Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Jan. 2016 - L 17 U 30/06

ECLI:ECLI:DE:LSGNRW:2016:0113.L17U30.06.00
bei uns veröffentlicht am13.01.2016

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.11.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Jan. 2016 - L 17 U 30/06

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Jan. 2016 - L 17 U 30/06

Referenzen - Gesetze

Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Jan. 2016 - L 17 U 30/06 zitiert 20 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 8 Arbeitsunfall


(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem G

Zivilprozessordnung - ZPO | § 227 Terminsänderung


(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht1.das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 44 Ablehnungsgesuch


(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. (2) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nic

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 7 Begriff


(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. (2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 60


(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend. (2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 114


(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist. (2) Hängt die Entscheidung de

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 120


(1) Die Beteiligten haben das Recht der Einsicht in die Akten, soweit die übermittelnde Behörde dieses nicht ausschließt. Beteiligte können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen las

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Jan. 2016 - L 17 U 30/06 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Jan. 2016 - L 17 U 30/06 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2007 - V ZB 3/07

bei uns veröffentlicht am 21.06.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 3/07 vom 21. Juni 2007 in der Zwangsversteigerungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 47 Abs. 2; ZVG § 83 Nr. 6 a) § 47 Abs. 2 ZPO erlaubt nicht den Erlass einer Endentscheidung. b) D

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 23. Juni 2015 - L 8 SO 50/13

bei uns veröffentlicht am 23.06.2015

Tenor I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 8. Februar 2013 wird zurückgewiesen. II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. III. Die Revision wi

Bundessozialgericht Beschluss, 31. Aug. 2015 - B 9 V 26/15 B

bei uns veröffentlicht am 31.08.2015

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 16. April 2015 wird als unzulässig verworfen.

Bundesfinanzhof Beschluss, 10. März 2015 - V B 108/14

bei uns veröffentlicht am 10.03.2015

Tenor Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 25. Juli 2014  6 K 940/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Landessozialgericht NRW Urteil, 12. Nov. 2014 - L 17 U 189/10

bei uns veröffentlicht am 12.11.2014

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.01.2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. 1Tatbestand: 2Streitig

Landessozialgericht NRW Urteil, 15. Okt. 2014 - L 17 U 709/11

bei uns veröffentlicht am 15.10.2014

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.11.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen 1Tatbestand: 2Streitig ist, ob der Kläger von

Bundessozialgericht Urteil, 24. Juli 2012 - B 2 U 23/11 R

bei uns veröffentlicht am 24.07.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landess

Bundessozialgericht Urteil, 15. Mai 2012 - B 2 U 31/11 R

bei uns veröffentlicht am 15.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückve

Bundessozialgericht Urteil, 31. Jan. 2012 - B 2 U 2/11 R

bei uns veröffentlicht am 31.01.2012

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 20. Juli 2010 - B 2 U 17/09 R

bei uns veröffentlicht am 20.07.2010

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.

(4) (weggefallen)

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 8. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des von der Beklagten an die Klägerin zu erbringenden Pflegegeldes nach dem 7. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die 1938 geborene und unter Betreuung ihres Sohnes stehende Klägerin ist bosnische und kroatische Staatsangehörige und bezieht seit 1993 staatliche Fürsorgeleistungen (zunächst nach dem AsylbLG, später nach dem BSHG und dem SGB XII). Seit 2006 erhält sie laufend Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII). Die Klägerin ist schwerbehindert, ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „B“, „G“ und ab 19.03.2009 „aG“ wurden zuerkannt; mit Bescheid vom 05.11.2014 auch noch die Merkzeichen H und RF.

Die Versorgung der Klägerin im Krankheitsfall wurde von der Beklagten zunächst durch Krankenhilfeleistungen nach den Vorschriften des BSHG sichergestellt. Ab dem 01.01.2004 bis 31.12.2011 bestand bei der AOK A-Stadt im Rahmen eines Auftragsverhältnisses Versicherungsschutz. Zum 01.01.2012 ist die Klägerin - wiederum im Rahmen eines Auftragsverhältnisses nach § 264 SGB V - zur Barmer GEK gewechselt und dort statusversichert. Die Klägerin ist weder Mitglied in einer gesetzlichen noch einer privaten Pflegeversicherung. Zuletzt war die Klägerin im April 2015 rückwirkend ab 01.08.2014 in der Familienversicherung über die bosnisch-herzegowinischen Krankenversicherung ihres Ehemannes versichert ist (Schreiben Beklagte an die Klägerin vom 22.04.2015 und vom 27.04.2015, Schreiben der Barmer GEK vom 26.05.2015 im Beschwerdeverfahren L 4 KR 65/15 B ER). Die Barmer GEK gewährt rückwirkend ab 01.08.2014 Leistungsaushilfe im Auftrag der bosnischen Krankenversicherung. Eine Absicherung im Bereich der Pflegeversicherung besteht über den bosnisch-herzegowinischen Sozialversicherungsträger nicht.

Mit Schreiben vom 30.01.2008 beantragte der Sohn und Betreuer der Klägerin formlos die Gewährung von Hilfe zur Pflege. Daraufhin beauftragte die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenkassen in B. (MDK), ein Gutachten über die Pflegebedürftigkeit der Klägerin zu erstellen. Mit Gutachten vom 25.03.2008 stellte der MDK fest, dass ein Hilfebedarf von 49 min täglich für Zeiten der Grundpflege und ein Zeitaufwand von 45 min täglich für die hauswirtschaftliche Versorgung der Klägerin bestünden. Eine wesentliche Störung der Alltagskompetenz liege nicht vor. Eine Nachbegutachtung wurde für 09/2008 empfohlen.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 01.04.2008 für die Zeit ab 07.02.2008 Pflegegeld nach der Stufe 1 in Höhe von 205 € monatlich. Hiergegen erhob der Betreuer der Klägerin am 15.04.2008 Widerspruch. Die Klägerin sei in größerem Umfang auf die Hilfe einer Pflegeperson angewiesen, derzeit leiste er die Pflege allein.

Am 16.06.2008 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid und gewährte der Klägerin für die Zeit ab 01.07.2008 ein Pflegegeld in Höhe von 215 € monatlich. Auch gegen diesen Bescheid legte der Betreuer der Klägerin mit Schreiben vom 15.07.2008 Widerspruch ein.

Am 06.03.2009 übersandte der seinerzeit bevollmächtigte Rechtsanwalt eine umfassende Widerspruchsbegründung zur Pflegesituation (mit 57 medizinischen Anlagen). Die festgestellte Pflegestufe sei zu überprüfen; die angegriffenen Bescheide basierten auf einer unzureichenden und falschen Tatsachengrundlage.

Das zweite Gutachten des MDK vom 26.05.2009 kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Zeitaufwand für die Grundpflege in Höhe von 92 min täglich und ein Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung im Umfang von 45 min täglich erforderlich seien. Aufgrund des geringen zeitlichen Aufwandes für die gesamte pflegerische Versorgung der Klägerin, sei aber weiterhin nur eine Einstufung in die Pflegestufe I möglich. Gleichwohl sei ein Fortschreiten der Demenzerkrankung erkennbar. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei in erhöhtem Maße eingeschränkt.

Am 18.06.2009 erhob der Betreuer der Klägerin „Untätigkeitsklage“ zum Sozialgericht Regensburg (SG, S 4 SO 40/09).

Die E. wies die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide 01.04.2008 und 16.06.2008 mit zurück. Der Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin ergebe sich aus den beiden Gutachten des MDK.

Am 30.11.2009 hat die damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage zum SG (S 4 SO 91/09) erhoben. Der Klägerin sei ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „B“, „G“ und „aG“ zuerkannt worden. Die Vielzahl von Gesundheitsstörungen lasse es gerechtfertigt erscheinen, Leistungen der Pflegestufe III zu gewähren.

Mit Änderungsbescheid vom 01.12.2009 hat die Beklagte ein Pflegegeld für die Zeit ab 01.01.2010 in Höhe von 225 € monatlich gewährt. Seit 01.01.2012 gewährt die Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von 235 € monatlich; einen dies ausdrücklich umsetzenden Bescheid hat die Beklagte gleichwohl nicht erlassen.

Das SG hat zwei Gutachten bei dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Sozialmedizin, Umweltmedizin Dr. med. J. E. jeweils nach Hausbesuchen bei der Klägerin, eingeholt.

Im ersten Gutachten vom 05.07.2011 listete der Sachverständige als pflegerelevante Gesundheitsstörungen auf: dementielles Syndrom mit Gangunsicherheit und Blaseninkontinenz, chronische Depressionen mit Antriebsarmut, Ernährungsstörung im Rahmen der Demenz und der Depression sowie Beinkrampfadern mit Ödembildung an den Unterschenkeln. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass der anrechenbare Zeitaufwand für die Grundpflege (Körperpflege, Darm- und Blasenentleerung, Ernährung, Mobilität) bei etwa 142 min täglich liege und der zeitliche Aufwand für die gesamte pflegerische Versorgung - welche die hauswirtschaftliche Versorgung mit einschließe - bei etwa 202 min pro Tag liege. Der Übergang von Pflegestufe I zu Pflegestufe II habe zwischen März 2008 und Mai 2009 stattgefunden; es biete sich an, als Beginn des Vorliegens von Pflegestufe II den Februar 2009 als Stichtag heranzuziehen.

Das zweite - unter dem 29.10.2012 erstellte - Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass zwar eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes und des dementiellen Syndroms bei der Klägerin festzustellen sei; hieraus aber eine wesentliche Änderung des zeitlichen Pflegebedarfes oder gar eine andere Pflegestufe nicht resultiere. Der zeitliche Aufwand für die gesamte pflegerische Versorgung der Klägerin liege bei etwa 200 min pro Tag.

Das SG hat durch Beschluss vom 05.09.2011 die Verfahren S 4 SO 40/09 und S 4 SO 91/09 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Gerichtsbescheid vom 8. Februar 2013 hat es die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.04.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2009 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 01.12.2009 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 01.02.2009 Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige (Stufe 2) zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen. Das SG hat die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach § 61 SGB XII und für einen Anspruch auf Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige nach § 64 Abs.2 SGB XII i.V.m § 37 Abs. 1 S.3 Nr. 2 SGB XI ab 01.02.2009 bejaht und ist dabei den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. E. gefolgt. Das SG ist von einem täglichen Grundpflegebedarf von 140 - 142 Minuten und einem Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung von 60 Minuten ausgegangen.

Gegen den am 20.02.2013 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 14.03.2013 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Es sei davon auszugehen, dass ein weiterer Pflegeaufwand im Umfang von 40 min täglich bestehe. Der zweite Bevollmächtigte der Klägerin hat in der ergänzenden Berufungsbegründung vom 25.03.2014 einen Grundpflegeaufwand von 250 Minuten geltend gemacht und dabei Angaben der Pflegerin Frau J. und des Betreuers zugrunde gelegt.

Die Klägerin beantragt;

die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 8. Februar 2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 01.04.2008, in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2009 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 01.12.2009 und des Bescheides vom 04.03.2013 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab 01.02.2009 Pflegegeld für Schwerstpflegebedürftige zu gewähren.

Am 11.02.2015 hat der Betreuer der Klägerin außerdem beantragt,

der Klägerin Schmerzensgeld, Schadensersatz, Opfergeld nach OEG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der vom Betreuer vorgenommenen Klageänderung hat die Beklagte am 04.03.2015 ausdrücklich widersprochen.

Mit Änderungsbescheid vom 04.03.2013 hat die Beklagte den Bescheid vom 01.12.2009 aufgehoben und der Klägerin ab 01.03.2013 ein Pflegegeld in Höhe von 440 € monatlich gewährt. Für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 28.02.2013 hat die Beklagte der Klägerin 10.045 € als Pflegegeld nachgezahlt.

Mit Beschluss vom 11.09.2014 hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwälte H., E., G., F-Stadt beigeordnet. Die Beiordnung hat der Senat mit Beschluss vom 12.03.2015 auf Antrag der beigeordneten Rechtsanwälte wieder aufgehoben.

Der Senat hat ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Hausbesuch von Dr. D., vom 29.12.2014 eingeholt. Dieser kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Pflegeaufwand von 161 min pro Tag für Körperpflege, Ernährung und Mobilität bestehe. Für hauswirtschaftliche Versorgung würden 60 min Pflege benötigt, so dass insgesamt ein täglicher Pflegeaufwand von 221 min vorliege. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei seit September 2008 in erhöhtem Maße eingeschränkt.

Der Betreuer der Klägerin hat das Gutachten von Dr. D. durch die Pflegerin Frau J. handschriftlich kommentieren lassen und einen höheren Pflegeaufwand geltend gemacht.

Der Beklagte hat auf Nachfrage des Senats ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf ein nach § 123 SGB XI erhöhtes Pflegegeld wegen der Einschränkung der Alltagskompetenz habe, weil dieser Anspruch nach § 123 SGB XI nur gesetzlich Pflegeversicherten zustünde und nicht zu einer Ausweitung des sozialhilferechtlichen Pflegeanspruches führe. Dies ergebe sich aus der Rechtssystematik, der amtlichen Begründung zu § 124 SGB XI und aus dem gesetzgeberischen Willen (vgl. Schreiben des BMAS vom 24.06.2013).

Zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45 a SGB XI seien nicht Gegenstand eines weiterverfolgten weiteren Verwaltungsverfahrens geworden. Der Betreuer der Klägerin habe diese Leistungen am 19.12.2008 beantragt. Die Beklagte habe die Klägerin mit Schreiben vom 19.01.2009, 15.06.2009 darüber informiert, dass die Leistungen nur zweckgebunden für qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen gewährt werden könnten. In einem weiteren Informationsschreiben an die damalige Bevollmächtigte vom 02.07.202009 seien die Voraussetzungen der Leistungen erläutert worden. Den gegen das Infoschreiben erhobenen Widerspruch habe die Bevollmächtigte am 31.08.2009 wieder zurückgenommen. Die Beklagte gehe daher davon aus, dass der ursprüngliche Antrag nicht weiterverfolgt worden sei. Im Übrigen seien keinerlei Rechnungen über entsprechende qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen eingereicht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 8. Februar 2013 ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf ein höheres Pflegegeld für die Zeit ab 01.02.2009 zu.

2. Der Senat durfte in seiner nach Geschäftsverteilungsplan A 2015 geregelten Besetzung mit der dort vorgesehenen Vertreterin über die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Regensburg vom 08.02.2013 entscheiden. Das Befangenheitsgesuch vom 22.06.2015, eingegangen bei LSG am 23.06.2015 um 11:06 h war unzulässig und offensichtlich missbräuchlich. Einer gesonderten Entscheidung über das Befangenheitsgesuch bedurfte es nicht (Keller in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 11. Auflage, § 60 Rn. 10 e).

Über ein offensichtlich unzulässiges und rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch können Gerichte unter Beteiligung der abgelehnten Richter entscheiden. Das Verbot der Selbstentscheidung (§§ 60 Abs. 1 SGG, 45 I ZPO) gilt insoweit nicht (vgl. BAG, Beschl. v. 7.2.2012 - 8 AZA 20/11).

Eine Ausnahme von dem in § 45 ZPO verankerten Verbot der Selbstentscheidung gilt für rechtsmissbräuchliche Ablehnungsanträge, welche offensichtlich und ausschließlich zur Prozessverschleppung oder zur Verfolgung anderer verfahrensfremder Zwecke gestellt werden (BeckOK ZPO § 45, Rn. 7 Autor: Vossler Beck’scher Online-Kommentar ZPO Hrsg: Vorwerk/Wolf, Stand: 01.03.2015, BGH NJW-RR 2005, 1226; OLG Karlsruhe MDR 2014, 242, OLG Köln JMBl NW 2009, 89; BAG NJW 2012, 1531; Musielak/Heinrich ZPO § 45 Rn. 3; Zöller/Vollkommer ZPO § 45 Rn. 4; Ghassemi-Tabar/Nober NJW 2013, 3686 f.). Ein offensichtlich unzulässiges und rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch liegt jedenfalls dann vor, wenn nicht erkennbar ist, dass das Gesuch überhaupt auf einen Grund gestützt werden soll, der die Besorgnis der Befangenheit auslösen und einen Ablehnungsgrund darstellen könnte.

An die Offensichtlichkeit des Rechtsmissbrauchs sind (vgl. dazu die Einschätzung des Gesetzgebers in § 26a StPO, BVerfG NJW 2005, 3410) strenge Maßstäbe anzulegen. Eine Selbstentscheidung ist daher nur zulässig, wenn die Begründung des Ablehnungsersuchens jeder Substanz entbehrt, so dass seine Verwerfung ein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand nicht erfordert. Ist dies nicht der Fall, kommt eine Selbstentscheidung nicht in Betracht, da sich der abgelehnte Richter über eine bloße formale Prüfung hinaus durch die inhaltliche Entscheidung eines gegen ihn gerichteten Ablehnungsantrags nicht zum Richter in eigner Sache machen darf.

Bei Anträgen ohne oder mit nur substanzloser Begründung ohne hinreichenden Bezug zum konkreten Rechtstreit (Musielak/Heinrich ZPO § 45 Rn. 3) - wie hier - ist eine Selbstentscheidung geboten. Es wird kein Ablehnungsgrund genannt. Ein solcher muss aber gem. § 42 Abs. 1 i. V. m. § 44 Abs. 2 S. 1 ZPO vorgebracht werden. Einem fehlenden Ablehnungsgrund steht es gleich, wenn die Begründung zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist (BVerfG 2.6.05, 2 BvR 625/01, NJW 05, 3410, 3412; Ghassemi-Tabar/Nober NJW 13, 3686, 3687), z. B. wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG NJW 97, 3327). Dies ist etwa der Fall, wenn der Beteiligte nur Wertungen ohne tatsächliche Substanz vorbringt.

Die Klägerin lehnt hier alle Richter in den Verfahren L 8 SO 3/13, L 8 SO 63/13, L 8 SO 50/13 und L 8 SO 51/13 ab und „weist reine deutsche Richter ausdrücklich zurück“. Es gäbe genügend andere EU Richter, die nicht reiner deutscher Herkunft seien, die entscheiden könnten sowie an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen könnten. Der Wunsch der Klägerin, die Richterbank nach bestimmten Nationalitäten zu besetzen, ist ein völlig ungeeigneter und nicht substantiierter Vortrag. Die Klägerin stellt ihren Befangenheitsantrag zudem unzulässiger Weise unter eine innerprozessuale Bedingung. So wird der Befangenheitsantrag gestellt, falls das Gericht die Absicht habe, die Verfahren abzuhandeln.

Damit nennt die Klägerin keinen Ablehnungsgrund i. S. § 42 Abs. 1, 2 ZPO. Das Gesuch ist rechtsmissbräuchlich und wird allein in Verschleppungsabsicht gestellt, weil die Klägerin mit dem Gesuch ausschließlich die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Sie versucht damit, den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu verhindern und verfolgt verfahrensfremde Zwecke. Die Klägerin, die im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren schon durch eine Vielzahl von Prozessbevollmächtigten vertreten war, zu denen das Mandatsverhältnis immer wieder nachhaltig gestört war und beendet wurde, versucht, einem weiteren Bevollmächtigten ein Mandat zu erteilen, der dies aber schon abgelehnt hat. Einen Verlegungsantrag nach § 202 SGG, § 227 Abs. 1 ZPO hat die Klägerin nicht gestellt.

3. Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2015 auch in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da dem Betreuer der Klägerin mit Postzustellungsurkunde vom 02.06.2015 ordnungsgemäß der Termin mitgeteilt wurde und in der Terminsmitteilung darauf hingewiesen wurde, dass im Falle eines Ausbleibens ein Urteil nach Lage der Akten ergehen könne (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Dass der Betreuer Kenntnis vom Termin hatte, ergibt sich zudem aus seinen Schreiben vom 22.06.2015, 20.06.2015 und 17.06.2015.

Die Terminsmitteilung (mit dem Hinweis auf § 110 SGG) wurde auch dem neuen Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des neuen Bevollmächtigten vom 21.05.2015. Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 19. Mai 2015 auf deren Antrag den neuen Bevollmächtigten im Rahmen der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe beigeordnet. Der neue Bevollmächtigte wurde am 18.06.2015 auch vom Betreuer der Klägerin bevollmächtigt.

4. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 8. Februar 2013 ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf ein höheres Pflegegeld für die Zeit ab 01.02.2009 zu.

Gegen die Entscheidung des SG vom 8. Februar 2013 ist die Berufung zulässig, da sie nach § 144 Abs. 1 S. 1 SGG nicht ausgeschlossen ist (§ 143 SGG). Die Klägerin begehrt für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr laufenden höhere Geldleistungen, so dass die Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGG statthaft ist. Die Berufung ist zulässig und form- und fristgemäß eingelegt (§ 151 SGG).

5. Streitgegenständlich ist das mit der Berufung geltend gemachte Pflegegeld nach der Pflegestufe III für die Zeit ab 01.02.2009.

6. Soweit die Klägerin mit der Berufung auch einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen eines vermeintlichen Vertrauensschadens und einer Amtspflichtverletzung

geltend macht, handelt es sich um eine unzulässige Klageänderung im Berufungsverfahren, weil sich weder die Beklagte darauf eingelassen hat (vgl. Schreiben vom 04.03.2015) noch der Senat die Klageänderung für sachdienlich hält (§ 99 Abs. 1 SGG).

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 04.03.2015 einer diesbezüglichen Klageänderung ausdrücklich widersprochen.

Damit liegt auch keine zulässige, in der Berufungsinstanz erstmals erhobene Klage auf Schadensersatz aus Amtshaftung vor, die vom anhängigen Verfahren abzutrennen und als erstinstanzliche Klage in der Berufungsinstanz zu erfassen wäre (BSG, Urteil vom 28.03.2000, Az.: B 8 KN 3/98 UR, Rz. 12, Bayer. LSG Beschluss vom 24.11.2014, L 7 SF 250/14 KL, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -). Ein solche würde voraussetzen, dass ein Fall des § 99 Abs. 3 Nr. 3 GG vorläge, der kraft gesetzlicher Fiktion nicht als Klageänderung anzusehen ist. Hier macht die Klägerin aber unverändert auch noch originäre Ansprüche auf höheres Pflegegeld weiter neben vermeintlichen Schadensersatzansprüchen geltend.

Ein Ausnahmefall, der dem Senat über die Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG als Rechtsmittelgericht eine eigene Kompetenz geben könnte, über den Amtshaftungsanspruch zu entscheiden, liegt nicht vor, da in erster Instanz keine Entscheidung in der Hauptsache im Sinn von § 17a Abs. 5 GVG über den Amtshaftungsanspruch getroffen werden konnte und getroffen wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2012, Az.: B 13 R 473/11 B). Der Senat ist deshalb nicht verpflichtet, kraft eigener Kompetenz über die Amtshaftungsanspruch zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2010, Az.: B 13 R 63/10 B).

7. Streitgegenständlich sind nicht mehr die von der Klägerin ursprünglich angegriffenen Verwaltungsentscheidungen vom 01.04.2008, vom 16.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 28.10.2009 und vom 01.12.2009. Denn die Beklagte hat mit Änderungsbescheid vom 04.03.2013 den Bescheid vom 01.12.2009 für die Zeit ab 01.03.2013 aufgehoben und der Klägerin ab 01.03.2013 ein Pflegegeld in Höhe von 440 € monatlich gewährt. Für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 28.02.2013 hat die Beklagte der Klägerin 10.045 € als Pflegegeld entsprechend der Verurteilung im Gerichtsbescheid des SG vom 8. Februar 2008 nachgezahlt. Ihr Klageziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 SGG die auf die Gewährung eines höheren Pflegegeldes ab 01.02.2009 gerichtet ist. Die Beklagte hat der Klägerin mit den angegriffenen Bescheiden Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligt, zwischenzeitlich aber ab 01.02.2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe 2 gewährt.

8. Die Klägerin hat für die Zeit ab 01.02.2009 einen Anspruch auf Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige nach der Pflegestufe II. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe III für Schwerstpflegebedürftige.

a) Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum leistungsberechtigt im Sinne des § 61 Abs. 1 SGB XII. Danach erhalten Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege. Aufgrund der diagnostizierten Erkrankungen der Klägerin, die zuletzt in dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. D. vom 29.12.2014 bestätigt wurden (Demenz bei Alzheimer-Krankheit, Stuhlinkontinenz, Harninkontinenz, chronisch venöse Insuffizienz beider Beine, Schulterversteifung bds. bei Oberarmfraktur rechts, Arthrose beider Hüftgelenke, Arthrose beider Kniegelenke, Mangelernährung, degeneratives Wirbelsäulensyndrom) liegen damit Krankheiten und Behinderungen i. S. § 61 Abs. 3 Nrn. 1-3 SGB XII vor, wegen der die Klägerin der Hilfe bei den gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 61 Abs. 5 SGB XII) dauerhaft bedarf.

Die Klägerin ist auch nicht pflegeversichert und hat demnach keinen Anspruch auf (vorrangige) Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI (§ 2 SGB XII, § 13 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Klägerin war nie Mitglied der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Zuerkennung einer zum 01.08.2014 rückwirkenden Familienversicherung in der bosnisch-herzegowinischen Krankenversicherung ihres Ehemannes im Wege der Leistungsaushilfe der Barmer GEK vermittelt der Klägerin keinen Zugang zur deutschen Pflegeversicherung. Im Übrigen hätte sie dort selbst dann, wenn sie über ihren Ehemann in der gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI familienversichert wäre, eine Karenzzeit von zwei Jahren Versicherungszeit (§ 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB XI).

b) Die Hilfe zu Pflege umfasst gemäß § 61 Abs. 2 SGB XII auch die häusliche Pflege nach § 63 SGB XII. Sie dient dazu, den Zweck des § 63 SGB XII zu erreichen, nämlich es dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, seine Pflege durch nahe stehende Personen oder durch Nachbarschaftshilfe zu sichern. Dabei ist das Pflegegeld nicht dazu gedacht, die genannten Personen für ihre Pflegehilfe zu bezahlen. Das Pflegegeld dient vielmehr dazu, deren Pflegebereitschaft zu erhalten und zu stärken, indem ihnen etwa kleinere Zuwendungen gewährt werden (BVerwGE 92, 220 = NVwZ 1994, 490; OVG Frankfurt/Oder, FEVS 54, 371; VGH Kassel, Behindertenrecht 2004, 88). Dies schließt nicht aus, dass der Pflegebedürftige den Pflegepersonen aus dem Pflegegeld regelmäßig Zahlungen zukommen lässt. Die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 64 SGB XII ist dabei die wichtigste Leistungsart der häuslichen Pflege. In terminologischer und inhaltlicher Hinsicht knüpfen § 64 Abs. 1 - 3 SGB XII an die entsprechenden Regelungen in § 15 und § 37 SGB XI an. Anders als in den parallelen Vorschriften des SGB XI fehlt in § 64 Abs. 1 - 3 SGB XII zwar der Begriff der Pflegestufe; gleichwohl entsprechen die drei Grade der Pflegebedürftigkeit nach § 64 Abs. 1-3 SGB XII den pflegeversicherungsrechtlichen Pflegestufen nach § 15 SGB XI (zu all dem Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 64 Rz. 2 und 8).

c) § 64 XII unterscheidet in seinen Absätzen 1 - 3 zwischen erheblich Pflegebedürftigen, Schwerpflegebedürftigen und Schwerstpflegebedürftigen. Erheblich pflegebedürftig sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrmals in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Eine Zuordnung zur Schwerpflegebedürftigkeit setzt voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Schwerstpflegebedürftig sind endlich solche, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XI präzisiert den Terminus der Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegestufe II) dahingehend, dass der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden zu betragen hat, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen. Unter Grundpflege ist gemäß § 14 Abs. 4 Nrn.1 - 3 SGB XI die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, unter hauswirtschaftlicher Versorgung gemäß § 14 Abs. 4 Nr.4 SGB XI die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und Beheizung zu verstehen. Dagegen muss nach § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XI der Zeitaufwand in Pflegestufe III wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens drei Stunden entfallen müssen.

d) Daran gemessen liegen lediglich die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes für Schwerpflegebedürftige (Pflegestufe II) vor; der tägliche Grundpflegebedarf der Klägerin betrug im streitgegenständlichen Zeitraum seit dem 01.02.2009 mehr als die nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XI geforderten 120 Minuten. Ein für Leistungen der Pflegestufe III täglich notwendiger Zeitaufwand für Grundpflegeleistungen in Höhe von mindestens 240 Minuten (§ 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XI) lässt sich hingegen nicht feststellen.

Diese Erkenntnis des Senats ergibt sich aus den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. E. vom 05.07.2011 und 29.10.2012 und dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. D. vom 29.12.2014.

Danach ist der Pflegebedarf der Klägerin im Laufe der Zeit angewachsen, er erreicht unverändert aber nicht die für die Zuerkennung der Pflegestufe III erforderliche Schwelle von täglich 240 Minuten Grundpflege.

Dies ergibt sich aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des sozialmedizinischen Sachverständigen Dr. D. vom 29.12.2014, der die Klägerin im Rahmen eines Hausbesuches begutachtet hat. Das Gutachten gibt die häusliche Pflegesituation der Klägerin schlüssig und nachvollziehbar wieder. Der medizinische Sachverständige hat zunächst die pflegebegründende Vorgeschichte anhand der Akten und der Angaben des Sohnes und Betreuers der Klägerin dargestellt. Anschließend hat er die pflegebegründenden Diagnosen und Befunde und funktionelle Einschränkungen der Klägerin aufgrund eigener Untersuchung beschrieben. Nach der Inaugenscheinnahme hat der Sachverständige die Versorgungssituation der Klägerin beschrieben. In seiner Beurteilung der Pflegesituation hat der medizinische Sachverständige zunächst die Behinderung der Klägerin als Demenz schweren Grades mit kognitiven Beeinträchtigungen und Verlust der selbstständigen Handlungsfähigkeit, eine Stuhl- und Harninkontinenz, erhebliche Beeinträchtigung des Bewegungsapparats und eine allgemeine körperliche Schwäche bei Unterernährung festgestellt. Sodann hat er, in Übereinstimmung mit den Richtlinien des GKV- Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI und der Hilfsmittel-Richtlinie sowie dem Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes zunächst den Hilfebedarf der Klägerin in den vier Kategorien Körperpflege, Ernährung, Mobilität und Hauswirtschaft tabellarisch beschrieben und anschließend bewertet, bevor er abschließend die vom Senat gestellten Beweisfragen beantwortet hat. Seinem Gutachten hat er eine vom Betreuer und der Pflegerin Frau J. unterzeichnete Aufstellung des Tagesablaufes der Klägerin und den jüngsten Bescheid des ZBFS vom 05.11.2014 beigefügt.

Das Gutachten beschreibt den Pflegebedarf der Klägerin und deren Bedarf an Pflegehilfsmitteln nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es zeigt eine sich verschlechternde Entwicklung bei der Klägerin verglichen mit den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten von Dr. E. vom 05.07.2011 und 29.10.2012. In der Zusammenschau aller drei Gutachten ergibt sich ein in sich schlüssiges Bild von der Pflegesituation und dem daraus resultierenden Pflegebedarf der Klägerin.

Der medizinische Sachverständige hat verrichtungsbezogen den Zeitbedarf für die einschlägigen Verrichtungen in Übereinstimmung mit der nach § 17 SGB XI erlassenen Pflegebedürftigkeitsrichtlinie und Begutachtungsrichtlinie erfasst. Er hat sich dabei an den in den Begutachtungsrichtlinien (BRi) festgelegten Zeitkorridoren orientiert, die Orientierungswerte für die Pflegezeitbemessung der Verrichtungen der Grundpflege geben. Das Gutachten stützt sich auf die individuellen Pflegebedürfnisse der Klägerin, die der Sachverständige in ihrem häuslichen Umfeld begutachtet hat. Der Gutachter berücksichtigt Pflege erschwerende und erleichternde Faktoren und legt einen individuellen Maßstab bezogen auf das konkrete Wohnumfeld der Klägerin an.

In der tabellarischen Darstellung des Hilfebedarfes stellt der Sachverständige in Übereinstimmung mit der im Text beschriebenen Pflegesituation im Bereich der Körperpflege fest, dass die Klägerin diese überhaupt nicht mehr selbst ausführen kann. Daher werden alle beschriebenen einzelnen Verrichtungen in dem Gutachten nachvollziehbar mit der vollständigen Übernahme beschrieben. Die einzelnen Zeitangaben für die Verrichtungen Waschen (Teilwäsche Hände/Gesicht, Duschen/Baden, Zahnpflege, Kämmen) betragen 34 Minuten täglich, wobei das Duschen/Baden entgegen der Beschreibung der Pflegerin täglich mit 20 Minuten angesetzt wird, obwohl im Wechsel auch Ganzkörperwäschen im Bett durchgeführt werden. Diese sind jedoch nach den BRi Punkt F 4.1 mit einem Orientierungswert von 20 - 25 Minuten zu bewerten, für das Duschen/Baden werden nach BRi hingegen 15 -20 Minuten angesetzt. Das tägliche Berücksichtigen einer Dusche/Bad mit 20 Minuten ist daher sachgerecht. Eine Hilfestellung beim Einsteigen in die Badewanne ist im Bereich der Mobilität „Stehen“ zu berücksichtigen (BRi); dies wurde vom Sachverständigen auch so vermerkt.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Pflegebedarf der Klägerin an Verrichtungen zur Körperpflege zutreffend vom medizinischen Sachverständigen mit insgesamt 76 Minuten bewertet wurde und in diesem Umfang auch besteht. Aus der durch die Pflegerin handschriftlich kommentierten Version des Gutachtens (Schreiben des Betreuers der Klägerin vom 11.02.2015) ergibt sich kein höherer Bedarf. Dort werden die vom Gutachter eingeschätzten Zeitanteile jeweils mit dem Zusatz: „Unmöglich zu schaffen aufgrund wegen Abwehrhaltung“ kommentiert. Dieses pflegeerschwerende Verhalten hat der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten berücksichtigt (vgl. Gutachten vom 29.12.2014, S. 4).

Im Bereich der Ernährung liegt zur Überzeugung des Senats ein verrichtungsbezogener Pflegebedarf von insgesamt 51 Minuten täglich vor. Auch hier geht der Senat davon aus, dass ebenfalls eine vollständige Übernahme durch die Pflegeperson erfolgt. Dies kommt in dem Gutachten durch die Einschätzung „VÜ“ vollständige Übernahme zum Ausdruck. Der Gutachter hat entsprechend der BRi für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung 6 Minuten täglich eingerechnet. Nach BRi Ziffer D 4.2 Punkt 8 gehört zur „mundgerechten“ Zubereitung der Nahrung allein die letzte Maßnahme vor der Nahrungsaufnahme, z. B. das Zerkleinern in mundgerechte Bissen, das Heraustrennen von Knochen und Gräten, das Einweichen harter Nahrung bei Kau- und Schluckbeschwerden und das Einfüllen von Getränken in Trinkgefäße. Erfasst werden nur solche Maßnahmen, die dazu dienen, die bereits zubereitete Nahrung so aufzubereiten, dass eine abschließende Aufnahme durch den Antragsteller erfolgen kann. Hierzu zählen nicht das Kochen oder das Eindecken des Tisches. Zur Aufnahme der Nahrung gehören die Nahrungsaufnahme in jeder Form (fest, breiig, flüssig) wie auch die Verabreichung von Sondennahrung mittels Ernährungssonde einschließlich der Pflege der Sonde und die Verwendung von Besteck oder anderer geeigneter Geräte (z. B. behindertengerechtes Geschirr oder Essbesteck), um Nahrung zum Mund zu führen. Notwendige Aufforderungen zur bedarfsgerechten Aufnahme der Nahrung in fester, breiiger und flüssiger Form (Essen und Trinken), die eine Überwachung und/oder Erledigungskontrolle erfordern, sind beim Hilfebedarf zu berücksichtigen, wenn der Antragsteller aufgrund fehlender Einsichtsfähigkeit dazu nicht in der Lage ist.

Die vom medizinischen Sachverständigen angesetzten Zeitanteile stehen in Übereinstimmung mit den Orientierungswerten in den BRi und sind auch angesichts der Beschreibung des Pflegeablaufes in der dem Gutachten beigegebenen Beschreibung durch die Pflegeperson vom 29.12.2014 nachvollziehbar. Zutreffend hat der Sachverständige auch das Pürieren der Nahrung der hauswirtschaftlichen Zubereitung des Essens zugeschlagen. Er hat ebenso zutreffend das darüber hinausgehende mundgerechte Zubereiten mit täglich sechs Minuten angesetzt.

Im Bereich der Mobilität sieht der Senat einen verrichtungsbezogenen Bedarf der Klägerin im Umfang von insgesamt 34 Minuten. Der Senat folgt auch hier der Einschätzung von Dr. D., der für das Aufstehen und Zubettgehen einen Bedarf von 4 Minuten, für die vollständige Übernahme des Ankleidens 16 Minuten, für das Entkleiden 8 Minuten und für Gehen, Stehen/Transfer einen Bedarf von 6 Minuten berücksichtigt hat. Auch diese Werte stehen in Übereinstimmung mit den BRi, die für Ankleiden 8 -10 Minuten, für das Entkleiden gesamt 4-6 Minuten vorsehen. Der vom Sachverständigen berücksichtigte höhere Zeitanteil resultiert nachvollziehbar aus der Berücksichtigung des erhöhten Aufwandes beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse 2. Die Einschätzung der Zeitanteile für die Mobilität ist schlüssig, nachdem sich die Klägerin nicht mehr allein in der kleinen Wohnung bewegt und einen Positionswechsel (vom Pflegebett zur Couch) nur mit Unterstützung der Pflegeperson vornimmt. Schlüssig ist auch die Begründung des Gutachters, wonach die Klägerin noch nicht vollständig bettlägerig ist und kein zusätzlicher Bedarf an Umlagerungen tagsüber oder nachts gesehen wird, nachdem die Klägerin zwar bewegungseingeschränkt, aber nicht bewegungsunfähig ist.

Somit ergibt sich ein Bedarf an Grundpflege im Umfang von 161 Minuten täglich, der der Einschätzung in die Pflegestufe II (mindestens 120 Minuten Grundpflege) entspricht. Ein Grundpflegebedarf von 240 Minuten, wie er der Pflegestufe III nach § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XI entspräche, ist nicht begründbar.

Bei der hauswirtschaftlichen Versorgung der Klägerin ist nach den BRi Ziffer D 4.4 der tatsächlich anfallende individuelle Hilfebedarf zu bewerten und der Zeitaufwand in Stunden pro Woche abzuschätzen. Es sind nur die Tätigkeiten bei Verrichtungen zu berücksichtigen, die sich auf die Versorgung der Antragstellerin selbst beziehen. Die Versorgung möglicher weiterer Familienmitglieder bleibt unberücksichtigt. Wenn ein krankheits- und/oder behinderungsbedingter Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung besteht, ist er zu berücksichtigen, auch wenn die Versorgung durch Dritte (z. B. Putzfrau, Essen auf Rädern, Angehörige) erfolgt. Die hauswirtschaftliche Versorgung umfasst das Einkaufen, das Kochen, das Reinigen der Wohnung, das Spülen und das Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung. Der vom Sachverständigen angesetzte Bedarf von täglich 60 Minuten ist nachvollziehbar und schlüssig.

Damit ergibt sich insgesamt ein täglicher Pflegebedarf der Klägerin im Umfang von 221 Minuten, so dass die Einstufung in die Pflegestufe II insgesamt zutreffend ist. Das SG hat die Beklagte bereits zur Zahlung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe II verpflichtet.

Von Seiten der Klägerin wurden keine substantiierten Einwände gegen die Richtigkeit des Gutachtens vorgebracht. Die Klägerin trägt lediglich vor, dass die Angaben zum Zeitaufwand „unrealistisch“ seien, ohne dies aber im Einzelnen ausführlich und einleuchtend zu begründen. So wird pauschal behauptet, dass die Zeitangaben aus dem Gutachten aufgrund der Abwehrhaltung der Klägerin unmöglich einzuhalten seien. Im Bereich der Mobilität werden mindestens 4 wöchentliche Fahrten an die Frischluft angegeben, die der Gutachter vergessen habe. Berücksichtigungsfähig sind bei der Mobilität jedoch nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen. Weitere Hilfen - z. B. bei Spaziergängen oder Besuchen von kulturellen Veranstaltungen - sind nicht berücksichtigungsfähig (Koch in Kasseler Kommentar, § 14 SGB X, Rn. 19).

Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass eine „minutengenaue“ Bestimmung des Pflegeaufwandes nicht möglich ist und den eingeholten Sachverständigengutachten eine gewisse Ungenauigkeit wesensimmanent ist, kann - auch unter Berücksichtigung einer „Fehlertoleranz“ - ein Zeitaufwand für die Grundpflege von über 240 Minuten - anstatt der vom Sachverständigen festgestellten 161 Minuten - ohne weiteres ausgeschlossen werden. Denn selbst wenn man der zeitlichen Einschätzung des Grundpflegebedarfes die jeweils höheren Werte aus den Zeitkorridoren der BRi zugrunde legt, ergäbe sich im Bereich der Körperpflege ein höherer Bedarf von insgesamt 35 Minuten, bei der Ernährung von plus 18 Minuten und bei der Mobilität von plus 4 Minuten, insgesamt somit plus 57 Minuten. Selbst bei dieser „worst-case“ Berechnung anhand der oberen Werte aus der BRi läge der Pflegebedarf für die Grundpflege unterhalb von 240 Minuten (nämlich bei 218 Minuten).

In Übereinstimmung mit dem SG weist der Senat darauf hin, dass die Vielzahl der bei der Klägerin vorliegenden medizinischen Befunde und Diagnosen keine höhere Pflegestufe rechtfertigt. Endlich geht auch das Vorbringen, die Schwerbehinderung der Klägerin sei nicht ausreichend gewürdigt worden, an der Sache vorbei. Die Feststellung der Merkzeichen „B“, „G“ und „aG“ nach dem Schwerbehindertenrecht hat keine Bindungswirkung für das Recht des SGB XI. Die Rechtsprechung hat bereits früh darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen einer Zuordnung zu den Pflegestufen des SGB XI nur nach den darin enthaltenen Kriterien zu ermitteln sind (BayLSG, Urteil vom 14.12.2011 - Az.: L 2 P 72/10, Rz. 24 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 26.11.1998 - Az.: B 3 P 20/97 R).

e) Die Höhe des Pflegegeldes bemisst sich danach, in welche der drei Pflegestufen die Hilfeempfängerin eingestuft ist. Für die Pflegegeldhöhe verweisen die Absätze 1-3 des § 64 SGB XII auf die in § 37 SGB XI genannten Beträge. Danach beträgt das Pflegegeld in der Pflegestufe II für den Zeitraum bis 31.12.2009 420 € monatlich, ab 01.01.2010

430 € monatlich und ab 01.01.2012 440 € monatlich und ab 01.01.2015 458 € monatlich.

Da die Beklagte ursprünglich lediglich Leistungen der Pflegestufe I gewährt hat, waren die entsprechenden Differenzbeträge zur Pflegestufe II nachzubezahlen und künftig Leistungen der Pflegestufe II zu gewähren. Für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 28.02.2013 ergab sich somit zugunsten der Klägerin eine von der Beklagten zu leistende Nachzahlung in Höhe von insgesamt 10.045 €. Ab 01.03.2013 gewährt die Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von monatlich 440 € (Bescheid vom 04.03.2013). Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte der Klägerin entsprechend der gesetzlichen Anhebung ab 01.01.2015 monatlich 458 € als Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige gewährt.

f). Aus dem Umstand, dass die Klägerin nach den schlüssigen Feststellungen des Gutachters, denen der Senat folgt, erheblich in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt ist, und ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung i. S. § 45 a SGB XI vorliegt, ergibt sich kein höherer Anspruch auf Pflegegeld. Die Klägerin ist zwar in den Bereichen aus § 45 a Abs. 2 S. 1 Nrn. 6, 7, 8, 9, 10, 13 SGB XI eingeschränkt (Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen; Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung; Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben; Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus; Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren; zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression). Daraus lässt sich jedoch kein Anspruch auf höheres Pflegegeld nach § 64 Abs. 2 SGB XII i. V. m. § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB XI ableiten.

Die zusätzlichen Verrichtungen bedingen einen Pflegebedarf nach § 61 Abs. 1 S. 2 SGB XII i. S. des erweiterten Pflegebegriffs in der Sozialhilfe, wonach auch andere Verrichtungen als die in § 61 Abs. 5 SGB XII genannten gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen den Pflegebedarf begründen können.

Der Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen entsprechend § 45 b SGB XI ist jedoch zweckgerichtet auf die Inanspruchnahme von qualitätsgesicherten Betreuungsleistungen (§ 45 b Abs. 1 S. 5 SGB XI).

Das Ausgrenzen allgemeinen Aufsichts- und Betreuungsbedarfs aus dem relevanten Pflegebedarf erweist sich gerade bei geistig oder seelisch behinderten Menschen als problematisch, da bei ihnen im Wesentlichen nur dieser Pflegebedarf besteht, der zudem ein großes zeitliches Ausmaß erlangen kann. Dieses Problem ist jetzt durch das Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz - PflEG) vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3728), zuletzt geändert durch das Pflegeweiterentwicklungsgesetz vom 28.05.2008 (BGBl I S. 874) zum Teil entschärft. Danach ist ein neuer Abschnitt in das SGB XI (§§ 45a ff. SGB XI) eingefügt worden, der Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf vorsieht. Die entsprechenden Defizite in der Alltagskompetenz sind in § 45 a Abs. 2 Nr. 1 bis 13 SGB XI abschließend aufgezählt. Als Leistung ist nach § 45 b Abs. 1 SGB XI höchstens ein Betrag von 100 € monatlich (Grundbetrag) oder von 200 € (erhöhter Betrag) vorgesehen. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für Aufwendungen, die durch qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen entstehen. Gleichzeitig ist eine neuer § 13 Abs. 3a SGB XI eingefügt worden, wonach die Leistungen nach § 45 b SGB XI bei den Fürsorgeleistungen zur Pflege (also der Sozialhilfe) keine Berücksichtigung finden (Grube a. a. O. § 61 Rn. 24).

Ein Anspruch auf Pflegegeld aus der Sozialhilfe besteht jedoch nur für die in § 64 SGB XII genannten Verrichtungen der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftlichen Versorgung. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm, der Verwendung der Begrifflichkeiten (erheblich Pflegebedürftige, Schwerpflegebedürftige und Schwerstpflegebedürftige, die identisch mit den Begriffen aus §§ 15 Abs. 1 SGB XI) sowie aus der Verweisung auf die Vorschrift des § 37 Abs. 1 S. 3 Nrn. 1-3 SGB XI.

Im Übrigen hat die Klägerin am 19.12.2009 und erneut am 20.06.2009 bei der Beklagten zusätzliche Betreuungsleistungen beantragt. Die Beklagte informierte die Klägerin daraufhin am 19.01.2009 und am 15.06.2009 sowie am 02.07.2009 über die Voraussetzungen der Gewährung zusätzlicher qualitätsgesicherter Betreuungsleistungen. Den gegen das Informationsschreiben gerichteten Widerspruch der Klägerin nahm die damalige Bevollmächtigte der Klägerin am 31.08.2009 zurück.

Es braucht hier nicht entschieden werden, ob das die Gewährung zusätzlicher Betreuungsleistungen nach § 45 b SGB XI entsprechend gerichtete Verwaltungsverfahren der Beklagten noch offen ist, oder ob mit der Rücknahme des Widerspruchs gegen das Infoschreiben vom 02.07.2009 auch der entsprechende Leistungsantrag zurückgenommen wurde. Jedenfalls sind die zusätzlichen Betreuungsleistungen, die nach § 45 b SGB XI als untypischer Kostenersatzanspruch und nicht als Sachleistung ausgestaltet sind (Klie in LPK SGB XI, 4. Auflage, § 45 b Rn. 5) nicht Gegenstand des Verfahrens auf höheres Pflegegeld, weil es sich um eine eigenständige Leistungsart handelt. Zudem ist überhaupt nicht ersichtlich, ob bei der Klägerin ein entsprechender Bedarf vorliegt, weil nicht vorgetragen wurde, dass die Klägerin besondere Betreuungsmöglichleiten nach § 45 b Abs. 1 S. 6 SGB XI (Erstattung von Aufwendungen durch die Inanspruchnahme von Leistungen der Tages- und Nachtpflege, der Kurzzeitpflege, der zugelassenen Pflegedienste oder der nach Landesrecht zugelassenen niederschwelligen Angebote) in Anspruch nimmt.

g.) Eine Erhöhung des Pflegegeldes nach der Pflegestufe II für die Zeit ab 01.01.2013 entsprechend der Übergangsregelung des § 123 SGB XI - verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz - kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Nach § 123 Abs. 4 SGB XI in der Fassung vom 23.10.2012, gültig ab 01.01.2013 bis 31.12.2014 erhöht sich für Pflegebedürftige der Pflegestufe II das Pflegegeld nach § 37 um 85 Euro auf 525 Euro und die Pflegesachleistungen nach § 36 um 150 Euro auf bis zu 1 250 Euro.

Nach § 123 Abs. 4 SGB XI in der Fassung vom 17.12.2014, gültig ab 01.01.2015 erhöht sich für Pflegebedürftige der Pflegestufe II das Pflegegeld nach § 37 um 87 Euro auf 545 Euro und die Pflegesachleistungen nach § 36 um 154 Euro auf bis zu 1 298 Euro.

§ 123 SGB XI ist mit Wirkung vom 01.01.2013 durch Art. 1 Nr. 48 des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG) vom 23.10.2012 angefügt worden. Durch Art. 1 Nr. 29 des Ersten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetzes - PSG I) vom 17.12.2014 (BGBl I 2014, 2222) ist § 123 Abs. 2-4 SGB XI geändert worden.

Mit der neuen Vorschrift des § 123 SGB XI werden für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a SGB XI) Leistungsverbesserungen in der sozialen und privaten Pflegeversicherung eingeführt; bei diesem Personenkreis spielen die körperlichen Defizite häufig nicht die zentrale Rolle, ihr dennoch bestehender Hilfe- und Betreuungsbedarf konnte nach den früheren Regelungen nicht ausreichend bei der Begutachtung erfasst werden. Deshalb soll der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert werden.

Nach dem Wortlaut der neuen Vorschrift des § 123 SGB XI sollen Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, bereits höhere Leistungen erhalten und neben Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung auch Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen können.

Die Anforderungen bezüglich erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ergeben sich aus § 45a SGB XI; der Anspruch ist auf Versicherte beschränkt, die in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt werden, zumal bei der stationären Pflege bereits vor Inkrafttreten des PNG soziale Betreuung gewährleistet ist (§ 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XI) und künftig bei allen Formen der stationären Pflege zusätzliche Betreuungskräfte (§ 87b SGB XI) zulasten der Pflegekassen eingesetzt werden können ( Dahm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 1. Aufl. 2014, § 123 SGB XI, Rn. 1 ff).

Ein Anspruch der Klägerin auf ein entsprechend der in § 123 SGB XI festgelegten Sätze erhöhtes Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige nach § 64 Abs. 2 SGB XII besteht nicht.

Mit der Einführung der Leistungen der §§ 123 ff SGB XI sind die Regelleistungen der §§ 36 ff SGB XI, auf die § 64 SGB XII ausdrücklich verweist, nicht ausgeweitet worden. Diese Sonderleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung können daher nicht vom Sozialhilfeträger gewährt werden, sondern kommen ausschließlich den nach dem SGB XI Pflegeversicherten zugute (Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII Kommentar, 19. Auflage, § 64 Rn. 5).

Dies ergibt sich aus der Rechtssystematik. Die Leistungen nach § 123 SGB XI werden im Leistungskatalog des § 28 SGB XI gesondert in § 28 Abs. 1 b S. 2 SGB XI aufgeführt. Hinsichtlich des Inhalts der Leistungen der Hilfe zur Pflege verweist § 61 Abs. 2 S. 2 SGB XII aber nur auf § 28 Abs. 1 Nrn. 1 und 5-8 SGB XI. Damit sind die verbesserten Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 123 SGB XI nicht Inhalt der Leistungen der Hilfe zur Pflege in der Sozialhilfe. Die Verweisung in § 64 Abs. 2 SGB XII bezieht sich ausschließlich auf ein Pflegegeld in Höhe von § 37 Abs.1 S. 3 Nr. 2 SGB XI.

Aus den Gesetzesmaterialien zu dem Pflegeneuausrichtungsgesetz PNG ergibt sich der gesetzgeberische Wille, mit der Einführung des § 123 SGB XI eine Übergangsleistung außerhalb des Systems der Regelleistungen des SGB XI und der Hilfe zur Pflege einzuführen, um eine präjudizierende Wirkung im Hinblick auf die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu vermeiden. So heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des PNG, Bundestagsdrucksache, 17/9369, vom 23.04.2012, S. 52 ff:

„Zu § 123 (neu)

Mit dieser Vorschrift werden für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a) Leistungsverbesserungen in der sozialen und privaten Pflegeversicherung eingeführt. Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen haben einen besonderen Hilfe- und Betreuungsbedarf, der vor allem über den Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege, also der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, hinausgeht. Bei diesem Personenkreis spielen die körperlichen Defizite häufig nicht die zentrale Rolle. Ihr dennoch bestehender Hilfe- und Betreuungsbedarf kann nach den bisherigen Regelungen oftmals nicht ausreichend bei der Begutachtung erfasst werden. Aus diesem Grund soll der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert werden. Das Bundesministerium für Gesundheit wird die weiteren Schritte für die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs von einem Expertenbeirat fachlich fundiert vorbereiten lassen.

Bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, sollen Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz jedoch bereits höhere Leistungen erhalten (§ 123) und neben Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung auch Betreuungsleistungen (§ 124) in Anspruch nehmen können.

Die Leistungsverbesserungen beziehen sich auf Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, weil die stationäre Pflege bereits heute die soziale Betreuung mit einschließt (§ 82 Absatz 1 Satz 3) und darüber hinaus künftig bei allen Formen stationärer Pflege zusätzliche Betreuungskräfte (§ 87b) zulasten der Pflegekassen eingesetzt werden können.

Zu Absatz 1

Bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, erhalten ambulant versorgte Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a) aufgestockte Leistungen, die höher liegen als die aktuellen Leistungsbeträge der jeweiligen Pflegestufe. Weder das bestehende Begutachtungsverfahren nach § 18 noch das Verfahren zur Feststellung einer eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a müssen hierzu geändert werden. Damit wird bei der Frage, ob und in welcher Höhe Pflegeleistungen bezogen werden können, auch darauf abgestellt, ob ein besonderer Betreuungsbedarf im Sinne des § 45a bei der Begutachtung festgestellt wird. Etwa 500 000 ambulant versorgte Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und einem Pflegebedarf unterhalb der Pflegestufe III werden von den Leistungsverbesserungen profitieren.“

Damit ist klargestellt, dass es sich bewusst um Übergangsleistungen handeln soll, die das bisherige Leistungssystem des SGB XI und SGB XII nicht tangieren sollen.

Im Übrigen ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien der Begründung zu § 124 SGB XI (Anspruch auf häusliche Betreuung), dass es sich nur der Art nach um einen Sachleistungsanspruch im Sinne des § 36 SGB XI handeln soll. Die häusliche Betreuung ist aus diesem Grund nicht in § 36 SGB XI integriert, sondern als eigenständige Übergangsleistung außerhalb des Regelleistungskatalogs ausgestaltet worden. In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfes heißt es nach der Bundestagsdrucksache, 17/9369, vom 23.04.2012, S. 53: „Die Einbeziehung von häuslicher Betreuung im Übergangsrecht der Pflegeversicherung hat keine Ausweitung der Art und des Umfangs der Leistungen, die als Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch und dem Bundesversorgungsgesetz (Kriegsopferfürsorge) zu erbringen sind, zur Folge.“ Der Gesetzgeber hat sich damit bei Einführung des § 123 SGB XI bewusst gegen eine Anhebung des Pflegegeldes nach § 64 SGB XII entschieden, so dass keine Regelungslücke vorliegt.

Im Bereich der Hilfen zur Pflege finden die besonderen Bedarfe der demenzerkrankten Hilfebedürftigen ausschließlich in § 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII Berücksichtigung. Danach können Leistungen zur häuslichen Pflege angemessene Kosten für besondere Betreuungs- oder Pflegeleistungen übernommen werden (Schellhorn ia. a. O. § 61 Rn. 48 a. E.). Für eine Systemunabhängigkeit der besonderen Pflegeleistungen für demenzerkrankte Pflegeversicherte spricht auch die Abgrenzungsnorm des § 13 Abs. 3 a SGB XI, der anordnet, dass die Leistungen nach § 45 b SGB XI bei den Fürsorgeleistungen zur Pflege nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB XI keine Berücksichtigung finden.

Damit ergibt sich insgesamt für die Klägerin ein Anspruch auf Pflegegeld in entsprechender Höhe der Pflegestufe II, das ihr bereits von der Beklagten gewährt wird.

Die auf Gewährung eines höheren Pflegegeldes gerichtete Berufung hat somit keinen Erfolg.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

10. Gründe für die Zulassung der Revision nach § §160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG sind nicht ersichtlich.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.

(4) (weggefallen)

(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(2) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden.

(3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.

(4) Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich anzubringen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 25. Juli 2014  6 K 940/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) führen nicht zur Zulassung der Revision.

2

1. Die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt nur dann den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- und § 96 Abs. 2 FGO), wenn erhebliche Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung geltend gemacht worden sind (§ 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Eine schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels erfordert daher die Darlegung, dass zur Begründung des Verlegungsantrags derart erhebliche Gründe substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht worden sind (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Dezember 2011 V B 37/11, BFH/NV 2012, 956; vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, BFH/NV 2008, 1510, sowie vom 4. August 2005 I B 219/04, BFH/NV 2006, 73, m.w.N.).

3

Eine nicht zu beseitigende Terminsüberlagerung mit einem anderweitigen Rechtsstreit stellt zwar einen "erheblichen Grund" i.S. von § 227 ZPO dar, lag aber im Streitfall ersichtlich nicht vor: Der Termin beim Bundespatentgericht fand am Vortag statt und der Termin beim Amtsgericht in D zwar am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG), aber erst um 9:30 Uhr. Zur Vermeidung einer Terminkollision hat das FG die mündliche Verhandlung von 11:00 Uhr auf 7:00 Uhr vorverlegt, eine Fahrzeit nach D von zwei Stunden berücksichtigt und sich überdies bereit erklärt, den Termin von 7:00 Uhr auf 6:30 Uhr vorzuverlegen. Gründe, die den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in dieser Zeit an der Teilnahme hinderten, hat er weder vorgebracht noch glaubhaft gemacht. Bloße Unannehmlichkeiten, um den Termin pünktlich wahrnehmen zu können (wie beispielsweise eine frühe Anreise oder eine Hotelübernachtung), reichen dagegen für die Annahme eines erheblichen Grundes nicht aus.

4

2. Die Beschwerde ist auch insoweit ohne Erfolg, als sie auf die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs durch das FG gestützt wird.

5

a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der Prozessbeteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (BFH-Beschlüsse vom 27. August 1998 VII B 8/98, BFH/NV 1999, 480, und vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422). Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (BFH-Beschlüsse vom 13. September 1991 IV B 147/90, BFH/NV 1992, 320, und in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422).

6

b) Soweit die Beschwerdeschrift das Vorliegen eines Verfahrensmangels darauf stützt, dass das FG den Befangenheitsantrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt habe, ist zu berücksichtigen, dass Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nach § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde und damit grundsätzlich auch nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden können (§ 124 Abs. 2 FGO). Geltend gemacht werden können somit nur solche Verfahrensmängel, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund ist daher nur dann gegeben, wenn die Ablehnung entweder gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht wie den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt wird. Auch das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter schützt indes nur vor willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften. Eine Besetzungsrüge kann deshalb auch nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich --woran es vorliegend fehlt-- dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich war (BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 2005 VII B 2/05, BFH/NV 2005, 2035, sowie vom 13. Januar 2003 III B 51/02, BFH/NV 2003, 640).

7

c) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor:

8

aa) Dass der Einzelrichter dem Antrag des Klägers auf Verlegung des Termins für die mündliche Verhandlung nicht entsprochen hat, lässt eine greifbar gesetzeswidrige Ablehnung des Befangenheitsgesuchs und damit eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht erkennen. Denn der Verlegungsantrag wurde mangels Vorliegens eines erheblichen Grundes zu Recht abgelehnt (vgl. Ausführungen unter 1.).

9

bb) Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs erweist sich auch nicht insoweit als greifbar gesetzeswidrig und damit willkürlich, als der Kläger vorbringt, der Einzelrichter habe eine telefonische Äußerung von ihm mit der Erwiderung quittiert "Da muss ich aber lachen".

10

(1) Freimütige oder saloppe Formulierungen geben grundsätzlich noch keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (BFH-Beschlüsse vom 29. August 2001 IX B 117/00, BFH/NV 2002, 63; vom 8. Dezember 1998 VII B 227/98, BFH/NV 1999, 661; vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526, und vom 31. August 1987 IV B 101/86, BFH/NV 1989, 169). Evident unsachliche oder unangemessene sowie herabsetzende und beleidigende Äußerungen des Richters können aber die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie den nötigen Abstand zwischen Person und Sache vermissen lassen (BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656; vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45, und vom 21. November 1991 V B 157/91, BFH/NV 1992, 479).

11

(2) Vorliegend begründet die vom Kläger beanstandete Äußerung des Einzelrichters jedenfalls deshalb keine auf Voreingenommenheit hinweisende Unsachlichkeit, weil der Einzelrichter --wie sich aus dem Schriftsatz des Klägers vom 22. Juli 2014 ergibt-- anschließend konzediert hat, dass der Absturz des Computers mit allen Steuerdaten auch in seinen Augen ein anerkennenswertes Problem sei. Danach bestand bei vernünftiger objektiver Betrachtung kein Anlass mehr, die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters zu befürchten.

12

3. Das FG war trotz des Befangenheitsantrages des Klägers nicht gehindert, in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung durch Einzelrichter über die Klage zu entscheiden. Denn das Ablehnungsgesuch war rechtsmissbräuchlich.

13

a) Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO richtet sich die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach den §§ 45, 47 ZPO. Danach wirkt der abgelehnte Richter an der Entscheidung grundsätzlich nicht mit. Von diesem Grundsatz gilt jedoch dann eine Ausnahme, wenn die Ablehnung missbräuchlich ist (BFH-Beschluss vom 8. Oktober 1997 I B 103/97, BFH/NV 1998, 475, m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn der Antrag offenbar grundlos ist (BFH-Beschluss vom 10. August 1987 X B 29/87, BFH/NV 1988, 103) oder nur der Verschleppung dient (BFH-Beschluss vom 12. November 2009 IV B 66/08, BFH/NV 2010, 671). Maßgeblich dafür, ob der Antrag zu Recht als missbräuchlich abgelehnt worden ist, sind die im Antrag vorgebrachten Gründe; später geltend gemachte Gründe können nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 30. September 1998 XI B 22/98, BFH/NV 1999, 348).

14

b) Vorliegend hat der Kläger den Einzelrichter am FG deswegen abgelehnt, weil dieser seinen Antrag auf Terminverlegung abgelehnt und sich unsachlich geäußert habe. Diese Befangenheitsgründe liegen nach den Ausführungen unter 2. c offensichtlich nicht vor. Darüber hinaus diente der Befangenheitsantrag, wie vom FG zutreffend ausgeführt wird, der Prozessverschleppung. Denn der Prozessbevollmächtigte beendete das Telefongespräch mit dem Einzelrichter vom 22. Juli 2014, in dem das Gericht dem Kläger mitteilte, dass der Termin voraussichtlich nicht verlegt werde, sinngemäß mit den Worten, er wisse nun, was er zu tun habe. Hierzu instrumentalisierte er eine --schon mehrere Wochen zurückliegende und bei objektiver Betrachtungsweise keinen Anlass für eine Befangenheit gebende-- Äußerung des Einzelrichters als Begründung für seinen Befangenheitsantrag.

15

c) Ist das Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig, entscheidet das Gericht darüber in der nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung, ohne dass es einer vorherigen dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter nach § 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO bedarf (z.B. BFH-Beschluss vom 1. April 2003 VII S 7/03, BFH/NV 2003, 1331). In diesem Fall ist es auch nicht notwendig, über den Antrag in einem besonderen Beschluss zu entscheiden, sondern es kann im Urteil darüber mitentschieden werden (BFH-Beschlüsse in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422; vom 21. November 2002 VII B 58/02, BFH/NV 2003, 485, und vom 31. August 1999 V B 53/97, V S 13/99, BFH/NV 2000, 244).

16

4. Von der Wiedergabe des Tatbestands und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

17

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.

(4) (weggefallen)

(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(2) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden.

(3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.

(4) Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich anzubringen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 16. April 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Der Kläger wurde im August 2007 bei einer körperlichen Auseinandersetzung verletzt. Seinen Antrag, ihm deshalb Beschädigtenversorgung zu gewähren, lehnte der Beklagte ab, weil der schädigende Vorgang nicht erwiesen sei (Bescheid vom 25.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2009).

3

Die dagegen erhobene Klage wies das SG ebenfalls mit der Begründung ab, die anspruchsbegründenden Tatsachen seien nicht erwiesen (Urteil vom 2.11.2011). Der Kläger hat im Februar 2012 dagegen Berufung eingelegt. Er leide infolge des tätlichen Angriffs an einer Trigeminusneuralgie, die ihn gesundheitlich schwer beeinträchtige. Das LSG zog ärztliche Befundunterlagen sowie die Akten des den Kläger betreffenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft E. bei. Am 24.3.2014 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16.4.2014.

4

Mit gesonderten, aber im Wesentlichen gleichlautenden Anträgen vom 15.4.2015 lehnte der Prozessbevollmächtigte des Klägers alle Berufsrichter des zuständigen LSG-Senats wegen Befangenheit ab. Wie er schriftsätzlich nachgewiesen habe, sei das Verfahren weder verhandlungs- noch entscheidungsreif. Die Berufsrichter des Senats hätten grob gegen § 103 SGG verstoßen, indem sämtliche Anträge auf Beweiserhebung des Antragstellers ungehört geblieben seien. Die gesamte bisherige unsachgemäße Verfahrensleitung, fortgesetzt begangene grobe Verfahrensverstöße und jahrelange Untätigkeit des Gerichts seien Ablehnungsgründe.

5

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16.4.2015 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es habe trotz der noch nicht beschiedenen Befangenheitsgesuche gegen sämtliche abgelehnten Berufsrichter entscheiden können, da der Kläger sich in Kenntnis der Ablehnungsgründe im Termin zur Sache eingelassen habe. Die Befangenheitsanträge seien im Übrigen unzulässig gewesen, weil sie von Anfang an nur den Verhandlungstermin hätten verhindern sollen und der Prozessbevollmächtigte des Klägers sie zudem im eigenen Namen gestellt habe.

6

In der Sache sei zwar ein Angriff iS von § 1 OEG ohne Weiteres zu bejahen. Allerdings sei die Trigeminusneuralgie des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des tätlichen Angriffs. Die in zeitlicher Nähe zum Angriff erstellten ärztlichen Befundberichte dokumentierten lediglich oberflächliche Verletzungen und keine Schädigung von Nerven, die für eine Trigeminusneuralgie ursächlich sein könne. Die weiteren vom Kläger beantragten Ermittlungen wie die Anhörung seiner Ehefrau, seines Sohnes sowie die Untersuchung der Notrufverbindungen seines Netzanbieters seien nicht veranlasst, weil nicht entscheidungserheblich gewesen.

7

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, es liege eine Divergenz vor und vor allem habe das LSG Verfahrensfehler begangen, indem es durch die als befangen abgelehnten Richter entschieden habe.

8

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der behaupteten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

9

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.

10

a) Der Kläger hat die behauptete Verletzung von § 60 SGG iVm § 42 ZPO sowie seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht hinreichend substantiiert dargetan.

11

Grundsätzlich unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind und - wie im Falle einer Ablehnung eines Befangenheitsantrages durch ein LSG - unanfechtbar sind (§ 177 SGG), nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO). Deshalb kommt ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Betracht (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9 f). Hier liegt der Fall indes anders, weil das LSG die Befangenheitsanträge nicht durch Zwischenentscheidung abgelehnt hat; vielmehr ist es in seinen Urteilsgründen von rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchen, die unbeachtlich seien, ausgegangen. In einem solchen Fall kann sich die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts - anders als in den Fällen einer Zwischenentscheidung - als Verfahrensfehler erweisen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (BSG Beschluss vom 13.8. 2009 - B 8 SO 13/09 B - Juris; vgl auch BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 S 7).

12

Auch eine solche fehlerhafte Anwendung einfachen Verfahrensrechts, hier § 60 SGG iVm § 42 ZPO, bei der Behandlung der Befangenheitsgesuche des Klägers hat die Beschwerde indes nicht hinreichend substantiiert dargelegt und damit noch weniger seines Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art 101 Abs 1 S 2 GG.

13

Zwar erscheint es zweifelhaft, ob das LSG das Befangenheitsgesuch des Klägers allein deshalb als erledigt ansehen durfte, weil sein Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Sache verhandelt und einen Sachantrag gestellt hat. Nach § 60 SGG iVm § 43 ZPO kann ein Beteiligter einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Nach dieser Vorschrift verliert der Beteiligte sein Ablehnungsrecht grundsätzlich auch dann, wenn er, nachdem er ein Ablehnungsgesuch erhoben hat, die weitere Verhandlung nicht verweigert. Dies gilt allerdings nicht, wenn ihn inkorrektes richterliches Verhalten zu einer weiteren Einlassung oder Antragstellung gezwungen hat (Gehrlein in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl 2013, § 43 RdNr 7 mwN). Nach § 47 Abs 1 ZPO hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Zu diesen unaufschiebbaren Handlungen zählt es normalerweise nicht, eine vollständige mündliche Verhandlung durchzuführen, wie es das LSG getan hat.

14

Andererseits gilt die Wartepflicht aus § 47 ZPO nicht, wenn das Ablehnungsgesuch missbräuchlich ist(vgl Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 47 RdNr 1a mwN). Insoweit setzt die Beschwerde dem nachvollziehbaren Argument des LSG nichts Stichhaltiges entgegen, das Befangenheitsgesuch sei als missbräuchlich anzusehen, weil der Kläger es erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, die er für verfrüht hielt und zugunsten weiterer Ermittlungen abwenden wollte.

15

Letztlich kann die Frage der Erledigung des Gesuchs aber dahinstehen, denn das LSG hat das Befangenheitsgesuch des Klägers unabhängig davon auch als unzulässig angesehen. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt nicht hinreichend substantiiert dar, warum darin ein Verfahrensverstoß liegen sollte. Zur Begründung des Befangenheitsgesuchs wiederholt sie lediglich ihren bereits gegenüber dem LSG erhobenen Vorwurf, das LSG sei jahrelang untätig gewesen, habe grobe Fehler bei der Verfahrensleitung begangen und insbesondere die erforderlichen Ermittlungen unterlassen und damit gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen. Dabei setzt sich die Beschwerde aber nicht hinreichend damit auseinander, dass ein Befangenheitsgesuch auch dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn es keinen oder nur einen von vornherein völlig ungeeigneten Ablehnungsgrund nennt, § 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 2 S 1 ZPO(BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 - NJW 2005, 3410, 3412), zB wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG NJW 1997, 3327) oder nur Tatsachen, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründen lassen (OVG Hamburg NVwZ-RR 2000, 548). Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann einem Ablehnungsgesuch von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst Fehler des Richters - sofern nicht besondere weitere Umstände hinzutreten - vermögen keine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BFH Beschlüsse vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122, Juris; vom 29.8.2001 - IX B 3/01 - BFH/NV 2002, 64, Juris). Es müssen vielmehr mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl BFH Beschluss vom 16.2.1989 - X B 99/88, BFH/NV 1989, 708, Juris; BFH Beschluss vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122, Juris). Solche Gründe hat der Kläger weder vor dem LSG noch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt. Behaupteten Fehlern bei der Sachverhaltsaufklärung allein kann kein objektiv vernünftiger Grund für die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters entnommen werden. Soweit der Beteiligte meint, Ermittlungsdefizite festgestellt zu haben, ist diesen etwa durch entsprechende Beweisanträge zu begegnen. Ein Befangenheitsgesuch ist nicht geeignet, die gewünschten Ermittlungen zu erzwingen (BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4, SozR 4-1500 § 160 Nr 14). Die Beschwerde hat auch nicht substantiiert dargelegt, warum das LSG durch den Umgang mit den Ermittlungsanregungen des Klägers eine Parteilichkeit oder eine unsachliche Einstellung zum Ausdruck gebracht haben könnte. Anhaltspunkte für eine Willkür (vgl hierzu BFH Beschlüsse vom 28.11.2001 - VII B 67/01 und vom 19.2.2002 - X B 41/01, beide Juris) sind vom Kläger ebenfalls nicht dargetan worden. Zudem hat er sich auch, wie ausgeführt, nicht mit der nachvollziehbaren Einstufung seines Befangenheitsgesuchs als missbräuchlich durch das LSG auseinandergesetzt.

16

Ebenso wenig hat die Beschwerde dargetan, warum das LSG nicht ausnahmsweise abweichend von § 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO über sein offensichtlich vollständig ungeeignetes Befangenheitsgesuch unter Mitwirkung der Richter entscheiden durfte, die der Kläger für befangen hält. In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichtshöfe und des BVerfG ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 7; BVerfG NJW 2013, 1665; BVerfG NJW 2007, 3771; BFH NJW 2009, 3806 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 10d mwN; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 60 RdNr 79 ff; aA BVerwG, Beschluss vom 11.12.2012 - 8 B 58/12 - Juris). Mehr als eine solche bloße Formalentscheidung brauchte das LSG über das, wie ausgeführt, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erfolgversprechende Befangenheitsgesuch des Klägers nicht zu treffen. Zumal der Kläger auch dem Missbrauchsvorwurf des LSG nicht substantiiert entgegengetreten ist.

17

b) Ebenso wenig kann der Kläger mit Erfolg eine Verletzung von § 103 SGG der Amtsermittlungspflicht durch das LSG geltend machen. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN). Der Kläger behauptet selber nicht, in der letzten mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt bzw aufrechterhalten zu haben. Solche Beweisanträge lassen sich auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht entnehmen. Mit seinen umfangreichen Ausführungen zur unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG kann der Kläger daher mangels des erforderlichen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags keinen Verfahrensmangel darlegen. Nichts anderes gilt für seinen vielfach wiederholten Vorwurf unrichtiger Tatsachenfeststellungen durch das LSG. Der Kläger wendet sich damit gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Die inhaltliche Richtigkeit seiner Entscheidung im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

18

2. Zu den vom Kläger ebenfalls behaupteten Zulassungsgründen der Divergenz bzw grundsätzlichen Bedeutung macht die Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt keine näheren Ausführungen. Diese Nichtzulassungsgründe sind deshalb noch weniger als die behaupteten Verfahrensmängel substantiiert dargelegt.

19

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

20

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

21

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 25. Juli 2014  6 K 940/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) führen nicht zur Zulassung der Revision.

2

1. Die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt nur dann den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- und § 96 Abs. 2 FGO), wenn erhebliche Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung geltend gemacht worden sind (§ 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Eine schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels erfordert daher die Darlegung, dass zur Begründung des Verlegungsantrags derart erhebliche Gründe substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht worden sind (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Dezember 2011 V B 37/11, BFH/NV 2012, 956; vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, BFH/NV 2008, 1510, sowie vom 4. August 2005 I B 219/04, BFH/NV 2006, 73, m.w.N.).

3

Eine nicht zu beseitigende Terminsüberlagerung mit einem anderweitigen Rechtsstreit stellt zwar einen "erheblichen Grund" i.S. von § 227 ZPO dar, lag aber im Streitfall ersichtlich nicht vor: Der Termin beim Bundespatentgericht fand am Vortag statt und der Termin beim Amtsgericht in D zwar am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG), aber erst um 9:30 Uhr. Zur Vermeidung einer Terminkollision hat das FG die mündliche Verhandlung von 11:00 Uhr auf 7:00 Uhr vorverlegt, eine Fahrzeit nach D von zwei Stunden berücksichtigt und sich überdies bereit erklärt, den Termin von 7:00 Uhr auf 6:30 Uhr vorzuverlegen. Gründe, die den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in dieser Zeit an der Teilnahme hinderten, hat er weder vorgebracht noch glaubhaft gemacht. Bloße Unannehmlichkeiten, um den Termin pünktlich wahrnehmen zu können (wie beispielsweise eine frühe Anreise oder eine Hotelübernachtung), reichen dagegen für die Annahme eines erheblichen Grundes nicht aus.

4

2. Die Beschwerde ist auch insoweit ohne Erfolg, als sie auf die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs durch das FG gestützt wird.

5

a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der Prozessbeteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (BFH-Beschlüsse vom 27. August 1998 VII B 8/98, BFH/NV 1999, 480, und vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422). Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (BFH-Beschlüsse vom 13. September 1991 IV B 147/90, BFH/NV 1992, 320, und in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422).

6

b) Soweit die Beschwerdeschrift das Vorliegen eines Verfahrensmangels darauf stützt, dass das FG den Befangenheitsantrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt habe, ist zu berücksichtigen, dass Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nach § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde und damit grundsätzlich auch nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden können (§ 124 Abs. 2 FGO). Geltend gemacht werden können somit nur solche Verfahrensmängel, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund ist daher nur dann gegeben, wenn die Ablehnung entweder gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht wie den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt wird. Auch das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter schützt indes nur vor willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften. Eine Besetzungsrüge kann deshalb auch nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich --woran es vorliegend fehlt-- dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich war (BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 2005 VII B 2/05, BFH/NV 2005, 2035, sowie vom 13. Januar 2003 III B 51/02, BFH/NV 2003, 640).

7

c) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor:

8

aa) Dass der Einzelrichter dem Antrag des Klägers auf Verlegung des Termins für die mündliche Verhandlung nicht entsprochen hat, lässt eine greifbar gesetzeswidrige Ablehnung des Befangenheitsgesuchs und damit eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht erkennen. Denn der Verlegungsantrag wurde mangels Vorliegens eines erheblichen Grundes zu Recht abgelehnt (vgl. Ausführungen unter 1.).

9

bb) Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs erweist sich auch nicht insoweit als greifbar gesetzeswidrig und damit willkürlich, als der Kläger vorbringt, der Einzelrichter habe eine telefonische Äußerung von ihm mit der Erwiderung quittiert "Da muss ich aber lachen".

10

(1) Freimütige oder saloppe Formulierungen geben grundsätzlich noch keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (BFH-Beschlüsse vom 29. August 2001 IX B 117/00, BFH/NV 2002, 63; vom 8. Dezember 1998 VII B 227/98, BFH/NV 1999, 661; vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526, und vom 31. August 1987 IV B 101/86, BFH/NV 1989, 169). Evident unsachliche oder unangemessene sowie herabsetzende und beleidigende Äußerungen des Richters können aber die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie den nötigen Abstand zwischen Person und Sache vermissen lassen (BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656; vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45, und vom 21. November 1991 V B 157/91, BFH/NV 1992, 479).

11

(2) Vorliegend begründet die vom Kläger beanstandete Äußerung des Einzelrichters jedenfalls deshalb keine auf Voreingenommenheit hinweisende Unsachlichkeit, weil der Einzelrichter --wie sich aus dem Schriftsatz des Klägers vom 22. Juli 2014 ergibt-- anschließend konzediert hat, dass der Absturz des Computers mit allen Steuerdaten auch in seinen Augen ein anerkennenswertes Problem sei. Danach bestand bei vernünftiger objektiver Betrachtung kein Anlass mehr, die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters zu befürchten.

12

3. Das FG war trotz des Befangenheitsantrages des Klägers nicht gehindert, in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung durch Einzelrichter über die Klage zu entscheiden. Denn das Ablehnungsgesuch war rechtsmissbräuchlich.

13

a) Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO richtet sich die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach den §§ 45, 47 ZPO. Danach wirkt der abgelehnte Richter an der Entscheidung grundsätzlich nicht mit. Von diesem Grundsatz gilt jedoch dann eine Ausnahme, wenn die Ablehnung missbräuchlich ist (BFH-Beschluss vom 8. Oktober 1997 I B 103/97, BFH/NV 1998, 475, m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn der Antrag offenbar grundlos ist (BFH-Beschluss vom 10. August 1987 X B 29/87, BFH/NV 1988, 103) oder nur der Verschleppung dient (BFH-Beschluss vom 12. November 2009 IV B 66/08, BFH/NV 2010, 671). Maßgeblich dafür, ob der Antrag zu Recht als missbräuchlich abgelehnt worden ist, sind die im Antrag vorgebrachten Gründe; später geltend gemachte Gründe können nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 30. September 1998 XI B 22/98, BFH/NV 1999, 348).

14

b) Vorliegend hat der Kläger den Einzelrichter am FG deswegen abgelehnt, weil dieser seinen Antrag auf Terminverlegung abgelehnt und sich unsachlich geäußert habe. Diese Befangenheitsgründe liegen nach den Ausführungen unter 2. c offensichtlich nicht vor. Darüber hinaus diente der Befangenheitsantrag, wie vom FG zutreffend ausgeführt wird, der Prozessverschleppung. Denn der Prozessbevollmächtigte beendete das Telefongespräch mit dem Einzelrichter vom 22. Juli 2014, in dem das Gericht dem Kläger mitteilte, dass der Termin voraussichtlich nicht verlegt werde, sinngemäß mit den Worten, er wisse nun, was er zu tun habe. Hierzu instrumentalisierte er eine --schon mehrere Wochen zurückliegende und bei objektiver Betrachtungsweise keinen Anlass für eine Befangenheit gebende-- Äußerung des Einzelrichters als Begründung für seinen Befangenheitsantrag.

15

c) Ist das Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig, entscheidet das Gericht darüber in der nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung, ohne dass es einer vorherigen dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter nach § 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO bedarf (z.B. BFH-Beschluss vom 1. April 2003 VII S 7/03, BFH/NV 2003, 1331). In diesem Fall ist es auch nicht notwendig, über den Antrag in einem besonderen Beschluss zu entscheiden, sondern es kann im Urteil darüber mitentschieden werden (BFH-Beschlüsse in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422; vom 21. November 2002 VII B 58/02, BFH/NV 2003, 485, und vom 31. August 1999 V B 53/97, V S 13/99, BFH/NV 2000, 244).

16

4. Von der Wiedergabe des Tatbestands und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

17

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 8. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des von der Beklagten an die Klägerin zu erbringenden Pflegegeldes nach dem 7. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die 1938 geborene und unter Betreuung ihres Sohnes stehende Klägerin ist bosnische und kroatische Staatsangehörige und bezieht seit 1993 staatliche Fürsorgeleistungen (zunächst nach dem AsylbLG, später nach dem BSHG und dem SGB XII). Seit 2006 erhält sie laufend Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII). Die Klägerin ist schwerbehindert, ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „B“, „G“ und ab 19.03.2009 „aG“ wurden zuerkannt; mit Bescheid vom 05.11.2014 auch noch die Merkzeichen H und RF.

Die Versorgung der Klägerin im Krankheitsfall wurde von der Beklagten zunächst durch Krankenhilfeleistungen nach den Vorschriften des BSHG sichergestellt. Ab dem 01.01.2004 bis 31.12.2011 bestand bei der AOK A-Stadt im Rahmen eines Auftragsverhältnisses Versicherungsschutz. Zum 01.01.2012 ist die Klägerin - wiederum im Rahmen eines Auftragsverhältnisses nach § 264 SGB V - zur Barmer GEK gewechselt und dort statusversichert. Die Klägerin ist weder Mitglied in einer gesetzlichen noch einer privaten Pflegeversicherung. Zuletzt war die Klägerin im April 2015 rückwirkend ab 01.08.2014 in der Familienversicherung über die bosnisch-herzegowinischen Krankenversicherung ihres Ehemannes versichert ist (Schreiben Beklagte an die Klägerin vom 22.04.2015 und vom 27.04.2015, Schreiben der Barmer GEK vom 26.05.2015 im Beschwerdeverfahren L 4 KR 65/15 B ER). Die Barmer GEK gewährt rückwirkend ab 01.08.2014 Leistungsaushilfe im Auftrag der bosnischen Krankenversicherung. Eine Absicherung im Bereich der Pflegeversicherung besteht über den bosnisch-herzegowinischen Sozialversicherungsträger nicht.

Mit Schreiben vom 30.01.2008 beantragte der Sohn und Betreuer der Klägerin formlos die Gewährung von Hilfe zur Pflege. Daraufhin beauftragte die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenkassen in B. (MDK), ein Gutachten über die Pflegebedürftigkeit der Klägerin zu erstellen. Mit Gutachten vom 25.03.2008 stellte der MDK fest, dass ein Hilfebedarf von 49 min täglich für Zeiten der Grundpflege und ein Zeitaufwand von 45 min täglich für die hauswirtschaftliche Versorgung der Klägerin bestünden. Eine wesentliche Störung der Alltagskompetenz liege nicht vor. Eine Nachbegutachtung wurde für 09/2008 empfohlen.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 01.04.2008 für die Zeit ab 07.02.2008 Pflegegeld nach der Stufe 1 in Höhe von 205 € monatlich. Hiergegen erhob der Betreuer der Klägerin am 15.04.2008 Widerspruch. Die Klägerin sei in größerem Umfang auf die Hilfe einer Pflegeperson angewiesen, derzeit leiste er die Pflege allein.

Am 16.06.2008 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid und gewährte der Klägerin für die Zeit ab 01.07.2008 ein Pflegegeld in Höhe von 215 € monatlich. Auch gegen diesen Bescheid legte der Betreuer der Klägerin mit Schreiben vom 15.07.2008 Widerspruch ein.

Am 06.03.2009 übersandte der seinerzeit bevollmächtigte Rechtsanwalt eine umfassende Widerspruchsbegründung zur Pflegesituation (mit 57 medizinischen Anlagen). Die festgestellte Pflegestufe sei zu überprüfen; die angegriffenen Bescheide basierten auf einer unzureichenden und falschen Tatsachengrundlage.

Das zweite Gutachten des MDK vom 26.05.2009 kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Zeitaufwand für die Grundpflege in Höhe von 92 min täglich und ein Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung im Umfang von 45 min täglich erforderlich seien. Aufgrund des geringen zeitlichen Aufwandes für die gesamte pflegerische Versorgung der Klägerin, sei aber weiterhin nur eine Einstufung in die Pflegestufe I möglich. Gleichwohl sei ein Fortschreiten der Demenzerkrankung erkennbar. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei in erhöhtem Maße eingeschränkt.

Am 18.06.2009 erhob der Betreuer der Klägerin „Untätigkeitsklage“ zum Sozialgericht Regensburg (SG, S 4 SO 40/09).

Die E. wies die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide 01.04.2008 und 16.06.2008 mit zurück. Der Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin ergebe sich aus den beiden Gutachten des MDK.

Am 30.11.2009 hat die damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage zum SG (S 4 SO 91/09) erhoben. Der Klägerin sei ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „B“, „G“ und „aG“ zuerkannt worden. Die Vielzahl von Gesundheitsstörungen lasse es gerechtfertigt erscheinen, Leistungen der Pflegestufe III zu gewähren.

Mit Änderungsbescheid vom 01.12.2009 hat die Beklagte ein Pflegegeld für die Zeit ab 01.01.2010 in Höhe von 225 € monatlich gewährt. Seit 01.01.2012 gewährt die Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von 235 € monatlich; einen dies ausdrücklich umsetzenden Bescheid hat die Beklagte gleichwohl nicht erlassen.

Das SG hat zwei Gutachten bei dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Sozialmedizin, Umweltmedizin Dr. med. J. E. jeweils nach Hausbesuchen bei der Klägerin, eingeholt.

Im ersten Gutachten vom 05.07.2011 listete der Sachverständige als pflegerelevante Gesundheitsstörungen auf: dementielles Syndrom mit Gangunsicherheit und Blaseninkontinenz, chronische Depressionen mit Antriebsarmut, Ernährungsstörung im Rahmen der Demenz und der Depression sowie Beinkrampfadern mit Ödembildung an den Unterschenkeln. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass der anrechenbare Zeitaufwand für die Grundpflege (Körperpflege, Darm- und Blasenentleerung, Ernährung, Mobilität) bei etwa 142 min täglich liege und der zeitliche Aufwand für die gesamte pflegerische Versorgung - welche die hauswirtschaftliche Versorgung mit einschließe - bei etwa 202 min pro Tag liege. Der Übergang von Pflegestufe I zu Pflegestufe II habe zwischen März 2008 und Mai 2009 stattgefunden; es biete sich an, als Beginn des Vorliegens von Pflegestufe II den Februar 2009 als Stichtag heranzuziehen.

Das zweite - unter dem 29.10.2012 erstellte - Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass zwar eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes und des dementiellen Syndroms bei der Klägerin festzustellen sei; hieraus aber eine wesentliche Änderung des zeitlichen Pflegebedarfes oder gar eine andere Pflegestufe nicht resultiere. Der zeitliche Aufwand für die gesamte pflegerische Versorgung der Klägerin liege bei etwa 200 min pro Tag.

Das SG hat durch Beschluss vom 05.09.2011 die Verfahren S 4 SO 40/09 und S 4 SO 91/09 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Gerichtsbescheid vom 8. Februar 2013 hat es die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.04.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2009 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 01.12.2009 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 01.02.2009 Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige (Stufe 2) zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen. Das SG hat die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach § 61 SGB XII und für einen Anspruch auf Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige nach § 64 Abs.2 SGB XII i.V.m § 37 Abs. 1 S.3 Nr. 2 SGB XI ab 01.02.2009 bejaht und ist dabei den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. E. gefolgt. Das SG ist von einem täglichen Grundpflegebedarf von 140 - 142 Minuten und einem Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung von 60 Minuten ausgegangen.

Gegen den am 20.02.2013 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 14.03.2013 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Es sei davon auszugehen, dass ein weiterer Pflegeaufwand im Umfang von 40 min täglich bestehe. Der zweite Bevollmächtigte der Klägerin hat in der ergänzenden Berufungsbegründung vom 25.03.2014 einen Grundpflegeaufwand von 250 Minuten geltend gemacht und dabei Angaben der Pflegerin Frau J. und des Betreuers zugrunde gelegt.

Die Klägerin beantragt;

die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 8. Februar 2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 01.04.2008, in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2009 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 01.12.2009 und des Bescheides vom 04.03.2013 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab 01.02.2009 Pflegegeld für Schwerstpflegebedürftige zu gewähren.

Am 11.02.2015 hat der Betreuer der Klägerin außerdem beantragt,

der Klägerin Schmerzensgeld, Schadensersatz, Opfergeld nach OEG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der vom Betreuer vorgenommenen Klageänderung hat die Beklagte am 04.03.2015 ausdrücklich widersprochen.

Mit Änderungsbescheid vom 04.03.2013 hat die Beklagte den Bescheid vom 01.12.2009 aufgehoben und der Klägerin ab 01.03.2013 ein Pflegegeld in Höhe von 440 € monatlich gewährt. Für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 28.02.2013 hat die Beklagte der Klägerin 10.045 € als Pflegegeld nachgezahlt.

Mit Beschluss vom 11.09.2014 hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwälte H., E., G., F-Stadt beigeordnet. Die Beiordnung hat der Senat mit Beschluss vom 12.03.2015 auf Antrag der beigeordneten Rechtsanwälte wieder aufgehoben.

Der Senat hat ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Hausbesuch von Dr. D., vom 29.12.2014 eingeholt. Dieser kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Pflegeaufwand von 161 min pro Tag für Körperpflege, Ernährung und Mobilität bestehe. Für hauswirtschaftliche Versorgung würden 60 min Pflege benötigt, so dass insgesamt ein täglicher Pflegeaufwand von 221 min vorliege. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei seit September 2008 in erhöhtem Maße eingeschränkt.

Der Betreuer der Klägerin hat das Gutachten von Dr. D. durch die Pflegerin Frau J. handschriftlich kommentieren lassen und einen höheren Pflegeaufwand geltend gemacht.

Der Beklagte hat auf Nachfrage des Senats ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf ein nach § 123 SGB XI erhöhtes Pflegegeld wegen der Einschränkung der Alltagskompetenz habe, weil dieser Anspruch nach § 123 SGB XI nur gesetzlich Pflegeversicherten zustünde und nicht zu einer Ausweitung des sozialhilferechtlichen Pflegeanspruches führe. Dies ergebe sich aus der Rechtssystematik, der amtlichen Begründung zu § 124 SGB XI und aus dem gesetzgeberischen Willen (vgl. Schreiben des BMAS vom 24.06.2013).

Zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45 a SGB XI seien nicht Gegenstand eines weiterverfolgten weiteren Verwaltungsverfahrens geworden. Der Betreuer der Klägerin habe diese Leistungen am 19.12.2008 beantragt. Die Beklagte habe die Klägerin mit Schreiben vom 19.01.2009, 15.06.2009 darüber informiert, dass die Leistungen nur zweckgebunden für qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen gewährt werden könnten. In einem weiteren Informationsschreiben an die damalige Bevollmächtigte vom 02.07.202009 seien die Voraussetzungen der Leistungen erläutert worden. Den gegen das Infoschreiben erhobenen Widerspruch habe die Bevollmächtigte am 31.08.2009 wieder zurückgenommen. Die Beklagte gehe daher davon aus, dass der ursprüngliche Antrag nicht weiterverfolgt worden sei. Im Übrigen seien keinerlei Rechnungen über entsprechende qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen eingereicht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 8. Februar 2013 ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf ein höheres Pflegegeld für die Zeit ab 01.02.2009 zu.

2. Der Senat durfte in seiner nach Geschäftsverteilungsplan A 2015 geregelten Besetzung mit der dort vorgesehenen Vertreterin über die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Regensburg vom 08.02.2013 entscheiden. Das Befangenheitsgesuch vom 22.06.2015, eingegangen bei LSG am 23.06.2015 um 11:06 h war unzulässig und offensichtlich missbräuchlich. Einer gesonderten Entscheidung über das Befangenheitsgesuch bedurfte es nicht (Keller in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 11. Auflage, § 60 Rn. 10 e).

Über ein offensichtlich unzulässiges und rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch können Gerichte unter Beteiligung der abgelehnten Richter entscheiden. Das Verbot der Selbstentscheidung (§§ 60 Abs. 1 SGG, 45 I ZPO) gilt insoweit nicht (vgl. BAG, Beschl. v. 7.2.2012 - 8 AZA 20/11).

Eine Ausnahme von dem in § 45 ZPO verankerten Verbot der Selbstentscheidung gilt für rechtsmissbräuchliche Ablehnungsanträge, welche offensichtlich und ausschließlich zur Prozessverschleppung oder zur Verfolgung anderer verfahrensfremder Zwecke gestellt werden (BeckOK ZPO § 45, Rn. 7 Autor: Vossler Beck’scher Online-Kommentar ZPO Hrsg: Vorwerk/Wolf, Stand: 01.03.2015, BGH NJW-RR 2005, 1226; OLG Karlsruhe MDR 2014, 242, OLG Köln JMBl NW 2009, 89; BAG NJW 2012, 1531; Musielak/Heinrich ZPO § 45 Rn. 3; Zöller/Vollkommer ZPO § 45 Rn. 4; Ghassemi-Tabar/Nober NJW 2013, 3686 f.). Ein offensichtlich unzulässiges und rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch liegt jedenfalls dann vor, wenn nicht erkennbar ist, dass das Gesuch überhaupt auf einen Grund gestützt werden soll, der die Besorgnis der Befangenheit auslösen und einen Ablehnungsgrund darstellen könnte.

An die Offensichtlichkeit des Rechtsmissbrauchs sind (vgl. dazu die Einschätzung des Gesetzgebers in § 26a StPO, BVerfG NJW 2005, 3410) strenge Maßstäbe anzulegen. Eine Selbstentscheidung ist daher nur zulässig, wenn die Begründung des Ablehnungsersuchens jeder Substanz entbehrt, so dass seine Verwerfung ein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand nicht erfordert. Ist dies nicht der Fall, kommt eine Selbstentscheidung nicht in Betracht, da sich der abgelehnte Richter über eine bloße formale Prüfung hinaus durch die inhaltliche Entscheidung eines gegen ihn gerichteten Ablehnungsantrags nicht zum Richter in eigner Sache machen darf.

Bei Anträgen ohne oder mit nur substanzloser Begründung ohne hinreichenden Bezug zum konkreten Rechtstreit (Musielak/Heinrich ZPO § 45 Rn. 3) - wie hier - ist eine Selbstentscheidung geboten. Es wird kein Ablehnungsgrund genannt. Ein solcher muss aber gem. § 42 Abs. 1 i. V. m. § 44 Abs. 2 S. 1 ZPO vorgebracht werden. Einem fehlenden Ablehnungsgrund steht es gleich, wenn die Begründung zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist (BVerfG 2.6.05, 2 BvR 625/01, NJW 05, 3410, 3412; Ghassemi-Tabar/Nober NJW 13, 3686, 3687), z. B. wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG NJW 97, 3327). Dies ist etwa der Fall, wenn der Beteiligte nur Wertungen ohne tatsächliche Substanz vorbringt.

Die Klägerin lehnt hier alle Richter in den Verfahren L 8 SO 3/13, L 8 SO 63/13, L 8 SO 50/13 und L 8 SO 51/13 ab und „weist reine deutsche Richter ausdrücklich zurück“. Es gäbe genügend andere EU Richter, die nicht reiner deutscher Herkunft seien, die entscheiden könnten sowie an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen könnten. Der Wunsch der Klägerin, die Richterbank nach bestimmten Nationalitäten zu besetzen, ist ein völlig ungeeigneter und nicht substantiierter Vortrag. Die Klägerin stellt ihren Befangenheitsantrag zudem unzulässiger Weise unter eine innerprozessuale Bedingung. So wird der Befangenheitsantrag gestellt, falls das Gericht die Absicht habe, die Verfahren abzuhandeln.

Damit nennt die Klägerin keinen Ablehnungsgrund i. S. § 42 Abs. 1, 2 ZPO. Das Gesuch ist rechtsmissbräuchlich und wird allein in Verschleppungsabsicht gestellt, weil die Klägerin mit dem Gesuch ausschließlich die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Sie versucht damit, den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu verhindern und verfolgt verfahrensfremde Zwecke. Die Klägerin, die im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren schon durch eine Vielzahl von Prozessbevollmächtigten vertreten war, zu denen das Mandatsverhältnis immer wieder nachhaltig gestört war und beendet wurde, versucht, einem weiteren Bevollmächtigten ein Mandat zu erteilen, der dies aber schon abgelehnt hat. Einen Verlegungsantrag nach § 202 SGG, § 227 Abs. 1 ZPO hat die Klägerin nicht gestellt.

3. Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2015 auch in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da dem Betreuer der Klägerin mit Postzustellungsurkunde vom 02.06.2015 ordnungsgemäß der Termin mitgeteilt wurde und in der Terminsmitteilung darauf hingewiesen wurde, dass im Falle eines Ausbleibens ein Urteil nach Lage der Akten ergehen könne (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Dass der Betreuer Kenntnis vom Termin hatte, ergibt sich zudem aus seinen Schreiben vom 22.06.2015, 20.06.2015 und 17.06.2015.

Die Terminsmitteilung (mit dem Hinweis auf § 110 SGG) wurde auch dem neuen Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des neuen Bevollmächtigten vom 21.05.2015. Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 19. Mai 2015 auf deren Antrag den neuen Bevollmächtigten im Rahmen der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe beigeordnet. Der neue Bevollmächtigte wurde am 18.06.2015 auch vom Betreuer der Klägerin bevollmächtigt.

4. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 8. Februar 2013 ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf ein höheres Pflegegeld für die Zeit ab 01.02.2009 zu.

Gegen die Entscheidung des SG vom 8. Februar 2013 ist die Berufung zulässig, da sie nach § 144 Abs. 1 S. 1 SGG nicht ausgeschlossen ist (§ 143 SGG). Die Klägerin begehrt für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr laufenden höhere Geldleistungen, so dass die Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGG statthaft ist. Die Berufung ist zulässig und form- und fristgemäß eingelegt (§ 151 SGG).

5. Streitgegenständlich ist das mit der Berufung geltend gemachte Pflegegeld nach der Pflegestufe III für die Zeit ab 01.02.2009.

6. Soweit die Klägerin mit der Berufung auch einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen eines vermeintlichen Vertrauensschadens und einer Amtspflichtverletzung

geltend macht, handelt es sich um eine unzulässige Klageänderung im Berufungsverfahren, weil sich weder die Beklagte darauf eingelassen hat (vgl. Schreiben vom 04.03.2015) noch der Senat die Klageänderung für sachdienlich hält (§ 99 Abs. 1 SGG).

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 04.03.2015 einer diesbezüglichen Klageänderung ausdrücklich widersprochen.

Damit liegt auch keine zulässige, in der Berufungsinstanz erstmals erhobene Klage auf Schadensersatz aus Amtshaftung vor, die vom anhängigen Verfahren abzutrennen und als erstinstanzliche Klage in der Berufungsinstanz zu erfassen wäre (BSG, Urteil vom 28.03.2000, Az.: B 8 KN 3/98 UR, Rz. 12, Bayer. LSG Beschluss vom 24.11.2014, L 7 SF 250/14 KL, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -). Ein solche würde voraussetzen, dass ein Fall des § 99 Abs. 3 Nr. 3 GG vorläge, der kraft gesetzlicher Fiktion nicht als Klageänderung anzusehen ist. Hier macht die Klägerin aber unverändert auch noch originäre Ansprüche auf höheres Pflegegeld weiter neben vermeintlichen Schadensersatzansprüchen geltend.

Ein Ausnahmefall, der dem Senat über die Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG als Rechtsmittelgericht eine eigene Kompetenz geben könnte, über den Amtshaftungsanspruch zu entscheiden, liegt nicht vor, da in erster Instanz keine Entscheidung in der Hauptsache im Sinn von § 17a Abs. 5 GVG über den Amtshaftungsanspruch getroffen werden konnte und getroffen wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2012, Az.: B 13 R 473/11 B). Der Senat ist deshalb nicht verpflichtet, kraft eigener Kompetenz über die Amtshaftungsanspruch zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2010, Az.: B 13 R 63/10 B).

7. Streitgegenständlich sind nicht mehr die von der Klägerin ursprünglich angegriffenen Verwaltungsentscheidungen vom 01.04.2008, vom 16.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 28.10.2009 und vom 01.12.2009. Denn die Beklagte hat mit Änderungsbescheid vom 04.03.2013 den Bescheid vom 01.12.2009 für die Zeit ab 01.03.2013 aufgehoben und der Klägerin ab 01.03.2013 ein Pflegegeld in Höhe von 440 € monatlich gewährt. Für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 28.02.2013 hat die Beklagte der Klägerin 10.045 € als Pflegegeld entsprechend der Verurteilung im Gerichtsbescheid des SG vom 8. Februar 2008 nachgezahlt. Ihr Klageziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 SGG die auf die Gewährung eines höheren Pflegegeldes ab 01.02.2009 gerichtet ist. Die Beklagte hat der Klägerin mit den angegriffenen Bescheiden Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligt, zwischenzeitlich aber ab 01.02.2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe 2 gewährt.

8. Die Klägerin hat für die Zeit ab 01.02.2009 einen Anspruch auf Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige nach der Pflegestufe II. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe III für Schwerstpflegebedürftige.

a) Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum leistungsberechtigt im Sinne des § 61 Abs. 1 SGB XII. Danach erhalten Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege. Aufgrund der diagnostizierten Erkrankungen der Klägerin, die zuletzt in dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. D. vom 29.12.2014 bestätigt wurden (Demenz bei Alzheimer-Krankheit, Stuhlinkontinenz, Harninkontinenz, chronisch venöse Insuffizienz beider Beine, Schulterversteifung bds. bei Oberarmfraktur rechts, Arthrose beider Hüftgelenke, Arthrose beider Kniegelenke, Mangelernährung, degeneratives Wirbelsäulensyndrom) liegen damit Krankheiten und Behinderungen i. S. § 61 Abs. 3 Nrn. 1-3 SGB XII vor, wegen der die Klägerin der Hilfe bei den gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 61 Abs. 5 SGB XII) dauerhaft bedarf.

Die Klägerin ist auch nicht pflegeversichert und hat demnach keinen Anspruch auf (vorrangige) Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI (§ 2 SGB XII, § 13 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Klägerin war nie Mitglied der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Zuerkennung einer zum 01.08.2014 rückwirkenden Familienversicherung in der bosnisch-herzegowinischen Krankenversicherung ihres Ehemannes im Wege der Leistungsaushilfe der Barmer GEK vermittelt der Klägerin keinen Zugang zur deutschen Pflegeversicherung. Im Übrigen hätte sie dort selbst dann, wenn sie über ihren Ehemann in der gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI familienversichert wäre, eine Karenzzeit von zwei Jahren Versicherungszeit (§ 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB XI).

b) Die Hilfe zu Pflege umfasst gemäß § 61 Abs. 2 SGB XII auch die häusliche Pflege nach § 63 SGB XII. Sie dient dazu, den Zweck des § 63 SGB XII zu erreichen, nämlich es dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, seine Pflege durch nahe stehende Personen oder durch Nachbarschaftshilfe zu sichern. Dabei ist das Pflegegeld nicht dazu gedacht, die genannten Personen für ihre Pflegehilfe zu bezahlen. Das Pflegegeld dient vielmehr dazu, deren Pflegebereitschaft zu erhalten und zu stärken, indem ihnen etwa kleinere Zuwendungen gewährt werden (BVerwGE 92, 220 = NVwZ 1994, 490; OVG Frankfurt/Oder, FEVS 54, 371; VGH Kassel, Behindertenrecht 2004, 88). Dies schließt nicht aus, dass der Pflegebedürftige den Pflegepersonen aus dem Pflegegeld regelmäßig Zahlungen zukommen lässt. Die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 64 SGB XII ist dabei die wichtigste Leistungsart der häuslichen Pflege. In terminologischer und inhaltlicher Hinsicht knüpfen § 64 Abs. 1 - 3 SGB XII an die entsprechenden Regelungen in § 15 und § 37 SGB XI an. Anders als in den parallelen Vorschriften des SGB XI fehlt in § 64 Abs. 1 - 3 SGB XII zwar der Begriff der Pflegestufe; gleichwohl entsprechen die drei Grade der Pflegebedürftigkeit nach § 64 Abs. 1-3 SGB XII den pflegeversicherungsrechtlichen Pflegestufen nach § 15 SGB XI (zu all dem Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 64 Rz. 2 und 8).

c) § 64 XII unterscheidet in seinen Absätzen 1 - 3 zwischen erheblich Pflegebedürftigen, Schwerpflegebedürftigen und Schwerstpflegebedürftigen. Erheblich pflegebedürftig sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrmals in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Eine Zuordnung zur Schwerpflegebedürftigkeit setzt voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Schwerstpflegebedürftig sind endlich solche, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XI präzisiert den Terminus der Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegestufe II) dahingehend, dass der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden zu betragen hat, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen. Unter Grundpflege ist gemäß § 14 Abs. 4 Nrn.1 - 3 SGB XI die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, unter hauswirtschaftlicher Versorgung gemäß § 14 Abs. 4 Nr.4 SGB XI die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und Beheizung zu verstehen. Dagegen muss nach § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XI der Zeitaufwand in Pflegestufe III wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens drei Stunden entfallen müssen.

d) Daran gemessen liegen lediglich die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes für Schwerpflegebedürftige (Pflegestufe II) vor; der tägliche Grundpflegebedarf der Klägerin betrug im streitgegenständlichen Zeitraum seit dem 01.02.2009 mehr als die nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XI geforderten 120 Minuten. Ein für Leistungen der Pflegestufe III täglich notwendiger Zeitaufwand für Grundpflegeleistungen in Höhe von mindestens 240 Minuten (§ 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XI) lässt sich hingegen nicht feststellen.

Diese Erkenntnis des Senats ergibt sich aus den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. E. vom 05.07.2011 und 29.10.2012 und dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. D. vom 29.12.2014.

Danach ist der Pflegebedarf der Klägerin im Laufe der Zeit angewachsen, er erreicht unverändert aber nicht die für die Zuerkennung der Pflegestufe III erforderliche Schwelle von täglich 240 Minuten Grundpflege.

Dies ergibt sich aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des sozialmedizinischen Sachverständigen Dr. D. vom 29.12.2014, der die Klägerin im Rahmen eines Hausbesuches begutachtet hat. Das Gutachten gibt die häusliche Pflegesituation der Klägerin schlüssig und nachvollziehbar wieder. Der medizinische Sachverständige hat zunächst die pflegebegründende Vorgeschichte anhand der Akten und der Angaben des Sohnes und Betreuers der Klägerin dargestellt. Anschließend hat er die pflegebegründenden Diagnosen und Befunde und funktionelle Einschränkungen der Klägerin aufgrund eigener Untersuchung beschrieben. Nach der Inaugenscheinnahme hat der Sachverständige die Versorgungssituation der Klägerin beschrieben. In seiner Beurteilung der Pflegesituation hat der medizinische Sachverständige zunächst die Behinderung der Klägerin als Demenz schweren Grades mit kognitiven Beeinträchtigungen und Verlust der selbstständigen Handlungsfähigkeit, eine Stuhl- und Harninkontinenz, erhebliche Beeinträchtigung des Bewegungsapparats und eine allgemeine körperliche Schwäche bei Unterernährung festgestellt. Sodann hat er, in Übereinstimmung mit den Richtlinien des GKV- Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI und der Hilfsmittel-Richtlinie sowie dem Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes zunächst den Hilfebedarf der Klägerin in den vier Kategorien Körperpflege, Ernährung, Mobilität und Hauswirtschaft tabellarisch beschrieben und anschließend bewertet, bevor er abschließend die vom Senat gestellten Beweisfragen beantwortet hat. Seinem Gutachten hat er eine vom Betreuer und der Pflegerin Frau J. unterzeichnete Aufstellung des Tagesablaufes der Klägerin und den jüngsten Bescheid des ZBFS vom 05.11.2014 beigefügt.

Das Gutachten beschreibt den Pflegebedarf der Klägerin und deren Bedarf an Pflegehilfsmitteln nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es zeigt eine sich verschlechternde Entwicklung bei der Klägerin verglichen mit den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten von Dr. E. vom 05.07.2011 und 29.10.2012. In der Zusammenschau aller drei Gutachten ergibt sich ein in sich schlüssiges Bild von der Pflegesituation und dem daraus resultierenden Pflegebedarf der Klägerin.

Der medizinische Sachverständige hat verrichtungsbezogen den Zeitbedarf für die einschlägigen Verrichtungen in Übereinstimmung mit der nach § 17 SGB XI erlassenen Pflegebedürftigkeitsrichtlinie und Begutachtungsrichtlinie erfasst. Er hat sich dabei an den in den Begutachtungsrichtlinien (BRi) festgelegten Zeitkorridoren orientiert, die Orientierungswerte für die Pflegezeitbemessung der Verrichtungen der Grundpflege geben. Das Gutachten stützt sich auf die individuellen Pflegebedürfnisse der Klägerin, die der Sachverständige in ihrem häuslichen Umfeld begutachtet hat. Der Gutachter berücksichtigt Pflege erschwerende und erleichternde Faktoren und legt einen individuellen Maßstab bezogen auf das konkrete Wohnumfeld der Klägerin an.

In der tabellarischen Darstellung des Hilfebedarfes stellt der Sachverständige in Übereinstimmung mit der im Text beschriebenen Pflegesituation im Bereich der Körperpflege fest, dass die Klägerin diese überhaupt nicht mehr selbst ausführen kann. Daher werden alle beschriebenen einzelnen Verrichtungen in dem Gutachten nachvollziehbar mit der vollständigen Übernahme beschrieben. Die einzelnen Zeitangaben für die Verrichtungen Waschen (Teilwäsche Hände/Gesicht, Duschen/Baden, Zahnpflege, Kämmen) betragen 34 Minuten täglich, wobei das Duschen/Baden entgegen der Beschreibung der Pflegerin täglich mit 20 Minuten angesetzt wird, obwohl im Wechsel auch Ganzkörperwäschen im Bett durchgeführt werden. Diese sind jedoch nach den BRi Punkt F 4.1 mit einem Orientierungswert von 20 - 25 Minuten zu bewerten, für das Duschen/Baden werden nach BRi hingegen 15 -20 Minuten angesetzt. Das tägliche Berücksichtigen einer Dusche/Bad mit 20 Minuten ist daher sachgerecht. Eine Hilfestellung beim Einsteigen in die Badewanne ist im Bereich der Mobilität „Stehen“ zu berücksichtigen (BRi); dies wurde vom Sachverständigen auch so vermerkt.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Pflegebedarf der Klägerin an Verrichtungen zur Körperpflege zutreffend vom medizinischen Sachverständigen mit insgesamt 76 Minuten bewertet wurde und in diesem Umfang auch besteht. Aus der durch die Pflegerin handschriftlich kommentierten Version des Gutachtens (Schreiben des Betreuers der Klägerin vom 11.02.2015) ergibt sich kein höherer Bedarf. Dort werden die vom Gutachter eingeschätzten Zeitanteile jeweils mit dem Zusatz: „Unmöglich zu schaffen aufgrund wegen Abwehrhaltung“ kommentiert. Dieses pflegeerschwerende Verhalten hat der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten berücksichtigt (vgl. Gutachten vom 29.12.2014, S. 4).

Im Bereich der Ernährung liegt zur Überzeugung des Senats ein verrichtungsbezogener Pflegebedarf von insgesamt 51 Minuten täglich vor. Auch hier geht der Senat davon aus, dass ebenfalls eine vollständige Übernahme durch die Pflegeperson erfolgt. Dies kommt in dem Gutachten durch die Einschätzung „VÜ“ vollständige Übernahme zum Ausdruck. Der Gutachter hat entsprechend der BRi für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung 6 Minuten täglich eingerechnet. Nach BRi Ziffer D 4.2 Punkt 8 gehört zur „mundgerechten“ Zubereitung der Nahrung allein die letzte Maßnahme vor der Nahrungsaufnahme, z. B. das Zerkleinern in mundgerechte Bissen, das Heraustrennen von Knochen und Gräten, das Einweichen harter Nahrung bei Kau- und Schluckbeschwerden und das Einfüllen von Getränken in Trinkgefäße. Erfasst werden nur solche Maßnahmen, die dazu dienen, die bereits zubereitete Nahrung so aufzubereiten, dass eine abschließende Aufnahme durch den Antragsteller erfolgen kann. Hierzu zählen nicht das Kochen oder das Eindecken des Tisches. Zur Aufnahme der Nahrung gehören die Nahrungsaufnahme in jeder Form (fest, breiig, flüssig) wie auch die Verabreichung von Sondennahrung mittels Ernährungssonde einschließlich der Pflege der Sonde und die Verwendung von Besteck oder anderer geeigneter Geräte (z. B. behindertengerechtes Geschirr oder Essbesteck), um Nahrung zum Mund zu führen. Notwendige Aufforderungen zur bedarfsgerechten Aufnahme der Nahrung in fester, breiiger und flüssiger Form (Essen und Trinken), die eine Überwachung und/oder Erledigungskontrolle erfordern, sind beim Hilfebedarf zu berücksichtigen, wenn der Antragsteller aufgrund fehlender Einsichtsfähigkeit dazu nicht in der Lage ist.

Die vom medizinischen Sachverständigen angesetzten Zeitanteile stehen in Übereinstimmung mit den Orientierungswerten in den BRi und sind auch angesichts der Beschreibung des Pflegeablaufes in der dem Gutachten beigegebenen Beschreibung durch die Pflegeperson vom 29.12.2014 nachvollziehbar. Zutreffend hat der Sachverständige auch das Pürieren der Nahrung der hauswirtschaftlichen Zubereitung des Essens zugeschlagen. Er hat ebenso zutreffend das darüber hinausgehende mundgerechte Zubereiten mit täglich sechs Minuten angesetzt.

Im Bereich der Mobilität sieht der Senat einen verrichtungsbezogenen Bedarf der Klägerin im Umfang von insgesamt 34 Minuten. Der Senat folgt auch hier der Einschätzung von Dr. D., der für das Aufstehen und Zubettgehen einen Bedarf von 4 Minuten, für die vollständige Übernahme des Ankleidens 16 Minuten, für das Entkleiden 8 Minuten und für Gehen, Stehen/Transfer einen Bedarf von 6 Minuten berücksichtigt hat. Auch diese Werte stehen in Übereinstimmung mit den BRi, die für Ankleiden 8 -10 Minuten, für das Entkleiden gesamt 4-6 Minuten vorsehen. Der vom Sachverständigen berücksichtigte höhere Zeitanteil resultiert nachvollziehbar aus der Berücksichtigung des erhöhten Aufwandes beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse 2. Die Einschätzung der Zeitanteile für die Mobilität ist schlüssig, nachdem sich die Klägerin nicht mehr allein in der kleinen Wohnung bewegt und einen Positionswechsel (vom Pflegebett zur Couch) nur mit Unterstützung der Pflegeperson vornimmt. Schlüssig ist auch die Begründung des Gutachters, wonach die Klägerin noch nicht vollständig bettlägerig ist und kein zusätzlicher Bedarf an Umlagerungen tagsüber oder nachts gesehen wird, nachdem die Klägerin zwar bewegungseingeschränkt, aber nicht bewegungsunfähig ist.

Somit ergibt sich ein Bedarf an Grundpflege im Umfang von 161 Minuten täglich, der der Einschätzung in die Pflegestufe II (mindestens 120 Minuten Grundpflege) entspricht. Ein Grundpflegebedarf von 240 Minuten, wie er der Pflegestufe III nach § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XI entspräche, ist nicht begründbar.

Bei der hauswirtschaftlichen Versorgung der Klägerin ist nach den BRi Ziffer D 4.4 der tatsächlich anfallende individuelle Hilfebedarf zu bewerten und der Zeitaufwand in Stunden pro Woche abzuschätzen. Es sind nur die Tätigkeiten bei Verrichtungen zu berücksichtigen, die sich auf die Versorgung der Antragstellerin selbst beziehen. Die Versorgung möglicher weiterer Familienmitglieder bleibt unberücksichtigt. Wenn ein krankheits- und/oder behinderungsbedingter Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung besteht, ist er zu berücksichtigen, auch wenn die Versorgung durch Dritte (z. B. Putzfrau, Essen auf Rädern, Angehörige) erfolgt. Die hauswirtschaftliche Versorgung umfasst das Einkaufen, das Kochen, das Reinigen der Wohnung, das Spülen und das Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung. Der vom Sachverständigen angesetzte Bedarf von täglich 60 Minuten ist nachvollziehbar und schlüssig.

Damit ergibt sich insgesamt ein täglicher Pflegebedarf der Klägerin im Umfang von 221 Minuten, so dass die Einstufung in die Pflegestufe II insgesamt zutreffend ist. Das SG hat die Beklagte bereits zur Zahlung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe II verpflichtet.

Von Seiten der Klägerin wurden keine substantiierten Einwände gegen die Richtigkeit des Gutachtens vorgebracht. Die Klägerin trägt lediglich vor, dass die Angaben zum Zeitaufwand „unrealistisch“ seien, ohne dies aber im Einzelnen ausführlich und einleuchtend zu begründen. So wird pauschal behauptet, dass die Zeitangaben aus dem Gutachten aufgrund der Abwehrhaltung der Klägerin unmöglich einzuhalten seien. Im Bereich der Mobilität werden mindestens 4 wöchentliche Fahrten an die Frischluft angegeben, die der Gutachter vergessen habe. Berücksichtigungsfähig sind bei der Mobilität jedoch nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen. Weitere Hilfen - z. B. bei Spaziergängen oder Besuchen von kulturellen Veranstaltungen - sind nicht berücksichtigungsfähig (Koch in Kasseler Kommentar, § 14 SGB X, Rn. 19).

Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass eine „minutengenaue“ Bestimmung des Pflegeaufwandes nicht möglich ist und den eingeholten Sachverständigengutachten eine gewisse Ungenauigkeit wesensimmanent ist, kann - auch unter Berücksichtigung einer „Fehlertoleranz“ - ein Zeitaufwand für die Grundpflege von über 240 Minuten - anstatt der vom Sachverständigen festgestellten 161 Minuten - ohne weiteres ausgeschlossen werden. Denn selbst wenn man der zeitlichen Einschätzung des Grundpflegebedarfes die jeweils höheren Werte aus den Zeitkorridoren der BRi zugrunde legt, ergäbe sich im Bereich der Körperpflege ein höherer Bedarf von insgesamt 35 Minuten, bei der Ernährung von plus 18 Minuten und bei der Mobilität von plus 4 Minuten, insgesamt somit plus 57 Minuten. Selbst bei dieser „worst-case“ Berechnung anhand der oberen Werte aus der BRi läge der Pflegebedarf für die Grundpflege unterhalb von 240 Minuten (nämlich bei 218 Minuten).

In Übereinstimmung mit dem SG weist der Senat darauf hin, dass die Vielzahl der bei der Klägerin vorliegenden medizinischen Befunde und Diagnosen keine höhere Pflegestufe rechtfertigt. Endlich geht auch das Vorbringen, die Schwerbehinderung der Klägerin sei nicht ausreichend gewürdigt worden, an der Sache vorbei. Die Feststellung der Merkzeichen „B“, „G“ und „aG“ nach dem Schwerbehindertenrecht hat keine Bindungswirkung für das Recht des SGB XI. Die Rechtsprechung hat bereits früh darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen einer Zuordnung zu den Pflegestufen des SGB XI nur nach den darin enthaltenen Kriterien zu ermitteln sind (BayLSG, Urteil vom 14.12.2011 - Az.: L 2 P 72/10, Rz. 24 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 26.11.1998 - Az.: B 3 P 20/97 R).

e) Die Höhe des Pflegegeldes bemisst sich danach, in welche der drei Pflegestufen die Hilfeempfängerin eingestuft ist. Für die Pflegegeldhöhe verweisen die Absätze 1-3 des § 64 SGB XII auf die in § 37 SGB XI genannten Beträge. Danach beträgt das Pflegegeld in der Pflegestufe II für den Zeitraum bis 31.12.2009 420 € monatlich, ab 01.01.2010

430 € monatlich und ab 01.01.2012 440 € monatlich und ab 01.01.2015 458 € monatlich.

Da die Beklagte ursprünglich lediglich Leistungen der Pflegestufe I gewährt hat, waren die entsprechenden Differenzbeträge zur Pflegestufe II nachzubezahlen und künftig Leistungen der Pflegestufe II zu gewähren. Für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 28.02.2013 ergab sich somit zugunsten der Klägerin eine von der Beklagten zu leistende Nachzahlung in Höhe von insgesamt 10.045 €. Ab 01.03.2013 gewährt die Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von monatlich 440 € (Bescheid vom 04.03.2013). Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte der Klägerin entsprechend der gesetzlichen Anhebung ab 01.01.2015 monatlich 458 € als Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige gewährt.

f). Aus dem Umstand, dass die Klägerin nach den schlüssigen Feststellungen des Gutachters, denen der Senat folgt, erheblich in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt ist, und ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung i. S. § 45 a SGB XI vorliegt, ergibt sich kein höherer Anspruch auf Pflegegeld. Die Klägerin ist zwar in den Bereichen aus § 45 a Abs. 2 S. 1 Nrn. 6, 7, 8, 9, 10, 13 SGB XI eingeschränkt (Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen; Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung; Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben; Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus; Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren; zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression). Daraus lässt sich jedoch kein Anspruch auf höheres Pflegegeld nach § 64 Abs. 2 SGB XII i. V. m. § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB XI ableiten.

Die zusätzlichen Verrichtungen bedingen einen Pflegebedarf nach § 61 Abs. 1 S. 2 SGB XII i. S. des erweiterten Pflegebegriffs in der Sozialhilfe, wonach auch andere Verrichtungen als die in § 61 Abs. 5 SGB XII genannten gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen den Pflegebedarf begründen können.

Der Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen entsprechend § 45 b SGB XI ist jedoch zweckgerichtet auf die Inanspruchnahme von qualitätsgesicherten Betreuungsleistungen (§ 45 b Abs. 1 S. 5 SGB XI).

Das Ausgrenzen allgemeinen Aufsichts- und Betreuungsbedarfs aus dem relevanten Pflegebedarf erweist sich gerade bei geistig oder seelisch behinderten Menschen als problematisch, da bei ihnen im Wesentlichen nur dieser Pflegebedarf besteht, der zudem ein großes zeitliches Ausmaß erlangen kann. Dieses Problem ist jetzt durch das Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz - PflEG) vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3728), zuletzt geändert durch das Pflegeweiterentwicklungsgesetz vom 28.05.2008 (BGBl I S. 874) zum Teil entschärft. Danach ist ein neuer Abschnitt in das SGB XI (§§ 45a ff. SGB XI) eingefügt worden, der Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf vorsieht. Die entsprechenden Defizite in der Alltagskompetenz sind in § 45 a Abs. 2 Nr. 1 bis 13 SGB XI abschließend aufgezählt. Als Leistung ist nach § 45 b Abs. 1 SGB XI höchstens ein Betrag von 100 € monatlich (Grundbetrag) oder von 200 € (erhöhter Betrag) vorgesehen. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für Aufwendungen, die durch qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen entstehen. Gleichzeitig ist eine neuer § 13 Abs. 3a SGB XI eingefügt worden, wonach die Leistungen nach § 45 b SGB XI bei den Fürsorgeleistungen zur Pflege (also der Sozialhilfe) keine Berücksichtigung finden (Grube a. a. O. § 61 Rn. 24).

Ein Anspruch auf Pflegegeld aus der Sozialhilfe besteht jedoch nur für die in § 64 SGB XII genannten Verrichtungen der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftlichen Versorgung. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm, der Verwendung der Begrifflichkeiten (erheblich Pflegebedürftige, Schwerpflegebedürftige und Schwerstpflegebedürftige, die identisch mit den Begriffen aus §§ 15 Abs. 1 SGB XI) sowie aus der Verweisung auf die Vorschrift des § 37 Abs. 1 S. 3 Nrn. 1-3 SGB XI.

Im Übrigen hat die Klägerin am 19.12.2009 und erneut am 20.06.2009 bei der Beklagten zusätzliche Betreuungsleistungen beantragt. Die Beklagte informierte die Klägerin daraufhin am 19.01.2009 und am 15.06.2009 sowie am 02.07.2009 über die Voraussetzungen der Gewährung zusätzlicher qualitätsgesicherter Betreuungsleistungen. Den gegen das Informationsschreiben gerichteten Widerspruch der Klägerin nahm die damalige Bevollmächtigte der Klägerin am 31.08.2009 zurück.

Es braucht hier nicht entschieden werden, ob das die Gewährung zusätzlicher Betreuungsleistungen nach § 45 b SGB XI entsprechend gerichtete Verwaltungsverfahren der Beklagten noch offen ist, oder ob mit der Rücknahme des Widerspruchs gegen das Infoschreiben vom 02.07.2009 auch der entsprechende Leistungsantrag zurückgenommen wurde. Jedenfalls sind die zusätzlichen Betreuungsleistungen, die nach § 45 b SGB XI als untypischer Kostenersatzanspruch und nicht als Sachleistung ausgestaltet sind (Klie in LPK SGB XI, 4. Auflage, § 45 b Rn. 5) nicht Gegenstand des Verfahrens auf höheres Pflegegeld, weil es sich um eine eigenständige Leistungsart handelt. Zudem ist überhaupt nicht ersichtlich, ob bei der Klägerin ein entsprechender Bedarf vorliegt, weil nicht vorgetragen wurde, dass die Klägerin besondere Betreuungsmöglichleiten nach § 45 b Abs. 1 S. 6 SGB XI (Erstattung von Aufwendungen durch die Inanspruchnahme von Leistungen der Tages- und Nachtpflege, der Kurzzeitpflege, der zugelassenen Pflegedienste oder der nach Landesrecht zugelassenen niederschwelligen Angebote) in Anspruch nimmt.

g.) Eine Erhöhung des Pflegegeldes nach der Pflegestufe II für die Zeit ab 01.01.2013 entsprechend der Übergangsregelung des § 123 SGB XI - verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz - kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Nach § 123 Abs. 4 SGB XI in der Fassung vom 23.10.2012, gültig ab 01.01.2013 bis 31.12.2014 erhöht sich für Pflegebedürftige der Pflegestufe II das Pflegegeld nach § 37 um 85 Euro auf 525 Euro und die Pflegesachleistungen nach § 36 um 150 Euro auf bis zu 1 250 Euro.

Nach § 123 Abs. 4 SGB XI in der Fassung vom 17.12.2014, gültig ab 01.01.2015 erhöht sich für Pflegebedürftige der Pflegestufe II das Pflegegeld nach § 37 um 87 Euro auf 545 Euro und die Pflegesachleistungen nach § 36 um 154 Euro auf bis zu 1 298 Euro.

§ 123 SGB XI ist mit Wirkung vom 01.01.2013 durch Art. 1 Nr. 48 des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG) vom 23.10.2012 angefügt worden. Durch Art. 1 Nr. 29 des Ersten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetzes - PSG I) vom 17.12.2014 (BGBl I 2014, 2222) ist § 123 Abs. 2-4 SGB XI geändert worden.

Mit der neuen Vorschrift des § 123 SGB XI werden für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a SGB XI) Leistungsverbesserungen in der sozialen und privaten Pflegeversicherung eingeführt; bei diesem Personenkreis spielen die körperlichen Defizite häufig nicht die zentrale Rolle, ihr dennoch bestehender Hilfe- und Betreuungsbedarf konnte nach den früheren Regelungen nicht ausreichend bei der Begutachtung erfasst werden. Deshalb soll der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert werden.

Nach dem Wortlaut der neuen Vorschrift des § 123 SGB XI sollen Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, bereits höhere Leistungen erhalten und neben Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung auch Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen können.

Die Anforderungen bezüglich erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ergeben sich aus § 45a SGB XI; der Anspruch ist auf Versicherte beschränkt, die in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt werden, zumal bei der stationären Pflege bereits vor Inkrafttreten des PNG soziale Betreuung gewährleistet ist (§ 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XI) und künftig bei allen Formen der stationären Pflege zusätzliche Betreuungskräfte (§ 87b SGB XI) zulasten der Pflegekassen eingesetzt werden können ( Dahm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 1. Aufl. 2014, § 123 SGB XI, Rn. 1 ff).

Ein Anspruch der Klägerin auf ein entsprechend der in § 123 SGB XI festgelegten Sätze erhöhtes Pflegegeld für Schwerpflegebedürftige nach § 64 Abs. 2 SGB XII besteht nicht.

Mit der Einführung der Leistungen der §§ 123 ff SGB XI sind die Regelleistungen der §§ 36 ff SGB XI, auf die § 64 SGB XII ausdrücklich verweist, nicht ausgeweitet worden. Diese Sonderleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung können daher nicht vom Sozialhilfeträger gewährt werden, sondern kommen ausschließlich den nach dem SGB XI Pflegeversicherten zugute (Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII Kommentar, 19. Auflage, § 64 Rn. 5).

Dies ergibt sich aus der Rechtssystematik. Die Leistungen nach § 123 SGB XI werden im Leistungskatalog des § 28 SGB XI gesondert in § 28 Abs. 1 b S. 2 SGB XI aufgeführt. Hinsichtlich des Inhalts der Leistungen der Hilfe zur Pflege verweist § 61 Abs. 2 S. 2 SGB XII aber nur auf § 28 Abs. 1 Nrn. 1 und 5-8 SGB XI. Damit sind die verbesserten Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 123 SGB XI nicht Inhalt der Leistungen der Hilfe zur Pflege in der Sozialhilfe. Die Verweisung in § 64 Abs. 2 SGB XII bezieht sich ausschließlich auf ein Pflegegeld in Höhe von § 37 Abs.1 S. 3 Nr. 2 SGB XI.

Aus den Gesetzesmaterialien zu dem Pflegeneuausrichtungsgesetz PNG ergibt sich der gesetzgeberische Wille, mit der Einführung des § 123 SGB XI eine Übergangsleistung außerhalb des Systems der Regelleistungen des SGB XI und der Hilfe zur Pflege einzuführen, um eine präjudizierende Wirkung im Hinblick auf die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu vermeiden. So heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des PNG, Bundestagsdrucksache, 17/9369, vom 23.04.2012, S. 52 ff:

„Zu § 123 (neu)

Mit dieser Vorschrift werden für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a) Leistungsverbesserungen in der sozialen und privaten Pflegeversicherung eingeführt. Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen haben einen besonderen Hilfe- und Betreuungsbedarf, der vor allem über den Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege, also der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, hinausgeht. Bei diesem Personenkreis spielen die körperlichen Defizite häufig nicht die zentrale Rolle. Ihr dennoch bestehender Hilfe- und Betreuungsbedarf kann nach den bisherigen Regelungen oftmals nicht ausreichend bei der Begutachtung erfasst werden. Aus diesem Grund soll der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert werden. Das Bundesministerium für Gesundheit wird die weiteren Schritte für die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs von einem Expertenbeirat fachlich fundiert vorbereiten lassen.

Bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, sollen Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz jedoch bereits höhere Leistungen erhalten (§ 123) und neben Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung auch Betreuungsleistungen (§ 124) in Anspruch nehmen können.

Die Leistungsverbesserungen beziehen sich auf Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, weil die stationäre Pflege bereits heute die soziale Betreuung mit einschließt (§ 82 Absatz 1 Satz 3) und darüber hinaus künftig bei allen Formen stationärer Pflege zusätzliche Betreuungskräfte (§ 87b) zulasten der Pflegekassen eingesetzt werden können.

Zu Absatz 1

Bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, erhalten ambulant versorgte Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a) aufgestockte Leistungen, die höher liegen als die aktuellen Leistungsbeträge der jeweiligen Pflegestufe. Weder das bestehende Begutachtungsverfahren nach § 18 noch das Verfahren zur Feststellung einer eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a müssen hierzu geändert werden. Damit wird bei der Frage, ob und in welcher Höhe Pflegeleistungen bezogen werden können, auch darauf abgestellt, ob ein besonderer Betreuungsbedarf im Sinne des § 45a bei der Begutachtung festgestellt wird. Etwa 500 000 ambulant versorgte Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und einem Pflegebedarf unterhalb der Pflegestufe III werden von den Leistungsverbesserungen profitieren.“

Damit ist klargestellt, dass es sich bewusst um Übergangsleistungen handeln soll, die das bisherige Leistungssystem des SGB XI und SGB XII nicht tangieren sollen.

Im Übrigen ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien der Begründung zu § 124 SGB XI (Anspruch auf häusliche Betreuung), dass es sich nur der Art nach um einen Sachleistungsanspruch im Sinne des § 36 SGB XI handeln soll. Die häusliche Betreuung ist aus diesem Grund nicht in § 36 SGB XI integriert, sondern als eigenständige Übergangsleistung außerhalb des Regelleistungskatalogs ausgestaltet worden. In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfes heißt es nach der Bundestagsdrucksache, 17/9369, vom 23.04.2012, S. 53: „Die Einbeziehung von häuslicher Betreuung im Übergangsrecht der Pflegeversicherung hat keine Ausweitung der Art und des Umfangs der Leistungen, die als Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch und dem Bundesversorgungsgesetz (Kriegsopferfürsorge) zu erbringen sind, zur Folge.“ Der Gesetzgeber hat sich damit bei Einführung des § 123 SGB XI bewusst gegen eine Anhebung des Pflegegeldes nach § 64 SGB XII entschieden, so dass keine Regelungslücke vorliegt.

Im Bereich der Hilfen zur Pflege finden die besonderen Bedarfe der demenzerkrankten Hilfebedürftigen ausschließlich in § 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII Berücksichtigung. Danach können Leistungen zur häuslichen Pflege angemessene Kosten für besondere Betreuungs- oder Pflegeleistungen übernommen werden (Schellhorn ia. a. O. § 61 Rn. 48 a. E.). Für eine Systemunabhängigkeit der besonderen Pflegeleistungen für demenzerkrankte Pflegeversicherte spricht auch die Abgrenzungsnorm des § 13 Abs. 3 a SGB XI, der anordnet, dass die Leistungen nach § 45 b SGB XI bei den Fürsorgeleistungen zur Pflege nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB XI keine Berücksichtigung finden.

Damit ergibt sich insgesamt für die Klägerin ein Anspruch auf Pflegegeld in entsprechender Höhe der Pflegestufe II, das ihr bereits von der Beklagten gewährt wird.

Die auf Gewährung eines höheren Pflegegeldes gerichtete Berufung hat somit keinen Erfolg.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

10. Gründe für die Zulassung der Revision nach § §160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG sind nicht ersichtlich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 3/07
vom
21. Juni 2007
in der Zwangsversteigerungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) § 47 Abs. 2 ZPO erlaubt nicht den Erlass einer Endentscheidung.

b) Die rechtsmissbräuchliche Ablehnung des Rechtspflegers kann nicht als sonstiger
- der Zuschlagserteilung einstweilen entgegenstehender - Grund im Sinne von
§ 83 Nr. 6 ZVG anerkannt werden; das gilt auch dann, wenn der Rechtspfleger
davon abgesehen hat, das Ablehnungsgesuch vor der Entscheidung über den Zuschlag
selbst als unzulässig zu verwerfen.
BGH, Beschl. v. 21. Juni 2007 - V ZB 3/07 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. Juni 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Schuldner gegen den Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 2006 wird zurückgewiesen. Der Gegenstandswert für die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens beträgt 304.500 €.

Gründe:


I.


1
Auf Antrag der Beteiligten zu 3 wurde die Zwangsversteigerung des im Rubrum näher bezeichneten Grundbesitzes der Schuldner angeordnet. Der Beitritt der Beteiligten zu 4 und 5 wurde zugelassen. Nachdem die Beteiligten zu 6 und 7 in dem Zwangsversteigerungstermin vom 23. August 2006 Meistbietende geblieben waren, bestimmte das Vollstreckungsgericht als Verkündungstermin den 5. September 2006, 11 Uhr. An diesem Tag ging bei dem Vollstreckungsgericht um 10 Uhr 18 ein Fax der Schuldner ein, in dem die Verschiebung der Zuschlagsverkündung um eine Woche beantragt wurde. In dem Verkündungstermin , in dem der Schuldner zu 1 und der Vertreter der Beteiligten zu 3 anwesend waren, wies der Rechtspfleger darauf hin, dass die Angaben der Schuldner für eine (nochmalige) Aussetzung des Termins zu vage seien. Das - nach dem Sitzungsprotokoll unmittelbar nach Verkündung des Zuschlags gestellte - Befangenheitsgesuch des Schuldners zu 1 hat das Amtsgericht durch den Richter mit Beschluss vom 25. Oktober 2006 "als verspäteten Versuch einer Verfahrensverzögerung" zurückgewiesen.
2
Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss haben die Schuldner nicht eingelegt , jedoch mit der sofortigen Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss geltend gemacht, der Erteilung des Zuschlags habe entgegen gestanden, dass der Schuldner zu 1 den Rechtspfleger noch vor der Verkündung als befangen abgelehnt habe. Dieser Darstellung zur zeitlichen Reihenfolge ist der Rechtspfleger in seiner amtlichen Stellungnahme entgegen getreten; das Protokoll sei richtig. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstreben die Schuldner eine Versagung des Zuschlags.

II.

3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Voraussetzungen des § 83 Nr. 6 ZVG nicht erfüllt. Da der Rechtspfleger das Ablehnungsgesuch nicht vor der Entscheidung über den Zuschlag als rechtsmissbräuchlich verworfen, sondern die Bescheidung des Gesuchs dem Richter überlassen habe, komme es darauf an, wann das Gesuch gestellt worden sei. Nach dem Sitzungsprotokoll sei dies erst nach der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses geschehen. Damit habe der Antrag die Entscheidung über den Zuschlag nicht mehr beeinflussen können. Gegen die Beweiskraft des Protokolls sei nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 ZPO). Der hierzu erforderliche Beweis einer vorsätzlichen Falschprotokollierung sei den Schuldnern nicht gelungen, weil es durchaus denkbar sei, dass der Rechtspfleger aufgrund der aufgetretenen Unruhe eine früher erklärte Ablehnung nicht wahrgenommen habe.

III.

4
1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist jedenfalls im Ergebnis unbegründet.
5
a) Auf die Frage, ob das Beschwerdegericht den Nachweis der Protokollfälschung (§ 165 Satz 2 ZPO) verfahrensfehlerhaft verneint hat, kommt es nicht an. Denn selbst wenn festgestellt werden könnte, dass der Schuldner die Ablehnung des Rechtspflegers bereits vor Verkündung des Zuschlagsbeschlusses erklärt hat, läge aufgrund der Besonderheiten des Falles kein zur Versagung des Zuschlages führender Grund vor.
6
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Zuschlag nach § 83 Nr. 6 ZVG (vorläufig) nicht erteilt werden darf, wenn der Rechtspfleger zuvor wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden ist (so auch OLG Celle NJW-RR 1989, 569). Zwar kann ein Termin bei drohender Vertagung unter Mitwirkung des abgelehnten Rechtspflegers fortgesetzt werden (§ 10 Satz 1 RPflG i.V.m. § 47 Abs. 2 ZPO). Das ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls eine Endentscheidung grundsätzlich erst nach Bescheidung des Ablehnungsgesuchs ergehen darf (zutreffend Zöller /Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 47 Rdn. 3a; vgl. auch Musielak/Heinrich, ZPO, 5. Aufl., Rdn. 9; a.A. Stein/Jonas/ Bork, ZPO, 22. Aufl., § 47 Rdn. 2a); mit Blick auf die Wirkungen des § 90 ZVG gilt dies für den Zuschlagsbeschluss in besonderer Weise. Dem kann der abgelehnte Rechtspfleger durch eine Unterbrechung der Sitzung - so eine zeitnahe Entscheidung des Richters erreichbar erscheint - und ansonsten durch Anberaumung oder Verschiebung eines Verkündungstermins oder durch Vertagung Rechnung tragen.
7
bb) Anders verhält es sich jedoch, wenn das Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich ist. Die Übergehung eines solchen Gesuchs kann nicht als sonstiger - der Zuschlagserteilung einstweilen entgegenstehender - Grund im Sinne von § 83 Nr. 6 ZVG anerkannt werden. Der auch das Zwangsvollstreckungsrecht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet die Parteien zu redlicher Verfahrensführung und verbietet insbesondere den Missbrauch prozessualer Befugnisse (std. Rspr., vgl. nur Senatsbeschl. v. 10. Mai 2007, V ZB 83/06, S. 6 ff. m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt ). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits entschieden, dass die Ablehnung des Rechtpflegers wegen Besorgnis der Befangenheit rechtsmissbräuchlich ist, wenn sie lediglich der Verfahrensverschleppung dient (Beschl. v. 14. April 2005, V ZB 7/05, NJW-RR 2005, 1226, 1227). Ob der Rechtspfleger von der in solchen Fällen gegebenen Befugnis Gebrauch gemacht hat, das Ablehnungsgesuch vor der Entscheidung über den Zuschlag selbst als unzulässig zu verwerfen (Senatsbeschl. aaO), ist für Beantwortung der Frage, ob die Stellung eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs als sonstiger Grund im Sinne von § 83 Nr. 6 ZPO zu qualifizieren ist, unerheblich. Insoweit kann lediglich entscheidend sein, dass es dem das Verfahrensrecht missbrauchenden Beteiligten nach Treu und Glauben versagt ist, aus seinem Rechtsmissbrauch prozessuale Vorteile zu ziehen.
8
b) Das Befangenheitsgesuchs war rechtsmissbräuchlich, weil es lediglich zur Verfahrensverschleppung gestellt wurde. Das von dem Schuldner zu 1 mit dem - ersichtlich haltlosen - Ablehnungsgesuch verfolgte Ziel bestand allein darin , die mit redlichen Mitteln nicht zu erlangende Vertagung doch noch über den - funktionswidrigen - Einsatz des Rechts zur Ablehnung zu erreichen, nachdem der Rechtspfleger eine Aussetzung des Verfahrens mit der sachlichen - und im Übrigen zutreffenden - Begründung abgelehnt hatte, die von den Schuldnern vorgetragenen Gründe seien zu vage. Nach der von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellung des Beschwerdegerichts haben die Schuldner im Beschwerdeverfahren ausgeführt, der Befangenheitsantrag sei aufgrund der Äußerungen des Rechtspflegers zur (versagten) Verschiebung des Verkündungstermins gestellt worden. Aber auch davon abgesehen erschöpft sich das Vorbringen der Schuldner zu dem Grund der Ablehnung in seinem wesentlichen Kern in der Begründung, es habe eine gereizte Stimmung bestanden; Redeund Widerrede hätten zu einer lautstarken und hitzigen Auseinandersetzung geführt. Die Stützung des Ablehnungsgesuchs hierauf erachtet der Senat als vorgeschoben, weil es für jeden verständigen Verfahrensbeteiligten auf der Hand liegt, dass der geltend gemachte Grund unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen vermag.
9
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die durch das Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Gebühren (Nr. 2243 KV-GKG) hat der Rechtsbeschwerdeführer nach § 26 Abs. 3 GKG zu tragen. Eine Anordnung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten nach § 97 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Be- tracht, weil sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber stehen (vgl. dazu insbesondere Senat, Beschl. v. 25. Januar 2007, V ZB 125/05, WM 2007, 947 f.; ferner Beschl. v. 20. Juli 2006, V ZB 168/05, RPfleger 2006, 665, und v. 18. Mai 2005, V ZB 142/05, WM 2006, 1727, 1730).
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 05.09.2006 - 82 K 63/04 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.12.2006 - 25 T 1137/06 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Die Beteiligten haben das Recht der Einsicht in die Akten, soweit die übermittelnde Behörde dieses nicht ausschließt. Beteiligte können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen. Für die Versendung von Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente und die Gewährung des elektronischen Zugriffs auf Akten werden Kosten nicht erhoben, sofern nicht nach § 197a das Gerichtskostengesetz gilt.

(2) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, wird Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akten wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden. Über einen Antrag nach Satz 3 entscheidet der Vorsitzende; die Entscheidung ist unanfechtbar. § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(3) Werden die Prozessakten in Papierform geführt, wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt werden. Nach dem Ermessen des Vorsitzenden kann einem Bevollmächtigten, der zu den in § 73 Absatz 2 Satz 1 und 2 Nummer 3 bis 9 bezeichneten natürlichen Personen gehört, die Mitnahme der Akten in die Wohnung oder Geschäftsräume gestattet werden. § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(4) Der Vorsitzende kann aus besonderen Gründen die Einsicht in die Akten oder in Aktenteile sowie die Fertigung oder Erteilung von Auszügen und Abschriften versagen oder beschränken. Gegen die Versagung oder die Beschränkung der Akteneinsicht kann das Gericht angerufen werden; es entscheidet endgültig.

(5) Die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die zu ihrer Vorbereitung angefertigten Arbeiten sowie die Dokumente, welche Abstimmungen betreffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt.

(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht

1.
das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist;
2.
die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend entschuldigt;
3.
das Einvernehmen der Parteien allein.

(2) Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.

(3) Ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, ist auf Antrag innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen. Dies gilt nicht für

1.
Arrestsachen oder die eine einstweilige Verfügung oder einstweilige Anordnung betreffenden Sachen,
2.
Streitigkeiten wegen Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe von Räumen oder wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
(weggefallen)
4.
Wechsel- oder Scheckprozesse,
5.
Bausachen, wenn über die Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird,
6.
Streitigkeiten wegen Überlassung oder Herausgabe einer Sache an eine Person, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist,
7.
Zwangsvollstreckungsverfahren oder
8.
Verfahren der Vollstreckbarerklärung oder zur Vornahme richterlicher Handlungen im Schiedsverfahren;
dabei genügt es, wenn nur einer von mehreren Ansprüchen die Voraussetzungen erfüllt. Wenn das Verfahren besonderer Beschleunigung bedarf, ist dem Verlegungsantrag nicht zu entsprechen.

(4) Über die Aufhebung sowie Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung; über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfechtbar.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger die Feststellung eines Arbeitsunfalls wegen des Ereignisses vom 7.4.2003 beanspruchen kann.

2

Der 1953 geborene Kläger war bei der Firma H. als Kraftfahrer beschäftigt. Am 7.4.2003 hatte er den Auftrag, Waren von M. aus zur Firma C. in B. zu transportieren. Er fuhr gegen 1.00 Uhr in M. ab, kam gegen 2.30 Uhr in der Umgebung von B. an. Nachdem sich C morgens bei H nach dem Verbleib der Ware erkundigt hatte, kam der Kläger gegen 9.30 Uhr bei C in B. an. Nach dem Abladevorgang bewegte er sich mit einem Hämatom am Kopf langsam taumelnd. Beim Eintreffen des Rettungssanitäters zeigte er sich desorientiert und bewusstseinsgetrübt. Ferner zeigte er einen schwankenden Gang und konnte keine adäquaten Angaben zum vorangegangenen Geschehen machen. Bei der notärztlichen und der anschließenden stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. vom 7. bis 29.4.2003 bestand hinsichtlich des Geschehenen eine vollständige Amnesie. Diagnostiziert wurden ein schweres Schädel-Hirn-Trauma unklarer Genese, eine Kalottenfraktur okzipital, multiple Einblutungen fronto-basal rechts, ein passagerer Verwirrtheitszustand, ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine retrograde Amnesie und eine chronische Bronchitis bei Nikotinabusus.

3

Die Beklagte gewährte dem Kläger Heilbehandlung und ab 20.5.2003 Verletztengeld. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten führte am 4.6.2003 Telefongespräche mit dem Inhaber der H sowie einem Mitarbeiter E des Betriebs, bei dem der Kläger die Waren entladen sollte. Nach weiteren Ermittlungen verfügte die Beklagte unter dem 6.8.2004 die Einstellung der Zahlung des Verletztengeldes mit Ablauf des 27.9.2004. Mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit sei nach Ablauf der 78. Woche nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zu rechnen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien derzeit nicht zu erbringen.

4

Der Kläger beantragte am 31.8.2004 Verletztenrente. Die Beklagte zahlte ihm im Oktober 2004 auf die "voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung" einen Vorschuss in Höhe von 300 €. Dieser stehe unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung, falls sich herausstelle, dass keine oder eine geringere Leistungspflicht bestehe. Auf das klägerische Schreiben vom 16.3.2005 zahlte die Beklagte unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung auf die "voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung" einen weiteren Vorschuss von 1700 €.

5

Mit Bescheid vom 24.6.2005 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 7.4.2003 ab. Es lasse sich nicht feststellen, dass sich der Kläger seine Kopfverletzung bei einer versicherten Tätigkeit zugezogen habe. Ein zu entschädigender Arbeitsunfall sei nicht erwiesen. Die Vorschüsse auf Leistungen in Höhe von 2000 € seien zu erstatten. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.2.2006 zurückwies.

6

Der Kläger hat beim SG Heilbronn Klage erhoben. Er habe seinen Arbeitstag am 7.4.2003 wie immer begonnen, wenn er mit seinem Lkw in Richtung B. gefahren sei. Bei diesen Fahrten sei er gegen 1.00 Uhr zum Betrieb in M. gefahren, habe Lkw und Ladung kontrolliert und habe sich dann auf den Weg in Richtung B. gemacht. Wie üblich habe er die Absicht gehabt, einen vor R. gelegenen Parkplatz anzufahren, auf dem er üblicherweise bei dieser Tour stehe. Von dort zur Abladestation in B. betrage die Fahrtzeit ca 20 Minuten.

7

Mit Urteil vom 3.3.2009 hat das SG "den Bescheid der Beklagten vom 24.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.2.2006" aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom 7.4.2003 als Arbeitsunfall festzustellen. Als der Kläger die versicherte Tätigkeit aufgenommen habe, sei er noch gesund gewesen. Bei der Ankunft an der Entladestelle habe er sich Verletzungen zugezogen gehabt, die aus einem Unfall resultieren müssten. Es lasse sich nicht nachweisen, dass der Kläger die versicherte Tätigkeit zwischen 1.00 Uhr und 9.30 Uhr für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe.

8

Gegen das Urteil des SG hat die Beklagte beim LSG Berufung eingelegt. Das Urteil überzeuge nicht, da nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger zur Zeit der Gesundheitsschädigung eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Das LSG hat mit Urteil vom 9.12.2010 (L 6 U 2656/09) das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Dass sich der Nachweis der Ausübung einer versicherten Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls nicht führen lasse, gehe nach dem Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten. Verunglücke ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet habe, entfalle der Versicherungsschutz zwar nur, wenn bewiesen werde, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe (unter Hinweis auf BSG vom 26.10.2004 - B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279 = SozR 4-2700 § 8 Nr 9; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 28/06 R - veröffentlicht in Juris). Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben, denn es lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet habe, verunglückt sei. Der Kläger habe am Unfalltag nicht ausschließlich betriebliche, sondern auch eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. So habe er von vornherein beabsichtigt, auf einem Parkplatz eine 4 bis 4,5 Stunden dauernde Pause einzulegen, die er nach den Ermittlungen auch eingelegt habe. Die Einlegung einer nicht versicherten Pause führe "zu einer Beweislastumkehr" dergestalt, dass nicht die Beklagte die Beweislast dafür trage, dass der Kläger die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe, sondern der Kläger die Beweislast dafür trage, dass er nicht während einer eigenwirtschaftlichen Unterbrechung verunfallt sei.

9

Gegen das Urteil des LSG hat der Kläger Revision eingelegt. Es verletze §§ 7, 8 SGB VII, indem es zu Unrecht davon ausgehe, dass der vorliegende Fall von den Konstellationen abweiche, die den Entscheidungen des BSG vom 4.9.2007 (B 2 U 28/06 R) und vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R) zu Grunde lagen. Bei der von ihm eingelegten Pause handle es sich nicht um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr sei er zur Einhaltung von Ruhezeiten normativ verpflichtet. Er sei darin frei, sich die Ruhezeiten nach eigener Planung einzuteilen. Die Ungewissheit darüber, unter welchen Umständen er sich die Verletzungen zugezogen habe, gehe zu Lasten der Beklagten.

10

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2010 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 3. März 2009 zurückzuweisen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Der Vollbeweis dafür, dass der Kläger einen Unfall in Ausübung der versicherten Tätigkeit erlitten habe, sei nicht erbracht worden.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Klägers, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Ereignisses vom 7.4.2003 als Arbeitsunfall begehrt, ist unbegründet.

14

Das LSG hat das Urteil des SG im Ergebnis zu Recht aufgehoben und die Klagen abgewiesen (1.). Vorliegend können nicht die "Beweiserleichterungen" gelten, die der Senat angenommen hat, wenn ein Versicherter am Arbeitsplatz und in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer versicherten Verrichtung einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet (2.). Es findet keine "Beweislastumkehr" zu Lasten des Klägers statt (3.). Ein Arbeitsunfall ist auch nicht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins festzustellen (4.).

15

1. Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger nach § 102 SGB VII die Feststellung eines Versicherungsfalles, hier eines Arbeitsunfalles, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f). Einen Arbeitsunfall hat der Kläger aber nach den für das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht erlitten.

16

Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17 RdNr 10; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN).

17

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). Das BSG ist an die Feststellung nicht nur dieser Tatsachen, sondern auch an die eines naturphilosophischen Kausalzusammenhangs durch das LSG grundsätzlich gebunden, falls - wie hier - keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen gegen die dabei zu Grunde gelegten Tatsachenfeststellungen erhoben werden und materiellrechtlich nicht ersichtlich ist, dass das LSG die rechtlichen Vorgaben für diesen ersten Schritt der Kausalitätsbeurteilung verkannt hat. Zu einer eigenständigen beweiswürdigenden Tatsachenfeststellung ist das BSG nur in seltenen, hier nicht einschlägigen Ausnahmesituationen befugt. Demgegenüber ist die Entscheidung über die Wesentlichkeit eines naturphilosophischen Kausalzusammenhangs im Einzelfall eine reine Rechts- und Rechtsanwendungsfrage.

18

Eine "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", die unter einen gesetzlichen Versicherungstatbestand zu subsumieren wäre, ist nicht erwiesen. Nach den vom LSG bindend festgestellten Tatsachen ist weder nachgewiesen noch nachweisbar, dass der Kläger die Gesundheitsschäden bei der Ausübung einer Tätigkeit erlitten hat, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Danach steht schon nicht fest, ob der Gesundheitsschaden am 7.4.2003 oder vorher entstanden ist. Weiter ist nicht nachgewiesen, ob, wenn die Gesundheitsschädigung am 7.4.2003 zwischen 1.00 Uhr und 9.30 Uhr entstand, diese während der Zeiten der Verrichtung von Kraftfahreraufgaben oder während einer mehrstündigen Erholungspause eintrat. Als abhängig beschäftigter Kraftfahrer hätte er zur Zeit der Schädigung eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit nur verrichtet, wenn er Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hätte oder eine nicht geschuldete Handlung mit der objektivierten Handlungstendenz vorgenommen hätte, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Es steht aber nur fest, dass er am Unfalltag um 1.00 Uhr die Ausübung der versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer aufgenommen hat und dass bei ihm gegen 9.30 Uhr erhebliche Gesundheitsschäden vorgelegen haben. Allerdings war nicht feststellbar, welche versicherten und nicht versicherten Verrichtungen der Kläger in der Zwischenzeit ausgeführt hat.

19

Die Anspruchsvoraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls iS des § 8 Abs 1 SGB VII sind deshalb nicht erfüllt.

20

2. Das LSG hat bei seiner Entscheidung nicht verkannt, dass bei der Beweiswürdigung der rechtliche Beweismaßstab des Vollbeweises bei der Prüfung der versicherten Tätigkeit eines Beschäftigten auch dann erfüllt sein kann, wenn ein Versicherter an dem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt versicherte Tätigkeiten verrichtet hatte, aus ungeklärten Umständen einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet, falls keine konkret festgestellten Tatsachen Zweifel daran begründen, dass er auch noch zur Unfallzeit versichert gearbeitet hat (teilweise als "Beweiserleichterung" bezeichnet).

21

Der Senat hat in der Entscheidung vom 4.9.2007 (B 2 U 28/06 R - Juris RdNr 22) folgende Maßstäbe aufgestellt: "Die Ungewissheit darüber, aus welchen Beweggründen V (Anm: der Versicherte) … 10 bis 20 Minuten auf der Plattform verblieben ist und was er dort getan hat, geht zu Lasten der Beklagten. Denn sie trägt bei der gegebenen Sachlage die objektive Beweislast dafür, dass der Verunglückte sich während der versicherten Baustelleneinrichtung vorübergehend einer anderen, privaten Zwecken dienenden Verrichtung zugewandt hatte."

22

Ähnlich führte er schon im Urteil vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279 = SozR 4-2700 § 8 Nr 9)aus: "Verunglückt ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte." Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zu Grunde, bei dem ein Versicherter mit einem Arbeitskollegen auf einem Dach Arbeiten verrichtete und nach einer 15 bis 30 Minuten dauernden Abwesenheit des Kollegen von dem Dach abgestürzt war.

23

Die Umstände des vorliegenden Falls unterscheiden sich - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - von den Konstellationen, die den Entscheidungen des BSG vom 4.9.2007 (B 2 U 28/06 R) und vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279 = SozR 4-2700 § 8 Nr 9) zu Grunde lagen. Beiden Entscheidungen lag ein Sachverhalt zu Grunde, in dem jeweils die Aufnahme einer versicherten Tätigkeit nachgewiesen war und die Versicherten aus nicht zu klärenden Umständen in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz zu einem bekannten Zeitpunkt Unfälle erlitten hatten. "Beweiserleichterungen" nach den og Urteilen kommen daher nur in Betracht, wenn der Versicherte den räumlichen Bereich, in dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, nicht verlassen und er dort kurz zuvor versicherte Tätigkeiten verrichtet hat (so auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2011, K § 8 RdNr 340; derselbe in jurisPR-SozR 12/2005 Anm 5).

24

Daran fehlt es hier. Es ist völlig offen, wann genau, wo und bei welcher Gelegenheit der Kläger sich seine Verletzungen zugezogen hat. Vergleichbar liegt der Fall des Klägers mit denjenigen, die den oben genannten Urteilen zu Grunde lagen, nur insoweit, als auch der Kläger unter ungeklärten Umständen erhebliche Gesundheitsschäden erlitten hat. Vorliegend erstreckt sich aber der Zeitraum zwischen der Aufnahme der versicherten Tätigkeit (1.00 Uhr), einer Pause von 2.30 Uhr bis 9.00 Uhr bis zur Wahrnehmung bestehender Gesundheitsschäden (gegen 9.30 Uhr) auf mehr als acht Stunden. Für diese Zeitspanne ist unklar, wann die Schädigung stattgefunden hat und welchen konkreten versicherten und nichtversicherten Verrichtungen der Kläger nachgegangen ist. Der Zeitraum, in dem die Einwirkung möglicherweise erfolgte, übersteigt sogar die zeitliche Dauer einer Arbeitsschicht, die als Grenze gilt, bis zu der das Merkmal "zeitlich begrenzt" in § 8 Abs 1 S 2 SGB VII noch erfüllt werden kann(stRspr BSG vom 30.5.1985 - 2 RU 17/84 - SozR 2200 § 548 Nr 71; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2011, K § 8 RdNr 12 f).

25

Auch in örtlicher Hinsicht ist offen, ob der Kläger die Verletzungen am Arbeitsplatz, zB in seinem Fahrzeug, oder an einem Ort erlitten hat, den er bedingt durch die versicherte Tätigkeit aufsuchen musste, oder an einem zu eigenwirtschaftlichen Verrichtungen aufgesuchten Ort, zB einem Rasthof.

26

Das LSG hat die Nichtfeststellbarkeit der Verrichtung der versicherten Beschäftigung auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Möglichkeit geprüft, dass die vom Kläger einzuhaltenden und zwingend vorgeschriebenen Ruhezeiten Teil der versicherten Tätigkeit wären (vgl zu Ruhe- und Lenkzeiten der Kraftfahrer: Art 6 f EGV Nr 561/2006; unbeschadet der EGV gilt für Fahrer in einem Arbeitsverhältnis auch das ArbZG, insbesondere § 21a; vgl auch BAG vom 20.04.2011 - 5 AZR 200/10). Hier kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kraftfahrer bei der Einhaltung von Ruhe-, Lenk- und Standzeiten eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Denn das LSG hat bindend festgestellt, dass vorliegend eine betriebliche Notwendigkeit - wie etwa einzuhaltende Lenkzeiten - für die gewählte Pausengestaltung nicht ersichtlich ist. Im Übrigen hat der Senat in dem mehrfach zitierten Urteil vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R - aaO RdNr 8) bereits darauf verwiesen, dass ein Versicherter, der während einer Arbeitspause oder während eines Bereitschaftsdienstes einer höchst persönlichen oder eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgeht, ebenso wenig versichert ist, wie ein Versicherter, der während der normalen Arbeitszeit eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit einschiebt. In beiden Fällen wird die versicherte Tätigkeit unterbrochen.

27

3. Eine "Umkehr der Beweislast" zu Lasten des Klägers oder eine "Rückausnahme", wie das LSG meint, liegt nicht vor.

28

Das LSG ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die hier vorliegenden Umstände, ausgehend von den Entscheidungen des Senats eine "Beweislastumkehr" zu Lasten des Klägers bewirken. Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht - hier Feststellung eines Arbeitsunfalls - für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (stRspr; vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196, 198 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 RdNr 10 mwN; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN). Bei Tatsachen, die das LSG nur mit dem Überzeugungsgrad des Vollbeweises feststellen darf, schaden rein theoretische Zweifel, die immer vorliegen können, ohnehin nicht (Erforderlich ist "ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit" so Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl 2011, § 286 RdNr 2 mwN). Die in den oben zitierten Entscheidungen sehr unspezifisch als "Beweiserleichterungen" (zu dem Begriff vgl Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl, Vor § 284 RdNr 25 f) bezeichneten Ausnahmesituationen zeichnen sich dadurch aus, dass weder eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit noch konkrete Hilfstatsachen dafür festgestellt sind. Folglich könnten nur aus der Unaufklärbarkeit der Umstände des Einzelfalles Zweifel an der (weiteren) Verrichtung der versicherten Tätigkeit bis zur Unfallzeit entstehen. Solche Zweifel aber, die sich nicht auf festgestellte Tatsachen stützen lassen, können auch nur rein theoretischer Natur sein.

29

4. Das LSG hätte, worauf nur beiläufig hinzuweisen ist, die Verrichtung der versicherten Beschäftigung zur Unfallzeit auch nicht wegen eines Anscheinsbeweises feststellen müssen.

30

Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Bei typischen Geschehensabläufen erlaubt er den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens aufgrund von Erfahrungssätzen, auch wenn im Einzelfall entsprechende Tatsachen nicht festgestellt werden können (Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl, Vor § 284 RdNr 29). Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann also der Geschehensablauf zu Grunde gelegt werden, als habe er sich in der typischen Weise ereignet. Erforderlich ist ein Hergang, der nach der Lebenserfahrung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und dem Willen der handelnden Personen in einer bestimmten Weise abzulaufen pflegt und deshalb auch im zu entscheidenden Fall als gegeben unterstellt werden kann (s dazu: Keller aaO; BSG SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 S 2). Es kann offenbleiben, ob und in welchen Fällen ein Beweis des ersten Anscheins für den Überzeugungsgrad des Vollbeweises ausreichen kann.

31

Dementsprechend wird auch für einzelne Voraussetzungen des Arbeitsunfalls, wie zB die Unfallkausalität, die Möglichkeit des Anscheinsbeweises bejaht (dazu BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22, RdNr 15; vgl auch Bolay in Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 128 RdNr 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 9 ff). Vorliegend kann ein Anscheinsbeweis schon mangels eines typischen Geschehensablaufs nicht den Nachweis begründen, dass ein Unfallereignis bei der "Verrichtung einer versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit" eingetreten ist. Neben einer feststellbaren Unfallzeit fehlt es auch an einem Erfahrungssatz des Inhalts, dass Beschäftigte im Transportgewerbe (außerhalb von Verkehrsunfällen) bei Ausübung ihrer Tätigkeit Einwirkungen ausgesetzt sind, die zu Verletzungen der vom Kläger erlittenen Art führen.

32

Nach alledem ist die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich L 3/4 seiner Lendenwirbelsäule (LWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 19.12.2006 ist.

2

Der 1958 geborene Kläger leidet etwa seit seinem 20. Lebensjahr an Rückenschmerzen. Wegen Beschwerden im Bereich der LWS gab er 1992 seine Tätigkeit als Gießereiarbeiter auf. Nach einer Umschulung zum Feinmechaniker nahm er im Jahr 2002 wegen eines chronisch rezidivierenden Lumbal- und Zervikalsyndroms mit pseudoradikulärer Symptomatik an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teil. Im Anschluss daran wurde er wegen der Wirbelsäulenbeschwerden regelmäßig ambulant behandelt. Bei einer im Februar 2005 durchgeführten Computertomographie der LWS war eine sichere Bandscheibenvorwölbung nicht zu erkennen.

3

Der Kläger war zuletzt in der Qualitätssicherung der R. GmbH beschäftigt. Am 19.12.2006 rutschte er in der zweiten Schicht mit dem linken Fuß von einer ca 30 bis 40 cm hohen Stufe ab, arbeitete trotz Schmerzen aber zunächst bis zum 21.12.2006 weiter. Der an diesem Tag aufgesuchte Durchgangsarzt diagnostizierte eine Distorsion der LWS und des linken Beckens. Bei einer am 22.12.2006 durchgeführten Computertomographie zeigte sich ein frischer lateraler Bandscheibenvorfall im Segment L 3/4 mit einer Kompression der Nervenwurzel. Dieser Bandscheibenvorfall wurde im Januar 2007 mikrochirurgisch beseitigt.

4

Die Beklagte stellte einen Arbeitsunfall vom 19.12.2006 mit den als Unfallfolge bezeichneten Erstschäden "Zerrung der LWS und des linken Beckens" fest. Die Feststellung der "Unfallfolgen" krankhafter Veränderungen der LWS sowie des Bandscheibenvorfalls L 3/4 lehnte sie hingegen ab. Der Unfall sei nur geeignet gewesen, eine Zerrung zu verursachen. Die weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen seien das Ergebnis eines Verschleißprozesses und nicht traumatisch bedingt (Bescheid vom 19.3.2007; Widerspruchsbescheid vom 21.8.2007).

5

Das SG Stuttgart hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 20.8.2009).

6

Das LSG Baden-Württemberg hat die Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen abgeändert und einen "operierten Bandscheibenvorfall L 3/4 als weitere Unfallfolge" festgestellt (Urteil vom 27.1.2011). Das Begehren sei wegen der Bandscheibenoperation auf die Feststellung des operierten Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge gerichtet. Für diesen Bandscheibenvorfall sei das Abrutschen von der Stufe eine naturwissenschaftliche Ursache. Auf eine traumatische Schädigung der Bandscheibe L 3/4 durch das Unfallereignis deuteten wesentliche Indizien hin. Im unmittelbaren Anschluss an den Vorfall hätten sich zunehmende Schmerzen in der LWS mit Ausstrahlung und Sensibilitätsstörungen im linken Oberschenkel entwickelt. Der am dritten Tag nach dem Unfallereignis nachgewiesene Bandscheibenvorfall sei als frisch beschrieben worden. Neben diesem zeitlichen Zusammenhang bestehe auch ein örtlicher Zusammenhang des Bandscheibenvorfalls mit dem Abrutschen, denn selbst die Beklagte habe eine Zerrung der LWS festgestellt. Den gegen den naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprechenden Umständen komme keine durchgreifende Bedeutung zu. Die beim Kläger gegebenen Bandscheibendegenerationen relativierten grundsätzlich nicht die auf eine akute traumatische Schädigung hinweisenden Zeichen. Das Unfallereignis sei auch geeignet gewesen, den Bandscheibenvorfall hervorzurufen. An der notwendigen Geeignetheit fehle es nur dann, wenn der geschädigte Körperteil überhaupt nicht betroffen gewesen sei. Der Unfall habe aufgrund seiner relevanten biomechanischen Belastung aber zu einer Stauchung der LWS geführt. Des Nachweises von Begleitverletzungen des Bandapparates oder der umgebenden Wirbelkörper bedürfe es nicht, weil ein Bandscheibenvorfall regelmäßig degenerativer Natur sei. Die gegenteilige, ggf den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergebende Auffassung in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, berücksichtige nicht die zweistufige Kausalitätsprüfung und könne schon aus Rechtsgründen nicht zu Grunde gelegt werden. Abgesehen davon ließen sich minimale Begleitverletzungen nicht immer computertomographisch abbilden. Das Unfallereignis sei nach den gutachtlichen Feststellungen von Dr. H. auch die rechtlich wesentliche Ursache. Von den fortgeschrittenen Verschleißerscheinungen sei nicht das Bewegungssegment L 3/4 betroffen gewesen. Die zurückliegenden Rückenbeschwerden hätten vor dem Unfall nicht zu gravierenden sozialmedizinischen Einschränkungen geführt. Ein Bandscheibenvorfall sei bei der im Februar 2005 durchgeführten Computertomographie gerade nicht festgestellt worden. Selbst wenn aber die degenerativen Prozesse als mitursächlich angesehen würden, wäre die Wahrscheinlichkeit eines unfallunabhängigen Bandscheibenvorfalls um ein Vielfaches geringer als ein unfallbedingter Bandscheibenvorfall. Der Kläger habe aufgrund seines Lebensalters 28 Jahre Zeit gehabt, einen symptomatischen Bandscheibenvorfall zu entwickeln. Auch sei das Unfallgeschehen in Kombination mit dem erheblichen Körpergewicht von 100 Kilogramm kein alltägliches Ereignis.

7

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII und einen Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung. Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall liege nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vor. Ausweislich der bildgebenden Diagnostik fehle es an nach herrschender unfallmedizinischer Lehrmeinung notwendigen Begleitverletzungen der ligamentären oder knöchernen Strukturen. Das LSG habe sich allein auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. gestützt, ohne sich mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand inhaltlich auseinanderzusetzen. Der vom Berufungsgericht aufgestellte Grundsatz, dass es an der Geeignetheit eines Unfallgeschehens nur dann fehle, wenn der geschädigte Körperteil nicht betroffen sei, widerspreche der Rechtsprechung des BSG.

8

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. August 2009 zurückzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

12

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten begründet und eine Einwirkung auf die LWS des Klägers wesentlich mit verursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 3./4. Lendenwirbelkörpers geworden ist. Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.

13

Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mit verursacht wurde (dazu unter 4.). Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung", die "ohnehin dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, stimmt nicht mit dem Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung überein (dazu unter 3. und 5.).

14

2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision dagegen, dass das LSG auf die Berufung des Klägers das die Klage abweisende Urteil des SG Stuttgart vom 20.8.2009 aufgehoben, die angefochtenen Bescheide abgeändert und als "weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 19.12.2006" einen "Operierten Bandscheibenvorfall L 3/4" festgestellt hat. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab, ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist. Das wäre dann der Fall, wenn die Beklagte durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls L 3/4 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen gewesen. Andernfalls hätte ihre Revision durchgreifenden Erfolg.

15

Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.

16

3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

17

a) Der Anspruch scheitert nicht daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hätte, der Kläger habe infolge seiner versicherten Tätigkeit an der Druckgießmaschine einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden erlitten: "Zerrung der Lendenwirbelsäule und des linken Beckens." Denn zugleich hat die Beklagte in diesem Verwaltungsakt ausdrücklich unter Ziffer 3 verfügt, dass krankhafte Veränderungen der LWS sowie der Bandscheibenvorfall in den Segmenten L 3/4 weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung "Folgen des Arbeitsunfalls" sind.

18

Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträgerbei seiner Feststellung eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe, oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier um einen weiteren, von der Beklagten ausdrücklich abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.

19

b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung des umstrittenen Gesundheitserstschadens hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).

20

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 (oder 8 Abs 2) SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).

21

Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge", also ua nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.

22

Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

23

Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.

24

aa) § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet hat und dass der Unfall(iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

25

Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge" der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom Schutzzweck der begründeten Versicherung.

26

bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22)und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von § 11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das SGB VII Leistungsrechte vorsieht.

27

Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung (objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.

28

cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.

29

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden.

30

Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).

31

Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen, die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt. Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.

32

Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 <2690>; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).

33

dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod) a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger begründende Verrichtung zurückzuführen ist.

34

ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten.

35

c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat.

36

aa) Der Kläger hat durch seine Tätigkeit an der Druckgießmaschine während der zweiten Arbeitsschicht den Tatbestand der versicherten Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt(zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch eine Hauptpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis mit der R. GmbH erfüllt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Tätigkeit an der Druckgießmaschine verwirklichten.

37

bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge des Ausrutschens von einer Stufe an der Maschine in Höhe von 30 bis 40 cm und den Aufprall auf dem Boden zu einer Einwirkung auf das Becken und die LWS gekommen ist. Unter "Einwirkung" (als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass nach dem 19.12.2006 mehrere Ärzte eine "Zerrung" bzw Distorsion der LWS und des linken Beckens diagnostiziert haben. Nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche LWS-Distorsion genügt jedenfalls dem (weiten) Einwirkungsbegriff.

38

cc) Das LSG hat durch die Bezugnahme auf "die Unfallanzeige der Arbeitgeberin" vom 5.1.2007 auch noch festgestellt, dass die versicherte Tätigkeit an der Maschine mit dem Rutschen von einer 30-40 cm hohen Stufe und dem Auftreffen des linken Fußes auf dem Boden bei einem Körpergewicht des Klägers von mehr als 100 kg diese Einwirkung auf die LWS objektiv mitverursacht hat.

39

Das LSG hat zwar keine näheren Feststellungen zur Ursache des Ausrutschens und zu anderen Mitursachen (ua Beschaffenheit der Treppe bzw Stufe, Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen, ob es gerade bei dem Begehen der Stufen um die Ausübung der Kontrolltätigkeit an der Maschine ging oder ob der Kläger unmittelbar bei der Kontrolltätigkeit abgerutscht ist. Dennoch ist die Feststellung des LSG rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Tätigkeit in der Qualitätskontrolle an der Druckgießmaschine als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf eines Sturzes/Ausrutschens mit der Wirkung eines starken Aufpralls des linken Fußes bei einem 100 kg schweren Menschen Ursache ua einer Verstauchung der LWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.

40

dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen Aufgaben an der Druckgießmaschine mit entsprechenden Treppenstufen Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung realisiert haben. Damit fällt bei der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die durch die versicherte Verrichtung mit bewirkte Einwirkung auf die LWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Weitere Mitursachen der Einwirkung sind nicht festgestellt.

41

ee) Das LSG hat schließlich auch bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall L 3/4 vorliegt.

42

d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls L 3/4 als weiteren Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob das Arbeiten an der Druckgießmaschine mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten Einwirkung auf die LWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.

43

4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Tätigkeit an der Druckgießmaschine hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

44

a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung, also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).

45

b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte Verrichtung getroffen.

46

Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die LWS des Klägers naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment L 3/4 gewesen ist.

47

aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang im Einzelfall gehört, gebunden (§ 163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven ("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es damit die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Es hat seinem Urteil einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden vorliegt.

48

bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

49

Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.

50

c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen Kausalität") zugrunde gelegt.

51

Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.

52

Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung (etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.

53

Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes, wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"), ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde, alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang von Bedingungen.

54

Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht verursacht haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

55

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens (etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper des Verletzten/seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.

56

aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten versicherten Einwirkung/versicherten Tätigkeit an der Druckgießmaschine als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen dem Ausrutschen und dem Aufprall auf dem Boden und dieser Einwirkung auf die LWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang nicht aus.

57

Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

58

Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt werden.

59

bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

60

Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes - hier: die Einwirkung auf den LWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles - allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes - hier: Bandscheibenvorfall L 3/4 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied (hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.

61

cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.

62

Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.

63

dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 - RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden, die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung, bei der der Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.

64

ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter jeweils kritisch zu würdigen.

65

Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.

66

Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch (zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl hierzu BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Insofern macht die Beklagte auch zutreffend geltend, dass der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 62 SGG iVm Art 103 GG gebietet, dass das LSG jeweils vor der Zugrundelegung solcher Erfahrungssätze diese in den Prozess einführen und den Beteiligten Gelegenheit geben muss, sich zu diesen Erfahrungssätzen (und ggf zu deren Tragweite) zu äußern.

67

d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.

68

aa) Die Beklagte hat unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin gegenüber dem LSG dargelegt, dass es dem dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte deshalb im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht selbst die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen müssen.

69

bb) Das Vorgehen des LSG war auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil es davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.

70

Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.

71

e) Es ist nicht tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§ 162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz. Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen, dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.

72

Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.

73

Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden) Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls L 3/4 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist, ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit des Ausrutschens an der Maschine und des Aufpralls auf dem Boden und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall L 3/4 und dabei auch der Mitverursachungsanteil anderer Wirkursachen zu entscheiden.

74

5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Urteil den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung. Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat. Gegebenenfalls hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.

75

Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile (Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.

76

Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten müssen.

77

6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.01.2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung einer "mittelgradigen depressiven Störung" als Unfallfolge ab 1.3.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen ist.

2

Der Kläger war ab August 1995 als Gepäckabfertiger bei der damaligen Flughafen AG beschäftigt. Am 13.1.1997 wurde er bei der Ausübung der Beschäftigung zwischen einem Containertransporter sowie einem Gepäckcontainer-Anhänger eingeklemmt. Dadurch wurden sein dritter Finger links und sein Kniegelenk links gequetscht. Folgen dieser Verletzungen lagen über den 18.7.1997 hinaus nicht mehr vor.

3

Der Kläger wurde wegen des Unfalls zunächst ambulant, wegen anhaltender Beschwerden im linken Kniegelenk ab April 1997 in einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik stationär behandelt. Danach wurde eine Arbeitserprobung durchgeführt, die wegen gesundheitlicher Beschwerden abgebrochen wurde.

4

Anschließend fand eine Vielzahl von Behandlungen statt, die bis November 1999 überwiegend durch Durchgangsärzte erfolgten und im Auftrag und zulasten der Beklagten durchgeführt wurden. Diese Maßnahmen zur Diagnose und zur Heilbehandlung waren aber rückwirkend betrachtet nur zum Teil durch die Unfallfolgen bedingt. Zum anderen Teil beruhten sie auf unfallunabhängigen Vorschäden am linken Kniegelenk.

5

Der Kläger befand sich unter der Diagnose einer chronifizierten Depression ab März 1998 bei einer Diplom-Psychologin und ab April 1998 bei einem Psychiater in Behandlung. Vom 8.9. bis 3.10.1998 fand eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt, wo eine Angstneurose mit Panikattacken sowie eine Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wurden.

6

Die Beklagte bewilligte dem Kläger einen ersten Vorschuss auf die voraussichtlich zu zahlende Verletztenrente (Vorschussbescheid vom 8.9.1998). Weitere Vorschusszahlungen folgten. Die Beklagte lehnte zunächst dennoch die "Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 18.7.1997 hinaus" ab (Bescheid vom 27.9.2002). Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 zurück. Später bewilligte und zahlte die Beklagte dem Kläger rückwirkend und durchgängig vom Unfalltag bis zum 30.9.2002 Verletztengeld.

7

Das SG Gießen hat die Beklagte durch Urteil vom 3.7.2008 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer mittelgradigen depressiven Störung als Folge des Arbeitsunfalls ab 19.7.1997 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen.

8

Das Hessische LSG hat der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben, als die Verletztenrente erst am 1.3.1998 beginne, und sie im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2011). Bei dem Kläger liege eine dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne einer chronifizierten depressiven Episode vor. Diese sei in "rechtlich-wesentlichem Umfang" durch den Verlauf der Heilbehandlung der unmittelbaren körperlichen Verletzungen aufgrund des Arbeitsunfalls verursacht worden. Die Heilbehandlung sei zwar rückwirkend betrachtet durch erhebliche degenerative Vorschäden bedingt gewesen. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen komme es aber nicht darauf an, dass die Maßnahmen der Heilbehandlung von der Beklagten angeordnet worden seien. Vielmehr reiche es für die Zurechnung im Rahmen des § 11 Abs 1 SGB VII aus, wenn der Unfallversicherungsträger oder der ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder den Rechtsschein gesetzt habe, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet werde und der Versicherte der Auffassung sein könne, dass die Heilbehandlung geeignet sei, die Unfallfolgen zu bessern oder zu beseitigen.

9

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 11 Abs 1, 56 Abs 1, 72 Abs 1 sowie 74 Abs 2 SGB VII. Das LSG habe durch seine Auslegung § 11 Abs 1 SGB VII verletzt, da als Ursache der Erkrankung letztlich nicht die Durchführung einer Heilbehandlung oder eine Untersuchung zur Klärung des Versicherungsfalls gesehen werde, sondern vielmehr die Art und Weise des Ablaufs der Heilbehandlung, die - jedenfalls aus Sicht des Klägers - zu Problemen geführt habe. Die Zurechnung zu den Unfallfolgen dürfe nicht aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers erfolgen, weil dieser die Maßnahmen aus seiner Sicht für undurchschaubar halte und sich durch Zuständigkeitsfragen zwischen Ärzten oder Trägern belastet fühle. Unsicherheiten, die aus dem Wechsel der behandelnden Ärzte oder deren Diagnosestellung herrührten, seien aber durch § 11 SGB VII nicht geschützt. Das LSG habe auch weder festgestellt, dass die Maßnahmen zulasten des Unfallversicherungsträgers angeordnet worden seien, noch festgestellt, dass es sich um die Behandlung von Unfallfolgen gehandelt habe, noch dass diese durchgangsärztlich zu ihren Lasten angeordnet worden seien. Darüber hinaus verletze die Festlegung des Rentenbeginns durch das LSG §§ 72 Abs 1, 74 Abs 2 SGB VII, da dem Kläger rückwirkend bis einschließlich 30.9.2002 Verletztengeld gezahlt worden sei. Das Urteil beruhe zudem auf Verfahrensfehlern (Verletzung von §§ 62, 103 SGG).

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 und des Sozialgerichts Gießen vom 3. Juli 2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere handele es sich bei der diagnostizierten mittelgradigen Depression um eine mittelbare Unfallfolge iS des § 11 SGB VII.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

In dem Rechtsstreit wegen Feststellung einer Unfallfolge und Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH (1.) kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen gemäß § 8 Abs 1 SGB VII unmittelbar durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht worden sind (2. a>) oder ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen als mittelbare Unfallfolgen iSd § 11 Abs 1 SGB VII festzustellen sind (2. b>). Es kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente iSd § 56 Abs 1 SGB VII besteht (3. a>). Soweit das LSG erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass ein Anspruch auf Verletztenrente gegeben ist, kann ein solcher gemäß § 72 Abs 1 SGB VII nicht für Zeiten vor dem 1.10.2002 bestehen (3. b>).

15

1. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das den Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), den Klagen auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) sowie auf Zahlung einer Verletztenrente (§ 54 Abs 4 SGG)nach einer MdE um 30 vH stattgebende Urteil des SG im Wesentlichen bestätigt hat. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das LSG Bundesrecht verletzt hat, da dessen tatsächliche Feststellungen keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

16

Die Beklagte hat (spätestens) in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides festgestellt, dass der Kläger am 13.1.1997 einen Arbeitsunfall mit den Gesundheitserstschäden am dritten Finger links und am Kniegelenk links erlitten hat. Daher richten sich dessen Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge und die Ablehnung eines Rechts auf Verletztenrente.

17

Mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann der Kläger den behaupteten materiellen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolge durchsetzen, ohne dass er daran durch seine Befugnis zur Erhebung einer Verpflichtungsklage gehindert wäre. Denn er kann zwischen beiden Rechtsschutzformen wählen, weil sie, soweit um Ansprüche auf Feststellung von Unfallfolgen (oder Versicherungsfällen) gestritten wird, grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv sind (vgl BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 12 f). Für das Begehren auf Verletztenrente hat er die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente kombiniert.

18

2. Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden.

19

a) Es steht schon nicht sicher fest, welche Gesundheitsstörung bei dem Kläger genau vorliegt.

20

Zwar steht aufgrund der Feststellungen des LSG fest, dass auf "orthopädisch/chirurgischem und neurologischem" Fachgebiet über den 18.7.1997 hinaus keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 vorliegen. Das LSG hat aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit festgestellt, welche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger vorliegt, denn die Bezeichnung der Erkran-kung im Tenor weicht von derjenigen in den Gründen ab. Nach den Gründen der Entscheidung liegt beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode nach "F 33.1" des ICD-10 vor. Im Tenor hat das LSG dagegen als Unfallfolge eine "mittelgradige depressive Störung" festgestellt.

21

b) Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob eine ggf vorliegende mittelgradige depressive Episode iSv F 33.1 ICD-10 "infolge" des Versicherungsfalls besteht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, ob die psychische Gesundheitsstörung eine solche iSd § 8 Abs 1 SGB VII ist. Das wäre anzunehmen, wenn sie unmittelbar durch den beim Versicherungsfall ausgelösten Gesundheitserstschaden verursacht worden ist. Die genau zu bezeichnende Gesundheitsstörung ist also als Unfallfolge festzustellen, wenn im wieder eröffneten Berufungsverfahren festzustellen ist, dass zwischen dem beim Arbeitsunfall vom 13.1.1997 eingetretenen Erstschaden und der psychischen Gesundheitsstörung ein unmittelbarer und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht (haftungsausfüllende Kausalität).

23

c) Der Senat kann schon mangels Klarheit über das Vorliegen einer unmittelbaren Unfallfolge auch nicht abschließend entscheiden, ob die psychische Störung dem Versicherungsfall vom 13.1.1997 nach § 11 SGB VII als mittelbare Unfallfolge zuzurechnen ist. Das wird das LSG bei Verneinung einer unmittelbaren Unfallfolge aber zu prüfen haben.

24

Nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch solche Gesundheitsschäden oder der Tod eines Versicherten, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung nach dem SGB VII oder durch Maßnahmen wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurden. Diese Vorschrift regelt, dass auch solche Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht werden, dem Versicherungsfall rechtlich zugerechnet werden. Diese mittelbaren Folgen müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB VII - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 mwN).

25

Mit dieser Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung zum früheren Recht fortgeführt. Bereits für die Bejahung des nach § 555 Abs 1 RVO erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Heilbehandlung genügte es, dass der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, dass die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen. Schon zu jener Vorschrift hat das BSG entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Heilbehandlung wegen Folgen des Arbeitsunfalls objektiv geboten war (BSG vom 24.6.1981 - 2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 58 = SozR 2200 § 555 Nr 5).

26

Hieran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass § 11 Abs 1 SGB VII nun darauf abstellt, dass die Mitwirkung an einer vom Träger angeordneten ärztlichen Maßnahme sich auch dann als versichert erweist, wenn sich später herausstellt, dass in Wirklichkeit kein Versicherungsfall vorlag. Allerdings setzt die Zurechnung eines Gesundheitsschadens, der rechtlich wesentlich durch eine iSv § 11 Abs 1 SGB VII vom Unfallversicherungsträger angeordnete Maßnahme verursacht wurde, die bisherige Rechtsprechung eingrenzend voraus, dass der Träger oder seine Leistungserbringer gegenüber dem durch die Verrichtung einer bestimmten versicherten Tätigkeit Versicherten durch (festgestellte) Handlungen den Anschein begründet haben, die Behandlungs- oder Untersuchungsmaßnahme erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen (oder zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalles oder einer Unfallfolge). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die an seiner Rechtsprechung geäußerte Kritik (vgl Gundolf Wagner in juris PraxisReport 9/12 Anm 2) fest (wie der Senat wohl auch Krasney, in Becker ua, Kommentar zum SGB VII, § 11 RdNr 15; aA auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 3; G. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 11 RdNr 15; Holtstraeter in K/S/W, Kommentar zum Sozialrecht, § 11 SGB VII RdNr 2; Rapp in LPK-SGB VII, § 11 RdNr 1; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 11 RdNr 4; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV-SGB VII, Stand April 2007, § 11 SGB VII RdNr 4).

27

Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahmen erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aa). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg - hier die psychische Störung - ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt (bb); das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (cc). Dasselbe gilt für die Frage, ob eine MdE vorliegt und im Wesentlichen durch Unfallfolgen verursacht wurde.

28

aa) Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Erkrankung des Klägers eine mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII ist oder keine Unfallfolge war.

29

Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII)durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 43).

30

Ob der Kläger zum Zeitpunkt der jeweiligen ärztlichen Behandlungen diese nach den objektiven Gegebenheiten als solche der Beklagten verstehen musste, steht nicht sicher fest. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VII spricht zwar, dass die fraglichen Maßnahmen durch D-Ärzte und BG-Kliniken veranlasst wurden und die Beklagte deren Kosten trug. Das LSG hat aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit festgestellt, dass die verschiedenen von Ärzten veranlassten Maßnahmen sich nicht nur nach der subjektiven Wahrnehmung des Klägers zur Zeit ihrer Erbringung, sondern auch nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Heilbehandlung der Beklagten oder als deren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls darstellten.

31

bb) Das LSG hat auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf welche anderen Ursachen als der Versicherungsfall das Vorliegen der psychischen Erkrankung naturwissenschaftlich-philosophisch verursacht haben.

32

Aus dem Fehlen solcher Feststellungen kann andererseits nicht gefolgert werden, dass die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII die einzige Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung war. Denn das LSG hat bei der Abwägung der Beiträge, die verschiedene Ursachen für das Entstehen der MdE haben, also auf der (zweiten) Stufe zur Prüfung der "Wesentlichkeit" von (verschiedenen) Ursachen, Vorerkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet sowie das Bestehen weiterer, nicht mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehender Faktoren, zB familiäre Probleme, bejaht. Ohne (ausdrückliche) Feststellung dazu, ob und inwieweit diese nicht dem versicherten Risiko zuzurechnenden Ursachen naturwissenschaftlich-philosophisch wirksam geworden sind, ist das LSG sogleich in die rechtliche Wertung eingetreten und hat den Versicherungsfall als die wesentliche Ursache für das Bestehen der Erkrankung bezeichnet.

33

cc) Falls bei erneuter Prüfung des Klagebegehrens festgestellt werden sollte, dass für die Erkrankung sowohl der Versicherungsfall als auch andere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegen, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (zweite Stufe) zu prüfen, ob der Versicherungsfall die psychische Störung "wesentlich" verursacht hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen nach Erfahrungssätzen notwendigen oder hinreichenden Ursachen ist abzuwägen, welche von ihnen die rechtlich Wesentliche ist.

34

Bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3).

35

3. a) Aus den gleichen Gründen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente hat.

36

Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier des anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert (MdE) ist, Anspruch auf Rente. Die Höhe der Rente richtet sich ua nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII).

37

Auch insoweit wird das LSG zu prüfen haben, ob eine MdE "infolge" des Arbeitsunfalls besteht. Hierfür gelten die oben zu 2. dargelegten Grundsätze entsprechend.

38

b) Sollte das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 SGB VII bejahen, wird zu beachten sein, dass dieser erst am Tag nach Erlöschen des dem Kläger bewilligten Rechts auf Verletztengeld beginnen kann.

39

Zwar kann der Anspruch auf Verletztenrente - anders als das LSG meint - grundsätzlich bereits am Tag nach dem Versicherungsfall beginnen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass eine MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus vorliegen wird (zB bei Verlust eines Körperteils) und ein gesetzlich vorrangiger Anspruch nicht besteht.

40

Hier hat das LSG seine Entscheidung aber unter Verletzung von § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII getroffen. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Rentenanspruch erst, nachdem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Renten werden danach an Versicherte erst von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt worden ist, sondern darauf, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestand. Die Regelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen aus dem System der GUV, insbesondere den zeitgleichen Bezug von Verletztengeld und Verletztenrente, zu vermeiden.

41

Für die vom Kläger geführte Anfechtungs- und Leistungsklage wegen Verletztenrente ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt stand und steht zwischen den Beteiligten durch Verwaltungsakt bindend fest, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld vom Unfalltag durchgehend bis 30.9.2002 hat. Eine mögliche Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII) kann daher erst nach dem 30.9.2002, also nach dem Ende des Zeitraums beginnen, für den Verletztengeld zustand (§ 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII; § 74 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, da der Anspruch auf Verletztengeld nicht aufgrund einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge Wiedererkrankung eingetreten ist; siehe dazu Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 74 RdNr 13).

42

4. Da das Urteil des LSG aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Frage, ob die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen das Urteil des LSG erhoben hat.

43

5. Das LSG hat mit der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden. Dabei wird ggf zu berücksichtigen sein, dass dem Kläger eine Verletztenrente nicht - wie begehrt - ab Juli 1997, sondern erst ab 1.10.2002 zusteht.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger die Feststellung eines Arbeitsunfalls wegen des Ereignisses vom 7.4.2003 beanspruchen kann.

2

Der 1953 geborene Kläger war bei der Firma H. als Kraftfahrer beschäftigt. Am 7.4.2003 hatte er den Auftrag, Waren von M. aus zur Firma C. in B. zu transportieren. Er fuhr gegen 1.00 Uhr in M. ab, kam gegen 2.30 Uhr in der Umgebung von B. an. Nachdem sich C morgens bei H nach dem Verbleib der Ware erkundigt hatte, kam der Kläger gegen 9.30 Uhr bei C in B. an. Nach dem Abladevorgang bewegte er sich mit einem Hämatom am Kopf langsam taumelnd. Beim Eintreffen des Rettungssanitäters zeigte er sich desorientiert und bewusstseinsgetrübt. Ferner zeigte er einen schwankenden Gang und konnte keine adäquaten Angaben zum vorangegangenen Geschehen machen. Bei der notärztlichen und der anschließenden stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. vom 7. bis 29.4.2003 bestand hinsichtlich des Geschehenen eine vollständige Amnesie. Diagnostiziert wurden ein schweres Schädel-Hirn-Trauma unklarer Genese, eine Kalottenfraktur okzipital, multiple Einblutungen fronto-basal rechts, ein passagerer Verwirrtheitszustand, ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine retrograde Amnesie und eine chronische Bronchitis bei Nikotinabusus.

3

Die Beklagte gewährte dem Kläger Heilbehandlung und ab 20.5.2003 Verletztengeld. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten führte am 4.6.2003 Telefongespräche mit dem Inhaber der H sowie einem Mitarbeiter E des Betriebs, bei dem der Kläger die Waren entladen sollte. Nach weiteren Ermittlungen verfügte die Beklagte unter dem 6.8.2004 die Einstellung der Zahlung des Verletztengeldes mit Ablauf des 27.9.2004. Mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit sei nach Ablauf der 78. Woche nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zu rechnen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien derzeit nicht zu erbringen.

4

Der Kläger beantragte am 31.8.2004 Verletztenrente. Die Beklagte zahlte ihm im Oktober 2004 auf die "voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung" einen Vorschuss in Höhe von 300 €. Dieser stehe unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung, falls sich herausstelle, dass keine oder eine geringere Leistungspflicht bestehe. Auf das klägerische Schreiben vom 16.3.2005 zahlte die Beklagte unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung auf die "voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung" einen weiteren Vorschuss von 1700 €.

5

Mit Bescheid vom 24.6.2005 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 7.4.2003 ab. Es lasse sich nicht feststellen, dass sich der Kläger seine Kopfverletzung bei einer versicherten Tätigkeit zugezogen habe. Ein zu entschädigender Arbeitsunfall sei nicht erwiesen. Die Vorschüsse auf Leistungen in Höhe von 2000 € seien zu erstatten. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.2.2006 zurückwies.

6

Der Kläger hat beim SG Heilbronn Klage erhoben. Er habe seinen Arbeitstag am 7.4.2003 wie immer begonnen, wenn er mit seinem Lkw in Richtung B. gefahren sei. Bei diesen Fahrten sei er gegen 1.00 Uhr zum Betrieb in M. gefahren, habe Lkw und Ladung kontrolliert und habe sich dann auf den Weg in Richtung B. gemacht. Wie üblich habe er die Absicht gehabt, einen vor R. gelegenen Parkplatz anzufahren, auf dem er üblicherweise bei dieser Tour stehe. Von dort zur Abladestation in B. betrage die Fahrtzeit ca 20 Minuten.

7

Mit Urteil vom 3.3.2009 hat das SG "den Bescheid der Beklagten vom 24.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.2.2006" aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom 7.4.2003 als Arbeitsunfall festzustellen. Als der Kläger die versicherte Tätigkeit aufgenommen habe, sei er noch gesund gewesen. Bei der Ankunft an der Entladestelle habe er sich Verletzungen zugezogen gehabt, die aus einem Unfall resultieren müssten. Es lasse sich nicht nachweisen, dass der Kläger die versicherte Tätigkeit zwischen 1.00 Uhr und 9.30 Uhr für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe.

8

Gegen das Urteil des SG hat die Beklagte beim LSG Berufung eingelegt. Das Urteil überzeuge nicht, da nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger zur Zeit der Gesundheitsschädigung eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Das LSG hat mit Urteil vom 9.12.2010 (L 6 U 2656/09) das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Dass sich der Nachweis der Ausübung einer versicherten Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls nicht führen lasse, gehe nach dem Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten. Verunglücke ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet habe, entfalle der Versicherungsschutz zwar nur, wenn bewiesen werde, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe (unter Hinweis auf BSG vom 26.10.2004 - B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279 = SozR 4-2700 § 8 Nr 9; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 28/06 R - veröffentlicht in Juris). Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben, denn es lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet habe, verunglückt sei. Der Kläger habe am Unfalltag nicht ausschließlich betriebliche, sondern auch eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. So habe er von vornherein beabsichtigt, auf einem Parkplatz eine 4 bis 4,5 Stunden dauernde Pause einzulegen, die er nach den Ermittlungen auch eingelegt habe. Die Einlegung einer nicht versicherten Pause führe "zu einer Beweislastumkehr" dergestalt, dass nicht die Beklagte die Beweislast dafür trage, dass der Kläger die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe, sondern der Kläger die Beweislast dafür trage, dass er nicht während einer eigenwirtschaftlichen Unterbrechung verunfallt sei.

9

Gegen das Urteil des LSG hat der Kläger Revision eingelegt. Es verletze §§ 7, 8 SGB VII, indem es zu Unrecht davon ausgehe, dass der vorliegende Fall von den Konstellationen abweiche, die den Entscheidungen des BSG vom 4.9.2007 (B 2 U 28/06 R) und vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R) zu Grunde lagen. Bei der von ihm eingelegten Pause handle es sich nicht um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr sei er zur Einhaltung von Ruhezeiten normativ verpflichtet. Er sei darin frei, sich die Ruhezeiten nach eigener Planung einzuteilen. Die Ungewissheit darüber, unter welchen Umständen er sich die Verletzungen zugezogen habe, gehe zu Lasten der Beklagten.

10

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2010 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 3. März 2009 zurückzuweisen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Der Vollbeweis dafür, dass der Kläger einen Unfall in Ausübung der versicherten Tätigkeit erlitten habe, sei nicht erbracht worden.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Klägers, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Ereignisses vom 7.4.2003 als Arbeitsunfall begehrt, ist unbegründet.

14

Das LSG hat das Urteil des SG im Ergebnis zu Recht aufgehoben und die Klagen abgewiesen (1.). Vorliegend können nicht die "Beweiserleichterungen" gelten, die der Senat angenommen hat, wenn ein Versicherter am Arbeitsplatz und in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer versicherten Verrichtung einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet (2.). Es findet keine "Beweislastumkehr" zu Lasten des Klägers statt (3.). Ein Arbeitsunfall ist auch nicht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins festzustellen (4.).

15

1. Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger nach § 102 SGB VII die Feststellung eines Versicherungsfalles, hier eines Arbeitsunfalles, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f). Einen Arbeitsunfall hat der Kläger aber nach den für das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht erlitten.

16

Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17 RdNr 10; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN).

17

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). Das BSG ist an die Feststellung nicht nur dieser Tatsachen, sondern auch an die eines naturphilosophischen Kausalzusammenhangs durch das LSG grundsätzlich gebunden, falls - wie hier - keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen gegen die dabei zu Grunde gelegten Tatsachenfeststellungen erhoben werden und materiellrechtlich nicht ersichtlich ist, dass das LSG die rechtlichen Vorgaben für diesen ersten Schritt der Kausalitätsbeurteilung verkannt hat. Zu einer eigenständigen beweiswürdigenden Tatsachenfeststellung ist das BSG nur in seltenen, hier nicht einschlägigen Ausnahmesituationen befugt. Demgegenüber ist die Entscheidung über die Wesentlichkeit eines naturphilosophischen Kausalzusammenhangs im Einzelfall eine reine Rechts- und Rechtsanwendungsfrage.

18

Eine "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", die unter einen gesetzlichen Versicherungstatbestand zu subsumieren wäre, ist nicht erwiesen. Nach den vom LSG bindend festgestellten Tatsachen ist weder nachgewiesen noch nachweisbar, dass der Kläger die Gesundheitsschäden bei der Ausübung einer Tätigkeit erlitten hat, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Danach steht schon nicht fest, ob der Gesundheitsschaden am 7.4.2003 oder vorher entstanden ist. Weiter ist nicht nachgewiesen, ob, wenn die Gesundheitsschädigung am 7.4.2003 zwischen 1.00 Uhr und 9.30 Uhr entstand, diese während der Zeiten der Verrichtung von Kraftfahreraufgaben oder während einer mehrstündigen Erholungspause eintrat. Als abhängig beschäftigter Kraftfahrer hätte er zur Zeit der Schädigung eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit nur verrichtet, wenn er Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hätte oder eine nicht geschuldete Handlung mit der objektivierten Handlungstendenz vorgenommen hätte, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Es steht aber nur fest, dass er am Unfalltag um 1.00 Uhr die Ausübung der versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer aufgenommen hat und dass bei ihm gegen 9.30 Uhr erhebliche Gesundheitsschäden vorgelegen haben. Allerdings war nicht feststellbar, welche versicherten und nicht versicherten Verrichtungen der Kläger in der Zwischenzeit ausgeführt hat.

19

Die Anspruchsvoraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls iS des § 8 Abs 1 SGB VII sind deshalb nicht erfüllt.

20

2. Das LSG hat bei seiner Entscheidung nicht verkannt, dass bei der Beweiswürdigung der rechtliche Beweismaßstab des Vollbeweises bei der Prüfung der versicherten Tätigkeit eines Beschäftigten auch dann erfüllt sein kann, wenn ein Versicherter an dem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt versicherte Tätigkeiten verrichtet hatte, aus ungeklärten Umständen einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet, falls keine konkret festgestellten Tatsachen Zweifel daran begründen, dass er auch noch zur Unfallzeit versichert gearbeitet hat (teilweise als "Beweiserleichterung" bezeichnet).

21

Der Senat hat in der Entscheidung vom 4.9.2007 (B 2 U 28/06 R - Juris RdNr 22) folgende Maßstäbe aufgestellt: "Die Ungewissheit darüber, aus welchen Beweggründen V (Anm: der Versicherte) … 10 bis 20 Minuten auf der Plattform verblieben ist und was er dort getan hat, geht zu Lasten der Beklagten. Denn sie trägt bei der gegebenen Sachlage die objektive Beweislast dafür, dass der Verunglückte sich während der versicherten Baustelleneinrichtung vorübergehend einer anderen, privaten Zwecken dienenden Verrichtung zugewandt hatte."

22

Ähnlich führte er schon im Urteil vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279 = SozR 4-2700 § 8 Nr 9)aus: "Verunglückt ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte." Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zu Grunde, bei dem ein Versicherter mit einem Arbeitskollegen auf einem Dach Arbeiten verrichtete und nach einer 15 bis 30 Minuten dauernden Abwesenheit des Kollegen von dem Dach abgestürzt war.

23

Die Umstände des vorliegenden Falls unterscheiden sich - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - von den Konstellationen, die den Entscheidungen des BSG vom 4.9.2007 (B 2 U 28/06 R) und vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279 = SozR 4-2700 § 8 Nr 9) zu Grunde lagen. Beiden Entscheidungen lag ein Sachverhalt zu Grunde, in dem jeweils die Aufnahme einer versicherten Tätigkeit nachgewiesen war und die Versicherten aus nicht zu klärenden Umständen in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz zu einem bekannten Zeitpunkt Unfälle erlitten hatten. "Beweiserleichterungen" nach den og Urteilen kommen daher nur in Betracht, wenn der Versicherte den räumlichen Bereich, in dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, nicht verlassen und er dort kurz zuvor versicherte Tätigkeiten verrichtet hat (so auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2011, K § 8 RdNr 340; derselbe in jurisPR-SozR 12/2005 Anm 5).

24

Daran fehlt es hier. Es ist völlig offen, wann genau, wo und bei welcher Gelegenheit der Kläger sich seine Verletzungen zugezogen hat. Vergleichbar liegt der Fall des Klägers mit denjenigen, die den oben genannten Urteilen zu Grunde lagen, nur insoweit, als auch der Kläger unter ungeklärten Umständen erhebliche Gesundheitsschäden erlitten hat. Vorliegend erstreckt sich aber der Zeitraum zwischen der Aufnahme der versicherten Tätigkeit (1.00 Uhr), einer Pause von 2.30 Uhr bis 9.00 Uhr bis zur Wahrnehmung bestehender Gesundheitsschäden (gegen 9.30 Uhr) auf mehr als acht Stunden. Für diese Zeitspanne ist unklar, wann die Schädigung stattgefunden hat und welchen konkreten versicherten und nichtversicherten Verrichtungen der Kläger nachgegangen ist. Der Zeitraum, in dem die Einwirkung möglicherweise erfolgte, übersteigt sogar die zeitliche Dauer einer Arbeitsschicht, die als Grenze gilt, bis zu der das Merkmal "zeitlich begrenzt" in § 8 Abs 1 S 2 SGB VII noch erfüllt werden kann(stRspr BSG vom 30.5.1985 - 2 RU 17/84 - SozR 2200 § 548 Nr 71; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2011, K § 8 RdNr 12 f).

25

Auch in örtlicher Hinsicht ist offen, ob der Kläger die Verletzungen am Arbeitsplatz, zB in seinem Fahrzeug, oder an einem Ort erlitten hat, den er bedingt durch die versicherte Tätigkeit aufsuchen musste, oder an einem zu eigenwirtschaftlichen Verrichtungen aufgesuchten Ort, zB einem Rasthof.

26

Das LSG hat die Nichtfeststellbarkeit der Verrichtung der versicherten Beschäftigung auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Möglichkeit geprüft, dass die vom Kläger einzuhaltenden und zwingend vorgeschriebenen Ruhezeiten Teil der versicherten Tätigkeit wären (vgl zu Ruhe- und Lenkzeiten der Kraftfahrer: Art 6 f EGV Nr 561/2006; unbeschadet der EGV gilt für Fahrer in einem Arbeitsverhältnis auch das ArbZG, insbesondere § 21a; vgl auch BAG vom 20.04.2011 - 5 AZR 200/10). Hier kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kraftfahrer bei der Einhaltung von Ruhe-, Lenk- und Standzeiten eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Denn das LSG hat bindend festgestellt, dass vorliegend eine betriebliche Notwendigkeit - wie etwa einzuhaltende Lenkzeiten - für die gewählte Pausengestaltung nicht ersichtlich ist. Im Übrigen hat der Senat in dem mehrfach zitierten Urteil vom 26.10.2004 (B 2 U 24/03 R - aaO RdNr 8) bereits darauf verwiesen, dass ein Versicherter, der während einer Arbeitspause oder während eines Bereitschaftsdienstes einer höchst persönlichen oder eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgeht, ebenso wenig versichert ist, wie ein Versicherter, der während der normalen Arbeitszeit eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit einschiebt. In beiden Fällen wird die versicherte Tätigkeit unterbrochen.

27

3. Eine "Umkehr der Beweislast" zu Lasten des Klägers oder eine "Rückausnahme", wie das LSG meint, liegt nicht vor.

28

Das LSG ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die hier vorliegenden Umstände, ausgehend von den Entscheidungen des Senats eine "Beweislastumkehr" zu Lasten des Klägers bewirken. Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht - hier Feststellung eines Arbeitsunfalls - für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (stRspr; vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196, 198 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 RdNr 10 mwN; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN). Bei Tatsachen, die das LSG nur mit dem Überzeugungsgrad des Vollbeweises feststellen darf, schaden rein theoretische Zweifel, die immer vorliegen können, ohnehin nicht (Erforderlich ist "ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit" so Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl 2011, § 286 RdNr 2 mwN). Die in den oben zitierten Entscheidungen sehr unspezifisch als "Beweiserleichterungen" (zu dem Begriff vgl Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl, Vor § 284 RdNr 25 f) bezeichneten Ausnahmesituationen zeichnen sich dadurch aus, dass weder eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit noch konkrete Hilfstatsachen dafür festgestellt sind. Folglich könnten nur aus der Unaufklärbarkeit der Umstände des Einzelfalles Zweifel an der (weiteren) Verrichtung der versicherten Tätigkeit bis zur Unfallzeit entstehen. Solche Zweifel aber, die sich nicht auf festgestellte Tatsachen stützen lassen, können auch nur rein theoretischer Natur sein.

29

4. Das LSG hätte, worauf nur beiläufig hinzuweisen ist, die Verrichtung der versicherten Beschäftigung zur Unfallzeit auch nicht wegen eines Anscheinsbeweises feststellen müssen.

30

Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Bei typischen Geschehensabläufen erlaubt er den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens aufgrund von Erfahrungssätzen, auch wenn im Einzelfall entsprechende Tatsachen nicht festgestellt werden können (Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl, Vor § 284 RdNr 29). Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann also der Geschehensablauf zu Grunde gelegt werden, als habe er sich in der typischen Weise ereignet. Erforderlich ist ein Hergang, der nach der Lebenserfahrung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und dem Willen der handelnden Personen in einer bestimmten Weise abzulaufen pflegt und deshalb auch im zu entscheidenden Fall als gegeben unterstellt werden kann (s dazu: Keller aaO; BSG SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 S 2). Es kann offenbleiben, ob und in welchen Fällen ein Beweis des ersten Anscheins für den Überzeugungsgrad des Vollbeweises ausreichen kann.

31

Dementsprechend wird auch für einzelne Voraussetzungen des Arbeitsunfalls, wie zB die Unfallkausalität, die Möglichkeit des Anscheinsbeweises bejaht (dazu BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22, RdNr 15; vgl auch Bolay in Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 128 RdNr 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 9 ff). Vorliegend kann ein Anscheinsbeweis schon mangels eines typischen Geschehensablaufs nicht den Nachweis begründen, dass ein Unfallereignis bei der "Verrichtung einer versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit" eingetreten ist. Neben einer feststellbaren Unfallzeit fehlt es auch an einem Erfahrungssatz des Inhalts, dass Beschäftigte im Transportgewerbe (außerhalb von Verkehrsunfällen) bei Ausübung ihrer Tätigkeit Einwirkungen ausgesetzt sind, die zu Verletzungen der vom Kläger erlittenen Art führen.

32

Nach alledem ist die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.11.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist.

(2) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

(2a) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ab von der Gültigkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Vorschrift, die nach § 22a Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Antragsverfahrens nach § 55a auszusetzen ist.

(3) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Löschung eines von ihr eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens.

2

Auf die ärztliche Anzeige einer Berufskrankheit (BK) teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 13.5.2003 mit, dass beabsichtigt sei, das Vorliegen einer BK durch ein ärztliches Gutachten feststellen zu lassen. Sie schlug als Gutachter Dr. Sch., , Dr. B., , und die "Orthopädische Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A., , " vor. Ferner wies sie darauf hin, dass das Gutachten auf Grund einer Untersuchung erstattet werden soll, zu der der Gutachter andere Ärzte hinzuziehen könne, und der Kläger der Übermittlung der Unterlagen über die bisherigen Feststellungen an den Gutachter nach den Vorschriften über den Sozialdatenschutz gemäß § 76 Abs 2 SGB X widersprechen könne. Mit eigenhändigem Schreiben vom 20.5.2003 erklärte der Kläger sein Einverständnis mit dem Gutachter "Orthopädische Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A.".

3

Dr. S. erstellte am 27.7.2003 als Mitglied der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A. nach Untersuchung des Klägers (am 25.7.2003) ein Gutachten. Daraufhin lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ab (Bescheid vom 2.10.2003; Widerspruchsbescheid vom 16.12.2003).

4

Der Kläger hat hiergegen am 6.1.2004 beim SG Köln geklagt. Am 20.5.2005 beantragte er bei der Beklagten, das Gutachten von Dr. S. vom 27.7.2003 zu löschen, hilfsweise, es zu sperren. Dies lehnte die Beklagte im Bescheid vom 22.7.2005 ab. Das SG hat "die Klage" abgewiesen (Urteil vom 30.11.2005). Sowohl die Ablehnung der Feststellung einer BK 2108 als auch die der Entfernung des Gutachtens aus den Verwaltungsakten, die nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sei, seien rechtmäßig; der Kläger habe ein etwaiges Rügerecht verwirkt.

5

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat das Verfahren, soweit die Klagen gegen die Ablehnung des Löschungsanspruchs gerichtet waren, zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt. Nachdem die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom 19.7.2007), hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 3.9.2008). Das Gutachten von Dr. S. sei nicht wegen Verstoßes gegen das in § 200 Abs 2 SGB VII geregelte Widerspruchs- und Auswahlrecht in rechtlich unzulässiger Weise zu Stande gekommen. Mit der Auswahl der "Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A." habe der Kläger der Übermittlung seiner Sozialdaten an die Gemeinschaftspraxis zugestimmt. Ihm seien auch mehrere Gutachter vorgeschlagen worden. Dass sich sein Einverständnis nicht auf die Gemeinschaftspraxis, sondern allein auf Prof. Dr. Dr. A. bezogen habe, sei nicht zu erkennen gewesen. Aber auch unabhängig davon sei das von einem nicht namentlich bezeichneten Mitglied einer Gemeinschaftspraxis erstellte Gutachten nicht zu entfernen. Nach der Rechtsprechung des BSG könnten lediglich Verstöße gegen das Widerspruchsrecht durch Entfernung des Gutachtens aus der Akte geheilt werden.

6

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung seines Löschungsanspruchs aus § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X. Das Gutachten von Dr. S. sei wegen Verstoßes gegen sein Auswahl- und Widerspruchsrecht des § 200 Abs 2 SGB VII zu löschen. Eine Gemeinschaftspraxis sei kein Gutachter im Sinne dieser Vorschrift, sondern eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei der allein die Ärzte als Rechtspersonen höchstpersönlich handelten. Da das Gutachterauswahlrecht nicht nur zur Verbesserung der Verfahrenstransparenz beitragen, sondern auch die Mitwirkungsrechte der Versicherten stärken solle, sei die Benennung eines individualisierten Arztes zwingend erforderlich. Nach dem Empfängerhorizont sei lediglich Prof. Dr. Dr. A. als Gutachter vorgeschlagen worden. Dieser hätte das Gutachten erstellen und dafür Sorge tragen müssen, dass die sich aus der Begutachtung ergebenden Daten den anderen Ärzten der Gemeinschaftspraxis nicht zugänglich gemacht würden. Mit der Auswahl der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A. sei kein Einverständnis zur Übermittlung der Sozialdaten an die anderen Ärzte der Gemeinschaftspraxis erklärt worden. Von einem Versicherten könnten Kenntnisse über den rechtlichen Status einer Gemeinschaftspraxis nicht verlangt werden. Durch die Datenübermittlung an Dr. S. sei zudem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden. Dieser Verstoß ziehe ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Dem stehe nicht entgegen, dass Prof. Dr. Dr. A. in einer späteren Stellungnahme zu demselben Ergebnis wie Dr. S. gekommen sei.

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008 und des Sozialgerichts Köln vom 30. November 2005 sowie die ablehnende Entscheidung im Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass er einen Anspruch auf Löschung des Gutachtens des Dr. S. vom 27. Juli 2003 hat, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, das Gutachten von Dr. S. vom 27. Juli 2003 zu löschen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie schließt sich den Ausführungen der Vorinstanz an.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Löschung des von ihr im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens.

11

1. Das LSG hatte zulässig den Rechtsstreit über den Löschungsanspruch von demjenigen über den Anspruch auf Feststellung einer BK 2108 getrennt und gesondert über den streitigen Löschungsanspruch entschieden. Denn es handelt sich um zwei unterschiedliche Rechtsfolgen und somit um unterschiedliche Streitgegenstände. Ferner ersetzt oder ändert die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ihre Feststellung nicht, er habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung einer BK 2108. Daher war die den Löschungsanspruch verneinende Feststellung entgegen dem SG nicht Gegenstand des die Feststellung einer BK 2108 betreffenden Klageverfahrens iS des § 96 Abs 1 SGG geworden.

12

Die Entscheidung über den Löschungsanspruch ist für die Entscheidung des Rechtsstreits um die BK 2108 und diese für jene darüber hinaus auch nicht vorgreiflich iS des § 114 Abs 2 Satz 1 SGG. Dies gilt auch für die Frage, ob das ärztliche Gutachten, das der Kläger gelöscht haben will, im Streit um die BK 2108 verwertbar ist. Denn der Löschungsanspruch hängt allein von der Unzulässigkeit einer Speicherung von Sozialdaten ab. Hingegen ist für diesen Anspruch unerheblich, ob ein von der Verwaltung eingeholtes und tatsächlich nicht gelöschtes (Verwaltungs-) Gutachten vom Gericht (im Urkundsbeweis) gewürdigt werden darf oder einem Beweisverwertungsverbot unterfällt und deshalb für die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht verwertbar ist. Denn die Frage der Verwertbarkeit von Sozialdaten stellt sich dem Gericht nur hinsichtlich solcher von einem Träger übermittelter Sozialdaten, die ihm "ungelöscht" zur Kenntnis gebracht wurden. Eine spätere, ggf gerichtlich erstrittene, tatsächliche Löschung der Daten in den Dateiträgern/Akten der Verwaltung kann diese erworbene Kenntnis des Gerichts, gegen das der Löschungsanspruch nicht gerichtet ist, nicht beseitigen.

13

2. Die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) gegen die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ist unbegründet. Denn dieser Verwaltungsakt (vom 22.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.7.2007) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

14

Daher konnte offen bleiben, mit welcher Klage in Fällen der vorliegenden Art die Anfechtungsklage zulässigerweise verbunden werden kann. Der Kläger hat sie (entsprechend der Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 21.3.2006 - B 2 U 24/04 R - SozR 4-1300 § 84 Nr 1 RdNr 25; vgl auch BVerwG, Urteil vom 9.6.2010 - 6 C 5/09) mit einer Verpflichtungsklage (Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Anspruchs auf Löschung) kombiniert. Er hat sie hilfsweise mit einer (unechten <§ 54 Abs 4 SGG> oder echten<§ 54 Abs 5 SGG>) Leistungsklage auf tatsächliche Durchführung der Löschung verbunden (vgl zu den Klagearten VG Karlsruhe, Urteil vom 14.4.2010 - 3 RK 2309/09; Bieresborn in: von Wulffen, SGB X, § 84 RdNr 10). Unabhängig davon, ob die Verpflichtungsklage als spezielle Leistungsklage oder die unechte oder die allgemeine Leistungsklage gegeben und zulässig war, stand fest, dass (nur und jedenfalls) eine dieser Klagen zulässig war, sodass das BSG in jedem Fall zu einer Entscheidung in der Sache befugt war. Einer Bestimmung, welche dieser Klagen zulässig war, bedurfte es trotz des Haupt- und Hilfsantrags nicht, weil jede von ihnen, sofern zulässig, unbegründet war. Denn sie alle sind nur dann begründet, wenn der Kläger den abgelehnten Löschungsanspruch hat. Mit der Abweisung der Anfechtungsklage gegen diese Ablehnung steht aber fest, dass der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Anspruchs auf Löschung und auch keinen Anspruch unmittelbar auf Löschung durch die Beklagte hat.

15

Deshalb war auch nicht zu entscheiden, ob die das Leistungsbegehren betreffenden Revisionsanträge des Klägers, "das Gutachten" zu löschen, hinreichend bestimmt waren. Dies war zweifelhaft, weil er grundsätzlich die Sozialdaten, deren Löschung er begehrt, so genau hätte bezeichnen müssen, dass im Urteil klar hätte ausgesprochen werden können, was die Beklagte in dem Gutachten hätte löschen müssen.

16

3. Die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ist rechtmäßig.

17

Als Anspruchsgrundlage kommt einzig § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X in Betracht (a). Die Beklagte war zuständig und befugt, über den Löschungsanspruch des Klägers zu entscheiden (b). Die "Speicherung" des Gutachtens war zulässig. Selbst wenn vorliegend eine Verletzung des Auswahlrechts aus § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII vorliegen sollte und diese überhaupt geeignet wäre, die Unzulässigkeit der "Speicherung" zu begründen, wäre dieser Verfahrensmangel unbeachtlich geworden, weil der Kläger ihn der Beklagten nicht rechtzeitig mitgeteilt hat (c).

18

a) Nach § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Der vom Informationseingriff Betroffene hat das Recht, vom Träger die Unkenntlichmachung seiner unzulässig gespeicherten Sozialdaten zu verlangen.

19

Diese Norm ist, wie in der genannten Senatsentscheidung vom 21.3.2006 vorausgesetzt, eine Anspruchsgrundlage. Der Bürger kann eine Löschung beanspruchen, obwohl § 38 SGB I (Rechtsanspruch bei gebundenen Sozialleistungen auch ohne Feststellung eines individualschützenden Normzwecks) nicht gilt. Denn § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X ist eine drittschützende Norm. Sie soll dem Schutz der von einem Informationseingriff betroffenen Bürger, mithin einem von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreis, dienen und ihnen die Rechtsmacht zuweisen, gegen die Verwaltung durchzusetzen, dass die Ergebnisse des Eingriffs, die gespeicherten Sozialdaten, gelöscht werden.

20

§ 20 Abs 2 Nr 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), der gemäß § 1 Abs 2 BDSG nur auf personenbezogene Daten anwendbar ist, ist gegenüber § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X subsidiär(§ 1 Abs 3 Satz 1 BDSG; vgl auch § 84 Abs 1a SGB X; offen gelassen im BSG-Urteil vom 13.10.1992 - 5 RJ 16/92 - BSGE 71, 170 ff). Denn § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X ist eine Rechtsvorschrift des Bundes, die die Löschung (auch) personenbezogener (Sozial-) Daten regelt.

21

b) Die Beklagte war zuständig und befugt, verbindlich festzustellen, der Kläger habe den gegen sie erhobenen Löschungsanspruch nicht. Wie ua § 83 Abs 4 bis 6 SGB X hinsichtlich der Ablehnung eines Auskunftsanspruchs zeigt, lässt es das Gesetz iS des Gesetzesvorbehalts des § 31 SGB I zu, dass der Verwaltungsträger über das Bestehen eines im Zusammenhang mit gespeicherten Daten gegen ihn erhobenen Anspruchs selbst verbindlich entscheiden darf.

22

c) Die Speicherung des Gutachtens war zulässig iS des § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X.

23

aa) Es konnte offen bleiben, ob ein Löschungsanspruch nach Einfügung eines in Papierform erstellten Gutachtens in eine Verwaltungsakte, die ein "Speichern auf einem Datenträger" iS des § 84 Abs 2 Satz 1 iVm § 67 Abs 6 Satz 2 Nr 1 SGB X ist, entgegen dem Gesetzeswortlaut die Löschung des ganzen Gutachtens oder nur diejenige von einzelnen unzulässig gespeicherten Sozialdaten erfasst. Unterstellt, der Anspruch erfasse die Löschung des ganzen Gutachtens, hat die Beklagte nach den Maßstäben des Sozialdatenschutzes des § 35 SGB I iVm §§ 67 ff SGB X zulässig gehandelt(§ 67c Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB X). Denn das Einfügen des Gutachtens in die Verwaltungsakte war zur Erfüllung der Aufgabe der Beklagten erforderlich, über das Bestehen eines Anspruchs auf Feststellung einer BK 2108 rechtmäßig zu entscheiden. Die Daten waren ferner zu dem Zweck gespeichert worden, die das Verfahren abschließende Entscheidung darüber vorzubereiten und ggf später zu überprüfen, ob der Kläger die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 erfüllt und den erhobenen Feststellungsanspruch hat.

24

bb) SGB X-spezifische Unzulässigkeitsgründe liegen nicht vor. Insbesondere berührt die Rüge des Klägers, es sei infolge der Verletzung seines Auswahlrechts auch sein Widerspruchsrecht verletzt, nicht die Zulässigkeit einer Speicherung von Sozialdaten gemäß § 67c Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB X.

25

Die Beklagte hatte den Kläger gemäß § 200 Abs 2 SGB VII ua auf sein Widerspruchsrecht aus § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X hingewiesen. Ferner war sie zur Datenübermittlung an die "Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A." nach § 69 Abs 1 Nr 1 SGB X sowie wegen des eigenhändig erklärten "Einverständnisses" des Klägers mit dieser Gemeinschaftspraxis als Gutachter befugt, unabhängig davon, ob der Kläger damit für sie nicht erkennbar gemeint hatte, er habe nur Prof. Dr. Dr. A. persönlich als Gutachter ausgewählt. Außerdem war sie (auch) zur Entgegennahme der von dem im Geheimnisverbund des § 78 Abs 1 Satz 1 SGB X stehenden Dr. S. erhobenen Daten gemäß § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X ermächtigt. Der Kläger hatte nicht widersprochen.

26

cc) Die Beachtung des Auswahlrechts ist in § 67c SGB X nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Speicherung von Sozialdaten ausgestaltet. Auch keine andere Vorschrift des SGB regelt ausdrücklich, dass eine Verletzung des Auswahlrechts die Rechtsfolge der Unzulässigkeit der Speicherung von Sozialdaten begründet.

27

§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII sieht diese Rechtsfolge jedenfalls nicht ausdrücklich vor.

28

Es musste aber nicht abschließend geklärt werden, ob diese Vorschrift dennoch so verstanden werden darf, als ob sie gleichwohl die Unzulässigkeit der Speicherung sinngemäß und noch hinreichend bestimmt anordne. Denn die mögliche Verletzung dieses Verfahrensrechts des Klägers war unbeachtlich geworden.

29

Es kann offen bleiben, ob die Beklagte das einfachgesetzliche verwaltungsverfahrensrechtliche Auswahlrecht des Klägers aus § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII verletzt hat.

30

Nach dieser Vorschrift "soll" - dh im Regelfall, wenn mehrere geeignete Gutachter vorhanden sind, "muss" - der Unfallversicherungsträger vor Erteilung eines Gutachtensauftrags dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen. Dies entspricht im Regelfall dem Auswahlrecht aus § 14 Abs 5 Satz 3 und 4 SGB IX. Auch danach wird dem Wunsch des Leistungsberechtigten Rechnung getragen, wenn dieser sich für einen der (im Regelfall drei) vom Leistungsträger benannten Sachverständigen entschieden hat. Die Gutachter, zwischen denen der Versicherte auswählen darf, müssen folglich "benannt" werden. Ein eigenes, den Träger bindendes Vorschlagsrecht hat der Versicherte hingegen nicht (vgl Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 200 RdNr 11 und Gutachtenkolloquium, Band 13, 1998, S 35, 44; Ricke in: Kasseler Komm, SGB VII, § 200 RdNr 3; Franke in: LPK-SGB VII, § 200 RdNr 3; Kliegel in: Lauterbach, SGB VII, 4. Aufl, 6. Lfg., März 1998, § 200 RdNr 8, 14; Becker, MEDSACH 2006, 74 f; Neumann, Unfallmedizinische Tagungen Heft 97, 1997, S 231, 239; Plagemann, NJW 1996, 3173, 3176). Dies spricht dafür, dass die Gutachter genau mit ihrem "Namen" (einschließlich der Berufsbezeichnung und der Anschrift) zu benennen sind. Nur dann ist grundsätzlich sichergestellt, dass der Versicherte ohne eigene Nachforschungen darüber, wen der Träger als Gutachter zur Auswahl vorschlägt, sich über die Benannten unterrichten und eine sachlich begründete Auswahl unter ihnen treffen kann. Wird hingegen eine Gemeinschaftspraxis nur mit dem Namen eines ihrer Ärzte bezeichnet, werden die anderen Gutachter gerade nicht benannt.

31

Es musste ebenfalls nicht entschieden werden, ob der Kläger erkannt hatte, dass die "Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A." aus mehreren Ärzten und aus welchen sie bestand und ob er durch sein eigenhändiges Schreiben des Inhalts, er wähle diese Gemeinschaftspraxis, alle Ärzte der Gemeinschaftspraxis als Gutachter "auswählen" wollte.

32

dd) Eine (mögliche) Verletzung des Auswahlrechts war nämlich unbeachtlich geworden und konnte schon deshalb keine Unzulässigkeit der Speicherung begründen. Der Kläger war nämlich seiner verwaltungsverfahrensrechtlichen Obliegenheit nicht nachgekommen, der Beklagten unverzüglich mitzuteilen, dass nicht der von ihm angeblich allein ausgewählte Gutachter Prof. Dr. Dr. A., sondern der von ihm nach seinem Vortrag nicht ausgewählte Dr. S. die Begutachtung übernommen hatte.

33

Ein Versicherter, der meint, dass nicht der von ihm ausgewählte Arzt das Gutachten erstellt, muss dem Unfallversicherungsträger unverzüglich mitteilen, dass er sein Auswahlrecht verletzt sieht (Rügeobliegenheit).

34

Grundsätzlich hat er dies unverzüglich anzuzeigen, sobald er erkennt, dass ein anderer als der von ihm gewählte Gutachter vom Träger zum Gutachter bestellt wurde oder die Begutachtung übernimmt. Das muss er nicht hinnehmen; es obliegt ihm aber, sein Auswahlrecht unverzüglich zu verteidigen. Daher kann nach den Umständen des Einzelfalls seine Mitwirkung an einer Gutachtenerstellung durch einen vom Träger bestellten Gutachter, den der Versicherte zuvor als von ihm nicht ausgewählt erkannt hat, die Genehmigung der vom Träger getroffenen Gutachterauswahl bedeuten. Erkennt der Versicherte den Fehler ausnahmsweise erst später, etwa bei Kenntnisnahme von dem Gutachten, obliegt es ihm besonders dringlich, dies unverzüglich dem Träger mitzuteilen. Denn nur dann kann dieser sofort die Lage klären und notfalls rechtzeitig ein Gutachten des vom Versicherten ausgewählten Sachverständigen einholen. Nur so kann der Träger sicherstellen, dass er seine das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung auf ein Gutachten stützen kann, das ohne eine Verletzung des Auswahlrechts erstellt wurde.

35

Das Auswahlrecht des § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII ist rein verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. Es ermöglicht dem Bürger eine qualifizierte Mitwirkung bei der behördlichen Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 20 SGB X) und dient der Förderung der Akzeptanz des das Verwaltungsverfahren abschließenden Verwaltungsakts des Unfallversicherungsträgers, soweit er dem Gutachten des vom Bürger ausgewählten Gutachters folgt. Dadurch dient es mittelbar auch der besseren Durchsichtigkeit ("Transparenz") der Entscheidungsfindung des Trägers und des Datenflusses für den Versicherten.

36

Das Auswahlrecht bezweckt ausschließlich, im jeweiligen Verwaltungsverfahren einen inhaltlich richtigen und für den Versicherten akzeptablen verfahrensabschließenden Verwaltungsakt vorzubereiten. Von einer (beabsichtigten) Begutachtung durch einen vom Versicherten nicht ausgewählten Gutachter muss der Sozialversicherungsträger unverzüglich erfahren, um die Rechtsverletzung zu verhindern oder zu beseitigen und das Verfahren unter Beachtung des Auswahlrechts durchführen zu können. Der Bürger, der bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihm bekannte Tatsachen angeben soll (§ 21 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X), ist hier der einzige, der eine Verletzung seines Auswahlrechts rechtzeitig abwenden oder eine Heilung dieses Verfahrensfehlers rechtzeitig anstoßen kann.

37

Eine Verletzung des Auswahlrechts kann grundsätzlich nur bis zum Abschluss des jeweiligen Verwaltungsverfahrens vom Unfallversicherungsträger geheilt werden. Deshalb wird die Verletzung, auch wenn sie ungeheilt bleibt, mit dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens grundsätzlich unbeachtlich (vgl zur Rügeobliegenheit im Prüfungsrecht BVerwGE 96, 126, 129 ff, Juris-RdNr 18 f).

38

Dies gilt nur dann nicht, wenn der Bürger ausnahmsweise die Verletzung seines Auswahlrechts vor dem Erlass des abschließenden Verwaltungsakts nicht erkennen konnte, also keine Möglichkeit zur Rechtsverteidigung hatte, oder wenn der Träger das Auswahlrecht trotz einer rechtzeitigen Rüge des Bürgers nicht als verletzt ansieht und keine Heilung veranlasst. Dann kann der Bürger den Mangel auch noch im Widerspruchsverfahren geltend machen, sodass die Ausgangsbehörde, die auch die Abhilfebehörde ist, oder die Widerspruchsbehörde noch eine Heilung im Verantwortungsbereich der Verwaltung herbeiführen kann.

39

Wird erst danach gerügt, ist eine zweckwahrende Heilung des Auswahlrechts, die zu einem verfahrensfehlerfreien Abschluss des Verwaltungsverfahrens allein durch eine Entscheidung der Verwaltung führt, nicht mehr möglich. War nämlich eine (bestehende) Verletzung des Auswahlrechts auch bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens nicht zu erkennen oder wurde sie, obwohl rechtzeitig gerügt, auch von der Widerspruchsbehörde des Trägers verneint, kann der Zweck des Auswahlrechts in dem jeweiligen Verwaltungsverfahren, in dem es besteht, nicht mehr erreicht werden. Der Verfahrensfehler bleibt ggf nur noch nach Maßgabe des § 42 Satz 1 SGB X rechtserheblich und kann nicht gesondert angefochten werden(so auch Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 200 RdNr 26 und K § 199 RdNr 5; aA Thüringer LSG, Urteil vom 22.1.2009 - L 1 U 1089/06 - Juris RdNr 40; offen gelassen ua in BSGE 100, 25, 39 f, RdNr 57 f mwN; kritisch dazu C. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 200 RdNr 51). Er führt zur Aufhebung des verfahrensabschließenden Verwaltungsakts, wenn nicht offensichtlich ist, dass die Auswahlrechtsverletzung die Entscheidung der Verwaltung in der Sache nicht beeinflusst hat.

40

ee) Der Kläger hat den (angeblichen) Verfahrensmangel im Verwaltungsverfahren nicht rechtzeitig angezeigt. Er hat die Beklagte in Kenntnis der Begutachtung durch Dr. S. bis zum Verfahrensabschluss nicht darauf hingewiesen, dass er mit seiner eigenhändigen Erklärung nur Prof. Dr. Dr. A. als Gutachter habe wählen wollen. Daher kam es für die Zulässigkeit der im Verwaltungsverfahren erfolgten Speicherung des Gutachtens des Dr. S. auf diesen nicht einmal mit dem Widerspruch, sondern erst vor dem SG gerügten Mangel des Verwaltungsverfahrens nicht an.

41

ff) Es gibt auch keine anwendbare Rechtsnorm außerhalb des SGB, welche die Speicherung eines Gutachtens datenschutzrechtlich für unzulässig erklärt, wenn das Gutachten von einem Gutachter erstellt wurde, den der Bürger nicht als Sachverständigen ausgewählt hat.

42

Insbesondere das vom Kläger angeführte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG), ein Abwehrrecht, verbietet die Speicherung eines Gutachtens in solchen Fällen nicht. Es gebietet dem Gesetzgeber grundsätzlich auch nicht, ein verletztes einfachgesetzliches Auswahlrecht als Unzulässigkeitsgrund für eine derartige Speicherung einzuführen. Dass das Auswahlrecht mittelbar auch die Durchsichtigkeit der Entscheidungsfindung des Trägers und die des Datenflusses für den Versicherten fördert, bedeutet noch nicht, dass es vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst wird und somit grundsätzlich allen Bürgern gegen alle Verwaltungsträger zustünde. Vielmehr ist es ein grundrechtlich nicht gebotenes, aber für ein bürgernahes Verwaltungsverfahren nützliches, einfachgesetzliches Verfahrensrecht der Versicherten gegen die Unfallversicherungsträger (und der Behinderten in Teilhabeverfahren).

43

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.