Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 22. Juni 2015 - 4 UF 16/15
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Schwerte vom 6.1.2015 abgeändert und das Sorgerecht
für D S, geboren am #.#.##01, bei den Kindeseltern im Wege der einstweiligen Anordnung belassen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2I.
3Aus der Ehe der Beteiligten ist die betroffene Jugendliche D, geboren am #.#.##01, hervorgegangen, welche im Haushalt der Kindeseltern lebte. Am 17.6.2014 wandte sie sich zunächst an eine Lehrerin um Hilfe und bat sodann beim Jugendamt um ihre Inobhutnahme (§ 42 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VIII).
4Aus der ersten Ehe der Kindesmutter ist die Tochter T, geboren am ##.#.##80, hervorgegangen, die im Alter von 18 Jahren aus der Wohnung der Kindeseltern auszog. Sie ist seit 2004 verheiratet. Der Kontakt der Kindeseltern zu T war zwischenzeitlich abgebrochen, besteht aber seit 2011 wieder in unregelmäßigen Abständen. In dem Haushalt der Halbschwester T und deren Ehemannes ist D nun untergebracht.
5D hat erklärt, sie wolle nicht mehr in den elterlichen Haushalt zurückkehren, da ihr Vater sie in der Regel einmal in der Woche in das Gesicht schlage; in ihrer persönlichen Anhörung schildert sie einen Vorfall aus der 5. Klasse und einen Vorfall aus der 6. Klasse. Sie schilderte detailliert einzelne Vorfälle, in denen es zu Auseinandersetzungen mit ihrem Vater gekommen sei und darüber hinaus eine konkrete Situation, die sie veranlasst habe, sich um Hilfe an eine Lehrerin und sodann an das Jugendamt zu wenden. Insgesamt sei sie streng erzogen worden und habe sich kaum mit Freunden verabreden dürfen. Sie habe viel helfen müssen (Zementsäcke schleppen, Holz hacken, Tisch abräumen). Sie habe sich die Arme aufgeritzt, was ihre Eltern ignoriert hätten. Kontakt zu ihrer Halbschwester T hätten die Eltern unterbunden.
6Das zuständige Jugendamt hat beantragt, den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie die Vertretung gegenüber Behörden, insbesondere das Antragsrecht für Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII sowie die Gesundheitsfürsorge zu entziehen und einem Ergänzungspfleger zu übertragen.
7Die Kindeseltern haben erstinstanzlich Antragszurückweisung und die Anordnung der Kindesherausgabe an sie beantragt.
8Sie haben die Behauptungen von D detailliert bestritten und den Ablauf der einzelnen Vorfälle konkret abweichend geschildert. Dem Kindesvater sei vor zwei Jahren einmal die Hand ausgerutscht. Die Vorwürfe Ds kämen für sie aus heiterem Himmel.
9Der Aufenthalt im Haushalt der Halbschwester T widerspreche dem Kindeswohl. Diese und auch deren Ehemann arbeiteten in Wechselschicht, so dass D teils nachts allein sei und abends unkontrolliert Fernsehen schaue.
10Das Familiengericht hat in der Hauptsache einen Beweisbeschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens erlassen. Daneben hat es nach mündlicher Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung entzogen und Ergänzungspflegschaft durch das Jugendamt angeordnet.
11Zur Begründung hat es ausgeführt, bis zum Ergebnis des Sachverständigengutachtens sei der Zustand zu regeln. Das Kind weigere sich in den elterlichen Haushalt zurückzukehren und die Kindeseltern weigern sich, der Unterbringung ihrer Tochter in einer Pflegefamilie zuzustimmen. Ein Schlag des Kindes stelle eine Kindeswohlgefährdung dar. Auch entspreche es nicht dem Wohl des Kindes, dieses entgegen seinem eindeutigen Willen in den elterlichen Haushalt zurückzuführen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei lediglich das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung zu entziehen.
12Dagegen wenden sich die Kindeseltern mit ihrer Beschwerde.
13Sie monieren, dass D nicht in Anwesenheit der Kindeseltern und (nach einem Richterwechsel) nicht durch den erkennenden Richter angehört wurde. Sie behaupten, dass entgegen der Darstellung ihrer Tochter bei einem Schlag durch den Kindesvater kein Schneidezahn abgebrochen sei; dies ergebe sich aus dem Bericht des Zahnarztes. Außer einer einmaligen Ohrfeige durch den Kindesvater habe es keine Züchtigung der Tochter gegeben. Der Aufenthalt von D bei der Halbschwester sei dem Kindeswohl nicht förderlich.
14Sollten die Kindeseltern das Sorgerecht wieder uneingeschränkt ausüben können, beabsichtigen sie, D in eine Therapiestelle unterzubringen. Es sei nicht beabsichtigt, sie gegen ihren Willen in den eigenen Haushalt aufzunehmen. Es gelte aber, eine (gegen die Kindeseltern gerichtete) Beeinflussung Ds durch ihre Halbschwester zu unterbinden.
15Das Jugendamt und der Verfahrensbeistand verteidigen den erstinstanzlichen Beschluss.
16Sie berufen sich auf den Willen des Kindes, nicht in den elterlichen Haushalt zurückkehren zu wollen. Auch wolle sie nicht in eine andere Wohnform (z.B. betreutes Wohnen) wechseln. Die Pflegefamilie (Halbschwester und deren Ehemann) sei geeignet, die Jugendliche aufzunehmen. Ein Wechsel von D vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens sei nicht dem Kindeswohl förderlich.
17II.
181.
19Die Beschwerde der Kindeseltern ist zulässig. Sie ist gemäß § 57 Satz 2 FamFG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.
202.
21a)
22Verfahrensfehler können die Kindeseltern nicht mit Erfolg rügen.
23Es ist unschädlich, dass das Familiengericht D am 7.7.2014 persönlich ohne die Kindeseltern angehört hat. Denn die Gestaltung der Anhörung ist gemäß § 159 Abs. 4 Satz 4 FamFG in das Ermessen des Gerichts gestellt ist; die Kindeseltern haben kein Recht auf Anwesenheit bei der Kindesanhörung (Keidel-Engelhardt, FamFG 18. Auflage 2014 § 159 Rn. 17). Inzwischen wurde D durch den Senat am 9.3.2015 in Anwesenheit der Beteiligten mit Ausnahme des Kindesvaters, der auf seine Anwesenheit verzichtete, angehört.
24b)
25Den Kindeseltern ist im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht gemäß §§ 1666, 1666a BGB zu entziehen, wenn ansonsten das Wohl des Kindes D gefährdet wäre.
26Das Gericht hat, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Versagen eines Dritten gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartige Maßnahme kommt insbesondere auch die Entziehung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung als Teil des Personensorgerechts in Betracht. Voraussetzung für ein Eingreifen des Gerichts ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BVerfG, Beschluss vom 29.01.2010 - 1 BvR 374/09; BGH, Beschluss vom 15.12.2004 - XII ZB 166/03). In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage zu schaffen. Damit sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung gestellt, die so erfolgen muss, dass sich die materiellrechtlich geforderte hohe Prognosesicherheit ("mit ziemlicher Sicherheit") tatsächlich erzielen lässt. Generell ist die Frage, wie weit die Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren reichen muss, in Ansehung der gegen und für eine Eilmaßnahme sprechenden Grundrechte zu beantworten. Je schwerer die dem Einzelnen auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt, umso gesicherter muss die Tatsachengrundlage des Grundrechtseingriffs sein. Andererseits kann umso eher auf ungesicherter Tatsachengrundlage entschieden werden, je schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist. Danach bemisst sich die gebotene Intensität der Sachverhaltsermittlung im Fall des Sorgerechtsentzugs im Eilverfahren einerseits nach dem Recht der Eltern, von einem unberechtigten Sorgerechtsentzug verschont zu bleiben (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und andererseits nach dem Recht des Kindes, durch die staatliche Gemeinschaft vor nachhaltigen Gefahren, insbesondere für sein körperliches Wohl geschützt zu werden, die ihm im elterlichen Haushalt drohen (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) (BVerfG, Beschluss vom 07. April 2014 – 1 BvR 3121/13 = FamRZ 2014, 907).
27Einstweilige Anordnungen können gemäß § 49 FamFG ergehen, wenn sie nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Einschreiten besteht. An den Entzug des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung sind angesichts der Regelungen der §§ 1666, 1666 a BGB vor dem Hintergrund des Elternrechts aus Art. 6 GG hohe Anforderungen zu stellen. Je einschneidender eine Maßnahme ist, umso höher sind die Anforderungen an das Bedürfnis einer Regelung im Wege der einstweiligen Anordnung. Für die leiblichen Eltern ist die Trennung von ihrem Kind der stärkste vorstellbare Eingriff in ihr Elternrecht, der nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine solche vorläufige Maßnahme kommt nur dann in Betracht, wenn sie zum Wohle der Kinder unumgänglich und die Sache derart eilbedürftig ist, dass sie bereits im Wege der vorläufigen Anordnung getroffen werden muss. Dies kommt regelmäßig bei unmittelbaren Gefahren für das körperliche oder seelische Wohl der Kinder wie z. B. Verwahrlosung, Missbrauch, Kindesmisshandlung in Betracht, denen durch sofortige Maßnahmen begegnet werden muss. Im Ergebnis kommt ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Wege der einstweiligen Anordnung nur bei akuten und unmittelbar bestehenden bzw. bevorstehenden erheblichen Gefährdungen des Kindeswohls in Betracht, bei denen ein Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 14.4.2014 – 10 UF 19/14 m.w.N.).
28aa)
29Eine Kindeswohlgefährdung oder -schädigung von D im elterlichen Haushalt kann – selbst im einstweiligen Anordnungsverfahren – nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Der Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge ist gemessen an dem Elternrecht des Art. 6 GG wegen Fehlverhaltens der Kindeseltern nicht gerechtfertigt und nicht verhältnismäßig.
30D schildert körperliche Züchtigungen durch den Kindesvater und empfindet psychischen Druck im elterlichen Haushalt; sie sei streng erzogen worden und habe sich z.B. nicht mit Gleichaltrigen treffen dürfen. Allerdings können diese Aussagen Ds nicht einer Entscheidung zugrunde gelegt werden, da sie nicht belastbar sind:
31Vor der Inobhutnahme schilderte D dem Jugendamt, dass sie in der Regel einmal in der Woche von ihrem Vater ins Gesicht geschlagen werde. Gegenüber dem Verfahrensbeistand schilderte sie Schläge des Kindesvaters seit dem Kindergartenalter und bedrohliches Verhalten durch den Kindesvater; einmal habe er ihr einen Zahn abgebrochen. In der richterlichen Anhörung wiederum schilderte sie einen Vorfall in der 5. Klasse und einen weiteren Vorfall in der 6. Klasse. Dieser wechselnde Vortrag ist nicht glaubhaft. Nach einem zahnärztlichen Bericht gibt es keinen Anhaltspunkt für einen abgebrochenen Zahn. Eine Ohrfeige räumt der Kindesvater ein.
32D schildert, sie habe viel helfen müssen und z.B. Zementsäcke schleppen, Holz hacken und den Essenstisch abräumen müssen. Das Abräumen des Essenstisches ist für eine 13jährige sozialadäquat und stellt sicher keine übermäßige Anforderung dar; sie ist gemäß § 1619 BGB vielmehr zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet. Gleiches gilt für das Hacken von Holz – ohne nähere Angaben zu Art und Umfang der Arbeiten ist eine Kindeswohlgefährdung oder -schädigung nicht feststellbar. Nach den Angaben des Kindesvaters habe D keinen Zementsack schleppen müssen, sondern war anwesend, als der Kindesvater diese beim Baumarkt ins Auto verlud und wurde anschließend gebeten, den Einkaufswagen zurückzubringen. Als sie sich weigerte, fuhr der Kindesvater ohne sie nach Hause und ließ sie von der Kindesmutter abholen – dieses Verhalten des Kindesvaters unterfällt dem Erziehungsprimat der Kindeseltern. Bei der detaillierten und abweichenden Schilderung der Situation durch den Kindesvater kann die Angabe der Jugendlichen über übermäßige Arbeit im Haushalt nicht als richtig unterstellt werden. Jedenfalls ist eine Kindeswohlgefährdung oder -schädigung nicht feststellbar.
33Auch eine strenge Erziehung stellt ohne weiteres keine Kindeswohlgefährdung oder -schädigung dar. D wurde nicht sozial isoliert – nach eigenen Angaben wurde sie in der Schule gemobbt und hatte kaum Freunde; dies dürfte nicht den Kindeseltern anzulasten sein. Tatsächlich fanden nach Angaben von D gelegentlich nachmittägliche Veranstaltungen mit Gleichaltrigen (Freibadbesuch) statt.
34Die Kindeseltern hätten nach Angaben von D nicht wahrgenommen, dass sie sich die Arme aufgeritzt habe. Jedoch schildert die Kindesmutter, sie habe D auf die Verletzungen angesprochen und nach ihren Erklärungen angenommen, dass diese von den jungen Katzen herrührten.
35In einem Brief an die Kindeseltern wirft D diesen vor, dass sie nicht wahrgenommen hätten, dass sie Tabletten genommen und Abschiedsbriefe unter dem Bett versteckt habe. Dieser Vorwurf ist ambivalent. Hätten die Kindeseltern das Zimmer von D durchsucht und unter dem Bett geschaut, hätte sie ihnen die Verletzung ihrer Privatsphäre vorgeworfen. Auswirkungen der Tabletteneinnahme, die die Kindeseltern hätten wahrnehmen können, schildert D nicht.
36Den psychischen Druck im elterlichen Haushalt konkretisiert D nicht.
37Im Ergebnis steht lediglich fest, dass der Kindesvater D einmal eine Ohrfeige gegeben hat. Auch wenn sie gemäß § 1631 Abs. 2 BGB ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat, ist dieses bei einem einmaligen Verstoß nicht durch eine Trennung von den Kindeseltern umzusetzen. Vielmehr ist an mildere Maßnahmen zu denken, z.B. an Gespräche über Erziehungsverhalten der Kindeseltern mit Pädagogen.
38bb)
39Ein Sorgerechtsentzug ist nicht wegen der Weigerung Ds, in den elterlichen Haushalt zurückkehren zu wollen, gerechtfertigt.
40Im Rahmen von §§ 1666, 1666a BGB ist der Kindeswille zu berücksichtigen. Denn auch die Überwindung eines stark ausgeprägten konstanten Kindeswillens stellt eine Kindeswohlgefährdung dar (OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juni 2012 – II-8 UF 270/10 Rn. 69). Das Persönlichkeitsrecht des Kindes ist ebenso wie das Elternrecht grundgesetzlich geschützt. Es gilt, eine Abwägung dieser Rechte vorzunehmen.
41Vorliegend überwiegt das Elternrecht. Allein der Wille des Kindes rechtfertigt keinen Sorgerechtsentzug. Denn die Haltung des Kindes ist nicht nachvollziehbar. Die von ihr erhobenen Vorwürfe bestreiten die Kindeseltern detailliert und können sie teils sogar widerlegen (abgebrochener Zahn). Die körperlichen Übergriffe durch den Kindesvater können nicht als tatsächlich geschehen unterstellt werden.
42Dabei übersieht der Senat nicht, dass z.B. das Aufritzen der Arme auf eine psychische Erkrankung hindeuten kann. Auch scheint es der Jugendlichen seit der Inobhutnahme und den Wechsel in den Haushalt ihrer Halbschwester emotional besser zu gehen als in dem elterlichen Haushalt – ihre Schulnoten verbesserten sich und sie fand sozialen Anschluss in ihrer neuen Schule.
43Jedoch sind die Kindeseltern bereit, den emotionalen Bedürfnissen von D und ihrem Willen Rechnung zu tragen. Sie erklärten explizit und mehrfach, dass sie D zunächst in einer Therapiestelle unterzubringen beabsichtigen, um die Beweggründe und Belastungen von D festzustellen, zu analysieren und sodann bearbeiten zu können. Ihre Bereitschaft, im Interesse ihrer Tochter zu handeln, demonstrierten die Kindeseltern auch in der mündlichen Verhandlung vom 9.3.2015. Die Kindeseltern sahen zunächst von einer Antragstellung im einstweiligen Anordnungsverfahren ab, damit D wieder Vertrauen zu ihnen fassen kann und die Ergänzungspflegerin einen geordneten Wechsel der Pflegestelle und die Aufnahme einer Therapie veranlassen kann. Trotz entsprechender Zusagen in der mündlichen Verhandlung vom 9.3.2015 wurden diese Maßnahmen durch die Ergänzungspflegerin in der Folgezeit nicht umgesetzt. Die Vorbehalte der Kindeseltern, D nicht länger in der Familie der Halbschwester zu belassen, sind nachvollziehbar. Dort findet keine fachliche Aufarbeitung der offensichtlich vorhandenen Probleme von D statt und die persönlichen Interessen der Halbschwester, deren Beziehung zu den Kindeseltern teilweise ebenfalls problematisch war oder ist, sind ungeklärt.
443.
45Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.
46Rechtsbehelfsbelehrung:
47Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 70 Abs. 4 FamFG.
48ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 22. Juni 2015 - 4 UF 16/15
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(1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.
(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. Unterschiedliche Hilfearten können miteinander kombiniert werden, sofern dies dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.
(2a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.
(3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. Bei Bedarf soll sie Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne des § 13 Absatz 2 einschließen und kann mit anderen Leistungen nach diesem Buch kombiniert werden. Die in der Schule oder Hochschule wegen des erzieherischen Bedarfs erforderliche Anleitung und Begleitung können als Gruppenangebote an Kinder oder Jugendliche gemeinsam erbracht werden, soweit dies dem Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.
(4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während ihres Aufenthalts in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes, so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes.
Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen sind nicht anfechtbar. Dies gilt nicht in Verfahren nach § 151 Nummer 6 und 7 und auch nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung
- 1.
über die elterliche Sorge für ein Kind, - 2.
über die Herausgabe des Kindes an den anderen Elternteil, - 3.
über einen Antrag auf Verbleiben eines Kindes bei einer Pflege- oder Bezugsperson, - 4.
über einen Antrag nach den §§ 1 und 2 des Gewaltschutzgesetzes oder - 5.
in einer Ehewohnungssache über einen Antrag auf Zuweisung der Wohnung
(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.
(2) Von der persönlichen Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nach Absatz 1 kann das Gericht nur absehen, wenn
- 1.
ein schwerwiegender Grund dafür vorliegt, - 2.
das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun, - 3.
die Neigungen, Bindungen und der Wille des Kindes für die Entscheidung nicht von Bedeutung sind und eine persönliche Anhörung auch nicht aus anderen Gründen angezeigt ist oder - 4.
das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes betrifft und eine persönliche Anhörung nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist.
(3) Sieht das Gericht davon ab, das Kind persönlich anzuhören oder sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen, ist dies in der Endentscheidung zu begründen. Unterbleibt eine Anhörung oder die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.
(4) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
- 1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, - 2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, - 3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält, - 4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen, - 5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge, - 6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.
(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Wird einem Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der vom Kind mitbewohnten oder einer anderen Wohnung untersagt, ist bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme auch zu berücksichtigen, ob diesem das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zusteht, auf dem sich die Wohnung befindet; Entsprechendes gilt für das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht, das dingliche Wohnrecht oder wenn der Elternteil oder Dritte Mieter der Wohnung ist.
(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die am 2. Juli 1998 geborene J. T. ist die Tochter der weiteren Beteiligten zu 1. Sie besitzt, ebenso wie ihre nicht mit einander verheirateten Eltern, die gambische Staatsangehörigkeit. Der Vater lebt in Gambia. Die Mutter heiratete am 24. November 2000 in Gambia einen deutschen Staatsangehörigen und folgte ihm zusammen mit ihrer Tochter im März 2001 nach Deutschland. Da die Mutter hier eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert und sich deshalb gehindert sah, das Kind zu betreuen, beabsichtigte sie, dieses am 8. Januar 2003 durch ihren Ehemann und dessen Vater nach Gambia verbringen zu lassen. J. sollte in Gambia von der Familie der Mutter betreut werden und eine Vorschule besuchen. Das Jugendamt Dresden (weiterer Beteiligter zu 3), das über die bevorstehende Reise informiert worden war, veranlaßte am 6. Januar 2003 die Inobhutnahme des Kindes gemäß § 42 SGB VIII, weil es befürchtete, diesem drohe bei einem Aufenthalt in Gambia die Beschneidung. Auf Antrag des Jugendamtes entzog das Amtsgericht der Mutter zunächst vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitssorge und bestellte insoweit das Jugendamt zum Pfleger. Mit Beschluß vom 8. Mai 2003 hat das Amtsgericht auch in der Hauptsache entsprechend der vorläufigen Anordnung entschieden. Hiergegen hat die Mutter befristete Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat eine "mündliche Verhandlung" durchgeführt und anschließend eine vorläufige Anordnung erlassen, nach der das Kind der Mutter unverzüglich herauszugeben ist, dieser aber untersagt wird, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit dem Kind zu verlassen oder zu gestatten, daß ihre Tochter mitDritten das Land verläßt. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht den angefochtenen Beschluß teilweise abgeändert und dieser das Aufenthaltsbestimmungsrecht nur insoweit entzogen, als es um die Entscheidung geht, ob das Kind - zu Urlaubszwecken oder für einen längeren Aufenthalt - nach Gambia verbracht wird. Insoweit hat es Pflegschaft angeordnet und den weiteren Beteiligten zu 3) als Pfleger eingesetzt. Hiergegen richten sich die - zugelassenen - Rechtsbeschwerden der Mutter und der Landeshauptstadt Dresden - Ortsamt Plauen - (weiterer Beteiligter zu 2, im folgenden: Ortsamt). Die Mutter erstrebt die vollständige Abweisung des Antrags, während das Ortsamt die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts insgesamt erreichen möchte.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Mutter ist unbegründet. Auf die Rechtsbeschwerde des Ortsamtes ist der Beschluß im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Sache insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. A. Rechtsbeschwerde der Mutter 1. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2003, 1862 ff. veröffentlicht ist, hat seine internationale Zuständigkeit sowie die Anwendbarkeit deutschen Rechts ohne weitere Ausführungen bejaht. Das begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte richtet sich nach den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom5. Oktober 1961 (BGBl. 1971 II 217; im folgenden: MSA). Nach Art. 1 MSA sind die Gerichte des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vorbehaltlich der Artt. 3, 4 und 5 Abs. 3 MSA dafür zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person des Minderjährigen zu treffen. Nach Art. 13 Abs. 1 MSA ist das Übereinkommen auf alle Minderjährigen anzuwenden, die - wie hier das Kind J. - ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben, ohne daß der Minderjährige die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates besitzen müßte (Staudinger/Kropholler BGB, 13. Bearb. - 1994 - Vorbemerkung zu Art. 19 EGBGB Rdn. 525 m.w.N.). Einen einschränkenden Vorbehalt gegenüber Angehörigen von Nichtvertragsstaaten nach Art. 13 Abs. 3 MSA hat die Bundesrepublik Deutschland nicht erklärt. Hinsichtlich der von den inländischen Gerichten zu treffenden Schutzmaßnahmen, zu denen die im Streit stehende Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 BGB gehört (Staudinger/Kropholler aaO Rdn. 217), ist gemäß Art. 2 MSA innerstaatliches, hier also deutsches Recht anzuwenden. Gemäß Art. 3 MSA ist allerdings ein nach dem Recht des Heimatstaates des Kindes kraft Gesetzes bestehendes Gewaltverhältnis anzuerkennen. Ein Eingriff in ein solches Gewaltverhältnis liegt vor, wenn das ausländische Heimatrecht des Minderjährigen eine derartige Maßnahme nicht zuläßt (Palandt /Heldrich BGB 63. Aufl. Anh. zu Art. 24 EGBGB Rdn. 25). Dies macht die Rechtsbeschwerde der Mutter in bezug auf das gambische Recht geltend, ohne ihren Einwand zu konkretisieren. Dessen Richtigkeit entzieht sich infolgedessen einer Beurteilung. Feststellungen zu dem gambischen Recht hat das OLG nicht getroffen. Die Frage, ob der Einwand gerechtfertigt ist, bedarf indessen keiner Entscheidung. Ein eventuell bestehendes Gewaltverhältnis schließt es nämlich nach Art. 8 MSA nicht aus, daß die Behörden des Aufenthaltsstaates, also auch die deutschen Gerichte, Maßnahmen zum Schutz des Minderjährigen treffen, soweit er in seiner Person oder seinem Vermögen ernstlich gefährdet ist. Mit
solchen Schutzmaßnahmen kann deshalb auch in ein grundsätzlich anzuerkennendes Gewaltverhältnis eingegriffen werden. In den Fällen, in denen nach den §§ 1666 ff. BGB Maßnahmen zu treffen sind, ist in der Regel auch das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 8 MSA anzunehmen (BGHZ 60, 68, 73 f.). 2. In der Sache hat das Beschwerdegericht ein Eingreifen nach § 1666 BGB für erforderlich gehalten. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Durchführung der Beschneidung von Mädchen stelle eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar. Es handele sich um Genitalverstümmelungen, in denen eine schwere Menschenrechtsverletzung zu sehen sei und die in ihrer Intensität den gravierendsten Erscheinungsformen asylerheblicher Verfolgungsmaßnahmen , wie der Folter, nicht nachstehe. Die Gefahr, als Mädchen in Gambia beschnitten zu werden, sei groß. Gambia sei der UN-Kinderrechtskonvention nicht beigetreten. Aus den vom Jugendamt vorgelegten Unterlagen gehe hervor, daß nach Auskunft lokal tätiger Nichtregierungsorganisationen in Gambia fast alle ethnischen Gruppen Genitalverstümmelungen praktizierten und zwischen 80 bis 90 % der weiblichen Bevölkerung beschnitten seien. Die Beschneidung könne Mädchen jeden Alters drohen, einer Dreijährigen ebenso wie einer 16-jährigen. Auch die Mutter habe bei ihrer Anhörung bestätigt, daß es keine Altersgrenze gebe, von der an ein Kind selbst entscheiden könne, ob es beschnitten werde oder nicht. Die traditionell begründete Beschneidung drohe dem Kind deshalb, sobald es sich in Gambia aufhalte. Insofern bestehe auch eine gegenwärtige, begründete Besorgnis der Schädigung. Die Mutter sei derzeit nicht in der Lage, ihre Tochter vor einer solchen Körperverletzung ausreichend zu schützen. Soweit sie bei ihrer Anhörung erklärt habe, sie wünsche nicht, daß ihrem Kind eine Beschneidung widerfahre, sei diese ablehnende Äußerung unter dem Druck des vorliegenden Verfahrens zustande gekommen und beruhe (noch) nicht auf eigener Erkenntnis. Denn die mehrfach geäußerte Auffassung , das Kind könne mit 14 Jahren selbst entscheiden, ob es beschnitten
werde, mache deutlich, daß die Mutter die Genitalverstümmelung nicht in dem erforderlichen Maße als bedrohliche Gefahr für ihre Tochter erkannt habe. Angesichts der Brutalität des Eingriffs und der möglichen physischen und psychischen Folgen hätte andererseits eine klare Ablehnung der Beschneidung in bezug auf ihr Kind erfolgen müssen. Die eigene Erfahrung der - ihrerseits beschnittenen - Mutter belege, daß selbst ein 13 Jahre altes Mädchen durch gezielte unrichtige Informationen dazu gebracht werden könne, sich die grausame Verstümmelung sogar selbst zu wünschen. Wenn die Mutter gleichwohl daran festhalte, die Entscheidung über die Beschneidung dem Kinde selbst zu überlassen , habe sie den Fehler ihrer eigenen Mutter wiederholt und damit gezeigt, daß sie nicht fähig sei, die Gefahr von ihrem Kind abzuwenden. Dies sei indessen umsomehr notwendig, als nach den zu den Akten gelangten Informationen traditionell die Großfamilie mitentscheide, ob eine Beschneidung durchgeführt werde. Da die Mutter gleichwohl geplant habe, daß das Kind während der Dauer ihrer Ausbildung in Gambia leben solle und es damit der Gefahr einer Genitalverstümmelung (schutzlos) ausgeliefert hätte, müsse ihr Verhalten als unverschuldetes Versagen, aber auch als Form von Vernachlässigung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB angesehen werden. Richtig verstandenes elterliches Sorgerecht hätte von ihr nicht passives Verhalten, sondern aktives Tun verlangt. Die Gefährdung sei auch gegenwärtig. Die Mutter habe zwar erklärt, daß ihre Tochter sich nicht mehr ohne ihre Begleitung in Gambia aufhalten solle. Es sei jedoch zu besorgen, daß sie an diesem Entschluß nicht festhalte, sondern das Kind doch zu ihrer Familie nach Gambia bringe, wenn sie sich wegen der auf sie zukommenden Prüfungen zur Altenpflegerin außerstande sehe, neben ihrer Arbeit zu lernen und ihre Tochter ausreichend zu betreuen. Diese Gefahr werde durch die Bekanntschaft mit in der Nähe ihrer Wohnung lebenden gambischen Familien nicht aufgehoben. Die danach vorzunehmende Abwägung zwischen dem Elternrecht der Mutter einerseits und dem Recht des Kindes auf Schutz
seiner Menschenwürde und seiner körperlichen Unversehrtheit andererseits führe zu der Notwendigkeit der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts insoweit, als es um Reisen des Kindes nach Gambia oder um Aufenthalte dort gehe. Angesichts des Ausmaßes der drohenden Gefahr müsse auch das Recht des Kindes, seine Verwandtschaft in seinem Heimatstaat zu besuchen, zurücktreten. Auf andere Weise könne ein hinreichend sicherer Schutz nicht gewährleistet werden. Auch der Respekt vor einer anderen Kultur rechtfertige keine abweichende Entscheidung. Die mit der Ausländereigenschaft von Mutter und Kind verbundenen Vorstellungen von Kultur, Tradition, Religion und Erziehung, denen grundsätzlich Bedeutung beizumessen sei, müßten zurücktreten, wenn die drohende Schädigung entsprechend der ordre-public-Klausel des Art. 6 EGBGB unter keinem Gesichtspunkt zu tolerieren sei. 3. Diese Ausführungen halten der im Verfahren der Rechtsbeschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht, wenn das körperliche , geistige oder seelische Wohl eines Kindes durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Versagen eines Dritten gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden , die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartige Maßnahme kommt insbesondere auch die Entziehung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung als Teil des Personensorgerechts (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB) in Betracht. Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, daß sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt (BGH Beschluß vom 14. Juli 1956 - IV ZB 32/56 - FamRZ 1956, 350,
351; BayObLG DAVorm 1981, 897, 898 f.; Staudinger/Coester BGB 13. Bearb. - 2004 - § 1666 Rdn. 79; MünchKomm/Olzen 4. Aufl. § 1666 Rdn. 49).
b) Daß die Beschneidung eines Mädchens als eine das Kindeswohl in ganz erheblicher Weise beeinträchtigende Behandlung zu beurteilen ist, hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Genitalverstümmelung um einen schweren Eingriff, der bleibende physische und psychische Schäden zur Folge hat. Dies gilt auch dann, wenn der Eingriff nicht - wie zumeist - unter unhaltbaren hygienischen Bedingungen, ohne Betäubung und mit grausamen Hilfsmitteln, wie Glasscherben oder Rasierklingen als Schneidewerkzeug, durchgeführt wird, sondern selbst wenn er nach allen Regeln ärztlichen Könnens erfolgt. Es bleibt ein radikaler Eingriff in die körperliche Integrität und psychische Befindlichkeit der Frau. Dabei verbietet sich eine Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung (Klitorisbeschneidung , Excision oder Infibulation), denn in allen Fällen liegt eine grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Mißhandlung vor (vgl. Bumke NVwZ 2002, 423, 426 m.w.N., sowie Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Beschneidung von Mädchen und Frauen BT-Drucks. 13/10682 S. 3 ff.). Auch die Rechtsbeschwerde der Mutter erhebt gegen die Beurteilung der Beschneidung durch das Berufungsgericht keine Einwendungen.
c) Sie rügt aber, das Beschwerdegericht habe eine hieraus resultierende gegenwärtige Gefahr für das Kind zu Unrecht bejaht. Es habe nicht berücksichtigt , daß die Mutter ihrem Vorbringen zufolge nicht gegen ihren Willen oder auf Druck ihrer Eltern, eines Elternteils oder naher Verwandter beschnitten worden sei, sondern aufgrund eigener Entscheidung, und zwar nach von dritter Seite erhaltener, heute als falsch und irreführend erkannter Informationen. In den Vorgang sei sie aber nicht als Kleinkind, sondern als Mädchen, das die Pubertät
durchlaufen habe, involviert gewesen. Daraus folge, daß niemand aus der Familie der Mutter Anstalten getroffen habe, sie als Kind oder ohne ihre Einwilligung als herangereiftes Mädchen beschneiden zu lassen, auch nicht ihr eigener Vater, in dessen Stamm noch Beschneidungen vorgenommen würden und der dieses Ritual befürwortet habe. Auf diesen sei ohnehin nicht abzustellen, da die Großmutter sich vor 20 Jahren von ihm habe scheiden lassen und inzwischen wieder verheiratet sei. J. habe aber bei der Großmutter und nicht bei ihrem leiblichen Großvater leben sollen. Daneben habe sie, als sie noch in Gambia gelebt habe, engen Kontakt zu ihrem leiblichen Vater und dessen Familie unterhalten , die nicht weit von der Großmutter entfernt lebten. Die Großmutter sei nicht beschnitten und lehne diesen Brauch ab. Sie habe auch ihrer Tochter verboten , sich dem Ritual zu unterziehen. Deshalb sei kein Anhaltspunkt dafür auszumachen, daß das Kind während eines Aufenthalts bei der Großmutter der Gefahr ausgesetzt wäre, diese könne eine Beschneidung veranlassen oder zulassen. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, daß die Großmutter das Mädchen nicht vor Übergriffen Dritter schützen könne, denn sie habe ihre Tochter bis zu deren eigener Entscheidung vor einer zwangsweisen Beschneidung bewahrt. Auch von der Seite der Familie des leiblichen Vaters sei fürJ. nicht die Gefahr einer Beschneidung auszumachen. Zwar seien in dem Stamm, dem der Vater angehöre, Beschneidungen noch üblich. Der Vater und seine Familie lehnten, wie die Mutter bei ihrer Anhörung ausgeführt habe, aber Beschneidungen ab, weshalb in dieser Familie niemand beschnitten sei. Warum J. in einer solchen Familie der Gefahr ausgesetzt sein solle, als Kind fremdbestimmt beschnitten zu werden, sei nicht ersichtlich. Damit vermag die Rechtsbeschwerde der Mutter nicht durchzudringen. Das Beschwerdegericht hat den betreffenden Sachvortrag nicht übergangen , sondern in seine von Amts wegen (§ 12 FGG) zu treffenden Feststel-
lungen einbezogen. Es hat seiner Entscheidung die Umstände der eigenen Beschneidung der Mutter zugrunde gelegt, dem Gesichtspunkt, daß in der Familie des Vaters - entgegen den Gepflogenheiten ihres Stammes - Beschneidungen nicht üblich seien, aber ersichtlich keine Bedeutung beigemessen. Nach den von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen entscheiden nämlich nicht die Eltern oder deren Familien allein über eine Beschneidung, sondern hierzu ist traditionell die Großfamilie mitberufen. Aus dieser Gestaltung ist letztlich auch zu erklären, daß die Großmutter die eigene Tochter nicht vor einer Beschneidung zu bewahren vermochte, obwohl letztere damals erst 13 Jahre alt war und ihr deshalb die Einsichtsfähigkeit und Reife für die von ihr zugunsten einer Beschneidung getroffene Entscheidung fehlte und die Großmutter diese Verstümmelung selbst ablehnt. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die Großmutter könne in einer anderen Situation, nämlich bei Vorliegen anderer Umstände hinsichtlich der Beschneidung der Enkelin, bedingt durch äußere Einflüsse abermals versagen, stellt sich deshalb als vertretbare tatrichterliche Würdigung dar, gegen die aus Rechtsgründen nichts zu erinnern ist. Denn die hohe Beschneidungsquote von 80 - 90 % der weiblichen Bevölkerung Gambias kann, wenn sich die Ablehnung der Genitalverstümmelungen wie von der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, durchsetzen ließe, nicht erklärt werden. Von daher ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Beschneidung des Kindes bei einem Aufenthalt in Gambia ausgegangen ist.
d) Die Rechtsbeschwerde der Mutter wendet sich schließlich gegen die Annahme, dem Kind drohe eine gegenwärtige Gefahr, weil zu besorgen sei, daß die Mutter es im Zusammenhang mit den im Rahmen ihrer Ausbildung abzulegenden Prüfungen entgegen den abgegebenen Erklärungen doch nach Gambia verbringen werde. Sie beruft sich insoweit auf den Vortrag der Mutter,
mit ihrem Arbeitgeber Arbeitszeiten vereinbart zu haben, die eine Betreuung des Kindes erlaubten. Auch das vermag die Entscheidung, soweit sie zum Nachteil der Mutter ergangen ist, nicht in Frage zu stellen. Das Berufungsgericht hat nicht bezweifelt, daß die Mutter in der Lage sein wird, den normalen Alltag mit der Betreuung des Kindes in Einklang zu bringen. Seine Annahme, es sei zu befürchten, daß sich die Einstellung der Mutter unter dem Prüfungsdruck ändere, ist indessen eine von der Lebenserfahrung getragene tatrichterliche Würdigung. Für deren Berechtigung sprechen zudem die Mitteilungen der beiden Pflegefamilien, in denen das Kind sich aufgehalten hat. Danach ist J. nicht oder kaum in der Lage, sich selbst zu beschäftigen , sondern erheischt permanent Aufmerksamkeit. 4. Bei dieser Sachlage ist das Berufungsgericht zu Recht von einer gegenwärtigen , in einem solchen Maße vorhandenen Gefahr ausgegangen, daß sich im weiteren Verlauf eine erhebliche Schädigung des Kindes in Form einer Beschneidung mit hinreichender Sicherheit voraussehen läßt. Denn die Mutter ist, wie das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, derzeit jedenfalls noch nicht in der Lage, die Gefahr, die ihrem Kind in Gambia droht, realistisch einzuschätzen und dürfte deshalb bei zu erwartenden Betreuungsengpässen nicht davor zurückschrecken, ihr derzeit erklärtermaßen aufgegebenes Vorhaben einer Verbringung des Kindes nach Gambia doch noch in die Tat umzusetzen. Dem ist nach § 1666 Abs. 1 BGB durch die erforderlichen Maßnahmen zu begegnen. Insoweit stellt sich die angeordnete teilweise Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts jedenfalls als einerseits gebotener, andererseits aber auch verhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht dar, um das Kind vor einem irreparablen Schaden seiner psychischen und physischen Unversehrtheit
zu bewahren. Dessen Interesse, seine Verwandten in Gambia zu besuchen, oder das Bedürfnis, der heimatlichen Kultur und Tradition verbunden zu bleiben, müssen dahinter zurücktreten. B. Rechtsbeschwerde des Ortsamtes 1. Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, weitere Maßnahmen zum Schutz des Kindes zu treffen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der vollständige Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Unterbringung des Kindes in einer deutschen Pflegefamilie seien unverhältnismäßig. 2. Demgegenüber bringt die Beschwerde des Ortsamtes vor: Der Teilentzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei nicht ausreichend, um die Gefahr der Genitalverstümmelung weitgehend zu verhindern. Die angeordnete Pflegschaft könne praktisch nicht verhindern, daß die Mutter oder ein Dritter das Kind über einen Mitgliedsstaat der EU nach Gambia verbringe. Sie könne sich in der jeweiligen gambischen Botschaft einen Ersatzpaß für J. anfertigen lassen, während das Original bei der Amtspflegerin hinterlegt bleibe. Die begründete Besorgnis ergebe sich daraus, daß die Mutter sowohl im Verfahren vor dem Amtsgericht als auch vor dem Oberlandesgericht nicht habe erkennen lassen, daß sie aufgrund eigener Überzeugung ihre Tochter vor einer drohenden Genitalverstümmelung schützen wolle bzw. könne. Diesem Einwand ist ein Erfolg nicht zu versagen. Es erscheint nicht fernliegend, daß die Mutter, von der nach Auffassung des Oberlandesgerichts zu besorgen ist, sie werde im Prüfungsdruck ihr Kind doch noch nach Gambia verbringen, sich über die bisher getroffenen Maßnahmen hinwegsetzt und von dem von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Weg Gebrauch macht. Ziel der Maßnahmen nach § 1666 BGB muß aber die effekti-
ve Gefahrenabwehr für das Kind sein. Zwar steht jeder Eingriff in das Elternrecht unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere ist eine Trennung des Kindes von seinen Eltern nur dann zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666 a Abs. 1 Satz 1 BGB). Damit, daß das Berufungsgericht als weitergehende Maßnahmen von vornherein aber nur die vollständige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Verbindung mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie erwogen hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, die Geeignetheit anderer, weniger gravierender Maßnahmen in seine Beurteilung einzubeziehen und in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt auch die Möglichkeit öffentlicher Hilfen, etwa im Sinne einer beaufsichtigenden Pflegschaft , zu prüfen, um auf diesem Weg einen auch tatsächlich wirkungsvollen Schutz des Kindes zu gewährleisten. 3. Da das Oberlandesgericht somit von seinem Auswahlermessen (vgl. hierzu Staudinger/Coester aaO § 1666 Rdn. 177) keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, kann die Entscheidung im Umfang der Anfechtung durch das Ortsamt keinen Bestand haben. Der Beschluß ist insoweit aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit es die unterlassene Prüfung, welche weitergehenden Maßnahmen zu ergreifen sind, in tatrichterlicher Verantwortung nachholen kann. Im weiteren Verfahren wird das Ortsamt
auch Gelegenheit haben, das Begehren zu wiederholen, der Mutter möge aufgegeben werden, das Kind regelmäßig einem Kinderarzt vorzustellen (vgl. zu entsprechenden Auflagen etwa Children's Protection Act 1993 - South Australia
).
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht.
(2) Die Maßnahme kann einen bestehenden Zustand sichern oder vorläufig regeln. Einem Beteiligten kann eine Handlung geboten oder verboten, insbesondere die Verfügung über einen Gegenstand untersagt werden. Das Gericht kann mit der einstweiligen Anordnung auch die zu ihrer Durchführung erforderlichen Anordnungen treffen.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindeseltern wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel vom 20. Januar 2014 aufgehoben.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für den ersten Rechtszug und das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtlichen Kosten für den ersten Rechtszug und das Beschwerdeverfahren werden zwischen den Beteiligten nicht erstattet.
Gründe
I.
- 1
Die Kindeseltern wenden sich mit ihrer Beschwerde jeweils gegen den Entzug ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts im einstweiligen Anordnungsverfahren für das gemeinsame Kind A., geb. am 16. Oktober 2005.
- 2
Der am 30. September 1961 geborene Kindesvater und die am 1. April 1973 geborene Kindesmutter führen eine langjährige Beziehung. Ihnen steht die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind A. gemeinsam zu.
- 3
Der Kindesvater arbeitet vormittags stundenweise als Gebäudereiniger. Die Kindesmutter ist derzeit arbeitssuchend. Es wird vom Arbeitsamt derzeit überprüft, ob und wenn ja, in welchem Umfang sie noch arbeitsfähig ist. Die Familie erhält ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Sie lebt in einer 3-Zimmer-Wohnung in Kiel - Wellsee.
- 4
Sowohl die Kindesmutter wie auch der Kindesvater haben in der Vergangenheit Drogen- und Alkoholmissbrauch betrieben. Die Kindesmutter wird derzeit in der Praxis L. substituiert. Die Kindesmutter hatte ihre letzte Entgiftung im Zeitraum 21. Januar 2014 bis zum 6. Februar 2014.
- 5
Das Kind A. besucht derzeit die Grundschule in K. . Die Kindeseltern haben noch einen zweiten Sohn namens S., geb. am 11. September 2009, der nach der Geburt zunächst bei der Großmutter mütterlicherseits und seit Mai 2010 bei der Schwester der Mutter im Rahmen einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII betreut wird.
- 6
Zur Vorgeschichte ist weiter Folgendes auszuführen:
- 7
Am 8. Oktober 2010 gab es bei den Kindeseltern einen polizeilichen Einsatz aufgrund einer Meldung aus der Nachbarschaft. Eine Nachbarin meldete sich bei der Polizei und berichtete, dass die Kindesmutter mit A. draußen gewesen sei und einen so betrunkenen Eindruck mache, dass sie das Kind nicht altersangemessen betreuen könne. Die Eltern konnten von der Polizei anschließend zu Hause angetroffen werden. Durchgeführte Atemalkoholkontrollen ergaben bei der Kindesmutter einen Wert von 0,75 Promille; bei dem Kindesvater einen Wert von über 1 Promille. Im September/Oktober 2010 wurden aufgrund der eingehenden Meldungen dann vermehrt Gespräche mit den Kindeseltern von Seiten des Jugendamtes geführt. Die Kindesmutter wirkte bei den Gesprächen, die meist nachmittags stattfanden, auffallend müde, unkoordiniert in ihren Bewegungsabläufen. Auch von Seiten der Kindertagesstätte wurde auf einen stark verschlechterten Zustand des Kindes hingewiesen. So erschien das Kind zum damaligen Zeitpunkt stark verängstigt und auffällig. Weiterhin wirkte es verwahrlost.
- 8
Am 26. November 2010 wurde das Kind vom Jugendamt in Obhut genommen. Es erging ein Beschluss im einstweiligen Anordnungsverfahren, nach dem den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen wurde. Am 29. Februar 2011 wurde das Kind in die Familie zurückgeführt. Der Familie wurde zur Unterstützung Hilfe zur Erziehung in Form einer intensiven sozialpädagogischen Familienhilfe bewilligt. Die Kindesmutter wurde daraufhin im Laufe eines halben Jahres mehrfach rückfällig bezüglich des Alkoholmissbrauchs. Ein Entgiftungsversuch führte nur kurz zum Erfolg.
- 9
Im September 2011 lebte das Kind A. zwei Tage bei seiner Tante und danach bei einer befreundeten Familie, da der Kindesvater ins Krankenhaus musste und die Kindesmutter eine erneute Entgiftung und Therapie machte. Am 1. März 2012 kehrte A. in den elterlichen Haushalt zurück. Bis Mitte September 2012 wurde die Familie für zwei Stunden in der Woche von einer sozialpädagogischen Familienhilfe betreut. Im Rahmen dieser Hilfe stabilisierte sich die Situation zunächst, so dass die Familienhilfe beendet werden konnte.
- 10
Am 17. Oktober 2013 kam es erneut zu einer Gefährdungsmeldung, in welcher von einem starken Alkoholkonsum beider Eltern, der Verwahrlosung von A. und häuslicher Gewalt berichtet wurde. Ende August 2013 gab es dann einen Polizeieinsatz in K., bei dem die Kindesmutter betrunken und bewusstlos auf der Straße aufgefunden und in die Ausnüchterungszelle gebracht wurde. Bei dem am gleichen Tage vorgenommenen Hausbesuch fanden die Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes der ….Stadt K. eine verwahrloste Wohnsituation vor.
- 11
Am 12. November 2013 kam es zu massiven Streitigkeiten zwischen den Kindeseltern, so dass das Kind Hilfe wollte. Am 29. November 2013 gab es eine Meldung der Grundschule in W., dass das Kind A. einen verwahrlosten Eindruck mache. Es käme bezogen auf das Wetter mit unangemessener und Kleidung und rieche extrem stark.
- 12
Zur Ergänzung nimmt der Senat auf den ausführlichen Jugendamtsbericht vom 2. Januar 2014 Bezug.
- 13
Aufgrund einer Gefährdungsmeldung des Jugendamtes hat das Amtsgericht - Familiengericht - Kiel durch Beschluss vom 20. Januar 2014 den Kindeseltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf das Amt für Familie und Soziales der Landeshauptstadt K. als Ergänzungspfleger übertragen. In der Begründung hat das Familiengericht ausgeführt, dass die Anordnung erforderlich sei, um dem Jugendamt die Möglichkeit zu geben, kurzfristig einzugreifen, sobald es wieder zu einer erneuten Krise in der Familie komme.
- 14
Das Kind verblieb auch nach dem Erlass des Beschlusses durch das Familiengericht in der Obhut der Eltern. Das Familiengericht hat das Kind A. vor seiner Entscheidung nicht persönlich angehört.
- 15
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Kindeseltern jeweils mit ihrer Beschwerde.
- 16
Sie sind der Auffassung, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht eingehalten worden sei. Insbesondere bestehe keine akute Gefahr, so dass der Beschluss des Familiengerichts lediglich ein Vorratsbeschluss sei. Im Übrigen seien sie bereit und willens eine Sozialpädagogische Familienhilfe in Anspruch zu nehmen.
- 17
Die Kindeseltern beantragen jeweils,
- 18
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel vom 20. Januar 2014 aufzuheben.
- 19
Die übrigen Verfahrensbeteiligten haben keine förmlichen Anträge gestellt.
- 20
Im Termin vor dem Senat hat der Vertreter des Jugendamtes erklärt, dass eine akute Gefährdung derzeit nicht vorläge. Die Situation habe sich verbessert. Insbesondere erfolge eine Zusammenarbeit mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Angebotene Termine würden die Kindeseltern wahrnehmen. Derzeit würden von Seiten des Jugendamtes die Voraussetzungen einer Inobhutnahme nicht gesehen. Die Verfahrensbeiständin hat ergänzend ausgeführt, dass sowohl in der Schule wie auch im Hort alle Beteiligten auf Anzeichen für eine drohende Kindeswohlgefährdung achten würden und untereinander in Verbindung stehen würden.
- 21
Der Senat hat das Kind A. am 1. April 2014 persönlich im Beisein der Verfahrensbeiständin angehört. Weiterhin wurden die Kindeseltern persönlich, der Vertreter des Jugendamtes und die Verfahrensbeiständin im Termin persönlich angehört.
- 22
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Akteninhalt verwiesen.
II.
- 23
Die gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde der Kindeseltern hat in der Sache Erfolg.
- 24
Die einstweilige Anordnung, mit der den Kindeseltern vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind A. entzogen und auf das Amt für Familie und Soziales der Landeshauptstadt K. als Ergänzungspfleger übertragen worden ist, ist sachlich nicht gerechtfertigt.
1.
- 25
Zunächst hat das Familiengericht es verfahrensfehlerhaft unterlassen, gemäß § 159 Abs. 2 FamFG das Kind A. persönlich anzuhören.
- 26
Nach § 159 Abs. 2 FamFG ist das Familiengericht verpflichtet, das Kind persönlich, also mündlich, anzuhören, wenn die Neigungen, Bindung oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dies ist in der Regel der Fall bei Verfahren gemäß §§ 1666, 1666 a BGB (Keidel/Engelhard, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 159 Rn. 8). Diese Verpflichtung zur Anhörung gilt auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung (MüKo/Schumann, FamFG, 2. Aufl. 2013, § 159 Rn. 3). Dafür spricht insbesondere die Regelung des § 159 Abs. 3 S. 2 FamFG, nach der bei der typischerweise im Rahmen von einstweiligen Anordnungsverfahren vorliegenden Gefahr im Verzug, die Anhörung unverzüglich nachzuholen ist. In diesem Zusammenhang ist eine persönliche Anhörung auch bei kleineren Kindern, etwa ab einem Alter von drei Jahren, erforderlich (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1622; OLG Hamm FamRZ 2011, 55).
- 27
Nach § 159 Abs. 3 Satz 1 FamFG darf das Gericht nur aus schwerwiegenden Gründen von der nach § 159 Abs. 1 oder Abs. 2 FamFG grundsätzlich gebotenen Anhörung absehen. Solche schwerwiegenden Gründe sind hier weder vom Familiengericht dargelegt noch für den Senat ersichtlich.
- 28
Der Senat hat im Beschwerdeverfahren die persönliche Anhörung des Kindes A. nachgeholt.
2.
- 29
In der Sache liegen die Voraussetzungen für einen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts gemäß §§ 1666, 1666 a BGB im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 49 FamFG nicht vor.
- 30
Ein Eingriff in die Personensorge setzt nach §§ 1666, 1666 a BGB das Vorliegen einer erwiesenen Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls voraus und den Umstand, dass die Eltern nicht bereit oder nicht in der Lage sind, diese Gefahr von dem Kind abzuwenden. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt dann vor, wenn eine gegenwärtig in einem solchen Maß vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Palandt/Götz, BGB, 73. Auflage 2014, § 1666 Rn. 8).
- 31
Einstweilige Anordnungen können gemäß § 49 FamFG ergehen, wenn sie nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Einschreiten besteht. An den Entzug des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung sind angesichts der Regelungen der §§ 1666, 1666 a BGB vor dem Hintergrund des Elternrechts aus Art. 6 GG hohe Anforderungen zu stellen. Je einschneidender eine Maßnahme ist, umso höher sind die Anforderungen an das Bedürfnis einer Regelung im Wege der einstweiligen Anordnung (BayOblG FamRZ 1997, 387).
- 32
Für die leiblichen Eltern ist die Trennung von ihrem Kind der stärkste vorstellbare Eingriff in ihr Elternrecht, der nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfG, Beschluss vom 24.3.2014 - Az. 1 BvR 160/14 -, juris; BVerfG FamRZ 2002, 1021).
- 33
Eine solche vorläufige Maßnahme kommt nur dann in Betracht, wenn sie zum Wohle der Kinder unumgänglich und die Sache derart eilbedürftig ist, dass sie bereits im Wege der vorläufigen Anordnung getroffen werden muss (vgl. OLG Jena FamRZ 2006, 280). Dies kommt regelmäßig bei unmittelbaren Gefahren für das körperliche oder seelische Wohl der Kinder wie z. B. Verwahrlosung, Missbrauch, Kindesmisshandlung in Betracht, denen durch sofortige Maßnahmen begegnet werden muss, (Kammergericht, FamRZ 2010, 1749 Rn. 5; OLG Jena FamRZ 2006, 280). Im Ergebnis kommt ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Wege der einstweiligen Anordnung nur bei akuten und unmittelbar bestehenden bzw. bevorstehenden erheblichen Gefährdungen des Kindeswohls in Betracht, bei denen ein Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann (vgl. BVerfG ZKJ 2011, 133; EGMR FamRZ 2005, 585).
- 34
Daraus folgt auch, dass sogenannte „Vorratsbeschlüsse“ rechtlich nicht statthaft sind. Denn insoweit fehlt es an einer akuten und unmittelbaren Gefährdung des Kindes, welche ein sofortiges Handeln notwendig macht. Ebenso reicht für den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts keine latente Kindeswohlgefährdung aus, da dieser regelmäßig durch ein entsprechendes Hauptsacheverfahren entgegengewirkt werden kann.
3.
- 35
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für einen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Wege der einstweiligen Anordnung nicht vor.
- 36
Dagegen spricht schon die Begründung des Familiengerichts, nach der die einstweilige Anordnung dazu dienen soll, um für den Fall weiterer krisenhafter Zuspitzungen ein sofortiges Eingreifen des Jugendamtes möglich zu machen. Daraus folgt, dass das Familiengericht selbst nicht von einer akuten und unmittelbaren Gefährdung des Kindes ausgegangen ist.
- 37
Weiter dagegen spricht, dass das Kind nach der fachlichen Einschätzung des Jugendamtes zunächst weiter in der Obhut der Kindeseltern belassen werden konnte. Wenn und soweit das Kind mangels akuter und konkreter Gefährdung nach dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts im einstweiligen Anordnungsverfahren weiter in der Obhut der Kindeseltern verbleibt, spricht dies regelmäßig dafür, dass für eine solche Eilmaßnahme i.S.d. § 49 FamFG kein dringendes Bedürfnis bestand.
- 38
Im Übrigen verstieße eine solche einstweilige Anordnung auch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, da sie nicht geeignet wäre, um eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Denn eine Entziehung und Übertragung des Sorgerechts für ein Kind ist grundsätzlich nur dann anzuordnen, wenn der Ergänzungspfleger mithilfe des übertragenen Sorgerechts konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation des Kindes einleiten, d.h. den als gefährlich definierten Zustand beenden oder wenigstens zu seiner Beendigung beitragen kann (BVerfG, Beschluss vom 17.03.2014 - 1 BvR 2695/13 -, juris; BGH NJW - RR 1986, 1264 Rn. 17ff). Bei der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist diese konkrete Maßnahme regelmäßig eine Ortsveränderung des Kindes, um dadurch eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Dies war und ist allerdings weder vom Ergänzungspfleger beabsichtigt, noch Zielrichtung des familiengerichtlichen Beschlusses gewesen.
- 39
Zwar geht der Senat davon aus, dass ein massiver Alkohol- und Drogenmissbrauch durch die Kindeseltern eine latente Gefährdung für das Kindeswohl darstellt (vgl. Berzewski, Suchterkrankungen, FPR 2003, 312 ff.). Wie schwerwiegend diese Gefährdung ist und ob ihr nicht ggf. durch mildere Maßnahmen entgegengewirkt werden kann, bedarf einer Aufklärung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens.
- 40
Auch aus den im Beschwerdeverfahren zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnissen ergibt sich keine akute und unmittelbare Gefährdung des Kindeswohls.
- 41
Nach übereinstimmenden Berichten des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin hat sich die Situation im Haushalt der Kindeseltern gebessert. Insbesondere ist die Wohnung nicht mehr verwahrlost und es kommt derzeit nicht zu massivem Alkoholmissbrauch. Auch arbeiten die Kindeseltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe zusammen. Der regelmäßige Schulbesuch des Kindes ist gewährleistet und es kann durch die Pädagogen in der Schule und die zuständigen Mitarbeiter im Hort unmittelbar auf eine krisenhafte Zuspitzung reagiert werden.
4.
- 42
Im Übrigen bedürfte es keiner vorsorglichen Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, damit das Jugendamt tätig werden kann.
- 43
Insbesondere hat das Jugendamt nach § 42 SGB VIII die Befugnis und die Verpflichtung, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen das Kind vorläufig in Obhut zu nehmen. Selbst bei einem Widerspruch der Personensorgeberechtigten ist eine Inobhutnahme solange möglich, wie die notwendige familiengerichtliche Entscheidung nicht eingeholt werden kann. Das Jugendamt ist nach § 42 SGB VIII bei Vorliegen der Voraussetzungen berechtigt und verpflichtet, das Kind vorläufig unterzubringen (MüKo/Tillmanns, BGB 6. Aufl. 2012, § 42 SGB VIII Rn. 7). Eine insoweit notwendige familiengerichtliche Entscheidung kann dann unverzüglich nachgeholt werden.
5.
- 44
Von der Anordnung von Auflagen gemäß § 1666 Abs. 3 BGB hat der Senat abgesehen, da die Kindeseltern im Anhörungstermin glaubhaft ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe erklärt haben und nach Aussagen des Jugendamtes dies derzeit auch der Fall ist. Allerdings weist der Senat die Kindeseltern darauf hin, dass sie weiter im Interesse des Kindes alle angebotenen Hilfsmaßnahmen wahrnehmen sollten, um eine erneute krisenhafte Zuspitzung der Situation zu vermeiden.
- 45
Die Kostenentscheidung folgt aus § 20 FamGKG i.V.m. § 81 FamFG.
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Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, § 70 Abs. 4 FamFG.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Das Kind ist, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten.
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
(2) Das Kind hat ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen.
(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
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Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, - 2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, - 3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält, - 4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen, - 5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge, - 6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.
(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Wird einem Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der vom Kind mitbewohnten oder einer anderen Wohnung untersagt, ist bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme auch zu berücksichtigen, ob diesem das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zusteht, auf dem sich die Wohnung befindet; Entsprechendes gilt für das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht, das dingliche Wohnrecht oder wenn der Elternteil oder Dritte Mieter der Wohnung ist.
(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
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der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
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Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.