftsführer ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden (vgl hierzu allgemein zB BSGE 66, 69 = SozR 4100 § 104 Nr 19; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4 S 13 f; aus jüngerer Zeit BSG <12. Senat> SozR 4-2400 § 7 Nr 7 RdNr 28 und<11a. Senat> SozR 4-2400 § 7 Nr 8 RdNr 15, jeweils mwN). Hierzu fehlte es bereits an einer Beteiligung des Klägers am Stammkapital der Beigeladenen zu 1.

26

d) Entgegen der Auffassung des LSG sind auch weder die familiären Umstände (hierzu im Folgenden aa) noch die Verbindung der beiden Unternehmen (hierzu bb) geeignet, die Selbstständigkeit des Klägers zu bejahen.

27

aa) Das BSG hat in der Vergangenheit in seiner Rechtsprechung - überwiegend zu Leistungsansprüchen des Arbeitsförderungs- und Unfallversicherungsrechts - auch für den Fall, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügte, eine selbstständige Tätigkeit des Betroffenen für möglich erachtet, wenn dessen Tätigwerden innerhalb einer Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war (BSG Urteil vom 29.10.1986 - 7 RAr 43/85 - USK 86145; BSG Urteil vom 8.12.1987 - 7 RAr 25/86 - USK 87170; BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - USK 9975; BSG SozR 2100 § 7 Nr 7 S 6; BSG Urteil vom 28.1.1992 - 11 RAr 133/90 - USK 9201; BSG Urteil vom 11.2.1993 - 7 RAr 48/92 - USK 9347; im konkreten Fall abgelehnt: BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 7a AL 8/06 R - USK 2007-53; umgekehrt allerdings : BSG SozR 3-4100 § 104 Nr 8 S 37). Ohne Geschäftsführerstellung hat der 12. Senat eine - nach den allgemeinen Grundsätzen eigentlich ausgeschlossene - selbstständige Tätigkeit für den Fall als gegeben erachtet, dass der in einer GmbH Tätige neben seinem Ehegatten alleiniger oder gleichberechtigter Gesellschafter der GmbH ist (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 17). Dabei hat der Senat jedoch nicht auf eine familiäre Verbundenheit, sondern maßgebend auf die mit der Gesellschafterstellung verbundene Rechtsmacht abgestellt (BSG, aaO, S 58, 60). Weitergehend hatte allerdings der 3. Senat bereits 1971 die Selbstständigkeit eines nicht zum (ggf weiteren) Geschäftsführer bestellten Minderheitsgesellschafters angenommen, weil dieser in der betrieblichen Praxis der mit ihm verheirateten Geschäftsführerin und Mehrheitsgesellschafterin vollständig gleichgestellt gewesen sei sowie sich faktisch als zweiter Geschäftsführer betätigt und neben der hauptamtlichen Geschäftsführerin die GmbH nach außen vertreten hatte (BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; vgl auch BSG Urteil vom 23.6.1994 - 12 RK 72/92 - USK 9448). Noch darüber hinausgehend hat der 11. Senat des BSG eine selbstständige Tätigkeit sogar im Fall des - nicht an der GmbH beteiligten und nicht zum Geschäftsführer bestellten - Sohnes eines Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers für möglich gehalten (BSGE 66, 168 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; in Abgrenzung zur familienhaften Mithilfe vgl aber BSG SozR Nr 22 zu § 165 RVO). Dabei ist der 11. Senat davon ausgegangen, dass für einen Fremdgeschäftsführer einer Familiengesellschaft, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist, eine Ausnahme von der Beschäftigtenstellung in Betracht komme, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten (unter Hinweis auf BSG Urteil vom 8.12.1987 - 7 RAr 25/86 - USK 87170). Diese Ausnahme solle - so der 11. Senat - auch gelten, wenn der Alleingesellschafter zugleich Alleingeschäftsführer ist und die Tätigkeit der faktischen Leitung des Betriebes formal auf der Ebene unter dem Geschäftsführer ausgeübt werde. Indessen lasse eine bloß "probeweise" Leitung des Betriebs durch den als Unternehmensnachfolger vorgesehenen Sohn eine (abhängige) Beschäftigung nicht entfallen. Wollten die Eltern, dass der Sohn den Betrieb in der bisherigen Art fortführe, und erlaube es ihre Mitarbeit im Betrieb verbunden mit ihrer Rechtsstellung als Gesellschafter und Geschäftsführer, diesen Willen durchzusetzen, so habe für den Sohn die fremdbestimmte betriebliche Ordnung im Sinne einer Beschäftigung fortbestanden, auch wenn er sich innerhalb des durch die bisherige Betriebsführung vorgegebenen Rahmens frei bewegen durfte (BSGE 66, 168, 170 ff = SozR 3-2400 § 7 Nr 1 S 4 f; zu einer solchen Konstellation vgl auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 18.5.2010 - L 11 KR 1423/08).

28

Der Senat kann vorliegend offenlassen, ob der vom 11. Senat des BSG formulierten Rechtsauffassung (ggf modifiziert bzw auf gänzlich atypische Sonderfälle beschränkt) bezogen auf das Versicherungs- und Beitragsrecht gefolgt werden kann oder ob - wofür einiges spricht - der aus gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entspringenden Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse, auf die auch der 11. Senat ausdrücklich hingewiesen hat, maßgebende Bedeutung beizumessen ist. Für Letzteres spricht, dass entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit anstelle einer (abhängigen) Beschäftigung auch im Zusammenhang mit Familiengesellschaften die Möglichkeit ist, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers bzw Dienstberechtigten abzuwenden. Dies mag aufgrund familiärer Rücksichtnahme solange der Fall sein, wie das Einvernehmen der Familienmitglieder gewahrt bleibt. Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde (kritisch aus diesem Grunde auch Segebrecht in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 7 RdNr 124). Eine solche "Schönwetter-Selbstständigkeit" ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar. So hat das BSG in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass es im Interesse aller Beteiligten, der Versicherten und der Versicherungsträger, liegt, die Frage der Versicherungspflicht und der Versicherungsfreiheit schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären, weil diese nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten des Sozialleistungsträgers und die Leistungsansprüche des Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein kann (vgl SozR Nr 6 zu § 168 RVO; SozR 2200 § 1228 Nr 1 S 2; SozR 2200 § 205 Nr 41 S 103; zuletzt Urteil des Senats vom 27.7.2011 - B 12 R 15/09 R - SozR 4-2600 § 5 Nr 6 RdNr 16).

29

Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Grundsätze über die rechtliche Relevanz familiärer Rücksichtnahme auf den vorliegenden Fall einer GmbH & Co. KG - bestehend aus natürlichen Personen und einer juristischen Person - überhaupt übertragbar sind. Vorliegend bestanden "familiäre" Beziehungen des Klägers lediglich zu einem der beiden Kommanditisten der Beigeladenen zu 1., nämlich seiner Mutter. Zu D. als weiterem Mehrheits-Kommanditisten und gleichzeitigem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH sind keine verwandtschaftlichen Beziehungen festgestellt worden. Zur Komplementär-GmbH der Beigeladenen zu 1. sind verwandtschaftliche Beziehungen von vornherein ausgeschlossen. Selbst zu den Gesellschaftern der Komplementär-GmbH der Beigeladenen zu 1. bestanden nur teilweise verwandtschaftliche Beziehungen des Klägers, nämlich soweit diese seine Eltern waren bzw nach dem Ausscheiden des Vaters aus der Gesellschaft seine Mutter war. Die Mehrheit der Geschäftsanteile in der Komplementär-GmbH wie auch die Mehrheit der Kommanditeinlagen lagen bei D.

30

bb) Die konkrete wirtschaftliche Situation bzw die faktische Verbindung der Beigeladenen zu 1. zur Baumschule als "vorgeschaltetem" Einzelunternehmen sind schließlich ebenfalls nicht geeignet, eine Selbstständigkeit des Klägers zu bejahen. Eine auch sozialversicherungsrechtlich - möglicherweise - relevante wirtschaftliche Verflechtung der Beigeladenen zu 1. zu der im streitigen Zeitraum vom Vater des Klägers betriebenen Baumschule - beispielsweise innerhalb einer Konzernstruktur (vgl § 18 AktG) - haben die Vorinstanzen nicht festgestellt. Eine Verbindung beider Unternehmen miteinander bestand nach den Feststellungen lediglich insoweit, als die Baumschule der einzige Lieferant der Beigeladenen zu 1. war. Diese wirtschaftliche Situation legt zwar die Annahme einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der Beigeladenen zu 1. von der Baumschule nahe. Hieraus allein ergäbe sich aber keine Änderung der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene zu 1., da der Kläger im streitigen Zeitraum nicht Eigentümer bzw Betriebsinhaber der Baumschule war. Er hatte seinerzeit lediglich die Aussicht, als Hoferbe die Baumschule zu übernehmen, was jedoch erst später zum 1.1.2006 erfolgte.

31

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Anteil der zu erstattenden Kosten entspricht dem Verhältnis der im streitigen Zeitraum für den Kläger zur gesetzlichen RV und zur Arbeitsförderung zu entrichtenden Beiträge.

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen zu 2. wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. September 2010 aufgehoben, soweit es die Feststellung der Rentenversicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. vom 30. April 1996 bis 30. November 1999 betrifft.

In diesem Umfang wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. November 2008 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu erstatten. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten (noch) darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 30.4.1996 bis 30.11.1999 als Beschäftigter in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) versicherungspflichtig war.

2

Der am 1961 geborene Kläger arbeitete aufgrund eines Anstellungsvertrags vom 11.2.1986 zunächst als Schlosser und nach Ablegen der Meisterprüfung noch im selben Jahr als Betriebsleiter bei der Beigeladenen zu 1., einer GmbH mit dem Unternehmensgegenstand "Rührwerksbau". Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war bis zu seinem Tod am 11.5.2001 der Vater des Klägers. Die Geschäftsanteile erbte dessen Ehefrau; der Kläger wurde mit Dienstvertrag vom 31.8.2001 zum Geschäftsführer bestellt. Bereits am 30.4.1996 hatte der Vater des Klägers "gemäß § 48 Abs 2 GmbHG" folgende Niederschrift verfasst:

        

"… Aus gesundheitlichen Gründen werden meine Kinder S. und M. die Leitung des Unternehmens übernehmen. Mein Sohn wird aufgrund seiner beruflichen Fähigkeiten den technischen und gewerblichen Teil des Unternehmens übernehmen, meine Tochter den kaufmännischen Teil, aufgrund ihrer Ausbildung beim Steuerberater. Die entsprechenden Vollmachten werden beiden Kindern umgehend erteilt. Ab sofort nehmen die Kinder am betrieblichen Erfolg mit einer Gewinntantieme teil und sind vom Selbstkontrahierungsverbot befreit. Auf das Weisungsrecht meinerseits verzichte ich. Arbeits- und Urlaubszeit kann nach Lage der Gesellschaft frei bestimmt und gestaltet werden."

3

Der Kläger war bis 30.11.1999 Mitglied der beklagten Krankenkasse, seit 1.1.1996 aufgrund freiwilliger Versicherung. Nachdem eine neu gewählte Krankenkasse festgestellt hatte, dass der Kläger in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. für spätere Zeiträume nicht versicherungspflichtig in der RV und nach dem Recht der Arbeitsförderung gewesen sei, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 14.9.2005 eine entsprechende Beurteilung auch für den (nun streitigen) Zeitraum 30.4.1996 bis 30.11.1999 durch die Beklagte als Einzugsstelle. Diese stellte mit Bescheid vom 23.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 20.4.2006 fest, dass der Kläger in diesem Zeitraum bei der Beigeladenen zu 1. beschäftigt gewesen sei und der Versicherungspflicht in der RV und Arbeitslosenversicherung unterlegen habe. Das SG hat die auf Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht in der RV und Arbeitslosenversicherung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 26.11.2008).

4

Auf die Berufung des Klägers hat das LSG unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide der Beklagten festgestellt, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. im streitigen Zeitraum nicht der Versicherungspflicht in der RV und Arbeitslosenversicherung unterlegen habe (Urteil vom 22.9.2010): Für eine Beschäftigung sprächen ua die fehlende Geschäftsführer- und Gesellschafterstellung des Klägers, die Vereinbarungen des Anstellungsvertrags und die begrenzte Befugnis des Klägers, die Geschicke "der Firma" rechtsverbindlich zu gestalten. Demgegenüber sprächen die tatsächlichen Verhältnisse gegen eine Beschäftigung. So habe sein Vater dem Kläger mit der Niederschrift vom 30.4.1996 unter Verzicht auf sein Weisungsrecht die Unternehmensleitung übertragen. Dadurch habe der Kläger zusammen mit seiner Schwester nach eigenem Gutdünken frei "schalten und walten" können. Durch Übernahme einer Bürgschaft über 100 000 DM habe er ein wirtschaftliches Risiko getragen und sei am Gewinn der Firma beteiligt gewesen. Er habe die alleinigen Branchenkenntnisse in dem von ihm geleiteten Teilbereich der Geschäfte gehabt, sei vom Selbstkontrahierungsverbot befreit gewesen und habe Kundengespräche geführt, Angebote eingeholt sowie Kalkulationen erstellt, ohne sich im Einzelnen mit seinem Vater abzusprechen. Diesen tatsächlichen Verhältnissen komme bei der rechtlichen Beurteilung Vorrang gegenüber den vertraglichen Regelungen zu.

5

Mit der allein vom ihm eingelegten Revision rügt der Rentenversicherungsträger (Beigeladene zu 2.) eine Divergenz zur Rechtsprechung des BSG seit dem Jahr 2006 (BSG Urteil vom 25.1.2006 - B 12 KR 30/04 R - USK 2006-8 = Die Beiträge, Beilage 2006, 149; BSG Urteil vom 24.1.2007 - B 12 KR 31/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 7), da das LSG sinngemäß den Rechtssatz aufgestellt habe, "dass eine im Widerspruch zu getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung der formellen Vereinbarung unabhängig von der rechtlichen Möglichkeit einer formlosen Abbedingung vorgehen bzw. auch dann, wenn eine formlose Abbedingung rechtlich nicht möglich ist". Das LSG habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger am Stammkapital der zu 1. beigeladenen GmbH nicht beteiligt gewesen sei und bezogen auf die Gesellschaft keinerlei "Rechtsmacht" besessen habe. Diese Rechtsmacht habe trotz des Verzichts auf ein Weisungsrecht bei dessen Vater, dem Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1., gelegen. Zudem habe der Kläger die Beigeladene zu 1. nicht wie ein Alleininhaber, sondern nur zusammen mit seiner Schwester geleitet.

6

Die Beigeladene zu 2. beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. September 2010 aufzuheben, soweit dieses unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. November 2008 sowie des Bescheides der Beklagten vom 23. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2006 festgestellt hat, der Kläger habe in seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. vom 30. April 1996 bis 30. November 1999 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen,
ferner, insoweit die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. November 2008 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beigeladenen zu 2. zurückzuweisen.

8

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Insbesondere sei mit der Niederschrift vom 30.4.1996 bereits die Bevollmächtigung beider Kinder durch ihren Vater erfolgt, der zugleich auf sein Weisungsrecht sowohl als Geschäftsführer wie auch als Gesellschafter verzichtet habe. Darauf, dass die Unternehmensleitung gemeinsam mit der - im Übrigen als nicht rentenversicherungspflichtig eingestuften - Schwester erfolgte, komme es nicht an.

9

Die Beklagte und die zu 3. beigeladene Bundesagentur für Arbeit schließen sich der Rechtsansicht der Beigeladenen zu 2. an, die Beigeladene zu 3. ohne einen Antrag zu stellen.

10

Die Beigeladene zu 1. äußert sich nicht.

Entscheidungsgründe

11

Die auf die angefochtene Feststellung von Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen RV im Zeitraum 30.4.1996 bis 30.11.1999 beschränkte Revision der Beigeladenen zu 2. ist zulässig und begründet. Bescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten sind bezogen darauf rechtmäßig. Daher ist das Urteil des LSG in diesem Umfang aufzuheben und die Berufung des Klägers insoweit zurückzuweisen.

12

1. Obwohl die Beigeladene zu 2. in der Revisionsbegründung entgegen § 164 Abs 2 S 3 SGG keine Rechtsnorm ausdrücklich bezeichnet hat, die sie durch das Urteil des LSG als verletzt ansieht, ist die Revision noch zulässig. Denn es reicht aus, wenn sich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt, dass er sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl BSG SozR 3-5555 § 15 Nr 1 S 2 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 9c, 11 mwN). Vorliegend lässt das Revisionsvorbringen noch hinreichend deutlich erkennen, dass die Beigeladene zu 2. die Auffassung des LSG angreift, bei der Abgrenzung von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit komme den tatsächlichen Verhältnissen generell Vorrang gegenüber den gesellschafts- und arbeitsvertraglichen Regelungen zu, und dass sie dadurch § 7 Abs 1 SGB IV als verletzt ansieht.

13

2. Die Revision der Beigeladenen zu 2. ist auch begründet.

14

Zu Unrecht hat das LSG hier die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen RV verneint und die Bescheide der Beklagten sowie das SG-Urteil insoweit aufgehoben. Dabei ist das LSG zunächst zutreffend von den in der Rechtsprechung des BSG zum Tatbestand der Beschäftigung aufgestellten Rechtssätzen ausgegangen; es hat jedoch die jüngere Rechtsprechung zum Vorrang der tatsächlichen Verhältnisse gegenüber den vertraglichen Vereinbarungen nicht hinreichend berücksichtigt (hierzu a). Wiederum zutreffend hat das LSG eine Tätigkeit in einem fremden Betrieb vorausgesetzt und den "Anstellungsvertrag" des Klägers zum Ausgangspunkt der weiteren Prüfung und seiner Tatsachenfeststellungen gemacht (hierzu b). Im Ergebnis keinen Bestand haben indes die hierauf aufbauende rechtliche Würdigung des LSG sowie seine davon ausgehende Bewertung des Gesamtbildes der Erwerbstätigkeit (hierzu c). Dabei steht der Einordnung der Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene zu 1. als (abhängige) Beschäftigung die Rechtsprechung des BSG zur Tätigkeit in Familiengesellschaften nicht entgegen (hierzu d).

15

a) In den Jahren 1996 bis 1999, die hier in Streit stehen, unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der RV der Versicherungspflicht (vgl § 1 S 1 Nr 1 SGB VI; ab 1.1.1998 idF durch Gesetz vom 24.3.1997, BGBl I 594). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV in seiner bis heute unverändert geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs 1 S 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (stRspr; vgl zum Ganzen zB zuletzt BSG SozR 4-2400 § 28e Nr 4 RdNr 17; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 6 RdNr 14 mwN; siehe insbesondere auch BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 19 S 69 f, Nr 13 S 31 f und Nr 4 S 13, jeweils mwN; BSGE 78, 34, 36 = SozR 3-2940 § 2 Nr 5 S 26 f mwN; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr 11).

16

Zutreffend weist die Beigeladene zu 2. in ihrer Revisionsbegründung darauf hin, dass zur Feststellung des Gesamtbilds den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zukommt. Zwar hat der Senat noch im Urteil vom 22.6.2005 (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 5 RdNr 7) ausgeführt, dass beim Abweichen der Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen letztere den Ausschlag geben. Jedoch hat er diese Aussage in Zusammenfassung älterer Entscheidungen nachfolgend präzisiert (insbesondere BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 7 RdNr 17; ebenso Urteil vom 25.1.2006 - B 12 KR 30/04 R - USK 2006-8 = Die Beiträge, Beilage 2006, 149, und Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - Die Beiträge, Beilage 2008, 333, 341 f): Danach sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist. Hieran hat der Senat seither festgehalten (vgl BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 KR 21/07 R - USK 2009-25; BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-25).

17

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzurücken: Die tatsächlichen Verhältnisse weichen hier zwar von den Regelungen des zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. geschlossenen Anstellungsvertrags ab, jedoch führt dies mit Blick auf die Frage des Vorliegens einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit zu keinem anderen Ergebnis (hierzu unten c). Daher kommt es auch nicht darauf an, dass das LSG keine Feststellungen dazu getroffen hat, unter welchen Voraussetzungen die Bestimmungen des Anstellungsvertrags überhaupt abdingbar waren.

18

b) Die dargestellten Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall anzuwenden, denn der Kläger war im streitigen Zeitraum nicht in seinem eigenen, sondern in einem fremden Betrieb tätig. Die alleinige Betriebs- bzw Unternehmensinhaberin war die Beigeladene zu 1., die als GmbH juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit ist und deshalb unabhängig von den als Gesellschafter dahinterstehenden juristischen oder natürlichen Personen (hierzu vgl nur BSGE 95, 275 = SozR 4-2600 § 2 Nr 7, RdNr 21 mwN)und deren verwandtschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen betrachtet werden muss.

19

Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene zu 1. im Rahmen einer Beschäftigung oder selbstständig ausgeübt wurde, ist der "Anstellungsvertrag" vom 11.2.1986, der deren Vertragsverhältnis zunächst ausschließlich bestimmte. Dieser Vertrag hatte sowohl nach der Bezeichnung als auch nach seinem vom LSG - lückenhaft - festgestellten Inhalt - regelmäßiges Entgelt, feste wöchentliche Arbeitszeit, Urlaubsansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - ein Arbeitsverhältnis zum Gegenstand. Nach abgelegter Meisterprüfung wurde der Kläger sodann als Betriebsleiter eingesetzt; hiermit evtl verbundene rechtlich relevante Änderungen des schriftlichen "Anstellungsvertrags" hat das LSG aber ebenso wenig festgestellt, wie es Feststellungen zur Frage dafür einzuhaltender möglicher Formerfordernisse bei Vertragsänderungen getroffen hat.

20

Eine weitere Änderung der Stellung des Klägers erfolgte aufgrund der als Gesellschafterbeschluss (§ 48 GmbHG) auszulegenden Niederschrift seines Vaters vom 30.4.1996 mit der Übertragung der "Leitung" des technischen und gewerblichen Bereichs der GmbH an ihn. Dieser Beschluss enthielt gleichzeitig eine Befreiung des Klägers vom Selbstkontrahierungsverbot und einen Verzicht seines Vater - des Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers der Beigeladenen zu 1. - auf ein Weisungsrecht gegenüber dem Kläger. Zudem wurde dem Kläger eine Gewinntantieme zugesagt und das Recht eingeräumt, über seine eigene Arbeits- und Urlaubszeit "nach Lage der Gesellschaft" frei zu bestimmen. Den insoweit nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass dies auch der betrieblichen Praxis entsprach. So führte der Kläger fortan die Kundengespräche, holte Angebote ein und stellte Kalkulationen auf, ohne im Einzelnen Rücksprache mit seinem Vater zu nehmen. Der Kläger war Ansprechpartner für Kunden und für Mitarbeiter. Zumindest einen Mitarbeiter stellte er ein, wenn auch der Arbeitsvertrag auf Seiten der Beigeladenen zu 1. vom Vater des Klägers unterschrieben wurde. Der Vater hatte sich - obwohl täglich im Betrieb anwesend - nach den Feststellungen des LSG "nicht mehr eingemischt" und nahm auch auf die Einstellung von Personal keinen Einfluss mehr.

21

Offenbleiben kann vorliegend, ob die in der Niederschrift des Gesellschafterbeschlusses vom 30.4.1996 erwähnten Vollmachten für den Kläger zu diesem Zeitpunkt oder später tatsächlich erteilt wurden und ob die Beigeladene zu 2. insoweit eine zulässige Sachrüge erhoben hat. Denn auch für den Fall, dass dem Kläger die zur Leitung des technischen und gewerblichen Teils der Beigeladenen zu 1. erforderlichen Vollmachten erteilt wurden, tragen die vom LSG festgestellten Umstände nicht dessen rechtlichen Schluss, dass sich mit der Niederschrift vom 30.4.1996 der Charakter der vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. dahingehend wandelte, dass der Kläger nunmehr selbstständig tätig sein sollte.

22

c) Der Kläger erbrachte seine Dienste für die Beigeladene zu 1. auch in der Zeit vom 30.4.1996 bis 30.11.1999 im Rahmen einer (abhängigen) Beschäftigung.

23

Eine Selbstständigkeit des Klägers in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. - etwa in Form eines freien Dienstverhältnisses - ergibt sich nicht daraus, dass der Vater des Klägers in seiner Funktion als Alleingesellschafter der Beigeladenen zu 1. durch Gesellschafterbeschluss vom 30.4.1996 auf "das Weisungsrecht" gegenüber dem Kläger verzichtete und diesem das Recht einräumte, seine Arbeits- und Urlaubszeit "nach Lage der Gesellschaft" frei zu bestimmen. Zwar unterlag der Kläger dadurch nicht mehr umfassend einem Weisungsrecht seines Arbeitgebers - handelnd durch den weiterhin allein als Geschäftsführer und Gesellschafter der GmbH im Handelsregister eingetragenen Vater - hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung seiner Tätigkeit. Jedoch werden gerade höhere Dienste dennoch im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung geleistet, wenn sie - wie hier - fremdbestimmt bleiben, weil sie in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (stRspr seit BSGE 16, 289, 294 = SozR Nr 30 zu § 165 RVO und BSGE 21, 57, 58 f = SozR Nr 2 zu § 2 AVG; in jüngerer Zeit zB BSG SozR 3-2940 § 3 Nr 2 S 9 mwN; BSGE 66, 168 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1 und SozR 3-2400 § 7 Nr 20 S 80; vgl - zum Fehlen einer Eingliederung einer hauswirtschaftlichen Familienbetreuerin - BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-125, Juris RdNr 22; vgl zum Begriff des "Betriebes" BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 33 ff). Wie weit die Lockerung des Weisungsrechts in der Vorstellung des Gesetzgebers gehen kann, ohne dass deswegen die Stellung als Beschäftigter entfällt, zeigen beispielhaft die gesetzlichen Sonderregelungen zur Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in der RV und Arbeitslosenversicherung (§ 1 S 4 SGB VI sowie § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III), die regelmäßig abhängig beschäftigt sind, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten haben und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (stRspr BSGE 65, 113, 116 f = SozR 2200 § 1248 Nr 48 S 125; SozR 3-2400 § 7 Nr 18 S 66 f; BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr 3, RdNr 16; BSGE 107, 185 = SozR 4-2600 § 1 Nr 6, RdNr 14). Allein weit reichende Entscheidungsbefugnisse eines "leitenden Angestellten", der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem verfeinerten Weisungsrecht unterliegt, machen diesen nämlich nicht schon zu einem Selbstständigen, selbst wenn andere Betriebsangehörige den Betroffenen bisweilen als "Chef" betrachten mögen (wie das LSG im vorliegenden Fall anhand der Aussage des Zeugen R. festgestellt hat).

24

Eine solche noch dem Typus der Beschäftigung zuzuordnende Eingliederung in eine vorgegebene Ordnung des Betriebes bestand bei dem Kläger auch nach dem 30.4.1996. Durch den Gesellschafterbeschluss erlangte er die Stellung eines Angestellten, der nach den Feststellungen des LSG auch in der betrieblichen Praxis den technischen und gewerblichen Teil der Beigeladenen zu 1. mit "entsprechenden Vollmachten" eigenverantwortlich zu leiten hatte. Dennoch blieb der Kläger weiterhin in die durch die Beigeladene zu 1. bzw ihren gesellschaftsrechtlich maßgebenden Geschäftsführer (= Vater des Klägers) vorgegebene Organisation eingebunden, da seine Leitungsmacht nur auf einen bestimmten Unternehmensteil beschränkt war, während die Leitung des kaufmännischen Teils der Beigeladenen zu 1. ausschließlich seiner Schwester oblag. Die Vollmacht, diese Entscheidung zur konkreten Ausgestaltung der betrieblichen Organisation auf der Leitungsebene zu ändern, besaß der Kläger nicht. Selbst innerhalb des ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereichs war seine Vertretungsbefugnis rechtlich zwingend auf den Umfang einer rechtsgeschäftlichen Handlungsvollmacht iS von § 54 Handelsgesetzbuch (HGB) begrenzt, die sich zwar auf sämtliche Geschäfte erstreckt, die in einem Geschäftsbetrieb üblich sind, die jedoch nicht auf eine unmittelbare Vertretung der Gesellschaft, sondern lediglich auf ein (rechtlich nachgeordnetes) Handeln in Vollmacht des Geschäftsführers gerichtet war(BGH Urteil vom 20.10.2008 - II ZR 107/07 - NJW 2009, 293, 294 mwN). Schon von Gesetzes wegen (§ 54 Abs 2 HGB) waren jedenfalls die Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, die Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, die Aufnahme von Darlehen und die Prozessführung von der Bevollmächtigung ausgenommen. Die anderenfalls notwendige besondere Erteilung der Vollmacht auch für diese Befugnisse hat das LSG nicht festgestellt. Darüber hinaus unterlag der Kläger selbst in dem ihm danach zugewiesenen eingeschränkten Vollmachtsrahmen zwingend der Kontrolle des GmbH-Geschäftsführers (vgl zu dessen Stellung allgemein zB Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 19. Aufl 2010, § 35 RdNr 76 mwN). Soweit der Vater des Klägers in seiner Funktion als Alleingeschäftsführer der Beigeladenen zu 1. diese Kontrolle tatsächlich nicht oder nur sehr eingeschränkt ausübte, etwa weil - wie das LSG herausstellt - er sich darauf verließ, dass der Kläger die einzelnen Aufträge ordnungsgemäß einholte und durchführte, ist dies für die hier vorzunehmende Abgrenzung ebenso unbeachtlich, wie ein auch die zur Ausübung dieser Kontrolle notwendigen Weisungen umfassender Verzicht auf das Weisungsrecht, denn insoweit wären die Grenzen des rechtlich Zulässigen überschritten (hierzu bereits oben a). Im Übrigen deutet sogar die Feststellung des LSG, der Zeuge R. sei "von dem Kläger eingestellt worden", den Arbeitsvertrag habe jedoch der Vater unterschrieben, darauf hin, dass die dem Kläger erteilten Vollmachten auch in der betrieblichen Praxis nicht umfassend, sondern begrenzt waren.

25

Der Kläger hatte auch weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit, wie ein beherrschender oder zumindest mit einer Sperrminorität ausgestatteter Gesellschafter-Geschäftsführer ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden (vgl hierzu allgemein zB BSGE 66, 69 = SozR 4100 § 104 Nr 19; SozR 3-2400 § 7 Nr 4 S 13 f; aus jüngerer Zeit BSG <12. Senat> SozR 4-2400 § 7 Nr 7 RdNr 28 und<11a. Senat> SozR 4-2400 § 7 Nr 8 RdNr 15, jeweils mwN). Hierzu fehlte es bereits an einer Beteiligung des Klägers am Stammkapital der Beigeladenen zu 1. Gleichzeitig blieb seine Position innerhalb des Unternehmens ohnehin deutlich hinter der organschaftlich begründeten Stellung eines Geschäftsführers - als solcher wurde er trotz der vorgenommenen Änderungen (weiterhin) nicht bestellt, sondern erst nach dem Tod des Vaters Ende August 2001 - zurück. Bereits aufgrund einer solchen Unterordnung unter den Geschäftsführer ist regelmäßig von einer Beschäftigung auszugehen (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 17 S 57; BSG Urteil vom 23.6.1994 - 12 RK 72/92 - USK 9448 S 253).

26

Eine Vergleichbarkeit des Klägers mit einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt tatsächlicher wirtschaftlicher Einflussmöglichkeiten. Zwar sind nach der Rechtsprechung des BSG auch solche Einflussmöglichkeiten zu beachten, soweit sie einem Geschäftsführer selbst gegenüber der Gesellschaft zur Verfügung stehen (zu einem - im Ergebnis nicht ausreichenden - der Gesellschaft gewährten Darlehen: BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4 S 17 f), doch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die am 5.2.1994 für die Beigeladene zu 1. übernommene Bürgschaft des Klägers über 100 000 DM ihm eine solche Einflussnahme ermöglichte. Aus diesem Grunde war der durch den Gesellschafterbeschluss vom 30.4.1996 erfolgte, in seinem Umfang ohnehin begrenzte Verzicht auf das Weisungsrecht nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich im Konfliktfall jederzeit widerrufbar, ohne dass der Kläger dieses hätte verhindern können.

27

Für eine fortbestehende Eingliederung in eine vorgegebene betriebliche Ordnung trotz des - wie aufgezeigt - begrenzten Verzichts auf ein Weisungsrecht spricht auch die im Gesellschafterbeschluss vom 30.4.1996 festgelegte Bindung der vom Kläger im Übrigen frei selbst zu bestimmenden Arbeits- und Urlaubszeit an die "Lage der Gesellschaft" (in diesem Sinne zur Bindung der Urlaubsplanung an die Bedürfnisse der Geschäftsführung BSG SozR 3-2200 § 723 Nr 4 S 17). Dass der Kläger im Rahmen der ihm erteilten begrenzten Vollmachten vom Selbstkontrahierungsverbot befreit war, spricht - wie das BSG bezogen auf Geschäftsführer einer kleineren GmbH bereits entschieden hat (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 1, RdNr 11 und Nr 8 RdNr 17)- nicht zwingend für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit.

28

Ebenso hat das BSG bereits entschieden, dass die Gewährung einer Tantieme als solche nicht genügt, um eine Beschäftigung auszuschließen (vgl BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 7a AL 8/06 R - USK 2007-53). Bedeutung für die Abgrenzung von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit kommt Tantiemen nur als (ein) Anknüpfungspunkt für ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse des für ein Unternehmen Tätigen zu, das im Rahmen der Gesamtwürdigung Gewicht gewinnen kann, jedoch nicht allein entscheidend ist (vgl BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4 S 18 mwN). Vor dem Hintergrund, dass die Gewährung einer Tantieme an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist (vgl zB BSG SozR 2100 § 17 Nr 3; BSG Urteil vom 28.4.1982 - 12 RK 12/80 - Die Beiträge 1982, 382 = USK 8244), ist deren Gewicht für die hier im Vordergrund stehende Abgrenzung der Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis gegenüber einem selbstständigen Dienstverhältnis eher gering. Wie die Gewichtung beispielsweise bei einer Tätigkeit in einem Einzelunternehmen zu beurteilen ist, wenn die Tätigkeit im fremden oder im (auch) eigenen Betrieb in Frage steht, braucht hier nicht entschieden zu werden. Eine Tätigkeit im (auch) eigenen Betrieb scheidet hier bereits aufgrund der Rechtsform der Beigeladenen zu 1., einer GmbH, an deren Stammkapital der Kläger nicht beteiligt war, aus (vgl oben unter b). Daher ist es auch unschädlich, dass das LSG die konkrete Höhe der Tantieme und Anlass, zu sicherndes Risiko sowie Fortbestand der Bürgschaft während des streitigen Zeitraums nicht festgestellt hat und somit das Ausmaß des wirtschaftlichen Eigeninteresses des Klägers am Erfolg der Beigeladenen zu 1. nicht einmal genau feststeht.

29

Soweit das LSG im Hinblick auf die Bürgschaft über ein wirtschaftliches Eigeninteresse hinaus auch ein "typisches Unternehmerrisiko" des Klägers angenommen und als Indiz für eine Selbstständigkeit gewertet hat, erfasst es die Bedeutung dieses Merkmals im vorliegenden Kontext nicht zutreffend. So kann eine Bürgschaft wie die des Klägers für die Beigeladene zu 1., bei der er die hier streitige Tätigkeit ausübt, in erster Linie für die Abgrenzung einer Beschäftigung gegenüber einer durch "Mitunternehmerschaft" begründeten Tätigkeit im (auch) eigenen Betrieb von Bedeutung sein. Für die vorliegend vorzunehmende Zuordnung einer Tätigkeit in einem - wie oben dargelegt zweifellos - fremden Betrieb ist ihre Bedeutung jedoch gering. Denn diese Bürgschaft begründete kein mit der Tätigkeit - sei es als Beschäftigter oder selbstständiger Dienstverpflichteter - des Klägers bei der Beigeladenen zu 1. verbundenes Risiko. Es handelt sich nämlich nicht um einen mit den geschuldeten Diensten verbundenen Aufwand, weil die Bürgschaft für die Erfüllung der diesbezüglichen Pflichten nicht erforderlich war. Die Gründe für ihre Bestellung sind vielmehr außerhalb der Beschäftigung bzw des Dienstverhältnisses zu suchen (vgl hierzu allgemein Segebrecht in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 7 RdNr 153). Bezogen auf seine Tätigkeit hatte der Kläger gerade kein Unternehmerrisiko zu tragen; denn als Gegenleistung für seine Tätigkeit stand ihm nach den Feststellungen des LSG auch nach dem 30.4.1996 unabhängig vom wirtschaftlichen Ergebnis der Beigeladenen zu 1. ein Anspruch auf "die Zahlung eines regelmäßigen Entgeltes" zu, wie dies für Beschäftigte typisch ist. Bezogen auf die geschuldeten Dienste hatte der Kläger - wie jeder andere Beschäftigte auch - allein das Risiko des Entgeltausfalls in der Insolvenz des Arbeitgebers zu tragen.

30

d) Die Annahme von Selbstständigkeit des Klägers in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. kann schließlich auch nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BSG zur Versicherungspflicht von in Familiengesellschaften verrichteten Tätigkeiten gestützt werden.

31

Das BSG hat in der Vergangenheit in seiner Rechtsprechung - überwiegend zu Leistungsansprüchen des Arbeitsförderungs- und Unfallversicherungsrechts - auch für den Fall, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügte, eine selbstständige Tätigkeit des Betroffenen für möglich erachtet, wenn dessen Tätigwerden innerhalb einer Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war (BSG Urteil vom 29.10.1986 - 7 RAr 43/85 - USK 86145; BSG Urteil vom 8.12.1987 - 7 RAr 25/86 - USK 87170; BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - USK 9975; BSG SozR 2100 § 7 Nr 7 S 6; BSG Urteil vom 28.1.1992 - 11 RAr 133/90 - USK 9201; BSG Urteil vom 11.2.1993 - 7 RAr 48/92 - USK 9347; im konkreten Fall abgelehnt: BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 7a AL 8/06 R - USK 2007-53; umgekehrt allerdings : BSG SozR 3-4100 § 104 Nr 8 S 37). Ohne Geschäftsführerstellung hat der 12. Senat eine - nach den allgemeinen Grundsätzen eigentlich ausgeschlossene - selbstständige Tätigkeit für den Fall als gegeben erachtet, dass der in einer GmbH Tätige neben seinem Ehegatten alleiniger oder gleichberechtigter Gesellschafter der GmbH ist (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 17). Dabei hat der Senat jedoch nicht auf eine familiäre Verbundenheit, sondern maßgebend auf die mit der Gesellschafterstellung verbundene Rechtsmacht abgestellt (BSG, aaO, S 58, 60). Weitergehend hatte allerdings der 3. Senat bereits 1971 die Selbstständigkeit eines nicht zum (ggf weiteren) Geschäftsführer bestellten Minderheitsgesellschafters angenommen, weil dieser in der betrieblichen Praxis der mit ihm verheirateten Geschäftsführerin und Mehrheitsgesellschafterin vollständig gleichgestellt gewesen sei sowie sich faktisch als zweiter Geschäftsführer betätigt und neben der hauptamtlichen Geschäftsführerin die GmbH nach außen vertreten habe (BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; vgl auch BSG Urteil vom 23.6.1994 - 12 RK 72/92 - USK 9448). Noch darüber hinausgehend hat der 11. Senat des BSG eine selbstständige Tätigkeit sogar im Fall des - nicht an der GmbH beteiligten und nicht zum Geschäftsführer bestellten - Sohnes eines Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers für möglich gehalten (BSGE 66, 168 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; in Abgrenzung zur familienhaften Mithilfe vgl aber BSG SozR Nr 22 zu § 165 RVO). Dabei ist der 11. Senat davon ausgegangen, dass für einen Fremdgeschäftsführer einer Familiengesellschaft, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist, eine Ausnahme von der Beschäftigtenstellung in Betracht komme, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten (BSG Urteil vom 8.12.1987 - 7 RAr 25/86 - USK 87170). Diese Ausnahme solle - so der 11. Senat - auch gelten, wenn der Alleingesellschafter zugleich Alleingeschäftsführer ist und die Tätigkeit der faktischen Leitung des Betriebes formal auf der Ebene unter dem Geschäftsführer ausgeübt werde. Indessen lasse eine bloß "probeweise" Leitung des Betriebs durch den als Unternehmensnachfolger uU vorgesehenen Sohn eine (abhängige) Beschäftigung nicht entfallen. Wollten die Eltern, dass der Sohn den Betrieb in der bisherigen Art fortführe, und erlaube es ihre Mitarbeit im Betrieb verbunden mit ihrer Rechtsstellung als Gesellschafter und Geschäftsführer, diesen Willen durchzusetzen, so habe für den Sohn die fremdbestimmte betriebliche Ordnung im Sinne einer Beschäftigung fortbestanden, auch wenn er sich innerhalb des durch die bisherige Betriebsführung vorgegebenen Rahmens frei bewegen durfte (BSGE 66, 168, 170 ff = SozR 3-2400 § 7 Nr 1 S 4 f; zu einer solchen Konstellation vgl auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 18.5.2010 - L 11 KR 1423/08).

32

Der Senat kann vorliegend offenlassen, ob der vom 11. Senat des BSG formulierten Rechtsauffassung (ggf modifiziert bzw auf gänzlich atypische Sonderfälle beschränkt) bezogen auf das Versicherungs- und Beitragsrecht gefolgt werden kann oder ob - wofür Einiges spricht - der aus gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entspringenden Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse, auf die auch der 11. Senat ausdrücklich hingewiesen hat, größere Bedeutung beizumessen ist. Für Letzteres spricht, dass entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit anstelle einer formal vorliegenden (abhängigen) Beschäftigung auch im Zusammenhang mit Familiengesellschaften die Möglichkeit ist, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers bzw Dienstberechtigten abzuwenden. Dies mag aufgrund familiärer Rücksichtnahme solange der Fall sein, wie das Einvernehmen der Familienmitglieder gewahrt bleibt. Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde (kritisch aus diesem Grunde auch Segebrecht in jurisPK-SGB IV, aaO, § 7 RdNr 124). Eine solche "SchönwetterSelbstständigkeit" ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar. So hat das BSG in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass es im Interesse aller Beteiligten, der Versicherten und der Versicherungsträger, liegt, die Frage der Versicherungspflicht und der Versicherungsfreiheit schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären, weil diese nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten des Sozialleistungsträgers und die Leistungsansprüche des Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein kann (vgl SozR Nr 6 zu § 168 RVO; SozR 2200 § 1228 Nr 1 S 2; SozR 2200 § 205 Nr 41 S 103; zuletzt Urteil des Senats vom 27.7.2011 - B 12 R 15/09 R - SozR 4-2600 § 5 Nr 6 RdNr 16).

33

Auf die dargestellte Frage kommt es vorliegend nicht an, da die vom LSG festgestellten Tatsachen dessen Schlussfolgerung, der Kläger habe seit April 1996 die Geschäfte der Beigeladenen zu 1. "nach eigenem Gutdünken führen und frei schalten und walten" können (vgl dazu BSG <11. Senat> BSGE 66, 168, 171 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1 S 4), nicht tragen. So hat das LSG seine Schlussfolgerung bereits selbst dahin eingeschränkt, dass der Kläger die Beigeladene zu 1. "mit seiner Schwester allein" geführt habe (Seite 15 des Urteils) bzw nur zusammen mit ihr habe führen können. In diesem Zusammenhang ist auch unerheblich, dass das LSG keine Feststellungen zum Umfang des Einvernehmens zwischen dem Kläger und seiner Schwester getroffen hat. Denn auch bei großzügiger Auslegung des Gesellschafterbeschlusses vom 30.4.1996 war die Leitungsmacht des Klägers ausschließlich auf "den technischen und gewerblichen Teil des Unternehmens" beschränkt. Nur die darauf bezogenen "entsprechenden Vollmachten" wurden erteilt oder sollten noch erteilt werden. Die Leitung der Beigeladenen zu 1. insgesamt war dem Kläger damit nicht übertragen worden. Auf Grundlage der Feststellungen des LSG kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seine Schwester und den - wenn auch zunehmend nur noch der Form halber - weiterhin an der Unternehmensleitung mitwirkenden Vater derart dominiert hätte, dass nach den tatsächlichen Verhältnissen eine Gesamtleitung der Beigeladenen zu 1. allein durch den Kläger vorgelegen hätte. Vielmehr hat auch das LSG alleinige Branchenkenntnisse des Klägers nicht in allumfassender Weise, sondern nur in dem von ihm geleiteten Teilbereich der Geschäfte festgestellt. Die Leitung des kaufmännischen Teils des Unternehmens hatte der Vater des Klägers gerade mit Rücksicht auf deren durch eine Ausbildung bei einem Steuerberater erworbenen Kenntnisse der Schwester des Klägers übertragen. Zudem verfügte der Vater des Klägers über langjährige Erfahrung in der Leitung des Gesamtunternehmens, die er als Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer bereits zu einem Zeitpunkt innehatte, bevor der Kläger die Meisterprüfung ablegte und zum Betriebsleiter bestellt wurde. Zugleich spricht der Umstand, dass der Kläger und seine Schwester trotz Übertragung bereichsbezogener Leitungsfunktionen und eines Verzichts des Vaters auf "das Weisungsrecht" nicht zu Geschäftsführern berufen wurden, dafür, dass sich der Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer eine Kontrolle und Letztentscheidungsbefugnis zumindest bezüglich grundlegender unternehmerischer Entscheidungen vorbehalten wollte. Nicht zuletzt spricht auch der Umstand, dass die Beigeladene zu 1. im Erbgang an die Mutter und nicht den Kläger und seine Schwester fiel, dafür, dass ihr Vater das Unternehmen trotz seiner fortschreitenden Krankheit jedenfalls während des hier zu beurteilenden Zeitraums noch nicht vollständig an seine Kinder übergeben hatte.

34

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Anteil der zu erstattenden Kosten entspricht dem Verhältnis der im streitigen Zeitraum für den Kläger zur gesetzlichen RV und zur Arbeitsförderung entrichteten Beiträge.

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.04.2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.


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Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Trier vom 24. Juli 2007 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Juli 2009 geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger lediglich weitere 185,60 Euro an Rechtsanwaltsgebühren zu erstatten; die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 3/5 der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht, in welcher Höhe die Beklagte Rechtsanwaltsgebühren im Rahmen eines isolierten Vorverfahrens zu erstatten hat.

2

Der Kläger beantragte im Dezember 2005 mit Schreiben seines bevollmächtigten Rechtsanwalts die Übernahme von Kosten für eine berufsbedingte Hörgeräteversorgung über die Festbetragsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus. Diesem Antrag war ua eine Schilderung über hörbedingte Probleme des Klägers am Arbeitsplatz beigefügt. Der Antrag blieb zunächst erfolglos, weil die Hörgeräteversorgung nicht ausschließlich zur Ausübung seiner Berufstätigkeit erforderlich sei (Bescheid vom 12.1.2006). Mit dem Widerspruch trug der Bevollmächtigte vor, dass das beantragte Hörgerät nicht zur Herstellung der Kommunikationsfähigkeit im Alltag bestimmt sei und fügte eine weitere - inhaltlich identische - Stellungnahme des Klägers über "Hörprobleme am Arbeitsplatz" vom 9.2.2006 bei. Die Richtigkeit dieser Angaben bestätigte der Arbeitgeber im ebenfalls beigefügten Schreiben vom 10.2.2006. Die von der Beklagten eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme vom 23.2.2006 empfahl die Abhilfe des Widerspruchs, weil ein höherwertiges Hörgerät zur Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz erforderlich sei.

3

Den Ablehnungsbescheid vom 12.1.2006 nahm die Beklagte daraufhin zurück. Sie half dem Widerspruch in vollem Umfang ab und erklärte sich bereit, die beantragten Kosten für die Beschaffung des Hörgeräts antragsgemäß zu übernehmen und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren notwendigen Aufwendungen voll zu erstatten (Bescheid vom 3.3.2006).

4

Mit Schriftsatz vom 10.3.2006 stellte der Bevollmächtigte Rechtsanwaltsgebühren iHv insgesamt 626,40 Euro der Beklagten in Rechnung. Hierin war ua eine Erledigungsgebühr (280 Euro) zzgl Umsatzsteuer von 16 % (= 324,80 Euro) nach Nr 1002, 1005, 7008 Vergütungsverzeichnis (VV) gemäß Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) enthalten, deren Erstattung die Beklagte ablehnte, weil ein Erhöhungstatbestand nach § 3 Abs 2 RVG iVm Nr 1005 VV RVG bei voller Abhilfe nicht vorliege. Sie erstattete daher lediglich einen Betrag iHv 301,60 Euro (626,40 Euro abzüglich 324,80 Euro). Im Erstattungsbetrag waren eine Geschäftsgebühr nach Nr 2500 (jetzt Nr 2400) VV RVG aF (240 Euro), die Postpauschale nach Nr 7002 VV RVG (20 Euro) und die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV RVG (41,60 Euro) enthalten (Bescheid vom 21.3.2006). Der auf die Erstattung auch der Erledigungsgebühr zzgl Umsatzsteuer (324,80 Euro) gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.6.2006).

5

Im Klageverfahren hat das SG die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheids verurteilt, dem Kläger antragsgemäß den Betrag iHv 324,80 Euro zu erstatten (Urteil SG Trier vom 24.7.2007).

6

Auf die vom LSG zugelassene Berufung hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 15.7.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Eine Erledigungsgebühr entstehe, wenn eine anwaltliche Tätigkeit erbracht werde, die über das Maß hinausgehe, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten sei. Es schließe sich der Auffassung des 2. Senats des LSG im Urteil vom 27.10.2008 - L 2 R 49/08 - (nachgehend Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R) und des BSG vom 7.11.2006 (SozR 4-1300 § 63 Nr 8)an. Eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts des Klägers liege hier vor. Der Bevollmächtigte habe sich im Widerspruchsverfahren mit den Gründen des Ablehnungsbescheids auseinandergesetzt und im Einzelnen dargelegt, warum der Kläger unter Berücksichtigung der vorgelegten Arbeitsplatzbeschreibung einen Anspruch auf Kostenübernahme für die begehrte Hörgeräteversorgung habe. Als weiteres Beweismittel sei eine Bestätigung des Arbeitgebers vorgelegt worden. Der qualifizierte Vortrag und das weitere Beweismittel hätten zur Erledigung des Widerspruchsverfahrens beigetragen. Insoweit könne auf das Urteil des BSG vom 2.10.2008 (SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1) verwiesen werden, wo eine Erledigungsgebühr nach Vorlage neuer (medizinischer) Beweismittel im Widerspruchsverfahren zugesprochen worden sei. Unschädlich für das Entstehen der Erledigungsgebühr sei, dass das Widerspruchsverfahren durch Widerspruchs- und nicht durch Abhilfebescheid erledigt worden sei.

7

Mit der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 2.10.2008 und 5.5.2009) sei davon auszugehen, dass für das Entstehen der Erledigungsgebühr kein beiderseitiges Nachgeben erforderlich sei. Für eine solche einengende Auslegung ließen sich weder Wortlaut noch Sinn und Zweck von Nr 1002 VV RVG heranziehen. Auch der Vorläuferregelung von § 24 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) lasse sich dies dem Wortlaut nach nicht entnehmen. Die Zielsetzung von Nr 1002 VV RVG, namentlich die anwaltliche Mitwirkung an einer insbesondere die Gerichte entlastenden Erledigung von Streitigkeiten besonders zu honorieren, liefe nach der von der Beklagten vertretenen Ansicht leer. Die Erledigungsgebühr falle selbst dann an, wenn sich der mit einem Rechtsbehelf angefochtene Verwaltungsakt teilweise erledige, zB durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts.

8

Die parallele Regelung zur Einigungsgebühr in Nr 1000 VV RVG honoriere jegliche vertragliche Beilegung des Rechtsstreits und fordere auch nicht mehr das für die Vergleichsgebühr seinerzeit noch erforderliche Nachgeben (§ 23 BRAGO iVm § 779 BGB). Nach den Gesetzesmaterialien sollte Streit darüber vermieden werden, welche Abreden als Nachgeben zu bewerten seien. Für das Entstehen der Erledigungsgebühr komme es allein darauf an, ob eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung vorgelegen habe.

9

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 63 Abs 2 SGB X und § 2 Abs 2 Satz 1 RVG iVm Nr 1002 VV RVG. Zwar stimme sie dem LSG insofern zu, als der Bevollmächtigte des Klägers eine anwaltliche Tätigkeit erbracht habe, die über das Maß hinausgehe, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Verfahren abgegolten sei. Dies entspreche den Vorgaben des BSG (SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1 und Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R). Darüber hinaus müsse ein gegenseitiges Nachgeben der Beteiligten zur Erledigung des Widerspruchsverfahrens geführt haben. Nach der og Rechtsprechung werde nicht deutlich, weshalb die frühere Rechtsprechung zu § 116 Abs 3 Satz 2 und § 24 BRAGO, die auf ein beiderseitiges Nachgeben als Voraussetzung des Entstehens einer Erledigungsgebühr abstellte, nunmehr überholt sei. Schließlich sei der Wortlaut der Nr 1002 Satz 1 VV RVG nahezu identisch mit dem des § 24 BRAGO. Der Wortlaut der neuen Nr 1002 Satz 2 VV RVG sei jedoch nicht eindeutig. Für ihre Meinung spreche, dass der Gesetzgeber eine Gleichbehandlung von Anfechtungs- und Verpflichtungswiderspruch beabsichtigt habe. Hierfür sei auch der enge systematische Zusammenhang zur Nr 1000 VV RVG anzuführen, wonach die Einigungsgebühr nur bei gegenseitigem Nachgeben entstehe. Unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1971, S 204) spreche auch der Regelungszweck von Nr 1002 VV RVG für diese Auffassung. Danach solle eine verfahrensvermeidende bzw -beendende Tätigkeit des Bevollmächtigten als Anreiz für die Erledigung gefördert werden. Hierfür reiche eine bloße Abhilfeentscheidung der Behörde nicht aus. Dem entspreche die Entstehungsgeschichte. Nr 1002 VV RVG sei die Nachfolgevorschrift zu § 24 BRAGO. Letztere habe ein gegenseitiges Nachgeben der Beteiligten vorausgesetzt, um die Erledigungsgebühr entstehen zu lassen. Hingegen könne diese bei voller Abhilfe bzw Stattgabe des Widerspruchs nicht beansprucht werden.

10

Die Beklagte trägt ferner vor, dass dem Kläger auch kein Anspruch auf eine Regelgeschäftsgebühr nach Nr 2500 (jetzt Nr 2400) VV RVG aF, sondern nur ein Anspruch auf eine verminderte Geschäftsgebühr nach Nr 2501 (jetzt Nr 2401) VV RVG aF zustehe, weil der Bevollmächtigte bereits bei Antragstellung im Verwaltungsverfahren tätig geworden sei. Hierfür beruft sie sich auf das Urteil des BSG vom 25.2.2010 (BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12). Die reduzierte Geschäftsgebühr sei iHv 120 Euro nebst Umsatzsteuer in Höhe von 16 % angefallen. Selbst unter Zugrundelegung der streitigen Erledigungsgebühr iHv 280 Euro plus 16 % Umsatzsteuer verbleibe lediglich noch ein Betrag von 185,60 Euro, der allenfalls an den Kläger zu erstatten sei.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 15. Juli 2009 und des SG Trier vom 24. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte habe eingeräumt, dass der Bevollmächtigte eine anwaltliche Tätigkeit erbracht habe, die über das Maß hinausgehe, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten sei. Dass darüber hinaus ein gegenseitiges Nachgeben erforderlich sei, stehe im Widerspruch zu den Entscheidungen des BSG vom 7.11.2006 (SozR 4-1300 § 63 Nr 8; B 1 KR 13/06 R; B 1 KR 22/06 R). Eine Korrektur des Ansatzes für die Geschäftsgebühr sei im Revisionsverfahren nicht mehr möglich.

14

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet, soweit die Vorinstanzen dem Kläger zu Unrecht einen Kostenerstattungsanspruch von mehr als 185,60 Euro zuerkannt haben. Die Urteile des SG und des LSG waren daher abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen. Die weitergehende Revision war zurückzuweisen.

16

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Revision und Berufung sind durch ausdrückliche Zulassung der Vorinstanz statthaft. Das Rechtsmittel ist nicht ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten wird. Es handelt sich dann nicht um Kosten des sozialgerichtlichen Verfahren iS von § 144 Abs 4, § 165 Satz 1 SGG(stRspr, vgl BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 13 S 30; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 1 RdNr 6; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr 11; BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 9; BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 11; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 12).

17

2. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG).

18

a) Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Entscheidung der Beklagten, in welcher Höhe der Betrag der zu erstattenden Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren festzusetzen ist (§ 63 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X). Sie hat entschieden, dass dem Kläger die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind (Bescheid vom 3.3.2006, § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X). Zwar hat das LSG nicht festgestellt, ob die Beklagte die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt hat (§ 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X); allerdings liegt eine solche Feststellung konkludent in der Festsetzung des Erstattungsbetrags iHv 301,60 Euro (Bescheid vom 21.3.2006; Widerspruchsbescheid vom 22.6.2006). Einer weitergehenden Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) bedurfte es daher nicht (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr 12; BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 12; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 12).

19

b) Die angefochtene Kostenentscheidung hat den Erstattungsbetrag auf 301,60 Euro festgesetzt. Im Streit steht die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, weitere 324,80 Euro an Rechtsanwaltsgebühren des isolierten Vorverfahrens zu erstatten.

20

Anders als der Kläger meint, kann die Anfechtung des Kostenfestsetzungsbescheids nicht auf die Höhe der Erledigungsgebühr wirksam begrenzt werden. Vielmehr steht die Höhe der Geschäftsgebühr ebenfalls zur Überprüfung; dies gälte auch dann, wenn sie nicht - erstmals im Revisionsverfahren - von der Beklagten gerügt worden wäre. Die Erledigungs- und die Geschäftsgebühr sind lediglich einzelne Berechnungsfaktoren der Kostenfestsetzung, aus denen sich die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs neben anderen Faktoren insgesamt zusammensetzt. Die isolierte Festsetzung einer Erledigungsgebühr sieht das Gesetz hingegen nicht vor; sie enthielte auch keine Regelung, die Bindungswirkung entfalten könnte. Obwohl die Beklagte die Geschäftsgebühr antragsgemäß in voller Höhe erstattet hat, haben die Gerichte eigenständig nach Maßgabe des Gesetzes unter Berücksichtigung der Berechnungsfaktoren zu entscheiden, ob dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf höhere Kostenerstattung zusteht, als die Behörde bislang festgesetzt hat. Der Kläger ist insofern allerdings durch das prozessuale Verböserungsverbot vor einer im Ergebnis niedrigeren Kostenerstattung geschützt (vgl zur Höhe der Bestimmung der Rahmengebühr bzw des Gegenstandswerts als Berechnungsfaktor der Kostenfestsetzung: BSG vom 9.4.2008 - B 6 KA 3/07 B - Juris RdNr 12; BSG SozR 1300 § 63 Nr 8 S 25 ff, jeweils mwN; zustimmend Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 63 RdNr 45).

21

3. Der Kläger hat gemäß § 63 Abs 1 Satz 1, Abs 2 und Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen auf der Grundlage der Erledigungsgebühr gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 iVm Nr 1005 und Nr 1002 VV RVG.

22

a) Nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X hat bei einem erfolgreichen (isolierten) Vorverfahren der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dabei sind nach § 63 Abs 2 SGB X die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gemäß § 63 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest.

23

b) Die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte richtet seit dem 1.7.2004 nach dem RVG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 5.5.2004 (BGBl I 2004, 718; vgl § 1 Abs 1 Satz 1 RVG). Der Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit ist dem Bevollmächtigten nach dem 30.6.2004 erteilt worden.

24

aa) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 RVG nach dem VV der Anlage 1 zum RVG. Eine Erledigungsgebühr nach Nr 1005 VV RVG kommt bei einer "Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen," in Betracht. Betragsrahmengebühren sind in sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist (§ 3 Abs 1 Satz 1 RVG). Abs 1 gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (§ 3 Abs 2 RVG). Ginge es hier um ein gerichtliches Verfahren, wäre gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 RVG eine Betragsrahmengebühr entstanden. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Versorgung mit einem Hörgerät als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben behauptet. Hierfür wäre im Fall der Klageerhebung gemäß § 51 Abs 1 Nr 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Dann entstünden auch Betragsrahmengebühren, da der Kläger den Anspruch als Versicherter geltend macht (§ 3 Abs 1 Satz 1 RVG, § 183 Satz 1 SGG).

25

bb) Zutreffend hat das LSG festgestellt, dass auch die weiteren Voraussetzungen für das Entstehen einer Erledigungsgebühr nach Nr 1005 iVm Nr 1002 VV RVG erfüllt sind. Nach den amtlichen, vom Gesetzestext umfassten Erläuterungen zu Nr 1002 Satz 1 VV RVG setzt diese Vorschrift voraus, dass "sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt". Dem steht nach Satz 2 gleich, dass "sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt". Das LSG hat zutreffend festgestellt, dass sich das isolierte Vorverfahren "durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt" hat.

26

Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG kann eine Erledigungsgebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens durch Abhilfebescheid nur beansprucht werden, wenn der Anwalt eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat. Nach dem Wortlaut der Erläuterungen zu Nr 1002 (Satz 2) VV RVG kommt es hiernach für das Entstehen einer Erledigungsgebühr sowohl in einer Anfechtungssituation als auch bei einem Verpflichtungsrechtsbehelf auf die auf Erledigung gerichtete Mithilfe des Anwalts an. Auch die Regelungssystematik, der Sinn und Zweck der Regelung sowie ihre Entstehungsgeschichte erfordern eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr 16; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 22; BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 42; BSG SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1 RdNr 14; BSG vom 2.10.2008 - B 9/9a SB 3/07 R - Juris RdNr 15; BSG vom 21.3.2007 - B 11a AL 53/06 R - Juris RdNr 16; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr 20 ff; BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 22/06 R - und B 1 KR B 1 KR 13/06 R, jeweils RdNr 20 ff; für die Literatur zustimmend: Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, Anhang zu § 63 RdNr 43b; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl 2010, Nr 1002 VV RdNr 38; Straßfeld, NZS 2010, 253, 259; dieselbe, Brennpunkte des Sozialrechts 2009, 219, 247; dieselbe, SGb 2008, 635, 641; Köhler, ZFSH/SGB 2009, 67, 76; Becker in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB X, Stand 2010, K § 63 RdNr 98; Curkovic in Bischof, RVG-Kompaktkommentar, 2. Aufl 2007, Nr 1002 VV RdNr 9 f, Nr 1005 VV RdNr 3; Mayer in Mayer/Kroiß , RVG-HK, 2. Aufl 2006, Nr 1002 VV RdNr 18).

27

Eine solche qualifizierte, eine Erledigungsgebühr begründende Tätigkeit liegt zB vor, wenn der Rechtsanwalt zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue, bisher noch nicht bekannte Beweismittel im Widerspruchsverfahren beibringt (zB neu erstattete Befundberichte, vgl BSG SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1 RdNr 15). Anders verhält es sich bei der Vorlage schon präsenter Beweismittel im Rahmen der dem Widerspruchsführer ohnehin obliegenden Mitwirkung (§ 21 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X), deren unaufgeforderte Vorlage bereits mit der Geschäftsgebühr bzw der Auslagenpauschale abgegolten ist (vgl BSG vom 2.10.2008 - B 9/9a SB 3/07 R - Juris RdNr 16 f; vgl auch BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 22).

28

cc) Wie die Beklagte selbst einräumt, liegt im vorliegenden Fall eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit im Sinne einer qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung des Rechtsanwalts vor, die ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens durch Abhilfebescheid war. Ungeachtet dessen tragen die für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG dieses Ergebnis unter Zugrundelegung der aufgezeigten Maßstäbe. Der Bevollmächtigte des Klägers hat den Widerspruch nicht nur eingelegt und begründet, sondern darüber hinaus zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert die Bestätigung des Arbeitgebers vom 10.2.2006 beigebracht, in der dieser die Richtigkeit der vom Kläger gemachten Angaben vom 9.2.2006 zu den "Hörprobleme(n) am Arbeitsplatz" bestätigte. Das während des laufenden Widerspruchsverfahrens zur Glaubhaftmachung der Angaben des Klägers erstellte Schreiben hat die Beklagte im Wege des Urkundsbeweises (§ 21 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 416 ZPO)verwertet. Unerheblich ist, dass der Kläger eine inhaltlich identische Schilderung bereits bei Antragstellung im Dezember 2005 übersandt hatte. Denn erst die vom Kläger unaufgefordert vorgelegte Arbeitgeberbestätigung machte weitere Sachverhaltsermittlungen der Beklagten, zB durch Nachfragen beim Arbeitgeber, entbehrlich. Deshalb kommt es auch nicht auf den Umfang der Bestätigung (1,5 Zeilen) an. Entscheidend ist vielmehr der dem Anwalt entstandene Aufwand, der ua durch das Bemühen entstanden ist, an den Arbeitgeber im aufgezeigten Sinne heranzutreten. Mit der Vorlage dieser selbst beschafften Urkunde hat der Bevollmächtigte des Klägers den Rahmen der seinem Mandanten obliegenden Mitwirkung (§ 21 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X; § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Nr 3 SGB I)überobligatorisch erfüllt (§ 21 Abs 2 Satz 3 SGB X).

29

Die Vorlage der Arbeitgeberbestätigung vom 10.2.2006 war im vorliegenden Fall auch ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens durch Abhilfebescheid. Denn die Beklagte hat unter Berücksichtigung der vom Kläger geschilderten berufsbedingten Anforderungen an sein Hörvermögen und der Bestätigung der Richtigkeit dieser Angaben durch den Arbeitgeber dem Widerspruch abgeholfen. Entgegen den Feststellungen des LSG erfolgte die Erledigung nicht durch (stattgebenden) Widerspruchsbescheid.

30

dd) Entgegen der Ansicht der Beklagten bedurfte es für das Entstehen der Erledigungsgebühr auch keines zusätzlichen "beiderseitigen Nachgebens" der Beteiligten. Hierfür ergeben sich unter Geltung des RVG keine tragfähigen rechtlichen Gesichtspunkte.

31

Der 9. Senat des BSG hat seine Rechtsprechung insoweit aufgegeben, als er vor dem Inkrafttreten des RVG die Auffassung vertreten hatte, dass eine gebührenrechtlich erhebliche Mitwirkungshandlung eines Bevollmächtigten nach § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO(idF des Gesetzes vom 20.8.1990, ) nur dann vorlag, wenn sich die Rechtssache durch beiderseitiges Nachgeben erledigt hatte (vgl BSG SozR 3-1930 § 116 Nr 7 S 23 f; BSGE 97, 153 = SozR 4-1500 § 183 Nr 4, RdNr 19). Diese Rechtsprechung ist aufgrund des Wortlauts der inhaltlich neuen Erläuterung zu Nr 1002 (Satz 2) VV RVG überholt, mit welcher die teilweise und die vollständige Abhilfe gleichgestellt werden (so BSG SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1 RdNr 14; BSG vom 2.10.2008 - B 9/9a SB 3/07 R - Juris RdNr 15). Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat bereits angeschlossen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der geänderte Wortlaut von Nr 1002 Satz 2 VV RVG nicht mehr auf ein beiderseitiges Nachgeben abstellt, sondern teilweise und vollständige Abhilfe gleichstellt (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr 16).

32

Der Revisionsvortrag - auch im Vergleich zur Revisionserwiderung der identischen Beklagten im entschiedenen Verfahren B 13 R 137/08 R - enthält insofern keine neuen Argumente, die Anlass geben könnten, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Deshalb kann auf die vom 1. Senat des BSG getroffene Auslegung unter Zugrundelegung des Wortlauts, der systematischen Zusammenhänge mit vergleichbaren Gebührenpositionen, Sinn und Zweck der Regelung und der Entstehungsgeschichte von Nr 1005 iVm Nr 1002 VV RVG verwiesen werden, wonach die Erledigungsgebühr "ein besonderes Bemühen" um eine Erledigung (nicht "Einigung") des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren voraussetzt. Nur insofern ist die zu § 24 BRAGO iVm § 116 Abs 4 Satz 2 BRAGO(idF des Gesetzes vom 17.8.2001 ) bzw § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO(idF des Gesetzes vom 20.8.1990 ) ergangene Rechtsprechung auf Nr 1005 VV RVG noch übertragbar (BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr 25 mwN). Für ein beiderseitiges Nachgeben als Voraussetzung des Entstehens der Erledigungsgebühr lassen die genannten neuen Vorschriften und mit ihnen die hierzu ergangene Rechtsprechung keinen Raum mehr. Allein entscheidend ist vielmehr, ob eine Mitwirkung des Rechtsanwalts an der Erledigung des (isolierten) Widerspruchsverfahrens durch Abhilfebescheid vorliegt, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird (BSG aaO; zustimmend Straßfeld, NZS 2010, 253, 258 f; dieselbe, Brennpunkte des Sozialrechts 2009, 219, 248; Mayer in Mayer/Kroiß , RVG-HK, 2. Aufl 2006, Nr 1002 VV RdNr 12).

33

Auch auf den weiteren Revisionsvortrag, der danach differenziert, ob sich die Rechtssache erst nach Aufhebung bzw Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Verwaltungsakt erledige, kommt es nach der vorliegenden Rechtsprechung für das Entstehen einer Erledigungsgebühr nicht an; ebenso wenig darauf, ob die Nr 1002 VV RVG eine teilweise und vollständige Abhilfe oder eine teilweise und vollständige Erledigung gleichstelle. Unerheblich ist schließlich, ob eine verfahrensvermeidende oder -beendende Funktion der anwaltlichen Tätigkeit feststellbar sein muss oder ob es "zufälliger" Erfolg einer eigentlich "verfahrensgewinnenden" Funktion der anwaltlichen Tätigkeit ist, dass die Beklagte dem Widerspruch abgeholfen hat (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr 20).

34

ee) Die Höhe der Erledigungsgebühr als solche ist von der Beklagten nicht angegriffen worden. Sie entspricht der Mittelgebühr von 280 Euro nach § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Nr 1005 VV RVG(Rahmengebühr zwischen 40 und 520 Euro). Die Mittelgebühr errechnet sich aus der Mindestgebühr zuzüglich der Hälfte des Unterschieds zwischen Mindest- und Höchstgebühr. Sie kann auch ermittelt werden, indem man Mindest- und Höchstgebühr addiert und das Ergebnis durch zwei dividiert (hier: 40 plus 520, geteilt durch 2 = 280 Euro; vgl allgemein zur Berechnung, BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 23 mwN).

35

Innerhalb des Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG). Die Mittelgebühr ist auch unter Geltung des RVG im Grundsatz in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt; sie gilt in "Normalfällen" als billige Gebühr (BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 24 f mwN; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 16 ff). Dass die anwaltliche Tätigkeit insbesondere weder umfangreich noch schwierig, mithin durchschnittlicher Art gewesen ist, folgt aus den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG.

36

4. Der Kläger hat jedoch nur Anspruch auf Erstattung der reduzierten Geschäftsgebühr gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 RVG iVm Nr 2500, 2501 VV RVG aF(als Nr 2400, 2401 VV RVG in der ab 1.7.2006 geltenden Fassung von Art 5 Abs 1 Nr 4 Buchst b KostRMoG fortgeführt). Nach der amtlichen Vorbemerkung zu Nr 2500 VV RVG aF entsteht die Geschäftsgebühr ua für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information; sie beträgt in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 40 bis 520 Euro, wobei eine Gebühr von mehr als 240 Euro nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Zusätzlich bestimmt Nr 2501 VV RVG aF für den Fall des Vorausgehens einer Tätigkeit im Verwaltungsverfahren, dass die Gebühr für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende Verwaltungsverfahren 40 bis 260 Euro beträgt, wobei eine Gebühr von mehr als 120 Euro nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich und schwierig war (sog Schwellengebühr). Der durch die Vorbefassung der Angelegenheit im Verwaltungsverfahren ersparte Aufwand soll durch einen geringeren Gebührenrahmen abgegolten werden (vgl BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 20 unter Hinweis auf BT-Drucks 15/1971 S 208).

37

a) Die Beklagte hat dem Kläger gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 und Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X lediglich die geminderte Geschäftsgebühr nach Nr 2501 VV RVG aF iVm § 14 RVG zu erstatten. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war der Bevollmächtigte des Klägers bereits im (selben) vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mit der Angelegenheit befasst, als er die Kostenübernahme für das digitale Hörgerät durch Anwaltsschreiben im Dezember 2005 bei der Beklagten beantragt hat. Damit war das hierauf gerichtete Verwaltungsverfahren eröffnet (§ 116 Abs 2 Nr 1 SGB VI; § 18 Satz 2 Nr 1 SGB X).

38

Für die anwaltliche Tätigkeit im Verwaltungsverfahren besteht kein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten. Im Hinblick auf das Gebührenrecht handelt es sich beim Verwaltungs- und beim Widerspruchsverfahren um unterschiedliche Angelegenheiten. Für eine Kostenerstattung von Aufwendungen für das dem Widerspruchsverfahren vorausgegangene Verwaltungsverfahren bietet § 63 SGB X keine Rechtsgrundlage(vgl BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 14 ff, 19; BSGE 55, 92, 94 = SozR 1300 § 63 Nr 1 S 3; zustimmend Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 63 RdNr 6).

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b) Die Geschäftsgebühr nach Nr 2500 VV RVG aF iHv 240 Euro zzgl darauf entfallende Umsatzsteuer war daher im angefochtenen Kostenbescheid unzutreffend festgesetzt. Dem Kläger stand nur die verminderte Geschäftsgebühr nach Nr 2501 VV RVG aF zzgl Umsatzsteuer zu. Es handelt sich hierbei um die ausgehend von der Mittelgebühr (150 Euro) um den Schwellenwert (30 Euro) gekappte Schwellengebühr (120 Euro). Die Einführung der Schwellengebühr hat zur Folge, dass die in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr bestimmte Gebühr in einem zweiten Schritt in Höhe des Schwellenwertes gekappt wird, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich ist (zur Berechnung vgl BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 22; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 15 f; BSG vom 29.3.2007- B 9a SB 4/06 R - Juris RdNr 16).

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Wie bereits zur Erledigungsgebühr ausgeführt, bieten die bindenden Feststellungen des LSG keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer überdurchschnittlich umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit des Bevollmächtigten, die Anlass geben könnten, eine höhere Geschäftsgebühr als 120 Euro anzunehmen. Dies hat auch der Kläger weder behauptet, noch ergibt sich dies aus der vom Bevollmächtigten vorgelegten Kostennote. Umstände, die die Öffnung des Gebührenrahmens über die Schwellengebühr hinaus rechtfertigten (vgl dazu ausführlich BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 22 ff), sind daher nicht ersichtlich.

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5. Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 21.3.2006 ist unter Berücksichtigung der entstandenen Erledigungsgebühr einerseits und der reduzierten Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr andererseits zu korrigieren. Es verbleibt ein noch an den Kläger zu erstattender Betrag von 185,60 Euro. Hierin enthalten ist die auf die Gebührenansätze anfallende Umsatzsteuer (67,20 Euro) nach Nr 7008 VV RVG (iHv 16 %, § 12 Abs 1 Umsatzsteuergesetz idF vom 21.2.2005 ) und der Gebührenansatz für die Postpauschale nach Nr 7002 VV RVG (20 Euro).

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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das anteilsmäßige Unterliegen bzw Obsiegen der Beteiligen.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.