Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 24. Okt. 2017 - 8 TaBV 19/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:1024.8TaBV19.17.00
24.10.2017

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Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16. März 2017 - Az.: 2 BV 1/17 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat- hilfsweise Verdachtskündigung gegenüber der Beteiligten zu 3).

2

Die 1962 geborene, ledige Beteiligte zu 3.) ist seit dem 01.08.1978 bei der im Einzelhandel tätigen Beteiligten zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin), die in A-Stadt ein großflächiges SB-Warenhaus mit mehr als 200 Arbeitnehmern betreibt, als Warengruppenleiterin angestellt. Bei der Beteiligten zu 3) besteht ein Grad der Behinderung von 60.

3

Die Beteiligte zu 3) ist die nach § 38 BetrVG freigestellte Betriebsratsvorsitzende des bei der Arbeitgeberin gewählten Beteiligten zu 2) (im Folgenden: Betriebsrat), sie war aber auch schon zuvor seit über 10 Jahren Mitglied des Betriebsrats.

4

Bei der Arbeitgeberin finden unter anderem die Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung von SAP R3/HR vom 20.10.2003 (Bl. 132 ff. d. A.), dessen Nachtrag Nr. 4 vom 05.10.2009 die Einführung der Mitarbeiter-Einkaufskarte regelt (Bl. 143 ff d. A.) sowie die Rahmengesamtbetriebsvereinbarung IT Nr. 28 vom 29.09.2011 (Bl. 271 ff. d. A.), die gemäß dessen Anlage 1 sowohl das Zeiterfassungssystem EPOS/H als auch SAP-HR (Personalrabatt) als auch SAP BW (den Kassenbereich) umfasst, Anwendung. Für den Inhalt der jeweiligen Betriebsvereinbarung wird ausdrücklich auf die Bl. 132 ff., 143 ff. 271 ff. Bezug genommen.

5

Die Arbeitgeberin verhandelte mit dem Betriebsrat im Sommer 2016 über den Abschluss einer neuen Arbeits- und Betriebsordnung, wobei das Thema private Einkäufe ein zentraler Gegenstand war. Die Beteiligte zu 3.) unterschrieb schließlich am 12.07.2017 für den Betriebsrat die ausgehandelte Arbeits- und Betriebsordnung (Bl.18 ff. d. A.), die unter Ziffer 5 mit der Überschrift Arbeitszeit u.a. in Ziffer 5.2 folgende Regelungen enthält:

6

5.2 Einhaltung der Arbeitszeit und Arbeitszeitkontrolle

7

Alle Mitarbeiter müssen zum geplanten Arbeitsbeginn an ihrem Arbeitsplatz sein und die geplante Arbeitszeit einhalten.

8

Die Arbeitszeit wird durch Zeiterfassungsgeräte erfasst und kontrolliert.

9

Das Zeiterfassungsgerät muss persönlich bedient werden

10

- vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende
- direkt vor Beginn der Pausen.

11

Der private Einkauf erfolgt außerhalb der Arbeitszeit.“

12

Am 13.10.2016 sendete der Geschäftsleiter der Filiale, Herr S., die folgende E-Mail (Bl.254 d.A.) an die Bereichsleiter:

13

„Hallo Zusammen,
Bitte geben sie nochmal an alle Mitarbeiter die Info raus, dass die privaten Einkäufe und auch die Einkäufe für die Pause, nicht während der Arbeitszeit gemacht werden Es gibt hier anscheinend noch Missverständnisse, die wir dringend regeln sollten! Die Einkäufe für die Pause (Getränke, Brötchen, Salat, etc) sind in der Pause zu machen und nicht während der Arbeitszeit auf dem Weg zur Kasse.”

14

Die Mitarbeiter erhalten nach der bei der Arbeitgeberin bestehenden Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit an verkaufsoffenen Sonntagen für die auf freiwilliger Basis geleisteten Arbeitsstunden wahlweise einen Zuschlag von 100 % oder entsprechenden Freizeitausgleich. Die Betriebsratsvorsitzende ließ sich ihre Mehrstunden regelmäßig auszahlen und zwar auch für den 16.10.2016.

15

Am verkaufsoffenen Sonntag den 27.11.2017 kaufte die Beteiligte zu 3) an der Kasse Information bei der Arbeitnehmerin H. gegen 17.30 Uhr zwei Schlemmerblöcke, wobei sie einen Einkaufswagen mit sich führte. Hierüber informierte diese Arbeitnehmerin die Teamleiterin Kasse, die ihrerseits diese Information am 02.12.2012 an die Personalleiterin Frau M. R. weitergab.

16

Nachdem am 09.12.2016 die Personalleiterin diesen Sachverhalt mit dem Geschäftsleiter Herrn S. besprechen konnte, wurde am Tag darauf wurden daraufhin bei der Arbeitgeberin die gesamten sogenannten Kassenjournale für den 27.11.2016 überprüft. Dabei wurde ein Kassenbeleg vom 27.11.2016 gefunden, auf dem erkennbar war, dass die Beteiligte zu 3) unter Einsatz ihrer Personalkarte mit ihrer Personalnummer um 17.35 Uhr einen weiteren Einkauf mit einem Gesamtwert von 87,69 EUR (Bl. 43 d. A.) bezahlte. Die Zeiterfassung der Beteiligten zu 3) ergab für diesen Tag, dass sie um 12.09 Uhr kam und um 17.51 Uhr ging. Eine Pause hat sie hingegen nicht verbucht.

17

Daraufhin analysierte die Arbeitgeberin für weitere Wochen die Zeiterfassung sowie weitere Kaufvorgänge der Beteiligten zu 3), wobei sie für insgesamt zwei weitere Arbeitstage Kassenbelege mit der Personalnummer der Beteiligten zu 3 fand, die während ihrer Arbeitszeit bezahlt wurden. Es handelte sich um einen Beleg mit der Personalnummer der Beteiligten zu 3) für einen Einkauf im Gesamtwert von 67,24 EUR (Bl. 46 d. A.) am verkaufsoffenen Sonntag, den 16.10.2017 um 17.52 Uhr, wobei die Zeiterfassung für diesen Tag lediglich die Eintragungen Kommen um 12.11 Uhr und Gehen um 18.06 Uhr enthielt. Ebenso ergab sich für den 06.12.2016, dass die Beteiligte zu 3) um 9.40 Uhr an der Kasse einen Kauf im Gesamtwert von 56,22 EUR(Bl. 47 d. A.) tätigte, wohingegen die Zeiterfassung Kommen um 09.04 Uhr und eine erstmalige Pause um 10.35 Uhr verzeichnete.

18

Zuletzt rief sie am 15.12.2016 in der Personalabteilung an und bat um eine Auszahlung von 25 Mehrstunden. Zu diesem Zeitpunkt wies ihr Arbeitszeitkonto ein Plus von 25,11 aus.

19

Die Arbeitgeberin wollte zunächst am 16.12.2016 mit der Beteiligten zu 3) ein Gespräch über den Stand der Ermittlungen führen und sie im Rahmen der beabsichtigten Verdachtskündigung hierzu anhören. Dabei stellte sich nach einem Hinweis von der Arbeitnehmerin C. A. heraus, dass die Betriebsratsvorsitzende zu diesem Zeitpunkt – gegen 15.30 Uhr – private Einkäufe tätigte, obwohl die Zeiterfassung für diesen Tag allein Kommen um 09.02 Uhr und eine Pauseneintragung von 14.06 Uhr bis 14.39 Uhr sowie Gehen um 16.02 Uhr enthielt.

20

Schließlich fand am 19.12.2016 ein Gespräch zur Anhörung der Beteiligten zu 3) mit dem Geschäftsleiter Herr S. und der Personalleiterin Frau R. statt. Hierbei räumte die Beteiligte zu 3) ein, dass sie am 27.11.2016 am kostenlosen Mittagessen im Aufenthaltsraum teilgenommen und private Einkäufe während der Arbeitszeit tätigte.

21

Die Arbeitgeberin beantragte mit weiterem Schreiben vom 20.12.2016 gegenüber dem Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen (Verdachts-) Kündigung der Beteiligten zu 3). Mit Schreiben vom 23.12.2016 (Bl. 34 d. A.) teilte der Betriebsrat mit, in seiner Sitzung vom gleichen Tag entschieden zu haben, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu verweigern, da seiner Ansicht nach kein Grund zur Kündigung vorliege.

22

Zudem beantragte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 20.12.2016 die Zustimmung zur außerordentlichen (Verdachts-) Kündigung der Beteiligten zu 3) beim zuständigen Integrationsamt in L., das diese mit Bescheid vom 03.01.2017 (Bl. 37 ff. d. A.) erteilte.

23

Mit am 04.01.2017 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat die Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren auf gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) eingeleitet.

24

Die Arbeitgeberin hat hierzu ausgeführt,
die Beteiligte zu 3) habe zum Nachteil der Arbeitgeberin Arbeitszeit bewusst und zielgerichtet falsch erfasst, um sich damit einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Kündigung sei sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung auszusprechen. Das Fehlverhalten wiege umso schwerer, als sie dies an verkaufsoffenen Sonntagen getan habe, als Zuschläge von 100 % gewährt wurden. Alleine für die zwei verkaufsoffenen Sonntage sei bei einer Vergütung der Beteiligten zu 3) von € 23,06 brutto/Stunde von einem Schaden von 46.12 € brutto auszugehen. Am verkaufsoffenen Sonntag den 16.10.2016 habe die Beteiligte zu 3) ihren Wocheneinkauf an das Ende ihrer Arbeitszeit gelegt. Für den 06.12.2016 gehe sie davon aus dass die Beteiligte zu 3) ihren Arbeitstag mit dem privaten Einkauf begonnen habe. Anhand der auf dem jeweiligen Kassenbon ausgewiesenen Waren habe die Beteiligte zu 3) allein für das Zusammensuchen der Einkäufe am 16.10.2016 15 Minuten, am 06.12.2016 20 Minuten, am 27.11.2016 30 Minuten und am 16.12.2016 8 Minuten benötigt. Die Beteiligte zu 3 erkläre nunmehr im laufenden Prozess für den 16.10.2016 und den 06.12.2016 wahrheitswidrig, dass ihre Schwester überwiegend eingekauft habe. Im Rahmen des Anhörungsgesprächs vom 19.12.2016 habe die Beteiligte zu 3) sodann zu Herrn S. gesagt, dass er sich vorsehen solle und er doch wohl nicht vorhabe, aus diesen Umständen arbeitsrechtliche Schritte abzuleiten. Er wisse wohl, was dann passiere. Sie gehe zu einem Anwalt und die Presse, dessen solle er sich sicher sein, die werde sie auch einschalten. Die Interessenabwägung ergäbe, dass eine Abmahnung aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung, dem planmäßigen und systematischen Vorgehen und dem nicht wiederherstellbaren Vertrauensverlust nicht erforderlich gewesen sei. Eine Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 3) bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist sei unzumutbar.

25

Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich beantragt,

26

die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu ersetzen.

27

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3) haben beantragt,

28

diesen Antrag zurückzuweisen.

29

Der Betriebsrat hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten,
dass lediglich feststehe, dass mit der Mitarbeiterkarte an der Kasse bezahlt worden sei, wohingegen die Arbeitszeitmanipulation unsubstantiiert bliebe und sich allein auf Mutmaßungen stütze. Selbst wenn die Beteiligte zu 3) während der Arbeitszeit private Dinge erledigt habe, so sei dies nicht vorwerfbar, da es seit Jahren usus gewesen sei, dass Pausen nicht gestochen wurden. Es sei zu berücksichtigen, dass die Regelung aus der Arbeits- und Betriebsordnung so tatsächlich nicht gelebt werde. Die Betriebsratsvorsitzende habe sich überhaupt keine Gedanken gemacht, dass ihr Verhalten nicht korrekt sei. Bei einem Hinweis seitens der Arbeitgeberin und einer Abmahnung wäre ein derartiges Verhalten zukünftig unterblieben.

30

Die Beteiligte zu 3) hat im Wesentlichen geltend gemacht,
dass eine betriebliche Übung bestehe Pausen nicht ordnungsgemäß oder gar nicht zu stempeln. Selbst Herr S. habe sich darüber beschwert, dass er gesehen habe, wie eine Mitarbeiterin sich Brötchen während der Arbeitszeit gekauft habe. Der Betriebsrat habe immer wieder die Einhaltung der Betriebsvereinbarung angemahnt.

31

Seitens der Geschäftsleitung sei bei Gesprächen bei beabsichtigten Kündigungen geäußert worden, dass gerade das private Einkaufen während der Arbeitszeit überhaupt nicht relevant sei. Zudem würden die Führungskräfte Pausen überhaupt nicht stechen. Auf die Missstände angesprochen, habe die Geschäftsleitung keine Maßnahmen ergriffen bzw. immer wieder mitgeteilt, dass dies nicht schlimm sei und akzeptiert werde. Es sei ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, dass beabsichtigt sei, ihr als Betriebsratsvorsitzende fristlos zu kündigen, während andere Mitarbeiter am 22.12.2016 ermahnt worden seien, ihr Stechverhalten zu ändern. Auch sei zu beachten, dass sie in ihren Pausen – gestochen oder nicht – Ansprechpartnerin für die Mitarbeiter sei. Es sei fraglich, ob dann auch noch eine Verpflichtung bestehe, Pausen zu stempeln. Am 27.11.2016 habe sie ihren Kolleginnen geholfen und mit Waren gefüllte Einkaufswagen, die an den Kassen zurückgelassen worden sein, quer durch den Markt bewegt, um die Ware wieder zurück zu sortieren. Hierbei habe sie während dessen auch parallel, die von ihr gekauft Ware in den Wagen gelegt und diese dann während der Arbeitszeit an der Kasse bezahlt. Am 06.12.2016 habe ihre Schwester einen Einkauf getätigt. Sie sei zu ihr an die Kasse gegangen und habe mit ihrer Personalkarte gezahlt, nachdem sie für sich selbst noch Alufolie in den Einkaufswagen gelegt habe. Auch am 16.10.2016 sei der Einkauf durch ihre Schwester erfolgt. Sie habe sich lediglich ein Paar Schnürstiefel in den Einkaufskorb gelegt und dann an der Kasse ihre Personalkarte durchgezogen. Bei der Anhörung am 19.12.2016 habe sie geantwortet, dass sie sich nicht anders verhalten habe als die meisten Führungskräfte auch, und viele andere Kollegen im Betrieb. Sie habe gesagt, wenn Herr S. das versuchen würde, dann würde er damit wohl in der Öffentlichkeit landen. Dies sei lediglich ein Hinweis auf eine zwangsläufige Folge der Öffentlichkeit der Verhandlung gewesen. Zudem habe sie sich in einer Ausnahmesituation befunden.

32

Ferner haben sowohl der Betriebsrat als auch die Beteiligte zu 3) die Auffassung vertreten,
dass die Arbeitgeberin die beabsichtigte Kündigung auf Daten stütze, welche sie unter Verstoß gegen die geltende Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung von SAP R3/HR erlangt habe. Die Auswertung der Arbeitgeberin, wann mit der Mitarbeiterkarte eingekauft wurde und die Verknüpfung mit der Erfassung der Arbeitszeit sei missbräuchlich, da diese Art der Datenerhebung nicht durch eine Zweckbestimmung der Betriebsvereinbarung geschützt sei und eine Einzelmaßnahme hierauf nicht gestützt werden dürfe. Zudem sei gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 MTV Einzelhandel für Rheinland-Pfalz für „Nicht-Arbeitszeiten” von unter 15 Minuten ohnehin keine Ruhepausen zu stechen, da diese Zeit nicht als Pause gelte.

33

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat den Antrag der Arbeitgeberin durch Beschluss vom 16.03.2017 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, das im unstreitigen Verhalten der Beteiligten zu 3). zwar ein an sich wichtiger Grund gegeben sei, da sie gegen die von ihr selbst mit ausgehandelte Ziffer 5.2 der Arbeits- und Betriebsordnung verstoßen habe und sie sich Arbeitszeit gutschreiben lassen habe, für die kein Vergütungsanspruch bestand. Doch führe die vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen dazu, dass die beabsichtigte Kündigung unverhältnismäßig sei, da als Reaktion auf das gezeigte Fehlverhalten, selbst wenn von privaten Einkäufen an 4 Tagen auszugehen wäre, vielmehr eine Abmahnung ausgereicht hätte.

34

Der genannte Beschluss ist der Arbeitgeberin am 05.04.2017 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 04.05.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der antragsgemäß um einen Monat verlängerten Beschwerdebegründungsfrist mit am 05.07.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

35

Zur Begründung der Beschwerde macht die Arbeitgeberin nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 26.09.2017, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 371 ff., 479 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,
das Arbeitsgericht habe entscheidungserheblichen Sachvortrag der Arbeitgeberin nicht vollständig berücksichtigt und den Sachverhalt unzutreffend im Rahmen der Interessenabwägung gewürdigt. Es bestünden keine Verwertungsverbote. So habe es weder die Arbeitszeitverstöße vom 16.10.2016 und 06.12.2016 ausreichend einbezogen noch habe es den Umstand der Drohung der Beteiligten zu 3) mit der Presse im Anhörungsgespräch richtig gewertet. Eine Abmahnung sei von vornherein entbehrlich gewesen, Missverständnisse hinsichtlich der Handhabung der Arbeitszeiterfassung habe es für die Beteiligte zu 3) nicht gegeben. Für die Arbeitgeberin sei hingegen ein Vertrauen in den korrekten Umgang der Zeiterfassung hinsichtlich jedes Arbeitnehmers unerlässlich. Hiergegen habe sie wiederholt verstoßen, keine Reue gezeigt, sondern mit der Presse gedroht und erstmals im Prozess (wahrheitswidrig) angeben, dass ihre Schwester am 16.10.2016 und am 6.12.2016 eingekauft habe. Zu Lasten der Beteiligten zu 3) sei zudem erschwerend ihr vorsätzliches Verhalten zu berücksichtigen. Von ihr als in der Arbeitszeitgestaltung involviertes Betriebsratsmitglied sei in besonderer Weise zu erwarten, dass sie sich selbst an die vereinbarten Kollektivregelungen halte. Sie habe ihre Vorbildfunktion verletzt.

36

Die Arbeitgeberin beantragt,

37

den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16.03.2017 – Az. 2 BV 1/17 – abzuändern und die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beteiligten zu 3) zu ersetzen.

38

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3) beantragen,

39

die Beschwerde zurückzuweisen.

40

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung als zutreffend und weisen insbesondere hierfür unter anderem nochmals darauf hin, dass sich die Beteiligte zu 3) aufgrund ihrer fast 40 Jahre beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit einen „Vorrat an Vertrauen“ erarbeitet habe, dass durch ihre privaten Einkäufe während der Arbeitszeit nicht restlos zerstört sei.

41

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Anhörungstermins vom 24.10.2017 Bezug genommen.

B.

I.

42

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Arbeitgeberin ist gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

43

Die Beschwerde der Arbeitgeberin hat in der Sache selbst keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) nicht ersetzt und demzufolge den Antrag zurückgewiesen. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung wegen viermaligen privaten Einkäufen während der Arbeitszeit ohne Auszustempeln ist unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 626 Abs. 1 BGB weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Denn die beabsichtigte Kündigung erweist sich jedenfalls als unverhältnismäßig.

44

1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 39 mwN; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 17 mwN).

45

Dabei hat die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen, nämlich zum einen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht (BAG 13.05.2015 – 2 ABR 38/14 – Rn. 18 m. w. N., NZA 2016, 116 ff., 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31.07.2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39).

46

Grundsätzlich kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung ist danach immer dann gerechtfertigt, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (std. Rspr. vgl. nur BAG, 25.10. 2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 13; 24.05.2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 16, jeweils m. w. N.). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 14; 24.05. 2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 17, jeweils m. w. N.).

47

Des weiteren ist zu beachten, dass sich der wichtige Grund, der dem Arbeitgeber im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, aus dem Arbeitsverhältnis ergeben muss. Deshalb ist bei der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds stets danach zu unterscheiden, ob eine Verpflichtung aus dem Amts- oder aus dem Arbeitsverhältnis verletzt wurde oder ob beide Bereiche betroffen sind. Liegt eine rein arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, kann gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung unter den gleichen Voraussetzungen ausgesprochen werden, unter denen gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB möglich ist (BAG 13.05.2015 – 2 ABR 38/14 – Rn. 18 m. w. N., NZA 2016, 116 ff.). Im Übrigen ist bei der nach § 626 Abs. 1 BGB im Wege einer Interessenabwägung vorzunehmenden Zumutbarkeitsprüfung eine fiktive Kündigungsfrist zugrunde zu legen, nämlich die, die gelten würde, wenn dem Funktionsträger ordentlich gekündigt werden könnte. Fristlos kann einem Betriebsratsmitglied daher nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG 27.09.2001 - 2 AZR 487/00 - EzA § 15 KSchG Nr. 54).

48

Vorliegend wirft die Arbeitgeberin der Beteiligten zu 3) vor, dass sie an 4 Arbeitstagen private Einkäufe erledigte und einmal auch an einem kostenlosen Mittagessen teilnahm, ohne die Zeiterfassung entsprechend zu betätigen, so dass sie über ihre tatsächliche Arbeitszeit getäuscht habe und sich auch tatsächlich nicht geleistete Arbeitszeit habe vergüten lassen oder dies zumindest versucht habe. Hilfsweise, dass zumindest ein entsprechend dringender Verdacht begründet sei. Ferner führt die Arbeitgeberin zur Begründung an, dass die Klägerin im am 19.12.2016 geführten Gespräch eine widerrechtliche Drohung ausgesprochen habe. Die Arbeitgeberin stützt damit ihre beabsichtigte außerordentliche Kündigung auf die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, so dass dies anhand der Maßstäbe des § 626 Abs. 1 BGB zu beurteilen ist.

49

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der Zustimmungsersetzungsantrag als unbegründet.

50

Dabei geht die Beschwerdekammer davon aus, dass bezüglich der durch Verknüpfung und Verarbeitung der zunächst zu anderen Zwecken rechtmäßig erhobenen Daten der Zeiterfassung und der Personalkarte gewonnenen Erkenntnisse zu privaten Einkäufen während der Arbeitszeit kein Verwertungsverbot besteht. Dies gilt insbesondere auch für den unstreitigen Sachverhalt. Sollte sich die Zulässigkeit nicht bereits aus der Rahmengesamtbetriebsvereinbarung IT Nr. 28 ergeben, so wäre es in jedem Fall wohl nach § 32 BDSG zulässig gewesen. Letztlich sind hierzu jedoch keinerlei nähere Ausführungen veranlasst, da auch bei Zugrundelegung aller so gewonnenen Erkenntnisse durch die Beschwerdekammer die beabsichtigte außerordentliche Kündigung sich als unverhältnismäßig erweist.

51

a) Zwar ist das Verhalten der Beteiligten zu 3), soweit es die Erledigung privater Einkäufe und eines Mittagessens ohne korrekte Bedienung der Zeiterfassung betrifft, grundsätzlich geeignet, an sich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Tat- oder Verdachtskündigung darzustellen.

52

(1) Es ist allgemein anerkannt, dass vorsätzliche Falschangaben des Arbeitnehmers über die von ihm erbrachte Arbeitszeit regelmäßig einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB bilden (vgl. KR-Fischermeier, 11. Aufl., § 626 BGB, Rz. 460, m. w. N.). Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 197; 21.04.2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - aaO). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51). Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 - , NZA 2011, 1027 ff.).

53

(2) Vorliegend steht aufgrund des unstreitigen Sachverhalts fest, dass die Beteiligte zu 3) ohne die Zeiterfassung zu betätigen und damit während der Arbeitszeit insgesamt in 4 Fällen private Einkäufe tätigte und einmal am kostenlosen Mittagessen im Aufenthaltsraum teilnahm. Strittig ist allein das tatsächliche zeitliche Ausmaß. Während die Arbeitgeberin davon ausgeht, dass die Beteiligte zu 3) in allen 4 Fällen den kompletten Einkauf selbst aus den Regalen zusammengesucht und anschließend bezahlt hat, behauptet die Beteiligte zu 3), dass sie am 27.10.2016 sich während des Aufräumens parallel die Einkäufe zurecht gelegt habe und an dem 16.10.2016 und dem 06.12.2016 ihre Schwester überwiegend die Waren in den Einkaufswagen gelegt habe während sie selbst lediglich ein paar Schnürstiefel aus der entsprechenden Abteilung abgeholt bzw. Alufolie selbst geholt und sodann an der Kasse bezahlt habe. Anders als die Arbeitgeberin, die anhand der auf dem jeweiligen Kassenbon ausgewiesenen Waren allein für das Zusammensuchen der Einkäufe am 16.10.2016 15 Minuten, am 06.12.2016 20 Minuten, am 27.11.2016 30 Minuten und am 16.12.2016 8 Minuten als benötigte Zeit durch Abarbeiten des jeweiligen Kassenbons für das Zusammensuchen der gekauften Waren ermittelte, macht die Beteiligte zu 3) jedoch keinerlei Angaben dazu, wie viel Zeit sie tatsächlich benötigte, womit sie durchaus gegen die sie schon auf Tatbestandsebene treffende sekundäre Darlegungslast verstoßen haben könnte, da die Arbeitgeberin außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs stand.

54

Selbst wenn der zeitliche Umfang tatsächlich geringer gewesen wäre als von der Arbeitgeberin ermittelt, so würde dies zum einen nichts daran ändern, dass tatsächlich nicht geleistete Arbeitszeit aufgrund des Nichtbedienens der Zeiterfassung durch die Beteiligte zu 3) als vergütungspflichtige Arbeitszeit ausgewiesen wurde. Ebenso wenig spielt es für die Beurteilung eine Rolle, ob die Beteiligte zu 3) den Einkauf am Stück oder wie von ihr für den 27.11.2016 behauptet nebenbei erledigte. So oder so nahm der private Einkauf in jedem Fall Arbeitszeit in Anspruch. Zumal in allen Fällen auch das Anstellen an der Kasse, der Bezahlvorgang selbst und das Verbringen der Einkäufe in das Betriebsratsbüro Zeit in Anspruch nahm, was ebenfalls nicht zur Arbeitszeit gehörte.

55

Im Übrigen ist aber auch für das Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich das zeitliche Ausmaß der Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Zeiterfassung ohne Relevanz. Denn die Beteiligte zu 3) hat in jedem Fall durch das Nichtausstempeln die Arbeitgeberin veranlasst ihr Entgelt zu zahlen, ohne dass sie im durch die Zeiterfassung angegebenen Umfang die geschuldete Arbeitsleitung erbracht hat. Damit liegt allemal eine schwerwiegende Pflichtverletzung zum Nachteil der Vermögensinteressen der Arbeitgeberin vor. Die Höhe des eingetretenen Schadens ist insoweit gleichfalls nicht von Bedeutung, da auch bereits bei einem geringen Schaden ein schwerer Vertrauensbruch gegeben ist. Denn verschafft sich ein Arbeitnehmer vorsätzlich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil, verletzt er erheblich seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen daher typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Das gilt unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens (std. Rspr. BAG 20.06.2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 13 und 15, BAGE 145, 278; 21.06.2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17, BAGE 142, 176).

56

Mit der Auszahlung des Dezembergehalts 2016 wäre es dann im Hinblick auf die Einkäufe am 06.12.2016 und am 16.12.2016 auch zur Abrechnung von nicht geleisteter Arbeitszeit gekommen. Zudem ließ sich die Beteiligte zu 3) regelmäßig auch Mehrarbeit auszahlen, insbesondere hat sie sich die geleisteten Stunden für den 16.10.2016 bereits auszahlen lassen. Zuletzt hat sie für den streitgegenständlichen Zeitraum im Personalbüro am 15.12.2016 die Auszahlung von 25 Stunden Mehrarbeit beantragt. Es liegt damit Arbeitszeitbetrug bzw. versuchter Arbeitszeitbetrug vor, der an sich geeignet ist einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden.

57

(3) Daran ändert auch nichts die Regelung des einschlägigen und anwendbaren § 5 MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz, wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat. Zwar ist in § 5 Ziffer 1. S. 2 MTV geregelt, dass nur Ruhepausen von mindestens 15 Minuten von der Arbeitszeit abgesetzt werden können. Doch soll damit nicht die Frage des Vorliegens vergütungspflichtiger Arbeitszeit geregelt werden. Vielmehr stellt diese tarifvertragliche Regelung schon nach ihrem Wortlaut, die die Begrifflichkeiten des § 4 ArbZG übernimmt, vor dem Hintergrund des § 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG allein die Mindestlänge der Ruhepausen im Sinne des ArbZG fest.

58

(4) Auch der Umstand, dass es sich bei der Beteiligten zu 3) um ein vollständiges freigestelltes Betriebsratsmitglied im Sinne des § 38 BetrVG handelt, ändert entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3) an der Beurteilung des Sachverhalts als an sich geeigneter wichtiger Grund gleichfalls nichts. Die Beteiligte zu 3) unterliegt als Arbeitnehmerin den diesbezüglichen Regelungen der Arbeits- und Betriebsordnung der Arbeitgeberin. Es gibt keinen Grund, von der beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von der betrieblichen Zeiterfassung als solcher auszunehmen. Sie haben ebenso wie Arbeitnehmer, die beruflich tätig sind, ihre Anwesenheit im Betrieb zu dokumentieren. Die Freistellung nach § 38 BetrVG ändert nichts an der aus Ziffer 5.2 der Arbeits- und Betriebsordnung folgenden Verpflichtung die Zeiterfassung ordnungsgemäß zu bedienen. Denn die Erledigung privater Einkäufe stellt, selbst wenn sie auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers erfolgt, keine Betriebsratstätigkeit dar.

59

Gesetzliche Folge des § 38 BetrVG ist vielmehr, dass an die Stelle der Arbeitspflicht die Verpflichtung tritt, sich während der Freistellung im Umfang der Arbeitszeit für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (vgl. BAG 28.08.1991 - 7 ABR 46/90 - zu B II 3 a der Gründe, BAGE 68, 224; 13.06.2007 - 7 ABR 62/06 - Rn. 14). Dementsprechend entfällt auch der Anspruch auf Leistung von Arbeitsentgelt ohne berufliche Arbeitsleistung, wenn die Freistellung nicht in diesem Sinne im Umfang der Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeit genutzt wurde (vgl. BAG 10.07.2013 – 7 ABR 22/12, NZA 2013, 1221, 1222 m.w.N.).

60

b) Hingegen hat die Beteiligte zu 3) im sodann am 19.12.2016 mit dem Geschäftsstellenleiter S. und der Personalleiterin R. geführten Gespräch kein Verhalten an den Tag gelegt, dass die Arbeitgeberin - ungeachtet der korrekten strafrechtlichen Bewertung - aus dem Gesichtspunkt einer Drohung, Nötigung oder Erpressung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen könnte.

61

Droht ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (vgl. BAG 30.03.1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden (BAG 08.05.2014 - 2 AZR 249/13 -, Rn. 20, juris; BAG, 21.06.2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 20, juris).

62

In diesem Sinne hat die Beteiligte zu 3) jedoch ihre vertragliche Rücksichtnahmepflicht im Gespräch am 19.12.2016 selbst bei Unterstellung der Richtigkeit der strittigen Schilderung der Arbeitgeberin aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht verletzt.

63

Die Arbeitgeberin trägt hierzu vor, dass die Beteiligte zu 3) im Gespräch am 19.12.2016 nach Konfrontation mit ihren Ermittlungsergebnissen eingeräumt habe, dass sie private Einkäufe während der Arbeitszeit getätigt habe, wobei sie insbesondere darauf verwiesen habe, dass die Hälfte der Belegschaft dies auch tue und sich Herr S. nicht so haben solle. So dann habe die Beteiligte zu 3) nach dem strittigen Vortrag der Arbeitgeberin ferner erklärt, dass sich Herr S. vorsehen solle und er doch wohl nicht vorhabe aus diesen Umständen arbeitsrechtliche Schritte (fristlose Kündigung) herzuleiten, da er doch wisse, was dann passiere, nämlich dass sie zu einem Anwalt gehe und die Presse einschalten werde.

64

Diese Ankündigung mag die Arbeitgeberin als empfindliches Übel empfunden haben. Aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls fehlt es dieser Ankündigung jedoch an der notwendigen Widerrechtlichkeit. Denn die Beteiligte zu 3) hatte die privaten Einkäufe während der Arbeitszeit an sich eingeräumt und ging dabei auch nach dem von der Arbeitgeberin geschilderten Gesprächsverlauf davon aus, dass es damit sein Bewenden hätte. Dies zeigt bereits deutlich, dass sie im Gespräch ihre Rechtsauffassung kundgetan hat, dass dies nicht so schlimm sei. Als sie nun merkte, dass die Gesprächsteilnehmer letzteres anders beurteilten, hat sie darüber ihr Unverständnis geäußert und aus ihrem Standpunkt heraus spontan darauf verwiesen, dass sie arbeitsrechtliche Schritte nicht akzeptieren werde, sondern zu einem Rechtsanwalt gehen und auch die Presse informieren werde. Sie hat damit auch nach dem Vortrag der Arbeitgeberin nicht in Aussicht gestellt unwahre Behauptung in der Presse zu verbreiten. Ob sie damit die Presse als Druckmittel einsetzen oder nur mit anderen Worten ausdrücken wollte, dass Folge eines mit Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe geführten Prozesses auch die Aufmerksamkeit der Presse sei, kann dahin gestellt bleiben. Zumal auch nach der Schilderung der Arbeitgeberin offen bleibt, ob die Beteiligte zu 3) die öffentliche Darstellung des Falles der Wertung der Presseorgane selbst überlassen wollte. Entscheidend gegen die Annahme einer widerrechtlichen Drohung sprechen schließlich auch nach Auffassung der Beschwerdekammer die Umstände, wie es zu den beanstandeten Äußerungen kam. Die Beteiligte zu 3) war zum Gesprächszeitpunkt bereits 38 Jahre bei der Arbeitgeberin beschäftigt, ohne dass je eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Raum stand. Sie war hinsichtlich des Inhalts des Gesprächs völlig arglos und überrascht, da ihr unstreitig zuvor nicht mitgeteilt worden war, weshalb der Geschäftsstellenleiter sie sprechen wollte. Sie hatte keine Zeit sich hierauf vorzubereiten. Vielmehr war sie von der Gesprächssituation und dem Verlauf des Gesprächs überrumpelt, wie ihre von der Arbeitgeberin dargelegten Äußerungen belegen. Mit dem Arbeitsgericht geht die Berufungskammer daher davon aus, dass sich die Beteiligte zu 3) in einer Ausnahmesituation befand. Es handelte sich um eine impulsive und spontane Reaktion auf diese Situation, bei der die Beteiligte zu 3) nicht auf ihre Wortwahl im Einzelnen bedacht war.

65

c) Schließlich geht die Beschwerdekammer mit dem Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung im Ergebnis davon aus, dass eine außerordentliche Tat- oder Verdachtskündigung bei einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unverhältnismäßig wäre.

66

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 34 m. w. N.). Als mildere Reaktion sind u.a. insbesondere der Ausspruch einer Abmahnung und eine ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen das Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers. Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls insbesondere nach einer Abmahnung wieder vertragstreu verhalten (vgl. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 38 m. w. N.).

67

Gemessen daran, wäre vorliegend der Ausspruch einer Abmahnung eine angemessene Reaktion auf das gezeigte Fehlverhalten der Beteiligten zu 3) gewesen.

68

(1) Zu Gunsten der Beteiligten zu 3) sind dabei ihre Schwerbehinderung, ihr Alter und ihre lange Betriebszugehörigkeit seit dem 01.08.1978 zu berücksichtigen. Insbesondere ihre bereits 38 Jahre bestehende Betriebszugehörigkeit fällt ausschlaggebend ins Gewicht. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis während dieser langjährigen Betriebszugehörigkeit in der Vergangenheit im Wesentlichen beanstandungsfrei verlaufen ist.

69

Demgegenüber wiegen die betrieblichen Interessen und das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers nicht so schwer, dass diesen Interessen nur durch eine außerordentliche Kündigung Rechnung getragen werden könnte.

70

Dabei verkennt die Beschwerdekammer nicht, dass die Beteiligten zu 3) mit ihren privaten Einkäufen während der Arbeitszeit ohne Auszustempeln ein schwerwiegendes Fehlverhalten gezeigt hat. Sie hat auch insoweit vorsätzlich gehandelt, als ihr durchaus bewusst war, dass sie damit gegen die im Übrigen unstreitig allen Arbeitnehmern bekanntgegebene Arbeits- und Betriebsordnung verstoßen hat, in der unter Ziffer 5.2 ausdrücklich geregelt ist, dass private Einkäufe außerhalb der Arbeitszeit erfolgen. Für ihr diesbezüglich vorsätzliches Verhalten spricht auch, dass sie selbst vorträgt, Herr S. habe sich beschwert, als er eine Mitarbeiterin gesehen habe, die sich Brötchen während der Arbeitszeit für die Pause gekauft habe. Schließlich wertet die Beschwerdekammer zu Lasten der Beteiligten zu 3) auch, dass es sich nicht lediglich um einen einmaligen Vorfall handelte, sondern die Arbeitgeberin im Nachgang insgesamt 3 weitere Fälle ermittelte und die Beteiligte zu 3) ferner einräumen musste, auch das kostenlose Mittagessen am verkaufsoffenen Sonntag (27.11.2017) ohne Pause zu stempeln, eingenommen zu haben. Die Beteiligte zu 3) hat damit mehrfach gegen die Arbeits- und Betriebsordnung verstoßen, wobei die zeitliche Lage der Einkäufe gegen Ende bzw. eher zu Beginn der Arbeitszeit dafür sprechen, dass sie zumindest eine tatsächlich verspätete Arbeitsaufnahme oder ein verfrühtes Arbeitsende zu verschleiern versuchte. Schließlich wirkt sich zu ihren Lasten auch aus, dass sich ihre Lohnabrechnung nach den Daten der Zeiterfassung richtet, so dass ihr Stempelverhalten sehr wohl die tatsächliche Bezahlung beeinflusst. Dies wiegt bei den privaten Einkäufen an den verkaufsoffenen Sonntagen umso schwerer, als nach der Ziffer 2a) der Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit an verkaufsoffenen Sonntagen für das Jahr 2016 der Arbeitseinsatz allein auf freiwilliger Basis erfolgte und zudem nach Ziffer 3 dieser Betriebsvereinbarung Arbeitnehmern für an den verkaufsoffenen Sonntagen geleisteten Arbeitsstunden wahlweise einen Zuschlag in Höhe von 100 % oder entsprechender Freizeitausgleich geleistet wird.

71

Hingegen kann der Umstand, dass die Beteiligte zu 3) erst im gerichtlichen Verfahren anführte, dass ihre Schwester am 16.10.2016 und am 06.12.2016 überwiegend die Einkäufe zusammengesucht habe, selbst wenn die Beschwerdekammer unterstellen würde, dass dies eine wahrheitswidrige Behauptung sei, nicht im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten der Beteiligten zu 3) gewertet werden. Zwar kann der Arbeitgeber im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens auch noch neue Gründe vorbringen. Anders als beim Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG können nicht nur solche Tatsachen nachgeschoben werden, die bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahren bereits vorgelegen haben, sondern auch solche, die erst während des laufenden Verfahrens eingetreten sind. Auch können bei Einleitung des Verfahrens vorliegenden Tatsachen ohne Rücksicht darauf nachgeschoben werden, ob sie dem Arbeitgeber bekannt waren oder nicht. Der Arbeitgeber muss aber, weil das gerichtliche Verfahren nur im Fall der Zustimmungsverweigerung einzuleiten und damit dem betrieblichen Zustimmungsverfahren nachgelagert ist, vor der Einführung dieser Umstände im Zustimmungsersetzungsverfahren dem Betriebsrat Gelegenheit gegeben haben, seine Stellungnahme im Licht der neuen Tatsachen zu überprüfen (LAG Rheinland-Pfalz 03.02.2016 – 7 TaBV 20/15 – Rn. 72, juris). Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen. Der Umstand, dass vorliegend der stellvertretende Vorsitzende durch Teilnahme am Beschlussverfahren davon erfährt, vermag hingegen die Behandlung neuer Gründe durch den Betriebsrat selbst nicht zu ersetzten (so auch LAG Rheinland-Pfalz 03.02.2016 – 7 TaBV 20/15 – Rn. 72, juris).

72

Ferner fällt selbst bei Unterstellung der Richtigkeit des Vortrags der Arbeitgeberin hinsichtlich der Äußerung der Beteiligten zu 3) im Gespräch am 19.12.2016 zur Einschaltung der Presse nicht derart zu Lasten der Beteiligten zu 3) ins Gewicht, als dass dies eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar machen würde. Denn das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit eine emotionale Ausnahmesituation vorlag, die dieses Verhalten in ein milderes Licht rückt.

73

(2) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (std. Rspr. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109; 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, NZA 2010, 1227, 1231). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (std. Rspr. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 28).

74

Ein Ausnahmefall, der vorliegend danach eine Abmahnung entbehrlich erscheinen lassen würde, ist nicht gegeben.

75

Die Beteiligte zu 3) ist bisher noch nicht einschlägig abgemahnt worden. Ihre Reaktion im Gespräch am 19.12.2016 und ihr Verteidigungsvorbringen im vorliegenden Gerichtsverfahren sprechen gleichfalls nicht dafür, dass sie ihr Verhalten nach einer Abmahnung nicht ändern würde. Insbesondere lassen sie die Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht in einem anderen Licht erscheinen. So hat die Beteiligte zu 3) den Vorwurf der privaten Einkäufe während der Arbeitszeit an sich eingeräumt. Die Art und Weise der Einlassung der Beteiligten zu 3) im Gespräch und im anschließenden Prozess und die dabei gezeigte fehlende Bereitschaft, das Unrechtmäßige einzusehen und einzuräumen, bewegen sich noch im Rahmen der beabsichtigten Rechtsverteidigung. Sie dienen dazu, sie in einem günstigeren Licht dastehen zu lassen und lassen nicht den Rückschluss darauf zu, dass sie sich bei Gelegenheit trotz Abmahnung wieder in gleicher Weise verhalten werde.

76

Auch der Umstand, dass sie bis zuletzt keine Reue zeigte, sondern ihr Fehlverhalten sowohl in diesem Gespräch als auch im vorliegenden Prozess zu bagatellisieren versucht, vermag hieran nichts zu ändern. Zwar sprechen das anscheinend fehlende schlechte Gewissen sowie die versuchte Verharmlosung dafür, dass der Beteiligten zu 3) insoweit bis zuletzt das Unrechtsbewusstsein fehlte. Doch kann hieraus nach Auffassung der Beschwerdekammer noch nicht geschlossen werden, dass sie Pausen und private Dinge während der Arbeitszeit auch dann weiterhin erledigt hätte, wenn ihr für den Wiederholungsfall eine Kündigung angedroht worden wäre. Insofern ist zu beachten, dass es sich bei dem Fehlverhalten der Beteiligten zu 3) um steuerbares Verhalten handelt, was unabhängig von einem vorherigen Unrechtsbewusstsein grundsätzlich jederzeit änderbar ist. Deshalb ist im vorliegenden Fall ebenso wie bei jedem steuerbaren Verhalten grundsätzlich anzunehmen, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Objektivierung der negativen Prognose setzt die außerordentliche ebenso wie die ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung deshalb selbst dann regelmäßig eine Abmahnung voraus, wenn es sich um Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen den Arbeitgeber handelt (BAG 23.06 2009 - 2 AZR 283/08 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5; BAG 10.062010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 ff.). Ein Reueverhalten ist hierfür nicht erforderlich. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, ob der Beteiligten zu 3), wovon die Beschwerdekammer fest ausgeht, ihre Pflichtverletzung bewusst war, sondern um die Frage, ob eine Verhaltensänderung unter dem Druck einer drohenden Kündigung zu erwarten war. Hierfür spricht die Reaktion der Beteiligten zu 3) eher, als dass aus ihr abgeleitet werden kann, dass sie durch eine Abmahnung nicht zu beeindrucken gewesen wäre.

77

Schließlich handelt es sich auch nicht um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Auch insoweit schließt sich die Beschwerdekammer der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an, wonach eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört wird (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C4555/07 - [Kücüdeveci], Slg. 2010, I4 365; ebenso BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - NZA 2011, 1412). Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - § 626 BGB 2002 Nr. 32).

78

So liegt der Fall hier. Die Beteiligte zu 3) weist eine über 37 Jahre bestehende und bis zu den streitgegenständlichen Vorfällen auch störungsfreie Betriebszugehörigkeit auf. Sicherlich hat die Beteiligte zu 3) mit den streitgegenständlichen Vorfällen die so entstandene Vertrauensgrundlage beeinträchtigt. Hingegen schließt sich die Beschwerdekammer der Beurteilung des Arbeitsgerichts an, dass die Vorfälle bei objektiver Betrachtung jedoch vorliegend nicht geeignet sind, das für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen der Arbeitgeberin in die Beteiligte zu 3) unwiederbringlich zu zerstören.

79

Der Verweis der Arbeitgeberin darauf, dass von der Beteiligten zu 3) als Betriebsratsvorsitzende in besonderer Weise erwartet werden kann, dass sie sich selbst an die vereinbarten Kollektivregelungen hält und Vorbildfunktion habe, vermag hieran nichts zu ändern. Denn es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Ein Betriebsratsmitglied steht vielmehr hinsichtlich der Frage, ob sein Verhalten einen Grund zur fristlosen Entlassung bildet, was die Frage der Pflichtverletzung aus dem Vertrage und die Schwere dieser Verletzung betrifft, jedem anderen Arbeitnehmer gleich. Auch im Rahmen der Interessenabwägung ist daher zu beachten, dass die Betriebsratseigenschaft nicht das Gewicht einer Pflichtverletzung zu erhöhen vermag (std. Rspr vgl. BAG 22.02.1979 – 2 AZR 115/78 zu 2 b der Gründe, DB 1979, 1659).

80

Schließlich sieht die Beschwerdekammer in der E-Mail des Geschäftsleiters vom 13.10.2016 an die Bereichsleiter auch einen Beleg dafür, dass letztlich der Grund für die beabsichtigte fristlose Kündigung statt dem Ausspruch einer eindringlichen Abmahnung auf dem nach dem soeben dargelegten unzulässigen Umstand beruht, dass es sich vorliegend gerade um die Betriebsratsvorsitzende und nicht um einen „normalen“ Arbeitnehmer handelte, der diese Pflichtverletzungen begangen hat. So hat der Geschäftsstellenleiter in dieser E-Mail den Bereichsleitern trotz der allen Arbeitnehmern bereits bekanntgegebenen klaren diesbezüglichen Regelung der Ziffer 5.2 der Arbeits- und Betriebsordnung aufgegeben, alle Mitarbeiter darüber zu informieren, dass private Einkäufe und auch die Einkäufe für die Pause nicht während der Arbeitszeit (auf den Weg zur Kasse) gemacht werden. Dies wertet die Beschwerdekammer als Beleg dafür, dass es durchaus zu Verstößen gegen die Arbeits- und Betriebsordnung hinsichtlich privater Einkäufe während der Arbeitszeit gekommen ist, da es sonst dieser E-Mail nicht bedurft hätte. Zudem zeigt diese E-Mail auch, dass es sich zwar um von der Arbeitgeberin nicht geduldetes Fehlverhalten handelte, sie aber dennoch diese Verstöße nicht als derart gravierend erachtet, dass es umgehend mit Kündigungen sanktioniert werden sollte. Zumal die E-Mail selbst keine Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen bei Verstößen vorsieht. Die von der Arbeitgeberin mit dieser E-Mail bezweckte Verhaltensänderung der Mitarbeiter für die Zukunft kann jedoch auch bei der Beteiligten zu 3) mittels einer Abmahnung herbeigeführt werden, der der Inhalt dieser E-Mail zudem nicht bekanntgegeben worden war.

81

d) Nach alledem stellt sich deshalb der Ausspruch der beabsichtigten fristlosen Kündigung als unverhältnismäßig dar.

III.

82

Die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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bei uns veröffentlicht am 29.06.2017

Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Dezember 2015 - 3 Sa 60/15 - aufgehoben.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 03. Feb. 2016 - 7 TaBV 20/15

bei uns veröffentlicht am 03.02.2016

Diese Entscheidung wird zitiert Tenor 1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. April 2015 - Az.: 10 BV 56/14 - wird zurückgewiesen. 2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Gründ

Bundesarbeitsgericht Beschluss, 13. Mai 2015 - 2 ABR 38/14

bei uns veröffentlicht am 13.05.2015

Tenor 1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 2014 - 2 TaBV 18/13 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 18. Dez. 2014 - 2 AZR 265/14

bei uns veröffentlicht am 18.12.2014

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Nov. 2014 - 2 AZR 651/13

bei uns veröffentlicht am 20.11.2014

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13

bei uns veröffentlicht am 31.07.2014

Tenor 1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. März 2013 - 13 Sa 6/13 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 08. Mai 2014 - 2 AZR 249/13

bei uns veröffentlicht am 08.05.2014

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Beschluss, 10. Juli 2013 - 7 ABR 22/12

bei uns veröffentlicht am 10.07.2013

Tenor Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 2. Februar 2012 - 3 TaBV 56/11 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12

bei uns veröffentlicht am 20.06.2013

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. April 2012 - 18 Sa 1474/11 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 25. Okt. 2012 - 2 AZR 700/11

bei uns veröffentlicht am 25.10.2012

Tenor Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2011 - 11 Sa 758/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 27. Sept. 2012 - 2 AZR 955/11

bei uns veröffentlicht am 27.09.2012

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. November 2011 - 12 Sa 956/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11

bei uns veröffentlicht am 21.06.2012

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. November 2010 - 6 Sa 817/10 - aufgehoben, soweit es ihre Berufung zurückgewiesen hat.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11

bei uns veröffentlicht am 21.06.2012

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 12. April 2011 - 1 Sa 36/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11

bei uns veröffentlicht am 24.05.2012

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 2010 - 8 Sa 249/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 07. Juli 2011 - 2 AZR 355/10

bei uns veröffentlicht am 07.07.2011

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 09. Juni 2011 - 2 AZR 381/10

bei uns veröffentlicht am 09.06.2011

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Januar 2010 - 9 Sa 1913/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09

bei uns veröffentlicht am 10.06.2010

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

Referenzen

(1) Von ihrer beruflichen Tätigkeit sind mindestens freizustellen in Betrieben mit in der Regel

200 bis 500Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied,
501 bis 900Arbeitnehmern 2 Betriebsratsmitglieder,
901 bis 1.500Arbeitnehmern 3 Betriebsratsmitglieder,
1.501 bis 2.000Arbeitnehmern 4 Betriebsratsmitglieder,
2.001 bis 3.000Arbeitnehmern 5 Betriebsratsmitglieder,
3.001 bis 4.000Arbeitnehmern 6 Betriebsratsmitglieder,
4.001 bis 5.000Arbeitnehmern 7 Betriebsratsmitglieder,
5.001 bis 6.000Arbeitnehmern 8 Betriebsratsmitglieder,
6.001 bis 7.000Arbeitnehmern 9 Betriebsratsmitglieder,
7.001 bis 8.000Arbeitnehmern 10 Betriebsratsmitglieder,
8.001 bis 9.000Arbeitnehmern 11 Betriebsratsmitglieder,
9.001 bis 10.000Arbeitnehmern 12 Betriebsratsmitglieder.

In Betrieben mit über 10.000 Arbeitnehmern ist für je angefangene weitere 2.000 Arbeitnehmer ein weiteres Betriebsratsmitglied freizustellen. Freistellungen können auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Diese dürfen zusammengenommen nicht den Umfang der Freistellungen nach den Sätzen 1 und 2 überschreiten. Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung können anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden.

(2) Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, so wird dieses mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Der Betriebsrat hat die Namen der Freizustellenden dem Arbeitgeber bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber eine Freistellung für sachlich nicht vertretbar, so kann er innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Bestätigt die Einigungsstelle die Bedenken des Arbeitgebers, so hat sie bei der Bestimmung eines anderen freizustellenden Betriebsratsmitglieds auch den Minderheitenschutz im Sinne des Satzes 1 zu beachten. Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht an, so gilt sein Einverständnis mit den Freistellungen nach Ablauf der zweiwöchigen Frist als erteilt. Für die Abberufung gilt § 27 Abs. 1 Satz 5 entsprechend.

(3) Der Zeitraum für die Weiterzahlung des nach § 37 Abs. 4 zu bemessenden Arbeitsentgelts und für die Beschäftigung nach § 37 Abs. 5 erhöht sich für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, auf zwei Jahre nach Ablauf der Amtszeit.

(4) Freigestellte Betriebsratsmitglieder dürfen von inner- und außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung nicht ausgeschlossen werden. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds ist diesem im Rahmen der Möglichkeiten des Betriebs Gelegenheit zu geben, eine wegen der Freistellung unterbliebene betriebsübliche berufliche Entwicklung nachzuholen. Für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, erhöht sich der Zeitraum nach Satz 2 auf zwei Jahre.

(1) Gegen die das Verfahren beendenden Beschlüsse der Arbeitsgerichte findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt.

(2) Für das Beschwerdeverfahren gelten die für das Berufungsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 88 bis 91 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 und Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) In erster Instanz zu Recht zurückgewiesenes Vorbringen bleibt ausgeschlossen. Neues Vorbringen, das im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 83 Abs. 1a gesetzten Frist nicht vorgebracht wurde, kann zurückgewiesen werden, wenn seine Zulassung nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Beschlussverfahrens verzögern würde und der Beteiligte die Verzögerung nicht genügend entschuldigt. Soweit neues Vorbringen nach Satz 2 zulässig ist, muss es der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung, der Beschwerdegegner in der Beschwerdebeantwortung vortragen. Wird es später vorgebracht, kann es zurückgewiesen werden, wenn die Möglichkeit es vorzutragen vor der Beschwerdebegründung oder der Beschwerdebeantwortung entstanden ist und das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und auf dem Verschulden des Beteiligten beruht.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung; § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(2) Die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit der in Satz 1 genannten Personen ist ihre Kündigung innerhalb eines Jahres, vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 des Betriebsverfassungsgesetzes beantragt, ist vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; der Kündigungsschutz gilt für die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird ein Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz nach Satz 1 vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.

(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.

(4) Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig, es sei denn, daß ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

(5) Wird eine der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so findet auf ihre Kündigung die Vorschrift des Absatzes 4 über die Kündigung bei Stillegung des Betriebs sinngemäß Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. November 2011 - 12 Sa 956/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1957 geborene, verheiratete und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 1. April 1987 bei der Beklagten als Hilfskraft im Tiefdruck beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 3.200,00 Euro. Er war das erste Ersatzmitglied der „Alternativen Liste H“, deren ordentliches Mitglied in dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat Herr H war.

3

Die Beklagte betreibt in M eine Druckerei. Beim Druckvorgang werden leicht entzündliche Lösungsmittel verwendet, die sich beim Trocknungsprozess mit Luft mischen. Ferner stellen der Papierstaub sowie die Papierprodukte Brandlasten dar. In der Vergangenheit kam es mehrfach zu Bränden mit ungeklärter Ursache. Im Betrieb der Beklagten bestand seit langem ein Rauchverbot, auf das durch entsprechende Aushänge hingewiesen wird. Zuletzt wurde es in der „Betriebsvereinbarung 1/2009 Rauchverbot und Raucherzonen“ näher geregelt, welche eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1998 ersetzte. Das Rauchen war danach auf dem gesamten Betriebsgelände untersagt, sofern es nicht in bestimmten markierten Bereichen - den „Raucherzonen“ - ausdrücklich erlaubt war.

4

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Werk der Beklagten betrug 35 Stunden, verteilt auf fünf Tage in der Regel von Montag bis Freitag. Im Bereich Tiefdruck waren pro Mitarbeiter und Jahr zusätzliche neun Samstagsschichten zulässig.

5

Die Beklagte erteilte dem Kläger mehrere Abmahnungen wegen Verstoßes gegen das betriebliche Rauchverbot. In den Abmahnungen vom 11. September 1996 und 7. Januar 2003 hieß es:

        

„Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, daß Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.“

6

Die Abmahnungen vom 17. August 2007 und 22. September 2009 enthielten den Hinweis:

        

„Dieses Verhalten stellt eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.“

7

Am 5. April 2011 wurde der Kläger gegen 17:30 Uhr erneut rauchend außerhalb der Raucherzone in der Halle mit der Rotationsmaschine 9 angetroffen. Am Dienstag, dem 12. April 2011 wurde er zur Betriebsratssitzung für Donnerstag, den 14. April 2011 geladen, weil Herr H an diesem Tag abwesend war.

8

Mit Schreiben vom 12. April 2011 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Der Betriebsrat behandelte die Angelegenheit im Rahmen der wöchentlichen Betriebsratssitzung am 14. April 2011 ohne den Kläger. Am Vormittag des 15. April 2011 teilte die Betriebsratsvorsitzende der Geschäftsführung mit, der Betriebsrat habe beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben. Auf eine weitere Äußerung brauche die Beklagte nicht zu warten.

9

Mit Schreiben vom 15. April 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich und fristlos. Das Schreiben wurde durch einen Boten am selben Tag um 15:10 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingelegt.

10

Der Kläger arbeitete an diesem 15. April 2011 bis 14:00 Uhr in der Frühschicht, Herr H in der Spätschicht von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Für den folgenden Tag, einen Samstag, war der Kläger ebenfalls zur Arbeit eingeteilt, Herr H nicht. Ab Montag, dem 18. April 2011, hatte Herr H für mehrere Wochen Urlaub.

11

Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage geltend gemacht, die Kündigung sei mangels Zustimmung des Betriebsrats unwirksam. Er sei wegen des Urlaubs von Herrn H fortlaufend dafür vorgesehen gewesen, an Betriebsratssitzungen teilzunehmen und das Amt aktiv wahrzunehmen. Ihm habe deshalb der volle Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 BetrVG zugestanden. Maßgebend seien die Verhältnisse am 12. April 2011, dem Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrats. Selbst wenn es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankomme, ergebe sich nichts anderes. Der Zugang sei nicht am Freitag, dem 15. April 2011 erfolgt. Seinen Hausbriefkasten leere er im Falle seines Einsatzes in der Frühschicht regelmäßig unmittelbar bei Rückkehr von der Arbeit, und im Falle seiner Einteilung in der Spätschicht vor Schichtbeginn. Zu dieser Zeit seien die Tagespost und auch die Post der privaten Zusteller regelmäßig schon eingegangen. So habe er erstmals am Samstagmorgen im Betrieb von der Kündigung erfahren. An diesem Tag habe ihm der Schutz des § 103 BetrVG zugestanden. Es habe sich um einen mit regelmäßiger Arbeitszeit belegten Tag gehandelt. Herr Heisters, der nicht zur Arbeit eingeteilt gewesen sei, habe seinen ab dem 18. April 2011 bewilligten Urlaub tatsächlich bereits am 16. April 2011 angetreten und sei von da an verhindert gewesen, Betriebsratstätigkeiten zu verrichten.

12

Es fehle zudem an einem wichtigen Grund zur Kündigung. Er habe nicht in einem Gefahrenbereich geraucht und damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten jedenfalls nicht erheblich verletzt. Auch bei dem der letzten Abmahnung vom 22. September 2009 zugrunde liegenden Verstoß gegen das Rauchverbot habe es sich allenfalls um eine geringfügige Pflichtverletzung gehandelt. Er habe sich in der Raucherecke in Halle 7 befunden. Dort sei er vom Maschinenführer angesprochen worden mit der Bitte, sich kurz den Arbeitsablauf anzusehen. Daraufhin habe er sich höchstens zwei Meter aus der Raucherecke zur Maschine hin bewegt und dabei die Zigarette nicht aus der Hand gelegt, sondern zur Seite gehalten, als der Produktionsleiter dies bemerkt habe. Aufgrund des Inhalts der beiden letzten Abmahnungen habe er nicht ohne Weiteres mit einer Kündigung rechnen müssen. Außerdem hätten die Abmahnungen angesichts ihrer Häufung ihre Warnfunktion verloren. Ohne eindringliche letzte Warnung sei die Kündigung unverhältnismäßig. Jedenfalls die Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausfallen. Im Übrigen hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.

13

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15. April 2011 beendet wurde.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, es habe keiner Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung bedurft. Entscheidend hierfür sei der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dieser sei - auch unter Berücksichtigung einer gewandelten Verkehrsüblichkeit bei den Postzustellzeiten - bereits am 15. April 2011 erfolgt. Selbst wenn die Kündigung erst am 16. April 2011 zugegangen sei, stehe dem Kläger nicht der volle Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu, weil Herr H an diesem Tag noch keinen Urlaub gehabt habe und der Kläger deshalb noch nicht - wieder - in den Betriebsrat nachgerückt gewesen sei. Die Voraussetzungen des § 626 BGB lägen vor. Insoweit hat die Beklagte behauptet, außerhalb der Raucherbereiche sei keine ordnungsgemäße Entsorgung der Zigaretten gewährleistet. Am 5. April 2011 sei der Kläger etwa 15 bis 20 Meter entfernt von der Raucherecke rauchend angetroffen worden. Er habe dabei das bedruckte Papier gestapelt. Die Kündigungsandrohung sei nicht wegen zu vieler Abmahnungen entwertet gewesen. Die außerordentliche Kündigung habe auch nicht konkret angekündigt werden müssen.

15

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. April 2011 zu Recht als wirksam angesehen.

17

I. Die Kündigung ist nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nur der nachwirkende Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu. Dieser verlangt nicht die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung.

18

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.Dieser besondere Kündigungsschutz gilt auch für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches Betriebsratsmitglied vertreten ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3 ).

19

2. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach, sofern ein ordentliches Mitglied aus diesem ausscheidet. Das gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechend für die Dauer der Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten ordentlichen Mitglieds. Eine zeitweilige Verhinderung in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Betriebsratsmitglied aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 23. August 1984 - 2 AZR 391/83  - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 46, 258 ). Diese Voraussetzung ist während des Erholungsurlaubs eines Betriebsratsmitglieds jedenfalls dann erfüllt, wenn es nicht zuvor seine Bereitschaft angezeigt hat, trotz des Urlaubs für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - aaO). Dem Betriebsratsmitglied wird zwar aufgrund des Erholungsurlaubs die Verrichtung seiner Amtspflichten nicht ohne Weiteres objektiv unmöglich, grundsätzlich aber unzumutbar. Das beurlaubte Betriebsratsmitglied gilt zumindest so lange als zeitweilig verhindert, bis es seine Bereitschaft, gleichwohl Betriebsratstätigkeiten zu verrichten, positiv anzeigt (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 29, aaO ).

20

3. Für die Frage, ob Sonderkündigungsschutz nach § 103 Abs. 1 BetrVG besteht, ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB abzustellen( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; Raab GK-BetrVG 9. Aufl. Bd. II § 103 Rn. 19; Richardi/Thüsing BetrVG 13. Aufl. § 103 Rn. 16; Schwarze/Eylert/Schrader/Eylert KSchG § 15 Rn. 34; Fischermeier ZTR 1998, 433).

21

a) Bei der Kündigung handelt es sich um ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft (BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 794/09 - Rn. 40, BAGE 136, 131; 20. August 1997 - 2 AZR 518/96 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11 = EzA BGB § 174 Nr. 12). Dieses bleibt unvollständig und entfaltet keine Wirksamkeit, solange die Kündigungserklärung nicht gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen ist(BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 794/09 - aaO ).

22

b) Die Anknüpfung an den Zugangszeitpunkt entspricht Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses.

23

aa) Das Zustimmungserfordernis nach § 103 Abs. 1 BetrVG dient primär dem Schutz der Arbeit und Funktionsfähigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Organe, welche vor Eingriffen des Arbeitgebers bewahrt werden sollen( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 17. März 2005 - 2 AZR 275/04 - zu B II 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1 ). Es soll verhindern, dass das demokratisch gewählte Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt wird.

24

bb) Einen Eingriff in die Zusammensetzung des Betriebsrats stellt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines ordentlichen oder nachgerückten Mitglieds erst mit ihrem Zugang dar. Davor entfaltet sie keine Rechtswirkungen. Soweit das Landesarbeitsgericht (ebenso Fitting 26. Aufl. § 103 Rn. 9; KR-Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 62) demgegenüber auf den Zeitpunkt abstellen will, zu dem die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt, überzeugt dies nicht. Der Schutz des Gremiums erfordert das Eingreifen des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG in Fällen, in denen das Ersatzmitglied im Zugangszeitpunkt ein verhindertes ordentliches Mitglied vertritt, unabhängig davon, ob der Vertretungsfall schon zu dem Zeitpunkt vorlag, zu dem die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat. Darin liegt auch keine unzumutbare Benachteiligung des Arbeitgebers, der ein Nachrücken im Zwischenzeitraum bis zum Zugang der Kündigung uU nicht vorhersehen kann. Als der die Kündigung Erklärende trägt der Arbeitgeber das Risiko einer Veränderung der maßgeblichen Umstände zwischen Abgabe und Zugang der Kündigungserklärung. Er hat es dabei in der Hand, den Zugang zeitnah sicherzustellen und dadurch das Risiko zu begrenzen. Der Gefahr eines Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Ersatzmitglieds kann mit Hilfe von § 242 BGB sachgerecht begegnet werden. Danach kann die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz im Einzelfall ausgeschlossen sein. Davon wäre in der Regel auszugehen, wenn ein Verhinderungsfall kollusiv zu dem Zweck herbeigeführt würde, dem Ersatzmitglied den besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen (vgl. BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 39, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 12. Februar 2004 - 2 AZR 163/03 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 56).

25

cc) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG abgeschlossen sein muss, bevor die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt. Die Anhörung soll eine Beeinflussung der Willensbildung des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung ermöglichen (BAG 27. November 2003 - 2 AZR 654/02 - zu B I der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 136 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 6; 8. April 2003 - 2 AZR 515/02 - zu II 1 a und c aa der Gründe, BAGE 106, 14; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434). Diese Möglichkeit muss während des gesamten Laufs der Äußerungsfrist bestehen. Eine Willensbeeinflussung ist ab dem Zeitpunkt ausgeschlossen, zu dem die schriftliche Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt.

26

dd) Für das Eingreifen des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf den Zeitpunkt des Beginns der Anhörung des Betriebsrats abzustellen. Die Erwägung, das Ersatzmitglied sei anderenfalls unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden außerordentlichen Kündigung in der Ausübung seines Amtes eingeschränkt, vermag dies nicht zu rechtfertigen. Seine Unabhängigkeit bei der Amtsführung ist durch § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG und den nachwirkenden Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gesichert. Die letztgenannte Regelung gewährleistet eine „Abkühlungsphase“ in der Beziehung zwischen dem ehemaligen Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber, indem sie für gewisse Zeit die ordentliche Kündigung - vorbehaltlich der Regelungen in § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG - ausschließt. Dieser Schutz steht auch Ersatzmitgliedern zu, soweit sie während der Vertretungszeit Betriebsratsaufgaben wahrgenommen haben (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 41, NZA 2012, 1449; 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3).

27

4. Danach bedurfte es im Streitfall keiner Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Unabhängig davon, ob die Kündigung dem Kläger gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB noch am 15. oder erst am 16. April 2011 zugegangen ist, bestand mangels Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds für den Kläger kein Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG.

28

a) Das Zustimmungserfordernis ergibt sich nicht schon aus der Betriebsratstätigkeit des Klägers am 14. April 2011. Der Verhinderungsfall, der dieser Tätigkeit zugrunde lag, nämlich die Ortsabwesenheit des ordentlichen Betriebsratsmitglieds Herrn H, endete mit diesem Tag. Am 15. April 2011 arbeitete Herr H wieder. Der Kläger konnte sich aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit am 14. April 2011 demzufolge nur auf den nachwirkenden Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen, ohne dass es auch der Zustimmung des Betriebsrats bedurft hätte(vgl. BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 22 f. mwN, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5).

29

b) Der Kläger war am 16. April 2011 noch nicht erneut in den Betriebsrat nachgerückt.

30

aa) Das Landesarbeitsgericht hat keine Umstände festgestellt, aufgrund derer am 16. April 2011 eine Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds Herrn H vorgelegen hätte. Herr H hatte Erholungsurlaub erst ab dem 18. April 2011. Dass er aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bereits am 16. April 2011 verhindert gewesen wäre, Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Sein Vorbringen erschöpft sich in der nicht näher substantiierten Behauptung, Herr H habe seinen Urlaub tatsächlich bereits am 16. April 2011 angetreten. Ab wann genau und in welcher Weise dies geschehen sei mit der Folge, dass Herr H an der Ausübung von Betriebsratstätigkeit gehindert gewesen sei, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er hat - auch nachdem ihm das Landesarbeitsgericht Gelegenheit zur Substantiierung gegeben hatte - lediglich behauptet, Herr H habe sich „schon in Urlaub“ befunden und als Betriebsratsmitglied nicht mehr zur Verfügung gestanden. Dies genügt den an die Darlegung einer zeitweiligen Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu stellenden Anforderungen nicht.

31

bb) Herr H war am 16. April 2011 nicht deshalb iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zeitweilig verhindert, weil er arbeitsfrei hatte. Anders als im Falle bewilligten Erholungsurlaubs ist einem Betriebsratsmitglied die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben außerhalb der persönlichen Arbeitszeit nicht grundsätzlich unzumutbar (vgl. für den Fall der einseitigen Freistellung von der Arbeit BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 46, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3). Es muss vielmehr ein tatsächlicher Verhinderungsgrund vorliegen und vom Ersatzmitglied, das sich auf ein Nachrücken und das Eingreifen von Sonderkündigungsschutz gem. § 103 BetrVG beruft, dargelegt werden. Daran fehlt es im Streitfall.

32

c) Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Kläger lediglich im Hinblick auf den - wie ihr bekannt - ab 18. April 2011 erneut eintretenden Vertretungsfall gekündigt hätte, gibt es nicht. Die Beklagte hat sich auf den Verstoß des Klägers gegen das betriebliche Rauchverbot am 5. April 2011 berufen. Da die Kündigung dem Kläger in der Zeit zwischen zwei Vertretungsfällen zuging, war eine Zustimmung des Betriebsrats von Rechts wegen nicht erforderlich.

33

II. Die außerordentliche Kündigung vom 15. April 2011 erfolgte aus wichtigem Grund iSv. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB. Dies hat das Landesarbeitsgericht fehlerfrei erkannt.

34

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann(zum Prüfungsmaßstab vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08  - Rn. 15 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

35

2. Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Verhalten des Klägers rechtfertige „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Der Kläger hat gegen das Rauchverbot im Betrieb der Beklagten verstoßen und damit seine Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis erheblich verletzt. Umstände, aus denen sich die Unwirksamkeit des Verbots ergeben könnte, sind nicht dargetan. Sie sind auch objektiv nicht erkennbar (zur Eignung eines Verstoßes gegen ein wirksames Rauchverbot als wichtiger Grund vgl. ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 127; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 Rn. 440). Es handelt sich um ein Rauchverbot aus Sicherheitsgründen. Die Beklagte hat eine aufgrund der Brandgefahr in ihrem Betrieb bestehende besondere Gefahrensituation zum Anlass genommen, unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats das Rauchverbot zu erlassen. Die dazu bestehenden Regelungen galten absolut. Danach war das Rauchen ausschließlich in den markierten Raucherzonen gestattet.

36

3. Die Kündigung ist auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

37

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 42; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

38

b) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - aaO; 16. Dezember 2004 -  2 ABR 7/04  - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - aaO).

39

c) Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 44; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08  - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

40

d) Danach lässt die Einzelfallprüfung und Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, bei der ihm ein Beurteilungsspielraum zukommt (dazu BAG 1 9. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 45; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36), keinen Rechtsfehler erkennen.

41

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auch unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, seines Alters und seiner Unterhaltspflichten überwögen die Interessen der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger habe selbst dann, wenn er entsprechend seiner Behauptung nur vier bis fünf Meter von der Raucherzone entfernt geraucht habe, die Markierung nicht nur versehentlich oder geringfügig übertreten, sondern bewusst gegen das Rauchverbot verstoßen. Auch wenn er dadurch konkret keine Brandgefahr ausgelöst habe, wiege der Verstoß schwer. Die Beklagte sei darauf angewiesen, dass die Raucherzonen eingehalten würden. Bei einem Brand drohten erhebliche Personen- und Sachschäden. Dennoch habe der Kläger beharrlich außerhalb der Raucherzone geraucht. Er habe bewusst seine eigene Einschätzung der Sicherheitserfordernisse an die Stelle derjenigen gesetzt, die von der Beklagten im Einvernehmen mit dem Sicherheitsbeauftragten und dem Betriebsrat gefunden worden sei. Im Kündigungszeitpunkt sei davon auszugehen gewesen, dass er dieses Verhalten wiederholen werde. Das habe die Beklagte zum Schutz der übrigen Belegschaft auch nur für den Lauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht akzeptieren können. Der Kläger sei mehrfach einschlägig abgemahnt worden. Unter keinem Gesichtspunkt habe es einer weiteren Abmahnung bedurft, um ihm die sich aus einer Wiederholung des Verhaltens ergebenden nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses aufzuzeigen.

42

bb) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

43

(1) Ohne Rechtsfehler hat es eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist insbesondere aufgrund der Beharrlichkeit seiner Pflichtverletzungen und der nicht ausgeräumten Wiederholungsgefahr für unzumutbar gehalten. Zwar ist nicht festgestellt, dass das Verhalten des Klägers die Brandgefahr konkret erhöht hätte. Es ist aber nicht zu beanstanden, dem Interesse der Beklagten an der strikten Einhaltung des Rauchverbots und einer Beschränkung des Rauchens auf die erlaubten Zonen unabhängig hiervon allein wegen des im Betrieb gegebenen generell hohen Gefahrenpotenzials eine erhebliche Bedeutung beizumessen.

44

(2) Das Landesarbeitsgericht hat den Abmahnungen wegen früherer Verstöße des Klägers gegen das Rauchverbot zu Recht eine hinreichende Warnfunktion entnommen.

45

(a) Der Arbeitgeber muss für den Wiederholungsfall nicht ausdrücklich (auch) eine außerordentliche Kündigung androhen. Es reicht aus, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, dass bei einem erneuten Verstoß der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 23, DB 2012, 2404). Dies war nach der nicht zu beanstandenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts bei den dem Kläger wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot erteilten Abmahnungen der Fall, weil darin ausdrücklich zumindest auch die Möglichkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht worden war.

46

(b) Die Warnfunktion der Kündigungsandrohung in den letzten beiden Abmahnungen ist nicht wegen der im Vergleich zu den früheren Abmahnungen anderen Wortwahl als geringer anzusehen. Nach beiden Formulierungen musste der Kläger im Wiederholungsfall mit einer Kündigung rechnen. In den letzten Abmahnungen wird zwar ausdrücklich auf die Möglichkeit anderer arbeitsrechtlicher Maßnahmen hingewiesen. Diese waren aber auch nach der früheren Formulierung nicht ausgeschlossen.

47

(c) Eine Abschwächung der Warnfunktion ist nicht dadurch eingetreten, dass die Beklagte den Kläger insgesamt vier Mal wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot abgemahnt hat. Zwar können Abmahnungen ihre Warnfunktion einbüßen, wenn der Arbeitgeber trotz ständig neuer Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers weiterhin nur abmahnt. Der Arbeitnehmer muss die in der Abmahnung enthaltene Drohung noch ernst nehmen können; es darf sich nicht um eine „leere“ Drohung handeln (BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - zu II 3 a aa der Gründe, BAGE 99, 340). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber im Streitfall einen solchen Sachverhalt nicht als gegeben angesehen, weil insbesondere zwischen den ersten beiden Abmahnungen ein erheblicher Zeitraum lag. Die Beklagte konnte bei Ausspruch der zweiten Abmahnung berechtigterweise annehmen, der Zeitablauf mache es erforderlich, dem Kläger die möglichen Folgen einer Missachtung des Rauchverbots nochmals vor Augen zu führen (vgl. zum Verlust der Warnfunktion einer Abmahnung nach längerer Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 20, NZA 2013, 91; 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4 ). Unter Einbeziehung der zweiten Abmahnung hat die Beklagte den Kläger bis zur Kündigung insgesamt drei Mal hinreichend zeitnah wegen einer Verletzung des Rauchverbots abgemahnt. Es hält sich im Bewertungsspielraum des Landesarbeitsgerichts, wenn es angenommen hat, bei dieser Anzahl könne die Drohung mit einer Kündigung noch nicht als „leer“ angesehen werden (vgl. auch BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 b bb (1) der Gründe, aaO). Das gilt umso mehr, als es sich bei dem mit der letzten Abmahnung vom 22. September 2009 gerügten Verstoß um eine schlichte Nachlässigkeit des Klägers gehandelt haben konnte und eine Kündigung zum damaligen Zeitpunkt mit dem Risiko der Unverhältnismäßigkeit behaftet gewesen wäre. Soweit die Beklagte dem Kläger wegen anderer Pflichtverletzungen in den Jahren 1998 bis 2005 vier zusätzliche Abmahnungen erteilt hatte, hat das Landesarbeitsgericht diesen im gegebenen Zusammenhang zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Die Warnfunktion einer Abmahnung erstreckt sich nur auf gleichartige Pflichtverletzungen (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Sie wird durch Abmahnungen aus anderen Gründen regelmäßig nicht beeinträchtigt (vgl. auch BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 b aa der Gründe, aaO).

48

(3) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe beharrlich gegen das betriebliche Rauchverbot verstoßen, steht nicht im Widerspruch zu seiner Annahme, dem abgemahnten Verhalten vom 22. September 2009 könne schlichte Nachlässigkeit zugrunde gelegen haben. Der Kläger hatte das Rauchverbot außerdem schon drei weitere Male verletzt und dies trotz der Abmahnungen wiederholt.

49

(4) Soweit sich der Kläger im Revisionsverfahren darauf beruft, die vom Landesarbeitsgericht für gegeben erachtete negative Prognose decke sich nicht mit seiner „gelebten Einsicht“, hat er keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Er hat nicht dargelegt, aus welchen mit welchem Schriftsatz vorgetragenen Umständen sich bereits für den Zeitpunkt des Kündigungszugangs das Vorliegen einer solchen Einsicht ergeben habe.

50

III. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei durch die spätestens am 16. April 2011 zugegangene Kündigung eingehalten. Der Kläger hatte zuletzt am 5. April 2011 gegen das Rauchverbot verstoßen.

51

IV. Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Nachdem der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in der Klageschrift gerügt hatte, hat die Beklagte hierzu im Einzelnen unter Bezugnahme auf die schriftliche Anhörung vom 12. April 2011 vorgetragen. Hierüber hätte sich der Kläger nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären müssen(vgl. BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12). Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, an solchem Vorbringen habe es im Streitfall gefehlt, so dass der Vortrag der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu gelten habe, greift die Revision nicht mit Verfahrensrügen an. Ein materieller Rechtsfehler ist angesichts der Schlüssigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht zu erkennen (zum Erfordernis einer solchen Schlüssigkeitsprüfung vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 48 ff., NZA 2013, 137).

52

V. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 2014 - 2 TaBV 18/13 - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 18. Juni 2013 - 2 BV 22/12 - abgeändert und der Antrag abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3.

2

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit Hauptsitz in H. In Deutschland betreibt sie etwa 390 Filialen, darunter eine Filiale in T. Der Beteiligte zu 3. ist bei ihr seit September 1999 als Mitarbeiter im Verkauf auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags mit sog. Jahresarbeitszeitregelung beschäftigt. Die vereinbarte Jahresarbeitszeit betrug zuletzt 1.660 Stunden. Die Arbeitgeberin setzt Mitarbeiter mit Jahresarbeitszeitregelung entsprechend dem Arbeitsanfall variabel ein. In ihrer Filiale in T erfolgt die Personalplanung monatlich gemäß einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit aus dem Jahre 2008. Im Arbeitsvertrag zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin vom 10. September 2001 ist in § 4 Abs. 2 unter der Überschrift „Allgemeine Pflichten“ bestimmt, dass „Nebentätigkeiten […] nur mit dem Einverständnis des Arbeitgebers ausgeübt werden“ dürfen.

3

Der Beteiligte zu 3. ist Vorsitzender des für die Filiale in T gebildeten Betriebsrats. Er ist außerdem Mitglied im Gesamtbetriebsrat, im Wirtschaftsausschuss und im Europäischen Betriebsrat. Im Oktober 2012 teilte er der Arbeitgeberin unter dem Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“ und unter Angabe seiner Steuernummer und Bankverbindung mit, dass er am 9. November 2012 als Beisitzer einer Einigungsstelle für den Betrieb der Arbeitgeberin in A tätig sein werde und hierfür vorsorglich um ihr Einverständnis bitte, obwohl er die arbeitsvertragliche Klausel zu Nebentätigkeiten für unwirksam halte. Zugleich zeigte er an, zukünftig „im Nebenerwerb als Betriebsratsberater (als Pendant zum Unternehmensberater)“ tätig zu sein, und bat auch dafür vorsorglich um das Einverständnis der Arbeitgeberin. Außerdem erinnerte er an ein Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit. Durch die Ablehnung erschwere ihm die Arbeitgeberin seine Nebentätigkeit „in einer freiberuflichen Gründungsphase“. Unter demselben Briefkopf stellte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin ein Honorar für die Tätigkeit als Mitglied einer in der Filiale in S bis Januar 2012 geführten Einigungsstelle in Höhe von 9.163,00 Euro in Rechnung. Die Arbeitgeberin leistete darauf keine Zahlung.

4

Mit Schreiben vom 7. November 2012 verweigerte die Arbeitgeberin ihre Zustimmung zu den angezeigten Nebentätigkeiten. Der Beteiligte zu 3. müsse mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung“ seines Arbeitsverhältnisses rechnen, wenn er sie dennoch ausübe.

5

Der Beteiligte zu 3. war von der Arbeitgeberin für den 9. November 2012 zur Arbeitsleistung vorgesehen. Der Betriebsrat stimmte dieser Einsatzplanung nicht zu. Durch Spruch der Einigungsstelle wurde der Personaleinsatz für November 2012 sodann in der Weise festgelegt, dass der Beteiligte zu 3. am 9. November 2012 nicht zur Arbeit eingeteilt war. Die Sitzung der Einigungsstelle in A am 9. November 2012 fand dennoch ohne ihn statt. Eine Sitzung am 18. Dezember 2012 nahm er wahr.

6

Der Beteiligte zu 3. wurde außerdem als Mitglied von Einigungsstellen in Filialen der Arbeitgeberin in W und He benannt. Die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats der Filiale W teilte der Arbeitgeberin in einem Schreiben vom 19. November 2012 mit, der Beteiligte zu 3., „(Komparative Betriebsratsberatung, T)“, werde als Beisitzer an der Einigungsstelle in W teilnehmen. Seine Bestellung für die Einigungsstelle in He zeigte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 17. Dezember 2012 an. Er verwandte dafür erneut den Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“.

7

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Mit Beschluss vom 24. Dezember 2012 verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung. Am 28. Dezember 2012 leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Verfahren zu deren Ersetzung ein.

8

Der Beteiligte zu 3. nahm im Februar 2013 an zwei Sitzungen der Einigungsstelle in A und an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teil. Anfang März 2013 nannte er der Arbeitgeberin weitere Termine für Sitzungen der Einigungsstellen in A, He und W. Gleichzeitig teilte er mit, die Termine zwar wahrnehmen zu wollen, nicht jedoch im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“. Anfang April 2013 tagte die Einigungsstelle in W erneut unter seiner Beteiligung. Mit Schreiben vom 15. April 2013 stellte ihn die Arbeitgeberin für die Zukunft von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

9

Anfang Mai 2013 nannte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin weitere Sitzungstermine der Einigungsstellen in He und W. Er werde auch diese nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“ wahrnehmen. Die Arbeitgeberin untersagte ihm die Teilnahme. Die Sitzung der Einigungsstelle in He wurde vertagt, die Sitzung in W fand mit ihm statt.

10

Anfang Juni 2013 übermittelte der Beteiligte zu 3. dem im Urlaub befindlichen „Store-Manager“ der Filiale in T eine E-Mail, in der er mitteilte, er werde am 7. Juni 2013 erneut an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teilnehmen, wiederum aber nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“.

11

Die Arbeitgeberin hat beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch im Hinblick auf die Beteiligung an den Sitzungen der Einigungsstellen seit Februar 2013 beantragt. Der Betriebsrat hielt an seiner Verweigerung fest oder hat nicht reagiert. Die Arbeitgeberin hat ihren Antrag auf Zustimmungsersetzung ergänzend auf diese Sachverhalte gestützt.

12

Der Beteiligte zu 3. war an keinem der Tage, an denen er an Einigungsstellensitzungen teilnahm, zur Arbeit verpflichtet. Im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstellen in A, W und He kam es über Fragen seines Personaleinsatzes zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den örtlichen Betriebsräten und der Arbeitgeberin, zum Teil unter seiner Beteiligung. Zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin sind außerdem eine Klage auf Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit sowie eine Klage auf Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ anhängig bzw. anhängig gewesen.

13

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 3. habe durch die Teilnahme an Einigungsstellen trotz ihrer ausdrücklichen Untersagung kontinuierlich und eklatant gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere gegen seine ihr gegenüber bestehende Loyalitätspflicht verstoßen. In § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei zwar kein Nebentätigkeitsverbot, aber ein Erlaubnisvorbehalt vereinbart worden. Die Nebentätigkeit als Einigungsstellenbeisitzer sei nicht genehmigungsfähig. Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung sei es dem Beteiligten zu 3. nicht gestattet, eine solche Tätigkeit auszuüben. Durch sie würden betriebliche Interessen verletzt. Zum einen beeinträchtige sie ihr durch den Arbeitsvertrag abgesichertes Interesse an der Möglichkeit eines flexiblen Einsatzes des Beteiligten zu 3. Dessen Verhalten habe zu einer Flut von kostenintensiven Verfahren geführt. Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten habe sie den Beteiligten zu 3. an den angekündigten Terminen von Einigungsstellensitzungen nicht mehr zur Arbeit eingeteilt. Zum anderen sei insbesondere das geschäftsmäßige Betreiben der Nebentätigkeit nicht mit den Loyalitätspflichten eines Arbeitnehmers vereinbar. Der Beteiligte zu 3. werde auf Seiten des Betriebsrats und damit gegen ihre Interessen, jedoch auf ihre Kosten tätig. Um seine geschäftlichen Interessen zu vertreten, müsse er zwangsläufig ihren Belangen zuwider handeln. Ein Verhalten wie das des Beteiligten zu 3. könne zu einem „Einigungsstellentourismus“ führen, bei dem sich die Betriebsräte des Unternehmens wechselseitig zu Beisitzern von Einigungsstellen beriefen. Die entgeltliche Tätigkeit als betriebsfremder Einigungsstellenbeisitzer führe zu einer verbotenen mittelbaren Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds. Der Beteiligte zu 3. komme als Beisitzer für die Einigungsstellen anderer Betriebe nur aufgrund seiner als Betriebsratsmitglied gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse in Betracht. Er wolle die auf ihre Kosten erworbenen Kenntnisse persönlich gewinnbringend - und dies wiederum auf ihre Kosten - verwerten. Sie habe in der Vergangenheit eine solche Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. weder geduldet noch genehmigt. Sie sei bislang davon ausgegangen, dass er als Beisitzer nur im Rahmen seines Betriebsratsamts tätig geworden sei. Auf die Verbote des § 78 BetrVG könne er sich nicht berufen. Er habe die Ämter als Beisitzer von Einigungsstellen gar nicht erst annehmen dürfen.

14

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

        

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

15

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung liege nicht vor. Die durch den Beteiligten zu 3. ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen seien zulässig. Er habe durch sie seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei als Allgemeine Geschäftsbedingung wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und als überraschende Klausel unwirksam. Zumindest habe der Beteiligte zu 3. einen Anspruch auf Erlaubnis gehabt. Betriebliche Interessen der Arbeitgeberin seien durch seine Tätigkeiten nicht beeinträchtigt worden. Ihm sei es aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung möglich gewesen, sowohl seine Arbeitsverpflichtung zu erfüllen, als auch die Ämter als Einigungsstellenbeisitzer auszuüben. Er gerate durch die Teilnahme an Einigungsstellen anderer Betriebe des Unternehmens auch nicht in einen Loyalitätskonflikt. Als Beisitzer sei er ebenso wie als Betriebsratsmitglied an den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gebunden. Die Arbeitgeberin verstoße mit ihrer Kündigungsabsicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG. Zudem genüge ihr Antrag an den Betriebsrat nicht den gesetzlichen Anforderungen, da er nicht die notwendigen tatsächlichen Informationen enthalte. Insbesondere habe die Arbeitgeberin nicht dargelegt, welche betrieblichen Interessen durch die Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. beeinträchtigt worden seien.

16

Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. ihr Begehren weiter, den Antrag abzuweisen.

17

B. Die Rechtsbeschwerden sind begründet. Die Vorinstanzen haben die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Beteiligten zu 3. zu Unrecht ersetzt. Dessen Verhalten stellt keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses dar. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Zustimmung des Betriebsrats auch deshalb nicht zu ersetzen ist, weil die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt oder der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG über die Kündigungsgründe unterrichtet worden ist.

18

I. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 39 mwN; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 17 mwN). Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht ( BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13  - Rn. 39). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 34; 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39).

19

II. An einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt es. Mit der Annahme der Bestellungen als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin und der Teilnahme an den Sitzungen dieser Einigungsstellen hat der Beteiligte zu 3. weder gegen seine Pflichten aus § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags verstoßen noch seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

20

1. Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, dass die Klausel in § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags als sog. Erlaubnisvorbehalt zu verstehen und mit diesem Inhalt wirksam ist. Der Beteiligte zu 3. hatte einen Anspruch darauf, ihm die Tätigkeiten als Beisitzer der fraglichen Einigungsstellen zu gestatten. Mit ihnen war keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin verbunden (zum wichtigen Grund bei fortgesetzter Ausübung einer offensichtlich nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit, vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 28; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 42; zur Eignung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit als wichtiger Grund, wenn die vertraglich geschuldeten Leistungen beeinträchtigt werden, vgl. BAG 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - zu I 3 b der Gründe). Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer auch nicht zurückstellen, bis gerichtlich geklärt wäre, ob sie mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten vereinbar sind.

21

a) Ein Arbeitnehmer hat in Anbetracht seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Ausübung von Nebentätigkeiten, sofern diese die betrieblichen Interessen nicht beeinträchtigen(BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70). Außerhalb der Arbeitszeit steht ihm die Verwendung seiner Arbeitskraft grundsätzlich frei. Soweit die Nebentätigkeit beruflicher Natur ist, kann er sich auf das Grundrecht der freien Berufswahl berufen (Art. 12 Abs. 1 GG). Nichtberufliche Tätigkeiten sind durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt. Der Arbeitnehmer hat jedoch jede Nebentätigkeit zu unterlassen, die mit seiner Arbeitspflicht kollidiert. Das ist der Fall, wenn sie gleichzeitig mit der Haupttätigkeit ausgeübt werden soll oder bei nicht gleichzeitiger Ausübung dann, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung unter ihr leidet. Solche Nebentätigkeiten stellen eine Verletzung der Arbeitspflicht dar (BAG 18. Januar 1996 - 6 AZR 314/95 - zu I 2 b aa der Gründe). Zu unterlassen sind ferner Nebentätigkeiten, die gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 27 ff.; 16. Januar 2013 - 10 AZR 560/11 - Rn. 14 ff.) oder sonst einen Interessenwiderstreit hervorrufen, der geeignet ist, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität und Integrität des Arbeitnehmers zu zerstören (BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 5 der Gründe, BAGE 105, 205; 28. Februar 2002 - 6 AZR 33/01 - zu 1 b bb der Gründe; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 118; Peter Nebentätigkeiten von Arbeitnehmern S. 119 ff.).

22

b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob die der Arbeitgeberin angezeigte Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“ oder eine gewerbsmäßige Teilnahme an Einigungsstellen, die über die gelegentliche Wahrnehmung von Bestellungen als Beisitzer hinausginge, die betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigte. Die vom Beteiligten zu 3. tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen in anderen Betrieben der Arbeitgeberin rechtfertigen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, diese seien Teil eines auf Gewerbsmäßigkeit angelegten - wie auch immer näher zu bestimmenden - „Geschäftsmodells“ gewesen.

23

aa) Zwar hatte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin im Oktober 2012 angezeigt, im Nebenerwerb als „komparativer Betriebsratsberater“ tätig werden zu wollen. Er hatte an das Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit erinnert und hatte der Arbeitgeberin vorgehalten, sie erschwere durch ihre Ablehnung seine „freiberufliche Gründungsphase“. Er hatte der Arbeitgeberin mit entsprechendem Briefkopf ein Honorar für die im Januar 2012 abgeschlossene Einigungsstelle in S in Rechnung gestellt und im Dezember 2012 unter demselben Briefkopf seine Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstelle in He angezeigt. Auch der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in W war die Titulierung seiner Tätigkeit als „komparative Betriebsratsberatung“ offensichtlich bekannt, wie sich aus ihrem Schreiben vom 19. November 2012 ergibt.

24

bb) Die tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten als Beisitzer der Einigungsstellen in S, A und W - die Einigungsstelle in He ist nur noch ohne Beteiligung des Beteiligten zu 3. zusammengetreten - lassen jedoch eine über die gelegentliche Annahme solcher Bestellungen hinausgehende, einem bestimmten „Geschäftsmodell“ folgende und dauerhaft auf Gewinnerzielung angelegte gewerbsmäßige Betätigung des Beteiligten zu 3. nicht erkennen. Dagegen sprechen sowohl die geringe Zahl der Einigungsstellen als auch der Umstand, dass er - zumindest bislang - für seine Tätigkeiten in A und W kein Honorar in Rechnung gestellt und die Honorarforderung für die Einigungsstelle in S nicht weiterverfolgt hat. Der Beteiligte zu 3. hat der Arbeitgeberin seine Teilnahme an den Einigungsstellensitzungen außerdem seit März 2013 stets mit dem ausdrücklichen Hinweis angezeigt, die Termine nicht im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“, sondern als einzelne Termine wahrnehmen zu wollen. Zudem ist weder konkret vorgetragen noch objektiv ersichtlich, dass der Beteiligte zu 3. etwa werbend für eine Tätigkeit als „Betriebsratsberater“ aufgetreten wäre. Selbst wenn er eine ursprünglich andere Absicht nur mit Blick auf das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren nicht weiterverfolgt haben sollte, hätte er sie jedenfalls bislang nicht verwirklicht. Sofern er weiterhin auf Erteilung der Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ klagen sollte, nähme er lediglich das Recht wahr, seinen - vermeintlichen - Anspruch gerichtlich klären zu lassen. Dies spräche allenfalls dafür, dass er ein „Geschäftsmodell“, das über die Wahrnehmung einzelner Ämter als Einigungsstellenbeisitzer hinausginge, für die Zukunft noch nicht aufgegeben hat. Nichts anderes gilt für die Klage auf Reduzierung und Festlegung der Lage seiner Arbeitszeit. Der Beteiligte zu 3. hatte sein Begehren zwar im Oktober 2012 noch in den Zusammenhang mit einer „freiberuflichen Gründungsphase“ gestellt. Auch dies spricht aber allenfalls dafür, dass er ursprünglich weitergehende Absichten gehabt und diese möglicherweise für die Zukunft noch nicht endgültig aufgegeben hat.

25

c) Soweit die Arbeitgeberin den Antrag auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe stützt, war damit weder eine Verletzung seiner Arbeitspflicht noch eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin wegen einer Einschränkung seiner flexiblen Einsetzbarkeit verbunden.

26

aa) Seine Arbeitspflicht hat der Beteiligte zu 3. durch die Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen nicht verletzt. Es liegen auch keine Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz vor. Unabhängig davon, dass der Beteiligte zu 3. an den Sitzungen der Einigungsstellen nicht als Arbeitnehmer teilgenommen hat, sind selbst bei einer Zusammenrechnung der aufgewendeten Zeiten mit den Zeiten seiner Teilzeittätigkeit für die Arbeitgeberin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ArbZG Überschreitungen der höchstzulässigen Arbeitszeit weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich.

27

bb) Die ausgeübten Tätigkeiten als Einigungsstellenbeisitzer haben betriebliche Belange der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Personaleinsatzplanung nicht beeinträchtigt. Dabei kann zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt werden, dass die mit dem Beteiligten zu 3. getroffene Vereinbarung zur Jahresarbeitszeit wirksam war.

28

(1) Die Regelungen zur Personaleinsatzplanung in der Filiale T ermöglichten es, Kollisionen zwischen der gelegentlichen Teilnahme des Beteiligten zu 3. an Einigungsstellensitzungen und seiner Arbeitspflicht zu vermeiden. Die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer mit variabler Arbeitszeit können dort vor der Festlegung des monatlichen Dienstplans Zeiten benennen, an denen sie aus dringenden Gründen an einem Einsatz gehindert sind, denen die Filialleitung nach Möglichkeit Rechnung trägt (vgl. Ziff. III 2 der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit vom 18. Dezember 2008).

29

(2) Die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. haben die Möglichkeit der Arbeitgeberin, ihn flexibel einzusetzen, nicht in beachtlicher Weise eingeschränkt. Zwar hatte der Beteiligte zu 3. für den 9. November 2012 einen Freizeitwunsch geäußert und der Betriebsrat seine Einteilung für diesen Tag abgelehnt. Die Arbeitgeberin hat aber nicht behauptet, es hätten betriebliche Gründe vorgelegen, die den Einsatz des Beteiligten zu 3. am 9. November 2012 erforderlich gemacht hätten. Dagegen spricht auch, dass der Personaleinsatz von der Einigungsstelle für diesen Tag ohne den Beteiligten zu 3. festgelegt wurde. Ebenso wenig hat die Arbeitgeberin behauptet, dieser habe ihr - bis sie ihn von der Arbeitsleistung gänzlich freigestellt habe - seine Freizeitwünsche jeweils erst so spät angezeigt, dass deren Berücksichtigung zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt habe. Besondere Probleme bei der Einsatzplanung, die die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. verursacht hätten, sind vielmehr durch Tatsachen nicht belegt. Es war der Arbeitgeberin durchweg möglich, diesen an den Tagen der von ihm angezeigten Einigungsstellensitzungen gar nicht erst zur Arbeit einzuteilen. Damit verbundene Schwierigkeiten hat sie nicht dargelegt. War ihr aber eine Berücksichtigung der Freizeitwünsche des Beteiligten zu 3. möglich, stellt der Umstand, dass dieser sie anmeldete, keine Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Belange dar. Es ist vielmehr Bestandteil der im Betrieb in T praktizierten Personaleinsatzplanung, dass private Freizeitwünsche der Arbeitnehmer und betriebliche Erfordernisse nach Möglichkeit in Einklang gebracht werden müssen.

30

(3) Das Vorbringen der Arbeitgeberin, sie sei dem Beteiligten zu 3. allein deshalb bei der Einsatzplanung entgegengekommen, weil sie weitere Auseinandersetzungen wegen seines Arbeitseinsatzes habe vermeiden wollen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu Streitigkeiten über die Personaleinsatzplanung deshalb gekommen ist, weil der Beteiligte zu 3. oder die beteiligten Betriebsräte nicht bereit gewesen wären, berechtigte betriebliche Erfordernisse der Arbeitgeberin anzuerkennen.

31

d) Der Beteiligte zu 3. war mit Blick auf seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB auch nicht aus anderen Gründen gehindert, die Benennungen als Einigungsstellenbeisitzer anzunehmen.

32

aa) In der Mitwirkung an einer Einigungsstelle nach § 76 BetrVG liegt für sich genommen keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers. Die Einigungsstelle ist eine betriebsverfassungsrechtliche Institution eigener Art mit dem Zweck, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der betrieblichen Ordnung zu gewährleisten, indem sie ggf. durch Zwangsschlichtung Pattsituationen im Bereich der paritätischen Mitbestimmung auflöst. Es handelt sich um das gesetzlich vorgesehene Verfahren, um in betrieblichen Regelungsstreitigkeiten eine Einigung herbeizuführen. Die von den jeweiligen Betriebsparteien bestellten Beisitzer sind weder deren Vertreter noch ihr verlängerter Arm. Sie wirken bei der Schlichtung des Regelungsstreits frei von Weisungen und mit einer gewissen inneren Unabhängigkeit mit (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 22; 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 97, 379). Dementsprechend können sie nicht mit Vertretern einer Betriebspartei gleichgesetzt werden, auch wenn ihre Nähe zu derjenigen Betriebspartei, die sie bestellt hat, nicht zu verkennen und vom Gesetz auch gewollt ist (BAG 29. Januar 2002 - 1 ABR 18/01 - zu B I 2 b cc der Gründe, BAGE 100, 239; 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 80, 222). Die Tätigkeit der Einigungsstelle ist auf eine Beseitigung von Konflikten vornehmlich auf dem Weg der Herbeiführung eines für beide Seiten akzeptablen Kompromisses ausgerichtet (vgl. BAG 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - aaO). Die vom Betriebsrat bestellten Beisitzer vertreten dabei die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer nicht mangels Loyalität gegenüber der Arbeitgeberseite, sondern aufgrund der ihnen vom Gesetz zugewiesenen Rolle. Sie sind nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG überdies verpflichtet, ihre Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung nicht nur der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch der betrieblichen Belange und nach billigem Ermessen zu treffen(BAG 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - aaO; 18. Januar 1994 - 1 ABR 43/93 - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 75, 261). Der Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ist damit vom Gesetz vorausgesetzt und soll durch die Verhandlungen in der Einigungsstelle - unter Mitwirkung eines unabhängigen Vorsitzenden - gerade überwunden werden.

33

bb) Die Benennung des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin war grundsätzlich zulässig.

34

(1) Der Betriebsrat bestellt seine Beisitzer durch Beschluss (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 19. August 1992 - 7 ABR 58/91 - zu B II 2 a der Gründe). Er darf sich dabei für Personen entscheiden, denen er dahingehend vertraut, dass sie als Beisitzer die Interessen der Arbeitnehmer in Verhandlungen mit der anderen Seite wahren. Dies und das Vertrauen, durch das Erarbeiten von Kompromissen eine für beide Betriebsparteien annehmbare Konfliktlösung zu erreichen, ist der Maßstab, an dem sich der Betriebsrat bei seiner personellen Auswahl auszurichten hat. Es steht ihm dabei frei, betriebsexterne Beisitzer zu benennen. Er darf dies nicht nur dann, wenn deren Benennung auch erforderlich ist (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - aaO; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 3 der Gründe; für die Bestellung betriebsfremder, aber unternehmensangehöriger Beisitzer, vgl. BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129). Die Befugnis zur Bestellung von Beisitzern ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt nicht in Betracht (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 23; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 31 f., BAGE 148, 182). Dem Betriebsrat ist es allerdings verwehrt, Personen als Beisitzer von Einigungsstellen zu benennen, die offensichtlich ungeeignet sind, entsprechend der Funktion in der Einigungsstelle tätig zu werden (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - aaO; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 36).

35

(2) Danach bestanden gegen die Bestellung des Beteiligten zu 3. zum Beisitzer der Einigungsstellen in den anderen Betrieben der Arbeitgeberin keine Bedenken. Die Arbeitgeberin hat nicht behauptet, der Beteiligte zu 3. sei zur Wahrnehmung der dort anfallenden Aufgaben offensichtlich nicht geeignet gewesen.

36

cc) Der Beteiligte zu 3. geriet durch die Annahme der Benennungen selbst dann nicht in einen Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er für die Amtsausübung - anders als nach § 76a Abs. 2 BetrVG für die Teilnahme an einer Einigungsstelle im eigenen Betrieb - gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG die Zahlung eines Honorars von der Arbeitgeberin beanspruchen könnte.

37

(1) Nach § 76a Abs. 3 BetrVG hat ein betriebsfremder Beisitzer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit im Einigungsstellenverfahren, dessen Höhe sich nach den Maßgaben des § 76a Abs. 4 Satz 3 bis Satz 5 BetrVG richtet. Anders als nach der früheren Rechtslage hängt das Entstehen des Honoraranspruchs nicht mehr davon ab, ob der Betriebsrat dem Beisitzer ein Honorar zugesagt hat (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 1 der Gründe). Der Honoraranspruch ist dem Grunde nach nur von der wirksamen Bestellung für eine im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Einigungsstelle und der Annahme dieser Bestellung abhängig.

38

(2) Die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch Honoraransprüche externer Beisitzer ist damit dem Einigungsstellenverfahren immanent. Sie ist nicht nur - möglicherweise - Folge der Bestellung eines betriebsfremden, aber doch unternehmensangehörigen Arbeitnehmers, sondern entsteht von Gesetzes wegen bei jeder Bestellung eines betriebsfremden Beisitzers.

39

(3) Ein (etwaiger) gesetzlicher Honoraranspruch des betriebsfremden unternehmensangehörigen Beisitzers, der zugleich Mitglied des Betriebsrats eines unternehmenszugehörigen Betriebs ist, verstieße nicht gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Mitglieder eines der in § 78 Satz 1 BetrVG bezeichneten betriebsverfassungsrechtlichen Organe gegenüber den Mitarbeitern desselben Arbeitsverbunds wegen ihrer Amtstätigkeit weder zu benachteiligen noch zu begünstigen. Stünde einem betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Einigungsstellenbeisitzer gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG ein Honoraranspruch zu(dies ablehnend und für eine entsprechende Anwendung von § 76a Abs. 2 BetrVG HWGNRH-Worzalla 9. Aufl. § 76a Rn. 15), handelte es sich nicht um eine gesetzlich missbilligte Begünstigung, sondern - ähnlich wie beim Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder gemäß § 15 KSchG und § 103 BetrVG - um eine gesetzlich gerade vorgesehene Ungleichbehandlung. Dementsprechend stellte schon nach der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des § 76a BetrVG die Honorarzusage an einen betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Beisitzer keine Begünstigung iSd. § 78 Satz 2 BetrVG dar(BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129).

40

(4) Allein der Umstand, dass dem Beteiligten zu 3. gegen die Arbeitgeberin ein gesetzlicher Honoraranspruch aufgrund seiner Amtswahrnehmung zustehen könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, er müsse in stärkerem Maße, als dies für die Vertretung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in der Einigungsstelle erforderlich war, gegen ihre Interessen tätig geworden sein. Soweit sich die Arbeitgeberin darauf beruft, das „Geschäftsmodell“ des Beteiligten zu 3. habe nur funktionieren können, wenn er in den Einigungsstellen ausschließlich solche Interessen vertrat, welche den ihren zuwiderliefen, zielt sie auf ein dem Beteiligten zu 3. zugeschriebenes Bestreben, sich auf ihre Kosten eine weitere „Erwerbsquelle“ zu verschaffen. Wie ausgeführt, gibt es indessen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 3. seine Tätigkeiten als Beisitzer auf dieses Ziel ausgerichtet hätte. Soweit die Arbeitgeberin geltend macht, zur Verwirklichung seines Konzepts müsse der Beteiligte zu 3. die Interessen des jeweiligen örtlichen Betriebsrats „bestmöglich“ vertreten, verkennt sie, dass die Beisitzer auf Betriebsratsseite nicht die Interessen des sie bestellenden Gremiums, sondern diejenigen der von der Regelungsstreitigkeit betroffenen Arbeitnehmer wahrnehmen. Dies wiederum ist ihre gesetzlich vorgesehene Aufgabe. Selbst die „bestmögliche“ Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in einer Einigungsstelle stellt deshalb keine Illoyalität gegenüber dem Arbeitgeber dar.

41

(5) Der Beteiligte zu 3. hat seine individualrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin auch dann nicht verletzt, wenn er - wie die Arbeitgeberin behauptet hat - als Beisitzer in den Einigungsstellen anderer Betriebe seine als Betriebsratsmitglied erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten genutzt hat und nur aufgrund ihrer überhaupt bestellt worden ist. Wäre dies als mittelbare Vergütung von Betriebsratstätigkeit anzusehen, läge darin allenfalls ein Grund, ihm einen Honoraranspruch für die Tätigkeit als externer Beisitzer zu versagen. Stünde dagegen das Prinzip des Ehrenamts in § 37 Abs. 1 BetrVG einem Honoraranspruch nach § 76a Abs. 3 BetrVG auch in einem solchen Fall nicht entgegen, wäre ebenso wenig eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin verletzt.

42

(6) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 3. eine solche Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, wenn seine Bestellungen zum Beisitzer in Einigungsstellen anderer Betriebe Teil eines „Ringtauschs“ gewesen wären, wenn also die Betriebsräte der Arbeitgeberin ihre Mitglieder wechselseitig zu Einigungsstellenbeisitzern bestellt hätten, um ihnen Honoraransprüche zu verschaffen, die andernfalls wegen § 76a Abs. 2 BetrVG nicht entstünden. Nach den vorgetragenen Umständen ist nichts dafür ersichtlich, dass ein solches Vorgehen auch nur geplant gewesen wäre.

43

dd) Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Vereinbarkeit mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten zurückstellen. Dies gilt auch dann, wenn die Regelungen in § 4 Abs. 2 seines Arbeitsvertrags als - wirksame - Vereinbarung eines Erlaubnisvorbehalts zu verstehen wären. Sinn und Zweck eines solchen Vorbehalts ist es, den Arbeitgeber durch die Anzeige beabsichtigter Nebentätigkeiten in die Lage zu versetzen, vor deren Aufnahme zu prüfen, ob durch sie betriebliche Belange beeinträchtigt werden (vgl. dazu BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70; 21. September 1999 - 9 AZR 759/98 - zu I 2 der Gründe). Das Interesse, den Arbeitnehmer auch dann von der Ausübung einer - angezeigten - Nebentätigkeit abzuhalten, wenn er bei objektiver Betrachtung einen Anspruch auf ihre Erlaubnis hat, ist dagegen nicht schutzwürdig. Ein Arbeitnehmer, der mit der Ausübung einer rechtmäßigen Nebentätigkeit nicht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung abwartet, handelt unter Berücksichtigung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG nicht pflichtwidrig. Anders als im Fall des eigenmächtigen Urlaubsantritts (vgl. hierzu BAG 22. Januar 1998 - 2 ABR 19/97 - zu B II 3 der Gründe; 20. Januar 1994 - 2 AZR 521/93 - zu II 2 a der Gründe) geht es nicht um die einseitige Suspendierung der Hauptleistungspflicht. Die Ausübung einer Nebentätigkeit in der Freizeit betrifft den einer Regulierung durch den Arbeitgeber grundsätzlich entzogenen Bereich der privaten Lebensgestaltung. Dies unterscheidet sie auch von der Nichtbeachtung einer unbilligen Leistungsbestimmung des Arbeitgebers (zur vorläufigen Bindung des Arbeitnehmers an eine solche Weisung vgl. BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 24, BAGE 141, 34; dazu kritisch Fischer FA 2014, 38; Preis NZA 2015, 1, 6; Thüsing JM 2014, 20).

44

2. Dafür, dass der Beteiligte zu 3. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Einigungsstellenbeisitzer in sonstiger Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Brossardt    

                 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. März 2013 - 13 Sa 6/13 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 3. September 2012 - 3 Ca 319/12 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einer binnen der Kündigungsfrist erklärten außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte produziert Wellpappe für Verpackungen und Displays. Sie beschäftigte zuletzt etwa 210 Arbeitnehmer. Der 1984 geborene Kläger stand vom 18. Mai bis 15. September 2009 und ab dem 9. November 2010 in ihren Diensten, zuletzt als Produktionsmitarbeiter.

3

Am 10. Februar 2012 fand auf Einladung der Gewerkschaft ver.di in dem bisher betriebsratslosen Betrieb der Beklagten eine Betriebsversammlung zum Zweck der Wahl eines Wahlvorstands statt. Zu der für den Beginn der Versammlung angesetzten Uhrzeit waren hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre noch nicht anwesend. Gleichwohl wurde ein Versammlungsleiter gewählt. Laut des von diesem verfassten Protokolls beschlossen die Teilnehmer einstimmig, keinen Wahlvorstand zu wählen. Die Versammlung wurde geschlossen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen Gewerkschaftssekretäre versuchten, die Anwesenden zum Bleiben zu bewegen. Teilweise gelang dies. An einer anschließend durchgeführten Abstimmung über die Wahl eines Wahlvorstands beteiligten sich etwa 50 Arbeitnehmer. Auf den Kläger als Kandidaten von ver.di entfielen 33 Stimmen. Die Zahl der bei der Abstimmung insgesamt anwesenden Arbeitnehmer ließ sich später nicht mehr feststellen.

4

Mit Schreiben vom 17. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2012. Sie warf dem Kläger vor, er sei am Vortag 15 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Bereits am 7. April 2011 und am 27. Oktober 2011 hatte sie den Kläger - im einen Fall wegen einer behaupteten Verspätung von 22 Minuten, im anderen Fall wegen Nichterscheinens zur Nachtschicht - abgemahnt.

5

In den Tagen nach Zugang der Kündigung nahm der Kläger an einem Treffen gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter der Beklagten teil. Anlässlich der Zusammenkunft wurde durch „Streik.TV“ - einer im Auftrag von ver.di produzierten online-TV-Sendung für gewerkschaftsrelevante Themen - unter dem Aufmacher „[Die Beklagte] behindert die Bildung eines Betriebsrats“ ein Video-Interview erstellt. Darin schilderte ein „Hintergrundsprecher“, bei der Beklagten habe ein Wahlvorstand zur Einleitung einer Betriebsratswahl gewählt werden sollen. Sodann äußerte sich der Kläger mit den Worten: „Wir haben Probleme mit den Arbeitszeiten, mit Urlaubszeiten, mit Pausenzeiten. Dann haben wir viele Probleme, dass das Vertrauen zu den Mitarbeitern fehlt, da großer Druck von oben aufgebaut ist. Viele Sicherheitsvorkehrungen fehlen an einzelnen Maschinen. Ich möchte fast behaupten, dass keine Maschine zu 100 Prozent ausgerüstet ist. Das Problem ist, dass keine Fachkräfte vorhanden sind und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt wird.“

6

Das Video wurde am 22. Februar 2012 in das Internet eingestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger selbst verbreitete es über seinen „Facebook“-Account. Mit Schreiben vom 15. März 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht“.

7

Auf Antrag von ver.di bestellte das Arbeitsgericht am 21. März 2012 - rechtskräftig - einen fünfköpfigen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Betrieb der Beklagten. Der Kläger, den ver.di als Kandidaten benannt hatte, wurde nicht eingesetzt.

8

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, aufgrund seiner Kandidatur für den Wahlvorstand habe er besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG genossen. Die außerordentliche Kündigung sei demzufolge unwirksam, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung iSd. § 103 BetrVG erklärt worden sei, die ordentlichen Kündigungen seien wegen seines Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen gewesen. Abgesehen davon fehle es an Kündigungsgründen. Mit seinen Äußerungen in dem Video, für die er sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit berufen könne, habe er seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt. Am 16. Februar 2012 sei er lediglich drei Minuten zu spät zur Arbeit erschienen und dies witterungsbedingt.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2012 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für den vom Kläger angenommenen Sonderkündigungsschutz lägen nicht vor. Die fristlose Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Äußerungen des Klägers in dem Video-Interview, soweit mit ihnen das Fehlen von Fachkräften behauptet werde, seien „verleumderisch“. Sie erfüllten überdies den Tatbestand der Kreditgefährdung. Sie seien geeignet gewesen, Kunden und mögliche Stellenbewerber abzuschrecken. Mit der Billigung seines Verhaltens habe der Kläger nicht rechnen dürfen. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der ordentlichen Kündigungen sein Ende gefunden. Was die Kündigung vom 17. Februar 2012 angehe, so sei der Kläger am Tag zuvor mit erheblicher Verspätung zur Arbeit erschienen, ohne dies genügend entschuldigt zu haben.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet, soweit er sich gegen die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 richtet. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich des weitergehenden Feststellungsbegehrens war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17. Februar 2012 zum 31. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Damit kommt derzeit eine Sachentscheidung über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 15. März 2012, die zu einem nach dem 31. März 2012 liegenden Zeitpunkt wirken würde, nicht in Betracht.

13

A. Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar enthält die Revisionsbegründung keinen förmlichen Antrag. Dies ist jedoch unschädlich.

14

I. Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss die Revisionsbegründung eine Erklärung darüber enthalten, inwieweit das angegriffene Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt werde. Dafür ist nicht erforderlich, dass dieser Revisionsantrag gesondert hervorgehoben und ausdrücklich formuliert wird. Es genügt, dass sein Inhalt aus der Begründung zweifelsfrei ersichtlich wird (BAG 31. Januar 2008 - 8 AZR 11/07 - Rn. 27; BGH 25. März 2014 - II ZB 3/13 - Rn. 7).

15

II. Das Begehren des Klägers wird aus der Revisionsbegründung hinreichend deutlich. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 zu Unrecht als wirksam angesehen und habe es deshalb rechtsfehlerhaft versäumt, über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen zu befinden. Darin kommt sein Begehren zum Ausdruck, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und seiner Berufung in vollem Umfang stattzugeben. Das genügt.

16

B. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht mit der Begründung abweisen, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 aufgelöst worden. Diese Kündigung ist unwirksam.

17

I. Der Kläger hat mit seinem gegen „die Kündigung vom 15. März 2012“ gerichteten Feststellungsantrag die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG sowohl hinsichtlich der fristlosen, als auch hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung von diesem Tag gewahrt. Der betreffende Schriftsatz ist am 23. März 2012 bei Gericht eingegangen. Der Antrag ist ausreichend bestimmt, auch wenn in ihm nicht förmlich zwischen beiden Kündigungen unterschieden wird. Die beigegebene Begründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger keine der Kündigungserklärungen vom 15. März 2012 gegen sich gelten lassen will (zur Problematik vgl. BAG 16. November 1970 - 2 AZR 33/70 - zu III der Gründe; HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 4 Rn. 64).

18

II. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es zu ihrer Wirksamkeit - entsprechend § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG - der vorherigen gerichtlichen Zustimmung bedurft hätte. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der geltend gemachte Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG nicht zu(zum Beurteilungszeitpunkt vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 20 mwN). Der Kläger war weder Mitglied des Wahlvorstands noch „Wahlbewerber“ im Sinne dieser Bestimmung.

19

1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines „Wahlbewerbers“ vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

20

2. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung nicht Mitglied eines Wahlvorstands iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG, § 103 BetrVG. In Betracht kommt allenfalls, dass er am 10. Februar 2012 in ein solches Amt gewählt worden wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Eine Wahl iSv. § 17 Abs. 2 BetrVG hat nicht stattgefunden.

21

a) Die Bestellung des Wahlvorstands bestimmt sich nach den Vorschriften des BetrVG, hier nach § 17 BetrVG. Nach Absatz 2 der Vorschrift wird der Wahlvorstand in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, unter den dort genannten Voraussetzungen in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser Betriebsversammlung kann nach § 17 Abs. 3 BetrVG ua. eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen und dabei Vorschläge für die Zusammensetzung des Gremiums machen. Im Übrigen gelten für diese Betriebsversammlung die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG, soweit sie nicht das Bestehen eines Betriebsrats voraussetzen (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - Rn. 11, BAGE 132, 293; 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 2 a der Gründe mwN).

22

b) Da es sich um bloße Vorbereitungshandlungen zur Wahl eines Betriebsrats handelt, ist zwar ein „übertriebener Formalismus“ mit Blick auf die Einhaltung der einschlägigen Verfahrensvorschriften fehl am Platz, solange nicht gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl verstoßen wird (BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Unverzichtbare Mindestanforderung ist aber, dass die Wahl in einer Betriebsversammlung erfolgte und das erforderliche Quorum erreicht ist. Jeder für den Wahlvorstand vorgesehene Arbeitnehmer muss mit der Mehrheit der Stimmen der bei der Betriebsversammlung anwesenden Arbeitnehmer gewählt werden; die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt nicht (statt vieler: Fitting BetrVG 27. Aufl. § 17 Rn. 29; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 17 Rn. 25). Ohne die Beachtung dieser Voraussetzungen liegt keine rechtsgültige Wahl vor.

23

c) Danach wurde der Kläger am 10. Februar 2012 nicht zum Mitglied eines Wahlvorstands gewählt. Es ist bereits zweifelhaft, ob die hierüber durchgeführte Abstimmung, nachdem die Versammlung zuvor offenbar „geschlossen“ worden war, „in einer Betriebsversammlung“ erfolgte. Im Ergebnis kann dies offenbleiben. Die Zahl der bei der Abstimmung anwesenden Arbeitnehmer ist nicht ermittelt worden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob tatsächlich eine im Sinne des Gesetzes repräsentative Wahl des Klägers erfolgt ist. Dieser erhielt zwar 33 von etwa 50 abgegebenen Stimmen. Ob aber nicht im Zeitpunkt der Wahl insgesamt mehr als 65 Teilnehmer anwesend waren, so dass der Kläger nicht von deren Mehrheit gewählt worden wäre, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies geht zu Lasten des Klägers. Der Arbeitnehmer, der sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG beruft, hat die dafür erforderlichen Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 31).

24

3. Der Kläger wurde aufgrund seiner am 10. Februar 2012 auf der Versammlung erklärten Bereitschaft, für das Amt des Wahlvorstands zu „kandidieren“, nicht „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG. „Wahlbewerber“ wurde er auch nicht aufgrund des Umstands, dass er seit dem 23. Februar 2012 in einem Antrag nach § 17 Abs. 4 BetrVG für eine gerichtliche Bestellung zum Wahlvorstand vorgeschlagen worden war. Dementsprechend kam für ihn weder ab dem 10. noch ab dem 23. Februar 2012 (nachwirkender) Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG in Betracht.

25

a) Im Schrifttum sind die Meinungen zu dieser Problematik geteilt. Einige Stimmen nehmen an, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands seien - unabhängig vom Weg, auf dem sie in das Amt gelangen sollen - als „Wahlbewerber“ iSd. § 15 Abs. 3 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen(vgl. KR/Etzel 10. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 13; Stein AuR 1975, 201, 202). Die Mehrzahl der Stimmen lehnt ein solches Begriffsverständnis ab (vgl. nur APS/Linck 4. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 2; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 103 Rn. 10; GK/Raab BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 6; HWGNRH/Huke BetrVG 9. Aufl. § 103 Rn. 13; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 15 Rn. 17; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 8; SES/Eylert KSchG § 15 Rn. 22; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 103 Rn. 6; Grau/Schaut BB 2014, 757; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434; Nägele/Nestel BB 2002, 354, 356).

26

b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands sind keine „Wahlbewerber“.

27

aa) Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Ausdruck „Wahlbewerber“ auf Personen, die sich im Rahmen einer Wahl für ein Amt „bewerben“. Mitglieder des Wahlvorstands erlangen ihr Amt dagegen vielfach gerade nicht durch Wahl. Ihre Bestellung durch den Betriebsrat (§ 16 BetrVG), den Gesamt- oder den Konzernbetriebsrat (§ 17 Abs. 1 BetrVG) oder das Gericht (§ 17 Abs. 4 BetrVG) ist weder sprachlich noch inhaltlich vom Begriff „Wahl“ gedeckt. Auch „bewerben“ sich die Kandidaten bei dem jeweiligen Gremium, das zur Bestellung des Wahlvorstands berufen ist, nicht um das Amt. Das zuständige Gremium setzt vielmehr die Personen, die es für geeignet hält, in eigener Verantwortung als Mitglieder des Wahlvorstands ein.

28

bb) Systematische Gesichtspunkte stützen dieses Verständnis.

29

(1) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG sind Wahlbewerber „vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an … bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses“ vor Kündigungen besonders geschützt. Dieser Schutz ist ersichtlich an die Durchführung eines Wahlverfahrens geknüpft; dieses wiederum verlangt für die „Aufstellung“ eines Wahlvorschlags und damit für eine „Bewerbung“ die Einhaltung einer bestimmten Form (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 24). Mit Blick auf die Wahl des Betriebsrats etwa ist erforderlich, dass ein schriftlicher Wahlvorschlag existiert, der den in § 14 Abs. 4 BetrVG und in der Wahlordnung normierten Voraussetzungen genügt, insbesondere die erforderliche Mindestzahl von Stützunterschriften aufweist(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12, 13). Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorausgesetzte Aufstellung eines Wahlvorschlags wird der Begriff des „Wahlbewerbers“ jedenfalls kündigungsschutzrechtlich auf Kandidaten beschränkt, die sich einem formalisierten Wahlverfahren stellen. Auf die Benennung von Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands trifft dies nicht zu. Ein strukturiertes Verfahren, in dessen Rahmen „Wahlvorschläge aufgestellt“ würden, ist selbst für den Weg der Wahl in einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht vorgesehen(BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Schon die zweifelsfreie Feststellung des Beginns des Sonderkündigungsschutzes wäre damit nicht möglich.

30

(2) Es kommt hinzu, dass mit einem Verständnis der Kandidatur für den Wahlvorstand als „Wahlbewerbung“ die Möglichkeit einer Erstreckung des Sonderkündigungsschutzes auf alle Belegschaftsmitglieder verbunden wäre. Soll die Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG erfolgen, könnte jeder Anwesende sich zum Kandidaten erklären oder könnte von anderen Belegschaftsmitgliedern oder der einladenden Gewerkschaft dazu erklärt werden. Soll der Wahlvorstand nach ergebnisloser Betriebsversammlung durch das Gericht bestellt werden, könnten die Antragsteller zahlenmäßig unbegrenzte Bestellungsvorschläge unterbreiten, aus denen das Gericht die zu bestellenden Mitglieder aussuchen möge. Dies vertrüge sich systematisch nicht mit der Regelung in § 15 Abs. 3a KSchG. Danach ist der besondere Schutz für Belegschaftsmitglieder, die zu einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 3 BetrVG einladen oder den Antrag iSv. § 17 Abs. 4 BetrVG stellen, auf die ersten drei in der Einladung bzw. der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer begrenzt.

31

Für - umgekehrt - eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 3a KSchG auf die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wiederum fehlt es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte. Weder sind die „Aktivitäten“ der Initiatoren bzw. Antragsteller und die der (bloßen) Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands vergleichbar, noch macht eine zahlenmäßige Begrenzung auf die „ersten“ drei Kandidaten Sinn - zumal der Wahlvorstand aus mehr als drei Personen bestehen kann.

32

cc) Auch Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes gebieten es nicht, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen.

33

(1) Die Erstreckung des besonderen Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3 KSchG auf Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber dient der Erleichterung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane und der Sicherung der Kontinuität ihrer Arbeit(BT-Drs. VI/1786 S. 59). Das gleiche Ziel verfolgt die entsprechende Regelung in § 103 Abs. 1 BetrVG. Das Zustimmungserfordernis soll verhindern, geschützte Personen faktisch zunächst einmal aus dem Betrieb zu entfernen und durch die Länge eines möglichen Kündigungsschutzverfahrens der Belegschaft zu entfremden (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 53).

34

(2) Diese Zwecke verlangen nicht danach, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ anzusehen.

35

(a) Zwar sind schon im Vorfeld der Betriebsratswahl spezifische Konflikte zwischen betroffenen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber denkbar. Aus diesem Grund sind sowohl die Mitglieder des tatsächlich gewählten oder bestellten Wahlvorstands, die nunmehr die Wahl des Betriebsrats aktiv zu betreiben haben, als auch die Bewerber um das Betriebsratsamt als solches durch § 15 Abs. 3 KSchG besonders geschützt. Ohne diesen Schutz hat der Gesetzgeber das Ziel einer möglichst reibungslosen und erfolgreichen Wahl des Betriebsrats erkennbar als gefährdet angesehen.

36

(b) Dieses Ziel verlangt aber nicht nach dem gleichen Schutz schon für die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands. Aus einer solchen Kandidatur erwachsen typischerweise keine Konfliktlagen, die mit denen aus dem späteren Amt als tatsächlich gewählter/bestellter Wahlvorstand oder aus einer Bewerbung um das Amt des Betriebsrats selbst vergleichbar wären. Zum einen dauert die Kandidatur für den Wahlvorstand in der Regel nur eine kurze Zeitspanne - etwa die Zeit zwischen der Einladung zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG, soweit die Kandidatur darin überhaupt bekanntgegeben wird, und der Durchführung der Versammlung oder die Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 BetrVG. Geht es um die Bestellung der Mitglieder des Wahlvorstands durch ein Betriebsratsgremium lässt sich zudem schon von einer „Kandidatur“ kaum sprechen. Zum anderen tritt der Kandidat für das Amt des Wahlvorstands auch im Rahmen des Wegs über § 17 Abs. 2 BetrVG in der Regel nicht werbend in Erscheinung, um gegenüber Konkurrenten mit bestimmten inhaltlichen Vorschlägen zu überzeugen. Anlässe und Angriffsflächen für Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers sind damit nicht zu erwarten. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Kandidaten für den Wahlvorstand erscheint demnach nicht schon wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rolle als besonders gefährdet. Sind die Kandidaten zugleich die Initiatoren der Wahl iSv. § 15 Abs. 3a KSchG iVm. § 17 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG, sind sie in dieser Rolle durch § 15 Abs. 3a KSchG ohnehin geschützt. Damit ergeben sich aus Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 KSchG keine Gründe, die eine mit dem Wortsinn „Wahlbewerber“ nicht zu vereinbarende und in Widersprüche zur Systematik der Gesamtregelung geratende Auslegung dieses Begriffs dahin rechtfertigen könnten, dass er auch Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands erfasse.

37

(3) Sollte der Arbeitgeber mit der Kündigung eines Arbeitnehmers dennoch das Ziel verfolgen, dessen Wahl oder Bestellung zum Mitglied eines Wahlvorstands zu verhindern, stellte dies eine verbotene Wahlbehinderung dar. Die Kündigung wäre nach § 20 Abs. 1 BetrVG iVm. § 134 BGB nichtig(vgl. auch BAG 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu II 3 a der Gründe). Im Übrigen finden zugunsten der Kandidaten allemal die allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen Anwendung.

38

III. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist gleichwohl unwirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Der Kläger hat mit seinen Äußerungen in dem durch „Streik.TV“ produzierten Video seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, er habe in dem Beitrag bewusst geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen aufgestellt, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der fraglichen Äußerungen und schenkt dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) keine genügende Beachtung. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kommt es nicht an.

39

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 146, 303).

40

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

41

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, seine Vorgesetzten oder Kollegen bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufstellt, insbesondere wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Auch eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung, die geeignet ist, bei Geschäftspartnern des Arbeitgebers Misstrauen in dessen Zuverlässigkeit hervorzurufen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen einmaligen Vorgang handelt (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15; 6. Februar 1997 - 2 AZR 38/96 - zu II 1 e der Gründe).

42

4. Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b aa der Gründe mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

43

5. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a der Gründe). Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 20; 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - BVerfGE 114, 339).

44

6. Danach hat der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten nicht verletzt.

45

a) Sowohl für die Beurteilung, ob es sich bei einer Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, als auch für die Bewertung, ob eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, kommt es entscheidend auf den Sinngehalt der fraglichen Erklärung an(vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a cc der Gründe). Dessen Ermittlung hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte Betrachtung nur eines Teils der Äußerung wird diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe).

46

b) Um der Meinungsfreiheit gerecht zu werden, dürfen Gerichte einer Äußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Bei Mehrdeutigkeit dürfen Äußerungen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (bspw. BVerfG 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - Rn. 33, BVerfGE 114, 339; 25. März 1992 - 1 BvR 514/90 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 86, 1).

47

c) Die Einhaltung dieser Grundsätze kann das Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15 mwN, BAGE 138, 312). Ihnen genügt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Sinnermittlung nicht.

48

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit seiner Erklärung, bei der Beklagten seien „keine Fachkräfte vorhanden“, zum Ausdruck gebracht, diese beschäftige keine Arbeitnehmer, die innerhalb ihres erlernten Berufs über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Damit habe er dem Großteil der bei der Beklagten tätigen Arbeitnehmer, die in Wirklichkeit sehr wohl über eine einschlägige Facharbeiterausbildung zB als Schlosser, Elektriker oder im Bereich Verpackungsmittelmechanik verfügten, die Kompetenz abgesprochen, eine ausbildungsadäquate Tätigkeit zu verrichten. Er habe insoweit eine objektiv unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

49

bb) Diese Auslegung wird dem Sinn der Äußerung schon deshalb nicht gerecht, weil sie mit der beanstandeten Passage nur einen Teil in den Blick nimmt und sich außerdem allein am allgemeinen Verständnis des Begriffs „Fachkraft“ orientiert. Eine Fachkraft ist danach eine Person, die innerhalb ihres Berufs oder ihres Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (Duden Deutsches Universalwörterbuch 7. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.). Auf diese Weise lässt das Landesarbeitsgericht - wie der Kläger zu Recht rügt - den gedanklichen Zusammenhang, in den die Äußerung gestellt ist, außer Betracht und berücksichtigt nicht hinreichend ihren äußeren Bezugsrahmen.

50

(1) Der Kläger bezieht sich in erster Linie auf „Probleme“ mit Arbeitszeiten, Urlaubszeiten und Pausenzeiten. Er spricht damit Sachverhalte an, die - je nach den konkreten Umständen - einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 BetrVG unterliegen können. Anschließend bemängelt er ein unzureichendes Vertrauen in die Mitarbeiter und den Umstand, dass „viele Sicherheitsvorkehrungen“ an „einzelnen Maschinen“ fehlten. Daran schließt sich der Hinweis, es seien „keine Fachkräfte vorhanden“ unmittelbar an. Noch im selben Satz äußert der Kläger sodann, er möge „fast“ behaupten, dass keine Maschine zu „100 Prozent ausgerüstet“ sei. Diese enge textliche und sachliche Verknüpfung mit den angesprochenen Sicherheitsaspekten legt es unmittelbar nahe anzunehmen, der Kläger habe nicht auf das Fehlen von Fachkräften im Allgemeinen, sondern auf Defizite in Sachen Arbeitssicherheit hinweisen wollen.

51

(2) Für ein solches Verständnis spricht ferner der situative Kontext der Aussage. Das fragliche Video wurde aus Anlass der Ereignisse vom 10. Februar 2012 erstellt. Vor der beanstandeten Äußerung berichtet ein „Hintergrundsprecher“ von der auf einen Mitarbeiterwunsch zurückgehenden Einladung der Gewerkschaft ver.di zu einer Betriebsversammlung bei der Beklagten, in der ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl habe gewählt werden sollen. Im Anschluss an die Erklärung des Klägers äußert der Hintergrundsprecher weiter: „Die Betriebsversammlung lief alles andere als gut. Zu einer Wahl kam es nicht“. Eingebettet in diesen Sachzusammenhang waren die Äußerungen des Klägers in ihrer Gesamtheit erkennbar darauf angelegt, für die Wahl eines Betriebsrats zu „werben“. An keiner Stelle des Interviews wird deutlich, dass der Kläger der Beklagten hätte absprechen wollen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und in der Lage sind, in ihrem Beruf erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse adäquat anzuwenden. Gegenstand seiner Stellungnahme waren vielmehr „Probleme“, derer sich ein Betriebsrat würde annehmen können.

52

Der von der Beklagten als geschäftsschädigend angesehene Eindruck, sie setze bei der Herstellung ihrer Produkte durchweg kein ausgebildetes Fachpersonal ein, konnte bei einem Zuschauer nicht wirklich entstehen. Insbesondere mussten ihre (potentiellen) Kunden oder an einer Beschäftigung bei ihr interessierte Arbeitnehmer aufgrund der Äußerungen des Klägers nicht annehmen, die von der Beklagten hergestellten Waren seien minderwertig oder erfüllten nicht die Qualitätserwartungen. Ein verständiger Betrachter des Videos konnte allenfalls den Eindruck gewinnen, bei der Beklagten sei aus Sicht des Klägers eine gefahrlose Bedienung der Maschinen mangels hierfür spezifisch aus- oder weitergebildeter Kräfte nicht ausnahmslos gewährleistet.

53

Angesichts dessen bleibt für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung kein Raum. Selbst wenn es sich aber um eine nicht gänzlich auszuschließende Deutungsvariante handeln würde, müsste der hier dargelegten und zumindest ebenso naheliegenden Auslegung zum Schutz der Meinungsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden.

54

cc) Ist die Äußerung des Klägers als Hinweis auf das Fehlen von „Fachkräften“ in Bezug auf die Arbeitssicherheit zu verstehen, kann sie - selbst bei isolierter Betrachtung - nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft werden. Der Kläger beschreibt nicht das Fehlen einer wirklichen Qualifikation, deren (Nicht-)Vorhandensein ggf. einem Wahrheitsbeweis zugänglich wäre. Er äußert sich vielmehr pauschal über eine seiner Einschätzung nach unzureichend gewährleistete Sicherheit bei der Bedienung der im Betrieb eingesetzten Maschinen. Dafür macht er Defizite sowohl im technischen als auch im personellen Bereich verantwortlich.

55

dd) Selbst wenn die Äußerung des Klägers auch tatsächliche Behauptungen implizieren würde, so hat sie doch zumindest teilweise wertenden Charakter. Eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung wiederum ist nur zulässig, wenn dadurch deren Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies der Fall wäre, muss die Erklärung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; 19. Dezember 1990 - 1 BvR 389/90 - zu B I der Gründe; jeweils mwN). So liegt es hier. Schon die einleitenden Worte des Klägers: „Wir haben Probleme …“ bringen den Charakter der nachfolgenden Äußerungen als subjektive Wertung klar zum Ausdruck. Dem gesamten Kontext nach ist sein Beitrag davon geprägt, aus Arbeitnehmersicht die Bedeutung der Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung hervorzuheben. Die fraglichen Äußerungen unterfallen damit insgesamt - unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung - dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.

56

d) Die im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien ergibt, dass die Meinungsfreiheit des Klägers nicht hinter die Belange der Beklagten zurückzutreten hat. Das vermag der Senat selbst zu beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der für die erforderliche (Grundrechte-)Abwägung maßgebliche Sachverhalt ist durch das Landesarbeitsgericht festgestellt. Weitergehender Sachvortrag steht insoweit nicht zu erwarten.

57

aa) Der Kläger hat keine Behauptungen aufgestellt, die geeignet wären, Repräsentanten der Beklagten oder ihre Mitarbeiter in ihrer Ehre zu verletzen. Dafür fehlt es am erforderlichen Personenbezug.

58

bb) Als Meinungsäußerungen, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, werden die von der Beklagten angegriffenen Aussagen nicht vom Tatbestand der Kreditgefährdung(§ 824 BGB) erfasst.

59

cc) Die Äußerungen verletzen die Beklagte auch nicht in ihrem allgemeinen „Persönlichkeitsrecht“ als Unternehmen. Zwar steht das Recht der persönlichen Ehre und auf Achtung ihres öffentlichen Ansehens auch juristischen Personen zu (vgl. BGH 22. September 2009 - VI ZR 19/08 - Rn. 10 mwN). Eine dieses Recht regelmäßig verletzende Schmähkritik (vgl. dazu BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - BVerfGE 93, 266; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36 mwN) liegt hier aber nicht vor. Die beanstandete Aussage ist nicht auf eine Diffamierung der Beklagten angelegt. Sie hat erkennbar einen sachlichen Bezug.

60

dd) Der Kläger hat seine Vertragspflichten nicht aufgrund des Umstands verletzt, dass das Interview nicht nur einem begrenzten Empfängerkreis zugänglich war.

61

(1) Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge wurde das fragliche Video auf der Seite „Streik.TV“ in das Internet gestellt. Der Zugriff auf die Plattform unterlag keinen personellen Beschränkungen, sondern war jedem Internetnutzer möglich. Der Kläger hat nicht behauptet, ihm sei der Verwendungszweck des Videos unbekannt gewesen. Für die rechtliche Beurteilung kommt es deshalb nicht darauf an, ob er selbst den Beitrag bei „YouTube“ eingestellt hat oder ob dies durch Dritte erfolgt ist. Ebenso wenig ist von Belang, ob er zusätzlich eine gewisse Öffentlichkeit durch dessen Verbreitung über „Facebook“ hergestellt hat (zur Problematik vgl. Bauer/Günther NZA 2013, 67, 68).

62

(2) Dieser Verbreitungsgrad reicht unter den gegebenen Umständen nicht aus, um einen Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB zu begründen.

63

(a) Allerdings sind Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, innerbetriebliche Kommunikationswege zu nutzen, bevor sie mögliche Missstände im Betrieb nach Außen tragen (vgl. Hinrichs/Hörtz NJW 2013, 648, 651; Wiese NZA 2012, 1, 4; zu den Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Anzeigen gegen den Arbeitgeber vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 37; 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18; vgl. ferner EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 62 ff.). Der Arbeitnehmer kann Beschwerden direkt beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat erheben (§ 85 BetrVG). Das Recht der freien Meinungsäußerung endet aber nicht an der Betriebsgrenze (ErfK/Schmidt 14. Aufl. Art. 5 GG Rn. 37). Es kann Fälle geben, in denen eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder ein entsprechender Versuch dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist (BAG 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b dd (2) der Gründe, BAGE 107, 36). Im Übrigen ist die Wahl des Mediums zur Kundgabe einer Meinungsäußerung lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten bei Abwägung der gegenläufigen Interessen (so zu Recht Wiese NZA 2012, 1, 8).

64

(b) Die Interessen der Beklagten werden durch die beanstandete Aussage lediglich in geringem Maße tangiert. Ein verständiger Betrachter konnte sie, wie dargelegt, nicht ernsthaft dahin verstehen, der Kläger wolle behaupten, die Beklagte setze bei der Produktion kein Fachpersonal ein. Die geäußerte Kritik am Fehlen von „Fachkräften“ für die sichere Bedienung der Maschinen enthielt zudem keine näheren Angaben. Mit ihr war deshalb keine massive Geschäftsschädigung verbunden. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Betriebsfriedens. Die beanstandete Aussage steht überdies im thematischen Zusammenhang mit dem Verlauf der Betriebsversammlung vom 10. Februar 2012. Der Video-Beitrag diente der Aufbereitung des gescheiterten Wahlvorgangs. Mit Blick auf die Intention des Klägers, die Bedeutung der Wahl eines Betriebsrats aufzuzeigen, kam es nicht infrage, vorab in Gespräche mit der Beklagten einzutreten.

65

Es kommt hinzu, dass die Äußerungen des Klägers zwar einem unbegrenzten Teilnehmerkreis zugänglich, aber nicht auf eine größtmögliche Verbreitung angelegt waren. Das Video wurde auf einer Internet-Platform eingestellt, die sich gewerkschaftlicher Themen annimmt und bei der zu erwarten stand, dass sie lediglich von einem daran interessierten Publikum aufgerufen würde. Auch die Beklagte ist nach ihrem Vorbringen nur zufällig auf das Interview gestoßen. Unter diesen Umständen hat ihr Interesse, in der Öffentlichkeit nicht mit vermeintlichen Defiziten bei der Einhaltung von Sicherheitsstandards in Verbindung gebracht zu werden, hinter das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

66

IV. Hinsichtlich der Klage gegen die ordentlichen Kündigungen vom 17. Februar und 15. März 2012 ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. In diesem Umfang war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

67

1. Das Recht der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, unterlag im jeweiligen Kündigungszeitpunkt keinen Beschränkungen aus § 15 Abs. 3, Abs. 3a KSchG. Der Kläger genoss, wie gezeigt, nach den dortigen Bestimmungen keinen (nachwirkenden) besonderen Kündigungsschutz.

68

2. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob die Kündigung vom 17. Februar 2012 iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist oder nicht. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - nicht geprüft, ob die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und hat dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben. Die Beklagte macht geltend, der Kläger sei am 16. Februar 2012 trotz einschlägiger vorheriger Abmahnungen verspätet zur Arbeit erschienen. Darin kann, falls sich der Vorwurf bestätigt, ein Grund für eine ordentliche Kündigung liegen (vgl. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 -; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - BAGE 99, 340). Sollte es auf das Vorbringen des Klägers ankommen, er habe den Arbeitsplatz witterungsbedingt nicht rechtzeitig erreichen können, wird ihm Gelegenheit zu geben sein, diesen Vortrag zu substantiieren. Bisher ist nicht konkret dargetan, welche Hindernisse vorlagen und weshalb er deshalb seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte (vgl. dazu BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 -).

69

3. Ist über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung vom 15. März 2012 zu entscheiden, wird das Landesarbeitsgericht von deren Unwirksamkeit ausgehen können. Der Kläger hat, wie ausgeführt, durch seine Äußerungen in dem bei „Streik.TV“ eingestellten Video seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Damit ist kein Grund ersichtlich, der geeignet wäre, die ordentliche Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Perreng    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2011 - 11 Sa 758/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war seit September 2002 bei dem beklagten Land als Lehrer beschäftigt. Er erhielt ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 3.740,00 Euro.

3

Im Jahr 2003 wurde er mit Strafbefehl wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Das beklagte Land erteilte ihm eine Abmahnung. Diese wurde im Februar 2007 gemäß der sog. Tilgungsverordnung aus der Personalakte entfernt.

4

Am 29. August 2008 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kläger wegen Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren. Nachdem das beklagte Land Kenntnis von der Anklageschrift erhalten hatte, suspendierte es den Kläger vom Dienst und gab ihm Gelegenheit zur Äußerung. Dieser ließ sich dahin ein, das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Sachverständigengutachten zur Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin - eines achtjährigen Mädchens - sei unzureichend, nach Einholung eines weiteren Gutachtens könne nicht mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gerechnet werden.

5

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis am 17. September 2008 außerordentlich fristlos. Zur Begründung wies es darauf hin, dass das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen aufgrund der dem Kläger vorgeworfenen Straftaten zerstört sei.

6

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung habe zu keiner Zeit vorgelegen. Die Zeugin sei nicht glaubwürdig.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn über den 17. September 2008 hinaus zu unveränderten Bedingungen auf demselben Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.

8

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, es habe sich auf die strafrechtliche Wertung der Staatsanwaltschaft verlassen dürfen. Da diese von einem hinreichenden Tatverdacht iSv. § 170 StPO ausgehe, sei zugleich auch ein ausreichend erhärteter Verdacht gegeben, der eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertige. Durch den Verdacht, der Kläger habe sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen, sei sein Vertrauen in diesen nachhaltig zerstört. Ggf. sei die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche umzudeuten und zumindest als solche wirksam.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Einvernehmen mit den Parteien bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Nachdem die Jugendschutzkammer des Landgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Einholung eines weiteren Gutachtens mangels Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin abgelehnt hatte, hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

11

I. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des beklagten Landes vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden.

12

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

13

a) Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9).

14

b) Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (vgl. BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5).

15

c) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9). Deshalb besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf auf seine strafrechtliche Relevanz hin geprüft wird (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - aaO).

16

d) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen, allenfalls verstärken (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, BAGE 137, 54; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Sie können im Übrigen bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - aaO). Allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche kann die Verdachtskündigung deshalb nicht gestützt werden. Ebenso wie bei der Kündigung wegen einer aus Sicht des Arbeitgebers erwiesenen Tat, bei der eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht ausreicht, die Kündigung zu rechtfertigen, sind die Gerichte für Arbeitssachen auch bei der Verdachtskündigung gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess im Rahmen des Parteivorbringens selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 26; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12). Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, selbst wenn sie von Gesetzes wegen einen dringenden Tatverdacht voraussetzen sollten, sind nicht geeignet, Tatsachenvortrag der Parteien des Zivilprozesses zu ersetzen. Der wegen eines dringenden Tatverdachts kündigende Arbeitgeber hat im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen vielmehr bestimmte Tatsachen darzulegen, die unmittelbar als solche den Schluss zulassen, der Arbeitnehmer sei eines bestimmten, die Kündigung rechtfertigenden Verhaltens dringend verdächtig. Zu diesem Zweck ist es ihm zwar unbenommen, sich Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden zu eigen zu machen und sie im Arbeitsgerichtsprozess - zumindest durch Bezugnahme - als eigene Behauptungen vorzutragen. Es genügt aber nicht, anstelle von unmittelbar verdachtsbegründenden Tatsachen lediglich den Umstand vorzutragen, auch die Strafverfolgungsbehörden gingen von einem Tatverdacht aus. Weder vermag sich der Prozessgegner darauf sachgerecht einzulassen noch vermögen auf dieser Grundlage die Gerichte für Arbeitssachen das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit der ausgesprochenen (Verdachts-)Kündigung selbstständig zu beurteilen. Auch brächte sich der Arbeitgeber auf diese Weise selbst um die Möglichkeit, den Arbeitnehmer durch substantiierten Tatsachenvortrag gem. § 138 Abs. 2 ZPO zur substantiierten Erwiderung zu veranlassen und ggf. aus den Regelungen in § 138 Abs. 3, Abs. 4 ZPO prozessualen Nutzen zu ziehen.

17

2. Danach fehlt es im Streitfall an den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB. Das beklagte Land hat keine verdachtsbegründenden konkreten Tatsachen dargelegt.

18

a) Das beklagte Land geht allerdings zu Recht davon aus, dass ein Verhalten, wie es dem Kläger im Rahmen der Anklage zur Last gelegt wurde, auch als außerdienstliches Verhalten „an sich“ ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Lehrers sein kann. Aus ihm ergeben sich begründete Zweifel an der Eignung für die arbeitsvertraglich geschuldete pädagogische Tätigkeit, die geeignet sein können, eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen (so auch SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 643 u. 697; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 85; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 80b).

19

b) Das beklagte Land hat jedoch seine Annahme, der Kläger sei der ihm seitens der Staatsanwaltschaft vorgeworfenen Tat dringend verdächtig, allein mit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und der dieser zugrunde liegenden Beurteilung begründet. Es hat - über die Tatsache der Anklageerhebung hinaus - keinerlei Umstände vorgetragen, welche einen dringenden Tatverdacht rechtfertigen könnten. Es hat sich den von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt auf Befragen des Senats ausdrücklich nicht zu eigen gemacht. Damit fehlt es an substantiiertem Sachvortrag, der eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die Gerichte für Arbeitssachen nach Maßgabe zivilprozessualer Grundsätze ermöglichen würde.

20

3. Die Kündigung ist auch als ordentliche Kündigung nicht wirksam. Sie ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

21

a) Allerdings kann eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn das dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23). Bei feststehendem Sachverhalt kann dies auch noch in der Revisionsinstanz erfolgen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 39 ff., AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31). Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Der Inhalt des Kündigungsschreibens ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des beklagten Landes erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es diesem darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen. Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, das beklagte Land habe mit der Kündigung ausschließlich die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die damit der von ihm in der Revisionsinstanz ausdrücklich begehrten Umdeutung entgegenstünden, hat der Kläger nicht aufgezeigt (vgl. dazu BAG 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

22

b) Auch mit Blick auf die ordentliche Kündigung fehlt es jedoch an Sachvortrag des beklagten Landes, der es erlauben würde, das Vorliegen eines dringenden Verdachts kündigungsrelevanten Verhaltens des Klägers selbstständig zu beurteilen.

23

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn zutreffend dahingehend verstanden, dass er auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet ist. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

24

III. Die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO das beklagte Land zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 2010 - 8 Sa 249/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.

2

Der 1953 geborene Kläger war seit Januar 2002 bei der Beklagten - einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in F - als Ingenieur beschäftigt. Seine Tätigkeit verrichtete er in einer nach M ausgelagerten „Fachstelle/Bau“ der Abteilung „Zentrales Baumanagement“. In seine Zuständigkeit fiel die Abwicklung von Bau- und sonstigen Sanierungsvorhaben im Bereich der M Außenstelle der Beklagten und an ihren Liegenschaften in B und R.

3

Der Kläger betreute ua. das Projekt „Erneuerung der Brandschutzklappen des Dienstgebäudes B“. Um den Auftrag bewarb sich die A GmbH (im Folgenden: GmbH), die schon zuvor in dem Dienstgebäude mit regelmäßigen Wartungsarbeiten betraut war. Anfang März 2008 gab sie ein erstes Angebot und unter dem 11. März 2008 ein zweites, inhaltlich erweitertes Angebot mit einer Angebotssumme von 122.652,68 Euro ab.

4

Ein von der Beklagten beauftragtes Ingenieurbüro befürwortete im Hinblick auf das zweite Angebot die Vergabe des Auftrags an die GmbH, allerdings mit der Einschränkung, dass bestimmte Positionen wegen zu hoher Zeitansätze bzw. Einheitspreise nachzuverhandeln seien. Die Unterlagen reichte der Kläger an das Servicezentrum der Beklagten in F weiter. Nachdem von dort die Höhe des Angebots beanstandet worden war, reduzierte die GmbH nach Verhandlungen mit dem Kläger das zweite Angebot um einen Betrag von 10.499,75 Euro. Auf Vorschlag des Klägers und nach Gegenzeichnung durch seinen Vorgesetzten sowie weiteren Genehmigungen über mehrere Hierarchieebenen wurde der GmbH im Wege einer freihändigen Vergabe der Zuschlag erteilt.

5

Aufgrund einer Selbstanzeige des Geschäftsführers der GmbH leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung und Bestechlichkeit ein. Am 4. Februar 2009 wurden die Privatwohnung des Klägers und die Geschäftsräume der M Außenstelle der Beklagten durchsucht. Der Beklagten wurde der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 21. November 2008 eröffnet, der eine detaillierte Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts enthält. Insbesondere ist dort der Inhalt mehrerer Gespräche wiedergegeben, die zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer geführt worden sein sollen. Bei der Beklagten wurden Geschäftsunterlagen betreffend die Projekte „Erneuerung der Brandschutzklappen“ und „Umbau Zu- und Abluftanlage“ beschlagnahmt, darunter Unterlagen von Firmen, die hierauf bezogen Angebote abgegeben hatten. Ein dem Kläger am Folgetag eröffneter Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

6

Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 stellte die Beklagte den Kläger von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Zugleich teilte sie mit, er sei verdächtig, am 15. Februar 2008 vom Geschäftsführer der GmbH eine Gegenleistung in Höhe von 10 vH des Auftragswerts dafür gefordert zu haben, dass er sich in besonderer Weise für eine Beauftragung der GmbH durch die Beklagte einsetzen würde. Außerdem stehe er im Verdacht, im August 2008 das Angebot des Geschäftsführers der GmbH angenommen zu haben, ihm ohne finanzielle Gegenleistung eine Ferienwohnung am Gardasee für eine Woche zur Verfügung zu stellen. Um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern, lud sie ihn zu einem Gespräch am Montag, dem 9. Februar 2009, in ihre F Zentrale ein.

7

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2009 sagte der Kläger seine Teilnahme an dem Gespräch ab. Er berief sich mit Blick auf das laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf sein Schweigerecht. Gleichwohl sei er bereit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wozu er einen Fragenkatalog erbitte. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Kopie des Durchsuchungsbeschlusses vom 21. November 2008 mit, es stehe ihm frei, sich schriftlich zu den in dem Beschluss angeführten Verdachtstatsachen zu äußern. Sie erwarte den Eingang einer Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am 9. Februar 2009. Einen Fragenkatalog werde sie nicht erstellen.

8

Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 erklärte der Kläger, ihm sei noch keine Akteneinsicht gewährt worden. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wies er pauschal als unzutreffend zurück. Weder bei seinem ersten Zusammentreffen noch zu einem späteren Zeitpunkt habe er den mitbeschuldigten Geschäftsführer zu Zahlungen im Zusammenhang mit einer möglichen Beauftragung aufgefordert. Er habe auch keine finanziellen Zuwendungen oder einen geldwerten Vorteil sonstiger Art erhalten. Hinsichtlich der Ferienwohnung am Gardasee sei anzumerken, dass er gemeinsam mit seiner Ehefrau bereits Monate zuvor einen Hotelurlaub an der Adria gebucht und gezahlt habe, wie aus einer beigefügten Buchungsbestätigung hervorgehe.

9

Nach Beteiligung des Gesamtpersonalrats kündigte die Beklage das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12. Februar 2009 außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 26. Februar 2009 erklärte sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009. Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung lägen nicht vor. Die Beklagte habe sich nicht auf eine Aussage des Geschäftsführers im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren stützen dürfen, sondern habe eigene Nachforschungen anstellen müssen. Der Geschäftsführer sei nicht glaubwürdig. Diesem sei Straffreiheit zugesichert worden. Auch habe er wohl angesichts der knappen Kalkulation der Aufträge seinen Betrieb gefährdet gesehen und ihn - den Kläger - aus dem Weg räumen wollen. Er selbst habe keinen bestimmenden Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen durch die Beklagte gehabt. Sollte je ein dringender Tatverdacht bestanden haben sei dieser mit der am 3. März 2010 - unstreitig - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls entfallen. Die Erhebung der öffentlichen Klage vom 8. April 2010 und die anschließende Eröffnung des Hauptverfahrens ließen keine andere Bewertung zu. Diese Entscheidungen erforderten nur ein geringeres Maß an Tatverdacht. Eine im Verlauf des Rechtsstreits von der Beklagten veranlasste Innenrevision habe keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Die Beklagte habe ihn vor der Kündigung nicht ausreichend angehört. Die Äußerungsfrist sei zu kurz gewesen und habe ihm keine substantiierte Stellungnahme ermöglicht. Mangels konkreter Vorgaben habe er nicht erkennen können, zu welchen Sachverhalten und/oder Tatsachen er sich habe äußern sollen. Die Beklagte habe es versäumt, auf ihre Kündigungsabsicht hinzuweisen.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist und weiter fortbesteht.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege vor, zumindest sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei einer Bestechlichkeit und der versuchten Erpressung verdächtig. Grundlage hierfür seien die im Durchsuchungsbeschluss festgehaltenen Ermittlungsergebnisse. Soweit diese auf Aussagen des Geschäftsführers der GmbH beruhten, habe sie keinen Anlass gehabt, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Auch die Strafverfolgungsbehörden hätten offenkundig einen dringenden Tatverdacht angenommen, da ein Haftbefehl nur unter dieser Voraussetzung habe erlassen werden dürfen. Deren Erkenntnisse und Bewertungen mache sie sich zu eigen. Der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhalts nicht nach Kräften mitgewirkt. Weitere Ermittlungen habe sie weder anstellen müssen, noch sei sie dazu nach Beschlagnahme ihrer Geschäftsunterlagen in der Lage gewesen. Soweit der Kläger wegen der Ferienwohnung am Gardasee darauf verwiesen habe, vom 6. bis 13. September 2008 andernorts in Italien eine Unterkunft gebucht zu haben, sei dies angesichts des bis zum 26. September 2008 bewilligten Urlaubs nicht geeignet, den Vorwurf der Bestechlichkeit zu entkräften. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Kläger die Unterkunft tatsächlich genutzt habe. Entscheidend sei, dass er sich den Vorteil habe versprechen lassen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 12. Februar 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Damit bleibt auch die Klage gegen die ordentliche Kündigung erfolglos.

15

I. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

16

1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155).

17

2. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - Rn. 28, aaO). Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/10 - aaO; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - aaO).

18

3. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30, BAGE 134, 349). Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, aaO).

19

II. Danach liegt „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

20

1. Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegen nimmt, verletzt zugleich - unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB oder - als Beschäftigter im öffentlichen Dienst - wegen Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB - seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen(§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr allgemein die Gefahr, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. Der wichtige Grund liegt in der zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, bei der Erfüllung von arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben unberechtigte eigene Vorteile wahrzunehmen. Durch sein Verhalten zerstört der Arbeitnehmer regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B III 2 a der Gründe, EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7). Auch der dringende Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 b der Gründe, aaO).

21

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im Kündigungszeitpunkt einer in diesem Sinne schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22

a) Die Beklagte hat sich für den Verdacht auf den im Durchsuchungsbeschluss vom 21. November 2008 wiedergegebenen Sachverhalt berufen. Danach soll der Kläger - zusammengefasst - den Geschäftsführer der GmbH Mitte Februar 2008 aufgefordert haben, ihm eine Gegenleistung iHv. 10 vH des Werts des Auftrags betreffend die Brandschutzklappensanierung dafür zu gewähren, dass er sich in besonderer Weise für die Vergabe von Aufträgen an die GmbH einsetze. Nachdem der Geschäftsführer ihm in einem Telefonat vom 10. März 2008 mitgeteilt habe, er werde den geforderten Betrag nicht zahlen, soll der Kläger ihn gefragt haben, ob er sich diese Weigerung auch gut überlegt habe; diese Haltung könne Konsequenzen nach sich ziehen. Die Äußerungen soll der Kläger am 5. August 2008 anlässlich einer Besprechung in der Räumlichkeiten der Bu sinngemäß wiederholt und nachfolgend das Angebot des Geschäftsführers, ihm eine Ferienwohnung am Gardasee zur Verfügung zu stellen, angenommen haben.

23

b) Mit der Bezugnahme auf diese Sachverhaltsdarstellung hat die Beklagte hinreichend objektive Tatsachen aufgezeigt, die den Verdacht begründen, der Kläger habe sich in Bezug auf seine Berufstätigkeit Geld bzw. geldwerte Vorteile von einem Vertragspartner der Beklagten versprechen lassen und diesen zu dem Versprechen durch das Inaussichtstellen eines möglichen Auftragsverlusts genötigt. Die Beklagte beruft sich dazu nicht auf bloße Mutmaßungen oder Spekulationen, sondern auf einen greifbaren, durch die Strafverfolgungsbehörden ermittelten und in dem Durchsuchungsbeschluss über mehrere Seiten hinweg hinsichtlich Tatzeit und Tatgeschehen detailliert beschriebenen Sachverhalt. Dass dieser Sachverhalt im Wesentlichen auf den Angaben des im Ermittlungsverfahren mitbeschuldigten Geschäftsführers der GmbH über den Inhalt mit dem Kläger geführter Vieraugengespräche beruht und mit dessen Aussage „steht und fällt“, steht dem Umstand, dass es sich dabei um objektive Verdachtstatsachen handelt, nicht entgegen. Die Beklagte hatte keinen durchgreifenden Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschäftsführers in Zweifel zu ziehen. Auch wenn diesem - wie der Kläger im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits behauptet hat - Straffreiheit zugesagt worden sein sollte, ist nicht erkennbar - und ist es fernliegend -, dass sich diese Zusage auch auf den Straftatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) bezöge. Möglichen Unsicherheiten in Bezug auf die Beweisführung hat die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie die Kündigung auf den Verdacht und nicht auf die Erwiesenheit einer Tat stützt.

24

c) Demgegenüber bringt der Kläger lediglich vor, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von der Dringlichkeit des Verdachts ausgegangen. Insbesondere habe es verkannt, dass sich die Beklagte hierfür nicht auf den gegen ihn erlassenen Haftbefehl habe berufen dürfen. Damit hat der Kläger die den Verdacht begründenden Tatsachen nicht entkräftet.

25

aa) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Derartige Umstände können nicht nur bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, aaO). Sie können auch den Kündigungsgrund selbst unterstützen, sofern es um Handlungen oder Anordnungen der Ermittlungsbehörden geht, die ihrerseits einen dringenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 38, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Das trifft auf den in Rede stehenden Haftbefehl grundsätzlich zu. Nach § 112 Abs. 1 iVm. § 114 StPO darf Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nur angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und - kumulativ - ein Haftgrund besteht. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft der materiellen Wahrheit verpflichtet ist und deshalb nach § 160 Abs. 2 StPO auch den Beschuldigten entlastende Umstände zu ermitteln und bei ihrem Vorgehen zu berücksichtigen hat(Löwe/Rosenberg/Erb StPO § 160 Rn. 47 mwN). Gleiches gilt für den Ermittlungsrichter, der über die Anordnung von Untersuchungshaft entscheidet.

26

bb) Allerdings wird die Verdachtskündigung nicht allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche gestützt werden können. Bei der Kündigung wegen erwiesener Tat reicht eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht aus, die Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12; 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - zu B II 4 und III 3 b, dd der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Für die Verdachtskündigung wird nichts anderes gelten können. Dies hat zur Folge, dass Handlungen oder Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden allenfalls indizielle Bedeutung für die vom Gericht vorzunehmende Bewertung erlangen können, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen des entsprechenden Verdachts gerechtfertigt ist. Die behördlichen Maßnahmen bilden dagegen für sich genommen keinen Kündigungsgrund und sind nicht geeignet, eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die mit der Sache befassten Gerichte zu ersetzen. Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Beklagte habe im Kündigungszeitpunkt davon ausgehen dürfen, der Kläger sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, nicht mit dem Haftbefehl als solchem begründet. Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe sich auf der Grundlage bekannter Verdachtstatsachen die Einschätzung der Ermittlungsbehörden zur Dringlichkeit des Verdachts zu eigen gemacht.

28

(2) Daran anknüpfend hat es weiter geprüft, ob sich der Verdacht aufgrund des Parteivorbringens im vorliegenden Verfahren als weniger intensiv darstellt. Seine Auffassung, dies sei nicht der Fall, hat es im Wesentlichen damit begründet, Manipulationen bei der Preisgestaltung seien den Umständen nach nicht auszuschließen. Das gelte auch dann, wenn das zweite Angebot der GmbH vom 11. März 2008 - wie vom Kläger behauptet - auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses des hinzugezogenen Ingenieurbüros erfolgt sei. Dieser Umstand entlaste den Kläger nicht, weil schon der Umfang der auf 38 Seiten zusammengestellten Angebotspositionen die Chance erhöhe, dass unbemerkt einzelne preisrelevante Posten höher als erforderlich kalkuliert würden. Außerdem sei eine mögliche Preismanipulation durch die später, allerdings erst auf Initiative des Servicezentrums der Beklagten tatsächlich erreichte deutliche Reduzierung des Angebotspreises indiziert.

29

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 1. Oktober 1997 - 5 AZR 685/96 - BAGE 86, 347 mwN). Einen derartigen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf.

30

(b) Die Wertung des Landesarbeitsgerichts ist grundsätzlich möglich. Das gilt umso mehr, als der Kläger keinen Grund dafür benannt hat, warum er als zuständiger Sachbearbeiter das Angebot an das Servicezentrum der Beklagten in F weitergeleitet hat, ohne auf die vom Ingenieurbüro beanstandeten Punkte einzugehen. Selbst wenn er sich damit im Rahmen bestehender Richtlinien bewegt haben sollte, fügt sich sein Vorgehen immerhin in das „Bild“ der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe in Erwägung ziehen müssen, dass vereinzelt falsche Mengen zu dem überhöhten Angebotspreis vom 11. März 2008 geführt hätten, ist unbegründet. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils hat das Ingenieurbüro eine Nachverhandlung des betreffenden Angebots wegen zu hoher Zeitansätze und Einheitspreise vorgeschlagen. Daran knüpfen die Ausführungen des Gerichts an. Das Landesarbeitsgericht hat dabei nicht den Vortrag des Klägers übergangen, er habe auf die Auftragsvergabe keinen bestimmenden Einfluss nehmen können. Es hat das Vorbringen im Tatbestand seines Urteils erwähnt und im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen (unter II 1.2.1.2 der Entscheidungsgründe) gewürdigt. Dass es darin keinen Umstand erblickt hat, der die Intensität des Verdachts hätte vermindern können, begründet keinen Rechtsfehler im aufgezeigten Sinne. Im Übrigen schließt das Fehlen einer Möglichkeit zur internen Einflussnahme nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer nach außen einer solchen berühmt. Soweit der Kläger gemeint hat, die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts seien „lebensfremd“, setzt er seine eigene Bewertung der Abläufe an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts. Das macht dessen Würdigung nicht rechtsfehlerhaft.

31

d) Die Beklagte hat ihre Verpflichtung nicht verletzt, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere hat sie den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört.

32

aa) Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Bei dieser besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 14 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6).

33

bb) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen (BAG 28. November 2007 - 5 AZR 952/06 - Rn. 19, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 b bb der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO).

34

cc) Diesen Anforderungen wird die Anhörung des Klägers gerecht. Die Beklagte hat ihm die konkreten Vorwürfe bekannt gemacht und hinreichend Zeit für eine Stellungnahme eingeräumt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf eine bestehende Kündigungsabsicht bedurfte es nicht.

35

(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 5. und 6. Februar 2009 mit dem gegen ihn gehegten Verdacht konfrontiert. Aufgrund der Mitteilungen im ersten Schreiben wusste der Kläger, dass es im Kern um zwei Sachverhalte geht. Die Darstellung der Vorwürfe war ausreichend. Der Kläger konnte angesichts des dem Schreiben vom 6. Februar 2009 beigefügten Durchsuchungsbeschlusses und der dort enthaltenen ausführlichen Darstellung des maßgebenden Sachverhalts in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht im Unklaren sein, über welchen Kenntnisstand die Beklagte verfügte und auf welche Umstände sie den Verdacht stützte. Einen Katalog von Fragen - wie vom Kläger erbeten - brauchte die Beklagte nicht zu formulieren. Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in seiner Gänze, und zwar auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung. Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen des Arbeitgebers auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon seine spontane Reaktion zu einer Entlastung führt (Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts S. 167). Diesem Zweck liefe die Formulierung konkreter Fragen zuwider.

36

(2) Die dem Kläger im zweiten Schreiben eingeräumte Frist zur Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am Montag, dem 9. Februar 2009, war zwar knapp bemessen. Der Kläger hat aber weder dargelegt, dass und ggf. warum ihm tatsächlich eine sachangemessene Äußerung binnen der Frist nicht zumutbar war, noch sind solche Umstände objektiv erkennbar. Das gilt umso mehr, als die ihm eingeräumte Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung seinem Wunsch entsprach und die - allemal rechtzeitige - Einladung der Beklagten zu dem Gesprächstermin am 9. Februar 2009 nicht aufhob. Soweit mit Blick auf die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB für Aufklärungsbemühungen des Arbeitgebers im Wege der Anhörung des Arbeitnehmers in der Regel eine Frist von einer Woche zu veranschlagen ist(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), folgt daraus nicht, dass dem Arbeitnehmer stets eine entsprechend lange Frist zur Stellungnahme einzuräumen wäre. Das gilt auch angesichts der dem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzugestehenden Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. insoweit BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Im Übrigen hat der Kläger in seinem Schreiben vom 9. Februar 2009 Stellung genommen, ohne um eine Verlängerung der Frist nachzusuchen. Daraus durfte die Beklagte folgern, es habe sich um eine abschließende Äußerung gehandelt. Dass sich der Kläger vorbehalten hat, nach Einsicht in die Ermittlungsakten zu einzelnen Punkten weiter Stellung zu beziehen, steht dem nicht entgegen. Der Kläger hat nicht begründet, warum er sich zu welchen Gesichtspunkten nicht abschließend hat erklären können oder wollen. Dessen hätte es aber bedurft, da sich die Verdachtstatsachen auf Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmung bezogen und er keinen Anlass haben konnte anzunehmen, die Beklagte verfüge über bessere Erkenntnisse als er selbst (ähnlich BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1).

37

(3) Für die ordnungsgemäße Anhörung kommt es nicht darauf an, ob mit der Angabe „Dienstschluss“ das Ende der dem Kläger eingeräumten Frist hinreichend bestimmt bezeichnet worden ist. Die Beklagte hat sich gegenüber den Erklärungen im Schreiben vom 9. Februar 2009 nicht auf Verspätung berufen. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ihr Anhörungsschreiben nicht mehr an ihn persönlich, sondern an seinen bereits umfassend beauftragten Rechtsanwalt habe übermitteln müssen, ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich.

38

(4) Die Anhörung ist auch nicht deshalb unzureichend, weil die Beklagte den Kläger nicht ausdrücklich auf eine bestehende Kündigungsabsicht für den Fall hingewiesen hat, dass sich die Vorwürfe nicht ausräumen ließen. Es ist bereits fraglich, ob den Arbeitgeber eine solche Verpflichtung trifft (bejahend Fischer BB 2003, 522, 523; Seeling/Zwickel MDR 2008, 1022). In jedem Fall bleibt die Nichterteilung eines Hinweises auf eine mögliche Kündigung dann folgenlos, wenn für den Arbeitnehmer die Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses erkennbar war. So liegt es hier. Die Beklagte hat den Kläger mit dem Schreiben vom 5. Februar 2009 mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei gestellt. Sie hat mitgeteilt, aufgrund des Verdachts und der Schwere der ihm zugrunde liegenden Tat sei ihr seine Weiterbeschäftigung unzumutbar. Unter diesen Umständen musste dem Kläger klar sein, dass der Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses aus Sicht der Beklagten ganz wesentlich von seiner Stellungnahme abhing.

39

dd) Die Beklagte hat nicht andere Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt gelassen, insbesondere nur unzureichende eigene Ermittlungen angestellt. Anhaltspunkte für weitere Aufklärungsbemühungen konnten sich angesichts der Beschlagnahme relevanter Geschäftsunterlagen nur aus der Stellungnahme des Klägers ergeben. Dieser hat sich darauf beschränkt, den Verdacht pauschal von sich zu weisen. Er hat sich mit den im Durchsuchungsbeschluss einzeln aufgeführten Gesprächen weder auseinandergesetzt, noch ihnen substantiierten Vortrag entgegengehalten. Ohne eine detaillierte Erwiderung hatte die Beklagte keinen Anlass, etwa den Geschäftsführer der GmbH selbst zu befragen. Mit Blick auf das Angebot einer Ferienwohnung am Gardasee ist die Beklagte den Angaben des Klägers zur Buchung einer angeblich zeitgleichen Urlaubsreise an die Adria nachgegangen - mit dem Ergebnis, dass dieser Umstand in Anbetracht der Dauer des dem Kläger bewilligten Urlaubs nacheinander liegende Aufenthalte an beiden Orten nicht ausschloss.

40

3. Der Verdacht besteht weiterhin. Er wurde im Verlauf des Rechtsstreits weder entkräftet, noch sind Umstände eingetreten, die zu seiner Abschwächung geführt hätten.

41

a) Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu B II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Eine Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen, ist nicht gerechtfertigt.

42

b) Demgegenüber hält das Landesarbeitsgericht nur solche Tatsachen für berücksichtigungsfähig, die der Arbeitgeber bei Anwendung gebotener und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen können. Dies überzeugt nicht. Hat der Arbeitgeber entlastende Umstände deshalb nicht erkannt, weil er den Sachverhalt nicht sorgfältig genug aufgeklärt hat, ist die Verdachtskündigung regelmäßig schon aus diesem Grund unwirksam. Dass zugunsten des Arbeitnehmers darüber hinaus Tatsachen berücksichtigungsfähig sind, die der Arbeitgeber selbst nach zumutbaren Aufklärungsbemühungen noch nicht hat kennen können, trägt der Besonderheit Rechnung, dass im Rahmen der Verdachtskündigung nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, nicht gerecht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Gefahr würde vielmehr „sehenden Auges“ vergrößert. Ihr erst mit einem möglichen Wiedereinstellungsanspruch zu begegnen, würde der Sach- und Interessenlage nicht gerecht.

43

c) Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts wirkt sich im Ergebnis nicht aus (§ 561 ZPO).

44

aa) Der Kläger hat dem Vorbringen der Beklagten zum Inhalt der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH keinen anderen, im Einzelnen dargelegten Gesprächsverlauf entgegengesetzt. Er hat sich auf ein einfaches Bestreiten beschränkt und lediglich behauptet, die eine oder andere Äußerung sei so nicht gefallen. Dabei ist er auch dann noch geblieben, als die Beklagte vorgetragen hatte, sie habe mittlerweile Einsicht in die beschlagnahmten Unterlagen nehmen können und diese ausgewertet, zudem habe sie den Geschäftsführer der GmbH befragt, der seine frühere Aussage bekräftigt habe. Spätestens angesichts dieses Vorbringens hätte der Kläger dem von der Beklagten behaupteten Inhalt und Verlauf der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH substantiiert entgegentreten müssen. Das hat er unterlassen. Damit hat er seiner Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht genügt. Das gilt gleichermaßen für die bruchstückhafte Einlassung zum Komplex „Ferienwohnung“. Sie fügt sich ohne Weiteres in die von der Beklagten behaupteten Verdachtstatsachen ein und vermag diese gerade nicht zu entkräften. Der Kläger hat eine vollständige Darstellung des tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablaufs auch insoweit unterlassen. Auf eine Einschränkung seiner prozessualen Wahrheitspflicht wegen des laufenden Strafverfahrens hat er sich nicht berufen. Es kann deshalb offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Einwand mit Blick auf die Besonderheiten der Verdachtskündigung beachtlich gewesen wäre.

45

bb) Die Aufhebung des Haftbefehls entlastet den Kläger nicht. Aus ihr folgt - unbeschadet der Frage, inwieweit dies dem Kläger zugute kommen könnte - nicht, die Strafverfolgungsbehörden hätten einen dringenden Tatverdacht zuletzt nicht mehr bejaht. Sie kann ebenso gut darauf zurückzuführen sein, dass der Sachverhalt aus Sicht der zuständigen Stellen ausermittelt war und etwa der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht mehr vorlag. Die Annahme, dass nicht etwa der Wegfall eines dringenden Tatverdachts zur Aufhebung des Haftbefehls geführt hat, liegt deshalb nahe, weil er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr bestand. Zumindest hatte der Kläger aufgrund seiner Sachnähe Anlass, sich zum Grund der Aufhebung zu erklären. Das hat er versäumt. Ebenso wenig wird der Verdacht dadurch entkräftet, dass bei einer von der Beklagten durchgeführten Innenrevision kein weiteres den Kläger belastendes Material aufgefunden wurde.

46

III. Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist unter Beachtung eines ihm zukommenden Beurteilungsspielraums (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen. Danach konnte es ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangen, der Beklagten sei in Anbetracht der Schwere der Pflichtverletzung, derer der Kläger verdächtig war, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen.

47

IV. Die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)ist gewahrt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die den Verdacht begründenden Tatsachen der Beklagten erstmals am 4. Februar 2009 bekannt geworden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 13. Februar 2009 zu.

48

V. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Kündigung an einer fehlerhaften Beteiligung des Personalrats oder des Gesamtpersonalrats scheitert. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zuletzt eine fehlerhafte Beteiligung nicht mehr behauptet. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Ein Rechtsfehler liegt auch objektiv nicht vor.

49

1. Allerdings entbindet der Umstand, dass ein Arbeitnehmer, der die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bzw. Gesamtpersonalrats gerügt hat, den Ausführungen des Arbeitgebers nicht weiter entgegen tritt, das mit der Sache befasste Gerichte nicht von der Verpflichtung, den Arbeitgebervortrag auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Hinsichtlich des Vorbringens zur ordnungsgemäßen Beteiligung des zuständigen Personalrats gilt - wie für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG - eine abgestufte Darlegungslast(BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 3 a der Gründe, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 4). Hat der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten, muss der Arbeitgeber im Detail darlegen, ob und ggf. wie das Verfahren durchgeführt worden ist. Erst wenn er dem nachgekommen ist und eine ordnungsgemäße Beteiligung des zuständigen Personalrats schlüssig aufgezeigt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer diesem Vorbringen iSv. § 138 Abs. 2 ZPO ausreichend entgegengetreten ist, insbesondere deutlich gemacht hat, welche Angaben des Arbeitgebers er weiterhin(mit Nichtwissen, § 138 Abs. 4 ZPO) bestreitet (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - aaO; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

50

2. Einer Schlüssigkeitsprüfung im dargestellten Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer auf die Ausführungen des Arbeitgebers zur Personalratsbeteiligung zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass er an der betreffenden Rüge als solcher nicht länger festhält. Mit seinem Vorbringen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertretung, beruft sich der Arbeitnehmer auf einen „anderen“ Unwirksamkeitsgrund iSd. § 4 Satz 1, § 6 KSchG(BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12, EzA KSchG § 6 Nr. 4). Die Rüge, die Kündigung sei noch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, führt zwar nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess. Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Die gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung hat nur im Rahmen der iSv. § 4 Satz 1 iVm. § 6 Satz 1 KSchG rechtzeitig angebrachten Unwirksamkeitsgründe zu erfolgen. Für die außerordentliche Kündigung gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG Entsprechendes. Unterliegt es deshalb in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht mehr berufen zu wollen. Eine solche die Gerichte bindende Beschränkung des Sachvortrags ist grundsätzlich noch in zweiter Instanz möglich. Die Regelung des § 6 Satz 1 KSchG dient der Konzentration des Kündigungsschutzprozesses und in diesem Zusammenhang auch dem Schutz des Arbeitgebers. Dieser soll sich nicht erstmals in zweiter Instanz auf einen bis dahin in das gerichtliche Verfahren nicht eingeführten „anderen“ Unwirksamkeitsgrund einlassen und dementsprechend langfristig entsprechende Beweise sichern müssen. Diesem Zweck widerspricht es nicht, dem Arbeitnehmer die Befugnis einzuräumen, die Unwirksamkeitsrüge bezogen auf einen bestimmten Unwirksamkeitsgrund selbst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium wieder fallen zu lassen.

51

3. So liegt es hier. Einer Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung mit Blick auf die (Gesamt-)Personalratsbeteiligung bedurfte es nicht. Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand des Berufungsurteils festgestellt, der Kläger erhebe die betreffende Rüge nicht mehr. Tatbestandsberichtigung hat der Kläger nicht beantragt.

52

VI. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 13. Februar 2009 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

53

VII. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2011 - 11 Sa 758/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war seit September 2002 bei dem beklagten Land als Lehrer beschäftigt. Er erhielt ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 3.740,00 Euro.

3

Im Jahr 2003 wurde er mit Strafbefehl wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Das beklagte Land erteilte ihm eine Abmahnung. Diese wurde im Februar 2007 gemäß der sog. Tilgungsverordnung aus der Personalakte entfernt.

4

Am 29. August 2008 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kläger wegen Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren. Nachdem das beklagte Land Kenntnis von der Anklageschrift erhalten hatte, suspendierte es den Kläger vom Dienst und gab ihm Gelegenheit zur Äußerung. Dieser ließ sich dahin ein, das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Sachverständigengutachten zur Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin - eines achtjährigen Mädchens - sei unzureichend, nach Einholung eines weiteren Gutachtens könne nicht mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gerechnet werden.

5

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis am 17. September 2008 außerordentlich fristlos. Zur Begründung wies es darauf hin, dass das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen aufgrund der dem Kläger vorgeworfenen Straftaten zerstört sei.

6

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung habe zu keiner Zeit vorgelegen. Die Zeugin sei nicht glaubwürdig.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn über den 17. September 2008 hinaus zu unveränderten Bedingungen auf demselben Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.

8

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, es habe sich auf die strafrechtliche Wertung der Staatsanwaltschaft verlassen dürfen. Da diese von einem hinreichenden Tatverdacht iSv. § 170 StPO ausgehe, sei zugleich auch ein ausreichend erhärteter Verdacht gegeben, der eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertige. Durch den Verdacht, der Kläger habe sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen, sei sein Vertrauen in diesen nachhaltig zerstört. Ggf. sei die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche umzudeuten und zumindest als solche wirksam.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Einvernehmen mit den Parteien bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Nachdem die Jugendschutzkammer des Landgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Einholung eines weiteren Gutachtens mangels Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin abgelehnt hatte, hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

11

I. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des beklagten Landes vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden.

12

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

13

a) Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9).

14

b) Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (vgl. BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5).

15

c) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9). Deshalb besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf auf seine strafrechtliche Relevanz hin geprüft wird (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - aaO).

16

d) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen, allenfalls verstärken (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, BAGE 137, 54; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Sie können im Übrigen bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - aaO). Allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche kann die Verdachtskündigung deshalb nicht gestützt werden. Ebenso wie bei der Kündigung wegen einer aus Sicht des Arbeitgebers erwiesenen Tat, bei der eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht ausreicht, die Kündigung zu rechtfertigen, sind die Gerichte für Arbeitssachen auch bei der Verdachtskündigung gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess im Rahmen des Parteivorbringens selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 26; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12). Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, selbst wenn sie von Gesetzes wegen einen dringenden Tatverdacht voraussetzen sollten, sind nicht geeignet, Tatsachenvortrag der Parteien des Zivilprozesses zu ersetzen. Der wegen eines dringenden Tatverdachts kündigende Arbeitgeber hat im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen vielmehr bestimmte Tatsachen darzulegen, die unmittelbar als solche den Schluss zulassen, der Arbeitnehmer sei eines bestimmten, die Kündigung rechtfertigenden Verhaltens dringend verdächtig. Zu diesem Zweck ist es ihm zwar unbenommen, sich Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden zu eigen zu machen und sie im Arbeitsgerichtsprozess - zumindest durch Bezugnahme - als eigene Behauptungen vorzutragen. Es genügt aber nicht, anstelle von unmittelbar verdachtsbegründenden Tatsachen lediglich den Umstand vorzutragen, auch die Strafverfolgungsbehörden gingen von einem Tatverdacht aus. Weder vermag sich der Prozessgegner darauf sachgerecht einzulassen noch vermögen auf dieser Grundlage die Gerichte für Arbeitssachen das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit der ausgesprochenen (Verdachts-)Kündigung selbstständig zu beurteilen. Auch brächte sich der Arbeitgeber auf diese Weise selbst um die Möglichkeit, den Arbeitnehmer durch substantiierten Tatsachenvortrag gem. § 138 Abs. 2 ZPO zur substantiierten Erwiderung zu veranlassen und ggf. aus den Regelungen in § 138 Abs. 3, Abs. 4 ZPO prozessualen Nutzen zu ziehen.

17

2. Danach fehlt es im Streitfall an den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB. Das beklagte Land hat keine verdachtsbegründenden konkreten Tatsachen dargelegt.

18

a) Das beklagte Land geht allerdings zu Recht davon aus, dass ein Verhalten, wie es dem Kläger im Rahmen der Anklage zur Last gelegt wurde, auch als außerdienstliches Verhalten „an sich“ ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Lehrers sein kann. Aus ihm ergeben sich begründete Zweifel an der Eignung für die arbeitsvertraglich geschuldete pädagogische Tätigkeit, die geeignet sein können, eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen (so auch SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 643 u. 697; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 85; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 80b).

19

b) Das beklagte Land hat jedoch seine Annahme, der Kläger sei der ihm seitens der Staatsanwaltschaft vorgeworfenen Tat dringend verdächtig, allein mit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und der dieser zugrunde liegenden Beurteilung begründet. Es hat - über die Tatsache der Anklageerhebung hinaus - keinerlei Umstände vorgetragen, welche einen dringenden Tatverdacht rechtfertigen könnten. Es hat sich den von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt auf Befragen des Senats ausdrücklich nicht zu eigen gemacht. Damit fehlt es an substantiiertem Sachvortrag, der eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die Gerichte für Arbeitssachen nach Maßgabe zivilprozessualer Grundsätze ermöglichen würde.

20

3. Die Kündigung ist auch als ordentliche Kündigung nicht wirksam. Sie ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

21

a) Allerdings kann eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn das dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23). Bei feststehendem Sachverhalt kann dies auch noch in der Revisionsinstanz erfolgen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 39 ff., AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31). Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Der Inhalt des Kündigungsschreibens ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des beklagten Landes erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es diesem darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen. Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, das beklagte Land habe mit der Kündigung ausschließlich die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die damit der von ihm in der Revisionsinstanz ausdrücklich begehrten Umdeutung entgegenstünden, hat der Kläger nicht aufgezeigt (vgl. dazu BAG 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

22

b) Auch mit Blick auf die ordentliche Kündigung fehlt es jedoch an Sachvortrag des beklagten Landes, der es erlauben würde, das Vorliegen eines dringenden Verdachts kündigungsrelevanten Verhaltens des Klägers selbstständig zu beurteilen.

23

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn zutreffend dahingehend verstanden, dass er auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet ist. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

24

III. Die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO das beklagte Land zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 2010 - 8 Sa 249/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.

2

Der 1953 geborene Kläger war seit Januar 2002 bei der Beklagten - einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in F - als Ingenieur beschäftigt. Seine Tätigkeit verrichtete er in einer nach M ausgelagerten „Fachstelle/Bau“ der Abteilung „Zentrales Baumanagement“. In seine Zuständigkeit fiel die Abwicklung von Bau- und sonstigen Sanierungsvorhaben im Bereich der M Außenstelle der Beklagten und an ihren Liegenschaften in B und R.

3

Der Kläger betreute ua. das Projekt „Erneuerung der Brandschutzklappen des Dienstgebäudes B“. Um den Auftrag bewarb sich die A GmbH (im Folgenden: GmbH), die schon zuvor in dem Dienstgebäude mit regelmäßigen Wartungsarbeiten betraut war. Anfang März 2008 gab sie ein erstes Angebot und unter dem 11. März 2008 ein zweites, inhaltlich erweitertes Angebot mit einer Angebotssumme von 122.652,68 Euro ab.

4

Ein von der Beklagten beauftragtes Ingenieurbüro befürwortete im Hinblick auf das zweite Angebot die Vergabe des Auftrags an die GmbH, allerdings mit der Einschränkung, dass bestimmte Positionen wegen zu hoher Zeitansätze bzw. Einheitspreise nachzuverhandeln seien. Die Unterlagen reichte der Kläger an das Servicezentrum der Beklagten in F weiter. Nachdem von dort die Höhe des Angebots beanstandet worden war, reduzierte die GmbH nach Verhandlungen mit dem Kläger das zweite Angebot um einen Betrag von 10.499,75 Euro. Auf Vorschlag des Klägers und nach Gegenzeichnung durch seinen Vorgesetzten sowie weiteren Genehmigungen über mehrere Hierarchieebenen wurde der GmbH im Wege einer freihändigen Vergabe der Zuschlag erteilt.

5

Aufgrund einer Selbstanzeige des Geschäftsführers der GmbH leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung und Bestechlichkeit ein. Am 4. Februar 2009 wurden die Privatwohnung des Klägers und die Geschäftsräume der M Außenstelle der Beklagten durchsucht. Der Beklagten wurde der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 21. November 2008 eröffnet, der eine detaillierte Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts enthält. Insbesondere ist dort der Inhalt mehrerer Gespräche wiedergegeben, die zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer geführt worden sein sollen. Bei der Beklagten wurden Geschäftsunterlagen betreffend die Projekte „Erneuerung der Brandschutzklappen“ und „Umbau Zu- und Abluftanlage“ beschlagnahmt, darunter Unterlagen von Firmen, die hierauf bezogen Angebote abgegeben hatten. Ein dem Kläger am Folgetag eröffneter Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

6

Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 stellte die Beklagte den Kläger von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Zugleich teilte sie mit, er sei verdächtig, am 15. Februar 2008 vom Geschäftsführer der GmbH eine Gegenleistung in Höhe von 10 vH des Auftragswerts dafür gefordert zu haben, dass er sich in besonderer Weise für eine Beauftragung der GmbH durch die Beklagte einsetzen würde. Außerdem stehe er im Verdacht, im August 2008 das Angebot des Geschäftsführers der GmbH angenommen zu haben, ihm ohne finanzielle Gegenleistung eine Ferienwohnung am Gardasee für eine Woche zur Verfügung zu stellen. Um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern, lud sie ihn zu einem Gespräch am Montag, dem 9. Februar 2009, in ihre F Zentrale ein.

7

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2009 sagte der Kläger seine Teilnahme an dem Gespräch ab. Er berief sich mit Blick auf das laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf sein Schweigerecht. Gleichwohl sei er bereit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wozu er einen Fragenkatalog erbitte. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Kopie des Durchsuchungsbeschlusses vom 21. November 2008 mit, es stehe ihm frei, sich schriftlich zu den in dem Beschluss angeführten Verdachtstatsachen zu äußern. Sie erwarte den Eingang einer Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am 9. Februar 2009. Einen Fragenkatalog werde sie nicht erstellen.

8

Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 erklärte der Kläger, ihm sei noch keine Akteneinsicht gewährt worden. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wies er pauschal als unzutreffend zurück. Weder bei seinem ersten Zusammentreffen noch zu einem späteren Zeitpunkt habe er den mitbeschuldigten Geschäftsführer zu Zahlungen im Zusammenhang mit einer möglichen Beauftragung aufgefordert. Er habe auch keine finanziellen Zuwendungen oder einen geldwerten Vorteil sonstiger Art erhalten. Hinsichtlich der Ferienwohnung am Gardasee sei anzumerken, dass er gemeinsam mit seiner Ehefrau bereits Monate zuvor einen Hotelurlaub an der Adria gebucht und gezahlt habe, wie aus einer beigefügten Buchungsbestätigung hervorgehe.

9

Nach Beteiligung des Gesamtpersonalrats kündigte die Beklage das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12. Februar 2009 außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 26. Februar 2009 erklärte sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009. Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung lägen nicht vor. Die Beklagte habe sich nicht auf eine Aussage des Geschäftsführers im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren stützen dürfen, sondern habe eigene Nachforschungen anstellen müssen. Der Geschäftsführer sei nicht glaubwürdig. Diesem sei Straffreiheit zugesichert worden. Auch habe er wohl angesichts der knappen Kalkulation der Aufträge seinen Betrieb gefährdet gesehen und ihn - den Kläger - aus dem Weg räumen wollen. Er selbst habe keinen bestimmenden Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen durch die Beklagte gehabt. Sollte je ein dringender Tatverdacht bestanden haben sei dieser mit der am 3. März 2010 - unstreitig - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls entfallen. Die Erhebung der öffentlichen Klage vom 8. April 2010 und die anschließende Eröffnung des Hauptverfahrens ließen keine andere Bewertung zu. Diese Entscheidungen erforderten nur ein geringeres Maß an Tatverdacht. Eine im Verlauf des Rechtsstreits von der Beklagten veranlasste Innenrevision habe keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Die Beklagte habe ihn vor der Kündigung nicht ausreichend angehört. Die Äußerungsfrist sei zu kurz gewesen und habe ihm keine substantiierte Stellungnahme ermöglicht. Mangels konkreter Vorgaben habe er nicht erkennen können, zu welchen Sachverhalten und/oder Tatsachen er sich habe äußern sollen. Die Beklagte habe es versäumt, auf ihre Kündigungsabsicht hinzuweisen.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist und weiter fortbesteht.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege vor, zumindest sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei einer Bestechlichkeit und der versuchten Erpressung verdächtig. Grundlage hierfür seien die im Durchsuchungsbeschluss festgehaltenen Ermittlungsergebnisse. Soweit diese auf Aussagen des Geschäftsführers der GmbH beruhten, habe sie keinen Anlass gehabt, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Auch die Strafverfolgungsbehörden hätten offenkundig einen dringenden Tatverdacht angenommen, da ein Haftbefehl nur unter dieser Voraussetzung habe erlassen werden dürfen. Deren Erkenntnisse und Bewertungen mache sie sich zu eigen. Der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhalts nicht nach Kräften mitgewirkt. Weitere Ermittlungen habe sie weder anstellen müssen, noch sei sie dazu nach Beschlagnahme ihrer Geschäftsunterlagen in der Lage gewesen. Soweit der Kläger wegen der Ferienwohnung am Gardasee darauf verwiesen habe, vom 6. bis 13. September 2008 andernorts in Italien eine Unterkunft gebucht zu haben, sei dies angesichts des bis zum 26. September 2008 bewilligten Urlaubs nicht geeignet, den Vorwurf der Bestechlichkeit zu entkräften. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Kläger die Unterkunft tatsächlich genutzt habe. Entscheidend sei, dass er sich den Vorteil habe versprechen lassen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 12. Februar 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Damit bleibt auch die Klage gegen die ordentliche Kündigung erfolglos.

15

I. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

16

1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155).

17

2. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - Rn. 28, aaO). Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/10 - aaO; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - aaO).

18

3. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30, BAGE 134, 349). Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, aaO).

19

II. Danach liegt „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

20

1. Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegen nimmt, verletzt zugleich - unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB oder - als Beschäftigter im öffentlichen Dienst - wegen Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB - seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen(§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr allgemein die Gefahr, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. Der wichtige Grund liegt in der zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, bei der Erfüllung von arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben unberechtigte eigene Vorteile wahrzunehmen. Durch sein Verhalten zerstört der Arbeitnehmer regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B III 2 a der Gründe, EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7). Auch der dringende Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 b der Gründe, aaO).

21

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im Kündigungszeitpunkt einer in diesem Sinne schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22

a) Die Beklagte hat sich für den Verdacht auf den im Durchsuchungsbeschluss vom 21. November 2008 wiedergegebenen Sachverhalt berufen. Danach soll der Kläger - zusammengefasst - den Geschäftsführer der GmbH Mitte Februar 2008 aufgefordert haben, ihm eine Gegenleistung iHv. 10 vH des Werts des Auftrags betreffend die Brandschutzklappensanierung dafür zu gewähren, dass er sich in besonderer Weise für die Vergabe von Aufträgen an die GmbH einsetze. Nachdem der Geschäftsführer ihm in einem Telefonat vom 10. März 2008 mitgeteilt habe, er werde den geforderten Betrag nicht zahlen, soll der Kläger ihn gefragt haben, ob er sich diese Weigerung auch gut überlegt habe; diese Haltung könne Konsequenzen nach sich ziehen. Die Äußerungen soll der Kläger am 5. August 2008 anlässlich einer Besprechung in der Räumlichkeiten der Bu sinngemäß wiederholt und nachfolgend das Angebot des Geschäftsführers, ihm eine Ferienwohnung am Gardasee zur Verfügung zu stellen, angenommen haben.

23

b) Mit der Bezugnahme auf diese Sachverhaltsdarstellung hat die Beklagte hinreichend objektive Tatsachen aufgezeigt, die den Verdacht begründen, der Kläger habe sich in Bezug auf seine Berufstätigkeit Geld bzw. geldwerte Vorteile von einem Vertragspartner der Beklagten versprechen lassen und diesen zu dem Versprechen durch das Inaussichtstellen eines möglichen Auftragsverlusts genötigt. Die Beklagte beruft sich dazu nicht auf bloße Mutmaßungen oder Spekulationen, sondern auf einen greifbaren, durch die Strafverfolgungsbehörden ermittelten und in dem Durchsuchungsbeschluss über mehrere Seiten hinweg hinsichtlich Tatzeit und Tatgeschehen detailliert beschriebenen Sachverhalt. Dass dieser Sachverhalt im Wesentlichen auf den Angaben des im Ermittlungsverfahren mitbeschuldigten Geschäftsführers der GmbH über den Inhalt mit dem Kläger geführter Vieraugengespräche beruht und mit dessen Aussage „steht und fällt“, steht dem Umstand, dass es sich dabei um objektive Verdachtstatsachen handelt, nicht entgegen. Die Beklagte hatte keinen durchgreifenden Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschäftsführers in Zweifel zu ziehen. Auch wenn diesem - wie der Kläger im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits behauptet hat - Straffreiheit zugesagt worden sein sollte, ist nicht erkennbar - und ist es fernliegend -, dass sich diese Zusage auch auf den Straftatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) bezöge. Möglichen Unsicherheiten in Bezug auf die Beweisführung hat die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie die Kündigung auf den Verdacht und nicht auf die Erwiesenheit einer Tat stützt.

24

c) Demgegenüber bringt der Kläger lediglich vor, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von der Dringlichkeit des Verdachts ausgegangen. Insbesondere habe es verkannt, dass sich die Beklagte hierfür nicht auf den gegen ihn erlassenen Haftbefehl habe berufen dürfen. Damit hat der Kläger die den Verdacht begründenden Tatsachen nicht entkräftet.

25

aa) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Derartige Umstände können nicht nur bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, aaO). Sie können auch den Kündigungsgrund selbst unterstützen, sofern es um Handlungen oder Anordnungen der Ermittlungsbehörden geht, die ihrerseits einen dringenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 38, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Das trifft auf den in Rede stehenden Haftbefehl grundsätzlich zu. Nach § 112 Abs. 1 iVm. § 114 StPO darf Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nur angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und - kumulativ - ein Haftgrund besteht. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft der materiellen Wahrheit verpflichtet ist und deshalb nach § 160 Abs. 2 StPO auch den Beschuldigten entlastende Umstände zu ermitteln und bei ihrem Vorgehen zu berücksichtigen hat(Löwe/Rosenberg/Erb StPO § 160 Rn. 47 mwN). Gleiches gilt für den Ermittlungsrichter, der über die Anordnung von Untersuchungshaft entscheidet.

26

bb) Allerdings wird die Verdachtskündigung nicht allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche gestützt werden können. Bei der Kündigung wegen erwiesener Tat reicht eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht aus, die Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12; 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - zu B II 4 und III 3 b, dd der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Für die Verdachtskündigung wird nichts anderes gelten können. Dies hat zur Folge, dass Handlungen oder Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden allenfalls indizielle Bedeutung für die vom Gericht vorzunehmende Bewertung erlangen können, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen des entsprechenden Verdachts gerechtfertigt ist. Die behördlichen Maßnahmen bilden dagegen für sich genommen keinen Kündigungsgrund und sind nicht geeignet, eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die mit der Sache befassten Gerichte zu ersetzen. Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Beklagte habe im Kündigungszeitpunkt davon ausgehen dürfen, der Kläger sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, nicht mit dem Haftbefehl als solchem begründet. Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe sich auf der Grundlage bekannter Verdachtstatsachen die Einschätzung der Ermittlungsbehörden zur Dringlichkeit des Verdachts zu eigen gemacht.

28

(2) Daran anknüpfend hat es weiter geprüft, ob sich der Verdacht aufgrund des Parteivorbringens im vorliegenden Verfahren als weniger intensiv darstellt. Seine Auffassung, dies sei nicht der Fall, hat es im Wesentlichen damit begründet, Manipulationen bei der Preisgestaltung seien den Umständen nach nicht auszuschließen. Das gelte auch dann, wenn das zweite Angebot der GmbH vom 11. März 2008 - wie vom Kläger behauptet - auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses des hinzugezogenen Ingenieurbüros erfolgt sei. Dieser Umstand entlaste den Kläger nicht, weil schon der Umfang der auf 38 Seiten zusammengestellten Angebotspositionen die Chance erhöhe, dass unbemerkt einzelne preisrelevante Posten höher als erforderlich kalkuliert würden. Außerdem sei eine mögliche Preismanipulation durch die später, allerdings erst auf Initiative des Servicezentrums der Beklagten tatsächlich erreichte deutliche Reduzierung des Angebotspreises indiziert.

29

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 1. Oktober 1997 - 5 AZR 685/96 - BAGE 86, 347 mwN). Einen derartigen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf.

30

(b) Die Wertung des Landesarbeitsgerichts ist grundsätzlich möglich. Das gilt umso mehr, als der Kläger keinen Grund dafür benannt hat, warum er als zuständiger Sachbearbeiter das Angebot an das Servicezentrum der Beklagten in F weitergeleitet hat, ohne auf die vom Ingenieurbüro beanstandeten Punkte einzugehen. Selbst wenn er sich damit im Rahmen bestehender Richtlinien bewegt haben sollte, fügt sich sein Vorgehen immerhin in das „Bild“ der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe in Erwägung ziehen müssen, dass vereinzelt falsche Mengen zu dem überhöhten Angebotspreis vom 11. März 2008 geführt hätten, ist unbegründet. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils hat das Ingenieurbüro eine Nachverhandlung des betreffenden Angebots wegen zu hoher Zeitansätze und Einheitspreise vorgeschlagen. Daran knüpfen die Ausführungen des Gerichts an. Das Landesarbeitsgericht hat dabei nicht den Vortrag des Klägers übergangen, er habe auf die Auftragsvergabe keinen bestimmenden Einfluss nehmen können. Es hat das Vorbringen im Tatbestand seines Urteils erwähnt und im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen (unter II 1.2.1.2 der Entscheidungsgründe) gewürdigt. Dass es darin keinen Umstand erblickt hat, der die Intensität des Verdachts hätte vermindern können, begründet keinen Rechtsfehler im aufgezeigten Sinne. Im Übrigen schließt das Fehlen einer Möglichkeit zur internen Einflussnahme nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer nach außen einer solchen berühmt. Soweit der Kläger gemeint hat, die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts seien „lebensfremd“, setzt er seine eigene Bewertung der Abläufe an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts. Das macht dessen Würdigung nicht rechtsfehlerhaft.

31

d) Die Beklagte hat ihre Verpflichtung nicht verletzt, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere hat sie den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört.

32

aa) Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Bei dieser besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 14 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6).

33

bb) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen (BAG 28. November 2007 - 5 AZR 952/06 - Rn. 19, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 b bb der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO).

34

cc) Diesen Anforderungen wird die Anhörung des Klägers gerecht. Die Beklagte hat ihm die konkreten Vorwürfe bekannt gemacht und hinreichend Zeit für eine Stellungnahme eingeräumt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf eine bestehende Kündigungsabsicht bedurfte es nicht.

35

(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 5. und 6. Februar 2009 mit dem gegen ihn gehegten Verdacht konfrontiert. Aufgrund der Mitteilungen im ersten Schreiben wusste der Kläger, dass es im Kern um zwei Sachverhalte geht. Die Darstellung der Vorwürfe war ausreichend. Der Kläger konnte angesichts des dem Schreiben vom 6. Februar 2009 beigefügten Durchsuchungsbeschlusses und der dort enthaltenen ausführlichen Darstellung des maßgebenden Sachverhalts in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht im Unklaren sein, über welchen Kenntnisstand die Beklagte verfügte und auf welche Umstände sie den Verdacht stützte. Einen Katalog von Fragen - wie vom Kläger erbeten - brauchte die Beklagte nicht zu formulieren. Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in seiner Gänze, und zwar auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung. Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen des Arbeitgebers auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon seine spontane Reaktion zu einer Entlastung führt (Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts S. 167). Diesem Zweck liefe die Formulierung konkreter Fragen zuwider.

36

(2) Die dem Kläger im zweiten Schreiben eingeräumte Frist zur Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am Montag, dem 9. Februar 2009, war zwar knapp bemessen. Der Kläger hat aber weder dargelegt, dass und ggf. warum ihm tatsächlich eine sachangemessene Äußerung binnen der Frist nicht zumutbar war, noch sind solche Umstände objektiv erkennbar. Das gilt umso mehr, als die ihm eingeräumte Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung seinem Wunsch entsprach und die - allemal rechtzeitige - Einladung der Beklagten zu dem Gesprächstermin am 9. Februar 2009 nicht aufhob. Soweit mit Blick auf die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB für Aufklärungsbemühungen des Arbeitgebers im Wege der Anhörung des Arbeitnehmers in der Regel eine Frist von einer Woche zu veranschlagen ist(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), folgt daraus nicht, dass dem Arbeitnehmer stets eine entsprechend lange Frist zur Stellungnahme einzuräumen wäre. Das gilt auch angesichts der dem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzugestehenden Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. insoweit BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Im Übrigen hat der Kläger in seinem Schreiben vom 9. Februar 2009 Stellung genommen, ohne um eine Verlängerung der Frist nachzusuchen. Daraus durfte die Beklagte folgern, es habe sich um eine abschließende Äußerung gehandelt. Dass sich der Kläger vorbehalten hat, nach Einsicht in die Ermittlungsakten zu einzelnen Punkten weiter Stellung zu beziehen, steht dem nicht entgegen. Der Kläger hat nicht begründet, warum er sich zu welchen Gesichtspunkten nicht abschließend hat erklären können oder wollen. Dessen hätte es aber bedurft, da sich die Verdachtstatsachen auf Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmung bezogen und er keinen Anlass haben konnte anzunehmen, die Beklagte verfüge über bessere Erkenntnisse als er selbst (ähnlich BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1).

37

(3) Für die ordnungsgemäße Anhörung kommt es nicht darauf an, ob mit der Angabe „Dienstschluss“ das Ende der dem Kläger eingeräumten Frist hinreichend bestimmt bezeichnet worden ist. Die Beklagte hat sich gegenüber den Erklärungen im Schreiben vom 9. Februar 2009 nicht auf Verspätung berufen. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ihr Anhörungsschreiben nicht mehr an ihn persönlich, sondern an seinen bereits umfassend beauftragten Rechtsanwalt habe übermitteln müssen, ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich.

38

(4) Die Anhörung ist auch nicht deshalb unzureichend, weil die Beklagte den Kläger nicht ausdrücklich auf eine bestehende Kündigungsabsicht für den Fall hingewiesen hat, dass sich die Vorwürfe nicht ausräumen ließen. Es ist bereits fraglich, ob den Arbeitgeber eine solche Verpflichtung trifft (bejahend Fischer BB 2003, 522, 523; Seeling/Zwickel MDR 2008, 1022). In jedem Fall bleibt die Nichterteilung eines Hinweises auf eine mögliche Kündigung dann folgenlos, wenn für den Arbeitnehmer die Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses erkennbar war. So liegt es hier. Die Beklagte hat den Kläger mit dem Schreiben vom 5. Februar 2009 mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei gestellt. Sie hat mitgeteilt, aufgrund des Verdachts und der Schwere der ihm zugrunde liegenden Tat sei ihr seine Weiterbeschäftigung unzumutbar. Unter diesen Umständen musste dem Kläger klar sein, dass der Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses aus Sicht der Beklagten ganz wesentlich von seiner Stellungnahme abhing.

39

dd) Die Beklagte hat nicht andere Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt gelassen, insbesondere nur unzureichende eigene Ermittlungen angestellt. Anhaltspunkte für weitere Aufklärungsbemühungen konnten sich angesichts der Beschlagnahme relevanter Geschäftsunterlagen nur aus der Stellungnahme des Klägers ergeben. Dieser hat sich darauf beschränkt, den Verdacht pauschal von sich zu weisen. Er hat sich mit den im Durchsuchungsbeschluss einzeln aufgeführten Gesprächen weder auseinandergesetzt, noch ihnen substantiierten Vortrag entgegengehalten. Ohne eine detaillierte Erwiderung hatte die Beklagte keinen Anlass, etwa den Geschäftsführer der GmbH selbst zu befragen. Mit Blick auf das Angebot einer Ferienwohnung am Gardasee ist die Beklagte den Angaben des Klägers zur Buchung einer angeblich zeitgleichen Urlaubsreise an die Adria nachgegangen - mit dem Ergebnis, dass dieser Umstand in Anbetracht der Dauer des dem Kläger bewilligten Urlaubs nacheinander liegende Aufenthalte an beiden Orten nicht ausschloss.

40

3. Der Verdacht besteht weiterhin. Er wurde im Verlauf des Rechtsstreits weder entkräftet, noch sind Umstände eingetreten, die zu seiner Abschwächung geführt hätten.

41

a) Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu B II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Eine Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen, ist nicht gerechtfertigt.

42

b) Demgegenüber hält das Landesarbeitsgericht nur solche Tatsachen für berücksichtigungsfähig, die der Arbeitgeber bei Anwendung gebotener und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen können. Dies überzeugt nicht. Hat der Arbeitgeber entlastende Umstände deshalb nicht erkannt, weil er den Sachverhalt nicht sorgfältig genug aufgeklärt hat, ist die Verdachtskündigung regelmäßig schon aus diesem Grund unwirksam. Dass zugunsten des Arbeitnehmers darüber hinaus Tatsachen berücksichtigungsfähig sind, die der Arbeitgeber selbst nach zumutbaren Aufklärungsbemühungen noch nicht hat kennen können, trägt der Besonderheit Rechnung, dass im Rahmen der Verdachtskündigung nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, nicht gerecht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Gefahr würde vielmehr „sehenden Auges“ vergrößert. Ihr erst mit einem möglichen Wiedereinstellungsanspruch zu begegnen, würde der Sach- und Interessenlage nicht gerecht.

43

c) Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts wirkt sich im Ergebnis nicht aus (§ 561 ZPO).

44

aa) Der Kläger hat dem Vorbringen der Beklagten zum Inhalt der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH keinen anderen, im Einzelnen dargelegten Gesprächsverlauf entgegengesetzt. Er hat sich auf ein einfaches Bestreiten beschränkt und lediglich behauptet, die eine oder andere Äußerung sei so nicht gefallen. Dabei ist er auch dann noch geblieben, als die Beklagte vorgetragen hatte, sie habe mittlerweile Einsicht in die beschlagnahmten Unterlagen nehmen können und diese ausgewertet, zudem habe sie den Geschäftsführer der GmbH befragt, der seine frühere Aussage bekräftigt habe. Spätestens angesichts dieses Vorbringens hätte der Kläger dem von der Beklagten behaupteten Inhalt und Verlauf der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH substantiiert entgegentreten müssen. Das hat er unterlassen. Damit hat er seiner Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht genügt. Das gilt gleichermaßen für die bruchstückhafte Einlassung zum Komplex „Ferienwohnung“. Sie fügt sich ohne Weiteres in die von der Beklagten behaupteten Verdachtstatsachen ein und vermag diese gerade nicht zu entkräften. Der Kläger hat eine vollständige Darstellung des tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablaufs auch insoweit unterlassen. Auf eine Einschränkung seiner prozessualen Wahrheitspflicht wegen des laufenden Strafverfahrens hat er sich nicht berufen. Es kann deshalb offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Einwand mit Blick auf die Besonderheiten der Verdachtskündigung beachtlich gewesen wäre.

45

bb) Die Aufhebung des Haftbefehls entlastet den Kläger nicht. Aus ihr folgt - unbeschadet der Frage, inwieweit dies dem Kläger zugute kommen könnte - nicht, die Strafverfolgungsbehörden hätten einen dringenden Tatverdacht zuletzt nicht mehr bejaht. Sie kann ebenso gut darauf zurückzuführen sein, dass der Sachverhalt aus Sicht der zuständigen Stellen ausermittelt war und etwa der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht mehr vorlag. Die Annahme, dass nicht etwa der Wegfall eines dringenden Tatverdachts zur Aufhebung des Haftbefehls geführt hat, liegt deshalb nahe, weil er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr bestand. Zumindest hatte der Kläger aufgrund seiner Sachnähe Anlass, sich zum Grund der Aufhebung zu erklären. Das hat er versäumt. Ebenso wenig wird der Verdacht dadurch entkräftet, dass bei einer von der Beklagten durchgeführten Innenrevision kein weiteres den Kläger belastendes Material aufgefunden wurde.

46

III. Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist unter Beachtung eines ihm zukommenden Beurteilungsspielraums (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen. Danach konnte es ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangen, der Beklagten sei in Anbetracht der Schwere der Pflichtverletzung, derer der Kläger verdächtig war, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen.

47

IV. Die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)ist gewahrt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die den Verdacht begründenden Tatsachen der Beklagten erstmals am 4. Februar 2009 bekannt geworden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 13. Februar 2009 zu.

48

V. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Kündigung an einer fehlerhaften Beteiligung des Personalrats oder des Gesamtpersonalrats scheitert. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zuletzt eine fehlerhafte Beteiligung nicht mehr behauptet. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Ein Rechtsfehler liegt auch objektiv nicht vor.

49

1. Allerdings entbindet der Umstand, dass ein Arbeitnehmer, der die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bzw. Gesamtpersonalrats gerügt hat, den Ausführungen des Arbeitgebers nicht weiter entgegen tritt, das mit der Sache befasste Gerichte nicht von der Verpflichtung, den Arbeitgebervortrag auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Hinsichtlich des Vorbringens zur ordnungsgemäßen Beteiligung des zuständigen Personalrats gilt - wie für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG - eine abgestufte Darlegungslast(BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 3 a der Gründe, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 4). Hat der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten, muss der Arbeitgeber im Detail darlegen, ob und ggf. wie das Verfahren durchgeführt worden ist. Erst wenn er dem nachgekommen ist und eine ordnungsgemäße Beteiligung des zuständigen Personalrats schlüssig aufgezeigt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer diesem Vorbringen iSv. § 138 Abs. 2 ZPO ausreichend entgegengetreten ist, insbesondere deutlich gemacht hat, welche Angaben des Arbeitgebers er weiterhin(mit Nichtwissen, § 138 Abs. 4 ZPO) bestreitet (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - aaO; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

50

2. Einer Schlüssigkeitsprüfung im dargestellten Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer auf die Ausführungen des Arbeitgebers zur Personalratsbeteiligung zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass er an der betreffenden Rüge als solcher nicht länger festhält. Mit seinem Vorbringen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertretung, beruft sich der Arbeitnehmer auf einen „anderen“ Unwirksamkeitsgrund iSd. § 4 Satz 1, § 6 KSchG(BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12, EzA KSchG § 6 Nr. 4). Die Rüge, die Kündigung sei noch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, führt zwar nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess. Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Die gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung hat nur im Rahmen der iSv. § 4 Satz 1 iVm. § 6 Satz 1 KSchG rechtzeitig angebrachten Unwirksamkeitsgründe zu erfolgen. Für die außerordentliche Kündigung gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG Entsprechendes. Unterliegt es deshalb in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht mehr berufen zu wollen. Eine solche die Gerichte bindende Beschränkung des Sachvortrags ist grundsätzlich noch in zweiter Instanz möglich. Die Regelung des § 6 Satz 1 KSchG dient der Konzentration des Kündigungsschutzprozesses und in diesem Zusammenhang auch dem Schutz des Arbeitgebers. Dieser soll sich nicht erstmals in zweiter Instanz auf einen bis dahin in das gerichtliche Verfahren nicht eingeführten „anderen“ Unwirksamkeitsgrund einlassen und dementsprechend langfristig entsprechende Beweise sichern müssen. Diesem Zweck widerspricht es nicht, dem Arbeitnehmer die Befugnis einzuräumen, die Unwirksamkeitsrüge bezogen auf einen bestimmten Unwirksamkeitsgrund selbst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium wieder fallen zu lassen.

51

3. So liegt es hier. Einer Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung mit Blick auf die (Gesamt-)Personalratsbeteiligung bedurfte es nicht. Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand des Berufungsurteils festgestellt, der Kläger erhebe die betreffende Rüge nicht mehr. Tatbestandsberichtigung hat der Kläger nicht beantragt.

52

VI. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 13. Februar 2009 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

53

VII. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 2014 - 2 TaBV 18/13 - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 18. Juni 2013 - 2 BV 22/12 - abgeändert und der Antrag abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3.

2

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit Hauptsitz in H. In Deutschland betreibt sie etwa 390 Filialen, darunter eine Filiale in T. Der Beteiligte zu 3. ist bei ihr seit September 1999 als Mitarbeiter im Verkauf auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags mit sog. Jahresarbeitszeitregelung beschäftigt. Die vereinbarte Jahresarbeitszeit betrug zuletzt 1.660 Stunden. Die Arbeitgeberin setzt Mitarbeiter mit Jahresarbeitszeitregelung entsprechend dem Arbeitsanfall variabel ein. In ihrer Filiale in T erfolgt die Personalplanung monatlich gemäß einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit aus dem Jahre 2008. Im Arbeitsvertrag zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin vom 10. September 2001 ist in § 4 Abs. 2 unter der Überschrift „Allgemeine Pflichten“ bestimmt, dass „Nebentätigkeiten […] nur mit dem Einverständnis des Arbeitgebers ausgeübt werden“ dürfen.

3

Der Beteiligte zu 3. ist Vorsitzender des für die Filiale in T gebildeten Betriebsrats. Er ist außerdem Mitglied im Gesamtbetriebsrat, im Wirtschaftsausschuss und im Europäischen Betriebsrat. Im Oktober 2012 teilte er der Arbeitgeberin unter dem Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“ und unter Angabe seiner Steuernummer und Bankverbindung mit, dass er am 9. November 2012 als Beisitzer einer Einigungsstelle für den Betrieb der Arbeitgeberin in A tätig sein werde und hierfür vorsorglich um ihr Einverständnis bitte, obwohl er die arbeitsvertragliche Klausel zu Nebentätigkeiten für unwirksam halte. Zugleich zeigte er an, zukünftig „im Nebenerwerb als Betriebsratsberater (als Pendant zum Unternehmensberater)“ tätig zu sein, und bat auch dafür vorsorglich um das Einverständnis der Arbeitgeberin. Außerdem erinnerte er an ein Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit. Durch die Ablehnung erschwere ihm die Arbeitgeberin seine Nebentätigkeit „in einer freiberuflichen Gründungsphase“. Unter demselben Briefkopf stellte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin ein Honorar für die Tätigkeit als Mitglied einer in der Filiale in S bis Januar 2012 geführten Einigungsstelle in Höhe von 9.163,00 Euro in Rechnung. Die Arbeitgeberin leistete darauf keine Zahlung.

4

Mit Schreiben vom 7. November 2012 verweigerte die Arbeitgeberin ihre Zustimmung zu den angezeigten Nebentätigkeiten. Der Beteiligte zu 3. müsse mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung“ seines Arbeitsverhältnisses rechnen, wenn er sie dennoch ausübe.

5

Der Beteiligte zu 3. war von der Arbeitgeberin für den 9. November 2012 zur Arbeitsleistung vorgesehen. Der Betriebsrat stimmte dieser Einsatzplanung nicht zu. Durch Spruch der Einigungsstelle wurde der Personaleinsatz für November 2012 sodann in der Weise festgelegt, dass der Beteiligte zu 3. am 9. November 2012 nicht zur Arbeit eingeteilt war. Die Sitzung der Einigungsstelle in A am 9. November 2012 fand dennoch ohne ihn statt. Eine Sitzung am 18. Dezember 2012 nahm er wahr.

6

Der Beteiligte zu 3. wurde außerdem als Mitglied von Einigungsstellen in Filialen der Arbeitgeberin in W und He benannt. Die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats der Filiale W teilte der Arbeitgeberin in einem Schreiben vom 19. November 2012 mit, der Beteiligte zu 3., „(Komparative Betriebsratsberatung, T)“, werde als Beisitzer an der Einigungsstelle in W teilnehmen. Seine Bestellung für die Einigungsstelle in He zeigte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 17. Dezember 2012 an. Er verwandte dafür erneut den Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“.

7

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Mit Beschluss vom 24. Dezember 2012 verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung. Am 28. Dezember 2012 leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Verfahren zu deren Ersetzung ein.

8

Der Beteiligte zu 3. nahm im Februar 2013 an zwei Sitzungen der Einigungsstelle in A und an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teil. Anfang März 2013 nannte er der Arbeitgeberin weitere Termine für Sitzungen der Einigungsstellen in A, He und W. Gleichzeitig teilte er mit, die Termine zwar wahrnehmen zu wollen, nicht jedoch im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“. Anfang April 2013 tagte die Einigungsstelle in W erneut unter seiner Beteiligung. Mit Schreiben vom 15. April 2013 stellte ihn die Arbeitgeberin für die Zukunft von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

9

Anfang Mai 2013 nannte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin weitere Sitzungstermine der Einigungsstellen in He und W. Er werde auch diese nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“ wahrnehmen. Die Arbeitgeberin untersagte ihm die Teilnahme. Die Sitzung der Einigungsstelle in He wurde vertagt, die Sitzung in W fand mit ihm statt.

10

Anfang Juni 2013 übermittelte der Beteiligte zu 3. dem im Urlaub befindlichen „Store-Manager“ der Filiale in T eine E-Mail, in der er mitteilte, er werde am 7. Juni 2013 erneut an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teilnehmen, wiederum aber nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“.

11

Die Arbeitgeberin hat beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch im Hinblick auf die Beteiligung an den Sitzungen der Einigungsstellen seit Februar 2013 beantragt. Der Betriebsrat hielt an seiner Verweigerung fest oder hat nicht reagiert. Die Arbeitgeberin hat ihren Antrag auf Zustimmungsersetzung ergänzend auf diese Sachverhalte gestützt.

12

Der Beteiligte zu 3. war an keinem der Tage, an denen er an Einigungsstellensitzungen teilnahm, zur Arbeit verpflichtet. Im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstellen in A, W und He kam es über Fragen seines Personaleinsatzes zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den örtlichen Betriebsräten und der Arbeitgeberin, zum Teil unter seiner Beteiligung. Zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin sind außerdem eine Klage auf Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit sowie eine Klage auf Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ anhängig bzw. anhängig gewesen.

13

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 3. habe durch die Teilnahme an Einigungsstellen trotz ihrer ausdrücklichen Untersagung kontinuierlich und eklatant gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere gegen seine ihr gegenüber bestehende Loyalitätspflicht verstoßen. In § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei zwar kein Nebentätigkeitsverbot, aber ein Erlaubnisvorbehalt vereinbart worden. Die Nebentätigkeit als Einigungsstellenbeisitzer sei nicht genehmigungsfähig. Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung sei es dem Beteiligten zu 3. nicht gestattet, eine solche Tätigkeit auszuüben. Durch sie würden betriebliche Interessen verletzt. Zum einen beeinträchtige sie ihr durch den Arbeitsvertrag abgesichertes Interesse an der Möglichkeit eines flexiblen Einsatzes des Beteiligten zu 3. Dessen Verhalten habe zu einer Flut von kostenintensiven Verfahren geführt. Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten habe sie den Beteiligten zu 3. an den angekündigten Terminen von Einigungsstellensitzungen nicht mehr zur Arbeit eingeteilt. Zum anderen sei insbesondere das geschäftsmäßige Betreiben der Nebentätigkeit nicht mit den Loyalitätspflichten eines Arbeitnehmers vereinbar. Der Beteiligte zu 3. werde auf Seiten des Betriebsrats und damit gegen ihre Interessen, jedoch auf ihre Kosten tätig. Um seine geschäftlichen Interessen zu vertreten, müsse er zwangsläufig ihren Belangen zuwider handeln. Ein Verhalten wie das des Beteiligten zu 3. könne zu einem „Einigungsstellentourismus“ führen, bei dem sich die Betriebsräte des Unternehmens wechselseitig zu Beisitzern von Einigungsstellen beriefen. Die entgeltliche Tätigkeit als betriebsfremder Einigungsstellenbeisitzer führe zu einer verbotenen mittelbaren Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds. Der Beteiligte zu 3. komme als Beisitzer für die Einigungsstellen anderer Betriebe nur aufgrund seiner als Betriebsratsmitglied gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse in Betracht. Er wolle die auf ihre Kosten erworbenen Kenntnisse persönlich gewinnbringend - und dies wiederum auf ihre Kosten - verwerten. Sie habe in der Vergangenheit eine solche Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. weder geduldet noch genehmigt. Sie sei bislang davon ausgegangen, dass er als Beisitzer nur im Rahmen seines Betriebsratsamts tätig geworden sei. Auf die Verbote des § 78 BetrVG könne er sich nicht berufen. Er habe die Ämter als Beisitzer von Einigungsstellen gar nicht erst annehmen dürfen.

14

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

        

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

15

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung liege nicht vor. Die durch den Beteiligten zu 3. ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen seien zulässig. Er habe durch sie seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei als Allgemeine Geschäftsbedingung wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und als überraschende Klausel unwirksam. Zumindest habe der Beteiligte zu 3. einen Anspruch auf Erlaubnis gehabt. Betriebliche Interessen der Arbeitgeberin seien durch seine Tätigkeiten nicht beeinträchtigt worden. Ihm sei es aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung möglich gewesen, sowohl seine Arbeitsverpflichtung zu erfüllen, als auch die Ämter als Einigungsstellenbeisitzer auszuüben. Er gerate durch die Teilnahme an Einigungsstellen anderer Betriebe des Unternehmens auch nicht in einen Loyalitätskonflikt. Als Beisitzer sei er ebenso wie als Betriebsratsmitglied an den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gebunden. Die Arbeitgeberin verstoße mit ihrer Kündigungsabsicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG. Zudem genüge ihr Antrag an den Betriebsrat nicht den gesetzlichen Anforderungen, da er nicht die notwendigen tatsächlichen Informationen enthalte. Insbesondere habe die Arbeitgeberin nicht dargelegt, welche betrieblichen Interessen durch die Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. beeinträchtigt worden seien.

16

Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. ihr Begehren weiter, den Antrag abzuweisen.

17

B. Die Rechtsbeschwerden sind begründet. Die Vorinstanzen haben die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Beteiligten zu 3. zu Unrecht ersetzt. Dessen Verhalten stellt keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses dar. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Zustimmung des Betriebsrats auch deshalb nicht zu ersetzen ist, weil die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt oder der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG über die Kündigungsgründe unterrichtet worden ist.

18

I. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 39 mwN; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 17 mwN). Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht ( BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13  - Rn. 39). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 34; 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39).

19

II. An einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt es. Mit der Annahme der Bestellungen als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin und der Teilnahme an den Sitzungen dieser Einigungsstellen hat der Beteiligte zu 3. weder gegen seine Pflichten aus § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags verstoßen noch seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

20

1. Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, dass die Klausel in § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags als sog. Erlaubnisvorbehalt zu verstehen und mit diesem Inhalt wirksam ist. Der Beteiligte zu 3. hatte einen Anspruch darauf, ihm die Tätigkeiten als Beisitzer der fraglichen Einigungsstellen zu gestatten. Mit ihnen war keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin verbunden (zum wichtigen Grund bei fortgesetzter Ausübung einer offensichtlich nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit, vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 28; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 42; zur Eignung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit als wichtiger Grund, wenn die vertraglich geschuldeten Leistungen beeinträchtigt werden, vgl. BAG 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - zu I 3 b der Gründe). Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer auch nicht zurückstellen, bis gerichtlich geklärt wäre, ob sie mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten vereinbar sind.

21

a) Ein Arbeitnehmer hat in Anbetracht seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Ausübung von Nebentätigkeiten, sofern diese die betrieblichen Interessen nicht beeinträchtigen(BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70). Außerhalb der Arbeitszeit steht ihm die Verwendung seiner Arbeitskraft grundsätzlich frei. Soweit die Nebentätigkeit beruflicher Natur ist, kann er sich auf das Grundrecht der freien Berufswahl berufen (Art. 12 Abs. 1 GG). Nichtberufliche Tätigkeiten sind durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt. Der Arbeitnehmer hat jedoch jede Nebentätigkeit zu unterlassen, die mit seiner Arbeitspflicht kollidiert. Das ist der Fall, wenn sie gleichzeitig mit der Haupttätigkeit ausgeübt werden soll oder bei nicht gleichzeitiger Ausübung dann, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung unter ihr leidet. Solche Nebentätigkeiten stellen eine Verletzung der Arbeitspflicht dar (BAG 18. Januar 1996 - 6 AZR 314/95 - zu I 2 b aa der Gründe). Zu unterlassen sind ferner Nebentätigkeiten, die gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 27 ff.; 16. Januar 2013 - 10 AZR 560/11 - Rn. 14 ff.) oder sonst einen Interessenwiderstreit hervorrufen, der geeignet ist, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität und Integrität des Arbeitnehmers zu zerstören (BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 5 der Gründe, BAGE 105, 205; 28. Februar 2002 - 6 AZR 33/01 - zu 1 b bb der Gründe; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 118; Peter Nebentätigkeiten von Arbeitnehmern S. 119 ff.).

22

b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob die der Arbeitgeberin angezeigte Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“ oder eine gewerbsmäßige Teilnahme an Einigungsstellen, die über die gelegentliche Wahrnehmung von Bestellungen als Beisitzer hinausginge, die betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigte. Die vom Beteiligten zu 3. tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen in anderen Betrieben der Arbeitgeberin rechtfertigen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, diese seien Teil eines auf Gewerbsmäßigkeit angelegten - wie auch immer näher zu bestimmenden - „Geschäftsmodells“ gewesen.

23

aa) Zwar hatte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin im Oktober 2012 angezeigt, im Nebenerwerb als „komparativer Betriebsratsberater“ tätig werden zu wollen. Er hatte an das Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit erinnert und hatte der Arbeitgeberin vorgehalten, sie erschwere durch ihre Ablehnung seine „freiberufliche Gründungsphase“. Er hatte der Arbeitgeberin mit entsprechendem Briefkopf ein Honorar für die im Januar 2012 abgeschlossene Einigungsstelle in S in Rechnung gestellt und im Dezember 2012 unter demselben Briefkopf seine Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstelle in He angezeigt. Auch der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in W war die Titulierung seiner Tätigkeit als „komparative Betriebsratsberatung“ offensichtlich bekannt, wie sich aus ihrem Schreiben vom 19. November 2012 ergibt.

24

bb) Die tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten als Beisitzer der Einigungsstellen in S, A und W - die Einigungsstelle in He ist nur noch ohne Beteiligung des Beteiligten zu 3. zusammengetreten - lassen jedoch eine über die gelegentliche Annahme solcher Bestellungen hinausgehende, einem bestimmten „Geschäftsmodell“ folgende und dauerhaft auf Gewinnerzielung angelegte gewerbsmäßige Betätigung des Beteiligten zu 3. nicht erkennen. Dagegen sprechen sowohl die geringe Zahl der Einigungsstellen als auch der Umstand, dass er - zumindest bislang - für seine Tätigkeiten in A und W kein Honorar in Rechnung gestellt und die Honorarforderung für die Einigungsstelle in S nicht weiterverfolgt hat. Der Beteiligte zu 3. hat der Arbeitgeberin seine Teilnahme an den Einigungsstellensitzungen außerdem seit März 2013 stets mit dem ausdrücklichen Hinweis angezeigt, die Termine nicht im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“, sondern als einzelne Termine wahrnehmen zu wollen. Zudem ist weder konkret vorgetragen noch objektiv ersichtlich, dass der Beteiligte zu 3. etwa werbend für eine Tätigkeit als „Betriebsratsberater“ aufgetreten wäre. Selbst wenn er eine ursprünglich andere Absicht nur mit Blick auf das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren nicht weiterverfolgt haben sollte, hätte er sie jedenfalls bislang nicht verwirklicht. Sofern er weiterhin auf Erteilung der Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ klagen sollte, nähme er lediglich das Recht wahr, seinen - vermeintlichen - Anspruch gerichtlich klären zu lassen. Dies spräche allenfalls dafür, dass er ein „Geschäftsmodell“, das über die Wahrnehmung einzelner Ämter als Einigungsstellenbeisitzer hinausginge, für die Zukunft noch nicht aufgegeben hat. Nichts anderes gilt für die Klage auf Reduzierung und Festlegung der Lage seiner Arbeitszeit. Der Beteiligte zu 3. hatte sein Begehren zwar im Oktober 2012 noch in den Zusammenhang mit einer „freiberuflichen Gründungsphase“ gestellt. Auch dies spricht aber allenfalls dafür, dass er ursprünglich weitergehende Absichten gehabt und diese möglicherweise für die Zukunft noch nicht endgültig aufgegeben hat.

25

c) Soweit die Arbeitgeberin den Antrag auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe stützt, war damit weder eine Verletzung seiner Arbeitspflicht noch eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin wegen einer Einschränkung seiner flexiblen Einsetzbarkeit verbunden.

26

aa) Seine Arbeitspflicht hat der Beteiligte zu 3. durch die Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen nicht verletzt. Es liegen auch keine Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz vor. Unabhängig davon, dass der Beteiligte zu 3. an den Sitzungen der Einigungsstellen nicht als Arbeitnehmer teilgenommen hat, sind selbst bei einer Zusammenrechnung der aufgewendeten Zeiten mit den Zeiten seiner Teilzeittätigkeit für die Arbeitgeberin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ArbZG Überschreitungen der höchstzulässigen Arbeitszeit weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich.

27

bb) Die ausgeübten Tätigkeiten als Einigungsstellenbeisitzer haben betriebliche Belange der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Personaleinsatzplanung nicht beeinträchtigt. Dabei kann zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt werden, dass die mit dem Beteiligten zu 3. getroffene Vereinbarung zur Jahresarbeitszeit wirksam war.

28

(1) Die Regelungen zur Personaleinsatzplanung in der Filiale T ermöglichten es, Kollisionen zwischen der gelegentlichen Teilnahme des Beteiligten zu 3. an Einigungsstellensitzungen und seiner Arbeitspflicht zu vermeiden. Die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer mit variabler Arbeitszeit können dort vor der Festlegung des monatlichen Dienstplans Zeiten benennen, an denen sie aus dringenden Gründen an einem Einsatz gehindert sind, denen die Filialleitung nach Möglichkeit Rechnung trägt (vgl. Ziff. III 2 der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit vom 18. Dezember 2008).

29

(2) Die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. haben die Möglichkeit der Arbeitgeberin, ihn flexibel einzusetzen, nicht in beachtlicher Weise eingeschränkt. Zwar hatte der Beteiligte zu 3. für den 9. November 2012 einen Freizeitwunsch geäußert und der Betriebsrat seine Einteilung für diesen Tag abgelehnt. Die Arbeitgeberin hat aber nicht behauptet, es hätten betriebliche Gründe vorgelegen, die den Einsatz des Beteiligten zu 3. am 9. November 2012 erforderlich gemacht hätten. Dagegen spricht auch, dass der Personaleinsatz von der Einigungsstelle für diesen Tag ohne den Beteiligten zu 3. festgelegt wurde. Ebenso wenig hat die Arbeitgeberin behauptet, dieser habe ihr - bis sie ihn von der Arbeitsleistung gänzlich freigestellt habe - seine Freizeitwünsche jeweils erst so spät angezeigt, dass deren Berücksichtigung zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt habe. Besondere Probleme bei der Einsatzplanung, die die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. verursacht hätten, sind vielmehr durch Tatsachen nicht belegt. Es war der Arbeitgeberin durchweg möglich, diesen an den Tagen der von ihm angezeigten Einigungsstellensitzungen gar nicht erst zur Arbeit einzuteilen. Damit verbundene Schwierigkeiten hat sie nicht dargelegt. War ihr aber eine Berücksichtigung der Freizeitwünsche des Beteiligten zu 3. möglich, stellt der Umstand, dass dieser sie anmeldete, keine Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Belange dar. Es ist vielmehr Bestandteil der im Betrieb in T praktizierten Personaleinsatzplanung, dass private Freizeitwünsche der Arbeitnehmer und betriebliche Erfordernisse nach Möglichkeit in Einklang gebracht werden müssen.

30

(3) Das Vorbringen der Arbeitgeberin, sie sei dem Beteiligten zu 3. allein deshalb bei der Einsatzplanung entgegengekommen, weil sie weitere Auseinandersetzungen wegen seines Arbeitseinsatzes habe vermeiden wollen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu Streitigkeiten über die Personaleinsatzplanung deshalb gekommen ist, weil der Beteiligte zu 3. oder die beteiligten Betriebsräte nicht bereit gewesen wären, berechtigte betriebliche Erfordernisse der Arbeitgeberin anzuerkennen.

31

d) Der Beteiligte zu 3. war mit Blick auf seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB auch nicht aus anderen Gründen gehindert, die Benennungen als Einigungsstellenbeisitzer anzunehmen.

32

aa) In der Mitwirkung an einer Einigungsstelle nach § 76 BetrVG liegt für sich genommen keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers. Die Einigungsstelle ist eine betriebsverfassungsrechtliche Institution eigener Art mit dem Zweck, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der betrieblichen Ordnung zu gewährleisten, indem sie ggf. durch Zwangsschlichtung Pattsituationen im Bereich der paritätischen Mitbestimmung auflöst. Es handelt sich um das gesetzlich vorgesehene Verfahren, um in betrieblichen Regelungsstreitigkeiten eine Einigung herbeizuführen. Die von den jeweiligen Betriebsparteien bestellten Beisitzer sind weder deren Vertreter noch ihr verlängerter Arm. Sie wirken bei der Schlichtung des Regelungsstreits frei von Weisungen und mit einer gewissen inneren Unabhängigkeit mit (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 22; 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 97, 379). Dementsprechend können sie nicht mit Vertretern einer Betriebspartei gleichgesetzt werden, auch wenn ihre Nähe zu derjenigen Betriebspartei, die sie bestellt hat, nicht zu verkennen und vom Gesetz auch gewollt ist (BAG 29. Januar 2002 - 1 ABR 18/01 - zu B I 2 b cc der Gründe, BAGE 100, 239; 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 80, 222). Die Tätigkeit der Einigungsstelle ist auf eine Beseitigung von Konflikten vornehmlich auf dem Weg der Herbeiführung eines für beide Seiten akzeptablen Kompromisses ausgerichtet (vgl. BAG 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - aaO). Die vom Betriebsrat bestellten Beisitzer vertreten dabei die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer nicht mangels Loyalität gegenüber der Arbeitgeberseite, sondern aufgrund der ihnen vom Gesetz zugewiesenen Rolle. Sie sind nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG überdies verpflichtet, ihre Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung nicht nur der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch der betrieblichen Belange und nach billigem Ermessen zu treffen(BAG 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - aaO; 18. Januar 1994 - 1 ABR 43/93 - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 75, 261). Der Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ist damit vom Gesetz vorausgesetzt und soll durch die Verhandlungen in der Einigungsstelle - unter Mitwirkung eines unabhängigen Vorsitzenden - gerade überwunden werden.

33

bb) Die Benennung des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin war grundsätzlich zulässig.

34

(1) Der Betriebsrat bestellt seine Beisitzer durch Beschluss (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 19. August 1992 - 7 ABR 58/91 - zu B II 2 a der Gründe). Er darf sich dabei für Personen entscheiden, denen er dahingehend vertraut, dass sie als Beisitzer die Interessen der Arbeitnehmer in Verhandlungen mit der anderen Seite wahren. Dies und das Vertrauen, durch das Erarbeiten von Kompromissen eine für beide Betriebsparteien annehmbare Konfliktlösung zu erreichen, ist der Maßstab, an dem sich der Betriebsrat bei seiner personellen Auswahl auszurichten hat. Es steht ihm dabei frei, betriebsexterne Beisitzer zu benennen. Er darf dies nicht nur dann, wenn deren Benennung auch erforderlich ist (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - aaO; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 3 der Gründe; für die Bestellung betriebsfremder, aber unternehmensangehöriger Beisitzer, vgl. BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129). Die Befugnis zur Bestellung von Beisitzern ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt nicht in Betracht (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 23; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 31 f., BAGE 148, 182). Dem Betriebsrat ist es allerdings verwehrt, Personen als Beisitzer von Einigungsstellen zu benennen, die offensichtlich ungeeignet sind, entsprechend der Funktion in der Einigungsstelle tätig zu werden (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - aaO; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 36).

35

(2) Danach bestanden gegen die Bestellung des Beteiligten zu 3. zum Beisitzer der Einigungsstellen in den anderen Betrieben der Arbeitgeberin keine Bedenken. Die Arbeitgeberin hat nicht behauptet, der Beteiligte zu 3. sei zur Wahrnehmung der dort anfallenden Aufgaben offensichtlich nicht geeignet gewesen.

36

cc) Der Beteiligte zu 3. geriet durch die Annahme der Benennungen selbst dann nicht in einen Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er für die Amtsausübung - anders als nach § 76a Abs. 2 BetrVG für die Teilnahme an einer Einigungsstelle im eigenen Betrieb - gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG die Zahlung eines Honorars von der Arbeitgeberin beanspruchen könnte.

37

(1) Nach § 76a Abs. 3 BetrVG hat ein betriebsfremder Beisitzer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit im Einigungsstellenverfahren, dessen Höhe sich nach den Maßgaben des § 76a Abs. 4 Satz 3 bis Satz 5 BetrVG richtet. Anders als nach der früheren Rechtslage hängt das Entstehen des Honoraranspruchs nicht mehr davon ab, ob der Betriebsrat dem Beisitzer ein Honorar zugesagt hat (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 1 der Gründe). Der Honoraranspruch ist dem Grunde nach nur von der wirksamen Bestellung für eine im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Einigungsstelle und der Annahme dieser Bestellung abhängig.

38

(2) Die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch Honoraransprüche externer Beisitzer ist damit dem Einigungsstellenverfahren immanent. Sie ist nicht nur - möglicherweise - Folge der Bestellung eines betriebsfremden, aber doch unternehmensangehörigen Arbeitnehmers, sondern entsteht von Gesetzes wegen bei jeder Bestellung eines betriebsfremden Beisitzers.

39

(3) Ein (etwaiger) gesetzlicher Honoraranspruch des betriebsfremden unternehmensangehörigen Beisitzers, der zugleich Mitglied des Betriebsrats eines unternehmenszugehörigen Betriebs ist, verstieße nicht gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Mitglieder eines der in § 78 Satz 1 BetrVG bezeichneten betriebsverfassungsrechtlichen Organe gegenüber den Mitarbeitern desselben Arbeitsverbunds wegen ihrer Amtstätigkeit weder zu benachteiligen noch zu begünstigen. Stünde einem betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Einigungsstellenbeisitzer gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG ein Honoraranspruch zu(dies ablehnend und für eine entsprechende Anwendung von § 76a Abs. 2 BetrVG HWGNRH-Worzalla 9. Aufl. § 76a Rn. 15), handelte es sich nicht um eine gesetzlich missbilligte Begünstigung, sondern - ähnlich wie beim Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder gemäß § 15 KSchG und § 103 BetrVG - um eine gesetzlich gerade vorgesehene Ungleichbehandlung. Dementsprechend stellte schon nach der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des § 76a BetrVG die Honorarzusage an einen betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Beisitzer keine Begünstigung iSd. § 78 Satz 2 BetrVG dar(BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129).

40

(4) Allein der Umstand, dass dem Beteiligten zu 3. gegen die Arbeitgeberin ein gesetzlicher Honoraranspruch aufgrund seiner Amtswahrnehmung zustehen könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, er müsse in stärkerem Maße, als dies für die Vertretung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in der Einigungsstelle erforderlich war, gegen ihre Interessen tätig geworden sein. Soweit sich die Arbeitgeberin darauf beruft, das „Geschäftsmodell“ des Beteiligten zu 3. habe nur funktionieren können, wenn er in den Einigungsstellen ausschließlich solche Interessen vertrat, welche den ihren zuwiderliefen, zielt sie auf ein dem Beteiligten zu 3. zugeschriebenes Bestreben, sich auf ihre Kosten eine weitere „Erwerbsquelle“ zu verschaffen. Wie ausgeführt, gibt es indessen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 3. seine Tätigkeiten als Beisitzer auf dieses Ziel ausgerichtet hätte. Soweit die Arbeitgeberin geltend macht, zur Verwirklichung seines Konzepts müsse der Beteiligte zu 3. die Interessen des jeweiligen örtlichen Betriebsrats „bestmöglich“ vertreten, verkennt sie, dass die Beisitzer auf Betriebsratsseite nicht die Interessen des sie bestellenden Gremiums, sondern diejenigen der von der Regelungsstreitigkeit betroffenen Arbeitnehmer wahrnehmen. Dies wiederum ist ihre gesetzlich vorgesehene Aufgabe. Selbst die „bestmögliche“ Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in einer Einigungsstelle stellt deshalb keine Illoyalität gegenüber dem Arbeitgeber dar.

41

(5) Der Beteiligte zu 3. hat seine individualrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin auch dann nicht verletzt, wenn er - wie die Arbeitgeberin behauptet hat - als Beisitzer in den Einigungsstellen anderer Betriebe seine als Betriebsratsmitglied erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten genutzt hat und nur aufgrund ihrer überhaupt bestellt worden ist. Wäre dies als mittelbare Vergütung von Betriebsratstätigkeit anzusehen, läge darin allenfalls ein Grund, ihm einen Honoraranspruch für die Tätigkeit als externer Beisitzer zu versagen. Stünde dagegen das Prinzip des Ehrenamts in § 37 Abs. 1 BetrVG einem Honoraranspruch nach § 76a Abs. 3 BetrVG auch in einem solchen Fall nicht entgegen, wäre ebenso wenig eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin verletzt.

42

(6) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 3. eine solche Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, wenn seine Bestellungen zum Beisitzer in Einigungsstellen anderer Betriebe Teil eines „Ringtauschs“ gewesen wären, wenn also die Betriebsräte der Arbeitgeberin ihre Mitglieder wechselseitig zu Einigungsstellenbeisitzern bestellt hätten, um ihnen Honoraransprüche zu verschaffen, die andernfalls wegen § 76a Abs. 2 BetrVG nicht entstünden. Nach den vorgetragenen Umständen ist nichts dafür ersichtlich, dass ein solches Vorgehen auch nur geplant gewesen wäre.

43

dd) Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Vereinbarkeit mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten zurückstellen. Dies gilt auch dann, wenn die Regelungen in § 4 Abs. 2 seines Arbeitsvertrags als - wirksame - Vereinbarung eines Erlaubnisvorbehalts zu verstehen wären. Sinn und Zweck eines solchen Vorbehalts ist es, den Arbeitgeber durch die Anzeige beabsichtigter Nebentätigkeiten in die Lage zu versetzen, vor deren Aufnahme zu prüfen, ob durch sie betriebliche Belange beeinträchtigt werden (vgl. dazu BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70; 21. September 1999 - 9 AZR 759/98 - zu I 2 der Gründe). Das Interesse, den Arbeitnehmer auch dann von der Ausübung einer - angezeigten - Nebentätigkeit abzuhalten, wenn er bei objektiver Betrachtung einen Anspruch auf ihre Erlaubnis hat, ist dagegen nicht schutzwürdig. Ein Arbeitnehmer, der mit der Ausübung einer rechtmäßigen Nebentätigkeit nicht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung abwartet, handelt unter Berücksichtigung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG nicht pflichtwidrig. Anders als im Fall des eigenmächtigen Urlaubsantritts (vgl. hierzu BAG 22. Januar 1998 - 2 ABR 19/97 - zu B II 3 der Gründe; 20. Januar 1994 - 2 AZR 521/93 - zu II 2 a der Gründe) geht es nicht um die einseitige Suspendierung der Hauptleistungspflicht. Die Ausübung einer Nebentätigkeit in der Freizeit betrifft den einer Regulierung durch den Arbeitgeber grundsätzlich entzogenen Bereich der privaten Lebensgestaltung. Dies unterscheidet sie auch von der Nichtbeachtung einer unbilligen Leistungsbestimmung des Arbeitgebers (zur vorläufigen Bindung des Arbeitnehmers an eine solche Weisung vgl. BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 24, BAGE 141, 34; dazu kritisch Fischer FA 2014, 38; Preis NZA 2015, 1, 6; Thüsing JM 2014, 20).

44

2. Dafür, dass der Beteiligte zu 3. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Einigungsstellenbeisitzer in sonstiger Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Brossardt    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(2) Die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit der in Satz 1 genannten Personen ist ihre Kündigung innerhalb eines Jahres, vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 des Betriebsverfassungsgesetzes beantragt, ist vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; der Kündigungsschutz gilt für die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird ein Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz nach Satz 1 vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.

(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.

(4) Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig, es sei denn, daß ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

(5) Wird eine der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so findet auf ihre Kündigung die Vorschrift des Absatzes 4 über die Kündigung bei Stillegung des Betriebs sinngemäß Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Verordnung (EU)2016/679besteht ergänzend zu der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Ausnahme dann nicht, wenn die Erteilung der Information über die beabsichtigte Weiterverarbeitung

1.
eine Weiterverarbeitung analog gespeicherter Daten betrifft, bei der sich der Verantwortliche durch die Weiterverarbeitung unmittelbar an die betroffene Person wendet, der Zweck mit dem ursprünglichen Erhebungszweck gemäß der Verordnung (EU)2016/679vereinbar ist, die Kommunikation mit der betroffenen Person nicht in digitaler Form erfolgt und das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere mit Blick auf den Zusammenhang, in dem die Daten erhoben wurden, als gering anzusehen ist,
2.
im Fall einer öffentlichen Stelle die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgaben im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Buchstabe a bis e der Verordnung (EU) 2016/679 gefährden würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
3.
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
4.
die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen oder
5.
eine vertrauliche Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen gefährden würde.

(2) Unterbleibt eine Information der betroffenen Person nach Maßgabe des Absatzes 1, ergreift der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person, einschließlich der Bereitstellung der in Artikel 13 Absatz 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Informationen für die Öffentlichkeit in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache. Der Verantwortliche hält schriftlich fest, aus welchen Gründen er von einer Information abgesehen hat. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 4 und 5 keine Anwendung.

(3) Unterbleibt die Benachrichtigung in den Fällen des Absatzes 1 wegen eines vorübergehenden Hinderungsgrundes, kommt der Verantwortliche der Informationspflicht unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Verarbeitung innerhalb einer angemessenen Frist nach Fortfall des Hinderungsgrundes, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen, nach.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Januar 2010 - 9 Sa 1913/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 15. Oktober 1991 (MDK-T) Anwendung. Die Beklagte rechnete der Klägerin nach § 14 MDK-T eine Vorbeschäftigungszeit seit Januar 1991 an. Die Klägerin war deshalb gem. § 34 Abs. 1 MDK-T nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit. Die Mitarbeiter, die an der Gleitzeit teilnehmen, können danach in der Zeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen. Nach Nr. VII der Dienstvereinbarung sind von jedem Mitarbeiter Beginn und Ende der Anwesenheitszeit minutengenau zu dokumentieren. Dies geschieht durch Eingabe in ein elektronisches Zeiterfassungssystem mit Hilfe des PCs am Arbeitsplatz. Nach § 12 Abs. 9 MDK-T beginnt und endet die Arbeitszeit „an der Arbeitsstelle“. Unter Nr. IX der Dienstvereinbarung heißt es zu „Unregelmäßigkeiten und Missbrauch“:

        

„Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die in dieser Dienstvereinbarung und den Verwaltungsanordnungen enthaltenen Grundsätze und Bestimmungen nicht einhalten, können mit Zustimmung der Personalvertretung von der GLAZ ausgeschlossen werden.

        

Jedes bewusste Unterlassen der Zeiterfassung oder jede sonstige Manipulation des Zeiterfassungsverfahrens stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mit dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen dar. Der Missbrauch hat grundsätzlich disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Folge.“

4

Mit Schreiben vom 17. Juni 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen „Arbeitszeitbetrugs“ im Zeitraum vom 26. Mai bis 2. Juni 2008, zumindest wegen eines entsprechenden Verdachts außerordentlich.

5

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Arbeitszeit beginne jeweils bereits dann, wenn sie die Parkplatzeinfahrt durchfahren habe. Sie hat behauptet, es habe keine Anweisung bestanden, dass maßgeblich die Uhr im Eingangsbereich sei. Sie habe häufig viel Zeit mit der Suche nach einem Parkplatz verbracht, für 50 Mitarbeiter hätten nur 27 Parkplätze zur Verfügung gestanden.

6

Die Klägerin hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 nicht beendet wird;

        

2.    

im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verwaltungsangestellte weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat in den Rechtsstreit weitere fehlerhafte Arbeitszeitabrechnungen der Klägerin für den 3. und 4. Juni 2008 eingeführt. Sie hat behauptet, die Klägerin habe an der gleitenden Arbeitszeit teilgenommen und an insgesamt sieben Arbeitstagen jeweils mindestens 13 Minuten, an einigen Tagen sogar mehr als 20 Minuten als Arbeitszeiten dokumentiert, obwohl sie noch nicht im Betrieb gewesen sei oder den Betrieb bereits verlassen hätte.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

10

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst.

11

1. Ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T, § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

12

a) Das Arbeitsverhältnis eines nach § 34 Abs. 1 MDK-T ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Begriff des wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T ist inhaltsgleich mit dem des § 626 Abs. 1 BGB(BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 16, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, NZA 2010, 1227; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist. Bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ist dabei auf die „fiktive“ Kündigungsfrist abzustellen (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 24).

13

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Verhalten der Klägerin rechtfertige an sich eine außerordentliche Kündigung.

14

aa) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53). Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - aaO). Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB).

15

bb) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Klägerin habe für den 26., 27., 28. und 29. Mai, sowie den 2., 3. und 4. Juni 2008 jeweils mindestens 13 Minuten, einmal 28 Minuten - insgesamt 135 Minuten - vorsätzlich fehlerhaft zu Lasten der Beklagten als Arbeitszeiten in der Zeiterfassung dokumentiert. Angesichts der nicht unerheblichen Abweichungen zwischen den angegebenen Arbeitszeiten und dem tatsächlichen Betreten des Dienstgebäudes könne es sich bei den Falschangaben nicht nur um fahrlässiges Handeln oder ein Versehen gehandelt haben. Die Klägerin habe im Zeitraum der Beobachtung täglich und damit systematisch fehlerhafte Angaben gemacht. Dabei sei zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass die Uhr im Eingangsbereich im Einzelfall um einige Minuten falsch gegangen sein könnte. Ihr Vorbringen zu einer rechtlichen Information von dritter Seite über Beginn und Ende der zu dokumentierenden Anwesenheitszeit sei nicht geeignet, ihren Vorsatz in Frage zu stellen. So erklärten sich die Arbeitszeitdifferenzen von 15 bis zu 28 Minuten selbst dann nicht, wenn man mit der Klägerin das Durchfahren der Parkplatzeinfahrt zu Tagesbeginn und -ende als maßgeblich zugrunde lege.

16

cc) Gegen diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als vorsätzlich lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann bezüglich der Feststellung innerer Tatsachen nur prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21, NZA 2011, 571; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 27 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Zwar war in der Dienstvereinbarung keine Definition enthalten, wann die zu dokumentierende Anwesenheitszeit beginnt bzw. endet, und auch der Begriff der „Arbeitsstelle“ in § 12 Abs. 9 MDK-T ist auslegungsfähig. Hierauf kam es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aber nicht an, da die Angaben der Klägerin selbst bei weitest möglichem Begriffsverständnis nicht zu erklären seien.

17

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall entbehrlich gewesen, und seine weitere Interessenabwägung sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, NZA 2011, 571; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 29, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33 mwN, aaO).

19

bb) Eine Abmahnung war demnach im Streitfall entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon deswegen entbehrlich, weil das Fehlverhalten der Klägerin den Vertrauensbereich betrifft. Seine Entscheidung erweist sich im Ergebnis aber als richtig, da eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen war.

20

Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu Lasten der Beklagten an mehreren Tagen hintereinander systematisch und vorsätzlich um jeweils mindestens 13 Minuten - insgesamt 135 Minuten - falsche Arbeitszeiten angegeben und damit in beträchtlichem Umfang über die erbrachte Arbeitszeit zu täuschen versucht. Dieses auf Heimlichkeit angelegte, vorsätzliche und systematische Fehlverhalten wiegt besonders schwer. Soweit sich die Klägerin darauf berufen hat, andere Mitarbeiter hätten sie ohne Weiteres beobachten können, wenn sie noch in ihrem Pkw saß, um zu rauchen oder auf ihre Tochter zu warten, ändert dies nichts daran, dass ihre Falschangaben bei der Arbeitszeiterfassung nicht offen erfolgten. Aus den angegeben Arbeitszeiten als solchen ließ sich nicht ersehen, dass sie nicht korrekt waren. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage erscheint angesichts dessen auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht mehr wiederherstellbar. Eine Hinnahme des vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens durch die Beklagte war - auch für die Klägerin erkennbar - aufgrund der Schwere ihrer Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen.

21

cc) Auch im Übrigen hält die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

22

(1) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39).

23

(2) Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts war es der Beklagten nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf einer „fiktiven“ Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Die längste ordentliche Kündigungsfrist hätte nach § 33 MDK-T zwölf Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres betragen. Auch die langjährige unbeanstandete Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut 17 Jahren, ihr Alter sowie die von ihr angegebene Unterhaltspflicht für eine Person führen angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten. Die Klägerin hat nicht nur einmal in etwa nur geringem Umfang, sondern an sieben Arbeitstagen hintereinander systematisch und vorsätzlich ihre Arbeitszeit im Umfang von jeweils 13 bis 28 Minuten zu Lasten der Beklagten falsch angegeben. Die Störung des Vertrauensverhältnisses durch ihren Täuschungsversuch wiegt besonders schwer, und zwar unabhängig davon, ob eine Wiederholungsgefahr dadurch ausgeschlossen werden könnte, dass die Klägerin aus der Gleitzeit herausgenommen würde. Das Verschulden der Klägerin ist so erheblich, dass es der Beklagten nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen. Aus Nr. IX der Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit lässt sich nicht etwa die Abrede entnehmen, ein Missbrauch könne allenfalls zu einer Herausnahme des Arbeitnehmers aus der gleitenden Arbeitszeit führen. Dort ist vielmehr für diesen Fall ausdrücklich auf die Möglichkeit arbeitsrechtlicher Schritte hingewiesen.

24

2. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß angehört. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

25

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag für die Dauer des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Rechtsstreit ist abgeschlossen.

26

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Roeckl    

                 

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. April 2012 - 18 Sa 1474/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt sog. Cash & Carry-Märkte. Der 1971 geborene Kläger war in einem ihrer Großhandelsmärkte seit August 1994 als Verkaufsmitarbeiter in der Getränkeabteilung tätig. In dem Markt beschäftigt die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 4. März 2011 war der Kläger in der Spätschicht von 15:00 bis 22:00 Uhr eingesetzt. Wegen eines laut gewordenen Diebstahlverdachts öffnete der zuständige Geschäftsleiter im Beisein eines Betriebsratsmitglieds während der Arbeitszeit den verschlossenen Spind des Klägers und durchsuchte ihn. Nach Behauptung der Beklagten wurde dabei vom Kläger entwendete Damenunterwäsche entdeckt. Der Geschäftsleiter äußerte daraufhin seine Absicht, gegen Ende der Schicht unter Hinzuziehung zweier Betriebsratsmitglieder eine Taschen-/Personenkontrolle durchzuführen. Dem Kläger gelang es, den Markt schon vorher unkontrolliert zu verlassen. Die Umstände, unter denen dies geschah, sind streitig.

4

Die Beklagte erstattete nach Schichtende Strafanzeige gegen den Kläger wegen Diebstahls von vier Teilen Damenunterwäsche. Eine unmittelbar darauf beim Kläger - mit dessen Einverständnis - polizeilich durchgeführte Wohnungsdurchsuchung verlief ergebnislos. Gegen 22:30 Uhr durchsuchte der Geschäftsleiter den Spind des Klägers in Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds ein weiteres Mal. Die Beklagte hat behauptet, dabei seien die Wäschestücke nicht mehr aufgefunden worden.

5

In der Zeit vom 5. bis zum 13. März 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 7. März 2011 teilte ihm die Beklagte schriftlich mit, er stehe im Verdacht, zum Verkauf bestimmte Damenunterwäsche aus dem Markt entwendet zu haben. Sie lud ihn zu einem Gespräch am 11. März 2011, alternativ gab sie ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 14. März 2011. Der Kläger ließ den Gesprächstermin verstreichen und gab binnen der Frist auch keine schriftliche Erklärung ab. Auf Befragen durch den Geschäftsleiter äußerte er, er werde zu dem Vorwurf keine Angaben machen.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 17. März 2011 fristlos, mit einem weiteren Schreiben vom selben Tage kündigte sie „hilfsweise“ ordentlich zum 31. Oktober 2011.

7

Der Kläger hat mit seiner fristgerecht erhobenen Kündigungsschutzklage geltend gemacht, beide Kündigungen seien unwirksam. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe keinen Diebstahl begangen, insbesondere habe er keine Damenunterwäsche in seinem persönlichen Schrank aufbewahrt. Dessen heimliche Durchsuchung verletze sein Persönlichkeitsrecht. Daraus gewonnene Erkenntnisse seien prozessual nicht verwertbar.

8

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17. März 2011 aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

3. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1., ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag zu unveränderten Bedingungen als Mitarbeiter im Verkauf weiter zu beschäftigten;

4. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1., ihm ein Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, beide Kündigungen seien wirksam. Sie hat behauptet, in der Getränkeabteilung seien mehrfach Etiketten gefunden worden, die von nicht bezahlten Waren anderer Abteilungen stammten. Auch hätten sich unter dem Müll Verpackungen von Backwaren aus ihrem Sortiment befunden. Befragungen von Mitarbeitern hätten ergeben, dass der Kläger einige Male „Rosinenschnecken“ aus der Warenauslage des „Backshops“ entnommen habe, ohne damit die Kasse zu passieren. Außerdem habe er eine Mitarbeiterin des „Textilshops“ nach der Farbe einer Kinderhose gefragt. Später sei das Etikett einer solchen Hose im Abfall bei den Getränken gefunden worden. Am 4. März 2011 habe ihr Geschäftsleiter beobachtet, wie der Kläger in der Wäscheabteilung Unterwäsche betrachtet und den Eindruck erweckt habe, als wolle er diese zum Kauf auswählen. Gegen 16:00 Uhr des Tages seien im Mülleimer der Getränkeabteilung vier Etiketten entsprechender Unterwäsche gefunden worden. Eine anhand der Artikelnummern erfolgte Nachfrage bei der Buchhaltung habe ergeben, dass die dazugehörigen Artikel nicht bezahlt worden seien. Der Geschäftsleiter habe sodann die Vorsitzende und ein weiteres Mitglied des Betriebsrats von einem gegen den Kläger bestehenden Verdacht unterrichtet, rechtswidrig Unterwäsche entwendet zu haben. Gegen 21:35 Uhr habe er im Beisein des betreffenden Mitglieds den verschlossenen Spind des Klägers geöffnet, diesen durchsucht und in einer Jacke des Klägers Unterwäsche gefunden. Die Betriebsratsvorsitzende habe vorab ihr Einverständnis mit der Maßnahme erklärt. Anschließend habe der Geschäftsleiter mit den beiden Betriebsratsmitgliedern verabredet abzuwarten, ob der Kläger die Waren bis Dienstschluss noch bezahle. Da dieser den Markt schon um 21:53 Uhr verlassen habe, sei es nicht gelungen, bei ihm - wie geplant - eine Taschenkontrolle durchzuführen. Geschäftsleiter und Betriebsratsmitglieder hätten versucht, den Kläger auf dem Parkplatz einzuholen, und sich dabei durch Zurufe bemerkbar gemacht. Der Kläger sei jedoch zu seinem Fahrzeug gerannt und eilig davongefahren. Da bei einer anschließenden Kontrolle im Spind des Klägers keine Unterwäsche mehr auffindbar gewesen, die vermisste Ware aber auch nicht bezahlt worden sei, sei erwiesen, dass der Kläger ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen habe. Zumindest sei er dessen dringend verdächtig. Ein prozessuales Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Die heimliche Kontrolle des Spinds sei die einzig effektive Möglichkeit gewesen, den Sachverhalt aufzuklären.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17. März 2011 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest (II.).

12

I. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Zwar ist die fristlose Kündigung nicht wegen einer erwiesenen Pflichtverletzung gerechtfertigt. Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als Verdachtskündigung unwirksam. Der Beklagten ist es, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, nicht aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen verwehrt, sich auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung als Kündigungsgrund zu berufen.

13

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei sind vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BAGE 134, 349; jeweils mwN).

14

2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine auf ihn gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16). Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 14; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30).

15

3. Die kündigungsrechtliche Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens hängt - auch soweit es Grundlage eines Verdachts ist - nicht von der strafrechtlichen Bewertung des mitgeteilten Kündigungssachverhalts ab. Entscheidend ist der mit dem Verhalten oder dem Verdacht einhergehende Vertrauensverlust (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 15; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17).

16

4. Die Würdigung, ob dem Arbeitnehmer ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Arbeitgebers oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung anzulasten ist oder ob zumindest ein dahingehender, dringender Verdacht besteht, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSd. § 286 ZPO. Diese ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 289/11 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29).

17

5. Danach ist die fristlose Kündigung vom 17. März 2011 nicht deshalb gerechtfertigt, weil dem Kläger eine strafbare Handlung oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung zum Nachteil der Beklagten vorzuwerfen wäre.

18

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein solcher Tatvorwurf könne dem Kläger deshalb nicht gemacht werden, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass er sich Waren aus ihrem Bestand tatsächlich angeeignet habe. Davon sei zwar auszugehen, falls am 4. März 2011 im Spind des Klägers Damenunterwäsche und zuvor im Mülleimer der Getränkeabteilung die dazugehörigen Preisetiketten gefunden worden sein sollten. Für ihr - vom Kläger bestrittenes - Vorbringen habe die Beklagte aber keinen geeigneten Beweis angeboten. Ihre Kenntnis vom Inhalt des Spinds beruhe auf einem unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Das schließe die gerichtliche Beweiserhebung über das Ergebnis der Spindkontrolle aus.

19

b) Dagegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält sich, was die für einen Tatnachweis vorgetragenen Indiztatsachen betrifft, im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Das Landesarbeitsgericht hat § 286 ZPO auch nicht dadurch verletzt, dass es eine Beweiserhebung zum Ergebnis der Durchsuchung des Spinds unterlassen hat. Die darauf bezogene Rüge der Beklagten ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet (zu den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Aufklärungsrüge vgl. BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 16, BAGE 130, 347). Die Verwertung von Beweismitteln, die die Beklagte aufgrund der in Abwesenheit des Klägers und insoweit für ihn heimlich erfolgten Durchsuchung gewonnen hat, ist im Streitfall ausgeschlossen. Dies folgt - sofern sich ein entsprechendes Verbot nicht bereits unmittelbar aus § 32 BDSG ergibt - daraus, dass mit der prozessualen Verwertung der Beweismittel durch Beweiserhebung ein - erneuter bzw. fortgesetzter - Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers einherginge, ohne dass ein solcher Eingriff durch überwiegende Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Das Verwertungsverbot impliziert ein Erhebungsverbot und schließt es aus, Personen, die die Schrankkontrolle selbst durchgeführt haben oder zu ihr hinzugezogen wurden, als Zeugen zu vernehmen (zum Beweiserhebungsverbot vgl. BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 26, aaO; 10. Dezember 1998 - 8 AZR 366/97 - zu II 1 der Gründe).

20

aa) Die Zivilprozessordnung kennt für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Verwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindern soll, einer besonderen Legitimation in Gestalt einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - aaO; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MünchKommZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

21

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 94 mwN, aaO). Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen Rechnung (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 28). Es gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Diesem Schutz dient auch Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

22

cc) Die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung im BDSG konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind (vgl. für das Datenschutzgesetz NRW BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift diese erlaubt. Fehlt es an der danach erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser das deutsche Datenschutzrecht prägende Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 BDSG kodifiziert(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

23

dd) Gemäß der - zum 1. September 2009 in Kraft getretenen und damit im Streitfall anwendbaren - Bestimmung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

24

ee) Es spricht viel dafür, dass es sich bei der in Rede stehenden Schrankkontrolle tatbestandlich um eine Datenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG handelt(so Brink in jurisPR-ArbR 20/2013). Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 Satz 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Um die Gewinnung und Verwertung solcher Daten geht es hier. Die Durchsuchung des dem Kläger zugeordneten Spinds hatte zum Ziel, Erkenntnisse über dessen Inhalt zu gewinnen, um festzustellen, ob der Kläger im Besitz nicht bezahlter Waren aus dem Bestand der Beklagten war. § 32 BDSG setzt nicht voraus, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in automatisierten Dateien erfolgt. Durch § 32 Abs. 2 BDSG wird die grundsätzliche Beschränkung der Anwendung des dritten Abschnitts des BDSG auf dateigebundene bzw. automatisierte Verarbeitungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 27 Abs. 1 BDSG) ausdrücklich aufgehoben. Die Vorschrift erfasst damit sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsgehalt die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen (Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 32 Rn. 7; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Simitis/Seifert BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 14, 100).

25

ff) Im Streitfall kann offen bleiben, ob § 32 BDSG einschlägig ist. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung des Spinds ergeben sich aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegenüber einer unmittelbar an Art. 2 Abs. 1 GG orientierten Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers keine anderen Vorgaben. Entsprechendes gilt mit Blick auf die Frage, ob der durch § 32 BDSG oder unmittelbar durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz des Persönlichkeitsrechts die prozessuale Verwertung der durch die Spindkontrolle gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel ausschließt. Auf die im Schrifttum umstrittene Frage, ob § 32 BDSG der Durchführung rein präventiver Kontrollen entgegensteht(zum Meinungsstand ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 7; Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 43 Rn. 7), kommt es nicht an. Um eine solche Maßnahme handelt es sich hier nicht.

26

(1) Nach der Gesetzesbegründung sollte die Regelung des § 32 BDSG die bislang von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG orientiert sich im Wortlaut an § 100 Abs. 3 Satz 1 TKG und inhaltlich an den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht ua. in seinem Urteil vom 27. März 2003 (- 2 AZR 51/02 - BAGE 105, 356) zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt hat (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten zur „Aufdeckung [einer Straftat] erforderlich ist“. Das verlangt eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten berücksichtigende Abwägung im Einzelfall, so wie sie ua. bei der heimlichen Videoüberwachung eines Arbeitnehmers vorzunehmen ist (statt vieler: Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235; zur Videoüberwachung BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO). Auch körperliche und sonstige Untersuchungen wie die Kontrolle des persönlichen Schranks des Arbeitnehmers, mitgeführter Taschen oder von Kleidungsstücken stellen grundsätzlich einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar. Da das Persönlichkeitsrecht im Arbeitsverhältnis - jedenfalls außerhalb des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensführung - nicht schrankenlos gewährleistet ist, können solche Eingriffe aufgrund überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Das ist im Rahmen einer Güterabwägung festzustellen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 35, 36). Mitentscheidend ist die Intensität des Eingriffs (ErfK/Schmidt 13. Aufl. Art. 2 GG Rn. 100). In diesem Zusammenhang gibt auch das Unionsrecht nichts anderes vor (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 43).

27

(2) Der persönliche Schrank eines Arbeitnehmers und dessen Inhalt sind Teil der Privatsphäre. Sie sind gleichwohl nicht unter allen Umständen einer Kontrolle durch den Arbeitgeber entzogen. Betroffen ist nicht der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern der nur relativ geschützte Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (zur Abgrenzung vgl. BVerfG 14. September 1989 - 2 BvR 1062/87 - BVerfGE 80, 367; vgl. auch BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - zu B I 2 c der Gründe, BAGE 111, 173). Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer - ggf. zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus § 6 Abs. 2 ArbStättV iVm. Nr. 4.1 Abs. 3 des Anhangs - einen abschließbaren Schrank zur Verfügung, berührt diese Überlassung auch seine eigenen Belange. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer den Spind nicht bestimmungsgemäß nutzt, möglicherweise darin Gegenstände aufbewahrt, von denen Gefahren ausgehen, die der Arbeitgeber abzuwenden verpflichtet ist. Zum anderen kann es das Vorhandensein von Orten, auf die der Arbeitgeber keinen Zugriff hat, böswilligen Arbeitnehmern erleichtern, Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers oder anderer Mitarbeiter zu begehen. Dass dies uU Kontrollen des Arbeitgebers erforderlich machen kann, muss einem Arbeitnehmer bewusst sein.

28

(3) Arbeitnehmer müssen gleichwohl darauf vertrauen können, dass ihnen zugeordnete Schränke nicht ohne ihre Einwilligung geöffnet, dort eingebrachte persönliche Sachen nicht ohne ihr Einverständnis durchsucht werden. Geschieht dies dennoch, liegt regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in ihre Privatsphäre vor. Er kann nur bei Vorliegen zwingender Gründe gerechtfertigt sein. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und zählt der Arbeitnehmer zu dem anhand objektiver Kriterien eingegrenzten Kreis der Verdächtigen, kann sich zwar aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 242 BGB eine Verpflichtung ergeben, Aufklärungsmaßnahmen zu dulden(ErfK/Schmidt 13. Aufl. Art. 2 GG Rn. 100). Erforderlich iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bzw. verhältnismäßig im Sinne einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann eine Schrankkontrolle aber nur sein, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dem Arbeitgeber dürfen keine ebenso effektiven, den Arbeitnehmer weniger belastenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen. Außerdem muss die Art und Weise der Kontrolle als solche den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.

29

(4) Sowohl die Gerichte für Arbeitssachen als auch die ordentlichen Gerichte sind befugt, Erkenntnisse zu verwerten, die sich eine Prozesspartei durch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschafft hat, wenn eine Abwägung der beteiligten Belange ergibt, dass das Interesse an einer Verwertung der Beweise trotz der damit einhergehenden Rechtsverletzung das Interesse am Schutz der Daten überwiegt. Das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinteresse den Vorzug zu geben (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29). Dafür bedarf es zusätzlicher Umstände. Sie können etwa darin liegen, dass sich der Beweisführer mangels anderer Erkenntnisquellen in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 22; jeweils mwN). Die besonderen Umstände müssen gerade die in Frage stehende Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt ausweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO).

30

gg) Nach diesen Grundsätzen ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung fehlerfrei. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass zum Zeitpunkt der Schrankkontrolle ein durch objektive - im Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zu dokumentierende - Tatsachen begründeter Verdacht gegen den Kläger bestand, sich Unterwäsche aus dem Bestand der Beklagten rechtswidrig zugeeignet oder zu einer solchen Tat zumindest unmittelbar angesetzt zu haben. Der Eingriff erweist sich auch dann als unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte den Kläger zur Kontrolle seines Schranks hinzuziehen müssen. Ein Grund, der unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs eine „heimliche“ Durchsuchung hätte rechtfertigen können, liegt nicht vor.

31

(1) Eine in Anwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführte Schrankkontrolle ist gegenüber einer heimlichen Durchsuchung das mildere Mittel. Die Kontrolle in seinem Beisein gibt dem Arbeitnehmer nicht nur die Möglichkeit, auf die Art und Weise ihrer Durchführung Einfluss zu nehmen. Er kann sie uU - etwa durch freiwillige Herausgabe gesuchter Gegenstände - sogar ganz abwenden. Die verdeckte Ermittlung führt ferner dazu, dass dem Betroffenen vorbeugender Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz erschwert wird. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Maßnahme erhöht typischerweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 21 mwN, BAGE 127, 276).

32

(2) Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass eine Kontrolle im Beisein des Klägers gegenüber der heimlichen weniger effektiv gewesen wäre. Zwar mögen „ertappte“ Arbeitnehmer im Falle offener Kontrollen einwenden können, sie hätten die bei ihnen aufgefundene, unbezahlte Ware vor Verlassen des Betriebs noch bezahlen wollen. Eine solche Einlassung ist aber auch bei heimlich durchgeführter Kontrolle nicht auszuschließen. Im Streitfall kommt - ausgehend vom eigenen Vorbringen der Beklagten - hinzu, dass die Etiketten der im Besitz des Klägers vermuteten Unterwäsche im Abfall der Getränkeabteilung gefunden worden waren. Dies hätte - als wahr unterstellt - eine (mögliche) Behauptung des Klägers, er habe die in seinem Spind gefundene Ware noch bezahlen wollen, ohne Weiteres als Schutzbehauptung entlarvt. Das gilt erst recht, wenn im Betrieb die Anweisung bestanden haben sollte, keinerlei für den Verkauf bestimmte Ware im Spind aufzubewahren. Dagegen kann die Beklagte nicht erfolgreich einwenden, in ihren Märkten würden gelegentlich auch nicht ausgezeichnete Waren zum Verkauf angeboten. Darauf musste es dem Landesarbeitsgericht in Anbetracht des von der Beklagten unterbreiteten Geschehensablaufs nicht ankommen. Aus diesem Grund ist auch die von der Beklagten im vorliegenden Zusammenhang erhobene Rüge, das Landesarbeitsgericht habe gegen seine Hinweispflicht verstoßen, nicht berechtigt.

33

(3) Es kann dahinstehen, ob schon diese Begründung des Landesarbeitsgerichts seine Entscheidung trägt. Die Schrankkontrolle erweist sich jedenfalls mit Blick auf die beabsichtigte anschließende Taschen-/Personenkontrolle als unverhältnismäßig. Mit seiner entsprechenden Würdigung hat das Landesarbeitsgericht nicht, wie die Beklagte offenbar meint, eine allgemeine, gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern angeordnete Taschenkontrolle oder eine Videoüberwachung als „milderes Mittel“ angesehen. Es hat einen überschießenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vielmehr darin erblickt, dass die heimliche Schrankkontrolle lediglich der Vorbereitung einer geplanten Taschenkontrolle diente und deshalb nicht zwingend erforderlich war. Die Würdigung ist rechtsfehlerfrei. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, sie habe abwarten wollen, ob der Kläger die Ware bis Dienstschluss noch bezahle. Dies kann nur so verstanden werden, dass auch sie selbst - aus der maßgebenden Sicht ex ante - in der Ausgangskontrolle das effektivere Mittel erblickt hatte, den Kläger zu überführen. Die Schrankdurchsuchung sollte lediglich dazu dienen, die Grundlage für eine passgenaue Taschenkontrolle zu schaffen. Das reicht nicht aus, um den mit der verdeckten Durchsuchung verbundenen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass Arbeitnehmer in großen Einkaufsmärkten während der Geschäftszeiten in aller Regel - so auch hier - mehrere Möglichkeiten haben, den Arbeitsplatz zu verlassen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, weshalb sie den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nicht durch eine intensivere Beobachtung des Klägers hätte begegnen können. Eine plausible Begründung dafür, dass sie nicht den Kündigungssachverhalt ebensogut durch eine (Personen-)Kontrolle des Klägers beim Verlassen des Marktes und ggf. eine anschließende - offene - Schrankkontrolle hätte aufklären können, hat sie nicht gegeben.

34

(4) Zu Unrecht meint die Beklagte, ihr müsse hinsichtlich mehrerer zur Verfügung stehender Aufklärungsmöglichkeiten ein Bewertungsspielraum zugebilligt werden; nicht jeder „Fehlgriff“ dürfe zur Unverhältnismäßigkeit der gewählten Maßnahme führen. Es ist stattdessen nicht Sache des Arbeitgebers, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer Arbeitnehmer Schutz vor Eingriffen in ihr Persönlichkeitsrecht beanspruchen können. Wie Sachverhalte zu beurteilen sind, bei denen der Arbeitgeber unter mehreren gleich effektiven Aufklärungsmaßnahmen diejenige ergreift, die den Arbeitnehmer - geringfügig - stärker belastet, bedarf keiner Entscheidung; so liegt der Streitfall nicht.

35

(5) Die - bestrittene - Behauptung der Beklagten, ihre Vorgehensweise sei mit zwei Mitgliedern des Betriebsrats abgestimmt gewesen, von denen eines an der Kontrolle teilgenommen habe, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Aus persönlichkeitsrechtlicher und datenschutzrechtlicher Sicht ist der Eingriff deshalb nicht weniger intensiv. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Privatsphäre des Arbeitnehmers umso stärker verletzt wird, je mehr Personen ohne sein Einverständnis an dem Eingriff beteiligt sind (vgl. Brink jurisPR-ArbR 20/2013).

36

(6) Eine Beweiserhebung über das Ergebnis der Schrankdurchsuchung war deshalb ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Kläger am 4. März 2011 - wie von der Beklagten behauptet - einer Ausgangskontrolle bewusst entzogen haben sollte. Dies ändert nichts an der Unverhältnismäßigkeit der von der Beklagten ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen.

37

hh) Auf die Frage, ob Personalaufenthaltsräume einschließlich dort vorhandener Schränke als „Wohnung“ iSv. Art. 13 GG zu qualifizieren sind(bejahend für nicht allgemein zugängliche Personalaufenthaltsräume Papier in Maunz/Dürig <2013> Art. 13 GG Rn. 11) und ob die Erkenntnisse aus einer heimlichen Schrankdurchsuchung durch den Arbeitgeber auch mit Blick auf Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO einem Verwertungsverbot unterliegen, kommt es nicht an. Ebenso wenig braucht der Frage nachgegangen zu werden, ob die Beklagte ihre Erkenntnisse aus der Schrankkontrolle mitbestimmungswidrig erlangt hat (zur Problematik vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 26).

38

6. Auch wenn die Beklagte den Beweis fällig geblieben ist, dass der Kläger tatsächlich Unterwäsche entwendet hat, folgt daraus nicht notwendig, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Die Beklagte hat die Kündigung auch auf den Verdacht der rechtswidrigen Entwendung gestützt. Dies war ihr prozessual - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht deshalb verwehrt, weil sie den Betriebsrat zu diesem Kündigungsgrund nicht ordnungsgemäß angehört hätte. Zum einen ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass der Betriebsrat erkennen konnte, er solle auch zu einer Verdachtskündigung angehört werden. Zum anderen setzt die gerichtliche Würdigung, der Arbeitgeber sei mangels Anhörung des Betriebsrats gehindert, sich auf bestimmte Kündigungsgründe zu berufen, voraus, dass die Parteien über die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats überhaupt streiten. Daran fehlt es hier.

39

a) Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Dabei steht die nicht ordnungsgemäße Anhörung der unterbliebenen gleich (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13 mwN). Im Falle der auf einen bloßen Verdacht gestützten Kündigung zählt zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats über die Kündigungsgründe die Mitteilung, das Arbeitsverhältnis solle gerade (auch) deshalb gekündigt werden, weil der Arbeitnehmer eines bestimmten rechtswidrigen Verhaltens dringend verdächtig sei. Eine solche Mitteilung gibt dem Betriebsrat weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden im Anhörungsverfahren als eine Unterrichtung wegen einer als erwiesen dargestellten Handlung (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 28, BAGE 137, 54; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe).

40

b) Hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitgeteilt, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis wegen einer nach dem geschilderten Sachverhalt für erwiesen erachteten Handlung zu kündigen, und stützt er die Kündigung im Prozess bei unverändert gebliebenem Sachverhalt auch darauf, der Arbeitnehmer sei dieser Handlung zumindest verdächtig, so ist er mit dem Kündigungsgrund des Verdachts wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats ausgeschlossen (BAG 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c der Gründe; vgl. auch BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 804/08 - Rn. 24; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 536/02 - Rn. 27).

41

c) Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen wurde der Betriebsrat über die Absicht der Beklagten, eine Kündigung auch wegen des Verdachts eines pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers auszusprechen, ausreichend unterrichtet. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts lässt wesentliche Umstände, die für die Auslegung der Anhörung von Bedeutung sind, außer Acht.

42

aa) Die Beklagte hat sich im Anhörungsschreiben vom 15. März 2011 für die Darstellung der Kündigungsgründe auf ein Protokoll vom 7. März 2011 bezogen. Darin heißt es einleitend, der Kläger habe seit längerer Zeit „unter Verdacht des Diebstahls“ gestanden. Es folgt eine Darstellung tatsächlicher Ereignisse, die sich am 4. März 2011 zugetragen haben sollen, ohne dass die Geschehnisse einer Beurteilung dahingehend unterzogen würden, ob sie den Verdacht aus Sicht der Beklagten endgültig bestätigt oder nur erhärtet haben. Unter diesen Umständen bedarf es für die Annahme, die Beklagte habe ihren Kündigungsentschluss ausschließlich mit einer nachgewiesenen Tat und nicht (auch) mit dem bloßen Verdacht der in Rede stehenden Pflichtwidrigkeit des Klägers begründen wollen, besonderer Anhaltspunkte.

43

bb) Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich, insbesondere dann nicht, wenn der Betriebsrat im Anhörungszeitpunkt auch vom Inhalt eines Gesprächsprotokolls vom 14. März 2011 Kenntnis hatte, wie vom Landesarbeitsgericht zugunsten der Beklagten unterstellt. Sowohl der in dem Protokoll angegebene Betreff „Verdacht des Diebstahls“ als auch der darin enthaltene Hinweis auf die Anhörung des Klägers zu einem gegen ihn gerichteten entsprechenden Verdacht legen vielmehr den Schluss nahe, dass die Beklagte trotz des Ergebnisses ihrer Ermittlungen weiterhin nur von einem - wenngleich verfestigten - Diebstahlsverdacht ausging.

44

d) Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an. Über die Anhörung des Betriebsrats streiten die Parteien nicht mehr.

45

aa) Hat sich der Arbeitnehmer rechtzeitig iSv. §§ 4, 6 KSchG auf eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG berufen, ist es Sache des Arbeitgebers, im Prozess die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats darzulegen und ggf. zu beweisen. Das betreffende Vorbringen des Arbeitgebers hat das mit der Sache befasste Gericht grundsätzlich selbst dann auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, wenn der Arbeitnehmer ihm im weiteren Verlauf des Prozesses nicht nochmals entgegengetreten ist (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 49).

46

bb) Das gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er an der betriebsverfassungsrechtlichen Rüge als solcher nicht mehr festhalte. Dann ist die Wirksamkeit der Kündigung unter dem Aspekt des § 102 Abs. 1 BetrVG nicht zu überprüfen(BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 50). Zwar führt die Rüge des Arbeitnehmers, die Kündigung sei auch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess (BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 26 mwN, BAGE 140, 261). Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Das gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die außerordentliche Kündigung entsprechend.

47

cc) Unterliegt es in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht (mehr) berufen zu wollen (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 50). An eine solche Beschränkung des Sachvortrags, die grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz möglich ist, sind die Gerichte selbst dann gebunden, wenn sich aus dem eigenen Vorbringen des Arbeitgebers Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung unter dem betreffenden Gesichtspunkt ergeben.

48

dd) Danach ist die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hier nicht mehr Streitstoff. Der Kläger hat auf Seite 21 seines - erstinstanzlichen - Schriftsatzes vom 8. August 2011 ausgeführt: „Die Rüge, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde, bleibt nicht aufrechterhalten“. Die sich daraus ergebende Beschränkung des Prozessstoffs hat nicht nur mit Blick auf den Unwirksamkeitsgrund des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG als solchen Bedeutung. Sie verbietet es zugleich, bei der materiell-rechtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung den von der Beklagten geltend gemachten Verdacht außer Acht zu lassen, selbst wenn er dem Betriebsrat nicht explizit als Kündigungsgrund unterbreitet worden sein sollte.

49

(1) Das sich aus einer unvollständigen Unterrichtung des Betriebsrats ergebende Verbot der Berücksichtigung nicht mitgeteilter Kündigungsgründe dient der Absicherung der Beteiligungsrechte aus § 102 BetrVG. Der Betriebsrat soll Gelegenheit haben, im Vorfeld der Kündigung auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen und sein Widerspruchsrecht auszuüben (vgl. BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 608/11 - Rn. 75; 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 2 der Gründe, BAGE 78, 39). Dem widerspräche es, wenn sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auf Kündigungsgründe berufen könnte, zu denen Stellung zu nehmen der Betriebsrat keine Gelegenheit hatte.

50

(2) Auf ein - betriebsverfassungsrechtlich begründetes - Verbot der Verwertung von Sachvortrag kommt es nur an, wenn sich die Frage nach einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats überhaupt stellt. Erklärt der Arbeitnehmer ausdrücklich, er erhebe insoweit keine Rüge, gibt er zu erkennen, dass die ordnungsgemäße Beteiligung der Arbeitnehmervertretung für den Kündigungsrechtsstreit keine Rolle spielen soll. Der Arbeitgeber hat dann keine Veranlassung (mehr), entsprechenden Vortrag zu leisten oder doch zu vertiefen und/oder entsprechende Beweise zu sichern (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 804/08 - Rn. 24).

51

(3) Ob der Arbeitnehmer den Prozessstoff auch in der Weise einschränken kann, dass er zwar den Unwirksamkeitsgrund des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht geltend machen wolle, wohl aber mögliche Folgen, die sich aus einer objektiv unvollständigen Anhörung für die Beachtlichkeit von Kündigungsgründen im Prozess ergeben, bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Differenzierung gibt die Erklärung des Klägers nichts her.

52

II. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dessen Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

53

1. Dem Feststellungsbegehren des Klägers kann nicht deshalb stattgegeben werden, weil das Vorbringen der Beklagten, aus dem sie einen schwerwiegenden, die außerordentliche Kündigung tragenden Verdacht gegen ihn herleiten will, dafür gänzlich untauglich wäre.

54

2. Ein anderer Grund, der der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung entgegenstünde, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ebenso wenig erkennbar. Es fehlt für eine Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht an der erforderlichen vorhergehenden Anhörung des Klägers. Die Beklagte hatte ihm mit Schreiben vom 5. März 2011 unter Bezug auf eine von ihr erstattete Strafanzeige mitgeteilt, er stehe im Verdacht, am 4. März 2011 Unterwäsche „entnommen“ und diese nach Feierabend „ohne Bezahlung mitgenommen“ zu haben. Sie hatte ihn für den 11. März 2011 zu einem Gespräch darüber geladen. Hilfsweise hatte sie ihm für eine schriftliche Äußerung eine Frist bis zum 14. März 2011 gesetzt. Sie hatte ihn in einem Gespräch am 14. März 2011 nochmals mit den Vorwürfen konfrontiert und ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Kläger lehnte eine konkrete Stellungnahme zu den Vorwürfen ab. Danach ist die Beklagte - auch angesichts der zeitweiligen Erkrankung des Klägers - ihrer Verpflichtung zur Anhörung hinreichend nachgekommen. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.

55

3. Über die materielle Berechtigung der Verdachtskündigung kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit - aus seiner Sicht folgerichtig - keine zureichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es - unter der Fragestellung, ob die von der Beklagten vorgebrachten Tatsachen auch ohne das Ergebnis der Schrankkontrolle den dringenden Verdacht begründen, der Kläger habe ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen - nachzuholen haben. Sollte es auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung ankommen, wird das Landesarbeitsgericht davon ausgehen müssen, dass auch diese nicht wegen erwiesener Tat gerechtfertigt ist. Insoweit gelten die Ausführungen zur fristlosen Kündigung gleichermaßen.

56

4. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung über die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. November 2010 - 6 Sa 817/10 - aufgehoben, soweit es ihre Berufung zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen. Die 1958 geborene Klägerin war bei ihr und ihrer Rechtsvorgängerin seit September 1990 als Verkäuferin, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin, beschäftigt. Sie erhielt als Teilzeitkraft eine monatliche Bruttovergütung von etwa 1.400,00 Euro.

3

Mit Zustimmung des bei ihr gebildeten Betriebsrats installierte ein von der früheren Arbeitgeberin beauftragtes Überwachungsunternehmen in der Zeit vom 1. bis 22. Dezember 2008 Videokameras in den Verkaufsräumen der Filiale. Am 12. Januar 2009 wertete die Arbeitgeberin das ihr übergebene Filmmaterial im Beisein eines Betriebsratsmitglieds aus. Sie hielt der Klägerin anschließend vor, diese habe sich heimlich Zigaretten angeeignet.

4

Nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 23. Januar 2009 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstzulässigen Termin.

5

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Klage erhoben. Sie hat bestritten, Zigaretten entwendet zu haben. Sie habe lediglich ihre Aufgaben erledigt, zu denen es gehöre, Zigarettenregale ein- und auszuräumen und ggf. zu ordnen. Im Übrigen sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Ihm sei nicht das komplette Videoband, sondern lediglich ein Zusammenschnitt vorgespielt worden. Überdies verstoße die heimliche Videoaufnahme gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Daraus folge ein Verwertungsverbot.

6

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 23. Januar 2009 sein Ende gefunden hat;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristgerechte Kündigung vom 23. Januar 2009 sein Ende gefunden hat, sondern zu den Konditionen des abgeschlossenen Arbeitsvertrags unverändert fortbesteht;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, sie als stellvertretende Filialleiterin in der Niederlassung K in vereinbarter Teilzeit bei 24 Stunden pro Woche tatsächlich zu beschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund der vorliegenden Videoaufzeichnungen sei nachgewiesen, dass sich die Klägerin an zwei Tagen im Dezember 2008 jeweils mindestens eine Packung Zigaretten zugeeignet habe. Zumindest bestehe ein entsprechender Tatverdacht. Sie hat behauptet, Anlass für die verdeckte Videoüberwachung seien hohe Inventurverluste in der Filiale der Klägerin, insbesondere im Bereich Tabak, gewesen. Es habe der Verdacht bestanden, dass Mitarbeiterdiebstähle einen erheblichen Einfluss auf die Inventurdifferenzen gehabt hätten. Auf dem Filmmitschnitt sei zu sehen, wie die Klägerin am 6. und am 17. Dezember 2008, jeweils nach 20:00 Uhr, einen sog. Zigarettenträger einer Kasse öffne, ihm einige Schachteln Zigaretten entnehme, diese in den Fächern für (Einkaufs-)Tüten verstaue, den Zigarettenträger wieder verschließe, sich zunächst entferne, einige Minuten später wieder an die Kassen zurückkehre, den Tütenfächern die Zigarettenschachteln entnehme und diese in ihrer Bluse verstaue.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht nach erneuter Einnahme des Augenscheins in die Videoaufnahmen vom 6. und 17. Dezember 2008 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht vor dem 31. Juli 2009 beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung gerichtetes Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), soweit dieses die Klage gegen die ordentliche Kündigung vom 23. Januar 2009 abgewiesen hat. Zwar ist die Kündigung nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam(I.). Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die ordentliche Kündigung sei auf der Grundlage des festgestellten Kündigungssachverhalts sozial gerechtfertigt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (II.). Es steht aber noch nicht fest, ob hinsichtlich der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen ein Beweisverwertungsverbot wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG bestand(III.).

10

I. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Revision erhebt insoweit gegen das Berufungsurteil keine Einwände.

11

1. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26).

12

2. Danach ist die Anhörung im Streitfall nicht deshalb unvollständig, weil die frühere Arbeitgeberin dem Betriebsrat nur die von dem beauftragten Überwachungsunternehmen zusammengestellten Ausschnitte der Videoüberwachung zur Verfügung gestellt hat. Die Arbeitgeberin war selbst nicht im Besitz des vollständigen Materials. Soweit die Videoauswertung Grundlage ihres Kündigungsentschlusses war, hat sie sie dem Betriebsrat zugänglich gemacht.

13

II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 23. Januar 2009 sei gem. § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, hält - auf Basis des vom Landesarbeitsgericht als bewiesen erachteten Sachverhalts - einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

1. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, 37, BAGE 134, 349).

15

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, BAGE 134, 349). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37 mwN, aaO).

16

2. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die ordentliche Kündigung vom 23. Januar 2009 sei iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt, auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts nicht zu beanstanden.

17

a) Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann sogar einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BAGE 134, 349). Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, aaO).

18

b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin am 6. und am 17. Dezember 2008 jeweils zumindest eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand der Rechtsvorgängerin der Beklagten entwendet. Sie hat damit wiederholt vorsätzlich gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, keine gegen das Vermögen ihrer Arbeitgeberin gerichteten rechtswidrigen Handlungen zu begehen. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, unter diesen Umständen sei die ordentliche Kündigung nicht unverhältnismäßig, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, durch die von der Klägerin begangenen Vermögensdelikte zulasten ihrer Arbeitgeberin sei ein irreparabler Vertrauensverlust entstanden, der dieser eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht habe. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei durch die vorsätzlichen Pflichtverletzungen objektiv derart erschüttert gewesen, dass seine Wiederherstellung und ein künftig wieder störungsfreies Miteinander der Parteien nicht mehr zu erwarten seien. Dem Interesse der Arbeitgeberin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei auch unter Berücksichtigung des Lebensalters und der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin der Vorrang einzuräumen. Ungeachtet des geringen Werts der entwendeten Gegenstände habe die Klägerin die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zerstört.

20

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Klägerin hat - den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt als wahr unterstellt - heimlich und vorsätzlich das in sie gesetzte Vertrauen als Verkäuferin und stellvertretende Filialleiterin zu einer Schädigung des Vermögens ihrer Arbeitgeberin missbraucht. Es ist angesichts dessen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht angenommen hat, eine Wiederherstellung des Vertrauens sei auch angesichts der unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit der Klägerin von 18 Jahren und des geringen Werts der entwendeten Gegenstände nicht zu erwarten gewesen. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt auf Heimlichkeit angelegt ist - wie nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Streitfall - oder nicht (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 45, BAGE 134, 349).

21

3. Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt für den Fall, dass hinsichtlich der Videoaufzeichnungen vom 6. und 17. Dezember 2008 ein Beweisverwertungsverbot nicht bestand, keinen Rechtsfehler erkennen.

22

a) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung kann durch das Revisionsgericht nur begrenzt überprüft werden. Dieses kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO gewahrt und eingehalten hat. Revisionsrechtlich von Bedeutung ist nur, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist und ob sie rechtlich möglich ist. Ausreichend ist, dass das Berufungsgericht insgesamt widerspruchsfrei und umfassend hinsichtlich aller wesentlichen Aspekte zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen hat (BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 51, EzA TzBfG § 17 Nr. 14; 18. Januar 2007 - 2 AZR 759/05 - Rn. 28, PatR 2008, 34; 1. Oktober 1997 - 5 AZR 685/96 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 86, 347; BGH 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - zu B II 3 a der Gründe, NJW 1993, 935).

23

b) Danach ist die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze begründet, warum es für wahr erachte, dass die Klägerin am 6. und am 17. Dezember 2008 jeweils zumindest eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand der Rechtsvorgängerin der Beklagten entwendet habe.

24

aa) Soweit die Klägerin geltend macht, sie selbst habe eine derartige Feststellung auch bei intensiver Betrachtung der Aufnahmen nicht treffen können, schließt dies nicht aus, dass die Berufungskammer ohne Rechtsfehler zu einer anderen Überzeugung gelangt ist.

25

bb) Zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts ist nach dem Inhalt der Videoaufzeichnungen widerlegt, dass die Klägerin - wie von ihr behauptet - lediglich Aufräumarbeiten an dem Zigarettenträger durchgeführt hat. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Dieses hatte das aus den Videoaufnahmen ersichtliche Verhalten der Klägerin näher beschrieben und im Einzelnen ausgeführt, warum es ein bloßes „Aufräumen“ in keiner Weise habe erkennen lassen.

26

cc) Das Landesarbeitsgericht hat in seine Würdigung einbezogen, dass es sich bei den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen nicht um ungeschnittene Originalaufnahmen, sondern um Ausschnitte aus dem Gesamtmaterial handelte. Es hat angenommen, deren Beweiswert hinsichtlich der konkreten Tathandlungen sei dadurch nicht gemindert. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat es die Möglichkeit einer Manipulation zu deren Lasten nicht ohne Begründung, sondern wegen der im Bild mitlaufenden Zeit- und Datumsangaben ausgeschlossen. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

27

III. Aufgrund der bisherigen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der Verwertung der Videoaufzeichnungen zum Beweis des Verhaltens der Klägerin ein prozessuales Verbot wegen einer Verletzung von deren allgemeinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG entgegenstand. Die Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot auch aus einer möglichen Verletzung von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG folgt, stellt sich hingegen für die Videoaufzeichnungen aus dem Jahr 2008 nicht. § 32 BDSG ist erst mit Wirkung vom 1. September 2009 in Kraft getreten.

28

1. Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 94 mwN, aaO). Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO).

29

a) Bei der Abwägung zwischen dem Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das Interesse an der Verwertung der einschlägigen Daten und Erkenntnisse nur dann höheres Gewicht, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzukommen, die ergeben, dass das Verwertungsinteresse trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung überwiegt. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Die weiteren Aspekte müssen gerade eine bestimmte Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als schutzbedürftig qualifizieren (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; vgl. zur Problematik auch BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - BAGE 130, 347).

30

b) Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete, auch im Privatrechtsverkehr und insbesondere im Arbeitsverhältnis zu beachtende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ist - auch in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild - nicht schrankenlos gewährleistet. Eingriffe können durch Wahrnehmung überwiegend schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob dieses den Vorrang verdient (vgl. BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 14. Dezember 2004 - 1 ABR 34/03 - zu B I der Gründe, AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 42 = EzA BetrVG 2001 § 87 Überwachung Nr. 1). Danach ist die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356). Der Verdacht muss in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehen. Er darf sich nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden, er muss sich jedoch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten (vgl. BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO). Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein.

31

2. Nach diesen Grundsätzen stellten die verdeckte Videoüberwachung der Klägerin und die Verwertung der zum Beweis für ihr Verhalten angebotenen Videoaufnahmen vom 6. und 17. Dezember 2008 einen Eingriff in das Recht der Klägerin am eigenen Bild als Ausprägung ihres grundrechtlich gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Ob der Eingriff gerechtfertigt war, steht dagegen noch nicht fest.

32

a) Das Landesarbeitsgericht hat bisher keine Feststellungen getroffen, aufgrund derer die Annahme berechtigt wäre, es habe der hinreichend konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten der Arbeitgeberin bestanden. Es hat nicht in einer den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Weise festgestellt, dass und welche Inventurdifferenzen tatsächlich vorgelegen haben. Soweit es ausführt, es habe der Verdacht bestanden, „dass Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluss auf die festgestellten Inventurdifferenzen“ gehabt hätten, ist nicht festgestellt, auf welche Tatsachen sich dieser Verdacht gründete und welcher zumindest eingrenzbare Kreis von Mitarbeitern hiervon betroffen war. Die von der Beklagten behaupteten Inventurdifferenzen hat die Klägerin bestritten. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine eigenen Feststellungen getroffen. Ob zudem auf Tatsachen gegründete Verdachtsmomente oder Erkenntnisse vorlagen, die die Einschätzung rechtfertigten, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung als die verdeckte Videoüberwachung seien nicht (mehr) in Betracht gekommen, lässt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilen.

33

b) Der Umstand, dass der Betriebsrat der Überwachungsmaßnahme zugestimmt hat, vermag die Feststellung der den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin rechtfertigenden Tatsachen nicht zu ersetzen. Dass die Betriebsparteien die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung des Eingriffs als gegeben ansahen, genügt nicht. Diese müssen vielmehr tatsächlich vorgelegen haben. Die Betriebsparteien haben höherrangiges Recht zu beachten (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 14, BAGE 127, 276; Byers Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2010 S. 54; Fitting BetrVG 25. Aufl. § 77 Rn. 55). Sie können die Grenzen eines rechtlich zulässigen Eingriffs nicht zulasten der Arbeitnehmer verschieben (Byers aaO; Haußmann/Krets NZA 2005, 259, 262; Richardi in Richardi BetrVG 12. Aufl. § 87 Rn. 529; GK-BetrVG/Wiese 9. Aufl. § 87 Rn. 487 f.).

34

c) Umgekehrt erscheint nach dem Vorbringen der Beklagten nicht ausgeschlossen, dass auf ihrer Seite ein überwiegendes Interesse an der vorgenommenen Videoüberwachung und der Verwertung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse bestand. Die Beklagte hat unter Beweisantritt behauptet, in der Filiale der Klägerin hätten erhebliche Inventurverluste in Höhe von monatlich etwa 7.600,00 Euro bestanden, die im Rahmen der üblichen Maßnahmen zur Reduzierung von Inventurdifferenzen nicht hätten aus der Welt geschafft werden können. So seien unter anderem die Anzahl der Inventuren sowie der Früh- und Spätkontrollen erhöht und der Umfang der Warenabschreibungen stärker kontrolliert worden. Die Aufklärungsbemühungen über das Warenwirtschaftssystem hätten ergeben, dass insbesondere im Bereich Tabak erhebliche Verluste aufgetreten seien. Da Tabakartikel unter Haltbarkeitsgesichtspunkten nicht abgeschrieben würden, habe der Verdacht bestanden, dass Mitarbeiterdiebstähle einen erheblichen Einfluss auf die Inventurdifferenzen gehabt hätten. Die Videoüberwachung sei auf die besonders sensiblen Filialbereiche, insbesondere auf die Kassenzone mit Zigarettenschütte, beschränkt worden.

35

3. Soweit es sich bei den in Augenschein genommenen Aufnahmen um Videoaufzeichnungen öffentlich zugänglicher Räume iSv. § 6b Abs. 1 BDSG gehandelt haben sollte, folgt ein Beweisverwertungsverbot nicht schon aus einer Verletzung des Gebots in § 6b Abs. 2 BDSG, den Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.

36

a) § 6b BDSG wurde im Zuge der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes im Jahr 2001 in das Gesetz aufgenommen und regelt die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329 S. 38). Unerheblich ist, ob Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die an Arbeitsplätzen in diesen Verkaufsräumen beschäftigten Arbeitnehmer (Bayreuther NZA 2005, 1038; Byers Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2010 S. 73; Otto Anm. zu BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 36).

37

b) Im Streitfall haben die in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen möglicherweise deshalb keinen öffentlich zugänglichen Raum iSv. § 6b BDSG betroffen, weil die Verkaufsräume zum Zeitpunkt der der Klägerin zur Last gelegten Vorgänge bereits geschlossen und daher für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich waren. Nach dem Sachvortrag der Beklagten ging es um Handlungen der Klägerin „nach Geschäftsschluss“. Dies kann letztlich dahinstehen. Ein Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG führt nicht zu dem Verbot, eine im Verhältnis zum überwachten Arbeitnehmer ansonsten in zulässiger Weise beschaffte Information zu Beweiszwecken zu verwerten.

38

aa) Unter welchen Voraussetzungen eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume zulässig ist, bestimmt § 6b Abs. 1 BDSG. Dies ist nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ua. dann der Fall, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Dass eine Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ausschließlich offen erfolgen dürfte, ergibt sich aus § 6b Abs. 1 BDSG nicht.

39

bb) Allerdings regelt § 6b Abs. 2 BDSG, dass der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen sind. Daraus wird teilweise gefolgert, eine verdeckte Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen sei ausnahmslos unzulässig (ArbG Frankfurt 25. Januar 2006 - 7 Ca 3342/05 - RDV 2006, 214; Bayreuther NZA 2005, 1038, 1040 f.; Lunk NZA 2009, 457, 460; Otto Anm. zu BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 36). Diese Auffassung überzeugt nicht. Falls die verdeckte Videoüberwachung das einzige Mittel zur Überführung von Arbeitnehmern ist, die der Begehung von Straftaten konkret verdächtig sind, kann vielmehr eine heimliche Videoaufzeichnung auch in öffentlich zugänglichen Räumen nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG zulässig sein (so auch Bergwitz NZA 2012, 353, 357 f.; Byers Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2010 S. 79; Forst RDV 2009, 204, 209; Gola/Schomerus BDSG 10. Aufl. § 6b BDSG Rn. 28; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 334 f.; Grimm/Strauf ZD 2011, 188; Maschmann FS Hromadka 2008, 233, 244 f.; Müller Die Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2008 S. 126 f.; Oberwetter NZA 2008, 609, 610; Thüsing Arbeitnehmerdatenschutz und Compliance 2010 Rn. 358; Vietmeyer DB 2010, 1462, 1463).

40

(1) Das Kennzeichnungsgebot gem. § 6b Abs. 2 BDSG ist weder in § 6b Abs. 1 BDSG noch in § 6b Abs. 3 BDSG als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verarbeitung oder Nutzung von nach § 6b Abs. 1 BDSG erhobenen Daten aufgeführt. Auch aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 14/4329 S. 28, 30 und 38) ergibt sich nicht, dass die Einhaltung des Gebots nach § 6b Abs. 2 BDSG Voraussetzung für die materiellrechtliche Zulässigkeit der Maßnahme wäre. Nach dem Bericht des Innenausschusses normieren die Absätze 1, 3 und 5 der Vorschrift die Zulässigkeitsvoraussetzungen in den verschiedenen Verarbeitungsphasen (BT-Drucks. 14/5793 S. 61), während die Kennzeichnungspflicht des Abs. 2 lediglich die nach dem Gesetz bestehenden allgemeinen Verfahrenssicherungen ergänzt (BT-Drucks. 14/5793 S. 62).

41

(2) Im Hinblick auf die ihrerseits durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers begegnete ein absolutes, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (vgl. etwa § 100c und § 100h StPO)eingeschränktes Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ob und inwieweit eine verdeckte Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Verkaufsräume zulässig ist, wenn sie dem Ziel der Aufklärung eines gegen dort beschäftigte Arbeitnehmer bestehenden konkreten Verdachts der Begehung von Straftaten oder anderer schwerwiegender Pflichtverletzungen dient, lässt sich nur durch eine Abwägung der gegenläufigen Grundrechtspositionen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall beurteilen. Dem trägt auch die Formulierung in § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG Rechnung. Ein uneingeschränktes Verbot der verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume würde dem nicht gerecht. § 6b BDSG ist deshalb - verfassungskonform - dahin auszulegen, dass auch eine verdeckte Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume im Einzelfall zulässig sein kann(zutreffend Byers Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2010 S. 79 f.; Müller Die Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2008 S. 126 f.; Vietmeyer DB 2010, 1462, 1463 f.).

42

(3) Die nach § 6b Abs. 2 BDSG gebotene Erkennbarkeit der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume ist auch für die Verarbeitung oder Nutzung der nach § 6b Abs. 1 BDSG erhobenen Daten nicht zwingende materielle Voraussetzung. Nach § 6b Abs. 3 BDSG sind Verarbeitung oder Nutzung dann zulässig, wenn dies zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Von der Einhaltung des Kennzeichnungsgebots gem. § 6b Abs. 2 BDSG hängt beides nicht zwingend ab.

43

4. Im Hinblick auf eine Unionsrechtskonformität besteht kein Klärungsbedarf. Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 S. 31) enthält keine § 6b BDSG vergleichbare Regelung für die Videoüberwachung. Zweifel daran, dass diesbezüglich die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes den allgemeinen Vorgaben für die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten gem. Art. 7 RL 95/46/EG gerecht werden, sind nicht veranlasst. Art. 7 Buchst. f) RL 95/46/EG lässt die Verarbeitung personenbezogener Daten in der Sache ebenso wie das nationale Recht dann zu, wenn sie zur Verwirklichung eines berechtigten Interesses des für die Verarbeitung Verantwortlichen erforderlich ist und das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Beckerle    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Die Arbeit ist durch im voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen. Die Ruhepausen nach Satz 1 können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.

(1) In einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann zugelassen werden,

1.
abweichend von § 3
a)
die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt,
b)
einen anderen Ausgleichszeitraum festzulegen,
c)
(weggefallen)
2.
abweichend von § 4 Satz 2 die Gesamtdauer der Ruhepausen in Schichtbetrieben und Verkehrsbetrieben auf Kurzpausen von angemessener Dauer aufzuteilen,
3.
abweichend von § 5 Abs. 1 die Ruhezeit um bis zu zwei Stunden zu kürzen, wenn die Art der Arbeit dies erfordert und die Kürzung der Ruhezeit innerhalb eines festzulegenden Ausgleichszeitraums ausgeglichen wird,
4.
abweichend von § 6 Abs. 2
a)
die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich hinaus zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt,
b)
einen anderen Ausgleichszeitraum festzulegen,
5.
den Beginn des siebenstündigen Nachtzeitraums des § 2 Abs. 3 auf die Zeit zwischen 22 und 24 Uhr festzulegen.

(2) Sofern der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird, kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung ferner zugelassen werden,

1.
abweichend von § 5 Abs. 1 die Ruhezeiten bei Rufbereitschaft den Besonderheiten dieses Dienstes anzupassen, insbesondere Kürzungen der Ruhezeit infolge von Inanspruchnahmen während dieses Dienstes zu anderen Zeiten auszugleichen,
2.
die Regelungen der §§ 3, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 in der Landwirtschaft der Bestellungs- und Erntezeit sowie den Witterungseinflüssen anzupassen,
3.
die Regelungen der §§ 3, 4, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen der Eigenart dieser Tätigkeit und dem Wohl dieser Personen entsprechend anzupassen,
4.
die Regelungen der §§ 3, 4, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 bei Verwaltungen und Betrieben des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie bei anderen Arbeitgebern, die der Tarifbindung eines für den öffentlichen Dienst geltenden oder eines im wesentlichen inhaltsgleichen Tarifvertrags unterliegen, der Eigenart der Tätigkeit bei diesen Stellen anzupassen.

(2a) In einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann abweichend von den §§ 3, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 zugelassen werden, die werktägliche Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über acht Stunden zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird.

(3) Im Geltungsbereich eines Tarifvertrags nach Absatz 1, 2 oder 2a können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung oder, wenn ein Betriebs- oder Personalrat nicht besteht, durch schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer übernommen werden. Können auf Grund eines solchen Tarifvertrags abweichende Regelungen in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung getroffen werden, kann auch in Betrieben eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers davon Gebrauch gemacht werden. Eine nach Absatz 2 Nr. 4 getroffene abweichende tarifvertragliche Regelung hat zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung, wenn zwischen ihnen die Anwendung der für den öffentlichen Dienst geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen vereinbart ist und die Arbeitgeber die Kosten des Betriebs überwiegend mit Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts decken.

(4) Die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften können die in Absatz 1, 2 oder 2a genannten Abweichungen in ihren Regelungen vorsehen.

(5) In einem Bereich, in dem Regelungen durch Tarifvertrag üblicherweise nicht getroffen werden, können Ausnahmen im Rahmen des Absatzes 1, 2 oder 2a durch die Aufsichtsbehörde bewilligt werden, wenn dies aus betrieblichen Gründen erforderlich ist und die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird.

(6) Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen im Rahmen des Absatzes 1 oder 2 zulassen, sofern dies aus betrieblichen Gründen erforderlich ist und die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird.

(7) Auf Grund einer Regelung nach Absatz 2a oder den Absätzen 3 bis 5 jeweils in Verbindung mit Absatz 2a darf die Arbeitszeit nur verlängert werden, wenn der Arbeitnehmer schriftlich eingewilligt hat. Der Arbeitnehmer kann die Einwilligung mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen. Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, weil dieser die Einwilligung zur Verlängerung der Arbeitszeit nicht erklärt oder die Einwilligung widerrufen hat.

(8) Werden Regelungen nach Absatz 1 Nr. 1 und 4, Absatz 2 Nr. 2 bis 4 oder solche Regelungen auf Grund der Absätze 3 und 4 zugelassen, darf die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von zwölf Kalendermonaten nicht überschreiten. Erfolgt die Zulassung auf Grund des Absatzes 5, darf die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschreiten.

(9) Wird die werktägliche Arbeitszeit über zwölf Stunden hinaus verlängert, muss im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung der Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewährt werden.

(1) Von ihrer beruflichen Tätigkeit sind mindestens freizustellen in Betrieben mit in der Regel

200 bis 500Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied,
501 bis 900Arbeitnehmern 2 Betriebsratsmitglieder,
901 bis 1.500Arbeitnehmern 3 Betriebsratsmitglieder,
1.501 bis 2.000Arbeitnehmern 4 Betriebsratsmitglieder,
2.001 bis 3.000Arbeitnehmern 5 Betriebsratsmitglieder,
3.001 bis 4.000Arbeitnehmern 6 Betriebsratsmitglieder,
4.001 bis 5.000Arbeitnehmern 7 Betriebsratsmitglieder,
5.001 bis 6.000Arbeitnehmern 8 Betriebsratsmitglieder,
6.001 bis 7.000Arbeitnehmern 9 Betriebsratsmitglieder,
7.001 bis 8.000Arbeitnehmern 10 Betriebsratsmitglieder,
8.001 bis 9.000Arbeitnehmern 11 Betriebsratsmitglieder,
9.001 bis 10.000Arbeitnehmern 12 Betriebsratsmitglieder.

In Betrieben mit über 10.000 Arbeitnehmern ist für je angefangene weitere 2.000 Arbeitnehmer ein weiteres Betriebsratsmitglied freizustellen. Freistellungen können auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Diese dürfen zusammengenommen nicht den Umfang der Freistellungen nach den Sätzen 1 und 2 überschreiten. Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung können anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden.

(2) Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, so wird dieses mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Der Betriebsrat hat die Namen der Freizustellenden dem Arbeitgeber bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber eine Freistellung für sachlich nicht vertretbar, so kann er innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Bestätigt die Einigungsstelle die Bedenken des Arbeitgebers, so hat sie bei der Bestimmung eines anderen freizustellenden Betriebsratsmitglieds auch den Minderheitenschutz im Sinne des Satzes 1 zu beachten. Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht an, so gilt sein Einverständnis mit den Freistellungen nach Ablauf der zweiwöchigen Frist als erteilt. Für die Abberufung gilt § 27 Abs. 1 Satz 5 entsprechend.

(3) Der Zeitraum für die Weiterzahlung des nach § 37 Abs. 4 zu bemessenden Arbeitsentgelts und für die Beschäftigung nach § 37 Abs. 5 erhöht sich für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, auf zwei Jahre nach Ablauf der Amtszeit.

(4) Freigestellte Betriebsratsmitglieder dürfen von inner- und außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung nicht ausgeschlossen werden. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds ist diesem im Rahmen der Möglichkeiten des Betriebs Gelegenheit zu geben, eine wegen der Freistellung unterbliebene betriebsübliche berufliche Entwicklung nachzuholen. Für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, erhöht sich der Zeitraum nach Satz 2 auf zwei Jahre.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 2. Februar 2012 - 3 TaBV 56/11 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellten Mitglieder des zu 1. beteiligten Betriebsrats ihre Betriebsanwesenheitszeiten elektronisch nach der „Betriebsvereinbarung für das Bodenpersonal München Zeitdatenmanagementsystem (ZDMS) TARIS“ vom 7. November 2000 (künftig: BV TARIS) erfassen dürfen.

2

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin, eine Luftfahrtgesellschaft, beschäftigt in M am Boden ca. 1.900 Arbeitnehmer. Dort ist der 17-köpfige Betriebsrat gebildet. Alle Betriebsratsmitglieder unterfallen dem bei der Arbeitgeberin geltenden „Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal“ vom 1. Oktober 1992 in der Fassung vom 1. Januar 2007. Für tarifliche Arbeitnehmer existieren am Standort M drei Arbeitszeitmodelle: Gleitende Arbeitszeit, Arbeitszeit nach Schicht- oder Dienstplänen sowie Vertrauensarbeitszeit. Für Vertrauensarbeitszeit gilt die „Betriebsvereinbarung Vertrauensarbeitszeit“ vom 9. Dezember 2010 (künftig: BV Vertrauensarbeitszeit). Nach § 2 Abs. 1 BV Vertrauensarbeitszeit ist eine Teilnahme an der Vertrauensarbeitszeit „für den Mitarbeiter freiwillig“. Soweit Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit sind, finden nach § 1 Abs. 2 BV Vertrauensarbeitszeit betriebliche Regelungen zur Zeitdokumentation und -bewertung keine Anwendung.

3

Im Übrigen gilt aufgrund eines Spruchs der Einigungsstelle vom 19. Januar 1998 bei der Arbeitgeberin eine Rahmenbetriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat zur Einführung eines Zeitdatenmanagementsystems. Am Standort M besteht in Umsetzung dieser Rahmenbetriebsvereinbarung seit November 2000 das elektronische Zeiterfassungssystem TARIS. Grundlage dafür ist die BV TARIS, die auszugsweise wie folgt lautet:

        

㤠1 Geltungsbereich

        

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle BodenmitarbeiterInnen der D L AG in MUC, soweit sie in Gleitender Arbeitszeit, nach Schicht- oder Dienstplänen oder nach flexiblen Arbeitszeitsystemen arbeiten.

                 
        

§ 2 Zweckbestimmung

        

Das Zeitdatenmanagementsystem dient dazu, arbeitszeitrelevante An- und Abwesenheitsdaten zu erfassen, diese nach steuerlichen, tarifvertraglichen und sonstigen L-Regeln zu bewerten und zum Zwecke der Vergütungsabrechnung an das Abrechnungssystem zu übergeben.

        

Darüber hinaus unterstützt das Zeitdatenmanagement durch definierte Auswertungen bei der Information der Mitarbeiter über ihre Arbeitszeitdaten, der Ermittlung bestimmter mitbestimmungsrelevanter und fest definierter und vereinbarter personalwirtschaftlicher Daten, der Einhaltung und Anwendung gesetzlicher, tariflicher und sonstiger L-Regeln sowie der Erfüllung gesetzlicher Pflichten zur Buchhaltung.

        

…       

        

Es soll darüber hinaus die technischen und organisatorischen Grundlagen für die Administration flexibler Arbeitszeitsysteme, wie Jahresarbeitszeit, ermöglichen.

                 
        

…       

                 
        

§ 6 Erfasste Zeitpunkte

        

Es werden die Zeitpunkte „Kommt“ und „Geht“ erfasst.

        

…       

                 
        

§ 10 Information an die MitarbeiterInnen

        

Die MitarbeiterInnen erhalten die Möglichkeit, an den Zeiterfassungsgeräten ihre persönlichen Arbeitszeitdaten abzurufen, z. B. Zeitkonten- und Urlaubsstände, sowie ihre Zeitbuchungen der Vortage.

        

Die MitarbeiterInnen erhalten nach Abschluss des Monats auf Wunsch eine Monatsübersicht über die Zeitdaten des Vormonats.

        

Die Zeitdatenbeauftragten stehen den MitarbeiterInnen für Rückfragen und Informationen bezüglich der Zeiterfassung zur Verfügung.

                 
        

…“    

4

Vier Mitglieder des Betriebsrats sind vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt. Vor ihrer Freistellung arbeiteten sie in gleitender Arbeitszeit oder nach Schicht- und Dienstplänen. Demgemäß erfassten sie ihre Arbeitszeit nach der BV TARIS. In seiner konstituierenden Sitzung am 7. April 2010 beschloss der Betriebsrat, dass alle freigestellten Betriebsratsmitglieder ab Beginn der neuen Amtsperiode, dem 29. April 2010, an der TARIS-Zeitdatenerfassung mit „Kommt“- und „Geht“-Buchung teilnehmen. Die Arbeitgeberin teilte in der Folgezeit den vier freigestellten Betriebsratsmitgliedern mit, sie verzichte während der beruflichen Freistellung auf die Arbeitszeiterfassung nach TARIS.

5

Dagegen wendet sich der Betriebsrat mit dem vorliegenden Verfahren. Er hat die Auffassung vertreten, das Recht der freigestellten Betriebsratsmitglieder auf Teilnahme an der elektronischen Zeiterfassung nach der BV TARIS folge aus dieser Betriebsvereinbarung. Die mit dieser Betriebsvereinbarung verfolgten Zwecke träfen auch auf vollständig freigestellte Betriebsratsmitglieder zu.

6

Der Betriebsrat hat sinngemäß beantragt:

        

Die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, die nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder des Betriebs M während der Zeit ihrer beruflichen Freistellung gemäß der BV TARIS an der elektronischen Zeiterfassung nach dieser Betriebsvereinbarung teilnehmen zu lassen und dort ihre „Kommt“- und „Geht“-Zeitpunkte erfassen zu lassen, soweit diese Betriebsratsmitglieder nicht freiwillig an der Vertrauensarbeitszeit gemäß der BV Vertrauensarbeitszeit teilnehmen.

7

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

8

Sie hat die Ansicht vertreten, Betriebsratsmitglieder würden nicht von der BV TARIS erfasst. Sie arbeiteten nicht im Sinne dieser Betriebsvereinbarung.

9

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Betriebsrats stattgegeben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde beantragt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen, den Antrag abweisenden Entscheidung. Der Betriebsrat begehrt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

10

B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben.

11

I. Wie der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat, ist sein Antrag als Feststellungsantrag auszulegen. So ist auch der Entscheidungsausspruch des Landesarbeitsgerichts zu verstehen. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er bestimmt genug. Dem Betriebsrat steht auch eine Antragsbefugnis zur Seite.

12

1. Der Antrag ist bestimmt genug.

13

§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verlangt in gerichtlichen Verfahren einen bestimmten Antrag. Diese Regelung ist auch in Beschlussverfahren entsprechend anzuwenden (BAG 12. August 2009 - 7 ABR 15/08 - Rn. 12, BAGE 131, 316). An die Bestimmtheit eines Feststellungsantrags sind grundsätzlich keine geringeren Anforderungen zu stellen als an die eines Leistungsantrags (BAG 22. Oktober 2008 - 4 AZR 735/07 - Rn. 53). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass ein Leistungsantrag - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - eindeutig erkennen lassen muss, was vom Schuldner verlangt wird. Sollen dem Schuldner hinsichtlich einzelner Handlungen Verpflichtungen auferlegt werden, müssen diese so genau bestimmt sein, dass kein Zweifel besteht, welche Handlungen im Einzelnen gemeint sind. Für den Schuldner muss aufgrund des Leistungstitels erkennbar sein, wie er sich rechtmäßig verhalten kann (vgl. BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - Rn. 13, BAGE 133, 342 für einen Unterlassungsantrag). Für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags reicht es dagegen, wenn der Streitgegenstand und der Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis so klar umrissen sind, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann und keine Unklarheiten über den Umfang der Rechtskraft bestehen (BAG 14. Dezember 2011 - 4 AZR 242/10 - Rn. 19). Entscheidend ist dabei, ob in einem möglichen Folgeprozess mit hinreichender Deutlichkeit klar wird, was aufgrund des Feststellungsantrags entschieden ist und was nicht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Mit einem Erfolg des Antrags stünde rechtskräftig fest, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Betriebsratsmitgliedern wie anderen Arbeitnehmern den Zugang zur Zeiterfassung nach dem System TARIS zu ermöglichen.

14

2. Der Betriebsrat hat für diesen Antrag auch die Antragsbefugnis.

15

Voraussetzung der Antragsbefugnis im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist grundsätzlich, dass der Antragsteller eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte behauptet. Dem Betriebsrat fehlt die Antragsbefugnis in der Regel, wenn er ausschließlich Rechte der Arbeitnehmer reklamiert. Verlangt der Betriebsrat jedoch die Durchführung einer Betriebsvereinbarung, geht es nicht ausschließlich um Rechte der Arbeitnehmer, sondern um seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition im Verhältnis zum Arbeitgeber, nämlich den Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung. Ob der Durchführungsanspruch tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags (vgl. nur BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR 20/09 - Rn. 13 f., BAGE 135, 382).

16

II. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, in Durchführung der BV TARIS auch den vollständig von der beruflichen Tätigkeit freigestellten Mitgliedern des Betriebsrats die Teilnahme am Arbeitszeiterfassungssystem nach dieser Betriebsvereinbarung zu ermöglichen, soweit sie nicht freiwillig an der Vertrauensarbeitszeit gemäß BV Vertrauensarbeitszeit teilnehmen.

17

1. Aufgrund des für die freigestellten Betriebsratsmitglieder im Arbeitsverhältnis anwendbaren Arbeitszeitmodells sind diese entweder in gleitender Arbeitszeit tätig oder arbeiten nach Schicht- oder Dienstplänen. Damit findet auf sie nach ihrem § 1 die BV TARIS Anwendung, denn diese gilt für Arbeitnehmer, die in gleitender Arbeitszeit oder nach Schichten oder Dienstplänen arbeiten. Die freigestellten Betriebsratsmitglieder unterfallen deshalb den in der BV TARIS enthaltenen Regelungen über die Arbeitszeiterfassung, insbesondere § 6, wonach die „Kommt“- und „Geht“-Zeitpunkte erfasst werden. Etwas anderes gilt nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 BV Vertrauensarbeitszeit nur bei - freiwilliger - Teilnahme an der Vertrauensarbeitszeit.

18

2. Dadurch, dass die Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 1 BetrVG vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt sind, ändert sich nichts. Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der freigestellten Betriebsratsmitglieder erfordert nicht, dass sie von den Regelungen der auf ihr Arbeitsverhältnis anwendbaren BV TARIS nicht mehr erfasst werden.

19

a) Betriebsratstätigkeit ist ehrenamtlich (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Nach § 38 Abs. 1 BetrVG sind im dort genannten Umfange Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen. Zweck dieser Vorschrift ist es, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der notwendigen Arbeitsbefreiung zu vermeiden. Das Gesetz geht dabei davon aus, dass bei einer bestimmten Betriebsgröße die in § 38 BetrVG festgelegte Mindestzahl von Freistellungen erforderlich ist, damit die Betriebsratstätigkeit ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Im Übrigen enthält aber § 37 Abs. 2 BetrVG die Grundregel für die Entgeltfortzahlung, nach der sowohl freigestellte wie auch nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder zu behandeln sind. Die generelle Freistellung von der beruflichen Tätigkeit gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG hat denselben Zweck wie die zeitweilige Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG. Beide Freistellungen sollen ausschließlich die sachgerechte Wahrnehmung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben sicherstellen (BAG 19. Mai 1983 - 6 AZR 290/81 - zu 2 der Gründe, BAGE 42, 405).

20

b) Für die Dauer der Freistellung besteht daher keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Anstelle der Arbeitspflicht tritt jedoch die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Das ist gesetzliche Rechtsfolge der Freistellung (BAG 28. August 1991 - 7 ABR 46/90 - zu B II 3 a der Gründe, BAGE 68, 224; 13. Juni 2007 - 7 ABR 62/06 - Rn. 14). Soweit ein Betriebsratsmitglied nicht in diesem Sinne im Umfange seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit erbringt, kann dies zu Abzügen vom Arbeitsentgelt führen, weil die Freistellung nicht für Betriebsratstätigkeit genutzt wurde und deshalb der Anspruch auf Leistung von Arbeitsentgelt ohne berufliche Arbeitsleistung entfällt (vgl. BAG 19. Mai 1983 - 6 AZR 290/81 - BAGE 42, 405).

21

c) Daher gibt es keinen Grund, von der beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von der in der BV TARIS geregelten Zeiterfassung auszunehmen. Sie haben ebenso wie Arbeitnehmer, die beruflich tätig sind, ein Interesse daran, ihre Anwesenheit im Betrieb zu dokumentieren. Der in § 2 BV TARIS bestimmte Zweck der Betriebsvereinbarung, An- und Abwesenheitsdaten zu erfassen und diese nach einschlägigen Regeln ua. zum Zweck der Vergütungsabrechnung an das Abrechnungssystem zu übergeben, trifft auch auf freigestellte Betriebsratsmitglieder weiter zu.

        

    Linsenmaier    

        

    Kiel    

        

    Zwanziger    

        

        

        

    Peter Klenter    

        

    Gerschermann    

                 

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 12. April 2011 - 1 Sa 36/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Hauptsache über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte erbringt mit mehreren hundert Arbeitnehmern bundesweit industrielle Dienstleistungen. Der 1962 geborene Kläger war seit Juni 1990 bei ihr beschäftigt, seit April 2004 als Leiter der Außenstelle B. Diese war zuständig für die Auftragsabwicklung im Werk B der D. Die Beklagte führte dort Reinigungsarbeiten aus. Dem Kläger oblag ua. die Pflege der Kundenkontakte. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Rahmentarifvertrag für Angestellte im Gebäudereiniger-Handwerk in der jeweiligen Fassung Anwendung.

3

Nach der Gehaltsvereinbarung für das Geschäftsjahr 2005/2006 erhielt der Kläger zuletzt ein Grundgehalt in Höhe von 3.666,67 Euro. Darüber hinaus war eine variable Vergütung vereinbart, die zu 80 vH ergebnisabhängig war und zu 20 vH vom Wachstumszuwachs zum 30. September 2006 im Verhältnis zum Umsatz per 30. September 2005 abhing. Der Kläger erhielt auf die variable Vergütung monatliche Vorauszahlungen.

4

Vorgesetzter des Klägers war der Leiter der Niederlassung B. Dies war seit Februar 2005 Herr W. Leiter des verantwortlichen Geschäftsbereichs N war zuletzt Herr S.

5

In der Niederlassung B führte die Beklagte in der Zeit vom 11. bis 15. Juli 2005 eine sog. Standard-Innenrevision durch. Deren Ergebnisse waren Gegenstand eines Gesprächs am 2. August 2005 zwischen dem Leiter der Revision - Herrn M -, den Herren S und W sowie dem Kläger.

6

Am 17. November 2005 erhielt der Kläger vom Leiter der Revision eine E-Mail, in der auf eine Richtlinie der Beklagten mit dem Titel „Zuwendungen an Kundenmitarbeiter“ hingewiesen wurde. Außerdem wurde auf die Konzernrichtlinie Nr. 03/05 - Antikorruption - vom 7. Juli 2002 Bezug genommen.

7

Im Jahre 2006 veranlasste D wegen des Verdachts auf Unregelmäßigkeiten bei der Vertragsabwicklung durch die Beklagte ein sog. Joint Audit. In dessen Rahmen fand in der Außenstelle B in der Zeit vom 19. bis 23. Juni 2006 eine Revision statt. Dabei fielen vom Kläger erstellte Eigenbelege für Auszahlungen mit dem Vermerk „Auftragsunterstützung“ auf. Sie reichten bis zum 28. Februar 2005 zurück. Der Kläger hatte gegen sie von der dafür zuständigen Mitarbeiterin Bargeld in Höhe von insgesamt 23.700,00 Euro erhalten. Als Empfänger waren auf den Belegen einzelne - insgesamt 29 - D-Mitarbeiter genannt. Die Belege waren in die Kasse gelegt und im Kassenbuch als „Auftragsunterstützung“ eingetragen worden. Der Leiter der Niederlassung B hatte die Kassenbücher monatlich geprüft.

8

Unter dem 27. Juni 2006 fertigte der Leiter der Revision eine Aktennotiz über die vorläufigen Erkenntnisse zu den Eigenbelegen. Er brachte sie am 29. Juni 2006 dem damaligen Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten zur Kenntnis. Den Kläger befragte er am 7. Juli 2006. Am 12. Juli 2006 führte er Telefonate mit den Herren W und S und dem Kläger. Dieser gab an, die Eigenbelege zur „Auftragsunterstützung“ hätten Barauszahlungen betroffen, welche er in Wirklichkeit nur an vier verschiedene, namentlich benannte Mitarbeiter von D weitergegeben habe. Am 14. Juli 2006 konfrontierte der Geschäftsführer den Kläger mit dem Verdacht, dieser habe sich Bestechung im geschäftlichen Verkehr, Veruntreuung, Unterschlagung, jedenfalls aber eine grobe Verletzung seiner arbeitsvertraglicher Pflichten zuschulden kommen lassen.

9

Mit Schreiben vom 20. Juli 2006 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Nach abschließender Stellungnahme des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. Juli 2006 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2006.

10

Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat gemeint, es liege kein Kündigungsgrund vor. Er habe nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen. Er hat behauptet, die Zuwendungen an die Mitarbeiter von D seien mit Wissen und Wollen der Beklagten erfolgt. Seit dem 28. Februar 2005 habe er auf Anweisung des Leiters seines Geschäftsbereichs die bereits vorher geübte Praxis der „Auftragsunterstützung“ übernommen und fortgeführt. Er habe das Geld aus der Kasse entnehmen und dazu Eigenbelege erstellen sollen, wobei die Beträge in einzelne Belege aufgesplittet und einzelnen Namen hätten zugeordnet werden sollen. Der Geschäftsbereichsleiter habe ausdrücklich erklärt, St „wisse Bescheid“, er könne das Geld verwenden, wie er wolle. Das Geld sei dafür bestimmt gewesen, Mitarbeitern von D, welche für die Vergabe von Aufträgen und deren Abnahme zuständig seien, kleinere Aufmerksamkeiten zukommen zu lassen. Er habe Geschenke verteilt, Beiträge für Jubiläen, Kaffeekassen, Verabschiedungen von Kollegen und Frühstücke geleistet, Eintrittskarten für Fußballspiele und Tennisturniere vergeben, Alkoholika verteilt und eine Geburtstagskasse aufgefüllt. In einzelnen Fällen sei auch Geld gezahlt worden, allerdings nicht zur persönlichen Verwendung an einzelne Mitarbeiter, sondern als Spende, etwa an Gemeinschaftskassen. An Wochenenden habe er gelegentlich die eigenen Gabelstapler zu kleineren Reparaturen in die Werkstatt gefahren und für die Benutzung der Bühne 10,00 bis 20,00 Euro gezahlt. Seine beiden Mitarbeiter hätten die Kunden ebenfalls betreut und dafür Geld von ihm erhalten. Die Richtlinien zu Zuwendungen seien ihm nicht bekannt gewesen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr liege nicht vor, weil die Gewährung von kleinen Vorteilen nicht strafbar und sozialadäquat sei. Da die Beklagte auf die Benennung der Empfänger verzichtet habe, sei es ihm nicht anzulasten, wenn er sich nicht mehr im Einzelnen erinnern könne, an wen welche Geschenke erfolgt seien. Der Kläger hat behauptet, er habe nichts für sich verwendet. Er hat ferner gemeint, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten, auch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

11

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass die außerordentliche fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 27. Juli 2006 unwirksam ist und hierdurch das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst wird.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen. Widerklagend hat sie beantragt,

        

1.    

den Kläger zu verurteilen, an sie 2.483,93 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. August 2006 zu zahlen;

        

2.    

den Kläger zu verurteilen, an sie 23.700,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. August 2006 zu zahlen.

13

Die Beklagte hat gemeint, es bestehe der dringende Verdacht, dass sich der Kläger entweder selbst bereichert oder Mitarbeitern von D unerlaubte Vorteile verschafft habe. Dies berechtige sie zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Vorgesetzten des Klägers hätten nicht gewusst, dass dieser Mitarbeitern von D Geld oder Sachleistungen habe zukommen lassen. Sie hätten ihn nicht angewiesen, für die Vergabe und Kontrolle von Reinigungsaufgaben verantwortliche Mitarbeiter und deren Abteilungen durch Geschenke oder Bewirtungen „bei Laune zu halten“. Es sei auch keine Anweisung erfolgt, fiktive Namen und Verwendungszwecke anzugeben. Der Kläger sei wie alle Arbeitnehmer verpflichtet gewesen, jede Ausgabe, die er für sie tätige, durch Rechnungsbelege nachzuweisen, auf denen erkennbar sei, wieviel Geld für welche Ausgaben und für welchen Zweck wer aus der Kasse erhalten habe. Das Verhalten des Klägers sei auch nicht aufgrund der Gegenzeichnung der Kasse durch Niederlassungs- und Geschäftsbereichsleiter gerechtfertigt. Sie könne zudem nicht ausschließen, dass der Kläger die Barauszahlungen für sich selbst vereinnahmt habe. Sie habe nicht aufklären können, ob er das in den Eigenbelegen aufgeführte Geld für sich verwendet oder Dritten übergeben habe.

14

Das Verhalten des Klägers sei von der Revision im Jahr 2005 nicht etwa gebilligt worden. Die Revision könne Kassenfälschungen nicht immer feststellen. Sie habe keine Anhaltspunkte oder Veranlassung gehabt, Zweifel im Hinblick auf die inhaltliche Richtigkeit der Eigenbelege zu hegen und diese zu überprüfen. Mangels Angaben auf den Belegen von März bis Juli 2005 hätten die Revisoren nicht erkennen können, dass die entsprechenden Beträge nicht ordnungsgemäß verwendet worden seien. Der Fokus der Prüfung im Jahre 2005 habe nicht auf einem möglichen Fehlverhalten des Klägers gelegen. Trotz der Beanstandungen in dem Revisionsbericht sei dieser mit der Erstellung von Eigenbelegen fortgefahren. Erst durch die Revision im Juni 2006 seien die Belege mit Pflichtverletzungen des Klägers in Verbindung gebracht worden. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Zwei-Wochen-Frist für den Ausspruch der fristlosen Kündigung habe erst am 14. Juli 2006 zu laufen begonnen. Hilfsweise sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

15

Was ihr Zahlungsbegehren betreffe, sei der Kläger im Hinblick auf den variablen Teil seiner Vergütung um die mit der Widerklage verlangten 2.483,93 Euro überzahlt, die er ihr zurückzuerstatten habe. Der Kläger schulde auch den weiteren Betrag von 23.700,00 Euro, der sich aus den Kassenentnahmen zusammensetze. Es sei nicht aufgeklärt, wie er das entnommene Geld verwendet habe. Wenn er in kollusivem Tun mit seinen Vorgesetzten gehandelt habe, könne dies sein Verhalten nicht rechtfertigen. Falls er das Geld für Zuwendungen an Mitarbeiter von D ausgegeben habe, so habe dies jedenfalls nicht in ihrem Interesse gelegen.

16

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen. Ein Anspruch auf Rückzahlung der variablen Vergütung bestehe nicht. Die angebliche Überzahlung sei nicht nachvollziehbar. Zudem benachteilige ihn die vertragliche Rückzahlungsklausel unangemessen. Ein Schadensersatzanspruch über 23.700,00 Euro stehe der Beklagten nicht zu. Er habe die Gelder weder gestohlen noch veruntreut oder unterschlagen. Durch die Zahlungen an die Mitarbeiter von D sei kein Schaden entstanden. Er habe die Gelder bestimmungsgemäß und im Interesse der Beklagten für Geschenke und andere Vorteile zu Zwecken der Verkaufsförderung verwendet.

17

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31. Januar 2007 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 50.462,53 Euro aufgelöst. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage in vollem Umfang abzuweisen und der Widerklage stattzugeben.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision ist unbegründet. Sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten sind unwirksam (I.). Der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst worden ist, und die Höhe der Abfindung halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand (II.). Die Widerklage hat keinen Erfolg (III.).

19

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Juli 2006 aufgelöst worden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat die Bestimmungen des § 626 Abs. 1 BGB und des § 1 KSchG ohne Rechtsfehler auf den Streitfall angewandt.

20

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

21

2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 23. Juni 2009 -  2 AZR 474/07  - Rn. 51, BAGE 131, 155). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft ( vgl. BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - aaO; 12. Mai 2010 -  2 AZR 587/08  - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Dabei ist für die arbeitsrechtliche Beurteilung nicht entscheidend, ob das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtigt wird, Straftatbestände erfüllt. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30, BAGE 134, 349).

22

3. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

23

4. Danach hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es fehle sowohl an einem wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB als auch an einem im Verhalten liegenden Grund iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, weder bestehe ein hinreichender Verdacht, der Kläger habe sich unerlaubt selbst bereichert oder doch mit dem aus der Kasse erhaltenen Geld Mitarbeitern von D unerlaubte Vorteile verschafft, noch habe der Kläger dadurch, dass er die Empfänger der Leistungen nicht zutreffend auf den Eigenbelegen angegeben habe, in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten und der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden ist, kommt es nicht mehr an.

24

a) Vereinnahmt ein Arbeitnehmer Geld des Arbeitgebers unerlaubt für sich oder wendet er Kundenmitarbeitern unerlaubt Vorteile zu, besteht insoweit zumindest ein dringender Verdacht, ist dies „an sich“ geeignet, eine (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (etwa nach §§ 246, 266, 299 Abs. 2 StGB). Der Arbeitnehmer verletzt mit solchen Handlungen in jedem Falle in erheblichem Maße seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen seines Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB.

25

b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, die Beklagte habe keine hinreichenden Umstände vorgetragen, aufgrund derer der dringende Verdacht berechtigt wäre, der Kläger habe die auf den fraglichen Eigenbelegen ausgewiesenen Gelder entweder für sich behalten oder pflichtwidrig Mitarbeitern von D zugewendet.

26

aa) Unstreitig hat der Kläger die entsprechenden Gelder aus der Kasse erhalten. Hingegen ist nicht aufgeklärt, ob er sie (teilweise) für sich vereinnahmt bzw. sonst pflichtwidrig verwendet hat. Der Kläger hat behauptet, er habe die Beträge zum Zwecke der ihm obliegenden Pflege von Kundenkontakten in zulässiger Weise ausgegeben. Die Beklagte bestreitet dies zwar, hat aber nicht etwa geltend gemacht, die vom Kläger benannten Mitarbeiter hätten in Wirklichkeit keine Zuwendungen erhalten.

27

bb) Ein hinreichender Verdacht der Selbstbereicherung oder pflichtwidrigen Verwendung der Gelder ergibt sich nicht schon daraus, dass der Kläger nicht im Einzelnen vorgetragen hat, welche Beträge er welchen Mitarbeitern von DC in welcher Weise zugewendet hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, wenn er im Einzelnen weder darlegen noch nachweisen könne, wo die von ihm vereinnahmten Beträge geblieben seien. Nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist die Behauptung des Klägers nicht widerlegt, die Beklagte habe ihn davon befreit, die Verwendung der auf die Eigenbelege ausgezahlten Beträge im Einzelnen nachweisen zu müssen.

28

(1) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung kann durch das Revisionsgericht nur begrenzt überprüft werden. Dieses kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO gewahrt und eingehalten hat. Revisionsrechtlich von Bedeutung ist nur, ob es den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob diese Würdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist und ob sie rechtlich möglich ist (BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 51, EzA TzBfG § 17 Nr. 14; 18. Januar 2007 - 2 AZR 759/05 - Rn. 28, PatR 2008, 34; BGH 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - zu B II 3 a der Gründe, NJW 1993, 935).

29

(2) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Es hat umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze begründet, warum nach seiner Überzeugung die Behauptung des Klägers nicht widerlegt sei, die Beklagte habe ihn davon befreit, die Verwendung der ausgezahlten Beträge im Einzelnen nachweisen zu müssen. Der Kläger habe die Beträge, wie sie sich aus den Eigenbelegen ergäben, so zur Kundenbetreuung verwenden dürfen, wie er es für richtig gehalten habe. Aufgrund der Äußerungen des Leiters des Geschäftsbereichs habe bei ihm der Eindruck entstehen können, dass es nicht so genau darauf ankomme, welchen Empfänger und welchen Grund für die Ausgaben er angäbe. Entscheidend sei gewesen, dass überhaupt etwas angegeben werde. Der Kläger habe den Geschäftsbereichsleiter so verstehen können, dass er freie Hand bei der Ausgabe der Beträge habe und es nicht auf den Wahrheitsgehalt der Angaben auf den Belegen ankomme. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

30

(a) Das Landesarbeitsgericht hat nicht unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger später - im November 2005 - auf die Richtlinie „Zuwendungen an Kundenmitarbeiter“ und die Konzernrichtlinie Nr. 03/05 - Antikorruption - vom Juli 2002 hingewiesen wurde. Es hat angenommen, dass es darauf nicht ankomme, da der Geschäftsbereichsleiter das den Richtlinien widersprechende Verhalten des Klägers abgesegnet und der Niederlassungsleiter die Praxis der Eigenbelege geduldet habe. Darin liegt kein Rechtsfehler. Es ist nicht etwa nach allgemeinen Erfahrungssätzen ausgeschlossen, dass einem Arbeitnehmer von seinen Vorgesetzten ein den eigenen Antikorruptions-Richtlinien möglicherweise widersprechendes Verhalten gestattet wird.

31

(b) Das Landesarbeitsgericht hat auch die Ergebnisse der im Jahr 2005 durchgeführten Innenrevision nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat angenommen, die Beklagte habe den Belegen für „Auftragsunterstützung“ mehr Augenmerk schenken müssen. Das schließt die Annahme ein, dass dies anlässlich der fraglichen Revision unterblieben sei. Das wiederum entspricht dem eigenen Vortrag der Beklagten. Danach hatten sich bei der Revision im Juli 2005 noch keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Angaben in den Eigenbelegen ergeben. Soweit der Kläger, wie die Beklagte mit der Revision geltend macht, in dem Gespräch am 2. August 2005 angewiesen worden sein sollte, „die Verwendungsempfänger“ zu benennen, musste sich dies folglich nicht notwendig auf die Eigenbelege für Barentnahmen beziehen.

32

c) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger falle eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung auch nicht deshalb zur Last, weil ihm ein kollusives Handeln mit seinen Vorgesetzten vorzuwerfen wäre. Auch diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es fehlt an einer schuldhaften Pflichtverletzung, wenn der Arbeitnehmer aus vertretbaren Gründen annehmen durfte, er handele nicht pflichtwidrig (vgl. BAG 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 214 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 22). So war es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hier.

33

aa) Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund der Aussage des von ihm als Zeuge vernommenen Geschäftsbereichsleiters davon ausgegangen, die Vorgehensweise bei den Eigenbelegen sei auch in anderen Niederlassungen üblich gewesen. Die Beklagte treffe angesichts dieses Umstands ein Organisationsverschulden. Sie habe durch effektive Kontrollen dafür sorgen müssen, dass diese Praxis nicht jahrelang habe fortgeführt werden können, dass sie ihr zumindest zeitnah gemeldet werde.

34

bb) Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Beklagte ein Organisationsverschulden traf. Jedenfalls hatte der Kläger unter den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Umständen keine Veranlassung anzunehmen, die Praxis bei der Erstellung der Eigenbelege werde lediglich von seinen Vorgesetzten gebilligt, ohne dass die Beklagte selbst, dh. ihre gesetzlichen Vertreter davon Kenntnis hätten und dies akzeptierten. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass sich beim Kläger entsprechende Zweifel weder nach dem Ergebnis der Innenrevision 2005 noch aufgrund des Hinweises auf die Antikorruptions-Richtlinien in der E-Mail vom November 2005 aufdrängen mussten. Eine eindeutige Anweisung, die bisherige Praxis bei den Eigenbelegen einzustellen, ist ihm auch nach dem Vorbringen der Beklagten selbst zu keiner Zeit erteilt worden.

35

II. Das Landesarbeitsgericht hat das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Antrag der Beklagten zum 31. Januar 2007 gegen Zahlung einer Abfindung von 50.462,53 Euro aufgelöst. Da der Kläger dagegen kein Rechtsmittel eingelegt hat, steht die Auflösung als solche rechtskräftig fest. Die Beklagte wendet sich gegen den Zeitpunkt der Auflösung und die Höhe der Abfindung. Sie hält den 30. November 2006 für den rechtlich gebotenen Termin und die Abfindung für zu hoch. Beides trifft nicht zu. Richtig ist der vom Landesarbeitsgericht festgesetzte Auflösungszeitpunkt; die Abfindungshöhe ist rechtlich unbedenklich.

36

1. Gem. § 9 Abs. 2 KSchG ist für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Zeitpunkt festzusetzen, an dem dieses bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem die maßgebliche Kündigungsfrist abgelaufen wäre (Schwarze in Schwarze/Eylert/Schrader KSchG § 9 Rn. 73). Zugrunde zu legen ist die objektiv zutreffende Kündigungsfrist. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber sie nicht eingehalten hat (Bauer DB 1985, 1180, 1181; APS/Biebl 4. Aufl. KSchG § 9 Rn. 84; Linck in v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 9 Rn. 82; KR/Spilger 9. Aufl. KSchG § 9 Rn. 31, Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 9 Rn. 72). Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist im Rechtsstreit gerügt hat. Ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, ist sie in jeder Hinsicht unwirksam. Es gibt deshalb iSv. § 9 Abs. 2 KSchG keinen anderen als den sich unter Berücksichtigung der rechtlich zutreffenden Frist ergebenden Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Dazu muss nicht neben der Sozialwidrigkeit der Kündigung ein Verstoß gegen die ordnungsgemäße Kündigungsfrist geltend gemacht worden sein.

37

2. Danach hat das Landesarbeitsgericht mit dem 31. Januar 2007 den zutreffenden Auflösungszeitpunkt festgesetzt. Die Kündigung vom 27. Juli 2006 ist dem Kläger am 28. Juli 2006 zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt war er mehr als 16 Jahre bei der Beklagten beschäftigt. Die Kündigungsfrist betrug damit sowohl nach § 622 Abs. 2 Nr. 6 BGB als auch nach § 14 Nr. 2 des regional einschlägigen Rahmentarifvertrags sechs Monate zum Ende des Kalendermonats.

38

3. Die Festsetzung der Höhe der Abfindung durch das Landesarbeitsgericht lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

39

a) Die Festsetzung der Abfindungssumme liegt im Ermessen des Tatsachengerichts. Das Revisionsgericht ist nicht befugt, dessen Ermessen durch eigenes zu ersetzen. Es kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen seines Ermessens beachtet oder stattdessen den Rechtsbegriff der angemessenen Entschädigung verkannt, wesentliche Umstände nicht berücksichtigt oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgrundsätze verstoßen hat (BAG 28. Mai 2009 - 2 AZR 282/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 60 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 56).

40

b) Danach ist die vom Landesarbeitsgericht festgesetzte Abfindungshöhe nicht zu beanstanden. Es hat alle wesentlichen Umstände des Streitfalls widerspruchsfrei berücksichtigt. Unter Berücksichtigung der beruflichen Situation des Klägers, der ab 15. Februar 2008 eine neue Arbeit mit etwa vergleichbarem Verdienst gefunden habe, einerseits und dem als nicht übermäßig schwerwiegend eingeschätzten Grad der Sozialwidrigkeit der Kündigung andererseits hat es als Abfindung gem. § 10 KSchG ein halbes Bruttomonatsentgelt pro Beschäftigungsjahr für angemessen gehalten. Dies ist frei von Ermessensfehlern.

41

aa) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sie das Arbeitsverhältnis am 24. September 2009 wegen Verstoßes gegen das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot vorsorglich erneut gekündigt habe, ist unzulässig. Die Beklagte hat nicht dargelegt, an welcher Stelle welchen Schriftsatzes sie im vorliegenden Rechtsstreit auf diese Kündigung hingewiesen und zu deren Rechtfertigung näher vorgetragen hat. Die Rüge wäre zudem unbegründet. Zwar kann auch die voraussichtliche weitere Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Höhe der Abfindung von Bedeutung sein (BAG 28. Mai 2009 - 2 AZR 282/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 60 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 56). Das Landesarbeitsgericht hat aber der Bemessung der Abfindung schon für die Zeit nach dem 15. Februar 2008 keinen Verdienstausfall mehr zugrunde gelegt.

42

bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch gewürdigt, dass die Beklagte nach seiner Beurteilung keine grob sozialwidrige Kündigung ausgesprochen hat. Es hat aus diesem Grund nur die von ihm so genannte „Regelabfindung“ festgesetzt. Es kann dahinstehen, ob es die Regelung des § 10 KSchG erlaubt, eine Abfindung in Höhe von einem halben Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr als die „in der Regel“ festzusetzende Abfindung anzusehen. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt erkennen, dass es diesen Wert auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Streitfalls als angemessen erachtet hat.

43

III. Die Widerklage ist unbegründet.

44

1. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückzahlung von 2.483,93 Euro. Ein solcher Anspruch folgt weder aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien noch aus § 812 Abs. 1 BGB. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger durch die Vorauszahlungen auf seine variablen Bezüge in Höhe von 2.483,93 Euro brutto überzahlt sei, ist frei von Rechtsfehlern.

45

a) Das Landesarbeitsgericht hat dahinstehen lassen, ob im Falle der Überzahlung ein Rückzahlungsanspruch bestünde. Die Beklagte habe ihrem Anspruch lediglich die Geschäftsergebnisse bis zum tatsächlichen Ausscheiden des Klägers Ende Juli 2006 zugrunde gelegt. Zum Geschäftsverlauf im verbleibenden Rest des Geschäftsjahrs, insbesondere zu dem von ihr behaupteten negativen Ergebnis im August und September 2006 fehle es an näheren Darlegungen. Der Anspruch sei damit nicht schlüssig.

46

b) Dies ist rechtlich zutreffend. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat bis zum 31. Januar 2007 und damit auch während der restlichen Monate des Geschäftsjahrs 2005/2006 fortbestanden. Für die schlüssige Darlegung einer Überzahlung hätte es vollständiger Angaben für das gesamte Geschäftsjahr bedurft (vgl. BAG 3. Juni 1958 - 2 AZR 406/55 - zu I der Gründe, BAGE 5, 317). Daran fehlte es nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Die Beklagte hat insoweit keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, das Landesarbeitsgericht habe in einem bestimmten Schriftsatz gehaltenen konkreten Sachvortrag übergangen.

47

2. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Zahlung von 23.700,00 Euro.

48

a) Ein solcher Anspruch folgt nicht als Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat weder im Einzelnen dargelegt noch gar bewiesen, dass der Kläger die aus der Kasse erhaltenen Beträge oder doch einen Teil davon für sich selbst vereinnahmt oder nicht bestimmungsgemäß verwendet hat.

49

aa) Die Beklagte als Gläubigerin des Anspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger das Geld aus den Barentnahmen nicht pflichtgemäß verwendet und damit seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt hat(vgl. BGH 23. Oktober 2007 - XI ZR 423/06 - Rn. 18 mwN, ZIP 2008, 168). Dies gilt für sie als Arbeitgeberin gem. § 619a BGB auch für die weitere Voraussetzung, dass der Kläger als Arbeitnehmer die Pflichtverletzung zu vertreten hat(vgl. nur ErfK/Preis 12. Aufl. § 619a BGB Rn. 2).

50

bb) Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Kläger das Geld aus den Barentnahmen pflichtwidrig verwendet und es für sich behalten oder in unzulässiger Weise Kundenmitarbeitern zugewendet hätte. Der Kläger hat zwar eingeräumt, die entnommenen Gelder für Zahlungen oder Geschenke an Mitarbeiter von D verwendet zu haben, hat aber nicht etwa eingeräumt, dies pflichtwidrig getan zu haben.

51

cc) Obwohl der Kläger seinerseits die pflichtgemäße Verwendung der Gelder ebenso wenig im Einzelnen dargelegt hat, ist ihre pflichtwidrige Verwendung nicht als zugestanden iSv. § 138 Abs. 3 ZPO anzusehen. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass den Kläger keine (sekundäre) Darlegungslast mit Blick auf den Verbleib des Geldes trifft.

52

(1) Eine sekundäre Darlegungslast der nicht darlegungsbelasteten Partei kommt dann in Betracht, wenn es dieser zuzumuten ist, ihrem Prozessgegner die Darlegung durch nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie, anders als der außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehende Darlegungsbelastete, die wesentlichen Tatsachen kennt (BGH 23. Oktober 2007 - XI ZR 423/06 - Rn. 19 mwN, ZIP 2008, 168).

53

(2) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei gleichwohl nicht zu einer näheren Darlegung des Verbleibs der Gelder verpflichtet, ist rechtlich unbedenklich. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts nicht widerlegt, dass die Beklagte den Kläger davon befreit habe, die Verwendung der Beträge im Einzelnen nachweisen zu müssen. Unter diesen Umständen kann eine solche Darlegung vom Kläger auch prozessual nicht verlangt werden.

54

dd) Zur Annahme einer Pflichtverletzung reicht es nicht aus, dass der Kläger überhaupt Bargeld zur Zuwendung an Kundenmitarbeiter gegen Eigenbelege entnommen hat. Die Beklagte behauptet nicht, dass dies schlechthin pflichtwidrig gewesen sei. Soweit sie stattdessen geltend macht, der Kläger sei gehalten gewesen, zutreffende Angaben zu Empfängern und Grund der Zuwendungen zu machen, ist diese Vorgabe nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts gerade nicht erwiesen.

55

b) Ein Schadensersatzanspruch folgt nicht aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. §§ 246, 266 oder 299 Abs. 2 StGB bzw. aus § 826 BGB. Die Beklagte hat auch insoweit die Voraussetzungen nicht dargelegt. Eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich eines pflichtgemäßen Verhaltens trifft den Kläger aus den dargestellten Gründen auch in diesem Rahmen nicht.

56

c) Ein Bereicherungsanspruch aus §§ 812 ff. BGB ist nicht gegeben. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Kläger die erhaltenen Gelder für sich behalten hat. Auch insoweit trifft diesen keine sekundäre Darlegungslast. Soweit er die entnommenen Gelder nach seinem eigenen Vorbringen Kundenmitarbeitern zugewendet hat, hat er die Leistungen für die Beklagte erbracht. Einen Bereicherungsanspruch könnte die Beklagte daher allenfalls gegen die Leistungsempfänger geltend machen. Sie hat weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass der Kläger in Wirklichkeit im eigenen Namen gehandelt und dadurch etwa eigene Aufwendungen erspart habe.

57

IV. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

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A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

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I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

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II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

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III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

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1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

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a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

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b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

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c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

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aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

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bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

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2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

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a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

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b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

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c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

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d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

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e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

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f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

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3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

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a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

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b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

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aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

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d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

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Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. April 2015 - Az.: 10 BV 56/14 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des zu 2) beteiligten Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3). Die zu 1) beteiligte Arbeitgeberin stützt ihren Antrag auf den Vorwurf pflichtwidriger Manipulationen von im elektronischen Zeiterfassungssystem „Calitime“ abgebildeten Arbeitszeiten bzw. den dringenden Verdacht solcher Manipulationen sowie zweitinstanzlich weiter auf Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Führung des Kassenbuches.

2

Die Beteiligte zu 1) ist auf dem Gebiet der Mälzerei an verschiedenen Standorten in Deutschland tätig. Der Beteiligte zu 2) ist der in ihrer Niederlassung A-Stadt gebildete Betriebsrat.

3

Die 1963 geborene, verheiratete Beteiligte zu 3) ist seit März 2008 als Bürokraft bei der Beteiligten zu 1) in A-Stadt angestellt. Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 30 Stunden. Von 1982 bis zu deren Insolvenz im Jahr 2007 war die Beteiligte zu 3) bei der Vorgängerin der Beteiligten zu 1), der Firma Z., tätig. Sie ist seit 2010 Mitglied des Beteiligten zu 2).

4

Zu den Arbeitsaufgaben der Beteiligten zu 3) gehörten die Erledigung von Botengängen außerhalb des Betriebsgeländes zur Bank, zur Post, zum L. und zu mit der Beteiligten zu 1) zusammenarbeitenden Logistikunternehmen sowie die Erledigung von kleineren Einkäufen (zum Beispiel von Süßigkeiten oder Getränken) oder der „Einkauf“ von Bahntickets. Daneben gehört es zu den arbeitsvertraglichen Pflichten der Beteiligten zu 3), nachträglich zunächst fehlerhaft im Arbeitszeiterfassungssystem „Calitime“ abgebildete Arbeitszeiten der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 1) im Betrieb A-Stadt manuell abzuändern und zunächst unterbliebene Erfassungen händisch nachzuerfassen und zu vervollständigen. Manuelle Änderungen erfolgen beispielsweise um Zuschläge für Nachtarbeit, Schmutz-stunden, Wochenend- oder Feiertagsarbeit, Schulungen oder abgefeierte Überstunden zu berücksichtigen. Änderungen der originalen Stempelzeiten sind nötig, wenn ein Stempeln nicht möglich war (zum Beispiel Reisezeiten) oder vergessen wurde. Bei einer versäumten Stempelung ist von dem betreffenden Mitarbeiter ein Vordruck „Zeiterfassung“ mit Datum, der korrekten Uhrzeit und dem Grund des Versäumnisses auszufüllen und zu unterschreiben. Weiter war die Beteiligte zu 3) für die Verwaltung der Kaffeekasse zuständig.

5

Die Monatsabrechnungen zur Zeiterfassung geben die an jedem Arbeitstag veranlassten Zeitbuchungen („Einstempeln in die Zeiterfassung“ und „Ausstempeln aus der Zeiterfassung“) wieder. Das "Calitime"-System der Beteiligten zu 1) ermöglicht, drei verschiedene Versionen der Stempelkarten ausdrucken bzw. anzeigen zu lassen: In der Version 1 werden nur die abgerechneten Zeiten angezeigt. Bei dieser Version kann an hinter dem Datum und dem Wochentag befindlichen Sternchen erkannt werden, dass eine manuelle Ergänzung oder Abänderung an diesen betreffenden Tagen erfolgt ist. Bei der Version 2 werden zusätzlich bei Änderungen die Originalzeiten in Klammern angezeigt. Bei Version 3 werden alle Stempelungen und alle abgerechneten Zeiten angezeigt. Der kündigungsberechtigte Betriebsleiter des Betriebes am Standort A-Stadt, Y. X. hat Zugriff auf das Zeiterfassungssystem.

6

Am 8. bis 10.eines jeden Monats werden die Arbeitszeitdaten sämtlicher Mitarbeiter an den Betriebsleiter W. in A-Stadt weitergeleitet. Dieser übernimmt für alle Betriebsstätten der Beteiligten zu 1) die Kontrolle bzw. Berichtigung der Zeiterfassung über „Calitime“. Anschließend wird ein Ausdruck sämtlicher Stundenzettel dem Leiter des Betriebes A-Stadt Y. X. vorgelegt.

7

Eine Arbeitsanweisung hinsichtlich vorzunehmender Botengänge und den damit verbundenen Zeiterfassungen existiert im Betrieb der Beteiligten zu 1) nicht. Die Beteiligte zu 3) erfasste die von ihr für die Beteiligte zu 1) absolvierten Boten-gänge außerhalb des Betriebsgeländes nicht minutengenau mit ihrem tatsächliche Beginn und Ende im System bzw. erfasste diese nicht genau manuell nach. Sie ergänzte bzw. korrigierte vielmehr am Folgetag die Zeiterfassung. Zunächst unterließ sie im Fall von Botengängen das Ausstempeln und trug dann am Folgetag die sich aus der Zeit des Verlassens des Betriebsgeländes zuzüglich der Dauer des Botengangs ergebende Zeit nach. Ab dem 1. Dezember 2013 stempelte die Beteiligte zu 3) beim Verlassen des Betriebsgeländes aus und änderte später die automatisch erfasste Endzeit entsprechend der Dauer des Botengangs.

8

Seit März 2014 sind im Betrieb Raucherpausen aus- und einzustempeln. Die Beteiligte zu 3) nahm persönlich zahlreiche Raucherpausen in Anspruch und änderte wiederholt, zuletzt am 9. Juli 2014, das automatisch erfasste Ende der jeweiligen Raucherpausenzeit vorverlegend ab.

9

Mit Schreiben vom 16. September 2014 nebst Anlagen (Bl. 97 f. d. A.) wurde die Beteiligte zu 3) zu den Unstimmigkeiten in ihren Monatsabrechnungen zur Zeiterfassung und dem dringenden Verdacht, dass Sie über einen längeren Zeitraum systematisch einen Arbeitszeit- und Lohnzahlungsbetrug zum Nachteil der Beteiligten zu 1) begangen habe, angehört. Sie wies die Vorwürfe mit E-Mail vom gleichen Tag (Bl. 99 d. A.) „entschieden als haltlos“ zurück. Die Führung ihrer Arbeitszeiterfassung habe sie stets korrekt erledigt.

10

Mit weiterem Schreiben vom 17. September 2014 (Bl.100 ff. d. A.) bat die Beteiligte zu 1) den Beteiligten zu 2) um „Zustimmung zur außerordentlichen (Tat- und Verdachts-) Kündigung“ der Beteiligten zu 3) „gemäß § 103 BetrVG“. Nachdem der Beteiligte zu 2) seine Zustimmung mit Stellungnahme vom 19. September 2014 (Bl. 105 d. A.) verweigert hatte, leitete die Beteiligte zu 1) mit am 23. September 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz das vorliegende Beschlussverfahren ein.

11

Die Beteiligte zu 1) stellte die Beteiligte zu 3) von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei.

12

Das Kassenbuch wurde zusammen mit der Kaffeekasse im Firmensafe verwahrt, zu dem Herr X. und die Beteiligte zu 3) jeweils einen Schlüssel in Besitz hatten. Den ihr überlassenen Tresorschlüssel übergab die Beteiligte zu 3) im September 2014 an Frau V. U., die diesen seitdem durchgehend in Besitz hatte.

13

Der Betriebsleiter X. kontrollierte im Rahmen der Klärung der mit den Botengängen der Beteiligten zu 3) zusammenhängenden Arbeitszeiten zunächst das reguläre betriebliche Kassenbuch auf entsprechende Belege und sah in diesem Kontext auch die verfügbaren Belege der Kaffeekasse durch. Am 21. November 2014 verschickte Herr X. eine Excel-Liste zu den von ihm festgestellten Auffälligkeiten bei der Arbeitszeiterfassung durch die Beteiligte zu 2) an den eigenen Vorstand und die anwaltliche Vertretung der Arbeitgeberin zur Weiterleitung an die Beteiligte zu 3). Im Dezember 2014 hat Herr X. dann die Belege zum Kaffeekassenbuch auf mögliche Rechtfertigungen der Arbeitszeiterfassung der Beteiligten zu 2) hin überprüft, wobei das Kassenbuch fehlte. Dabei fand er die Belege unsortiert bzw. durcheinander im Tresor vor. So wie vorgefunden legte er die Belege in den Tresor zurück.

14

Nach ihrer Rückkehr von einer krankheitsbedingten Abwesenheit fand die Kollegin der Beteiligten zu 3. Frau U. Anfang 2015 die für das Kassenbuch relevanten Belege unsortiert und durcheinander im Tresor vor. Das Kassenbuch ist verschwunden.

15

Am 9. April 2015 beauftragte die Beteiligte zu 1) Frau V. U., Ordnung in die Kaffeekasse zu bringen und sämtliche Belege herauszusuchen. Es konnte lediglich ein Abgleichen mit einer Excel-Datei über die Bewegungen der Kaffeekasse vorgenommen werden, da das Kassenbuch selbst fehlte.

16

Mit Schreiben vom 15. April 2015 (Bl. 488 d. A.) hörte die Beteiligte zu 1) die Beteiligte zu 3) zum Vorwurf der unberechtigten Entnahme von Geldern des Arbeitgebers und/oder der übrigen Mitarbeiter in A-Stadt, einer veruntreuenden Unterschlagung zum Nachteil der Arbeitgeberin und der Kolleginnen und Kollegen an. Innerhalb der ihr gesetzten Frist äußerte sich die Beteiligte zu 3) hierzu nicht, nachdem die Beteiligte zu 1) der Bitte der Beteiligten zu 3) um Fristverlängerung (Bl. 489 d. A.) nicht entsprochen hatte.

17

Mit Anhörungsschreiben vom 20. April 2015 (Bl. 483 ff. d. A.), zugegangen am 21. April 2015, hat die Beteiligte zu 1) beim Betriebsrat neuerlich um "Zustimmung zur außerordentlichen (Tat- und Verdachts-) Kündigung" gegenüber der Beteiligten zu 3) gebeten. Gegenstand des Zustimmungsersuchens ist der Vorwurf zahlreicher unbelegter Positionen der Jahre 2011 bis 2014 im Zusammenhang mit der Kaffeekasse. Der Beteiligte zu 2) verweigerte mit Schreiben vom 23. April 2015 (Bl. 490 d. A.) die erbetene Zustimmung. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24. April 2015 (Bl.491 d. A.) nahm die Beteiligte zu 3) zu den Vorwürfen Stellung. Die Gründe aus dem Anhörungsschreiben vom 20. April 2015 hat die Beteiligte zu 1) mit der Beschwerdebegründung in das vorliegende - zweitinstanzliche - Beschlussverfahren eingeführt.

18

Mit weiterem Zustimmungsersuchen vom 31. Juli 2015 (Bl. 492 ff. d. A.) hat die Beteiligte zu 1) um die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur "außerordentlichen (Tat- und Verdachts-) Kündigung" gegenüber der Beteiligten zu 3) wegen des Vorwurfs eines nachweislich begangenen Arbeitszeitbetrugs am 19. Juni 2013 um eine Stunde gebeten. Der Beteiligte zu 2) hat die Zustimmung mit Schreiben vom 3. August 2015 (Bl. 497 d. A.) verweigert. Auch diesen Grund hat die Beteiligte zu 1) mit der Beschwerdebegründung in das vorliegende - zweitinstanzliche - Beschlussverfahren eingeführt.

19

Die Beteiligte zu 1) hat vorgetragen,

20

der Beteiligten zu 3) sei ein Fehlverhalten vorzuwerfen, welches an sich und auch im konkreten Fall einen wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB darstelle, der es ihr unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Seiten unzumutbar mache, die Beteiligte zu 3) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die Kündigung sei sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung auszusprechen.

21

Sie sei am 9. September 2014 durch Herrn X. darüber unterrichtet worden, dass Unstimmigkeiten in den Monatsabrechnungen zur Zeiterfassung der Beteiligten zu 3) festgestellt worden seien. Am 10. und 11. September 2014 seien die Monatsabrechnungen der Beteiligten zu 3) für den Zeitraum Januar 2012 bis einschließlich August 2014 (Kopien Bl. 21 ff. d. A.) vollständig überprüft worden. Diese Überprüfung habe ergeben, dass die Beteiligte zu 3) weit überdurchschnittlich häufig manuelle Änderungen an ihren Zeiterfassungsdaten vorgenommen habe. Bei der Durchsicht der Stempelkarten des Zeitraums Januar 2012 bis Juli 2014 habe sich weiter gezeigt, dass bei der Beteiligten zu 3) nicht die Stempelkarten nach der Version 2 vorgelegt worden seien, sondern Stempelkarten in der Version 1.

22

Im Zeitraum Januar 2012 bis August 2014 sei von der Beteiligten zu 3) zu ihren Gunsten eigenmächtig insgesamt eine Arbeitszeit von 13 Stunden und 33 Minuten gutgeschrieben worden. Hinsichtlich der vorgenommenen einzelnen Änderungen wird auf S. 4 f. der Antragsschrift (Bl. 4 f. d. A.), S. 8 ff. des Schriftsatzes vom 17. Februar 2015 (Bl. 175 ff. d. A.) und S. 2 ff. des Schriftsatzes vom 10. April 2015 (Bl. 358 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Häufigkeit, mit der manuelle Änderungen erfolgt seien, nämlich circa 17-mal so häufig wie bei ihren Kolleginnen, könne nicht ansatzweise mehr mit menschlichem „Vergessen“ erklärt werden. Die Beteiligte komme täglich auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz ebenso wie auf dem Rückweg zu ihrem Pkw – ohne Umweg – an dem Terminal zur Erfassung vorbei. Bei anderen Mitarbeitern seien die nachträglichen manuellen Korrekturen außerdem regelmäßig durch Dritte erfolgt. Bereits gestempelte Zeiten habe die Beteiligte zu 3) nachträglich um fiktive Zeiten ergänzt, die in keinem Zusammenhang mit irgendwelchen Nachweisen stünden. Für einen identischen Sachverhalt habe die Beteiligte zu 3) willkürliche Zeiten notiert (zum Beispiel Botengänge zur Post: von pauschal 10 oder 20 Minuten zu fiktiven Zeiten) und Sachverhalte wie Botengänge bei der Zeiterfassung auch völlig willkürlich gehandhabt ohne hierzu plausible nachvollziehbare Angaben machen zu können oder gemacht zu haben.

23

Da sie als Arbeitgeberin über keine anderen Kontrollmöglichkeiten verfüge, müsse besonderer Wert auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in der Zeiterfassung gelegt werden. Die Beteiligte zu 3) habe auch in den Fällen der nachträglichen Abänderung ausgestempelter Zeiten nicht entsprechende Vordrucke für die Zeiterfassung ausgefüllt. Damit habe die Beteiligte zu 3) gerade die Überprüfbarkeit der einzelnen Veränderungen - zumindest auf Plausibilität - bezüglich Zeitaufwand und Grund der Änderung verhindert und die Wahrscheinlichkeit, dass dem Vorgesetzten Prüfungsbedarf bezüglich ihrer Veränderung überhaupt auffalle, stark reduziert sowie fast unmöglich gemacht. Soweit Nachweise vorhanden seien, seien diese nicht mit den jeweils händisch abgeänderten Arbeitszeiten in Einklang zu bringen.

24

Die von der Beteiligten zu 3) genommenen „Raucherpausen“ seien ebenfalls nachträglich zu deren Gunsten mindestens in 11 Fällen (3. März, 18. März, 21. März, 24. März, 28. März, 4. April, 15. April, 8. Mai, 20. Mai, 7. Juli, 9. Juli 2014) verkürzt worden. Zwischen dem Aus- und Wiedereinstempeln müssten 120 Sekunden liegen. Werde diese Zeitspanne unterschritten, so werde vom System die ursprüngliche Ausstempelzeit durch die spätere Stempelzeit ersetzt. Der Status bleibe dabei auf „ausgestempelt“. Eine Zeitverzögerung von 3 Minuten existiere nicht. Die von der Beteiligten zu 3) angegebenen 2 Minuten für jede Raucherpause seien völlig unglaubwürdig und realitätsfern, zumal sie schon circa 15 bis 20 Sekunden je Weg benötige, um den Raucherbereich zu erreichen.

25

Die von der Beteiligten zu 3) erschlichenen Arbeitszeitgutschriften seien dieser in Freizeitausgleich oder in jüngerer Zeit auch als Überstunden, teilweise mit einem Zuschlag von 25 % auf den Stundenlohn ausgezahlt worden.

26

Zumindest begründeten die dargelegten Tatsachen und Auffälligkeiten den dringenden Verdacht eines Fehlverhaltens, der bereits für sich genommen geeignet sei, eine weitere Zusammenarbeit mit der Beteiligten zu 3) auszuschließen.

27

Erschwerend komme hinzu, dass bereits im Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeit der Beteiligten zu 3) aufgefallen seien. Auch in diesem Zeitraum habe diese sich unberechtigt Überstunden aufgeschrieben. Im Zuge der damaligen Überprüfung habe die Beteiligte zu 3) sich bereiterklärt, den beim Arbeitgeber entstandenen Schaden zu ersetzen.

28

Die Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich beantragt,

29

die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

30

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,

31

diesen Antrag zurückzuweisen.

32

Die Beteiligte zu 3) hat insbesondere vorgetragen,

33

das Arbeitszeiterfassungssystem ("Calitime") der Beteiligten zu 1) sei derart fehlerhaft, dass nachträglich händische Abänderungen zwingend erforderlich seien, damit die Arbeitszeit der Arbeitnehmer überhaupt korrekt erfasst werden könne. Sie habe hierauf mehrfach per E-Mail hingewiesen. Die Fehlerhaftigkeit liege insbesondere darin begründet, dass das Gerät zu bestimmten Zeiten am Tag Setups durchführe, manchmal eine Erfassung nicht erfolge und dies nur über den Aufruf des Systems festzustellen sei, kurz vor Schichtbeginn dieser als richtige Zeit gestempelt werde und Kurzpausen unter 3 Minuten gar nicht erfasst werden könnten.

34

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 BGB sei nicht gewahrt, da die Beteiligte zu 1) über sämtliche Umstände jederzeit vollumfänglich informiert gewesen sei. Es sei nicht zu erkennen, aus welchem Grund die Beteiligte zu 1) die angeblichen Unstimmigkeiten erst am 9. September 2014 zur Kenntnis genommen haben wolle.

35

Sämtliche von ihr vorgenommenen Änderungen seien auf Botengänge zurückzuführen, die sie im Auftrag der Beteiligten zu 1) vorgenommen habe. Sie seien durch Vorlage des Kassenbuches nebst Belegen, Kontoauszügen und der Kaffeekasse nebst Belegen nachzuvollziehen. Hinsichtlich der einzelnen Änderungen wird auf den Vortrag der Beteiligten zu 3) auf S. 4 ff. im Schriftsatz vom 3. Dezember 2014 (Bl. 124 ff. d. A.) Bezug genommen. Sämtliche händisch geänderten Arbeitszeiten ergäben sich aus dem Ende der Arbeitszeit zuzüglich des Zeitaufwands für die Botengänge, welche von ihr je nach Erforderlichkeit und jeweils im Interesse der Beteiligten zu 1) ausgeführt worden seien. So erfordere der Report gegenüber der Zentrale in A-Stadt, dass das Kassenbuch und die Kontoauszüge so schnell wie möglich nach dem Ersten eines jeden Monats nach A-Stadt geschickt würden. Aus diesem Grund seien die Kontoauszüge nach Möglichkeit jeweils zum Monatsersten erstellt worden. Sofern die Kontoauszugserstellung an einem Sonntag erfolgt sei, habe sie die Zeit des Botengangs (25 Minuten) auf den Folgetag eingetragen, um im Zeiterfassungssystem keine Sonntagszuschläge auszulösen. Außerdem habe sie die Botengänge stets im Interesse der Beteiligten zu 1) ökonomisch und ökologisch sinnvoll und unter Beachtung der jeweiligen Öffnungszeiten erledigt, indem beispielsweise unnötige Fahrten vermieden worden seien und sie Erledigungen in ihrer Freizeit übernommen habe. Für die Botengänge seien in der Regel immer die gleichen Zeiten eingetragen worden: Post 10 Minuten, Einkauf je nach Menge 15 bis 20 Minuten sowie Bank je nach Parkplatzsituation zwischen 15 und 30 Minuten. Alternativ wäre für eine Wegstrecke zur Post und zum Supermarkt von einer reinen Fahrzeit pro Weg von 5 bis 6 Minuten auszugehen, zuzüglich circa 5 Minuten für die Parkplatzsuche sowie für die Paketaufgabe bzw. den Einkauf circa 5 bis 15 Minuten.

36

Soweit es um die Verkürzung der Raucherpausen gehe, habe dies stets darin begründet gelegen, dass sie zu den Zeiten als sie eigentlich noch ausgestempelt gewesen sei, wieder gearbeitet habe, da sie betriebliche Angelegenheiten in ihrer Raucherpause vor der Tür besprochen und geregelt habe. Sie rauche überaus schnell und benötige nicht länger als 2 Minuten für eine Zigarette.

37

Die beabsichtigte Kündigung habe vielmehr den Hintergrund darin, dass zwischen Herrn X. und ihr Meinungsverschiedenheiten bestünden, die vornehmlich auf ihre Betriebsratstätigkeit zurückzuführen seien.

38

Bei den angeblichen „Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeit“ aus dem Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 habe es sich um Überstundenzuschläge gehandelt, die für jede Überstunde und nicht erst für jede Überstunde ab acht Stunden Arbeitszeit aufgeschrieben worden seien. Hiervon seien mindestens drei weitere Kolleginnen betroffen gewesen.

39

Der Beteiligte zu 2) hat im Wesentlichen vorgetragen,

40

soweit die Zeitkorrekturen bei den übrigen Mitarbeitern regelmäßig durch dritte Personen und fast nie durch den betroffenen Mitarbeiter selbst erfolgt seien, sei dies dem Umstand geschuldet, dass eben dies arbeitsvertragliche Aufgabe unter anderem der Beteiligten zu 3) gewesen sei.

41

„Calitime“ sei so mangelhaft, dass ohne manuelle Änderungen eine korrekte Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeiten der Mitarbeiter nicht möglich sei. Für das Ein- und Ausstempeln bei Raucherpausen sei das Zeiterfassungssystem nicht ausgelegt.

42

Zeiten, in denen die Beteiligte zu 3) Aufgaben „außer Haus“ erledige, würden zwangsläufig nicht erfasst und müssten manuell eingetragen, das heißt geändert werden.

43

Botengänge würden - wenn möglich – aus betrieblichen Gründen nach Abschluss der regulären Arbeitszeit erledigt. In diesen Fällen stempele die Mitarbeiterin nicht „aus“, sondern trage, meist am Folgetag, als Arbeitsende händisch die Zeit ein, die sich aus der Addition der für den Botengang aufgewendeten Zeit zu der Zeit des Verlassens des Betriebsgeländes ergebe. In diesen Fällen komme nicht das seitens der Beteiligten zu 1) anführte Formular für Änderungen zum Einsatz. Dieses Formular habe letztlich nur verwaltungstechnische Gründe, wenn zum Beispiel Arbeitnehmer falsch gestempelt hätten, gäben sie dieses ausgefüllte Formular an die Beteiligte zu 3), damit diese die Änderungen im System händisch vornehmen könne. Gerade bei Botengängen seien diese Formulare grundsätzlich nicht zur Anwendung gekommen. Auch die Stellvertreterin der Beteiligten zu 3) Frau U. habe in Fällen von Botengängen die entsprechenden Formulare nicht verwendet. Wenn die Beteiligte zu 3) Fehler in der Zeiterfassung gemacht habe, habe sie das entsprechende Formular verwendet. Hinsichtlich des Vortrags des Beteiligten zu 2) zu den einzelnen Vorwürfen wird auf S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 27. März 2015 (Bl. 340 ff. d. A.) Bezug genommen.

44

Es werde bestritten, dass die Beteiligte zu 3) genommene Raucherpausen vorsätzlich falsch verkürzt habe. Diese rauche sehr schnell, auch da im Fall ihrer Abwesenheit das Büro und das Telefon nicht besetzt seien.

45

Hinsichtlich des Vorwurfs der Eintragung fiktiver nicht nachprüfbarer Endzeiten scheitere ein Verstoß gegen eine Dokumentationspflicht bereits an einer klaren Anweisung der Beteiligten zu 1). Zumindest wäre im konkreten Fall der Ausspruch einer vorherigen Abmahnung erforderlich.

46

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Die Beteiligte zu 1) habe - spätestens – ab März 2014 Kenntnis von den Problemen der Zeiterfassung gehabt. Darüber hinaus erhalte die Beteiligte zu 1) monatlich genaue Kenntnis der Zeiterfassung inklusive der manuellen Änderungen.

47

Das Arbeitsgericht Koblenz hat den Antrag durch Beschluss vom 23. April 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen der Beteiligten zu 1) einschließlich des von ihr hingenommenen Vortrags der Beteiligten zu 2) sei auch mit Rücksicht auf den wegen § 83 Abs. 1 ArbGG zu beachtenden Untersuchungsgrundsatz nicht geeignet, den Antrag zu rechtfertigen. Wegen des von der Arbeitgeberin formulierten Vorwurfs, die Beteiligte zu 3) habe anlässlich der von ihr zurückgelegten Botengänge zumindest den dringenden Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens bis hin zum dringenden Verdacht des ihr vorwerfbaren Arbeitszeit-, Lohn- oder Gehaltszahlungsbetruges begangen, fehle es an einem wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung. Hinsichtlich eines anzunehmenden pflichtwidrigen Verhaltens (oder Verdachts desselben) durch eine manipulierte Erfassung von ihr eingelegter Raucherpausen zuletzt am 9. Juli 2014 sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ohne erneute Beteiligung des Betriebsrats sei nicht zulässig. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Gründe II. des Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz (Bl. 413 ff. d. A.) Bezug genommen.

48

Der genannte Beschluss ist der Beteiligten zu 1) am 6. Juni 2015 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 3. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt und diese mit am 6. August 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 5. August 2015 begründet.

49

Zur Begründung der Beschwerde macht die Beteiligte zu 1) nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 14. Dezember 2015, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 454 ff., 586 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,

50

die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom 23. September 2014 gewahrt. Die Verfehlungen der Beteiligten zu 3) im Zusammenhang mit der Zeiterfassung anlässlich ihrer zahlreichen Raucherpausen seien als eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB anzusehen. Auch hinsichtlich der pauschalierten Vorerfassung von Botengängen liege eine Pflichtwidrigkeit vor.

51

Im August 2014 habe ihr Betriebsleiter X. noch keineswegs vollständige und positive – und schon überhaupt keine umfassende – Kenntnis von den Manipulationen der Stempelkarten, auch nicht bezüglich der Manipulation des Endes der Raucherpausen bzw. des (Wieder-)Einstempelns gehabt. Aufgefallen seien die Veränderungen erst dadurch, dass am 4., 5., 7., 13. sowie am 15. August 2014 gestempelte Arbeitszeiten zu ihren Ungunsten abgeändert worden seien. Dies sei für die Betriebsleitung A-Stadt erst im September erkennbar gewesen, da auf dem Ausdruck der Stempelkarten der Beteiligten zu 3) im Gegensatz zu den im August für Juli 2014 vorgelegten Stempelkarten die originalen – elektronisch erfassten – Stempelzeiten in Klammern mit aufgeführt gewesen seien. Die Beteiligte zu 3) habe im Zeitraum Januar bis Juli 2014 für sich und ihre Kollegin im Büro, Frau V. U., regelmäßig nur die Version 1 vorgelegt, während bei sämtlichen übrigen Mitarbeitern die Version 2 zugeleitet worden sei. Deshalb sei die Betriebsleitung A-Stadt in Person des Herrn X. davon ausgegangen, auch für die Beteiligte zu 3) und Frau U. die Version 2 erhalten zu haben.

52

Die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats sei hinsichtlich ihres Ersuchens vom 20. April 2015 zu Unrecht erfolgt. Aus den erheblichen Lücken in der Belegführung hinsichtlich der Kaffeekasse ergebe sich der Tatverdacht einer unberechtigten Entnahme von Geldern. Arbeitgeberseitig seien zu keinem Zeitpunkt weder von Herrn Y. X. noch von einem anderen Mitarbeiter etwaige Belege zum Kaffeekassenbuch oder das Kassenbuch selbst aus dem Tresor entfernt oder dazugehörige Belege durcheinandergebracht worden. Die Überprüfung durch Frau U. habe am 13. April 2015 unbelegte Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.306,42 € und unbelegte Ausgaben in Höhe von 874,62 € ergeben.

53

Wie sich aus dem Einkaufsbeleg T. vom 19. Juni 2013, 11.58 Uhr ergebe, habe die Beteiligte zu 3) – entgegen den Ausführungen des Beteiligten zu 2) in erster Instanz – nicht wie von ihr nacherfasst, in der Zeit von 12.19 bis 13.19 Uhr diverse Besorgungen für den Firmenmünzlauf durchgeführt. Anlässlich einer Strategiebesprechung in A-Stadt am 23. Juli 2015 habe sich herausgestellt, dass die Beteiligte diesen Einkauf gar nicht durchgeführt habe. Den Einkauf habe tatsächlich der Mitarbeiter S. R. erledigt. Der Umstand, dass eine andere Person diesen Einkauf erledigt habe, zeige, dass die Beteiligte zu 3) bewusst die Unwahrheit vorgebracht habe. Auch andere Mitarbeiter hätten Einkäufe für sie als Arbeitgeberin erledigt, namentlich Frau Q., Herr P. sowie Herr R..

54

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

55

den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. April 2015 – Az. 10 BV 56/14 – abzuändern und die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

56

Der Beteiligte zu 2) und die Beteiligte zu 3) beantragen,

57

die Beschwerde zurückzuweisen.

58

Der Beteiligte zu 2) verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe ihres Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 14. Oktober 2015 sowie des Schrift-satzes vom 19. Januar 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 560 ff., 682 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.

59

Die von der Beteiligten zu 3) für Botengänge eingetragenen Pauschalzeiten hätten sich an Zeitspannen (Einkauf 15 bis 30 min je nach Menge, Bank zwischen 15 und 30 min je nach Parkplatzsituation) orientiert. In der Praxis habe die Beteiligte zu 3) zumeist die Zeiten auf die nächsten 15, 30, 45 oder 60 min gerundet.

60

Hinreichende Kenntnis der für den Fristbeginn maßgebenden Umstände habe die Beteiligte zu 1) spätestens im Juli 2014 gehabt. Von der Beteiligten zu 3) und der Kollegin U. sei stets die Version 2 der Ausdrucke vorgelegt worden.

61

Hinsichtlich des 19. Juni 2013 habe die Beteiligte zu 3) versucht, die Geschehnisse mit Hilfe der vorliegenden Quittungen zu rekonstruieren. Da sie den größten Teil der Einkäufe erledigt habe, habe es nahegelegen, dies auch für den 19. Juni 2013 anzunehmen. Frau N., Herr M. und Herr R. hätten diese Aufgabe nur ausnahmsweise übernommen, wenn die Beteiligte zu 3) abwesend gewesen sei. Herr M. habe aufgrund des hohen Gewichts vorwiegend Getränkeeinkäufe erledigt.

62

Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Führung des Kassenbuches würden bestritten. Die Einführung dieses Vorwurfs in das vorliegende Verfahren sei nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt. Da Herr X. die „Kaffeekasse“ spätestens im Dezember 2014 auf Unregelmäßigkeiten hin überprüft habe, habe er spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von den nunmehr behaupteten Vorwürfen gehabt.

63

Auch die Beteiligte zu 3) verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe ihres Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 15. Oktober 2015, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 565 ff. d. A.).

64

Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass am 13. April 2015 unbelegte Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.306,42 € und unbelegte Ausgaben in Höhe von 874,62 € vorgelegen haben sollen. Sämtliche Ein- und Ausgänge seien in dem Kassenbuch ordnungsgemäß vermerkt worden. Die dazugehörigen Belege seien stets rückwärts und chronologisch mit einer großen Büroklammer darauf geheftet worden. An ihrem letzten Arbeitstag, dem 3. September 2014 habe bei der Schlüsselübergabe an Frau V. U. das Kassenbuch mit der Kaffeekasse und den dort ausgewiesenen Werten und Belegen übereingestimmt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt.

65

Zu den Vorwürfen hinsichtlich des Einkaufs vom 19. Juni 2013 sei sie nicht angehört worden. Sie solle sich zu Vorgängen aus dem Jahr 2013 erklären, zu denen ihr lediglich ein Notizbuch vorliege, in dem sie sich jeweils die entsprechenden Botengänge notiert habe. Gestützt auf diese Erinnerungshilfe habe sie sich im Verfahren erklärt.

66

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Anhörungstermins vom 3. Februar 2016 (Bl. 686 ff. d. A.) Bezug genommen.

67

II.1. Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

68

2. In der Sache hatte die Beschwerde der Beteiligten zu 1) keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu Recht zurückgewiesen.

69

Nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KSchG hat die Beteiligte zu 1) einen Anspruch auf Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB voraus. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vor-liegen, aufgrund derer der Beteiligten zu 1) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Danach kann einem Betriebsratsmitglied fristlos gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 – 2 AZR 587/08 – NZA-RR 2011, 15, 17 Rn. 17).

70

Der Antrag auf Zustimmungsersetzung setzt voraus, dass das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat abgeschlossen ist und der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung nicht wirksam zugestimmt hat. Der Antrag muss binnen der zwei-wöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB beim Arbeitsgericht eingegangen sein. Zugleich hat der Arbeitgeber die die Kündigung begründenden Umstände so genau und umfassend wie bei der Betriebsratsanhörung darzulegen (BAG, Beschluss vom 23. April 2008 – 2 ABR 71/07 – NZA 2008, 1081, 1082 Rn. 23). Der Arbeitgeber hat konkret alle Tatsachen anzugeben, auf die er die Kündigung stützen will. Er hat so genau und umfassend vorzutragen, dass der Betriebsrat bzw. an dessen Stelle die Gerichte für Arbeitssachen ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage sind, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen. Hat der Arbeitgeber die Kündigungsgründe ordnungsgemäß dargelegt, hat das Arbeitsgericht alle Umstände aufzuklären, die für die Frage der Berechtigung der außerordentlichen Kündigung im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB von Bedeutung sind. Einer weiteren Aufklärung oder Beweisaufnahme bedarf es nicht, wenn die Beteiligten den Sachverhalt übereinstimmend vortragen oder das substantiierte Vorbringen eines Beteiligten von den anderen nicht bestritten wird oder sich an dessen Richtigkeit keine Zweifel aufdrängen.

71

Gemessen hieran fehlt es an Umständen, die die Beteiligte zu 1) als Arbeitgeberin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist berechtigen.

72

a) Hinsichtlich der von der Beteiligten erst im erstinstanzlichen Beschlussverfahren mit Schriftsatz vom 17. Februar 2015 vorgetragenen nachträglichen Erfassungen am 2. Mai 2012, 6. Juni 2012, 11. Juni 2012, 11. Juli 2012, 12. Dezember 2012, 1. Februar 2013, 12. Februar 2013, 13. Februar 2013, 18. Februar 2013, 28. Februar 2013, 7. März 2013, 12. März 2013, 13. März 2013, 20. März 2013, 4. April 2013, 15. April 2013, 17. April 2013, 22. April 2013, 2. August 2013, 3. September 2013, 24. September 2013, 2. Oktober 2013, 4. Oktober 2013, 15. Oktober 2013, 17. Oktober 2013, 4. November 2013, 6. November 2013, 18. November 2013, 19. Februar 2014, 25. April 2014, 5. Mai 2014, 12. Mai 2014, 1. Juni 2014, 17. Juni 2014, 14. Juli 2014, 21. Juli 2014, 18. August 2014 sowie 21. August 2014 hat die Beteiligte zu 1) das Zustimmungsersetzungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Zu diesen Erfassungen hat sie den Beteiligten zu 2) vorab nicht unterrichtet. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ohne erneute Beteiligung des Betriebsrats ist betriebsverfassungsrechtlich nicht zulässig. Zwar kann der Arbeitgeber im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens auch noch neue Gründe vorbringen. Anders als beim Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG können nicht nur solche Tatsachen nachgeschoben werden, die bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahren bereits vorgelegen haben, sondern auch solche, die erst während des laufenden Verfahrens eingetreten sind. Auch können bei Einleitung des Verfahrens vorliegende Tatsachen ohne Rücksicht darauf nachgeschoben werden, ob sie dem Arbeitgeber bekannt waren oder nicht. Der Arbeitgeber muss aber, weil das gerichtliche Verfahren nur im Fall der Zustimmungsverweigerung einzuleiten und damit dem betrieblichen Zustimmungsverfahren nachgelagert ist, vor der Einführung dieser Umstände im Zustimmungsersetzungsverfahren dem Betriebsrat Gelegenheit gegeben haben, seine Stellungnahme im Licht der neuen Tatsachen zu überprüfen. Dabei wird die Behandlung neuer Gründe durch den Betriebsrat nicht dadurch ersetzt, dass der Vorsitzende des Betriebsrats durch Teilnahme am Beschlussverfahren davon erfährt (BAG, Beschluss vom 23. April 2008 – 2 ABR 71/07 – NZA 2008, 1081, 1083 Rn. 25 m. w. N.).

73

Eine solche Gelegenheit zur Stellungnahme hat die Beteiligte zu 1) dem Beteiligten zu 2) hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 17. Februar 2015 in das Beschlussverfahren eingeführten weiteren nachträglichen Erfassungen in "Calitime" nicht gegeben. Diese nachträglichen Änderungen in "Calitime" können daher den Antrag auf Zustimmungsersetzung nicht begründen.

74

b) Auch im Übrigen ist der am 17. September 2014 gestellte Antrag auf Ersetzung der Zustimmung nicht begründet. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung wegen der Gutschrift einer Arbeitszeit von insgesamt 13 Stunden und 33 Minuten ist unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 626 Abs. 1 BGB weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt.

75

Die erforderliche Prüfung gemäß § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich zweistufig. Zum einen muss ein Grund vorliegen, der überhaupt an sich geeignet ist, eine außer-ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der – in der Regel – vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.

76

(1) Zur Überzeugung der Kammer steht nicht fest, dass die Beteiligte zu 3) im Zeitraum Januar 2012 bis August 2014 einen Arbeitszeitbetrug mit einhergehendem Lohnzahlungsbetrug im Umfang von insgesamt 13 Stunden 33 Minuten begangen hat.

77

Nachträgliche unberechtigte Veränderungen der Zeitangaben in der Zeiterfassung, um damit Vergütung für nicht erbrachte Arbeitsleistungen zu erhalten, sind als so genannter Arbeitszeitbetrug an sich geeignet, einen wichtiger Grund im Sinn des § 626 BGB darzustellen. Insbesondere bei einem Arbeitnehmer in einer besonderen Vertrauensstellung kann bereits ein einmaliger und verhältnismäßig gering-fügiger Fall von Arbeitszeitbetrug ein wichtiger Kündigungsgrund sein.

78

(a) Die Beteiligte zu 3) hat aber keinen erwiesenen Arbeitszeitbetrug dadurch begangen, dass sie vorab fiktive, nicht nachprüfbare Ausstempelzeiten in „Calitime“ erfasst hat. Die Beteiligte zu 3) hat – auch nicht ab Dezember 2013 - vorab keine geschätzten Zeiten in „Calitime“ eingegeben. Sie hat vielmehr erst am Folgetag fehlende Zeiten ergänzt. Dies hat die Beteiligte zu 3) zweitinstanzlich ausdrücklich klargestellt. Auch aus dem Vortrag der Beteiligten zu 1) ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Änderungen in "Calitime" durch die Beteiligte zu 1) bereits vorab erfolgt wären. Eine solche Änderung vorab ist in "Calitime" nach den Ausführungen im Anhörungstermin zweiter Instanz auch technisch nicht möglich.

79

Die Beteiligte zu 3) hat auch keinen erwiesenen Arbeitszeitbetrug dadurch begangen, dass sie nachträglich Ausstempelzeiten ergänzt bzw. ab Dezember 2013 geändert hat. Grundsätzlich war die Beteiligte zu 3) arbeitsvertraglich berechtigt und verpflichtet, nachträgliche Änderungen in "Calitime" durchzuführen. Diese Berechtigung bezog sich auch auf Änderungen hinsichtlich ihrer eigenen Zeiten. Dies hat auch die Beteiligte zu 1) nicht bestritten, sondern im vorliegenden Beschlussverfahren lediglich darauf hingewiesen, dass auffällig sei, dass die Beteiligte zu 3) Änderungen persönlich durchgeführt habe und diese Änderungen nicht – wie üblicherweise - durch Dritte vorgenommen worden seien. Die Beteiligte zu 3) hat daher nicht bereits durch die Vornahme manueller Änderungen gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

80

Zu den arbeitsvertraglichen Pflichten der Beteiligten zu 3) gehörte die Durchführung von Botengängen außerhalb des Betriebsgeländes der Beteiligten zu 1), beispielsweise zur Bank, zur Post, zum L., zu Logistikunternehmen sowie die Erledigung von kleineren Einkäufen, zum Beispiel von Süßigkeiten oder Getränken. Diese Botengänge wurden von der Beteiligten zu 3) jedenfalls auch nach dem Ende ihrer Tätigkeit im Betrieb erledigt. Die Durchführung der Botengänge war unstreitig Arbeitszeit, als solche zu erfassen und zu vergüten. Mit der nachträglichen Erfassung dieser Zeiten an sich im Hinblick auf ihre daraus folgende Vergütung verstieß die Beteiligte zu 3) daher nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten.

81

Genaue Anweisungen dazu, wie diese Zeiten zu erfassen sind, existieren bei der Beteiligten zu 1) nicht. Zwar hat die Beteiligte zu 3) diese Zeiten nicht minutengenau und im Zeitraum ihrer genauen Erledigung erfasst. Es steht jedoch nicht fest, dass der von der Beteiligten zu 3) jeweils angegebene Umfang der aufgewendeten Zeit nicht zutreffend ist oder sie fiktive, angeblich außerhalb des Betriebsgeländes angefallene Arbeitsminuten erfasst hätte. Für einen Großteil der nachträglich erfassten Zeiten existieren korrespondierende Belege (Bankauszüge, Quittungen etc.), allerdings zu späteren Zeiten oder am Folgetag bzw. an dem vorangegangenen Wochenende. Die Beteiligte zu 3) hat danach in den überwiegenden Fällen nachweislich außerhalb der von ihr zunächst von "Calitime" erfassten Zeiten Arbeitsleistungen erbracht, diese lediglich nicht zu den in der Erfassung hinterlegten Zeiten.

82

So liegt für den 1. März 2012 ein Kontoauszug vor und für den 3. Mai 2012 ein Beleg einer Bahnkarte. Am 18. April 2013 erfolgte eine Erledigung durch die Beteiligte zu 3) um 14.20 Uhr bei „Ausstempeln“ um 12.12 Uhr, am 10. Juni 2013 eine Erledigung um 15.32 Uhr bei einem „Ausstempeln“ um 14.07 Uhr, am dem 2. Dezember 2013 vorangegangenem Sonntag 1. Dezember 2013 ein Gang zur Bank, am 6. Dezember 2013 eine Erledigung um 16.21 Uhr bei „Ausstempeln“ um 10.59 Uhr, am 9. Dezember 2013 ein Botengang zur Bank, am 3. Februar 2014 ein Botengang zur Post und zur Bank, am 1. April 2014 ein Botengang zur Bank um 15.39 Uhr bei „Ausstempeln“ um 12.47 Uhr sowie am 30. Mai 2014 eine Fahrt zur Poststelle E-Stadt. Am Folgetag des 20. Juni 2014 wurde an einem Samstag ein Botengang zwecks Einkaufs erledigt, am 10. Juli 2014 ein Botengang zu L. und K. durchgeführt, am 18. Juli 2014 ein Botengang zur Post gemacht, am 25. Juli 2014 um 11.05 Uhr ein Einkauf bei J. bei einem „Ausstechen“ um 10.16 Uhr erledigt und am 29. Juli 2014 ein Einkauf bei I. um 16.34 Uhr bei einem „Ausstechen“ bereits um 13.12 Uhr gemacht. Am 7. August 2014 hat die Beteiligte zu 3) einen Besuch beim L. gemacht und um 16.45 Uhr Bargeld vom Firmenkonto abgehoben, nachdem sie bereits um 12.33 Uhr ausgestempelt hatte.

83

Auch hinsichtlich der weiteren Tage, an denen nachträglich Arbeitszeiten hinzugefügt bzw. abgeändert wurden, ist nicht erwiesen, dass die Beteiligte zu 3) in dem angegebenen Umfang keine Arbeitsleistung erbracht hat. Die Beteiligte zu 3) hat hinsichtlich dieser weiteren Tage den Vortrag der Beteiligten zu 1) weitgehend unter Angabe der (angeblich) durchgeführten Tätigkeiten bestritten. So hat sie vorgetragen, am 18. Juni 2012 Spültücher eingekauft zu haben. Zum 29. Oktober 2013 hat sie vorgetragen, Bahntickets für Frau U. und sich gekauft zu haben und zur Bank gegangen zu sein. Für den 17. Dezember 2013 hat sie einen Gang zur Post, für den 10. Januar 2014 einen Einkauf, für den 27. Januar 2014 einen Gang zur Post sowie für den 28. Januar 2014 einen Einkauf angegeben. Am 7. Februar 2014 habe sie ein Geldprüfgerät eingekauft und sei wegen einer Einzahlung von 3.000,00 € zur Bank gegangen. Am 14. Februar 2014 sei sie zur Post gegangen. Am 23. März 2014 habe sie wiederum eingekauft und sei zur Bank gegangen. Für den 10. April 2014 hat sie einen Gang zur Post vorgetragen. Am 5. Mai 2014 habe sie einen Botengang zwecks beabsichtigten Einkaufs einer Kaffeemaschine in H. gemacht. Am 15. und 19. Mai 2014 sowie am 9. Juli 2014 habe sie jeweils einen Gang zur Post gemacht. Für den 5. August 2014 hat die Beteiligte zu 3) einen Botengang zur Post in E-Stadt vorgetragen, für den 13. August 2014 ein Botengänge zum L. und zu G. sowie zur Post in E-Stadt sowie für den 15. August 2014 Botengänge zum L. und zu G. und zum Einkauf.

84

Soweit die Beteiligte zu 3) im Übrigen angegeben hat, sich nicht mehr erinnern zu können, welche konkrete Tätigkeit sie zur nachträglichen Änderung bzw. Korrektur der erfassten Zeiten veranlasst hat, konnte sie den Vorwurf der Erfassung von Arbeitszeiten, in denen sie keine Arbeitsleistung haben soll, zulässigerweise mit Nichtwissen bestreiten, obwohl es sich um Gegenstände ihrer eigenen Wahrnehmung handelt (§ 138 Abs. 4 ZPO). Zwar ist ein solches Bestreiten mit Nichtwissen nur bezüglich solcher Tatsachen zulässig, die weder eine eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind. Diese Voraus-setzungen liegen bei den von der Beteiligten zu 3) erbrachten Arbeitsleistungen nicht vor. Jedoch erfordern der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip, dass es einer Prozesspartei möglich sein muss, Tatsachen, an die sie sich zum Zeitpunkt ihres Prozessvortrags nicht mehr erinnern kann und diese auch nicht zumutbar durch Nachforschungen feststellen kann, mit Nicht-mehrwissen zu bestreiten (BAG, Urteil vom 20. August 2014 - 7 AZR 924/12 - 7 AZ7 AZR 924/12 - BeckRS 2014, 73697, Rn. 32; Beschluss vom 13. November 2007 - 3 AZN 449/07 - NJW 2008, 1179, 1180, Rn. 18 f.). Es ist von Verfassungs wegen gefordert, einer Beteiligten nur aufzuerlegen, sich darüber zu erklären, was sie zum Zeitpunkt der notwendigen Erklärung tatsächlich weiß oder unter zumutbaren Voraussetzungen durch Erkundigungen feststellen kann. Die Beteiligte zu 3. hat plausibel gemacht, sich an jeden einzelnen Vorgang nicht mehr zu erinnern und aus den ihr vorliegenden Unterlagen keine Feststellungen treffen zu können. Die Beteiligte zu 1), die der Beteiligten zu 3) arbeitsvertraglich auch Botengänge außerhalb des Betriebs übertragen hat und der bekannt war, dass die Beteiligte zu 3) solche durchführt, hat vor dem Sommer 2014 weder die von der Beteiligten zu 3) vorgenommene Erfassung dieser Zeiten beanstandet noch eine andere Handhabung gefordert. Die vorgenommenen Änderungen in der Zeiterfassung wurden monatlich von dem Betriebsleiter in A-Stadt kontrolliert. Die Beteiligte zu 3) musste daher nicht mehr damit rechnen, dass es zu Nachfragen hinsichtlich durchgeführter Botengänge ab Januar 2012 kommen würde, entsprechende Aufzeichnungen anfertigen und aufbewahren. Das Formular "Zeiterfassung" musste bei Botengängen nicht verwendet werden. Es ist nach der Lebenserfahrung auch plausibel, dass die Beteiligte zu 3) sich nach geraumer Zeit nicht mehr an jeden einzelnen Botengang nach Zeitpunkt, Ziel und Gegenstand erinnern kann.

85

Ein Abgleich der manuellen Änderungen durch die Beteiligte zu 3) mit dem Kassenbuch nebst Belegen ist nicht mehr möglich, da das Kassenbuch nach der Freistellung der Beteiligten zu 3) verschwunden ist und die Belege nicht mehr in der ursprünglichen Reihenfolge der getätigten Eintragungen sind.

86

Soweit die vorgenommenen zeitlichen Abänderungen hinsichtlich des Beginn und Endes des Botengangs unzutreffend waren, vermag diese Unrichtigkeit im vor-liegenden Sachverhalt keine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit liegt kein Arbeitszeitbetrug vor.

87

(b) Auch soweit die Beteiligte zu 3) von ihr genommenen Raucherpausen in 11 Fällen in „Calitime“ so verkürzt hat, dass ursprünglich als Pausenzeit ausgestempelte Zeit als Arbeitszeit erfasst und vergütet wurde, liegt kein erwiesener Arbeitszeitbetrug vor.

88

Grundsätzlich ist die Beteiligte zu 1) nicht verpflichtet, Raucherpausen zu vergüten. In den so genannten Raucherpausen erbringen die Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung. Ein gesetzlicher Tatbestand, aufgrund dessen die Beteiligte zu 1) gleichwohl verpflichtet wäre, Vergütung zu zahlen, liegt nicht vor. Für selbst verursachte Arbeitsunterbrechungen entstehen keine Vergütungsansprüche (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 5. November 2015 - 5 Sa 58/15 - BeckRS 2016, 66179; vom 21. Juli 2015 - 7 Sa 131/15 - BeckRS 2015, 71717). Dafür, dass sich die Beteiligte zu 1) vertraglich zur Vergütung von Raucherpausen verpflichtet hat, liegen keine Anhaltspunkte vor.

89

Die Verkürzung einer Raucherpause in der Arbeitszeiterfassung, obwohl diese tatsächlich in dem vollen erfassten Umfang genommen wurde, ist daher an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer veranlasst hierdurch den Arbeitgeber, ihm Entgelt zu zahlen, ohne dass er die geschuldete Arbeitsleistung während der Pause erbracht hat (vgl. zum fehlenden Ausstechen einer Raucherpause: LAG Köln, Urteil vom 13. April 2011 - 9 Sa 1320/10 - BeckRS 2012, 67515 m. w. N.). Es steht jedoch nicht fest, dass die Beteiligte zu 3) tatsächlich genommene Raucherpausen unzutreffend verkürzt hat.

90

Bei den nachträglich verkürzten Raucherpausen am 3. März, 18. März, 21. März, 24. März, 28. März, 4. April, 15. April, 8. Mai, 20. Mai, 7. Juli und 9. Juli 2014 handelt es sich sämtlich um solche, in denen die Beteiligte zu 3) zunächst eine über 2 Minuten hinausgehende Raucherpause ausgestochen hat und diese wegen von ihr behaupteter dienstlicher Tätigkeiten während der Raucherpause nachträglich in "Calitime" um zwei oder drei Minuten verkürzt hat.

91

Nicht mehr aufklärbar ist, ob das von der Beteiligten zu 3) auf einen früheren Zeitpunkt abgeänderte Ende der Raucherpause tatsächlich falsch war oder ob sie in der Raucherpause dienstliche Tätigkeiten wahrgenommen und dienstliche Gespräche geführt oder Betriebsratstätigkeit erbracht hat. Die Beteiligte zu 3) konnte auch insoweit mit Nicht-mehr-wissen bestreiten, dass sie tatsächlich genommene Raucherpausen unzutreffend in Arbeitszeit abgeändert hat. Die der Beteiligten zu 3) vorgeworfenen Manipulationen reichen bis in den März 2014 zurück. Die Beteiligte zu 3) hat eine Vielzahl von Raucherpausen in Anspruch genommen und in unzähligen Fällen Korrekturen im Umfang von einer oder wenigen Minuten vorgenommen. Die erfassten Arbeitszeiten wurden monatlich durch den Betriebsleiter in A-Stadt W. überprüft. Weiter wurden die Ausdrucke monatlich dem Betriebsleiter A-Stadt X. vorgelegt. Auch dann, wenn diesem nicht die Version 2, sondern "nur" die Version 1 der Ausdrucke vorgelegt worden wäre, hätte er an den vielen Sternchen auf den Ausdrucken erkennen können, dass die Beteiligte zu 3) an einer Vielzahl von Arbeitstagen Korrekturen vorgenommen hat. Von beiden Betriebsleitern wurde die Zeiterfassung der Beteiligten zu 3) nicht beanstandet. Die Beteiligte zu 3) war daher nicht veranlasst, über - überprüfte und abgerechnete - Monate Aufzeichnungen über kurzzeitige dienstliche Tätigkeiten und Gespräche während der Raucherpausen anzufertigen und vorzuhalten. Beispielhaft hat sie angegeben, dass sie mit Herrn Ax. und Herrn AY. gesprochen habe. Gegenstand der Gespräche sei beispielsweise die Außenanlage, zu fällende Bäume und Genehmigung gewesen. Auch sei es um Unstimmigkeiten im Betrieb gegangen. Teilweise hätten Mitarbeiter bereits auf sie gewartet, um dienstliche Belange zu besprechen. Die Gespräche hätten auch ihre Betriebsratstätigkeit betroffen. Es erscheint auch plausibel, dass die Beteiligte zu 3) während ihrer Raucherpausen insbesondere auf Fragen betreffend das Außengelände und ihre Betriebsratstätigkeit angesprochen worden ist und sich nunmehr nicht mehr an die genauen Zeitpunkte, Gesprächspartner und den jeweiligen Gegenstand des Gesprächs erinnern kann.

92

Soweit die Beteiligte zu 3) während der Raucherpausen Betriebsratstätigkeit ausgeführt haben will, ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass sich ein Betriebsratsmitglied zwar grundsätzlich zur Ausübung von Betriebsratstätigkeit beim Arbeitgeber abmelden muss und seine Rückkehr an den Arbeitsplatz anzeigen muss. Da es der Zweck der Meldepflicht ist, dem Arbeitgeber die Überbrückung des Arbeitsausfalls zu ermöglichen, besteht jedoch keine vorherige Meldepflicht in Fällen, in denen eine vorübergehende Umorganisation nicht ernsthaft in Betracht kommt. Maßgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalls. Dazu gehören insbesondere die Art der Arbeitsaufgabe des Betriebsratsmitglieds und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunterbrechung. Der Arbeitgeber kann dann verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum verrichteten Betriebsrats-tätigkeit nachträglich mitgeteilt wird (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 7 ABR 135/09 - NZA 2012, 47, 48 f., Rn. 18 ff.). Einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Arbeitsbefreiung des Betriebsratsmitglieds bedarf es nicht. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall bereits zweifelhaft, ob die Beteiligte zu 3) dann, wenn sie während ihrer Raucherpause mit einer Angelegenheit des Betriebsrats befasst wurde, dies hätte (vorab) anzeigen müssen. In Anbetracht der Kürze der Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben kam eine Umorganisation der Arbeitsaufgaben der Beteiligten nicht in Betracht.

93

Der Arbeitgeber darf die Auszahlung des Arbeitslohnes auch nicht regelmäßig von einer lückenlosen Darlegung zu Art und Umfang der angemeldeten Betriebsrats-tätigkeit abhängig machen. § 2 Abs. 1 BetrVG verpflichtet die Betriebsparteien zur vertrauensvollen Zusammenarbeit. Stichwortartige Angaben zum Zwecke der Prüfung der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit kann der Arbeitgeber daher nur dann verlangen, wenn anhand der konkreten betrieblichen Situation und des vom Betriebsratsmitglied genannten Zeitaufwandes an der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit insgesamt Zweifel bestehen. In diesem Fall hat das Betriebsratsmitglied dem Arbeitgeber Kurzangaben auch zur Art der durchgeführten Tätigkeit zu übermitteln, die zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen (BAG, Urteil vom 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 105). Eine genaue Schilderung der betreffenden Aufgabe, die dem Arbeitgeber etwa eine Kontrolle der Betriebsratstätigkeit ermöglichen könnte, ist aber in keinem Fall erforderlich (BAG, Urteil vom 19. Juni 1979 - 6 AZR 638/77 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 36). Die Betriebsratsmitglieder - hier die Beteiligte zu 3) - sind auch nicht verpflichtet, für den Arbeitgeber eine schriftliche Dokumentation ihrer Tätigkeit anzufertigen. Eine solche detaillierte Dokumentation von in Betriebsratsangelegenheiten geführten Gesprächen kann daher auch im vorliegenden Verfahren nicht von der Beteiligten zu 3) verlangt werden.

94

(2) Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Beteiligten zu 3) ist auch nicht als Verdachtskündigung wegen des Verdachts der vorsätzlichen falschen Verkürzung der Raucherpausen in mindestens elf Fällen, der Eintragung fiktiver, nicht nachprüfbarer Endzeiten und der nachträglichen Abänderung ausgestempelter Zeiten gerechtfertigt.

95

Grundsätzlich kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung ist danach immer dann gerechtfertigt, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 13; vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 16, jeweils m. w. N.). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 14; vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 17, jeweils m. w. N.).

96

Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben.

97

(a) Es besteht kein dringender Verdacht, dass die Beteiligte zu 3) bereits vor der Durchführung von Botengängen fiktive Endzeiten in "Calitime" eingetragen hat. Die Beteiligte hat im Anhörungstermin zweiter Instanz dargelegt, dass sie stets erst nach Durchführung eines Botengangs eine Korrektur der erfassten Zeiten vorgenommen hat. Die Beteiligte zu 1) hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Beteiligte zu 3) solche geschätzten Zeiten vorab eingetragen hat.

98

Im Hinblick auf die nachträgliche Ergänzung bzw. Änderung des Arbeitszeitendes besteht nach Auffassung der Kammer ebenfalls kein dringender Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs. Zwar hat die Beteiligte zu 1) in einigen Fällen das Vorliegen von Botengängen bestritten oder der Beteiligten zu 3) der genaue Anlass eines von ihr behaupteten Botengangs nicht mehr erinnerlich, so dass nicht mehr aufklärbar ist, ob die Beteiligte zu 3) in diesen Fällen tatsächlich Botengänge durchgeführt hat. In der Gesamtschau der Umstände der vorgenommenen Änderungen besteht kein dringender Verdacht, dass die Beteiligte zu 3) in den verbliebenen Fällen keine Erledigungen für die Beteiligte zu 1) durchgeführt hat. Insbesondere ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 3) im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen in einer Vielzahl von Fällen tatsächlich Botengänge durchgeführt hat. In zahlreichen Fällen liegen Belege der Post, des Supermarktes oder Bankauszüge vor, aus denen sich ergibt, dass ein Botengang durchgeführt worden ist. Lassen sich vor diesem Hintergrund einzelne Botengänge nicht mehr nachvollziehen oder liegen für diese keine Belege mehr vor, ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass an diesen Tagen keine Botengänge durchgeführt wurden. Dies gilt insbesondere auch, weil Arbeitserfassungen den - zum Teil weit zurückliegenden - Zeitraum von Januar 2012 bis August 2014 betreffen, Belege nicht mehr vorhanden sein könnten und insbesondere das Kassenbuch verschwunden ist.

99

Auch soweit die Beteiligte zu 1) die von der Beteiligten zu 3) erfasste Dauer der Botengänge bestritten hat, fehlen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligte zu 3) zu lange Zeitspannen erfasst hat. So hat die Beteiligte zu 2) gerade im Hinblick auf den 30. Mai 2014 und 13. August 2014 (Besuch bei G. und der Poststelle E-Stadt bzw. zur Post E-Stadt, zum L. und zu G.) beanstandet, dass die Beteiligte zu 3) in der angegebenen kurzen Zeit den Botengang gar nicht durchgeführt haben könne. Umgekehrt hat sie nur pauschal bestritten und nicht konkret geltend gemacht, dass die Botengänge zur Bank oder zum Einkaufen lediglich eine kürzere Zeit in Anspruch genommen hätten. Die Beteiligte zu 3) hingegen hat beispielsweise hinsichtlich der Fahrt zur Bank am 1. März 2012 angegeben, dass für den Weg zur Bank, die Erledigung der Geschäfte und den Rückweg zum Betrieb mindestens 47 Minuten im Vergleich zu den erfassten 26 Minuten angefallen wären.

100

(b) Auch hinsichtlich der Verkürzung der Raucherpausen ist nach Auffassung der Kammer kein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines Arbeitszeitbetrugs gegeben. Zwar hat die Beteiligte zu 3) zunächst selbst ein späteres Pausenende in "Calitime" gestempelt und dieses anschließend händisch auf einen früheren Zeitpunkt abgeändert. Auch kann die Beteiligte zu 3) in der Vielzahl der Einzelfälle nicht mehr angeben, welche dienstlichen Tätigkeiten sie während der ausgestochene Pausenzeit im Einzelfall erledigt hat. Hieraus allein ergibt sich jedoch nicht der dringende Verdacht eines Arbeitszeitbetruges. Im Fall nur wenige Minuten dauernder dienstlicher Tätigkeit während der kurzen Raucherpausen erscheint es plausibel, nicht zunächst den Weg zum Zeiterfassungsterminal zurückzulegen, um wieder „einzustechen“, und sodann zum Gesprächspartner zurückzugehen. Auch ist es nicht ungewöhnlich, dass während der Raucherpause im Freien das Außergelände betreffende Fragen besprochen werden oder dass Betriebsratsmitglieder während ihrer (Raucher-)Pausen von Mitarbeitern auf betriebliche Fragestellungen angesprochen werden.

101

c) Hinsichtlich des Vorwurfs von Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Führung des Kassenbuchs ist kein wichtiger Grund für eine Tat- oder Verdachtskündigung gegeben. Insoweit bleibt bereits offen, welches genaue Fehlverhalten die Beteiligte zu 1) der Beteiligten zu 3) zum Vorwurf macht. Soweit sie der Beteiligten zu 3) die unberechtigte Entnahme von Geldern aus der Kasse vorwerfen will, bleibt offen, wann die Beteiligte zu 3) welche Beträge aus der Kasse unberechtigt entnommen haben soll. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass eine Überprüfung des Kassenbestandes im April 2015 zwar unbelegte Ausgaben in Höhe von 874,62 € ergeben haben soll. Diesen sollen jedoch unbelegte Einnahmen in Höhe von 1.306,42 € entgegenstehen. Offen bleibt insoweit auch, welchen Stand das Kassenbuch zum Zeitpunkt der Freistellung der Beteiligten zu 3) hatte. Änderungen des Kassenbestandes nach ihrer Freistellung können der Beteiligten zu 3) mangels Zugriffsmöglichkeit nach der Weitergabe des Tresorschlüssels nicht vorgeworfen werden.

102

Unregelmäßigkeiten allein in der Dokumentation sind an sich kein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB. Da das Kassenbuch verschwunden ist, kann das Vorliegen von Unregelmäßigkeiten diesem nicht mehr entnommen werden.

103

d) Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung ist auch nicht ein erwiesener Arbeitszeitbetrug, der von der Beteiligten zu 3) am 19. Juni 2013 gegangen worden sein soll. Auch wenn nicht die Beteiligte zu 3., sondern der Kollege S. AT. am 19. Juni 2013 bei T. eingekauft hat, ist nicht erwiesen, dass die Beteiligte zu 3) nach dem Ausstechen um 12.19 Uhr nicht noch im Umfang von 1 Stunde Botengänge für die Beteiligte zu 1) ausgeführt hat. So hat die Beteiligte zu 2) angegeben, die Beteiligte zu 3) habe an diesem Tag „diverse“ Botengänge in Form des Einkaufs mehrerer Artikel für den bevorstehenden Münzlauf durchgeführt.

104

Eine Kündigung kann ebenfalls nicht auf den dringenden Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs am 19. Juni 2013 gestützt werden, weil die Beteiligte zu 3) von der Beteiligten zu 1) nicht zum Ausspruch einer solchen Verdachtskündigung angehört worden ist. Eine solche Anhörung liegt auch nicht bereits in der Anhörung vom 19. Juni 2014. Die Beteiligte zu 1) will die Kündigung gerade auf die von ihr in der Folge von Recherchen nach einer Strategiebesprechung am 23. Juli 2015 gewonnenen neuen Erkenntnisse stützen. Nach ihrer Darstellung handelt es sich „um eine vollkommen neue Qualität bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens der Beteiligten zu 3)“. Zu der von der Beteiligten zu 1) behaupteten Erkenntnis, dass nicht sie selbst, sondern dass der Kollege R. den Einkauf von Bier und Süßigkeiten für den Münzlauf übernommen hat, ist die Beteiligte zu 3) nicht angehört worden.

105

(3) Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) wäre aber auch dann nicht zu ersetzen, wenn man den dringenden Verdacht eines Arbeitsbetrugs bejaht, weil die Beteiligte zu 3) nicht in allen Einzelfällen darlegen kann, welche dienstlichen Tätigkeiten sie im Umfang der verlängerten Arbeitszeiten oder der verkürzten Raucherpausen durchgeführt hat.

106

Eine solche außerordentliche Kündigung wäre jedenfalls unverhältnismäßig. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 34 m. w. N.). Als mildere Reaktionen sind insbesondere konkrete Vorgaben des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Ab-mahnung und eine ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen das Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers. Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung oder anderen milderen Maßnahmen des Arbeitgebers wie konkreten Arbeitsanweisungen wieder vertragstreu verhalten (vgl. BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 38 m. w. N.).

107

Danach hätten im vorliegenden Fall klare Anweisungen hinsichtlich der Erfassung und Dokumentation durchgeführter Botengänge und von während der Raucherpausen erfolgten betrieblichen Tätigkeiten und Betriebsratstätigkeiten oder der Ausspruch einer Abmahnung ausgereicht. Auch durch die Übertragung der Erfassungstätigkeiten die die Beteiligte zu 3) selbst betreffen, auf eine andere Mitarbeiterin kann sichergestellt werden, dass die Beteiligte zu 3) nicht unberechtigt die Arbeitszeiterfassung zu ihren Gunsten verändert.

108

Zu Gunsten der Beteiligten zu 3) fällt ihre lange Betriebszugehörigkeit seit dem 1. März 2008 ins Gewicht. Zuvor war sie von 1982 bis zu deren Insolvenz bei der Vorgängerin der Beteiligten zu 1), der Firma Z. tätig. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit im Wesentlichen beanstandungsfrei verlaufen ist. Soweit die Beteiligte zu 1) auf Unregelmäßigkeiten der Beteiligten zu 3) im Hinblick auf die Arbeitszeit bereits im Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 hingewiesen hat, handelt es sich nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt. Seinerzeit ging es nicht um die Erfassung der Arbeitszeit als solche, sondern um die rechtliche Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Teilzeitkräften Überstundenzuschläge zu zahlen sind. Diese rechtliche Frage betraf nicht allein die Beteiligte zu 3), sondern auch weitere Arbeitnehmerinnen. Im Übrigen wurden aus den unterschiedlichen Rechtsauffassungen resultierende Differenzen durch die Beteiligte zu 3) ausgeglichen.

109

Demgegenüber wiegen die betrieblichen Interessen und das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers nicht so schwer, dass diesen Interessen nur durch eine außerordentliche Kündigung Rechnung getragen werden könnte. Hinsichtlich der Erfassung der (angeblich) für Botengänge aufgewandten Zeiten liegen für viele Zeiten korrespondierende Belege vor. Bei den Korrekturen für Raucherpausen handelt es sich um insgesamt 11 Fälle, in denen jeweils die Erfassung nur für zwei oder drei Minuten im Streit steht. Insgesamt wirft die Beteiligte zu 1) der Beteiligten zu 3) die Verkürzung der Raucherpausen um 29 Minuten vor, so dass im Hinblick auf die im vorliegenden Beschlussverfahren der Beteiligten zu 3) vorgeworfenen Änderungen im Zusammenhang mit den Raucherpausen allenfalls ein geringer Schaden entstanden sein kann.

110

2. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Dezember 2015 - 3 Sa 60/15 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Stahlwerk. Der Kläger war bei ihr seit Juni 1991 als Arbeiter beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten gilt seit Februar 2005 die Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“. Deren Nr. 5 lautet:

        

Maßnahmen bei Verstößen gegen die Grundsätze der BV

        

Arbeitgeber und Betriebsrat beraten gemeinsam über zu treffende Maßnahmen. Auf Grundlage des Beratungsergebnisses ergreift der Arbeitgeber angemessene Maßnahmen, wie z. B.

        

Belehrung                                                            

        

Verwarnung

        

Abmahnung

        

Umsetzung

        

Versetzung

        

 •

Kündigung.

        

Im Übrigen gelten die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.“

3

Am 22. Oktober 2014 war der Kläger zusammen mit zwei im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmern bei der Verpackung und Etikettierung von Bandstahlrollen tätig. Einer der Fremdfirmenmitarbeiter meldete zwei Tage später seinem Vorarbeiter, der Kläger habe ihn von hinten schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen und anschließend darüber Bemerkungen gemacht.

4

Die Beklagte hörte die Fremdfirmenmitarbeiter und den Kläger zu dem Vorwurf an. Der Kläger bestritt ein Fehlverhalten. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 7. November 2014 fristlos und mit Schreiben vom 12. November 2014 vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 2015. Dem Betriebsrat hatte sie ua. mitgeteilt, dass eine vorsorgliche Untersuchung des Fremdfirmenmitarbeiters im Krankenhaus stattgefunden habe.

5

Gegen beide Kündigungen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Klage gewandt. Er habe den Mitarbeiter der Fremdfirma lediglich unabsichtlich am Hinterteil berührt. Im Übrigen rechtfertige selbst das ihm vorgeworfene Verhalten keine Kündigung. Auch einen Arbeitnehmer, der im Jahre 2000 einem Kollegen schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen habe, habe die Beklagte nicht gekündigt. Die Anhörung des Betriebsrats sei unvollständig, da diesem nicht das Ergebnis der Untersuchung im Krankenhaus mitgeteilt worden sei.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 7. November 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. November 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe den Fremdfirmenmitarbeiter sowohl körperlich als auch verbal sexuell belästigt. Es handele sich um ein schweres Fehlverhalten, welches die außerordentliche, jedenfalls aber die ordentliche Kündigung rechtfertige. Der Kläger habe sein Verhalten gegenüber dem Werkschutz auch zunächst eingeräumt, aber zu verharmlosen versucht.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB. Ob die fristlose Kündigung der Beklagten vom 7. November 2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

10

I. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die fristlose Kündigung an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

11

1. Nach dieser Bestimmung kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 21).

12

2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, das seines Erachtens erwiesene Verhalten des Klägers sei „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

13

a) Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger dem Mitarbeiter der Fremdfirma am 22. Oktober 2014 schmerzhaft in die Hoden gegriffen und anschließend sinngemäß geäußert, dieser habe „dicke Eier“. Das Landesarbeitsgericht hat sich insofern der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts angeschlossen. Bei der Angabe in den Entscheidungsgründen, die Bemerkung habe sich auf den „Kläger“ selbst bezogen, handelt es sich offensichtlich um einen Übertragungsfehler.

14

b) Mit seinem Verhalten hat der Kläger während der Arbeit eine Tätlichkeit zulasten eines im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmers begangen. Dies stellt einen erheblichen Verstoß gegen die ihm gegenüber der Beklagten obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 20). Die Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass die Zusammenarbeit auch mit in ihrem Betrieb eingesetzten Fremdarbeitnehmern nicht durch tätliche Übergriffe beeinträchtigt wird.

15

c) Das Verhalten des Klägers erfüllt ferner in zweifacher Hinsicht den Tatbestand einer sexuellen Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG. Auch dabei handelt es sich gem. § 7 Abs. 3 AGG um eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16). Die Beklagte ist nach § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, auch die in ihrem Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen.

16

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.

17

(1) Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 17, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18).

18

(2) Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2808). Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt(vgl. BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 36; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 18, BAGE 150, 109). Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie bspw. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 36).

19

(3) Ob eine Handlung sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG ist, hängt damit nicht allein vom subjektiv erstrebten Ziel des Handelnden ab(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 151; Bauer/Krieger AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 54; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 36 Rn. 40). Erforderlich ist auch nicht notwendig eine sexuelle Motivation des Täters. Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist vielmehr häufig Ausdruck von Hierarchien und Machtausübung und weniger von sexuell bestimmter Lust (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2809).

20

(4) Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; Oetker in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht 3. Aufl. § 14 Rn. 63; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 36 Rn. 40; Roloff in Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht § 3 AGG Rn. 30).

21

(5) Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG - nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19).

22

bb) Der - nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zielgerichtete - Griff des Klägers in die Genitalien des Mitarbeiters der Fremdfirma ist eine sexuell bestimmte körperliche Berührung iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen auf die primären Geschlechtsmerkmale und somit die körperliche Intimsphäre des Mitarbeiters gerichteten körperlichen Übergriff, durch den die sexuelle Selbstbestimmung des Betroffenen negiert und damit seine Würde erheblich verletzt wird.

23

cc) Die anschließende Äußerung des Klägers, der Mitarbeiter habe „dicke Eier“, ist in diesem Zusammenhang eine entwürdigende Bemerkung sexuellen Inhalts iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Selbst wenn eine solche Erklärung in einem anderen Kontext als Anerkennung von Entschlossenheit oder Mut des Betroffenen zu verstehen sein mag, ist hierfür im vorliegenden Zusammenhang kein Raum. Die durch den vorausgegangenen körperlichen Übergriff bewirkte Demütigung des Fremdfirmenmitarbeiters wurde durch die entsprechende Äußerung des Klägers vielmehr noch verstärkt, indem die vorherige körperliche Belästigung sprachlich manifestiert und der Betroffene dadurch erneut zum Objekt der vermeintlichen Dominanz des Klägers gemacht wurde.

24

dd) Sowohl die körperliche als auch die verbale sexuelle Belästigung des Mitarbeiters der Fremdfirma waren im Streitfall objektiv erkennbar unerwünscht iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Für die körperliche Berührung ergibt sich dies bereits aus der erheblichen Verletzung der Intimsphäre des Betroffenen sowie der Empfindlichkeit der betroffenen Körperregion, für die verbale Belästigung aus ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit dem unmittelbar vorangegangenen körperlichen Eingriff.

25

3. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der bisherigen Begründung nicht annehmen, die fristlose Kündigung erweise sich aufgrund der gem. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung als unverhältnismäßig.

26

a) Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen(BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30; 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

27

aa) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30; 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

28

bb) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

29

cc) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität ab (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16). § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 23, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28).

30

dd) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 47, BAGE 153, 111; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24, BAGE 150, 109).

31

b) Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts hält selbst diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Das Berufungsgericht hat sowohl unter dem Gesichtspunkt einer für die Zukunft zu erwartenden Verhaltensänderung des Klägers als auch mit Blick auf die Schwere von dessen Fehlverhalten eine Abmahnung für ausreichend gehalten. Dabei hat es ua. „maßgeblich“ zugunsten des Klägers berücksichtigt, dieser habe subjektiv nicht in dem Bewusstsein gehandelt, eine sexuelle Belästigung zu begehen. Diese Würdigung wird von seinen Feststellungen nicht getragen.

32

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf ein mangelndes Bewusstsein des Klägers, eine sexuelle Belästigung zu begehen, zum einen daraus geschlossen, dass dieser nicht aus sexuellen Motiven gehandelt habe. Ein erkennbar unerwünschter körperlicher Eingriff in den Intimbereich eines anderen stellt jedoch unabhängig davon, ob er mit eigener sexueller Motivation erfolgt, eine sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG dar. Das Fehlen eigener sexueller Motive lässt deshalb in einer solchen Fallgestaltung für sich genommen nicht den Schluss zu, dem Handelnden fehle das Bewusstsein, eine sexuelle Belästigung zu begehen. Zudem hat der Kläger in den Vorinstanzen zu den Motiven für seine Tat keinen Vortrag gehalten. Er hat vielmehr bestritten, überhaupt in der fraglichen Weise übergriffig geworden zu sein.

33

bb) Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht - obwohl es auch hierzu an jeglichem Vortrag des Klägers fehlt - angenommen, dieser habe nicht mit direktem Vorsatz gehandelt, weil es sich um ein situatives und unreflektiertes Verhalten gehandelt habe. Dafür sprächen - neben dem Fehlen einer sexuellen Motivation - auch die nachfolgenden Äußerungen des Klägers. Jedoch lässt sich auch aus diesen für sich genommen nicht schlussfolgern, es sei dem Kläger nicht um eine Herabwürdigung des betroffenen Mitarbeiters gegangen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bemerkung „Du hast aber dicke Eier“ stellt im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen körperlichen Übergriff eine neuerliche Demütigung dar, indem durch sie der Umstand, dass der Betroffene zum Ziel einer körperlichen sexuellen Belästigung gemacht wurde, bekräftigt und für alle Personen in Hörweite publik gemacht wird. Welche Äußerung des Klägers konkret das Landesarbeitsgericht sinngemäß als „Angebot“ gewertet hat, auch bei anderen Kollegen zur Tat zu schreiten, ist nicht festgestellt. Selbst wenn eine weitere Bemerkung des Klägers in dieser Weise zu verstehen gewesen sein sollte - und nicht als Frage, ob noch jemand den Übergriff des Klägers wiederholen wolle - ließe sie entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ebenfalls nicht auf mangelnden Vorsatz bezüglich einer Herabwürdigung des Fremdfirmenmitarbeiters schließen.

34

II. Der Senat kann die im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Interessenabwägung nicht selbst abschließend vornehmen. Dafür bedarf es weiterer Feststellungen und einer darauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung.

35

1. Es ist nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten stand. Zwar ist der Kläger nicht schon zuvor für vergleichbares Fehlverhalten erfolglos abgemahnt worden. Es bedarf aber der tatrichterlichen Würdigung, inwiefern der Umstand, dass er das ihm vorgeworfene Verhalten bei seiner Anhörung vor der Kündigung bestritt, auf eine Uneinsichtigkeit schließen ließ, die der Annahme entgegenstand, sein künftiges Verhalten könne schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden. Ferner obliegt es der tatrichterlichen Bewertung, ob von einer solchen Uneinsichtigkeit jedenfalls dann auszugehen wäre, wenn sich der Kläger gegenüber dem Werkschutz in der von der Beklagten behaupteten Weise wechselnd zu dem ihm vorgeworfenen Verhalten eingelassen hätte.

36

2. Es steht ebenfalls noch nicht fest, ob eine so schwere Pflichtverletzung vorliegt, dass - unabhängig von einer durch eine Abmahnung ggf. auszuschließenden Wiederholungsgefahr - selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war.

37

a) Für einen in diesem Sinne schweren Pflichtverstoß spricht, dass der Kläger erheblich, in durch nichts zu rechtfertigender und zudem schmerzhafter Weise die Intimsphäre des betroffenen Mitarbeiters verletzt und hierüber noch Bemerkungen gemacht hat.

38

b) Um ein das Gewicht der Pflichtverletzung zusätzlich erschwerendes Moment handelte es sich, wenn der betroffene Leiharbeitnehmer dem Angriff des Klägers aufgrund der Körperhaltung, in der er sich in Verrichtung seiner Tätigkeit befand, wehrlos ausgeliefert war, wie die Beklagte behauptet hat. Er wäre dann dem Übergriff umso schutzloser ausgesetzt gewesen, was die Demütigung, zum Objekt einer solchen Behandlung gemacht zu werden, noch verstärkt hätte.

39

c) Dem steht zugunsten des Klägers eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 23 Jahren gegenüber, die es ausnahmsweise als zumutbar erscheinen lassen könnte, ihn trotz seines schweren Fehlverhaltens zumindest noch für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Es ist allerdings offen, ob dem Kläger eine in der Vergangenheit durchgehend störungsfreie Beschäftigung zugutegehalten werden kann. Zwar ist er nie abgemahnt worden. Die Beklagte hat sich aber darauf berufen, der Kläger habe sich schon mehrmals in der Vergangenheit unangemessen gegenüber anderen Mitarbeitern verhalten. Im Jahr 2008 habe er einen Mitarbeiter beschimpft und bedroht mit den Worten „Du Dicker (Idiot, Schwein oder ähnliches)“, „Hast Du ein Problem mit mir - ich kann Dir auch noch den anderen Arm lähmen“. Im Jahr 2010 habe er einen Kollegen grundlos als „Rassist“ beschimpft und bedroht. Einen anderen Kollegen habe er mit einem Signodeband an eine Bandstahlrolle gefesselt. Auf die Frage, was das solle, habe der Kläger geantwortet: „Sag mir Uhrzeit und Treffpunkt. Dann regeln wir es unter Männern“. Allein der Umstand, dass diese Vorfälle nicht abgemahnt wurden, steht ihrer Berücksichtigung als vom Kläger verursachte Störungen nicht entgegen.

40

d) Zugunsten des Klägers fiele nicht ins Gewicht, wenn die Beklagte, wie der Kläger behauptet hat, bei einem möglicherweise zumindest dem äußeren Erscheinungsbild nach ähnlichen Vorfall im Jahre 2000 keine Kündigung ausgesprochen hätte. Dadurch wäre keine „Selbstbindung“ eingetreten. Im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf Kündigungen wegen Pflichtverletzungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 76; 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe). Eine mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei gleicher Ausgangslage haben (BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Eine solche hat indes auch der Kläger - etwa in Bezug auf das Verhalten nach der Pflichtverletzung - nicht behauptet. Außerdem wurde bei der Beklagten mit Wirkung ab Februar 2005 die Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“ abgeschlossen, nach der sie sich ua. verpflichtete, sexuelle Belästigung und Mobbing zu unterbinden. Nach deren Nr. 2.2 sind unter Mobbing auch Drohungen und Erniedrigungen sowie Beschimpfungen und verletzende Behandlungen zu verstehen.

41

e) Die Zumutbarkeit einer Abmahnung im Streitfall folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus Nr. 5 der Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung sind die dort genannten angemessenen Maßnahmen lediglich Beispielsfälle von Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei Verstößen gegen die Grundsätze der Vereinbarung. Sie stellen keine Rangfolge dar, nach der die auf der nächsten Stufe benannte Maßnahme erst infrage käme, wenn die erste wahrgenommen und erfolglos geblieben ist.

42

III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus einem anderen Grund im Ergebnis als richtig.

43

1. Es kann nach den bisherigen Feststellungen weder davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt, noch dass sie den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört hätte. Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Beklagte habe dem Betriebsrat das Ergebnis der Untersuchung des betroffenen Mitarbeiters im Krankenhaus mitteilen müssen, ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte dieses gekannt hätte. Auch der Kläger behauptet das nicht. Es ist auch weder dem Anhörungsschreiben der Beklagten an den Betriebsrat noch ihrem Vorbringen im Übrigen zu entnehmen, dass sie ihren Kündigungsentschluss - zumindest mit - hierauf gestützt hätte. Ebenso wenig ist festgestellt, dass es sich bei dem Ergebnis der Untersuchung um einen den Kläger entlastenden Umstand gehandelt hätte.

44

2. Die Kündigung vom 7. November 2014 ist nicht gem. Nr. 5 Satz 1 und Satz 2 der Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“ wegen einer unterbliebenen Beratung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die zu treffende Maßnahme unwirksam. Zum einen hat der Kläger einen solchen Unwirksamkeitsgrund in den Vorinstanzen zu keinem Zeitpunkt gerügt, obwohl das Arbeitsgericht ausweislich Nr. 7 des in der Güteverhandlung vom 27. November 2014 verkündeten Beschlusses einen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt hatte. Zum anderen sieht die Betriebsvereinbarung nicht vor, dass eine Verletzung der Beratungspflicht nach Nr. 5 die Unwirksamkeit einer Kündigung zur Folge haben soll. Eine solche Rechtsfolge müsste hinreichend deutlich geregelt sein (vgl. BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 168/96 - zu II 1 b der Gründe).

45

IV. Von der Aufhebung und Zurückverweisung umfasst sind die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag betreffend die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. November 2014 zum 30. Juni 2015 und über den Weiterbeschäftigungsantrag.

46

1. Der auf die ordentliche Kündigung bezogene Kündigungsschutzantrag fällt nur zur Entscheidung an, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst ist. Er ist dahin zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt ist, dass der Kündigungsschutzantrag gegen die außerordentliche Kündigung ohne Erfolg bleibt. Nur dies entspricht dem wohlverstandenen (Kosten-)Interesse des Klägers, da die Beklagte die ordentliche Kündigung nur „höchst vorsorglich und ohne Präjudiz für die Wirksamkeit“ der bereits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und damit auflösend bedingt für den Fall erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die außerordentliche Kündigung beendet ist (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 474/12 - Rn. 18 ff., BAGE 146, 333).

47

2. Über den Weiterbeschäftigungsantrag als weiterem unechten Hilfsantrag ist nur für den Fall des Obsiegens des Klägers mit beiden Kündigungsschutzanträgen zu entscheiden.

48

V. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

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(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

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(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

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(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

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(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

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(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

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(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

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(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

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(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

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(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

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B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

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C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Satz 2 zugelassen wird. § 72 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. In den Fällen des § 85 Abs. 2 findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(2) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten die für das Revisionsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 93 bis 96 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Einlegung der Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.