Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 03. Feb. 2016 - 7 TaBV 20/15

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2016:0203.7TABV20.15.0A
03.02.2016

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Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. April 2015 - Az.: 10 BV 56/14 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des zu 2) beteiligten Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3). Die zu 1) beteiligte Arbeitgeberin stützt ihren Antrag auf den Vorwurf pflichtwidriger Manipulationen von im elektronischen Zeiterfassungssystem „Calitime“ abgebildeten Arbeitszeiten bzw. den dringenden Verdacht solcher Manipulationen sowie zweitinstanzlich weiter auf Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Führung des Kassenbuches.

2

Die Beteiligte zu 1) ist auf dem Gebiet der Mälzerei an verschiedenen Standorten in Deutschland tätig. Der Beteiligte zu 2) ist der in ihrer Niederlassung A-Stadt gebildete Betriebsrat.

3

Die 1963 geborene, verheiratete Beteiligte zu 3) ist seit März 2008 als Bürokraft bei der Beteiligten zu 1) in A-Stadt angestellt. Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 30 Stunden. Von 1982 bis zu deren Insolvenz im Jahr 2007 war die Beteiligte zu 3) bei der Vorgängerin der Beteiligten zu 1), der Firma Z., tätig. Sie ist seit 2010 Mitglied des Beteiligten zu 2).

4

Zu den Arbeitsaufgaben der Beteiligten zu 3) gehörten die Erledigung von Botengängen außerhalb des Betriebsgeländes zur Bank, zur Post, zum L. und zu mit der Beteiligten zu 1) zusammenarbeitenden Logistikunternehmen sowie die Erledigung von kleineren Einkäufen (zum Beispiel von Süßigkeiten oder Getränken) oder der „Einkauf“ von Bahntickets. Daneben gehört es zu den arbeitsvertraglichen Pflichten der Beteiligten zu 3), nachträglich zunächst fehlerhaft im Arbeitszeiterfassungssystem „Calitime“ abgebildete Arbeitszeiten der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 1) im Betrieb A-Stadt manuell abzuändern und zunächst unterbliebene Erfassungen händisch nachzuerfassen und zu vervollständigen. Manuelle Änderungen erfolgen beispielsweise um Zuschläge für Nachtarbeit, Schmutz-stunden, Wochenend- oder Feiertagsarbeit, Schulungen oder abgefeierte Überstunden zu berücksichtigen. Änderungen der originalen Stempelzeiten sind nötig, wenn ein Stempeln nicht möglich war (zum Beispiel Reisezeiten) oder vergessen wurde. Bei einer versäumten Stempelung ist von dem betreffenden Mitarbeiter ein Vordruck „Zeiterfassung“ mit Datum, der korrekten Uhrzeit und dem Grund des Versäumnisses auszufüllen und zu unterschreiben. Weiter war die Beteiligte zu 3) für die Verwaltung der Kaffeekasse zuständig.

5

Die Monatsabrechnungen zur Zeiterfassung geben die an jedem Arbeitstag veranlassten Zeitbuchungen („Einstempeln in die Zeiterfassung“ und „Ausstempeln aus der Zeiterfassung“) wieder. Das "Calitime"-System der Beteiligten zu 1) ermöglicht, drei verschiedene Versionen der Stempelkarten ausdrucken bzw. anzeigen zu lassen: In der Version 1 werden nur die abgerechneten Zeiten angezeigt. Bei dieser Version kann an hinter dem Datum und dem Wochentag befindlichen Sternchen erkannt werden, dass eine manuelle Ergänzung oder Abänderung an diesen betreffenden Tagen erfolgt ist. Bei der Version 2 werden zusätzlich bei Änderungen die Originalzeiten in Klammern angezeigt. Bei Version 3 werden alle Stempelungen und alle abgerechneten Zeiten angezeigt. Der kündigungsberechtigte Betriebsleiter des Betriebes am Standort A-Stadt, Y. X. hat Zugriff auf das Zeiterfassungssystem.

6

Am 8. bis 10.eines jeden Monats werden die Arbeitszeitdaten sämtlicher Mitarbeiter an den Betriebsleiter W. in A-Stadt weitergeleitet. Dieser übernimmt für alle Betriebsstätten der Beteiligten zu 1) die Kontrolle bzw. Berichtigung der Zeiterfassung über „Calitime“. Anschließend wird ein Ausdruck sämtlicher Stundenzettel dem Leiter des Betriebes A-Stadt Y. X. vorgelegt.

7

Eine Arbeitsanweisung hinsichtlich vorzunehmender Botengänge und den damit verbundenen Zeiterfassungen existiert im Betrieb der Beteiligten zu 1) nicht. Die Beteiligte zu 3) erfasste die von ihr für die Beteiligte zu 1) absolvierten Boten-gänge außerhalb des Betriebsgeländes nicht minutengenau mit ihrem tatsächliche Beginn und Ende im System bzw. erfasste diese nicht genau manuell nach. Sie ergänzte bzw. korrigierte vielmehr am Folgetag die Zeiterfassung. Zunächst unterließ sie im Fall von Botengängen das Ausstempeln und trug dann am Folgetag die sich aus der Zeit des Verlassens des Betriebsgeländes zuzüglich der Dauer des Botengangs ergebende Zeit nach. Ab dem 1. Dezember 2013 stempelte die Beteiligte zu 3) beim Verlassen des Betriebsgeländes aus und änderte später die automatisch erfasste Endzeit entsprechend der Dauer des Botengangs.

8

Seit März 2014 sind im Betrieb Raucherpausen aus- und einzustempeln. Die Beteiligte zu 3) nahm persönlich zahlreiche Raucherpausen in Anspruch und änderte wiederholt, zuletzt am 9. Juli 2014, das automatisch erfasste Ende der jeweiligen Raucherpausenzeit vorverlegend ab.

9

Mit Schreiben vom 16. September 2014 nebst Anlagen (Bl. 97 f. d. A.) wurde die Beteiligte zu 3) zu den Unstimmigkeiten in ihren Monatsabrechnungen zur Zeiterfassung und dem dringenden Verdacht, dass Sie über einen längeren Zeitraum systematisch einen Arbeitszeit- und Lohnzahlungsbetrug zum Nachteil der Beteiligten zu 1) begangen habe, angehört. Sie wies die Vorwürfe mit E-Mail vom gleichen Tag (Bl. 99 d. A.) „entschieden als haltlos“ zurück. Die Führung ihrer Arbeitszeiterfassung habe sie stets korrekt erledigt.

10

Mit weiterem Schreiben vom 17. September 2014 (Bl.100 ff. d. A.) bat die Beteiligte zu 1) den Beteiligten zu 2) um „Zustimmung zur außerordentlichen (Tat- und Verdachts-) Kündigung“ der Beteiligten zu 3) „gemäß § 103 BetrVG“. Nachdem der Beteiligte zu 2) seine Zustimmung mit Stellungnahme vom 19. September 2014 (Bl. 105 d. A.) verweigert hatte, leitete die Beteiligte zu 1) mit am 23. September 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz das vorliegende Beschlussverfahren ein.

11

Die Beteiligte zu 1) stellte die Beteiligte zu 3) von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei.

12

Das Kassenbuch wurde zusammen mit der Kaffeekasse im Firmensafe verwahrt, zu dem Herr X. und die Beteiligte zu 3) jeweils einen Schlüssel in Besitz hatten. Den ihr überlassenen Tresorschlüssel übergab die Beteiligte zu 3) im September 2014 an Frau V. U., die diesen seitdem durchgehend in Besitz hatte.

13

Der Betriebsleiter X. kontrollierte im Rahmen der Klärung der mit den Botengängen der Beteiligten zu 3) zusammenhängenden Arbeitszeiten zunächst das reguläre betriebliche Kassenbuch auf entsprechende Belege und sah in diesem Kontext auch die verfügbaren Belege der Kaffeekasse durch. Am 21. November 2014 verschickte Herr X. eine Excel-Liste zu den von ihm festgestellten Auffälligkeiten bei der Arbeitszeiterfassung durch die Beteiligte zu 2) an den eigenen Vorstand und die anwaltliche Vertretung der Arbeitgeberin zur Weiterleitung an die Beteiligte zu 3). Im Dezember 2014 hat Herr X. dann die Belege zum Kaffeekassenbuch auf mögliche Rechtfertigungen der Arbeitszeiterfassung der Beteiligten zu 2) hin überprüft, wobei das Kassenbuch fehlte. Dabei fand er die Belege unsortiert bzw. durcheinander im Tresor vor. So wie vorgefunden legte er die Belege in den Tresor zurück.

14

Nach ihrer Rückkehr von einer krankheitsbedingten Abwesenheit fand die Kollegin der Beteiligten zu 3. Frau U. Anfang 2015 die für das Kassenbuch relevanten Belege unsortiert und durcheinander im Tresor vor. Das Kassenbuch ist verschwunden.

15

Am 9. April 2015 beauftragte die Beteiligte zu 1) Frau V. U., Ordnung in die Kaffeekasse zu bringen und sämtliche Belege herauszusuchen. Es konnte lediglich ein Abgleichen mit einer Excel-Datei über die Bewegungen der Kaffeekasse vorgenommen werden, da das Kassenbuch selbst fehlte.

16

Mit Schreiben vom 15. April 2015 (Bl. 488 d. A.) hörte die Beteiligte zu 1) die Beteiligte zu 3) zum Vorwurf der unberechtigten Entnahme von Geldern des Arbeitgebers und/oder der übrigen Mitarbeiter in A-Stadt, einer veruntreuenden Unterschlagung zum Nachteil der Arbeitgeberin und der Kolleginnen und Kollegen an. Innerhalb der ihr gesetzten Frist äußerte sich die Beteiligte zu 3) hierzu nicht, nachdem die Beteiligte zu 1) der Bitte der Beteiligten zu 3) um Fristverlängerung (Bl. 489 d. A.) nicht entsprochen hatte.

17

Mit Anhörungsschreiben vom 20. April 2015 (Bl. 483 ff. d. A.), zugegangen am 21. April 2015, hat die Beteiligte zu 1) beim Betriebsrat neuerlich um "Zustimmung zur außerordentlichen (Tat- und Verdachts-) Kündigung" gegenüber der Beteiligten zu 3) gebeten. Gegenstand des Zustimmungsersuchens ist der Vorwurf zahlreicher unbelegter Positionen der Jahre 2011 bis 2014 im Zusammenhang mit der Kaffeekasse. Der Beteiligte zu 2) verweigerte mit Schreiben vom 23. April 2015 (Bl. 490 d. A.) die erbetene Zustimmung. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24. April 2015 (Bl.491 d. A.) nahm die Beteiligte zu 3) zu den Vorwürfen Stellung. Die Gründe aus dem Anhörungsschreiben vom 20. April 2015 hat die Beteiligte zu 1) mit der Beschwerdebegründung in das vorliegende - zweitinstanzliche - Beschlussverfahren eingeführt.

18

Mit weiterem Zustimmungsersuchen vom 31. Juli 2015 (Bl. 492 ff. d. A.) hat die Beteiligte zu 1) um die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur "außerordentlichen (Tat- und Verdachts-) Kündigung" gegenüber der Beteiligten zu 3) wegen des Vorwurfs eines nachweislich begangenen Arbeitszeitbetrugs am 19. Juni 2013 um eine Stunde gebeten. Der Beteiligte zu 2) hat die Zustimmung mit Schreiben vom 3. August 2015 (Bl. 497 d. A.) verweigert. Auch diesen Grund hat die Beteiligte zu 1) mit der Beschwerdebegründung in das vorliegende - zweitinstanzliche - Beschlussverfahren eingeführt.

19

Die Beteiligte zu 1) hat vorgetragen,

20

der Beteiligten zu 3) sei ein Fehlverhalten vorzuwerfen, welches an sich und auch im konkreten Fall einen wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB darstelle, der es ihr unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Seiten unzumutbar mache, die Beteiligte zu 3) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die Kündigung sei sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung auszusprechen.

21

Sie sei am 9. September 2014 durch Herrn X. darüber unterrichtet worden, dass Unstimmigkeiten in den Monatsabrechnungen zur Zeiterfassung der Beteiligten zu 3) festgestellt worden seien. Am 10. und 11. September 2014 seien die Monatsabrechnungen der Beteiligten zu 3) für den Zeitraum Januar 2012 bis einschließlich August 2014 (Kopien Bl. 21 ff. d. A.) vollständig überprüft worden. Diese Überprüfung habe ergeben, dass die Beteiligte zu 3) weit überdurchschnittlich häufig manuelle Änderungen an ihren Zeiterfassungsdaten vorgenommen habe. Bei der Durchsicht der Stempelkarten des Zeitraums Januar 2012 bis Juli 2014 habe sich weiter gezeigt, dass bei der Beteiligten zu 3) nicht die Stempelkarten nach der Version 2 vorgelegt worden seien, sondern Stempelkarten in der Version 1.

22

Im Zeitraum Januar 2012 bis August 2014 sei von der Beteiligten zu 3) zu ihren Gunsten eigenmächtig insgesamt eine Arbeitszeit von 13 Stunden und 33 Minuten gutgeschrieben worden. Hinsichtlich der vorgenommenen einzelnen Änderungen wird auf S. 4 f. der Antragsschrift (Bl. 4 f. d. A.), S. 8 ff. des Schriftsatzes vom 17. Februar 2015 (Bl. 175 ff. d. A.) und S. 2 ff. des Schriftsatzes vom 10. April 2015 (Bl. 358 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Häufigkeit, mit der manuelle Änderungen erfolgt seien, nämlich circa 17-mal so häufig wie bei ihren Kolleginnen, könne nicht ansatzweise mehr mit menschlichem „Vergessen“ erklärt werden. Die Beteiligte komme täglich auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz ebenso wie auf dem Rückweg zu ihrem Pkw – ohne Umweg – an dem Terminal zur Erfassung vorbei. Bei anderen Mitarbeitern seien die nachträglichen manuellen Korrekturen außerdem regelmäßig durch Dritte erfolgt. Bereits gestempelte Zeiten habe die Beteiligte zu 3) nachträglich um fiktive Zeiten ergänzt, die in keinem Zusammenhang mit irgendwelchen Nachweisen stünden. Für einen identischen Sachverhalt habe die Beteiligte zu 3) willkürliche Zeiten notiert (zum Beispiel Botengänge zur Post: von pauschal 10 oder 20 Minuten zu fiktiven Zeiten) und Sachverhalte wie Botengänge bei der Zeiterfassung auch völlig willkürlich gehandhabt ohne hierzu plausible nachvollziehbare Angaben machen zu können oder gemacht zu haben.

23

Da sie als Arbeitgeberin über keine anderen Kontrollmöglichkeiten verfüge, müsse besonderer Wert auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in der Zeiterfassung gelegt werden. Die Beteiligte zu 3) habe auch in den Fällen der nachträglichen Abänderung ausgestempelter Zeiten nicht entsprechende Vordrucke für die Zeiterfassung ausgefüllt. Damit habe die Beteiligte zu 3) gerade die Überprüfbarkeit der einzelnen Veränderungen - zumindest auf Plausibilität - bezüglich Zeitaufwand und Grund der Änderung verhindert und die Wahrscheinlichkeit, dass dem Vorgesetzten Prüfungsbedarf bezüglich ihrer Veränderung überhaupt auffalle, stark reduziert sowie fast unmöglich gemacht. Soweit Nachweise vorhanden seien, seien diese nicht mit den jeweils händisch abgeänderten Arbeitszeiten in Einklang zu bringen.

24

Die von der Beteiligten zu 3) genommenen „Raucherpausen“ seien ebenfalls nachträglich zu deren Gunsten mindestens in 11 Fällen (3. März, 18. März, 21. März, 24. März, 28. März, 4. April, 15. April, 8. Mai, 20. Mai, 7. Juli, 9. Juli 2014) verkürzt worden. Zwischen dem Aus- und Wiedereinstempeln müssten 120 Sekunden liegen. Werde diese Zeitspanne unterschritten, so werde vom System die ursprüngliche Ausstempelzeit durch die spätere Stempelzeit ersetzt. Der Status bleibe dabei auf „ausgestempelt“. Eine Zeitverzögerung von 3 Minuten existiere nicht. Die von der Beteiligten zu 3) angegebenen 2 Minuten für jede Raucherpause seien völlig unglaubwürdig und realitätsfern, zumal sie schon circa 15 bis 20 Sekunden je Weg benötige, um den Raucherbereich zu erreichen.

25

Die von der Beteiligten zu 3) erschlichenen Arbeitszeitgutschriften seien dieser in Freizeitausgleich oder in jüngerer Zeit auch als Überstunden, teilweise mit einem Zuschlag von 25 % auf den Stundenlohn ausgezahlt worden.

26

Zumindest begründeten die dargelegten Tatsachen und Auffälligkeiten den dringenden Verdacht eines Fehlverhaltens, der bereits für sich genommen geeignet sei, eine weitere Zusammenarbeit mit der Beteiligten zu 3) auszuschließen.

27

Erschwerend komme hinzu, dass bereits im Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeit der Beteiligten zu 3) aufgefallen seien. Auch in diesem Zeitraum habe diese sich unberechtigt Überstunden aufgeschrieben. Im Zuge der damaligen Überprüfung habe die Beteiligte zu 3) sich bereiterklärt, den beim Arbeitgeber entstandenen Schaden zu ersetzen.

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Die Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich beantragt,

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die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

30

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,

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diesen Antrag zurückzuweisen.

32

Die Beteiligte zu 3) hat insbesondere vorgetragen,

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das Arbeitszeiterfassungssystem ("Calitime") der Beteiligten zu 1) sei derart fehlerhaft, dass nachträglich händische Abänderungen zwingend erforderlich seien, damit die Arbeitszeit der Arbeitnehmer überhaupt korrekt erfasst werden könne. Sie habe hierauf mehrfach per E-Mail hingewiesen. Die Fehlerhaftigkeit liege insbesondere darin begründet, dass das Gerät zu bestimmten Zeiten am Tag Setups durchführe, manchmal eine Erfassung nicht erfolge und dies nur über den Aufruf des Systems festzustellen sei, kurz vor Schichtbeginn dieser als richtige Zeit gestempelt werde und Kurzpausen unter 3 Minuten gar nicht erfasst werden könnten.

34

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 BGB sei nicht gewahrt, da die Beteiligte zu 1) über sämtliche Umstände jederzeit vollumfänglich informiert gewesen sei. Es sei nicht zu erkennen, aus welchem Grund die Beteiligte zu 1) die angeblichen Unstimmigkeiten erst am 9. September 2014 zur Kenntnis genommen haben wolle.

35

Sämtliche von ihr vorgenommenen Änderungen seien auf Botengänge zurückzuführen, die sie im Auftrag der Beteiligten zu 1) vorgenommen habe. Sie seien durch Vorlage des Kassenbuches nebst Belegen, Kontoauszügen und der Kaffeekasse nebst Belegen nachzuvollziehen. Hinsichtlich der einzelnen Änderungen wird auf den Vortrag der Beteiligten zu 3) auf S. 4 ff. im Schriftsatz vom 3. Dezember 2014 (Bl. 124 ff. d. A.) Bezug genommen. Sämtliche händisch geänderten Arbeitszeiten ergäben sich aus dem Ende der Arbeitszeit zuzüglich des Zeitaufwands für die Botengänge, welche von ihr je nach Erforderlichkeit und jeweils im Interesse der Beteiligten zu 1) ausgeführt worden seien. So erfordere der Report gegenüber der Zentrale in A-Stadt, dass das Kassenbuch und die Kontoauszüge so schnell wie möglich nach dem Ersten eines jeden Monats nach A-Stadt geschickt würden. Aus diesem Grund seien die Kontoauszüge nach Möglichkeit jeweils zum Monatsersten erstellt worden. Sofern die Kontoauszugserstellung an einem Sonntag erfolgt sei, habe sie die Zeit des Botengangs (25 Minuten) auf den Folgetag eingetragen, um im Zeiterfassungssystem keine Sonntagszuschläge auszulösen. Außerdem habe sie die Botengänge stets im Interesse der Beteiligten zu 1) ökonomisch und ökologisch sinnvoll und unter Beachtung der jeweiligen Öffnungszeiten erledigt, indem beispielsweise unnötige Fahrten vermieden worden seien und sie Erledigungen in ihrer Freizeit übernommen habe. Für die Botengänge seien in der Regel immer die gleichen Zeiten eingetragen worden: Post 10 Minuten, Einkauf je nach Menge 15 bis 20 Minuten sowie Bank je nach Parkplatzsituation zwischen 15 und 30 Minuten. Alternativ wäre für eine Wegstrecke zur Post und zum Supermarkt von einer reinen Fahrzeit pro Weg von 5 bis 6 Minuten auszugehen, zuzüglich circa 5 Minuten für die Parkplatzsuche sowie für die Paketaufgabe bzw. den Einkauf circa 5 bis 15 Minuten.

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Soweit es um die Verkürzung der Raucherpausen gehe, habe dies stets darin begründet gelegen, dass sie zu den Zeiten als sie eigentlich noch ausgestempelt gewesen sei, wieder gearbeitet habe, da sie betriebliche Angelegenheiten in ihrer Raucherpause vor der Tür besprochen und geregelt habe. Sie rauche überaus schnell und benötige nicht länger als 2 Minuten für eine Zigarette.

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Die beabsichtigte Kündigung habe vielmehr den Hintergrund darin, dass zwischen Herrn X. und ihr Meinungsverschiedenheiten bestünden, die vornehmlich auf ihre Betriebsratstätigkeit zurückzuführen seien.

38

Bei den angeblichen „Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeit“ aus dem Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 habe es sich um Überstundenzuschläge gehandelt, die für jede Überstunde und nicht erst für jede Überstunde ab acht Stunden Arbeitszeit aufgeschrieben worden seien. Hiervon seien mindestens drei weitere Kolleginnen betroffen gewesen.

39

Der Beteiligte zu 2) hat im Wesentlichen vorgetragen,

40

soweit die Zeitkorrekturen bei den übrigen Mitarbeitern regelmäßig durch dritte Personen und fast nie durch den betroffenen Mitarbeiter selbst erfolgt seien, sei dies dem Umstand geschuldet, dass eben dies arbeitsvertragliche Aufgabe unter anderem der Beteiligten zu 3) gewesen sei.

41

„Calitime“ sei so mangelhaft, dass ohne manuelle Änderungen eine korrekte Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeiten der Mitarbeiter nicht möglich sei. Für das Ein- und Ausstempeln bei Raucherpausen sei das Zeiterfassungssystem nicht ausgelegt.

42

Zeiten, in denen die Beteiligte zu 3) Aufgaben „außer Haus“ erledige, würden zwangsläufig nicht erfasst und müssten manuell eingetragen, das heißt geändert werden.

43

Botengänge würden - wenn möglich – aus betrieblichen Gründen nach Abschluss der regulären Arbeitszeit erledigt. In diesen Fällen stempele die Mitarbeiterin nicht „aus“, sondern trage, meist am Folgetag, als Arbeitsende händisch die Zeit ein, die sich aus der Addition der für den Botengang aufgewendeten Zeit zu der Zeit des Verlassens des Betriebsgeländes ergebe. In diesen Fällen komme nicht das seitens der Beteiligten zu 1) anführte Formular für Änderungen zum Einsatz. Dieses Formular habe letztlich nur verwaltungstechnische Gründe, wenn zum Beispiel Arbeitnehmer falsch gestempelt hätten, gäben sie dieses ausgefüllte Formular an die Beteiligte zu 3), damit diese die Änderungen im System händisch vornehmen könne. Gerade bei Botengängen seien diese Formulare grundsätzlich nicht zur Anwendung gekommen. Auch die Stellvertreterin der Beteiligten zu 3) Frau U. habe in Fällen von Botengängen die entsprechenden Formulare nicht verwendet. Wenn die Beteiligte zu 3) Fehler in der Zeiterfassung gemacht habe, habe sie das entsprechende Formular verwendet. Hinsichtlich des Vortrags des Beteiligten zu 2) zu den einzelnen Vorwürfen wird auf S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 27. März 2015 (Bl. 340 ff. d. A.) Bezug genommen.

44

Es werde bestritten, dass die Beteiligte zu 3) genommene Raucherpausen vorsätzlich falsch verkürzt habe. Diese rauche sehr schnell, auch da im Fall ihrer Abwesenheit das Büro und das Telefon nicht besetzt seien.

45

Hinsichtlich des Vorwurfs der Eintragung fiktiver nicht nachprüfbarer Endzeiten scheitere ein Verstoß gegen eine Dokumentationspflicht bereits an einer klaren Anweisung der Beteiligten zu 1). Zumindest wäre im konkreten Fall der Ausspruch einer vorherigen Abmahnung erforderlich.

46

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Die Beteiligte zu 1) habe - spätestens – ab März 2014 Kenntnis von den Problemen der Zeiterfassung gehabt. Darüber hinaus erhalte die Beteiligte zu 1) monatlich genaue Kenntnis der Zeiterfassung inklusive der manuellen Änderungen.

47

Das Arbeitsgericht Koblenz hat den Antrag durch Beschluss vom 23. April 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen der Beteiligten zu 1) einschließlich des von ihr hingenommenen Vortrags der Beteiligten zu 2) sei auch mit Rücksicht auf den wegen § 83 Abs. 1 ArbGG zu beachtenden Untersuchungsgrundsatz nicht geeignet, den Antrag zu rechtfertigen. Wegen des von der Arbeitgeberin formulierten Vorwurfs, die Beteiligte zu 3) habe anlässlich der von ihr zurückgelegten Botengänge zumindest den dringenden Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens bis hin zum dringenden Verdacht des ihr vorwerfbaren Arbeitszeit-, Lohn- oder Gehaltszahlungsbetruges begangen, fehle es an einem wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung. Hinsichtlich eines anzunehmenden pflichtwidrigen Verhaltens (oder Verdachts desselben) durch eine manipulierte Erfassung von ihr eingelegter Raucherpausen zuletzt am 9. Juli 2014 sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ohne erneute Beteiligung des Betriebsrats sei nicht zulässig. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Gründe II. des Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz (Bl. 413 ff. d. A.) Bezug genommen.

48

Der genannte Beschluss ist der Beteiligten zu 1) am 6. Juni 2015 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 3. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt und diese mit am 6. August 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 5. August 2015 begründet.

49

Zur Begründung der Beschwerde macht die Beteiligte zu 1) nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 14. Dezember 2015, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 454 ff., 586 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,

50

die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom 23. September 2014 gewahrt. Die Verfehlungen der Beteiligten zu 3) im Zusammenhang mit der Zeiterfassung anlässlich ihrer zahlreichen Raucherpausen seien als eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB anzusehen. Auch hinsichtlich der pauschalierten Vorerfassung von Botengängen liege eine Pflichtwidrigkeit vor.

51

Im August 2014 habe ihr Betriebsleiter X. noch keineswegs vollständige und positive – und schon überhaupt keine umfassende – Kenntnis von den Manipulationen der Stempelkarten, auch nicht bezüglich der Manipulation des Endes der Raucherpausen bzw. des (Wieder-)Einstempelns gehabt. Aufgefallen seien die Veränderungen erst dadurch, dass am 4., 5., 7., 13. sowie am 15. August 2014 gestempelte Arbeitszeiten zu ihren Ungunsten abgeändert worden seien. Dies sei für die Betriebsleitung A-Stadt erst im September erkennbar gewesen, da auf dem Ausdruck der Stempelkarten der Beteiligten zu 3) im Gegensatz zu den im August für Juli 2014 vorgelegten Stempelkarten die originalen – elektronisch erfassten – Stempelzeiten in Klammern mit aufgeführt gewesen seien. Die Beteiligte zu 3) habe im Zeitraum Januar bis Juli 2014 für sich und ihre Kollegin im Büro, Frau V. U., regelmäßig nur die Version 1 vorgelegt, während bei sämtlichen übrigen Mitarbeitern die Version 2 zugeleitet worden sei. Deshalb sei die Betriebsleitung A-Stadt in Person des Herrn X. davon ausgegangen, auch für die Beteiligte zu 3) und Frau U. die Version 2 erhalten zu haben.

52

Die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats sei hinsichtlich ihres Ersuchens vom 20. April 2015 zu Unrecht erfolgt. Aus den erheblichen Lücken in der Belegführung hinsichtlich der Kaffeekasse ergebe sich der Tatverdacht einer unberechtigten Entnahme von Geldern. Arbeitgeberseitig seien zu keinem Zeitpunkt weder von Herrn Y. X. noch von einem anderen Mitarbeiter etwaige Belege zum Kaffeekassenbuch oder das Kassenbuch selbst aus dem Tresor entfernt oder dazugehörige Belege durcheinandergebracht worden. Die Überprüfung durch Frau U. habe am 13. April 2015 unbelegte Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.306,42 € und unbelegte Ausgaben in Höhe von 874,62 € ergeben.

53

Wie sich aus dem Einkaufsbeleg T. vom 19. Juni 2013, 11.58 Uhr ergebe, habe die Beteiligte zu 3) – entgegen den Ausführungen des Beteiligten zu 2) in erster Instanz – nicht wie von ihr nacherfasst, in der Zeit von 12.19 bis 13.19 Uhr diverse Besorgungen für den Firmenmünzlauf durchgeführt. Anlässlich einer Strategiebesprechung in A-Stadt am 23. Juli 2015 habe sich herausgestellt, dass die Beteiligte diesen Einkauf gar nicht durchgeführt habe. Den Einkauf habe tatsächlich der Mitarbeiter S. R. erledigt. Der Umstand, dass eine andere Person diesen Einkauf erledigt habe, zeige, dass die Beteiligte zu 3) bewusst die Unwahrheit vorgebracht habe. Auch andere Mitarbeiter hätten Einkäufe für sie als Arbeitgeberin erledigt, namentlich Frau Q., Herr P. sowie Herr R..

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Die Beteiligte zu 1) beantragt,

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den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. April 2015 – Az. 10 BV 56/14 – abzuändern und die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

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Der Beteiligte zu 2) und die Beteiligte zu 3) beantragen,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

58

Der Beteiligte zu 2) verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe ihres Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 14. Oktober 2015 sowie des Schrift-satzes vom 19. Januar 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 560 ff., 682 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.

59

Die von der Beteiligten zu 3) für Botengänge eingetragenen Pauschalzeiten hätten sich an Zeitspannen (Einkauf 15 bis 30 min je nach Menge, Bank zwischen 15 und 30 min je nach Parkplatzsituation) orientiert. In der Praxis habe die Beteiligte zu 3) zumeist die Zeiten auf die nächsten 15, 30, 45 oder 60 min gerundet.

60

Hinreichende Kenntnis der für den Fristbeginn maßgebenden Umstände habe die Beteiligte zu 1) spätestens im Juli 2014 gehabt. Von der Beteiligten zu 3) und der Kollegin U. sei stets die Version 2 der Ausdrucke vorgelegt worden.

61

Hinsichtlich des 19. Juni 2013 habe die Beteiligte zu 3) versucht, die Geschehnisse mit Hilfe der vorliegenden Quittungen zu rekonstruieren. Da sie den größten Teil der Einkäufe erledigt habe, habe es nahegelegen, dies auch für den 19. Juni 2013 anzunehmen. Frau N., Herr M. und Herr R. hätten diese Aufgabe nur ausnahmsweise übernommen, wenn die Beteiligte zu 3) abwesend gewesen sei. Herr M. habe aufgrund des hohen Gewichts vorwiegend Getränkeeinkäufe erledigt.

62

Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Führung des Kassenbuches würden bestritten. Die Einführung dieses Vorwurfs in das vorliegende Verfahren sei nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt. Da Herr X. die „Kaffeekasse“ spätestens im Dezember 2014 auf Unregelmäßigkeiten hin überprüft habe, habe er spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von den nunmehr behaupteten Vorwürfen gehabt.

63

Auch die Beteiligte zu 3) verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe ihres Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 15. Oktober 2015, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 565 ff. d. A.).

64

Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass am 13. April 2015 unbelegte Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.306,42 € und unbelegte Ausgaben in Höhe von 874,62 € vorgelegen haben sollen. Sämtliche Ein- und Ausgänge seien in dem Kassenbuch ordnungsgemäß vermerkt worden. Die dazugehörigen Belege seien stets rückwärts und chronologisch mit einer großen Büroklammer darauf geheftet worden. An ihrem letzten Arbeitstag, dem 3. September 2014 habe bei der Schlüsselübergabe an Frau V. U. das Kassenbuch mit der Kaffeekasse und den dort ausgewiesenen Werten und Belegen übereingestimmt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt.

65

Zu den Vorwürfen hinsichtlich des Einkaufs vom 19. Juni 2013 sei sie nicht angehört worden. Sie solle sich zu Vorgängen aus dem Jahr 2013 erklären, zu denen ihr lediglich ein Notizbuch vorliege, in dem sie sich jeweils die entsprechenden Botengänge notiert habe. Gestützt auf diese Erinnerungshilfe habe sie sich im Verfahren erklärt.

66

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Anhörungstermins vom 3. Februar 2016 (Bl. 686 ff. d. A.) Bezug genommen.

67

II.1. Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

68

2. In der Sache hatte die Beschwerde der Beteiligten zu 1) keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu Recht zurückgewiesen.

69

Nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KSchG hat die Beteiligte zu 1) einen Anspruch auf Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB voraus. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vor-liegen, aufgrund derer der Beteiligten zu 1) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Danach kann einem Betriebsratsmitglied fristlos gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 – 2 AZR 587/08 – NZA-RR 2011, 15, 17 Rn. 17).

70

Der Antrag auf Zustimmungsersetzung setzt voraus, dass das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat abgeschlossen ist und der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung nicht wirksam zugestimmt hat. Der Antrag muss binnen der zwei-wöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB beim Arbeitsgericht eingegangen sein. Zugleich hat der Arbeitgeber die die Kündigung begründenden Umstände so genau und umfassend wie bei der Betriebsratsanhörung darzulegen (BAG, Beschluss vom 23. April 2008 – 2 ABR 71/07 – NZA 2008, 1081, 1082 Rn. 23). Der Arbeitgeber hat konkret alle Tatsachen anzugeben, auf die er die Kündigung stützen will. Er hat so genau und umfassend vorzutragen, dass der Betriebsrat bzw. an dessen Stelle die Gerichte für Arbeitssachen ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage sind, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen. Hat der Arbeitgeber die Kündigungsgründe ordnungsgemäß dargelegt, hat das Arbeitsgericht alle Umstände aufzuklären, die für die Frage der Berechtigung der außerordentlichen Kündigung im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB von Bedeutung sind. Einer weiteren Aufklärung oder Beweisaufnahme bedarf es nicht, wenn die Beteiligten den Sachverhalt übereinstimmend vortragen oder das substantiierte Vorbringen eines Beteiligten von den anderen nicht bestritten wird oder sich an dessen Richtigkeit keine Zweifel aufdrängen.

71

Gemessen hieran fehlt es an Umständen, die die Beteiligte zu 1) als Arbeitgeberin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist berechtigen.

72

a) Hinsichtlich der von der Beteiligten erst im erstinstanzlichen Beschlussverfahren mit Schriftsatz vom 17. Februar 2015 vorgetragenen nachträglichen Erfassungen am 2. Mai 2012, 6. Juni 2012, 11. Juni 2012, 11. Juli 2012, 12. Dezember 2012, 1. Februar 2013, 12. Februar 2013, 13. Februar 2013, 18. Februar 2013, 28. Februar 2013, 7. März 2013, 12. März 2013, 13. März 2013, 20. März 2013, 4. April 2013, 15. April 2013, 17. April 2013, 22. April 2013, 2. August 2013, 3. September 2013, 24. September 2013, 2. Oktober 2013, 4. Oktober 2013, 15. Oktober 2013, 17. Oktober 2013, 4. November 2013, 6. November 2013, 18. November 2013, 19. Februar 2014, 25. April 2014, 5. Mai 2014, 12. Mai 2014, 1. Juni 2014, 17. Juni 2014, 14. Juli 2014, 21. Juli 2014, 18. August 2014 sowie 21. August 2014 hat die Beteiligte zu 1) das Zustimmungsersetzungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Zu diesen Erfassungen hat sie den Beteiligten zu 2) vorab nicht unterrichtet. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ohne erneute Beteiligung des Betriebsrats ist betriebsverfassungsrechtlich nicht zulässig. Zwar kann der Arbeitgeber im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens auch noch neue Gründe vorbringen. Anders als beim Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG können nicht nur solche Tatsachen nachgeschoben werden, die bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahren bereits vorgelegen haben, sondern auch solche, die erst während des laufenden Verfahrens eingetreten sind. Auch können bei Einleitung des Verfahrens vorliegende Tatsachen ohne Rücksicht darauf nachgeschoben werden, ob sie dem Arbeitgeber bekannt waren oder nicht. Der Arbeitgeber muss aber, weil das gerichtliche Verfahren nur im Fall der Zustimmungsverweigerung einzuleiten und damit dem betrieblichen Zustimmungsverfahren nachgelagert ist, vor der Einführung dieser Umstände im Zustimmungsersetzungsverfahren dem Betriebsrat Gelegenheit gegeben haben, seine Stellungnahme im Licht der neuen Tatsachen zu überprüfen. Dabei wird die Behandlung neuer Gründe durch den Betriebsrat nicht dadurch ersetzt, dass der Vorsitzende des Betriebsrats durch Teilnahme am Beschlussverfahren davon erfährt (BAG, Beschluss vom 23. April 2008 – 2 ABR 71/07 – NZA 2008, 1081, 1083 Rn. 25 m. w. N.).

73

Eine solche Gelegenheit zur Stellungnahme hat die Beteiligte zu 1) dem Beteiligten zu 2) hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 17. Februar 2015 in das Beschlussverfahren eingeführten weiteren nachträglichen Erfassungen in "Calitime" nicht gegeben. Diese nachträglichen Änderungen in "Calitime" können daher den Antrag auf Zustimmungsersetzung nicht begründen.

74

b) Auch im Übrigen ist der am 17. September 2014 gestellte Antrag auf Ersetzung der Zustimmung nicht begründet. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung wegen der Gutschrift einer Arbeitszeit von insgesamt 13 Stunden und 33 Minuten ist unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 626 Abs. 1 BGB weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt.

75

Die erforderliche Prüfung gemäß § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich zweistufig. Zum einen muss ein Grund vorliegen, der überhaupt an sich geeignet ist, eine außer-ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der – in der Regel – vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.

76

(1) Zur Überzeugung der Kammer steht nicht fest, dass die Beteiligte zu 3) im Zeitraum Januar 2012 bis August 2014 einen Arbeitszeitbetrug mit einhergehendem Lohnzahlungsbetrug im Umfang von insgesamt 13 Stunden 33 Minuten begangen hat.

77

Nachträgliche unberechtigte Veränderungen der Zeitangaben in der Zeiterfassung, um damit Vergütung für nicht erbrachte Arbeitsleistungen zu erhalten, sind als so genannter Arbeitszeitbetrug an sich geeignet, einen wichtiger Grund im Sinn des § 626 BGB darzustellen. Insbesondere bei einem Arbeitnehmer in einer besonderen Vertrauensstellung kann bereits ein einmaliger und verhältnismäßig gering-fügiger Fall von Arbeitszeitbetrug ein wichtiger Kündigungsgrund sein.

78

(a) Die Beteiligte zu 3) hat aber keinen erwiesenen Arbeitszeitbetrug dadurch begangen, dass sie vorab fiktive, nicht nachprüfbare Ausstempelzeiten in „Calitime“ erfasst hat. Die Beteiligte zu 3) hat – auch nicht ab Dezember 2013 - vorab keine geschätzten Zeiten in „Calitime“ eingegeben. Sie hat vielmehr erst am Folgetag fehlende Zeiten ergänzt. Dies hat die Beteiligte zu 3) zweitinstanzlich ausdrücklich klargestellt. Auch aus dem Vortrag der Beteiligten zu 1) ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Änderungen in "Calitime" durch die Beteiligte zu 1) bereits vorab erfolgt wären. Eine solche Änderung vorab ist in "Calitime" nach den Ausführungen im Anhörungstermin zweiter Instanz auch technisch nicht möglich.

79

Die Beteiligte zu 3) hat auch keinen erwiesenen Arbeitszeitbetrug dadurch begangen, dass sie nachträglich Ausstempelzeiten ergänzt bzw. ab Dezember 2013 geändert hat. Grundsätzlich war die Beteiligte zu 3) arbeitsvertraglich berechtigt und verpflichtet, nachträgliche Änderungen in "Calitime" durchzuführen. Diese Berechtigung bezog sich auch auf Änderungen hinsichtlich ihrer eigenen Zeiten. Dies hat auch die Beteiligte zu 1) nicht bestritten, sondern im vorliegenden Beschlussverfahren lediglich darauf hingewiesen, dass auffällig sei, dass die Beteiligte zu 3) Änderungen persönlich durchgeführt habe und diese Änderungen nicht – wie üblicherweise - durch Dritte vorgenommen worden seien. Die Beteiligte zu 3) hat daher nicht bereits durch die Vornahme manueller Änderungen gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

80

Zu den arbeitsvertraglichen Pflichten der Beteiligten zu 3) gehörte die Durchführung von Botengängen außerhalb des Betriebsgeländes der Beteiligten zu 1), beispielsweise zur Bank, zur Post, zum L., zu Logistikunternehmen sowie die Erledigung von kleineren Einkäufen, zum Beispiel von Süßigkeiten oder Getränken. Diese Botengänge wurden von der Beteiligten zu 3) jedenfalls auch nach dem Ende ihrer Tätigkeit im Betrieb erledigt. Die Durchführung der Botengänge war unstreitig Arbeitszeit, als solche zu erfassen und zu vergüten. Mit der nachträglichen Erfassung dieser Zeiten an sich im Hinblick auf ihre daraus folgende Vergütung verstieß die Beteiligte zu 3) daher nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten.

81

Genaue Anweisungen dazu, wie diese Zeiten zu erfassen sind, existieren bei der Beteiligten zu 1) nicht. Zwar hat die Beteiligte zu 3) diese Zeiten nicht minutengenau und im Zeitraum ihrer genauen Erledigung erfasst. Es steht jedoch nicht fest, dass der von der Beteiligten zu 3) jeweils angegebene Umfang der aufgewendeten Zeit nicht zutreffend ist oder sie fiktive, angeblich außerhalb des Betriebsgeländes angefallene Arbeitsminuten erfasst hätte. Für einen Großteil der nachträglich erfassten Zeiten existieren korrespondierende Belege (Bankauszüge, Quittungen etc.), allerdings zu späteren Zeiten oder am Folgetag bzw. an dem vorangegangenen Wochenende. Die Beteiligte zu 3) hat danach in den überwiegenden Fällen nachweislich außerhalb der von ihr zunächst von "Calitime" erfassten Zeiten Arbeitsleistungen erbracht, diese lediglich nicht zu den in der Erfassung hinterlegten Zeiten.

82

So liegt für den 1. März 2012 ein Kontoauszug vor und für den 3. Mai 2012 ein Beleg einer Bahnkarte. Am 18. April 2013 erfolgte eine Erledigung durch die Beteiligte zu 3) um 14.20 Uhr bei „Ausstempeln“ um 12.12 Uhr, am 10. Juni 2013 eine Erledigung um 15.32 Uhr bei einem „Ausstempeln“ um 14.07 Uhr, am dem 2. Dezember 2013 vorangegangenem Sonntag 1. Dezember 2013 ein Gang zur Bank, am 6. Dezember 2013 eine Erledigung um 16.21 Uhr bei „Ausstempeln“ um 10.59 Uhr, am 9. Dezember 2013 ein Botengang zur Bank, am 3. Februar 2014 ein Botengang zur Post und zur Bank, am 1. April 2014 ein Botengang zur Bank um 15.39 Uhr bei „Ausstempeln“ um 12.47 Uhr sowie am 30. Mai 2014 eine Fahrt zur Poststelle E-Stadt. Am Folgetag des 20. Juni 2014 wurde an einem Samstag ein Botengang zwecks Einkaufs erledigt, am 10. Juli 2014 ein Botengang zu L. und K. durchgeführt, am 18. Juli 2014 ein Botengang zur Post gemacht, am 25. Juli 2014 um 11.05 Uhr ein Einkauf bei J. bei einem „Ausstechen“ um 10.16 Uhr erledigt und am 29. Juli 2014 ein Einkauf bei I. um 16.34 Uhr bei einem „Ausstechen“ bereits um 13.12 Uhr gemacht. Am 7. August 2014 hat die Beteiligte zu 3) einen Besuch beim L. gemacht und um 16.45 Uhr Bargeld vom Firmenkonto abgehoben, nachdem sie bereits um 12.33 Uhr ausgestempelt hatte.

83

Auch hinsichtlich der weiteren Tage, an denen nachträglich Arbeitszeiten hinzugefügt bzw. abgeändert wurden, ist nicht erwiesen, dass die Beteiligte zu 3) in dem angegebenen Umfang keine Arbeitsleistung erbracht hat. Die Beteiligte zu 3) hat hinsichtlich dieser weiteren Tage den Vortrag der Beteiligten zu 1) weitgehend unter Angabe der (angeblich) durchgeführten Tätigkeiten bestritten. So hat sie vorgetragen, am 18. Juni 2012 Spültücher eingekauft zu haben. Zum 29. Oktober 2013 hat sie vorgetragen, Bahntickets für Frau U. und sich gekauft zu haben und zur Bank gegangen zu sein. Für den 17. Dezember 2013 hat sie einen Gang zur Post, für den 10. Januar 2014 einen Einkauf, für den 27. Januar 2014 einen Gang zur Post sowie für den 28. Januar 2014 einen Einkauf angegeben. Am 7. Februar 2014 habe sie ein Geldprüfgerät eingekauft und sei wegen einer Einzahlung von 3.000,00 € zur Bank gegangen. Am 14. Februar 2014 sei sie zur Post gegangen. Am 23. März 2014 habe sie wiederum eingekauft und sei zur Bank gegangen. Für den 10. April 2014 hat sie einen Gang zur Post vorgetragen. Am 5. Mai 2014 habe sie einen Botengang zwecks beabsichtigten Einkaufs einer Kaffeemaschine in H. gemacht. Am 15. und 19. Mai 2014 sowie am 9. Juli 2014 habe sie jeweils einen Gang zur Post gemacht. Für den 5. August 2014 hat die Beteiligte zu 3) einen Botengang zur Post in E-Stadt vorgetragen, für den 13. August 2014 ein Botengänge zum L. und zu G. sowie zur Post in E-Stadt sowie für den 15. August 2014 Botengänge zum L. und zu G. und zum Einkauf.

84

Soweit die Beteiligte zu 3) im Übrigen angegeben hat, sich nicht mehr erinnern zu können, welche konkrete Tätigkeit sie zur nachträglichen Änderung bzw. Korrektur der erfassten Zeiten veranlasst hat, konnte sie den Vorwurf der Erfassung von Arbeitszeiten, in denen sie keine Arbeitsleistung haben soll, zulässigerweise mit Nichtwissen bestreiten, obwohl es sich um Gegenstände ihrer eigenen Wahrnehmung handelt (§ 138 Abs. 4 ZPO). Zwar ist ein solches Bestreiten mit Nichtwissen nur bezüglich solcher Tatsachen zulässig, die weder eine eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind. Diese Voraus-setzungen liegen bei den von der Beteiligten zu 3) erbrachten Arbeitsleistungen nicht vor. Jedoch erfordern der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip, dass es einer Prozesspartei möglich sein muss, Tatsachen, an die sie sich zum Zeitpunkt ihres Prozessvortrags nicht mehr erinnern kann und diese auch nicht zumutbar durch Nachforschungen feststellen kann, mit Nicht-mehrwissen zu bestreiten (BAG, Urteil vom 20. August 2014 - 7 AZR 924/12 - 7 AZ7 AZR 924/12 - BeckRS 2014, 73697, Rn. 32; Beschluss vom 13. November 2007 - 3 AZN 449/07 - NJW 2008, 1179, 1180, Rn. 18 f.). Es ist von Verfassungs wegen gefordert, einer Beteiligten nur aufzuerlegen, sich darüber zu erklären, was sie zum Zeitpunkt der notwendigen Erklärung tatsächlich weiß oder unter zumutbaren Voraussetzungen durch Erkundigungen feststellen kann. Die Beteiligte zu 3. hat plausibel gemacht, sich an jeden einzelnen Vorgang nicht mehr zu erinnern und aus den ihr vorliegenden Unterlagen keine Feststellungen treffen zu können. Die Beteiligte zu 1), die der Beteiligten zu 3) arbeitsvertraglich auch Botengänge außerhalb des Betriebs übertragen hat und der bekannt war, dass die Beteiligte zu 3) solche durchführt, hat vor dem Sommer 2014 weder die von der Beteiligten zu 3) vorgenommene Erfassung dieser Zeiten beanstandet noch eine andere Handhabung gefordert. Die vorgenommenen Änderungen in der Zeiterfassung wurden monatlich von dem Betriebsleiter in A-Stadt kontrolliert. Die Beteiligte zu 3) musste daher nicht mehr damit rechnen, dass es zu Nachfragen hinsichtlich durchgeführter Botengänge ab Januar 2012 kommen würde, entsprechende Aufzeichnungen anfertigen und aufbewahren. Das Formular "Zeiterfassung" musste bei Botengängen nicht verwendet werden. Es ist nach der Lebenserfahrung auch plausibel, dass die Beteiligte zu 3) sich nach geraumer Zeit nicht mehr an jeden einzelnen Botengang nach Zeitpunkt, Ziel und Gegenstand erinnern kann.

85

Ein Abgleich der manuellen Änderungen durch die Beteiligte zu 3) mit dem Kassenbuch nebst Belegen ist nicht mehr möglich, da das Kassenbuch nach der Freistellung der Beteiligten zu 3) verschwunden ist und die Belege nicht mehr in der ursprünglichen Reihenfolge der getätigten Eintragungen sind.

86

Soweit die vorgenommenen zeitlichen Abänderungen hinsichtlich des Beginn und Endes des Botengangs unzutreffend waren, vermag diese Unrichtigkeit im vor-liegenden Sachverhalt keine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit liegt kein Arbeitszeitbetrug vor.

87

(b) Auch soweit die Beteiligte zu 3) von ihr genommenen Raucherpausen in 11 Fällen in „Calitime“ so verkürzt hat, dass ursprünglich als Pausenzeit ausgestempelte Zeit als Arbeitszeit erfasst und vergütet wurde, liegt kein erwiesener Arbeitszeitbetrug vor.

88

Grundsätzlich ist die Beteiligte zu 1) nicht verpflichtet, Raucherpausen zu vergüten. In den so genannten Raucherpausen erbringen die Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung. Ein gesetzlicher Tatbestand, aufgrund dessen die Beteiligte zu 1) gleichwohl verpflichtet wäre, Vergütung zu zahlen, liegt nicht vor. Für selbst verursachte Arbeitsunterbrechungen entstehen keine Vergütungsansprüche (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 5. November 2015 - 5 Sa 58/15 - BeckRS 2016, 66179; vom 21. Juli 2015 - 7 Sa 131/15 - BeckRS 2015, 71717). Dafür, dass sich die Beteiligte zu 1) vertraglich zur Vergütung von Raucherpausen verpflichtet hat, liegen keine Anhaltspunkte vor.

89

Die Verkürzung einer Raucherpause in der Arbeitszeiterfassung, obwohl diese tatsächlich in dem vollen erfassten Umfang genommen wurde, ist daher an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer veranlasst hierdurch den Arbeitgeber, ihm Entgelt zu zahlen, ohne dass er die geschuldete Arbeitsleistung während der Pause erbracht hat (vgl. zum fehlenden Ausstechen einer Raucherpause: LAG Köln, Urteil vom 13. April 2011 - 9 Sa 1320/10 - BeckRS 2012, 67515 m. w. N.). Es steht jedoch nicht fest, dass die Beteiligte zu 3) tatsächlich genommene Raucherpausen unzutreffend verkürzt hat.

90

Bei den nachträglich verkürzten Raucherpausen am 3. März, 18. März, 21. März, 24. März, 28. März, 4. April, 15. April, 8. Mai, 20. Mai, 7. Juli und 9. Juli 2014 handelt es sich sämtlich um solche, in denen die Beteiligte zu 3) zunächst eine über 2 Minuten hinausgehende Raucherpause ausgestochen hat und diese wegen von ihr behaupteter dienstlicher Tätigkeiten während der Raucherpause nachträglich in "Calitime" um zwei oder drei Minuten verkürzt hat.

91

Nicht mehr aufklärbar ist, ob das von der Beteiligten zu 3) auf einen früheren Zeitpunkt abgeänderte Ende der Raucherpause tatsächlich falsch war oder ob sie in der Raucherpause dienstliche Tätigkeiten wahrgenommen und dienstliche Gespräche geführt oder Betriebsratstätigkeit erbracht hat. Die Beteiligte zu 3) konnte auch insoweit mit Nicht-mehr-wissen bestreiten, dass sie tatsächlich genommene Raucherpausen unzutreffend in Arbeitszeit abgeändert hat. Die der Beteiligten zu 3) vorgeworfenen Manipulationen reichen bis in den März 2014 zurück. Die Beteiligte zu 3) hat eine Vielzahl von Raucherpausen in Anspruch genommen und in unzähligen Fällen Korrekturen im Umfang von einer oder wenigen Minuten vorgenommen. Die erfassten Arbeitszeiten wurden monatlich durch den Betriebsleiter in A-Stadt W. überprüft. Weiter wurden die Ausdrucke monatlich dem Betriebsleiter A-Stadt X. vorgelegt. Auch dann, wenn diesem nicht die Version 2, sondern "nur" die Version 1 der Ausdrucke vorgelegt worden wäre, hätte er an den vielen Sternchen auf den Ausdrucken erkennen können, dass die Beteiligte zu 3) an einer Vielzahl von Arbeitstagen Korrekturen vorgenommen hat. Von beiden Betriebsleitern wurde die Zeiterfassung der Beteiligten zu 3) nicht beanstandet. Die Beteiligte zu 3) war daher nicht veranlasst, über - überprüfte und abgerechnete - Monate Aufzeichnungen über kurzzeitige dienstliche Tätigkeiten und Gespräche während der Raucherpausen anzufertigen und vorzuhalten. Beispielhaft hat sie angegeben, dass sie mit Herrn Ax. und Herrn AY. gesprochen habe. Gegenstand der Gespräche sei beispielsweise die Außenanlage, zu fällende Bäume und Genehmigung gewesen. Auch sei es um Unstimmigkeiten im Betrieb gegangen. Teilweise hätten Mitarbeiter bereits auf sie gewartet, um dienstliche Belange zu besprechen. Die Gespräche hätten auch ihre Betriebsratstätigkeit betroffen. Es erscheint auch plausibel, dass die Beteiligte zu 3) während ihrer Raucherpausen insbesondere auf Fragen betreffend das Außengelände und ihre Betriebsratstätigkeit angesprochen worden ist und sich nunmehr nicht mehr an die genauen Zeitpunkte, Gesprächspartner und den jeweiligen Gegenstand des Gesprächs erinnern kann.

92

Soweit die Beteiligte zu 3) während der Raucherpausen Betriebsratstätigkeit ausgeführt haben will, ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass sich ein Betriebsratsmitglied zwar grundsätzlich zur Ausübung von Betriebsratstätigkeit beim Arbeitgeber abmelden muss und seine Rückkehr an den Arbeitsplatz anzeigen muss. Da es der Zweck der Meldepflicht ist, dem Arbeitgeber die Überbrückung des Arbeitsausfalls zu ermöglichen, besteht jedoch keine vorherige Meldepflicht in Fällen, in denen eine vorübergehende Umorganisation nicht ernsthaft in Betracht kommt. Maßgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalls. Dazu gehören insbesondere die Art der Arbeitsaufgabe des Betriebsratsmitglieds und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunterbrechung. Der Arbeitgeber kann dann verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum verrichteten Betriebsrats-tätigkeit nachträglich mitgeteilt wird (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 7 ABR 135/09 - NZA 2012, 47, 48 f., Rn. 18 ff.). Einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Arbeitsbefreiung des Betriebsratsmitglieds bedarf es nicht. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall bereits zweifelhaft, ob die Beteiligte zu 3) dann, wenn sie während ihrer Raucherpause mit einer Angelegenheit des Betriebsrats befasst wurde, dies hätte (vorab) anzeigen müssen. In Anbetracht der Kürze der Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben kam eine Umorganisation der Arbeitsaufgaben der Beteiligten nicht in Betracht.

93

Der Arbeitgeber darf die Auszahlung des Arbeitslohnes auch nicht regelmäßig von einer lückenlosen Darlegung zu Art und Umfang der angemeldeten Betriebsrats-tätigkeit abhängig machen. § 2 Abs. 1 BetrVG verpflichtet die Betriebsparteien zur vertrauensvollen Zusammenarbeit. Stichwortartige Angaben zum Zwecke der Prüfung der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit kann der Arbeitgeber daher nur dann verlangen, wenn anhand der konkreten betrieblichen Situation und des vom Betriebsratsmitglied genannten Zeitaufwandes an der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit insgesamt Zweifel bestehen. In diesem Fall hat das Betriebsratsmitglied dem Arbeitgeber Kurzangaben auch zur Art der durchgeführten Tätigkeit zu übermitteln, die zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen (BAG, Urteil vom 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 105). Eine genaue Schilderung der betreffenden Aufgabe, die dem Arbeitgeber etwa eine Kontrolle der Betriebsratstätigkeit ermöglichen könnte, ist aber in keinem Fall erforderlich (BAG, Urteil vom 19. Juni 1979 - 6 AZR 638/77 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 36). Die Betriebsratsmitglieder - hier die Beteiligte zu 3) - sind auch nicht verpflichtet, für den Arbeitgeber eine schriftliche Dokumentation ihrer Tätigkeit anzufertigen. Eine solche detaillierte Dokumentation von in Betriebsratsangelegenheiten geführten Gesprächen kann daher auch im vorliegenden Verfahren nicht von der Beteiligten zu 3) verlangt werden.

94

(2) Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Beteiligten zu 3) ist auch nicht als Verdachtskündigung wegen des Verdachts der vorsätzlichen falschen Verkürzung der Raucherpausen in mindestens elf Fällen, der Eintragung fiktiver, nicht nachprüfbarer Endzeiten und der nachträglichen Abänderung ausgestempelter Zeiten gerechtfertigt.

95

Grundsätzlich kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung ist danach immer dann gerechtfertigt, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 13; vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 16, jeweils m. w. N.). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 14; vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 17, jeweils m. w. N.).

96

Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben.

97

(a) Es besteht kein dringender Verdacht, dass die Beteiligte zu 3) bereits vor der Durchführung von Botengängen fiktive Endzeiten in "Calitime" eingetragen hat. Die Beteiligte hat im Anhörungstermin zweiter Instanz dargelegt, dass sie stets erst nach Durchführung eines Botengangs eine Korrektur der erfassten Zeiten vorgenommen hat. Die Beteiligte zu 1) hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Beteiligte zu 3) solche geschätzten Zeiten vorab eingetragen hat.

98

Im Hinblick auf die nachträgliche Ergänzung bzw. Änderung des Arbeitszeitendes besteht nach Auffassung der Kammer ebenfalls kein dringender Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs. Zwar hat die Beteiligte zu 1) in einigen Fällen das Vorliegen von Botengängen bestritten oder der Beteiligten zu 3) der genaue Anlass eines von ihr behaupteten Botengangs nicht mehr erinnerlich, so dass nicht mehr aufklärbar ist, ob die Beteiligte zu 3) in diesen Fällen tatsächlich Botengänge durchgeführt hat. In der Gesamtschau der Umstände der vorgenommenen Änderungen besteht kein dringender Verdacht, dass die Beteiligte zu 3) in den verbliebenen Fällen keine Erledigungen für die Beteiligte zu 1) durchgeführt hat. Insbesondere ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 3) im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen in einer Vielzahl von Fällen tatsächlich Botengänge durchgeführt hat. In zahlreichen Fällen liegen Belege der Post, des Supermarktes oder Bankauszüge vor, aus denen sich ergibt, dass ein Botengang durchgeführt worden ist. Lassen sich vor diesem Hintergrund einzelne Botengänge nicht mehr nachvollziehen oder liegen für diese keine Belege mehr vor, ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass an diesen Tagen keine Botengänge durchgeführt wurden. Dies gilt insbesondere auch, weil Arbeitserfassungen den - zum Teil weit zurückliegenden - Zeitraum von Januar 2012 bis August 2014 betreffen, Belege nicht mehr vorhanden sein könnten und insbesondere das Kassenbuch verschwunden ist.

99

Auch soweit die Beteiligte zu 1) die von der Beteiligten zu 3) erfasste Dauer der Botengänge bestritten hat, fehlen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligte zu 3) zu lange Zeitspannen erfasst hat. So hat die Beteiligte zu 2) gerade im Hinblick auf den 30. Mai 2014 und 13. August 2014 (Besuch bei G. und der Poststelle E-Stadt bzw. zur Post E-Stadt, zum L. und zu G.) beanstandet, dass die Beteiligte zu 3) in der angegebenen kurzen Zeit den Botengang gar nicht durchgeführt haben könne. Umgekehrt hat sie nur pauschal bestritten und nicht konkret geltend gemacht, dass die Botengänge zur Bank oder zum Einkaufen lediglich eine kürzere Zeit in Anspruch genommen hätten. Die Beteiligte zu 3) hingegen hat beispielsweise hinsichtlich der Fahrt zur Bank am 1. März 2012 angegeben, dass für den Weg zur Bank, die Erledigung der Geschäfte und den Rückweg zum Betrieb mindestens 47 Minuten im Vergleich zu den erfassten 26 Minuten angefallen wären.

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(b) Auch hinsichtlich der Verkürzung der Raucherpausen ist nach Auffassung der Kammer kein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines Arbeitszeitbetrugs gegeben. Zwar hat die Beteiligte zu 3) zunächst selbst ein späteres Pausenende in "Calitime" gestempelt und dieses anschließend händisch auf einen früheren Zeitpunkt abgeändert. Auch kann die Beteiligte zu 3) in der Vielzahl der Einzelfälle nicht mehr angeben, welche dienstlichen Tätigkeiten sie während der ausgestochene Pausenzeit im Einzelfall erledigt hat. Hieraus allein ergibt sich jedoch nicht der dringende Verdacht eines Arbeitszeitbetruges. Im Fall nur wenige Minuten dauernder dienstlicher Tätigkeit während der kurzen Raucherpausen erscheint es plausibel, nicht zunächst den Weg zum Zeiterfassungsterminal zurückzulegen, um wieder „einzustechen“, und sodann zum Gesprächspartner zurückzugehen. Auch ist es nicht ungewöhnlich, dass während der Raucherpause im Freien das Außergelände betreffende Fragen besprochen werden oder dass Betriebsratsmitglieder während ihrer (Raucher-)Pausen von Mitarbeitern auf betriebliche Fragestellungen angesprochen werden.

101

c) Hinsichtlich des Vorwurfs von Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Führung des Kassenbuchs ist kein wichtiger Grund für eine Tat- oder Verdachtskündigung gegeben. Insoweit bleibt bereits offen, welches genaue Fehlverhalten die Beteiligte zu 1) der Beteiligten zu 3) zum Vorwurf macht. Soweit sie der Beteiligten zu 3) die unberechtigte Entnahme von Geldern aus der Kasse vorwerfen will, bleibt offen, wann die Beteiligte zu 3) welche Beträge aus der Kasse unberechtigt entnommen haben soll. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass eine Überprüfung des Kassenbestandes im April 2015 zwar unbelegte Ausgaben in Höhe von 874,62 € ergeben haben soll. Diesen sollen jedoch unbelegte Einnahmen in Höhe von 1.306,42 € entgegenstehen. Offen bleibt insoweit auch, welchen Stand das Kassenbuch zum Zeitpunkt der Freistellung der Beteiligten zu 3) hatte. Änderungen des Kassenbestandes nach ihrer Freistellung können der Beteiligten zu 3) mangels Zugriffsmöglichkeit nach der Weitergabe des Tresorschlüssels nicht vorgeworfen werden.

102

Unregelmäßigkeiten allein in der Dokumentation sind an sich kein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB. Da das Kassenbuch verschwunden ist, kann das Vorliegen von Unregelmäßigkeiten diesem nicht mehr entnommen werden.

103

d) Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung ist auch nicht ein erwiesener Arbeitszeitbetrug, der von der Beteiligten zu 3) am 19. Juni 2013 gegangen worden sein soll. Auch wenn nicht die Beteiligte zu 3., sondern der Kollege S. AT. am 19. Juni 2013 bei T. eingekauft hat, ist nicht erwiesen, dass die Beteiligte zu 3) nach dem Ausstechen um 12.19 Uhr nicht noch im Umfang von 1 Stunde Botengänge für die Beteiligte zu 1) ausgeführt hat. So hat die Beteiligte zu 2) angegeben, die Beteiligte zu 3) habe an diesem Tag „diverse“ Botengänge in Form des Einkaufs mehrerer Artikel für den bevorstehenden Münzlauf durchgeführt.

104

Eine Kündigung kann ebenfalls nicht auf den dringenden Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs am 19. Juni 2013 gestützt werden, weil die Beteiligte zu 3) von der Beteiligten zu 1) nicht zum Ausspruch einer solchen Verdachtskündigung angehört worden ist. Eine solche Anhörung liegt auch nicht bereits in der Anhörung vom 19. Juni 2014. Die Beteiligte zu 1) will die Kündigung gerade auf die von ihr in der Folge von Recherchen nach einer Strategiebesprechung am 23. Juli 2015 gewonnenen neuen Erkenntnisse stützen. Nach ihrer Darstellung handelt es sich „um eine vollkommen neue Qualität bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens der Beteiligten zu 3)“. Zu der von der Beteiligten zu 1) behaupteten Erkenntnis, dass nicht sie selbst, sondern dass der Kollege R. den Einkauf von Bier und Süßigkeiten für den Münzlauf übernommen hat, ist die Beteiligte zu 3) nicht angehört worden.

105

(3) Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) wäre aber auch dann nicht zu ersetzen, wenn man den dringenden Verdacht eines Arbeitsbetrugs bejaht, weil die Beteiligte zu 3) nicht in allen Einzelfällen darlegen kann, welche dienstlichen Tätigkeiten sie im Umfang der verlängerten Arbeitszeiten oder der verkürzten Raucherpausen durchgeführt hat.

106

Eine solche außerordentliche Kündigung wäre jedenfalls unverhältnismäßig. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 34 m. w. N.). Als mildere Reaktionen sind insbesondere konkrete Vorgaben des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Ab-mahnung und eine ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen das Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers. Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung oder anderen milderen Maßnahmen des Arbeitgebers wie konkreten Arbeitsanweisungen wieder vertragstreu verhalten (vgl. BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 38 m. w. N.).

107

Danach hätten im vorliegenden Fall klare Anweisungen hinsichtlich der Erfassung und Dokumentation durchgeführter Botengänge und von während der Raucherpausen erfolgten betrieblichen Tätigkeiten und Betriebsratstätigkeiten oder der Ausspruch einer Abmahnung ausgereicht. Auch durch die Übertragung der Erfassungstätigkeiten die die Beteiligte zu 3) selbst betreffen, auf eine andere Mitarbeiterin kann sichergestellt werden, dass die Beteiligte zu 3) nicht unberechtigt die Arbeitszeiterfassung zu ihren Gunsten verändert.

108

Zu Gunsten der Beteiligten zu 3) fällt ihre lange Betriebszugehörigkeit seit dem 1. März 2008 ins Gewicht. Zuvor war sie von 1982 bis zu deren Insolvenz bei der Vorgängerin der Beteiligten zu 1), der Firma Z. tätig. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit im Wesentlichen beanstandungsfrei verlaufen ist. Soweit die Beteiligte zu 1) auf Unregelmäßigkeiten der Beteiligten zu 3) im Hinblick auf die Arbeitszeit bereits im Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 hingewiesen hat, handelt es sich nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt. Seinerzeit ging es nicht um die Erfassung der Arbeitszeit als solche, sondern um die rechtliche Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Teilzeitkräften Überstundenzuschläge zu zahlen sind. Diese rechtliche Frage betraf nicht allein die Beteiligte zu 3), sondern auch weitere Arbeitnehmerinnen. Im Übrigen wurden aus den unterschiedlichen Rechtsauffassungen resultierende Differenzen durch die Beteiligte zu 3) ausgeglichen.

109

Demgegenüber wiegen die betrieblichen Interessen und das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers nicht so schwer, dass diesen Interessen nur durch eine außerordentliche Kündigung Rechnung getragen werden könnte. Hinsichtlich der Erfassung der (angeblich) für Botengänge aufgewandten Zeiten liegen für viele Zeiten korrespondierende Belege vor. Bei den Korrekturen für Raucherpausen handelt es sich um insgesamt 11 Fälle, in denen jeweils die Erfassung nur für zwei oder drei Minuten im Streit steht. Insgesamt wirft die Beteiligte zu 1) der Beteiligten zu 3) die Verkürzung der Raucherpausen um 29 Minuten vor, so dass im Hinblick auf die im vorliegenden Beschlussverfahren der Beteiligten zu 3) vorgeworfenen Änderungen im Zusammenhang mit den Raucherpausen allenfalls ein geringer Schaden entstanden sein kann.

110

2. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Betriebsverfassungsgesetz


§ 21a idF d. Art. 1 Nr. 51 G v. 23.7.2001 I 1852 dient der Umsetzung des Artikels 6 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Zivilprozessordnung - ZPO | § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht


(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestrit

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 102 Mitbestimmung bei Kündigungen


(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. (2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kün

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 87 Grundsatz


(1) Gegen die das Verfahren beendenden Beschlüsse der Arbeitsgerichte findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. (2) Für das Beschwerdeverfahren gelten die für das Berufungsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 92 Rechtsbeschwerdeverfahren, Grundsatz


(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Sa

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 15 Unzulässigkeit der Kündigung


(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Gr

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 37 Ehrenamtliche Tätigkeit, Arbeitsversäumnis


(1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. (2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs z

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 83 Verfahren


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen. Die am Verfahren Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. (1a) Der Vorsitzende kann den Beteiligten eine Frist für ihr Vorbringen

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 103 Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen


(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats. (2) Verwe

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 2 Stellung der Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber


(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

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Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 03. Feb. 2016 - 7 TaBV 20/15 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

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(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen. Die am Verfahren Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken.

(1a) Der Vorsitzende kann den Beteiligten eine Frist für ihr Vorbringen setzen. Nach Ablauf einer nach Satz 1 gesetzten Frist kann das Vorbringen zurückgewiesen werden, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts seine Zulassung die Erledigung des Beschlussverfahrens verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Die Beteiligten sind über die Folgen der Versäumung der nach Satz 1 gesetzten Frist zu belehren.

(2) Zur Aufklärung des Sachverhalts können Urkunden eingesehen, Auskünfte eingeholt, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernommen und der Augenschein eingenommen werden.

(3) In dem Verfahren sind der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Stellen zu hören, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz, dem Sprecherausschussgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz, den §§ 177, 178 und 222 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, dem § 18a des Berufsbildungsgesetzes und den zu diesen Gesetzen ergangenen Rechtsverordnungen sowie nach dem Gesetz über Europäische Betriebsräte, dem SE-Beteiligungsgesetz, dem SCE-Beteiligungsgesetz, dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung und dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung im einzelnen Fall beteiligt sind.

(4) Die Beteiligten können sich schriftlich äußern. Bleibt ein Beteiligter auf Ladung unentschuldigt aus, so ist der Pflicht zur Anhörung genügt; hierauf ist in der Ladung hinzuweisen. Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(5) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Arbeitsgerichts oder seines Vorsitzenden findet die Beschwerde nach Maßgabe des § 78 statt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen die das Verfahren beendenden Beschlüsse der Arbeitsgerichte findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt.

(2) Für das Beschwerdeverfahren gelten die für das Berufungsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 88 bis 91 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 und Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) In erster Instanz zu Recht zurückgewiesenes Vorbringen bleibt ausgeschlossen. Neues Vorbringen, das im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 83 Abs. 1a gesetzten Frist nicht vorgebracht wurde, kann zurückgewiesen werden, wenn seine Zulassung nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Beschlussverfahrens verzögern würde und der Beteiligte die Verzögerung nicht genügend entschuldigt. Soweit neues Vorbringen nach Satz 2 zulässig ist, muss es der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung, der Beschwerdegegner in der Beschwerdebeantwortung vortragen. Wird es später vorgebracht, kann es zurückgewiesen werden, wenn die Möglichkeit es vorzutragen vor der Beschwerdebegründung oder der Beschwerdebeantwortung entstanden ist und das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und auf dem Verschulden des Beteiligten beruht.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung; § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(2) Die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit der in Satz 1 genannten Personen ist ihre Kündigung innerhalb eines Jahres, vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 des Betriebsverfassungsgesetzes beantragt, ist vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; der Kündigungsschutz gilt für die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird ein Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz nach Satz 1 vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.

(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.

(4) Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig, es sei denn, daß ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

(5) Wird eine der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so findet auf ihre Kündigung die Vorschrift des Absatzes 4 über die Kündigung bei Stillegung des Betriebs sinngemäß Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 2007 - 4 Sa 851/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise mit einer Auslauffrist erklärten außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1955 geborene Klägerin ist seit September 1992 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Sachbearbeiterin tätig. Seit dem Jahr 2002 ist sie Mitglied des Betriebsrats und war seit Mai 2005 bis Anfang 2010 als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von ihrer Arbeitsleistung freigestellt.

3

Während einer Ortsabwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden in der Zeit vom 2. bis 5. März 2006 ging im Betriebsratsbüro ein an diesen adressiertes Schreiben ein. Als Absender war die Beklagte angegeben. Das Schreiben enthielt eine Einladung zur nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses, dessen Mitglied der Vorsitzende war. Beigefügt waren eine Bilanz des Jahres 2005 und Unterlagen zur Unternehmensplanung für das Jahr 2006. Die Klägerin entnahm den Brief dem Postkorb, in den üblicherweise die für den Betriebsrat bestimmten Sendungen eingelegt werden, öffnete den Umschlag, nahm den Inhalt zur Kenntnis und legte den Umschlag unverschlossen samt Inhalt auf den Schreibtisch des Vorsitzenden.

4

Am 6. März 2006 schilderte dieser den Vorfall einem Vorstandsmitglied der Beklagten. Am 13. März 2006 beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin, die am 14. März 2006 erteilt wurde. Mit Schreiben vom 16. März 2006 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos und hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. August 2006. Sie hielt der Klägerin vor, das Briefgeheimnis verletzt zu haben.

5

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege nicht vor. Sie habe in Abwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden prüfen müssen, ob der Brief fristgebundene Unterlagen enthalte, und habe ihn zu diesem Zweck geöffnet. Der Umschlag sei weder zugeklebt noch mit einem Vermerk „vertraulich“ oder „nur vom Empfänger zu öffnen“ versehen gewesen. Als sie sich des Inhalts der Sendung bewusst geworden sei, habe sie die Papiere nicht weiter eingesehen, sondern auf den Schreibtisch des Vorsitzenden gelegt. Auf weitere Kündigungsgründe komme es schon deshalb nicht an, weil die Beklagte den Betriebsrat vor deren Einführung in den Prozess nicht erneut um Zustimmung ersucht habe. Soweit die Beklagte sich auf den Verdacht eines Pflichtverstoßes berufe, fehle es an ihrer - der Klägerin - vorherigen Anhörung.

6

Die Klägerin hat - soweit im vorliegenden Verfahren von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 16. März 2006 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Auslauffrist zum 31. August 2006 aufgelöst worden ist.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei wegen schwerwiegender Vertragspflichtverletzungen der Klägerin gerechtfertigt. Der an den Betriebsratsvorsitzenden gerichtete Brief sei zugeklebt und an die Privatanschrift adressiert gewesen. Das Öffnen der Sendung stelle eine strafbare Verletzung des Briefgeheimnisses dar. Durch ihre Handlung sei die Klägerin an geheimhaltungsbedürftige und wichtige Geschäftsgeheimnisse gelangt, die für sie als Mitglied der Tarifkommission von höchstem Interesse gewesen seien und von denen sie andernfalls erst viel später Kenntnis erlangt hätte. Erst im Lauf des Kündigungsrechtsstreits sei ihr - der Beklagten - bekannt geworden, dass der inzwischen ausgeschiedene Betriebsratsvorsitzende eine Betriebsratssitzung ohne Wissen der Teilnehmer mit einem Tonaufnahmegerät aufgezeichnet habe. Die Gesprächsmitschnitte seien von Dritten auf einen Datenträger kopiert und dem Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) übergeben worden. Dieser habe daraufhin versucht, den Vorsitzenden zum Rücktritt zu bewegen. Für das Kopieren und Weiterleiten der Daten sei die Klägerin verantwortlich, zumindest sei sie dessen dringend verdächtig. Sie habe ein hinreichendes Motiv. Ihr Ziel sei immer gewesen, den Vorsitzenden aus dem Amt zu drängen und dessen Position einzunehmen. Außerdem habe die Klägerin - wie ihr ebenfalls erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sei - bei der letzten Betriebsratswahl aus eigennützigen Motiven eine Wahlbewerberin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu veranlasst, sich weiterhin für ein Betriebsratsamt zur Verfügung zu stellen. Im Fehlverhalten der Klägerin liege nicht nur eine Amtspflichtverletzung. Die Klägerin habe zugleich ihre arbeitsvertraglichen (Neben-)Pflichten erheblich verletzt und dadurch das Vertrauensverhältnis der Parteien unwiederbringlich zerstört. Der Betriebsrat sei im Hinblick auf die im Prozess nachgeschobenen Kündigungsgründe nach § 102 BetrVG und damit in ausreichender Weise beteiligt worden.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage einschließlich eines Weiterbeschäftigungsantrags der Klägerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags durch Teilurteil zurückgewiesen. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht zugelassen Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Kündigungsschutzklage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

10

I. Das angefochtene Berufungsurteil ist nicht deshalb aufzuheben, weil das Landesarbeitsgericht über den Kündigungsschutzantrag nicht hätte durch Teilurteil gemäß § 301 ZPO entscheiden dürfen.

11

1. Zwar war im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag auch ein zweitinstanzlich gestellter Auflösungsantrag der Beklagten nach §§ 9, 10 KSchG anhängig und kann über einen solchen Antrag grundsätzlich nur gleichzeitig mit ersterem entschieden werden. Getrennte Entscheidungen einmal über die Wirksamkeit der Kündigung, das andere Mal über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sind regelmäßig unzulässig (Senat 4. April 1957 - 2 AZR 456/54 - BAGE 4, 90; zum Ausnahmefall eines rechtskräftig gewordenen Teilanerkenntnisurteils über die Sozialwidrigkeit der Kündigung: Senat 29. Januar 1981 - 2 AZR 1055/78 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 35, 30; aA etwa APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 7; Löwisch/Spinner 9. Aufl. KSchG § 9 Rn. 69). Das Landesarbeitsgericht hat aber mittlerweile den Auflösungsantrag der Beklagten durch Schlussurteil vom 22. November 2007 rechtskräftig abgewiesen. Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, der die Senatsrechtsprechung vorbeugen will, bestand damit jedenfalls im Zeitpunkt des Revisionsurteils nicht mehr. Unter dieser Voraussetzung kann ein Mangel des Teilurteils als geheilt angesehen werden.

12

2. Die im Schlussurteil getroffene - stattgebende - Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen, hat auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag keinen Einfluss.

13

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 16. März 2006 weder fristlos, noch unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden. Tatsachen, die die Beklagte iSv. § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigten, liegen nach Art und Schwere der in Rede stehenden Pflichtverletzungen nicht vor. Eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit - notwendiger - Auslauffrist kommt von vorneherein nicht in Betracht.

14

1. Nach § 15 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats unzulässig, wenn nicht Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

15

2. Liegt der wichtige Grund, der dem Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, in einem Verhalten des Betriebsratsmitglieds, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen. Ist dem Betriebsratsmitglied ausschließlich eine Amtspflichtverletzung vorzuwerfen, ist nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG möglich. Eine außerordentliche Kündigung kommt dagegen in Betracht, wenn in dem fraglichen Verhalten zugleich eine Vertragspflichtverletzung zu sehen ist. In solchen Fällen ist an die Berechtigung der fristlosen Entlassung allerdings ein „strengerer“ Maßstab anzulegen als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört (Senat 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 30, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64; 23. Oktober 2008 - 2 ABR 59/07 - Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 25; jeweils mwN).

16

3. Ein bestimmtes Verhalten ist ausschließlich eine Amtspflichtverletzung, wenn das Betriebsratsmitglied lediglich kollektivrechtliche Pflichten verletzt hat. Verstößt das Betriebsratsmitglied stattdessen gegen eine für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltende vertragliche Pflicht, liegt - zumindest auch - eine Vertragspflichtverletzung vor (Senat 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64).

17

4. Kommt danach eine Vertragspflichtverletzung in Betracht, ist für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1 KSchG aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ist gegenüber dem durch § 15 KSchG besonders geschützten Personenkreis ausgeschlossen(Senat 17. Januar 2008 - 2 AZR 821/06 - Rn. 25 ff., BAGE 125, 267).

18

5. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Öffnen des an den Betriebsratsvorsitzenden gerichteten Briefs kein wichtiger Grund zur Kündigung. Dabei kann offenbleiben, ob das Verhalten der Klägerin - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - ausschließlich ihre Amtspflichten berührt, oder ob in der geltend gemachten Verletzung des Briefgeheimnisses zumindest auch eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung liegt. Selbst wenn man - wofür Einiges spricht - von Letzterem ausgeht, ist die fristlose Kündigung nicht berechtigt.

19

a) Ein gemäß § 626 Abs. 1 BGB wichtiger Grund zur Kündigung kann in einer schuldhaften Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten liegen(Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b bb der Gründe, BAGE 107, 36). Zu diesen gehört nach § 241 Abs. 2 BGB die Pflicht des Arbeitnehmers, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers und seiner Vertragspartner Rücksicht zu nehmen. Sie trifft das Betriebsratsmitglied regelmäßig auch während der Zeit einer Freistellung von der Arbeitspflicht (vgl. BAG 16. September 1987 - 5 AZR 254/86 - zu III der Gründe, RzK I 1 Nr. 21). Ein schwerer Verstoß gegen diese Pflicht kann geeignet sein, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zu zerstören. Ein solcher Verstoß kann in einer vorsätzlichen und dann strafbewehrten (§ 202 StGB) Verletzung des Briefgeheimnisses bezüglich der im Betrieb eingehenden, der aus ihm ausgehenden oder der intern versandten Post liegen.

20

b) Eine in diesem Sinne schwerwiegende Vertragspflichtverletzung der Klägerin ist nicht erkennbar.

21

aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin den an den Betriebsratsvorsitzenden gerichteten Brief demjenigen Postkorb entnommen, in welchen üblicherweise die für den Betriebsrat bestimmten Sendungen eingelegt werden. Dass sie aufgrund der Abwesenheit des Vorsitzenden als dessen Stellvertreterin für die Bearbeitung der eingehenden Betriebsratspost zuständig war, wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Das berechtigte die Klägerin zwar nicht ohne Weiteres dazu, einen an den Betriebsratsvorsitzenden persönlich adressierten Brief zu öffnen. Die Klägerin hat aber vortragen, sie sei davon ausgegangen, auch einen solchen Brief öffnen und dessen Inhalt zur Kenntnis nehmen zu dürfen, um sich zu vergewissern, dass kein dringender Handlungsbedarf für den Betriebsrat bestehe. Damit mag sie die Reichweite ihrer Zuständigkeiten als stellvertretende Vorsitzende verkannt haben. Es lässt sich auf der Grundlage ihres Vorbringens dennoch nicht ausschließen, dass sie über die Pflichtwidrigkeit ihres Tuns geirrt hat. Dies ließe - je nach rechtlicher Einordnung - entweder den Vorsatz entfallen oder wäre als - wenn auch vermeidbarer - Verbotsirrtum bei der Gewichtung der Pflichtverletzung zu berücksichtigen und ließe diese in einem milderen Licht erscheinen.

22

bb) Einer Beweisaufnahme zugängliche Tatsachen, die geeignet wären, die Einlassung der Klägerin zu widerlegen, hat die Beklagte, die für das Fehlen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen die Darlegungs- und Beweislast trägt (Senat 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 29, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13),nicht vorgetragen. Der Behauptung der Klägerin, die Sendung sei nicht als „persönlich/vertraulich“ gekennzeichnet gewesen, ist sie nicht entgegen getreten. Ihren Darlegungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Klägerin allein aus dem äußeren Erscheinungsbild des Briefs Rückschlüsse auf dessen Inhalt hätte ziehen können. Bestehende Feindseligkeiten zwischen der Klägerin und dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden rechtfertigen nicht die Annahme, diese hätte den Brief entgegen ihrer Einlassung als vertraulich angesehen und sich bewusst über das Briefgeheimnis hinweggesetzt. Entsprechendes gilt für die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe ihr Verhalten gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden als „Fehler“ bezeichnet. Diese Äußerung lässt sich - als wahr unterstellt - auch damit erklären, dass die Klägerin in rückschauender Betrachtung ihr Verhalten anders bewertet hat als im Zeitpunkt der Entgegennahme des Briefs.

23

cc) Wollte man danach überhaupt noch eine schuldhafte Pflichtverletzung der Klägerin annehmen, wäre diese jedenfalls nicht so schwerwiegend, dass sie die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist begründen könnte. Die Beklagte hat nicht behauptet, die Klägerin habe Kenntnisse, die sie durch Einsichtnahme in die Bilanz und Jahresplanung erlangt habe, an Dritte weitergegeben. Ihre Mutmaßung, die Klägerin habe daraus bei Tarifverhandlungen Vorteile gezogen, geht über eine reine Spekulation nicht hinaus.

24

6. Auch die im Lauf des Verfahrens nachgeschobenen Sachverhalte sind nicht geeignet, eine Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen.

25

a) Die Beklagte beruft sich darauf, die Klägerin habe als damalige Vorsitzende des Wahlvorstands einer Wahlbewerberin, die sich von einer Vorschlagsliste habe streichen lassen wollen, die Auskunft gegeben, dass dies „nicht einfach gehe“, sondern weiterer Klärung bedürfe. Die Klägerin habe das Ziel verfolgt, auf diese Weise die Vollständigkeit der betreffenden Vorschlagsliste, auf der sie selbst kandidiert habe, zu sichern. Ob in einem solchen Verhalten ein Verstoß gegen Vorschriften der Wahlordnung oder eine Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlvorstands liegt, kann dahinstehen. Es würde sich jedenfalls um eine reine Amtspflichtverletzung handeln. Wegen des ausschließlichen Amtsbezugs des behaupteten Verhaltens besteht kein Grund zu der Annahme, die Klägerin werde ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis künftig nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen oder berechtigten Informationsansprüchen anderer Arbeitnehmer oder der Beklagten nicht nachkommen.

26

b) Die Beklagte hat ihre Behauptung, die Klägerin habe Daten vom Diktiergerät des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden kopiert und an den NGG-Geschäftsführer weitergegeben, im Hinblick auf dessen Aussage, er habe die Tonaufnahmen jedenfalls nicht von der Klägerin erhalten, in der Revisionsinstanz nicht mehr aufrecht erhalten. Sie stützt die Kündigung insoweit nur noch auf einen entsprechenden, gegen die Klägerin gerichteten dringenden Verdacht. Ein solcher besteht schon nach ihrem eigenen Vortrag nicht.

27

aa) Grundsätzlich kann auch der dringende Verdacht einer erheblichen Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 35, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu II 1 a der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Eine Verdachtskündigung kommt aber nur in Betracht, wenn gewichtige, auf objektive Tatsachen gestützte Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (Senat 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Ein dringender Verdacht liegt nur vor, wenn bei kritischer Prüfung eine auf Beweistatsachen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers besteht (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 35 mwN, aaO). Der entsprechende Verdacht, muss es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, mit dem Arbeitnehmer weiter zusammenzuarbeiten.

28

bb) Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (Senat 15. Mai 1986 - 2 AZR 397/85 - zu B II 4 b der Gründe, RzK I 8c Nr. 9; 24. Januar 1985 - 2 AZR 317/84 - zu III 4 d bb der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 8 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 2). Würden etwa im Prozess zutage getretene, den Verdacht entkräftende Umstände unberücksichtigt bleiben, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, dass ein Unschuldiger getroffen wird, nicht ausreichend Rechnung tragen.

29

cc) Danach besteht gegen die Klägerin kein hinreichender Tatverdacht.

30

(1) Als Indiztatsachen für den geltend gemachten Verdacht hat die Beklagte vorgetragen, für die Klägerin habe die Möglichkeit bestanden, unbeobachtet auf die Aktentasche des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden zuzugreifen; zwischen den beiden Betriebsratsmitgliedern sei ein „Machtkampf“ geführt worden, aus dem sich ein erhebliches Interesse der Klägerin ergeben habe, „Beweismittel“ gegen den Vorsitzenden zu sammeln. Außerdem beruft sich die Beklagte auf die Aussage des NGG-Geschäftsführers, wonach am Tag nach Ausspruch der Kündigung ein Abendessen mit der Klägerin, ihrem Ehemann und dem Freundeskreis der Klägerin aus dem Betriebsrat stattgefunden habe. Dabei sei einer der Betriebsratskollegen aufgesprungen und habe erklärt, der Vorsitzende habe es „gerade nötig“; habe er doch selbst „Dreck am Stecken“. Dieser Kollege habe sodann erklärt, im Besitz zweier CD´s zu sein; auf einer von diesen sei der Inhalt einer vom Vorsitzenden abgehörten Betriebsratssitzung gespeichert, an der auch der NGG-Geschäftsführer teilgenommen habe. Da die Weitergabe der CD´s allein den Zielen der Klägerin gedient habe, könne sich der Vorgang nur so abgespielt haben, dass diese allein oder mit Hilfe von Personen aus ihrem Freundeskreis die Kopien gezogen habe. Zumindest sei davon auszugehen, dass sie die Täter moralisch unterstützt habe. Für eine Mittäterschaft der Klägerin spreche auch der Umstand, dass sie sich zu dem ganzen Vorgang bislang nicht geäußert und nicht mitgeteilt habe, welche Person denn die fraglichen CD´s in Besitz gehabt und dem NGG-Geschäftsführer übergeben habe.

31

(2) Damit hat die Beklagte keine konkreten Tatsachen vorgetragen, aufgrund derer die Klägerin der ihr zur Last gelegten Pflichtverletzung dringend verdächtig wäre. Nachdem der NGG-Geschäftsführer bei seiner Vernehmung - offensichtlich glaubwürdig - erklärt hat, er habe die CD´s nicht von der Klägerin erhalten, ist insoweit nicht nur ein Tatvorwurf gegen diese unbegründet, sondern auch ein entsprechender Verdacht. Was den Verdacht des unberechtigten Kopierens von Tonaufzeichnungen vom Diktiergerät des Betriebsratsvorsitzenden anbelangt, erschöpft sich der Vortrag der Beklagten in der Darstellung einer Möglichkeit für die Klägerin, auf die Aktentasche des Betriebsratsvorsitzenden zuzugreifen, und in Mutmaßungen über deren Verwicklung in den Vorgang. Konkrete Anhaltspunkte für eine aktive Tatbeteiligung der Klägerin ergeben sich daraus nicht. Eine lediglich „moralische“ Unterstützung der wirklichen Täter würde nicht ausreichen, um von einer erheblichen Pflichtverletzung auszugehen. Fehlt es danach an objektiven, den dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung begründenden Indiztatsachen, kommt es auf eine Weigerung der Klägerin, zu den Vorwürfen näher Stellung zu nehmen, nicht an. Sie allein vermag eine Verdachtskündigung nicht zu rechtfertigen.

32

c) Kann damit schon aus den angeführten Gründen nicht von der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Klägerin im Sinne von § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB ausgegangen werden, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte in Bezug auf die beiden nachgeschobenen Kündigungsgründe erneut eine Zustimmung des Betriebsrats entsprechend § 103 Abs. 1 BetrVG einholen musste, oder ob es ausreichte, diesen nach § 102 BetrVG über den maßgebenden Sachverhalt zu unterrichten. Ebenso kann dahinstehen, ob es einer vorherigen Anhörung des Arbeitnehmers bedarf, bevor der Arbeitgeber einen neuen Verdacht in den Prozess einführen kann.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

        

    Ehrenamtlicher Richter Dr. Bartel
ist wegen des Endes seiner Amtszeit
an einer Unterschrift verhindert.
Kreft    

        

    Jan Eulen    

        

        

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. August 2012 - 6 Sa 1149/11 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung des letzten zwischen ihnen geschlossenen Arbeitsvertrages.

2

Die Klägerin arbeitete ab dem 5. Mai 1999 aufgrund mehrfacher Befristung ununterbrochen für den Beklagten im Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus G, in der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik. Sie ist promovierte Fachärztin für Herzchirurgie. In diesem Fachgebiet wurde ihr von der Ludwig-Maximilians-Universität unter dem 5. Januar 2011 aufgrund des während des Arbeitsverhältnisses zum Beklagten durchgeführten Habilitationsverfahrens auch die Lehrbefugnis mit dem Recht zur Führung der Bezeichnung Privatdozentin erteilt. Arbeits- und Forschungsschwerpunkt der Klägerin ist Gender-Medizin.

3

Die letzte Befristung beruhte auf einem Dokument, das datiert auf den „26.5.09“ erstellt wurde. Danach wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien auf der Basis einer Vollbeschäftigung ab dem 1. Juni 2009 befristet bis zum 28. Februar 2011 verlängert. Als Befristungsbegründung war durch Ankreuzen entsprechender Kästchen in dem vorgedruckten Dokument angegeben zum einen „Beschäftigung nach abgeschlossener Promotion (§ 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG)“ sowie zum anderen unter Hinweis auf „§ 14 Abs. 1 Nr. 7 TzBfG“ Vergütung aus „Haushaltsmitteln, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind,“ und eine entsprechende Beschäftigung. In dem Dokument war ua. der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken in Bezug genommen. Mit der vorgesehenen Befristung war die Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG nicht überschritten. Datiert auf den 3. Juli 2009 wurde die Eingruppierung der Klägerin geändert.

4

Unter dem 26. Mai 2009 erhielt die Klägerin ferner von der Abteilung für Personal und Rechtsangelegenheiten ein Schreiben, das wie folgt lautet:

        

Bestellung zur Oberärztin gem. § 12 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte)

        

Sehr geehrte Frau Dr. E,

        

gemäß § 12 TV-Ärzte werden Sie im Namen und im Auftrag des Klinikumsvorstandes mit Wirkung vom 01.12.2008 zur Oberärztin in der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik bestellt.

        

Die Bestellung erfolgt unbefristet.

        

Es wird hiermit festgestellt, dass die medizinische Verantwortung für den Teil-/Funktionsbereich bereits seit dem 01.12.2008 übertragen wurde.

        

…“    

5

§ 12 TV-Ärzte betrifft die „Eingruppierung“ und lautet auszugsweise:

        

„Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:

        

Entgeltgruppe

Bezeichnung

        

…       

        
        

Ä 3     

Oberärztin/Oberarzt

                 

Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.

                 

…“    

6

Obwohl sich Ende des Jahres 2010 sowohl der geschäftsführende Oberarzt der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik des Klinikums, in der die Klägerin tätig war, als auch der Klinikdirektor für eine unbefristete Beschäftigung der Klägerin einsetzten, hielt der Beklagte am Ablauf des Arbeitsverhältnisses Ende Februar 2011 fest. Das teilte er der Klägerin unter dem 21. Dezember 2010 mit. Die Klägerin schaltete daraufhin zur Klärung der Wirksamkeit ihrer Befristung ihren späteren Prozessbevollmächtigten ein. Dieser zeigte dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Februar 2011 seine Vertretungsbefugnis an, beantragte Akteneinsicht unter Hinweis darauf, es müssten die vollständigen Personalakten im materiellen Sinne vorgelegt werden, und bat um die Möglichkeit zur Erstellung von Kopien bei Gelegenheit der Akteneinsicht. In dem Schreiben heißt es dann weiter:

        

„Im Arbeitsvertrag vom 26.05.2009 wird für die Zeit bis 28.02.2011 nicht auf Beschäftigung aus Drittmitteln und auf Vergütung aus Drittmitteln verwiesen. Wir bitten deshalb um Klarstellung, dass der Arbeitsvertrag nicht zusätzlich, neben beiden genannten Begründungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Wissenschaftszeitvertragsgesetz und § 14 Abs. 1 Nr. 7 TzBfG, als Drittmittelbefristung vereinbart worden ist.“

7

Am 15. Februar 2011 nahm der Klägerinvertreter Akteneinsicht. Die Personalakte der Klägerin weist keine frühere Akteneinsicht durch die Klägerin persönlich aus. In der Personalakte befindet sich als „Entwurf“ das Dokument vom 26. Mai 2009 über das befristete Arbeitsverhältnis.

8

Mit Schreiben vom 25. Februar 2011 machte der Klägerinvertreter rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien geltend, erklärte jedoch gleichzeitig, diese Bedenken seien noch nicht abschließend geklärt und über die Frage einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Befristung noch nicht entschieden, es werde eine einvernehmliche außergerichtliche Lösung mit Weiterarbeit der Klägerin angestrebt.

9

Die Personalabteilung des Klinikums bestellte die Klägerin am 2. März 2011 zu einem Gespräch. Ihr wurde mitgeteilt, eine weitere befristete Beschäftigung sei möglich. Sie müsse jedoch zunächst eine Erklärung unterzeichnen. Diese unter dem Briefkopf des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München „Kaufmännische Direktion ABT. II - Personalangelegenheiten“ erstellte Erklärung lautete:

        

„Zwischen dem Freistaat Bayern, vertreten durch das Klinikum der Universität München, und Frau Dr. E wird festgehalten, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass der Arbeitsvertrag vom 26.05.2009, zuletzt geändert am 03.07.2009, am 28.02.2011 geendet hat.“

10

Von Seiten des Beklagten war dieses Schriftstück bereits vom Leiter der Abteilung für Personalangelegenheiten unterzeichnet. Die Klägerin unterzeichnete es ebenfalls. Daraufhin wurde ihr das Vertragsangebot für eine befristete Weiterbeschäftigung vorgelegt. Es handelte sich um eine Weiterbeschäftigung für zwei Monate auf einer halben Stelle bei einem Viertel der bisherigen Vergütung. Den dahingehenden Vertrag unterzeichnete die Klägerin nicht. Ihre am 2. März 2011 abgegebene Erklärung ließ sie vorsorglich durch ihren späteren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 3. März 2011 anfechten.

11

Eingehend beim Arbeitsgericht am 21. März 2011 und dem Beklagten zugestellt am 28. März 2011 hat die Klägerin Befristungskontrollklage erhoben und ihre Weiterbeschäftigung als Oberärztin verlangt. Mit ihrer Klage hat sie als Anlage in Ablichtung das mit „26.5.09“ datierte Dokument vorgelegt. Es ist mit „Entwurf“ überschrieben und enthält die Unterschrift der Klägerin. Arbeitgeberseitig ist das Schreiben jeweils unter Beifügung des Datums „15.4.09“ mit den Buchstaben „Ba“ und „Ei“ paraphiert.

12

Erstmals in der Berufungsinstanz hat die Klägerin vorgebracht, das Dokument vom 26. Mai 2009 wahre hinsichtlich der Befristungsabrede nicht die Schriftform, da es von Seiten des Arbeitgebers lediglich paraphiert, jedoch nicht unterschrieben sei. Im Hinblick auf Vorhalte des Beklagten erklärte der Klägerinvertreter in der ersten Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht, die Unterlagen der Klägerin seien nicht vollständig gewesen. Der hier gegenständliche und andere Verträge hätten gefehlt, weswegen er Akteneinsicht beantragt habe. In den Akten des Beklagten habe er nur das vorgelegte Dokument unterzeichnet mit einer Paraphe vorgefunden. Nachdem das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen hatte, der zwischenzeitlich erfolgte Vortrag des Beklagten, in dessen Akten habe sich nur ein Entwurf befunden, das beidseitig unterzeichnete Exemplar sei der Klägerin ausgehändigt worden, sei seitens der Klägerin bislang nicht bestritten worden, hat der Klägerinvertreter weiter erklärt, es müsse bestritten werden, dass der Klägerin ein arbeitgeberseitig unterzeichnetes Vertragsexemplar ausgehändigt worden sei.

13

Die Klägerin hat dann weiter schriftsätzlich vorgetragen, sie könne sich nicht mehr erinnern, wie ihre jeweiligen Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge abgelaufen seien. Sie sei wohl bei Verlängerungen, jedenfalls bei einigen, persönlich in der Verwaltung der Klinik gewesen und habe dort ihre Unterschrift jeweils mit vollem Namen unter einen Vertrag geleistet. Ihre eigenen Unterlagen seien - wohl aufgrund zweier Umzüge - unvollständig. Als sie ihren späteren Prozessvertreter im Januar 2011 bevollmächtigt habe, habe sie nur die dem Gericht vorgelegte Version des Vertrages in den Händen gehabt, es habe sich um eine beidseitig bedruckte Fotokopie gehandelt. Sie gehe davon aus, dass sie dieses Dokument entweder am 26. Mai 2009 oder später in genau diesem Exemplar erhalten habe. Soweit im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin Kopien gefertigt würden, geschehe dies nur jeweils einseitig. Auch aus der Personalakte der Klägerin und der Praxis des Beklagten ergebe sich nicht, dass ständig jeder Vorgang schriftlich dokumentiert werde. Sie erinnere sich auch nicht, schon im Mai 2009 das vorgelegte Dokument unterzeichnet zu haben und nicht erst im Nachgang, etwa bei Änderung der Eingruppierung am 3. Juli 2009 und damit nach Arbeitsaufnahme. Die Klägerin hat Sachverständigenbeweis hinsichtlich des Alters der bei ihr vorhandenen Kopie des auf den 26. Mai 2009 datierten Dokuments im Verhältnis zu anderen Kopien angetreten.

14

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund vereinbarter Befristung zum 28. Februar 2011 geendet hat, sondern unbefristet fortbesteht,

        

2.    

den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin als Oberärztin in der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik weiterzubeschäftigen.

15

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

16

Er hat geltend gemacht, der Sachvortrag der Klägerin sei unglaubhaft. Ihr Prozessbevollmächtigter habe bereits vor der Akteneinsicht aus dem Arbeitsvertrag zitiert. Da er das später bei Gericht eingereichte Dokument bereits bei den Akten gehabt habe, könne die Unvollständigkeit im Hinblick auf die vertragliche Regelung kein Grund gewesen sein, Akteneinsicht in die Personalakte zu beantragen. Die Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Landesarbeitsgericht könnten deshalb nicht stimmen. Beim Klinikum sei es - wie allgemein beim Beklagten - üblich gewesen, Schriftstücke nur im paraphierten Entwurf bei den Akten zu behalten, jedoch im Original unterzeichnet an den anderen Beteiligten herauszugeben.

17

Im Übrigen sei von einer wirksamen Befristung jedenfalls aufgrund der Vereinbarung vom 2. März 2011 auszugehen. Es habe sich um eine rechtsverbindliche Vereinbarung gehandelt. Sie sei auch nicht ohne Gegenleistung erfolgt, weil immerhin ein Angebot über eine befristete Beschäftigung seitens des Beklagten unterbreitet worden sei.

18

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Einen Hinweis nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 6 KSchG hat es nicht erteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

19

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht, die beide Anträge erfasst, da die Entscheidung über den Beschäftigungsantrag von der Entscheidung über die Befristungskontrollklage abhängig ist. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte habe den Beweis, es gebe ein von beiden Parteien mit Unterschrift versehenes Dokument, in dem die Befristungsabrede enthalten ist, nicht geführt. Zu dieser Annahme ist es in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Ebenso wenig ist der Rechtsstreit zugunsten des Beklagten entscheidungsreif.

20

I. Zu seiner Annahme, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, es habe eine dem Schriftformerfordernis entsprechende Befristungsabrede vorgelegen, nicht geführt und daher sei von einer unwirksamen Befristung auszugehen, ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen. Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

21

1. Im Ergebnis zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht gehindert war, diesen Unwirksamkeitsgrund erstmals im Berufungsverfahren vorzubringen. § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 6 KSchG steht nicht entgegen. Danach kann der Kläger im Rahmen eines Befristungskontrollverfahrens alle Gründe für die Unwirksamkeit der Befristung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend machen, worauf ihn das Arbeitsgericht hinweisen soll. Wird - wie hier - ein derartiger Hinweis nicht einmal in allgemeiner Form erteilt, steht die Regelung der Einführung weiterer möglicher Unwirksamkeitsgründe im Berufungsverfahren nicht entgegen (vgl. BAG 4. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - Rn. 20, BAGE 138, 9; vgl. auch BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12 ff., BAGE 140, 261).

22

2. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass das von der Klägerin in Ablichtung in das Verfahren eingeführte in den Personalakten beim Beklagten befindliche Dokument keine wirksame Befristungsabrede enthält.

23

a) Nach § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf die Befristung eines Arbeitsvertrages zur ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das erfordert nach § 126 Abs. 1 BGB eine eigenhändig vom Aussteller durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnete Urkunde. Bei einem Vertrag muss nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BGB; vgl. zum Ganzen BAG 25. März 2009 - 7 AZR 59/08 - Rn. 29). Nach § 1 Abs. 1 Satz 5 WissZeitVG gilt dies auch, soweit eine Befristung - wie hier - allein oder zusätzlich auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gestützt wird. Das gesetzliche Schriftformerfordernis ist eine arbeitsvertragliche Vorschrift über befristete Arbeitsverträge. Das WissZeitVG enthält keine gegenteiligen Regelungen.

24

b) Das im Verfahren in Ablichtung vorgelegte Dokument erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es ist arbeitgeberseitig nicht unterzeichnet iSv. § 126 BGB. Eine Unterzeichnung iSd. gesetzlichen Regelung verlangt einen Schriftzug, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt. Ein bloßes Handzeichen (Paraphe) - wie es hier vorliegt - wahrt nach der gesetzlichen Regelung die Schriftform nur im Falle notarieller Beglaubigungen (vgl. BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 519/07 - Rn. 11, BAGE 125, 325); eine solche liegt nicht vor.

25

3. Folgte man jedoch der Behauptung des Beklagten, es sei eine Urkunde erstellt und beidseitig mit vollem Namen unterzeichnet worden, die dem vorgelegten „Entwurf“ hinsichtlich der Befristungsabrede entspricht, läge eine formwirksame Befristungsabrede vor. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die Existenz einer solchen Urkunde könne der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Zu dieser Annahme ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Sachvortrag der Klägerin erscheine nicht vollständig stimmig. Sie habe erst in zweiter Instanz und erst auf Hinweis des Gerichts, es sei bislang der Erhalt eines beidseits unterschriebenen Exemplars nicht bestritten, dieses Bestreiten nachgeholt. Bis dahin habe sie, die in einer Vielzahl befristeter Arbeitsverhältnisse beim Beklagten beschäftigt gewesen sei und der die Verwaltungspraxis des Beklagten bekannt gewesen sein müsse, nur auf ihre unvollständigen Unterlagen hingewiesen und dies mit Wohnungswechseln erklärt. Später habe sie zwar erklärt, das von ihr vorgelegte Vertragsexemplar sei das einzige, das ihr vorgelegen habe und vorliegt, aber auch insoweit ihre Wohnungswechsel in Bezug genommen. Trotz dieser äußeren und zu Bedenken Anlass gebenden Umstände sei von einem ausreichenden Bestreiten der Erstellung eines beidseits eigenhändig unterschriebenen Vertrages auszugehen, das die Beweisplicht des Beklagten auslöse. Das Landesarbeitsgericht hat sodann Zeugenbeweis erhoben und unter ausschließlicher Würdigung der Zeugenaussagen den Beweis als nicht geführt angesehen.

27

b) Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht zwar davon ausgegangen, dass die Klägerin das Vorhandensein eines der Schriftform genügenden Vertrages bestritten hat. Ebenso hat es im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Beweislast für das Vorhandensein eines solchen Dokuments den Beklagten trifft. In revisionsrechtlich zu beanstandender Weise ist das Landesarbeitsgericht jedoch nach Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Beklagte den dahingehenden Beweis nicht geführt hat. Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

28

aa) Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die Klägerin das Vorhandensein eines beidseitig unterzeichneten Exemplars des Arbeitsvertrages mit der Befristungsabrede wirksam bestritten hat.

29

(1) Die Klägerin hat angegeben, sich nicht mehr genau an den Ablauf der Unterzeichnung der Vereinbarung über ihr letztes befristetes Arbeitsverhältnis erinnern zu können. Sie hat ferner darauf verwiesen, bei ihr lägen keine Unterlagen mehr vor. Damit hat die Klägerin mit Nichtwissen bestritten, dass ein solches Dokument jeweils vorgelegen hat.

30

(2) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die von ihm herausgearbeiteten Widersprüchlichkeiten der Angaben der Klägerin einer Berücksichtigung dieses Bestreitens nicht entgegenstehen. Soweit sich im Laufe des Verfahrens Widersprüche hinsichtlich der Frage ergeben haben, welche Dokumente die Klägerin zu welchem Zeitpunkt in Händen hielt, sind sie durch die Ausführungen der Klägerin im weiteren Berufungsverfahren bereinigt worden, so dass kein wegen Widersprüchlichkeit unbeachtlicher Vortag vorlag. Eine solche Klarstellung ist zulässig (vgl. BGH 13. März 2012 - II ZR 50/09 - Rn. 16).

31

(3) Die Klägerin war auch berechtigt, das Verhalten einer beidseits unterzeichneten Urkunde mit Nichtwissen iSv. § 138 Abs. 4 ZPO zu bestreiten, obwohl es um Gegenstände ihrer eigenen Wahrnehmung geht.

32

Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Da es um ein Schriftstück geht, das die Klägerin selbst unterzeichnet und erhalten haben soll, lägen diese Voraussetzungen an sich nicht vor. Jedoch fordert der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachgemäß ist. Es muss einer Prozesspartei möglich sein, Tatsachen, die sie zum Zeitpunkt ihres Prozessvortrages nicht mehr weiß und auch nicht zumutbar durch Nachforschungen feststellen kann, mit Nicht-mehr-wissen zu bestreiten (BAG 13. November 2007 - 3 AZN 449/07 -). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat plausibel gemacht, sich an den maßgeblichen Vorgang nicht mehr erinnern und aus den ihr vorliegenden Unterlagen keine Feststellungen treffen zu können.

33

bb) Im Ergebnis zu Recht ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass der Beweis für eine formwirksame Befristungsabrede iSv. § 14 Abs. 4 TzBfG hier dem Beklagten obliegt. Der Beklagte hat sich auf die Wirksamkeit der Befristung berufen. Die Formwirksamkeit der Befristungsabrede ist deshalb für ihn günstig. Nach dem Grundsatz, dass jede Partei die für sie günstigen Tatbestandsmerkmale beweisen muss (vgl. Kittner/Zwanziger/Deinert-Zwanziger 7. Aufl. § 147 Rn. 51, 133), hat der Beklagte zu beweisen, dass eine formwirksame Befristungsabrede vorliegt.

34

cc) Zu seiner Annahme, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis nicht geführt, ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen.

35

(1) Die freie richterliche Beweiswürdigung des Tatsachengerichts ist nur beschränkt revisibel. Die revisionsrechtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, dass sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt(BAG 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37). Der Angriff gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts bedarf einer Verfahrensrüge (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO; BAG 16. Januar 2008 - 7 AZR 603/06 - Rn. 20, BAGE 125, 248).

36

(2) Der Beklagte hat hier eine Verfahrensrüge erhoben, die sich als begründet erweist. Das Landesarbeitsgericht hat gegen § 286 ZPO verstoßen.

37

(a) Nach dieser Bestimmung hat das Gericht seine nach freier Überzeugung zu treffende Entscheidung, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist, nicht nur unter Berücksichtigung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme, sondern des gesamten Inhalts der Verhandlungen zu treffen.

38

(b) Das Landesarbeitsgericht hat fehlerhafterweise die von ihm selbst angeführten Punkte hinsichtlich der Widersprüchlichkeit des Vortrages der Klägerin seiner Entscheidung lediglich hinsichtlich der Frage zugrunde gelegt, ob die Klägerin das Vorhandensein einer bereits unterzeichneten Urkunde wirksam bestritten hat. Es hat sie jedoch nicht in die Tatsachenfeststellung miteinbezogen, ob tatsächlich eine solche Urkunde vorlag oder nicht, und insoweit allein auf das Ergebnis der Beweisaufnahme abgestellt. Das ist unzureichend (vgl. BGH 13. März 2012 - II ZR 50/09 - Rn. 16).

39

Zudem hat das Berufungsgericht nicht alle Widersprüche im Prozessverhalten der KIägerin berücksichtigt. Insbesondere hat es bei seiner Überzeugungsbildung nicht den Umstand gewürdigt, dass der spätere Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin jedenfalls nicht - wie von ihm in der ersten Berufungsverhandlung ua. zu Protokoll erklärt - auch wegen Fehlens des hier gegenständlichen Vertrages die Akteneinsicht beim Beklagten beantragt haben kann. Denn er hat bereits vor der Akteneinsicht aus dem von ihm so bezeichneten „Arbeitsvertrag vom 26.05.2009“ zitiert.

40

dd) Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landesarbeitsgericht bei rechtsfehlerfreier Gesamtwürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Daher ist durch Zurückverweisung dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zur Vornahme einer erneuten und vollständigen Gesamtwürdigung zu geben (§ 563 Abs. 1 ZPO; vgl. BAG 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 42). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist dabei aber nicht von einer Umkehr der Beweislast oder einem gegenüber dem normalen verringerten Beweismaß zugunsten des Beklagten auszugehen. Es wäre dem Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, ein beidseitig unterzeichnetes Exemplar des Arbeitsvertrages mit der Befristungsabrede auch für sich zu erstellen und zur Personalakte zu nehmen. Dass er dies nicht getan hat, führt nicht dazu, dass ihm im gerichtlichen Verfahren Erleichterungen zugutekommen. Zweifel, die bei einer vollständigen Würdigung des Parteivortrages verbleiben, gehen zu seinen Lasten. Ggf. wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob entsprechend dem Beweisantritt der Klägerin sachverständige Feststellungen über das Alter der bei ihr vorhandenen Unterlagen möglich sind und ob das für die Frage, ob ein beidseitig unterzeichnetes Exemplar des Arbeitsvertrages mit der Befristungsabrede erstellt wurde, aussagekräftig wäre.

41

II. Die Zurückverweisung ist nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO).

42

1. Aus ihrer unbefristeten Bestellung zur Oberärztin gemäß § 12 TV-Ärzte kann die Klägerin nichts herleiten.

43

Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich insoweit um eine nichttypische Willenserklärung handelt, kann der Senat als Revisionsgericht sie selbst auslegen. Das Landesarbeitsgericht hat keine Auslegung vorgenommen und eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht erforderlich (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 614/04 - Rn. 33, BAGE 116, 254).

44

Wie sich aus der in der Bestellung enthaltenen Verweisung auf § 12 TV-Ärzte ergibt, ging es in dem Schreiben allein darum, die Grundlagen für die Eingruppierung der Klägerin nach § 12 TV-Ärzte zugunsten der Klägerin rechtsverbindlich festzulegen. Denn § 12 TV-Ärzte setzt die nicht nur vorübergehende Übertragung medizinischer Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik voraus(vgl. BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - BAGE 132, 365). Genau eine solche Übertragung enthielt das Schreiben vom 26. Mai 2009. Die unbefristete Bestellung diente lediglich dazu klarzustellen, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende Übertragung im tariflichen Sinne handeln sollte.

45

2. Mit den Parteien kann davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen einer Befristung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG vorliegen. Bedenken sind insoweit nicht ersichtlich. Die Klägerin arbeitete an ihrer Habilitation und forschte deswegen. Damit gehörte sie zum wissenschaftlichen Personal nach § 1 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG. Die Ludwig-Maximilians-Universität München ist nach Landesrecht eine staatliche Hochschule (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayHSchG). Im Arbeitsvertrag war auch angegeben, dass die Befristung auf den Vorschriften des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beruhte (§ 2 Abs. 4 Satz 1 WissZeitVG).

46

III. Der Rechtsstreit ist auch nicht zugunsten des Beklagten entscheidungsreif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

47

1. Die Kündigung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 KSchG als wirksam. Die dreiwöchige Klagefrist nach § 17 Satz 1 TzBfG, die mit dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses beginnt, ist eingehalten. Das Arbeitsverhältnis sollte mit dem 28. Februar 2011 auslaufen. Die Klage ging am 21. März 2011 beim Arbeitsgericht ein und wurde dem Beklagten am 28. März 2011 - also „demnächst“ - zugestellt (§ 188 Abs. 2, § 187 Abs. 1 BGB; § 167 ZPO).

48

2. Der Beklagte kann auch nichts aus der von der Klägerin am 2. März 2011 unterzeichneten Erklärung herleiten.

49

a) Das ergibt sich entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass es sich bei dieser Erklärung um eine Wissens- und keine Willenserklärung gehandelt hat. Denn es liegt eine Willenserklärung vor. Die gegenteilige Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

50

aa) Bei dem von der Klägerin mit unterzeichnetem Text vom 2. März 2011 handelt es sich um atypische Erklärungen der Parteien. Die Auslegung solcher individueller Erklärungen ist vom Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 453/10 - Rn. 13 mwN). Diese Maßstäbe gelten auch, wenn es um die Frage geht, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt (BAG 4. Dezember 1986 - 2 AZR 33/86 - zu II 1 der Gründe).

51

bb) Auch diesem beschränkten Überprüfungsmaßstab wird die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts lässt wesentliche Tatsachen außer Acht. Es gab für die Parteien keinerlei Anlass, den völlig klaren Umstand, dass in dem die Befristung regelnden Dokument vom 26. Mai 2009 ein Ende des Arbeitsvertrages mit dem 28. Februar 2011 vorgesehen war, nochmals festzuhalten. Sinn der Vereinbarung durch die Parteien konnte deshalb nur sein, etwas rechtlich zu regeln. Da die Klägerin bereits die Unwirksamkeit ihrer Befristung geltend gemacht hatte, konnte es nur darum gehen, die Wirksamkeit dieser Befristung gemeinsam festzuhalten.

52

b) Ungeachtet der Unterzeichnung des Dokuments durch die Klägerin ist jedoch am 2. März 2011 zwischen den Parteien noch keine wirksame Vereinbarung zustande gekommen. Das ergibt sich aus § 154 Abs. 1 BGB.

53

aa) Nach dieser gesetzlichen Bestimmung ist im Zweifel ein Vertrag nicht geschlossen, solange nicht die Parteien sich über alle Punkte des Vertrages geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll (§ 154 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Verständigung über einzelne Punkte ist auch dann nicht bindend, wenn eine Aufzeichnung stattgefunden hat (§ 154 Abs. 1 Satz 2 BGB).

54

Maßgeblich dafür, was im Einzelfall Gegenstand einer einheitlichen Vereinbarung ist, ist wie bei jedem zusammengesetzten Rechtsgeschäft der Parteiwille. Es genügt, dass ein Vertragspartner erkennbar die Zusammengehörigkeit mehrerer Verhandlungspunkte gewollt hat (BGH 14. Oktober 1965 - II ZR 214/63 - zu 1 der Gründe). Die Regelung gilt daher auch, wenn das Ziel der Verhandlungen der Abschluss eines aus mehreren Teilen bestehenden einheitlichen Gesamtvertrages ist (MüKoBGB/Busche 6. Aufl. § 154 Rn. 4). Es reicht aus, wenn eine Partei bei den Vertragsverhandlungen durch schlüssiges Verhalten erkennbar gemacht hat, sie halte eine Einigung über den betreffenden, noch offenen Punkt für erforderlich (BGH 9. Mai 1990 - VIII ZR 222/89 - zu II 2 c dd der Gründe).

55

bb) Hier ergibt sich aus dem Ablauf der Verhandlungen, dass die Klägerin die Einigung über die Wirksamkeit ihrer Befristung von einer gleichzeitigen Einigung über den Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages abhängig machen wollte und insoweit ein einheitlicher Gesamtvertrag zustande kommen sollte. Der Beklagte hatte selbst die Abgabe seines Angebotes auf Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages davon abhängig gemacht, dass die Klägerin die Vereinbarung über die Wirksamkeit der letzten Befristung des Arbeitsvertrages unterzeichnete. Damit war ersichtlich ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen hergestellt. Ebenso musste für den Beklagten erkennbar sein, dass die Klägerin nicht auf alle ihre Rechte hinsichtlich der Unwirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsvertrages, die sie mit anwaltlicher Hilfe gerade geltend machte, verzichten wollte, wenn nicht zugleich auch eine von ihr als angemessen angesehene Regelung über ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis zustande kam. Die Annahme, die Klägerin wolle sich insoweit allein in die Hand des Beklagten begeben und ihre eigenen Interessen völlig vernachlässigen, liegt dagegen fern.

56

Dass die Vereinbarung über die gegenseitige Akzeptanz der Wirksamkeit der letzten Befristung bereits unterzeichnet war, ist unerheblich.

57

cc) Der Senat ist als Revisionsgericht befugt, diese Umstände selbständig zu würdigen. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarung der Parteien fehlerhaft ausgelegt. Weitere Sachverhaltsaufklärungen über die Umstände der Vereinbarung stehen nicht zu erwarten (vgl. BAG 26. April 1985 - 7 AZR 78/83 -).

58

dd) Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob in der Vereinbarung vom 2. März 2011 ein bestätigendes Schuldanerkenntnis zu sehen ist, das einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht standhält, weil mit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung für sich genommen keine Gegenleistung verbunden war(vgl. zur Inhaltskontrolle bestätigender Schuldanerkenntnisse nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen BAG 15. März 2005 - 9 AZR 502/03 - zu II 2 c bb (3) der Gründe, BAGE 114, 97). Das würde die Anwendbarkeit dieser Bestimmung nach § 310 Abs. 3 BGB voraussetzen. Hierzu müsste angenommen werden, dass der Beklagte als „Unternehmer“ iSv. § 14 BGB anzusehen wäre. Dem stünde das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht des Beklagten nicht entgegen (dazu BGH 29. März 2006 - VIII ZR 173/05 - Rn. 16, BGHZ 167, 40). Allenfalls könnte angeführt werden, dass es sich beim Beklagten um einen öffentlichen Arbeitgeber handelt.

59

IV. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

        

    Linsenmaier    

        

    M. Rennpferdt    

        

    Zwanziger    

        

        

        

    Deinert    

        

    Willms    

                 

Tenor

Datum: 05.11.2015

1 Ca 1003/14 Arbeitsgericht Würzburg

Titel:

Rechtsvorschriften:

Leitsatz:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 10.12.2014, Aktenzeichen 1 Ca 1003/14, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger weiterhin ein Anspruch auf Bezahlung der von ihm in Anspruch genommenen Raucherpausen zusteht.

Der Kläger ist im Betrieb der Beklagten in G. seit 01.03.2012 als Lagerarbeiter, zuletzt mit einer monatlichen Bruttovergütung von 1.979,- € beschäftigt.

Bereits seit vielen Jahren hatte sich im Betrieb der Beklagten in G. eingebürgert, dass die Beschäftigten zum Rauchen ihren Arbeitsplatz verlassen, ohne am Zeiterfassungsgerät ein- bzw. auszustempeln. Dementsprechend wurde für diese Raucherpausen auch kein Lohnabzug vorgenommen.

Unter dem 20.12.2006 erließ die Beklagte eine Betriebsanweisung „an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Leergutabteilung“. Darin heißt es:

Im Sinne der Gesundheitsreform (Nichtraucherschutzgesetz) ist der Arbeitgeber verpflichtet, Nichtraucher vor Rauchern zu schützen.

Daher ist ab sofort das Rauchen in den Pausen und generell während der Arbeitszeit im Aufenthaltsraum sowie in den Toiletten und im gesamten Hallenbereich verboten!

Für die Raucher wurde eine Raucherinsel am Haupteingang in der Nähe der Stechuhr geschaffen. Nur an diesem Platz ist Rauchen erlaubt.

Am 25.07.2007 erließ die Beklagte eine weitere Betriebsanweisung. Dort ist u. a. ausgeführt:

Aus gegebenem Anlass weisen wir darauf hin, dass das Rauchen nur an den ausgewiesenen Raucherinseln erlaubt ist.

Es ist verboten

- auf den vorhandenen Rampen (diese gehören zum Lagerbereich)

- innerhalb des gesamten Lagerbereiches (speziell frühere Bananenreiferei)

- während der Arbeitszeiten in den Sozialräumen und Toiletten

zu rauchen.

Am 04.12.2012 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung über das Rauchen im Betrieb (künftig BV-Rauchen). In der Präambel heißt es:

Der Arbeitgeber hat gemäß § 5 ArbStättV die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind.

Die folgende Regelung hat die Aufgabe, die gesundheitlichen Gefährdungen durch Tabakrauch am Arbeitsplatz zu vermeiden und zum anderen rauchenden Beschäftigten weiterhin die Möglichkeit zu geben, zu rauchen, wenn dadurch die Interessen der Nichtraucher nicht beeinträchtigt werden.

Zudem soll eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiter durch die nachfolgenden Regelungen gewährleistet werden.

Ziffer 2. Absatz 2 der BV-Rauchen lautet:

Rauchen ist nur in den speziell ausgewiesenen Raucherzonen, die in der Anlage vermerkt sind, erlaubt.

Ziffer 3. der BV-Rauchen lautet:

„Rauchpausen“

Beim Entfernen vom Arbeitsplatz zum Rauchen sind die nächstgelegenen Zeiterfassungsgeräte gem. Anlage zum Ein- und Ausstempeln zu benutzen.

Rauchen ist während der normalen Pausen und ansonsten erlaubt, solange wie bisher betriebliche Belange nicht beeinträchtigt werden.

Die BV-Rauchen trat zum 01.01.2013 in Kraft.

Für den Monat Januar 2013 wurden dem Kläger 19 Minuten für Raucherpausen von der Arbeitszeit abgezogen und nicht vergütet. Der Kläger errechnet insoweit einen „Fehlbetrag“ in Höhe von 3,75 € brutto. Für den Monat Februar wurden dem Kläger 104 Minuten („Fehlbetrag“: 20,54 € brutto) und für März 39 Minuten („Fehlbetrag“: 7,70 € brutto) für Raucherpausen abgezogen.

Der Kläger erhob am 11.07.2014 die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Würzburg, mit der er restliche Vergütung für die Monate Januar bis März 2013 verlangt.

Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der Antragstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts verwiesen (Blatt 142-145 der Akten).

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 10.12.2014 abgewiesen. Eine Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch sei nicht erkennbar. Insbesondere lägen die Voraussetzungen für eine betriebliche Übung nicht vor. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass künftig keine Lohnabzüge wegen der Inanspruchnahme einer Raucherpause vorgenommen würden. Nach dem Vorbringen des Klägers hielten die Arbeitnehmer die Arbeitsleistung pro Tag durchschnittlich 60-80 Minuten zurück. Dass dies sanktionslos erfolgt sei, ändere nichts daran, dass die Inanspruchnahme der Raucherpausen eigenmächtig geschehen sei und eine Verletzung der Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis darstelle. Hinzu komme, dass die Gewährung bezahlter Pausen bei Rauchern sich gegenüber Nichtrauchern des gleichen Betriebes als Ungleichbehandlung darstelle. Ein schützenswertes Vertrauen dahingehend, dass der bisherige gleichheitswidrige Zustand beibehalten werde, habe nicht entstehen können.

Gegen dieses den Klägervertretern am 22.01.2015 zugestellte Urteil legten diese mit Schriftsatz vom 23.02.2015, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tage Berufung ein und begründeten diese mit Schriftsatz vom 23.04.2015, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tage eingegangen. Die Berufungsbegründungsfrist war bis zum 23.04.2015 verlängert worden.

Unter weiterer Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags hält der Kläger seine Ansicht aufrecht, dass ihm ein Anspruch auf Bezahlung der Raucherpausen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung zustehe. Aus dem Verhalten der Beklagten habe er schließen können, dass die Raucherpausen auch zukünftig weiter bezahlt würden. Bislang seien zu keinem Zeitpunkt Lohnabzüge wegen Raucherpausen vorgenommen worden. Über Jahre hinweg sei die Handhabung der Raucherpausen im Umfang von durchschnittlich 60-80 Minuten pro Arbeitnehmer und Tag durch Fortzahlung der Vergütung gebilligt worden. Durch die ab 01.01.2013 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung sei der arbeitsvertragliche Anspruch aus betrieblicher Übung nicht wirksam abgeändert worden. Die Betriebsvereinbarung regle lediglich die Pflicht der Arbeitnehmer, die örtlichen Zeiterfassungsgeräte zu nutzen. Die Frage nach einer Entgeltzahlungspflicht für diesen Zeitraum sei davon nicht betroffen. Mit den Raucherpausen verletze der Kläger auch seine Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht. Unter Ziff. 3 der Betriebsvereinbarungen heiße es: „Rauchen ist während der normalen Pausen und ansonsten erlaubt, solange wie bisher betriebliche Belange nicht beeinträchtigt werden.“ Es entspreche daher der betriebsüblichen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses, dass die Arbeitnehmer Raucherpausen nehmen dürften. Erstmalig auf Grundlage der Betriebsvereinbarung sei eine Regelung darüber getroffen worden, dass ausschließlich Raucher bei einem Antritt ihrer Pausen ausstempeln mussten. Eine entsprechende Zeiterfassung für andere Arbeitnehmer habe im Betrieb der Beklagten gerade nicht stattgefunden. Eine Diskriminierung sei daher gerade im Hinblick auf die Raucher gegeben und nicht umgekehrt.

Der Kläger stellt in der Berufungsinstanz daher folgende Anträge:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 10.12.2015, Az. 1 Ca 1003/14 wird abgeändert und

a. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3,75 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2013 zu zahlen.

b. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 20,54 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2013 zu zahlen.

c. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 7,70 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2013 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte verteidigt das Ersturteil und hält einen Anspruch nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung für nicht gegeben. Es liege schon kein gleichförmiges Verhalten der Beklagten vor. Die Argumentation des Klägers laufe darauf hinaus, dass die Beklagte durch ihr Verhalten pauschal angeboten habe, sämtliche Raucherpausen zu vergüten. Eine irgendwie geartete Einschränkung werde nicht gegeben. Für die Beklagte sei aber weder überschaubar noch beeinflussbar gewesen, in welchem Umfang Raucherpausen genommen werden würden. Dies zeige sich an den Ausführungen des Klägers und der unterschiedlichen Höhe der von ihm geforderten monatlichen Vergütung. Um in einer solchen Konstellation von der Entstehung eine betrieblichen Übung ausgehen zu können, wären weitere Begleitumstände erforderlich gewesen, aus denen darauf geschlossen hätte werden können, dass die Beklagte sich rechtsgeschäftlich habe binden wollen. Bis zur Vereinbarung der Betriebsvereinbarung habe die Beklagte keine Kenntnis bezüglich der exakten Pausenlänge gehabt. Erst mit deren Abschluss seien die Arbeitnehmer überhaupt verpflichtet worden, die Raucherpausen zeitlich zu erfassen. Ab diesem Zeitpunkt seien dann auch keine Raucherpausen mehr vergütet worden. Es stelle sich die Frage, warum dem Kläger die Vergütung weiterhin gezahlt werden sollte, wenn er einseitig aus eigenem Antrieb die ihm obliegende Hauptleistungspflicht nicht erbringe. Es sei nicht nachvollziehbar warum für Raucherpausen im Gegensatz zu sonstigen Pausen eine Privilegierung erfolgen solle. Die Argumentation des Klägers zum Gleichbehandlungsgrundsatz könne nicht nachvollzogen werden. Er verkenne, dass die Raucher nur ihre Raucherpausen erfassen müssten. Die üblichen Pausen müssten sie genauso wenig wie die übrigen Arbeitnehmer erfassen. Dass eine entsprechende Zeiterfassung für andere Arbeitnehmer nicht stattfinde, liege daran, dass diese Arbeitnehmer nur die betriebsübliche - zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgestimmte und damit festgelegte - Pause wahrnehmen würden und keine „Extra Pausen“ - wie die Raucher. Diese Arbeitnehmer verließen nicht aus eigenem Antrieb einfach den Arbeitsplatz für einige Minuten und kehrten später wieder zurück. Selbst ohne die Vergütung der Pausen würden rauchende Arbeitnehmer privilegiert, da diese die einzigen Arbeitnehmer seien, die eigenmächtig ihre Arbeit unterbrechen könnten, um Rauchen zu gehen. Mit seinem Begehren, Raucherpausen vergütet zu erhalten, strebe der Kläger im Hinblick auf andere Arbeitnehmer eine Besserstellung an. Während die nichtrauchenden Arbeitskolleginnen und Kollegen den Tariflohn für die tarifvertraglich geschuldete Tagesarbeitszeit erhielten, arbeite der Kläger deutlich weniger, teilweise 1 Stunde weniger am Tag. Er beanspruche allerdings den gleichen Lohn, obwohl er im Schnitt mehr als 10% weniger arbeite als seine nicht rauchenden Kolleginnen und Kollegen. Hochgerechnet auf das Jahr führte dies dazu, dass der Kläger mehr als einen Monat weniger arbeite, als nicht rauchende Kolleginnen und Kollegen, allerdings den gleichen Lohn erhalte.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 23.04.2015 (Blatt 196 - 200 der Akten) und auf den Schriftsatz der Beklagten vom 27.05.2015 (Blatt 209 -214 der Akten) verwiesen.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Bezahlung der von ihm genommenen so genannten Raucherpausen hat. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung.

A. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.

B. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die erkennende Kammer folgt der Begründung des Erstgerichts und macht sich dessen Ausführungen zu Eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat in einem gleichgelagerten Fall (Az. 2 Sa 132/15) die Berufungszurückweisung wie folgt begründet:

I. Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass vorrangige gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Anspruchsgrundlagen, die das Begehren des Klägers auf Fortzahlung der Bezüge in den von ihm genommenen Raucherpausen, nicht vorhanden sind und daher als Anspruchsgrundlage lediglich eine betriebliche Übung denkbar ist. Dies sehen auch die Parteien so.

II. Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmer einer bestimmten Gruppe schließen können, ihnen soll eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf die üblich gewordenen Leistungen. Eine betriebliche Übung ist für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden kann. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers. Es ist vielmehr maßgeblich, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen durfte. Eine betriebliche Übung kann auch durch Duldung des Arbeitgebers entstehen (ständige Rspr, vgl. z. B. BAG 19.03.2014 - 5 AZR 954/12 m. w. N.; BAG 11.04.2006 - 9 AZR 500/05).

III. Unter den gegebenen Umständen konnte der Kläger - wie auch die anderen bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter - aus dem Verhalten der Beklagten nicht auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten schließen, auch über den 01.01.2013 hinaus Raucherpausen unter Fortzahlung der Vergütung zu gewähren. Dies folgt aus mehreren Umständen, die auch für den Kläger erkennbar waren.

1. Es liegt schon keine regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen vor. Die Beklagte hat sich nicht gleichförmig verhalten (vgl. BAG 11.11.2014 - 3 AZR 849/11, Rn. 53 m. w. N.). Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass die Beklagte bis zum 31.12.2012 einen Lohnabzug für die Raucherpausen nicht vorgenommen hat. Dies geschah jedoch unabhängig von der jeweiligen Häufigkeit und Länge der Pausen. Dies ist bereits aus dem Klägervortrag ersichtlich mit den deutlich unterschiedlichen Lohneinbehalten und den damit zusammenhängenden sehr unterschiedlichen Raucherpausen für Januar bis März 2013. Auch insgesamt gibt der Kläger lediglich einen Durchschnittswert an von 60-80 Minuten pro Tag und Mitarbeiter. Damit hat jeder Mitarbeiter jeden Tag unterschiedlich von der Fortzahlung des Entgelts für Raucherpausen profitiert. Eine gleichförmige Gewährung bezahlter Raucherpausen mit bestimmter Dauer ist damit gerade nicht verbunden.

2. Bis zum Inkrafttreten der BV-Rauchen wurden die Raucherpausen nicht erfasst. Die Mitarbeiter mussten sich bis dahin nicht im Zeiterfassungssystem aus -bzw. einstempeln. Den Mitarbeitern - wie auch dem Kläger - war daher bekannt, dass die Beklagte keinen genauen Überblick über Häufigkeit und Dauer der von den einzelnen Mitarbeitern genommenen Raucherpausen hatte und daher Einwendungen gegen Dauer und Häufigkeit nur schwer erheben bzw. bei einem Lohneinbehalt kaum würde nachweisen können. Hat der Arbeitgeber von einer betrieblichen Handhabung aber keine ausreichende Kenntnis und ist dies den Arbeitnehmern erkennbar, fehlt es schon an einem hinreichend bestimmten Angebot einer Leistung durch den Arbeitgeber (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Aufl., 2013, § 110, Rn. 11). Die Situation ist ähnlich wie bei der privaten Nutzung der betrieblichen Telefonanlagen, des E-Mail-Servers oder des Internets. Der Kläger konnte daher gerade nicht davon ausgehen, die Beklagte werde ihm seine Raucherpausen „wie bisher“ weiterhin unter Fortzahlung der Vergütung gestatten. Dies gilt insbesondere, wenn eine bestimmte Handhabung nur vom Arbeitgeber geduldet wird (Schaub, a. a. O.).

3. Auch angesichts des Umfangs der Raucherpausen von 60 - 80 min. täglich konnte kein Mitarbeiter - auch nicht der Kläger - darauf vertrauen, dass hierfür weiterhin Entgelt geleistet wird. Je mehr die vom Arbeitgeber gewährte Vergünstigung als Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Leistung anzusehen ist, desto mehr spricht dies dafür, dass die Arbeitnehmer auf die Weitergewährung der Leistung vertrauen können (vgl. Schaub, a. a. O., Bepler, RdA 2004, 226, 237). Die Bezahlung der Raucherpausen steht jedoch in keinem Zusammenhang mit der Arbeitsleistung. Im Gegenteil: Nach Auffassung des Klägers soll die Nichtarbeit bezahlt werden. Ohne sonstige gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Rechtsgrundlage (etwa im Falle der Krankheit oder des Urlaubs) bedarf es aber ganz besonderer Anhaltspunkte, dass die Arbeitnehmer darauf vertrauen dürfen, vom Arbeitgeber ohne jede Gegenleistung bezahlt zu werden. Dies gilt erst recht, wenn - wie vorliegend - die Arbeitnehmer selbst über Häufigkeit und Dauer der Pausen bestimmen dürfen, soweit betriebliche Belange nicht entgegenstehen. Selbst die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen sind ohne sonstige Rechtsgrundlage unbezahlte Pausen.

Solche besonderen Anhaltspunkte liegen nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte die Leistungen eingestellt, als sie über das Zeiterfassungssystem vom Ausmaß der Raucherpausen sichere Kenntnis erhalten hat.

Dabei ist unerheblich, dass nach der BV-Rauchen die Raucherpausen auch weiterhin gestattet sind, so dass das Entfernen vom Arbeitsplatz zum Zwecke des Rauchens im streitgegenständlichen Zeitraum keine Verletzung der Hauptpflichten darstellt, soweit betriebliche Belange nicht beeinträchtigt werden. Jedenfalls vor In-Kraft-Treten der BV-Rauchen stellte die Entfernung vom Arbeitsplatz zum Zwecke des Rauchens jedenfalls in dem vom Kläger geschilderten Umfang eine Verletzung der Hauptleistungspflichten dar, von deren Duldung der Kläger wegen des Umfangs gerade nicht ausgehen durfte, soweit dies während der Arbeitszeit geschah. Ein Arbeitnehmer kann grundsätzlich nicht annehmen, dass der Arbeitgeber ohne genaue Kenntnis über Umfang und Dauer der Raucherpausen täglich auf durchschnittlich 60 - 80 min. Arbeitsleistung verzichtet, gleichzeitig die Entscheidung über Häufigkeit und Dauer der Pausen den Arbeitnehmern überlässt und sich für die Zukunft auch noch entsprechend binden will. So hat das BAG zur privaten Nutzung des Internets während der Arbeitszeit ausdrücklich entschieden, dass selbst eine Gestattung oder Duldung durch den Arbeitgeber sich ohne weitere Erklärungen auf eine private Nutzung im normalen bzw. zeitlich angemessenen Umfang erstreckt und dies bei einer Nutzung an zwei Tagen von jeweils etwas mehr als einer Stunde während der Arbeitszeit als erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten angesehen (BAG 07.07.2005 - 2 AZR 581/04, Rn. 30) wird.

4. Gegen das Entstehen einer betrieblichen Übung spricht auch, dass es sich bei der Bezahlung der Raucherpausen nicht um materielle Zuwendungen handelt, die die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmer verbessern. Vielmehr erhalten die Raucher lediglich mehr freie Zeit. Bei der Gewährung zusätzlicher freier Tage oder Stunden aus besonderem Anlass ist für die Annahme einer betrieblichen Übung jedoch Zurückhaltung geboten (BAG 17.09.1970 - 5 AZR 539/69).

5. Ein Vertrauen der Raucher auf Beibehaltung der Bezahlung der Raucherpausen konnte auch deshalb nicht entstehen, da dies offensichtlich zu einer Ungleichbehandlung mit den Nichtrauchern führte. Diese müssen für das gleiche Geld, nämlich die tarifgerechte Bezahlung, im Schnitt über 10% mehr Arbeitsleistung erbringen als die Raucher. Dies ist auch den rauchenden Mitarbeitern ohne weiteres erkennbar. Dass die Raucher für ihre Raucherpausen ausstempeln müssen, die Nichtraucher für ihre Pausen aber nicht, liegt nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten daran, dass sich nur die Raucher während der Arbeitszeit nach ihrem Gutdünken vom Arbeitsplatz zur Raucherpause entfernen dürfen, während die Nichtraucher nur ihre unbezahlten Pausen in Anspruch nehmen.

6. Letztlich ist allgemein bekannt, dass Rauchen der Gesundheit abträglich ist. Den Arbeitgeber trifft eine Verpflichtung, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen, und auch präventiv Gesundheitsgefahren vorzubeugen. Auch der Betriebsrat hat die Aufgabe des Gesundheitsschutzes für die Mitarbeiter (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Dem dient u. a. die BV-Rauchen, die im Rahmen des § 5 ArbStättV einen Ausgleich der Belange der Raucher mit den Belangen der Nichtraucher anstrebt. Mit einer Bezahlung der Raucherpausen würde der Arbeitgeber aber gerade nicht im Sinne des Gesundheitsschutzes tätig werden. Im Gegenteil: Er würde Anreize setzen, die Gesundheit der Mitarbeiter zu gefährden und das Risiko von krankheitsbedingten Ausfällen zu erhöhen. Auch aus diesem Grund konnten die Arbeitnehmer und insbesondere auch der Kläger als stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats auf die Fortsetzung der Bezahlung der Raucherpausen durch die Beklagte nicht vertrauen.

7. Das Gericht ist der Auffassung, dass bereits aus jedem einzelnen der unter 1. - 6. genannten Argumente folgt, dass eine betriebliche Übung auf Fortzahlung des Entgelts während der Raucherpausen im Betrieb der Beklagten in Gochsheim nicht entstanden ist. Dies gilt erst recht in der Zusammenschau der genannten Punkte.

Die erkennende Kammer folgt dieser Begründung ausdrücklich und macht sich die Argumentation zu Eigen. Weitere Ausführungen waren nicht veranlasst.

IV. Die Berufung war zurückzuweisen.

C. Der Kläger hat als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Tenor

Datum: 21.07.2015

10 Ca 995/14 (Arbeitsgericht Würzburg)

Rechtsvorschriften:

Leitsatz:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 03.03.2015 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Vergütung von Raucherpausen.

Der Kläger ist seit 01.01.1980 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist als Lagerleiter TS tätig. Das monatliche Gehalt beträgt 2.983,00 € brutto. Der Kläger ist Raucher.

Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Unter dem 20.12.2006 erließ die Beklagte eine Betriebsanweisung „an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Leergutabteilung“. Darin heißt es:

Im Sinne der Gesundheitsreform (Nichtraucherschutzgesetz) ist der Arbeitgeber verpflichtet, Nichtraucher vor Rauchern zu schützen.

Daher ist ab sofort das Rauchen in den Pausen und generell während der Arbeitszeit im Aufenthaltsraum sowie in den Toiletten und im gesamten Hallenbereich verboten!

Für die Raucher wurde eine Raucherinsel am Haupteingang in der Nähe der Stechuhr geschaffen. Nur an diesem Platz ist Rauchen erlaubt.

Am 25.07.2007 erließ die Beklagte eine weitere Betriebsanweisung. Dort ist u. a. ausgeführt:

Aus gegebenem Anlass weisen wir darauf hin, dass das Rauchen nur an den ausgewiesenen Raucherinseln erlaubt ist.

Es ist verboten

- auf den vorhandenen Rampen (diese gehören zum Lagerbereich),

- innerhalb des gesamten Lagerbereiches (speziell frühere Bananenreiferei)

- während der Arbeitszeiten in den Sozialräumen und Toiletten

zu rauchen.

Am 04.12.2012 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung über das Rauchen im Betrieb. In der Präambel heißt es:

Der Arbeitgeber hat gemäß § 5 ArbStättV die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind.

Die folgende Regelung hat die Aufgabe, die gesundheitlichen Gefährdungen durch Tabakrauch am Arbeitsplatz zu vermeiden und zum anderen rauchenden Beschäftigten weiterhin die Möglichkeit zu geben, zu rauchen, wenn dadurch die Interessen der Nichtraucher nicht beeinträchtigt werden.

Zudem soll eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiter durch die nachfolgenden Regelungen gewährleistet werden.

Ziffer 2. Absatz 2 der Betriebsvereinbarung lautet:

Rauchen ist nur in den speziell ausgewiesenen Raucherzonen, die in der Anlage vermerkt sind, erlaubt.

Ziffer 3. der Betriebsvereinbarung lautet:

„Rauchpausen“

Beim Entfernen vom Arbeitsplatz zum Rauchen sind die nächstgelegenen Zeiterfassungsgeräte gem. Anlage zum Ein- und Ausstempeln zu benutzen.

Rauchen ist während der normalen Pausen und ansonsten erlaubt, solange wie bisher betriebliche Belange nicht beeinträchtigt werden.

Die Betriebsvereinbarung trat zum 01.01.2013 in Kraft.

Die Beklagte zog dem Kläger für Januar 2013 111 Minuten für Raucherpausen ab und vergütete sie nicht. Für Februar 2013 erfolgte ein Abzug für 251 Minuten und für März 2013 für 253 Minuten.

Der Kläger erhob am 11.07.2014 die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Würzburg, mit der er restliche Vergütung für die Monate Januar bis März 2013 verlangt.

Das Arbeitsgericht Würzburg wies die Klage mit Urteil vom 03.03.2015 ab, setzte den Streitwert auf 183,09 € fest und ließ die Berufung zu.

Das Urteil wurde dem Kläger am 09.03.2015 zugestellt.

Der Kläger legte gegen das Urteil am 09.04.2014 Berufung ein und begründete sie am 29.04.2015.

Der Kläger macht geltend, der Anspruch auf Vergütung der Raucherpausen ergebe sich unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung. Die Beklagte habe seit Anfang der 70er Jahre ein wiederholtes und gleichförmiges Verhalten gezeigt, aus dem die Arbeitnehmer und somit auch er, der, Kläger, hätten schließen können, ein entsprechendes rechtsbegründetes Verhalten der Beklagten werde auch in Zukunft stattfinden. Hinsichtlich der Art der Leistung habe es sich um die Bezahlung von innerhalb der Arbeitszeit genommenen Raucherpausen gehandelt. Die Dauer der Pausen sei mit vier bis zehn Minuten ausreichend konkret. Der Durchschnittswert eines rauchenden Arbeitnehmers betrage 60 bis 80 Minuten pro Tag. Der Beklagten sei über einen langen Zeitraum bekannt gewesen, dass die Arbeitnehmer während der Arbeitszeit Raucherpausen machten. Sie habe damit die Handhabung der Raucherpausen konkludent angeboten. Über Jahrzehnte hinweg sei es üblich gewesen, dass Raucherpausen hätten genommen werden können, ohne dass sie von der Arbeitszeit hätten abgezogen werden müssen. Das Verhalten der Beklagten habe bei der betroffenen Arbeitnehmergruppe das Vertrauen darauf begründet, dass auch in Zukunft entsprechend verfahren werde.

Der Kläger führt aus, die Regelung in der Betriebsvereinbarung, dass ausschließlich Raucher beim Antritt ihrer Pause ausstempeln müssten, stelle eine Diskriminierung der Raucher dar.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 10.12.2014, Az. 1 Ca 1003/14 wird abgeändert und

a) die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 33,05 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2013 zu zahlen.

b) die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 74,72 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit de 01.03.2013 zu zahlen.

c) die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 75,32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2013 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, es bestehe keine Anspruchsgrundlage für die erhobene Forderung. Eine betriebliche Übung sei nicht begründet worden. Es liege bereits kein gleichförmiges Verhalten vor. Für sie, die Beklagte, sei weder überschaubar noch beeinflussbar gewesen, in welchem Umfang Raucherpausen genommen würden.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und 2 a) ArbGG, sowie formgerecht eingelegt worden, § 66 Absatz 1 ArbGG.

Die Berufung ist unbegründet.

Wie das Erstgericht zu Recht entschieden hat, hat der Kläger keinen Anspruch auf die Vergütung der Raucherpausen in den Monaten Januar bis März 2013, §§ 611, 612, 614, 151 BGB.

Eine Anspruchsgrundlage hierfür ist nicht gegeben.

Da der Kläger in den streitgegenständlichen Zeiträumen unstreitig nicht gearbeitet hat und kein gesetzlicher Tatbestand vorliegt, aufgrund dessen die Beklagte gleichwohl verpflichtet wäre, Vergütung zu zahlen, kann der geltend gemachte Anspruch nur bestehen, wenn sich die Beklagte hierzu vertraglich verpflichtet hat, insbesondere wenn aufgrund einer entsprechenden betrieblichen Übung ein vertraglicher Anspruch entstanden ist. Dies ist nicht der Fall.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, ist unter einer betrieblichen Übung ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers zu verstehen, das geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung oder sonstige Vergünstigung zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen dürfen, ihnen werde die Leistung oder Vergünstigung auch künftig gewährt. Dem Verhalten des Arbeitgebers wird eine konkludente Willenserklärung entnommen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Vergünstigungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 BGB und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften (Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 11.11.2014 - 3 AZR 849/11; juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt das erkennende Gericht wie das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass eine betriebliche Übung nicht vorliegt.

Es ist bereits fraglich, ob eine gleichförmige Leistung im oben dargestellten Sinne vorliegt.

Das „Verhalten“ der Beklagten bestand zum einen darin, dass sie in der Vergangenheit darauf verzichtete, bei den Rauchern unter den Arbeitnehmern die Zeiten zu erfassen, in denen sie sich nicht am Arbeitsplatz befanden, sondern diesen verließen, um zu rauchen. Zum anderen führte die fehlende Zeiterfassung dazu, dass die selbst genommenen Pausen (weiterhin) vergütet wurden. Dies stellt im Ergebnis zwar eine Leistung an die betreffenden Arbeitnehmer dar. Unter „Leistung“ ist jedes Verhalten zu verstehen, das dazu führt, dass das Vermögen eines anderen vermehrt wird. Die Gleichförmigkeit einer Leistung setzt indes voraus, dass zumindest ein entsprechendes Bewusstsein beim Arbeitgeber über die Höhe der gewährten Zuwendungen vorhanden ist. Das Institut der betrieblichen Übung ersetzt lediglich den Rechtsbindungswillen des Arbeitgebers, nicht den Leistungswillen.

Vorliegend ist ein Wille, gerichtet auf eine bestimmte Leistung, nicht erkennbar. Da eine zeitliche Erfassung der Raucherpausen nicht erfolgte, war die Beklagte nicht in der Lage, festzustellen, wem sie wann welche Leistungen zukommen ließ.

Auch wenn ein entsprechender Leistungswille angenommen wird, kann von einer betrieblichen Übung nicht ausgegangen werden.

Der Kläger konnte gemäß § 242 BGB unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nach den gesamten Umständen nicht darauf vertrauen, die Beklagte werde es auch in Zukunft dabei belassen, die selbst genommenen Raucherpausen weiterhin nicht zu erfassen und zu bezahlen.

Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass der Arbeitgeber lediglich verpflichtet ist, Lohn für geleistete Arbeit zu zahlen. Selbst verursachte Arbeitsunterbrechungen führen daher unbeschadet der Regelung des § 616 BGB dazu, dass Vergütungsansprüche nicht entstehen. Zahlt - wie im hier gegebenen Fall - der Arbeitgeber ein monatliches Gehalt, muss er, will er einen Lohnabzug vornehmen, im Streitfall die Einrede des nicht erfüllten Vertrags erheben (§ 320 BGB). Hierzu muss er darlegen und unter Beweis stellen, dass der Arbeitnehmer zu bestimmten Zeiten nicht gearbeitet hat. Es war für den Kläger und seine ebenfalls rauchenden Kollegen ohne weiteres feststellbar, dass die Beklagte die Pausenzeiten nicht erfasste und daher ein Lohnabzug nicht durchführbar war. Daraus ergibt sich bei redlicher Betrachtungsweise gleichzeitig, dass die Raucher objektiv dadurch privilegiert waren, dass sie die Raucherpausenzeiten vergütet erhielten. Da selbst die gesetzlichen Ruhepausen grundsätzlich nicht zu vergüten sind und auch bei der Beklagten nicht bezahlt werden, war die Erkenntnis zwingend, dass die Raucher Leistungen, auf die sie keinen Anspruch hatten, nur deshalb erhielten, weil der Arbeitgeber wegen der fehlenden Zeiterfassung daran gehindert war, entsprechende Einwendungen zu erheben. Darauf, dass dies in Zukunft so bleiben würde, konnten die betroffenen Arbeitnehmer bei vernünftiger Betrachtungsweise nicht vertrauen.

Ein Anspruch auf Bezahlung der Raucherpausen aufgrund betrieblicher Übung ist daher nicht entstanden.

Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung.

Dass die Raucherpausen nunmehr zeitlich erfasst werden, stellt insbesondere keine Diskriminierung der Raucher dar.

Der Kläger rügt insoweit, bei den anderen Arbeitnehmern finde eine entsprechende Zeiterfassung nicht statt. Es ist bereits nicht klar, was der Kläger mit „entsprechender“ Zeiterfassung meint. Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Beklagten werden die Ruhepausen nicht erfasst, da die Arbeitnehmer die betriebsüblichen, mit dem Betriebsrat abgestimmten Pausen wahrnehmen. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, welche unregelmäßigen und selbst genommenen Pausen die Nichtraucher unter den Arbeitnehmern in Anspruch nehmen, ohne dass sie zeitlich erfasst werden müssen.

Da der erhobene Anspruch nicht besteht, bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Absatz 2 Ziffer 1 ArbGG.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Mai 2009 - 18 TaBV 6/08 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Mitglieder des Betriebsrats verpflichtet sind, sich ab- und zurückzumelden, wenn sie an ihren Arbeitsplätzen Betriebsratstätigkeit versehen.

2

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin ist ein Unternehmen für automobile Marktforschung mit etwa 220 Arbeitnehmern. Der zu 1. beteiligte Antragsteller ist der in ihrem Betrieb gewählte Betriebsrat. Er besteht aus neun Mitgliedern, die überwiegend im Bereich Informationstechnologie, zum Teil auch in der Datenerfassung und der Telefonzentrale beschäftigt sind.

3

Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 mit, seine Mitglieder hätten sich bei der Ausübung jeder Betriebsratstätigkeit bei ihrem Vorgesetzten ab- und zurückzumelden.

4

Der Betriebsrat hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren die Auffassung vertreten, es bestehe keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Betriebsratsmitglieds, sich beim Arbeitgeber ab- und zurückzumelden, wenn Betriebsratstätigkeit verrichtet werde. Die Rechtsstellung des Betriebsratsmitglieds bestimme sich allein betriebsverfassungsrechtlich. Das Betriebsverfassungsgesetz begründe für die Befreiung von der Arbeitspflicht - anders als § 37 Abs. 6 BetrVG für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen - keine Ab- und Anmeldepflicht. Dem Betriebsratsmitglied obliege es lediglich nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG, darüber zu entscheiden, ob die betrieblichen Belange es erforderten, den Arbeitgeber über die anstehende Betriebsratstätigkeit zu informieren. Das gelte auch dann, wenn das Betriebsratsmitglied den Arbeitsplatz nicht verlasse. Aus § 37 Abs. 2 BetrVG folge nur die Verpflichtung, dem Arbeitgeber nachträglich den zeitlichen Umfang der Betriebsratstätigkeit mitzuteilen. Da nur eine betriebsverfassungsrechtliche Obliegenheit und keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht bestehe, könne der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied auch nicht aufgrund von § 106 Satz 1 GewO anweisen, sich ab- und zurückzumelden.

5

Der Betriebsrat hat vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass seine Mitglieder nicht verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz an- und abzumelden;

        

hilfsweise

        

festzustellen, dass seine Mitglieder nicht verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz an- und abzumelden, wenn dem Betriebsratsmitglied im Einzelfall eine Umorganisation der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit bei gewissenhafter Prüfung nicht erforderlich erscheint.

6

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat gemeint, die Betriebsratsmitglieder müssten sich aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflicht ab- und zurückmelden, wenn sie Betriebsratstätigkeiten ausübten. Der Arbeitgeber müsse darüber informiert werden, dass die Arbeit beendet werde, um den Arbeitsablauf umorganisieren und auf die Betriebsratstätigkeit Rücksicht nehmen zu können. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG betreffe ausschließlich das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Betriebsratsmitglied, wenn es betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrnehme. Für das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitglieds mit dem Arbeitgeber gelte § 2 Abs. 1 BetrVG nicht. Das Betriebsratsmitglied habe unabhängig vom Verlassen des Arbeitsplatzes und der Dauer der Betriebsratstätigkeit keinen Beurteilungsspielraum in der Frage, ob es sich ab- und zurückmelde.

7

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Hauptantrag mit der Maßgabe der Ab- und Anmeldung weiter. Als Hilfsantrag hat der Betriebsrat mit der Rechtsbeschwerdebegründung zunächst nicht den im zweiten Rechtszug gestellten Eventualantrag angekündigt. Er hat vielmehr das Ziel verfolgt festzustellen, dass seine Mitglieder nur nach eigenem Ermessen verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz ab- und anzumelden. In der Anhörung vor dem Senat hat der Betriebsrat klargestellt, dass er den Hilfsantrag in der Fassung zweiter Instanz mit der Maßgabe der Ab- und Anmeldung verfolgt. Die Arbeitgeberin hat der aus ihrer Sicht gegebenen Antragsänderung widersprochen. Der Betriebsrat hat höchst hilfsweise den Eventualantrag aus der Rechtsbeschwerdebegründung gestellt.

8

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Anträge des Betriebsrats im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

9

I. Der Hauptantrag ist zulässig, aber unbegründet.

10

1. Die Verfahrensvoraussetzungen sind erfüllt.

11

a) Wie die gebotene Auslegung ergibt, will der Betriebsrat festgestellt wissen, dass sich das einzelne Betriebsratsmitglied unabhängig von der Art der zu leistenden Arbeit nicht für die Dauer der Betriebsratstätigkeit abmelden und sich danach nicht zurückmelden muss, wenn es seinen Arbeitsplatz nicht verlässt.

12

b) Mit diesem Verständnis ist der Hauptantrag zulässig.

13

aa) Der Senat hat im Beschlussverfahren zu entscheiden. Er hat die richtige Verfahrensart nach § 92 Abs. 2 Satz 1, § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG nicht zu prüfen, wenn die Beteiligten die Verfahrensart - wie hier - in erster Instanz nicht gerügt haben. Das vom Betriebsrat gewählte Beschlussverfahren ist im Übrigen die richtige Verfahrensart (§ 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbGG). Die begehrte Feststellung ist betriebsverfassungsrechtlicher Art. Der Betriebsrat ist als Gremium berechtigt durchzusetzen, dass seine Mitglieder für erforderliche Betriebsratstätigkeiten von der Arbeitspflicht befreit werden und dabei nur den gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen unterliegen(vgl. in dem anderen Zusammenhang der Geltendmachung von Schulungskosten zB BAG 17. November 2010 - 7 ABR 113/09 - Rn. 19 mwN, EzA BetrVG 2001 § 37 Nr. 10; ohne Problematisierung vorausgesetzt von BAG 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B der Gründe, BB 1990, 1625; 23. Juni 1983 - 6 ABR 65/80 - zu II 1 und 2 der Gründe, BAGE 43, 109; in der Begründung abweichend BAG 27. Juni 1990 - 7 ABR 43/89 - zu II 1 der Gründe, BAGE 65, 230, das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags einen eigenen Anspruch des Betriebsrats(-gremiums) aus § 37 Abs. 2 BetrVG unterstellt).

14

bb) Der Hauptantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass er sich auf verschiedene Fallgestaltungen der Abmeldung von der Arbeit wegen Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz und der Rückmeldung danach bezieht. Er erfasst alle denkbaren Konstellationen, wenn das Betriebsratsmitglied den Arbeitsplatz nicht verlässt, und lässt deshalb nichts unbestimmt. Die Frage, ob die fehlende Verpflichtung, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz ab- und zurückzumelden, in allen vom Hauptantrag erfassten Fallgestaltungen festgestellt werden kann, stellt sich erst bei der Prüfung, ob der Antrag begründet ist (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 10 mwN, AP SGB IX § 95 Nr. 3 = EzA SGB IX § 95 Nr. 3). Ein solcher Globalantrag ist umfassend, aber nicht unbestimmt (BAG 17. November 2010 - 7 ABR 123/09 - Rn. 15, EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 7).

15

cc) Der Hauptantrag wird den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO gerecht.

16

(1) Der Streit über die Ab- und Rückmeldepflicht eines Betriebsratsmitglieds bei der Ausübung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz betrifft ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis der Betriebsparteien im Sinne einer durch die Herrschaft von Rechtsnormen - hier § 37 Abs. 2, § 2 Abs. 1 BetrVG, § 241 Abs. 2 BGB - über einen konkreten Sachverhalt entstandenen rechtlichen Beziehung einer Person zu einer anderen Person(vgl. BAG 17. November 2010 - 7 ABR 123/09 - Rn. 20, EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 7 ).

17

(2) Für den Streit über diese Pflicht kommt dem Betriebsrat das erforderliche Feststellungsinteresse gelöst von einem konkreten Ausgangsfall zu. Die Frage der Ab- und Rückmeldepflicht tritt im Betrieb häufiger auf, wie das Schreiben der Arbeitgeberin vom 26. Oktober 2007 zeigt. Das Problem kann sich künftig jederzeit wiederholen (vgl. für die Feststellung eines Mitbeurteilungsrechts BAG 17. November 2010 - 7 ABR 123/09 - Rn. 22, EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 7).

18

2. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptantrag des Betriebsrats im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet. Der uneingeschränkt gestellte Hauptantrag erfasst auch Fallgestaltungen, in denen er in der Sache erfolglos ist. Die umstrittenen Pflichten zur Abmeldung für die Dauer der am Arbeitsplatz auszuübenden Betriebsratstätigkeit und zur Rückmeldung nach ihrem Ende lassen sich weder allgemein bejahen noch generell verneinen. Sie hängen von den Umständen des Einzelfalls ab.

19

a) Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Der Arbeitgeber muss der Arbeitsbefreiung nicht zustimmen (vgl. nur BAG 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 79, 263). Ein Betriebsratsmitglied, das seinen Arbeitsplatz verlässt, um Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrzunehmen, hat sich aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflicht beim Arbeitgeber abzumelden. Es ist auch verpflichtet, sich zurückzumelden, sobald es nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit seine Arbeit wieder aufnimmt (vgl. BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 135; 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 79, 263; 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - zu 2 b bb der Gründe, BAGE 71, 14; 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B 2 der Gründe, BB 1990, 1625; 23. Juni 1983 - 6 ABR 65/80 - zu II 1 der Gründe, BAGE 43, 109).

20

aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde treffen Betriebsratsmitglieder nicht nur kollektivrechtliche Obliegenheiten zur Ab- und Rückmeldung aufgrund des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG. Die Pflicht, sich beim Arbeitgeber abzumelden, wenn während der Arbeitszeit die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht wird, trifft alle Arbeitnehmer gleichermaßen. Sie ist - ebenso wie die Rückmeldepflicht - eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht (vgl. nur BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 135; 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 79, 263; 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - zu 2 b bb der Gründe, BAGE 71, 14, das offenlässt, ob sich die Pflichten daneben auch aus dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten kollektivrechtlichen Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebsparteien ergeben).

21

bb) Die Meldepflichten dienen dem Zweck, dem Arbeitgeber die Arbeitseinteilung zu erleichtern, vor allem den Arbeitsausfall des Arbeitnehmers zu überbrücken (vgl. BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 c der Gründe mwN, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 135). Um diesen Zweck zu erfüllen, genügt es, wenn das Betriebsratsmitglied bei der Abmeldung den Ort und die voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit angibt. Aufgrund dieser Mindestangaben ist der Arbeitgeber imstande, die Arbeitsabläufe in geeigneter Weise zu organisieren und Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Das Betriebsratsmitglied muss die Art der geplanten Betriebsratstätigkeit deshalb nicht mitteilen (vgl. BAG 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 79, 263 unter teilweiser Aufgabe von BAG 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B 2 der Gründe, BB 1990, 1625). Wie das Betriebsratsmitglied die Meldungen bewirkt, ist seine Sache (vgl. BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - aaO).

22

cc) Diese vertraglichen Nebenpflichten werden nicht dadurch zu betriebsverfassungsrechtlichen, kollektivrechtlich begründeten Pflichten, weil das Betriebsratsmitglied von der Arbeitspflicht befreit werden soll, um Betriebsratstätigkeit auszuüben. § 37 Abs. 2 BetrVG umschreibt nur einen besonderen, betriebsverfassungsrechtlich begründeten Anlass für eine Arbeitsbefreiung ohne Minderung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt. Damit werden die Verpflichtungen, sich beim Arbeitgeber ab- und zurückzumelden, keine ausschließlich kollektivrechtlichen Pflichten. Dieselben Verpflichtungen treffen jeden Arbeitnehmer auch in anderen Fällen, in denen er Anspruch darauf hat, unter Fortzahlung der Bezüge von seiner Arbeitspflicht befreit zu sein. Die Ab- und Rückmeldepflichten beruhen ebenso wie der Entgeltanspruch, der dem Betriebsratsmitglied im Fall des § 37 Abs. 2 BetrVG erhalten bleibt, nicht auf Betriebsverfassungsrecht, sondern auf Individualrecht, dem Arbeitsvertrag(vgl. BAG 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - zu 2 b bb der Gründe, BAGE 71, 14). Sie sind als Rücksichtspflichten auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers iSv. § 241 Abs. 2 BGB zu verstehen.

23

b) Diese Grundsätze sind auf Fallgestaltungen zu übertragen, in denen das Betriebsratsmitglied seinen Arbeitsplatz nicht verlässt, um Betriebsratstätigkeit zu versehen. Grundsätzlich besteht auch in diesen Fällen eine Ab- und Rückmeldepflicht. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls - etwa der Art der Arbeitsaufgabe, der wahrzunehmenden Betriebsratstätigkeit oder der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunterbrechung - können die Rücksichtspflichten jedoch entfallen. Der Arbeitgeber kann dann verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum verrichteten Betriebsratstätigkeit nachträglich mitgeteilt wird. Da der Bestand der Ab- und Rückmeldepflichten von den Umständen des Einzelfalls abhängt, kann der Senat die mit dem Hauptantrag erstrebte Feststellung, dass die Betriebsratsmitglieder (generell) nicht verpflichtet sind, sich bei Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz ab- und anzumelden, nicht treffen.

24

aa) Grundsätzlich hat sich auch das Betriebsratsmitglied, das am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit verrichtet, beim Arbeitgeber abzumelden, die voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit mitzuteilen und sich nach dem Ende der Arbeitsunterbrechung zurückzumelden. Das gebietet der Zweck der Pflichten, der in der Rücksicht auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers besteht. Dem Arbeitgeber soll insbesondere ermöglicht werden, den Arbeitsausfall zu überbrücken. Er soll darüber entscheiden können, ob und ggf. welche Maßnahmen er ergreifen will, um die aus seiner unternehmerischen Sicht unabdingbaren Arbeitsabläufe sicherzustellen.

25

bb) Das Betriebsratsmitglied ist nach dem Schutzzweck der Rücksichtspflichten allerdings nicht verpflichtet, sich beim Arbeitgeber abzumelden, bevor es an seinem Arbeitsplatz die Betriebsratstätigkeit aufnimmt, wenn eine vorübergehende Umorganisation der Arbeitseinteilung nicht ernsthaft in Betracht kommt. In solchen Konstellationen besteht auch keine Rückmeldepflicht. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds, sich im Fall der während der Arbeitszeit geleisteten Betriebsratstätigkeit beim Arbeitgeber abzumelden, folgt nicht aus einem Recht des Arbeitgebers, bereits im Voraus zu erfahren, ob das Betriebsratsmitglied seiner Arbeitspflicht nachkommt, die ihm als Arbeitnehmer obliegt. Die Pflicht ist für die Dauer der Betriebsratstätigkeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG gerade aufgehoben. Die Abmeldepflicht des Betriebsratsmitglieds beruht vielmehr auf dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers daran, auf den Arbeitsausfall des Betriebsratsmitglieds umgehend reagieren und durch organisatorische Maßnahmen für Abhilfe sorgen zu können. Kommen solche organisatorischen Maßnahmen - zB wegen der Art der Tätigkeit, des Zeitpunkts und des Anlasses der Arbeitsunterbrechung sowie ihrer voraussichtlichen Dauer - nicht ernsthaft in Betracht, besteht kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers daran, schon vor der Aufnahme der Betriebsratstätigkeit über sie informiert zu werden. Während der Arbeitgeber den Arbeitsausfall zB eines Fluglotsen oder Callcenterarbeitnehmers stets wird überbrücken müssen, wird es für ihn regelmäßig nicht ernsthaft in Betracht kommen, die Arbeit umzuorganisieren, wenn ein ausschließlich mit einem langfristig angelegten Projekt befasster Entwicklungsingenieur seine Tätigkeit kurzfristig unterbricht, um an seinem Arbeitsplatz Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Entsprechendes wird gelten, wenn ein angestellter Lehrer während der Korrektur von Klassenarbeiten in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied ein Telefongespräch führt. In derartigen Konstellationen begründen die berechtigten organisatorischen Interessen des Arbeitgebers keine Ab- und Rückmeldepflicht des Betriebsratsmitglieds.

26

cc) Ist ein Betriebsratsmitglied wegen der konkreten Umstände nicht verpflichtet, sich vor und nach der Betriebsratstätigkeit ab- und zurückzumelden, kann der Arbeitgeber allerdings verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum versehenen Betriebsratstätigkeiten nachträglich mitgeteilt wird. Er hat ein berechtigtes Interesse daran zu erkennen, für welche Zeiten er aufgrund von Betriebsratstätigkeit nach § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG Entgelt leisten muss, obwohl der Arbeitnehmer keine Arbeit geleistet hat. Meldet sich das Betriebsratsmitglied ab und zurück, entfällt demgegenüber die Dokumentationspflicht (vgl. BAG 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B 2 der Gründe, BB 1990, 1625).

27

c) Der Hauptantrag konnte deswegen keinen Erfolg haben. Er erfasst jedenfalls auch Fallgestaltungen, in denen die Betriebsratsmitglieder wegen der organisatorischen Interessen der Arbeitgeberin eine Ab- und Rückmeldepflicht trifft.

28

II. Der durch die Abweisung des Hauptantrags zur Entscheidung des Senats angefallene Hilfsantrag ist zulässig, aber in der Sache erfolglos.

29

1. Der Eventualantrag ist zulässig.

30

a) Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn auch auslegungsbedürftig. Dem Betriebsrat geht es mit dem vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt gestellten Hilfsantrag darum festzustellen, dass eine Ab- und Rückmeldepflicht des Betriebsratsmitglieds nicht besteht, wenn es eine Umorganisation der Arbeit während der Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz im Einzelfall als nicht erforderlich beurteilt. Zu diesem Hilfsantrag ist der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat mit einer redaktionellen Umformulierung vorrangig zurückgekehrt. Der ausgelegte, vorrangig gestellte Eventualantrag ist ausreichend konkret. Über ihn kann mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden (§ 322 Abs. 1 ZPO).

31

b) Der Betriebsrat hat den Hilfsantrag nicht in unzulässiger Weise geändert, indem er in der Anhörung vor dem Senat anstelle des in der Rechtsbeschwerdebegründung angekündigten Eventualantrags vorrangig zu dem in zweiter Instanz zuletzt gestellten Hilfsantrag zurückgekehrt ist.

32

aa) Nach § 559 Abs. 1 ZPO ist eine Antragsänderung in der Revisions- oder Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich ausgeschlossen. Der Schluss der mündlichen Verhandlung oder Anhörung in zweiter Instanz bildet nicht nur hinsichtlich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch im Hinblick auf die Anträge der Parteien oder Beteiligten die Entscheidungsgrundlage für das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht. Ausnahmen sind insbesondere aus verfahrensökonomischen Gründen möglich, etwa wenn sich der geänderte Sachantrag auf einen in der Beschwerdeinstanz festgestellten oder von den Beteiligten des Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahrens übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt stützen kann, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der Beteiligten durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden (vgl. BAG 12. Januar 2011 - 7 ABR 15/09 - Rn. 19 mwN, EzA BetrVG 2001 § 99 Umgruppierung Nr. 7).

33

bb) In der Rückkehr zu dem letzten Hilfsantrag zweiter Instanz liegt keine unzulässige Antragsänderung. Der Betriebsrat hat in dritter Instanz denselben Antrag wie im zweiten Rechtszug gestellt. Dieser Antrag ist von der Rechtsbeschwerdebegründung gedeckt. Die beiden Antragsformulierungen unterscheiden sich nach gebotener Auslegung inhaltlich nicht. Der Betriebsrat reklamiert für das einzelne Betriebsratsmitglied einen Beurteilungsspielraum in der Frage, ob die Arbeitsabläufe im Einzelfall umzuorganisieren sind, wenn das Betriebsratsmitglied an seinem Arbeitsplatz Betriebsratstätigkeit versieht. Für den Fall, dass die Arbeitsabläufe nach der Beurteilung des Betriebsratsmitglieds im Einzelfall nicht umzuorganisieren sind, will der Betriebsrat festgestellt wissen, dass keine Ab- und Rückmeldepflicht besteht.

34

c) Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind aus den für den Hauptantrag genannten Gründen erfüllt.

35

2. Der Hilfsantrag ist unbegründet. Die Ab- und Rückmeldepflicht eines Betriebsratsmitglieds entfällt nicht schon dann, wenn es ihm bei gewissenhafter Prüfung nicht erforderlich erscheint, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit umzuorganisieren. Sie entfällt vielmehr nur, wenn eine Umorganisation durch den Arbeitgeber anlässlich der vom Betriebsratsmitglied versehenen Betriebsratstätigkeit nicht ernsthaft in Betracht kommt.

36

3. Über den in der Anhörung vor dem Senat höchst hilfsweise gestellten weiteren Hilfsantrag aus der Rechtsbeschwerdebegründung hat der Senat nicht zu befinden. Er ist nicht für den Fall der Abweisung des vorrangig gestellten Eventualantrags in der Fassung zweiter Instanz gestellt, sondern für den Fall, dass der Senat in der Rückkehr zu dem früheren Hilfsantrag eine unzulässige Antragsänderung sieht. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

        

    Linsenmaier    

        

    Schmidt    

        

    Gallner    

        

        

        

Für den an der Unterschrift gehinderten
ehrenamtlichen Richter Schiller
    Linsenmaier    

        

    Glock    

                 

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.

(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

(1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.

(2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

(3) Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe liegen auch vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Die Arbeitsbefreiung ist vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten.

(4) Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats darf einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers.

(5) Soweit nicht zwingende betriebliche Notwendigkeiten entgegenstehen, dürfen Mitglieder des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nur mit Tätigkeiten beschäftigt werden, die den Tätigkeiten der in Absatz 4 genannten Arbeitnehmer gleichwertig sind.

(6) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Betriebsbedingte Gründe im Sinne des Absatzes 3 liegen auch vor, wenn wegen Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung die Schulung des Betriebsratsmitglieds außerhalb seiner Arbeitszeit erfolgt; in diesem Fall ist der Umfang des Ausgleichsanspruchs unter Einbeziehung der Arbeitsbefreiung nach Absatz 2 pro Schulungstag begrenzt auf die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers. Der Betriebsrat hat bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Er hat dem Arbeitgeber die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulungs- und Bildungsveranstaltungen rechtzeitig bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber die betrieblichen Notwendigkeiten für nicht ausreichend berücksichtigt, so kann er die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

(7) Unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 6 hat jedes Mitglied des Betriebsrats während seiner regelmäßigen Amtszeit Anspruch auf bezahlte Freistellung für insgesamt drei Wochen zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes nach Beratung mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände als geeignet anerkannt sind. Der Anspruch nach Satz 1 erhöht sich für Arbeitnehmer, die erstmals das Amt eines Betriebsratsmitglieds übernehmen und auch nicht zuvor Jugend- und Auszubildendenvertreter waren, auf vier Wochen. Absatz 6 Satz 2 bis 6 findet Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2011 - 11 Sa 758/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war seit September 2002 bei dem beklagten Land als Lehrer beschäftigt. Er erhielt ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 3.740,00 Euro.

3

Im Jahr 2003 wurde er mit Strafbefehl wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Das beklagte Land erteilte ihm eine Abmahnung. Diese wurde im Februar 2007 gemäß der sog. Tilgungsverordnung aus der Personalakte entfernt.

4

Am 29. August 2008 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kläger wegen Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren. Nachdem das beklagte Land Kenntnis von der Anklageschrift erhalten hatte, suspendierte es den Kläger vom Dienst und gab ihm Gelegenheit zur Äußerung. Dieser ließ sich dahin ein, das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Sachverständigengutachten zur Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin - eines achtjährigen Mädchens - sei unzureichend, nach Einholung eines weiteren Gutachtens könne nicht mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gerechnet werden.

5

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis am 17. September 2008 außerordentlich fristlos. Zur Begründung wies es darauf hin, dass das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen aufgrund der dem Kläger vorgeworfenen Straftaten zerstört sei.

6

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung habe zu keiner Zeit vorgelegen. Die Zeugin sei nicht glaubwürdig.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn über den 17. September 2008 hinaus zu unveränderten Bedingungen auf demselben Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.

8

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, es habe sich auf die strafrechtliche Wertung der Staatsanwaltschaft verlassen dürfen. Da diese von einem hinreichenden Tatverdacht iSv. § 170 StPO ausgehe, sei zugleich auch ein ausreichend erhärteter Verdacht gegeben, der eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertige. Durch den Verdacht, der Kläger habe sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen, sei sein Vertrauen in diesen nachhaltig zerstört. Ggf. sei die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche umzudeuten und zumindest als solche wirksam.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Einvernehmen mit den Parteien bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Nachdem die Jugendschutzkammer des Landgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Einholung eines weiteren Gutachtens mangels Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin abgelehnt hatte, hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

11

I. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des beklagten Landes vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden.

12

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

13

a) Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9).

14

b) Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (vgl. BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5).

15

c) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9). Deshalb besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf auf seine strafrechtliche Relevanz hin geprüft wird (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - aaO).

16

d) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen, allenfalls verstärken (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, BAGE 137, 54; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Sie können im Übrigen bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - aaO). Allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche kann die Verdachtskündigung deshalb nicht gestützt werden. Ebenso wie bei der Kündigung wegen einer aus Sicht des Arbeitgebers erwiesenen Tat, bei der eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht ausreicht, die Kündigung zu rechtfertigen, sind die Gerichte für Arbeitssachen auch bei der Verdachtskündigung gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess im Rahmen des Parteivorbringens selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 26; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12). Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, selbst wenn sie von Gesetzes wegen einen dringenden Tatverdacht voraussetzen sollten, sind nicht geeignet, Tatsachenvortrag der Parteien des Zivilprozesses zu ersetzen. Der wegen eines dringenden Tatverdachts kündigende Arbeitgeber hat im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen vielmehr bestimmte Tatsachen darzulegen, die unmittelbar als solche den Schluss zulassen, der Arbeitnehmer sei eines bestimmten, die Kündigung rechtfertigenden Verhaltens dringend verdächtig. Zu diesem Zweck ist es ihm zwar unbenommen, sich Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden zu eigen zu machen und sie im Arbeitsgerichtsprozess - zumindest durch Bezugnahme - als eigene Behauptungen vorzutragen. Es genügt aber nicht, anstelle von unmittelbar verdachtsbegründenden Tatsachen lediglich den Umstand vorzutragen, auch die Strafverfolgungsbehörden gingen von einem Tatverdacht aus. Weder vermag sich der Prozessgegner darauf sachgerecht einzulassen noch vermögen auf dieser Grundlage die Gerichte für Arbeitssachen das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit der ausgesprochenen (Verdachts-)Kündigung selbstständig zu beurteilen. Auch brächte sich der Arbeitgeber auf diese Weise selbst um die Möglichkeit, den Arbeitnehmer durch substantiierten Tatsachenvortrag gem. § 138 Abs. 2 ZPO zur substantiierten Erwiderung zu veranlassen und ggf. aus den Regelungen in § 138 Abs. 3, Abs. 4 ZPO prozessualen Nutzen zu ziehen.

17

2. Danach fehlt es im Streitfall an den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB. Das beklagte Land hat keine verdachtsbegründenden konkreten Tatsachen dargelegt.

18

a) Das beklagte Land geht allerdings zu Recht davon aus, dass ein Verhalten, wie es dem Kläger im Rahmen der Anklage zur Last gelegt wurde, auch als außerdienstliches Verhalten „an sich“ ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Lehrers sein kann. Aus ihm ergeben sich begründete Zweifel an der Eignung für die arbeitsvertraglich geschuldete pädagogische Tätigkeit, die geeignet sein können, eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen (so auch SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 643 u. 697; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 85; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 80b).

19

b) Das beklagte Land hat jedoch seine Annahme, der Kläger sei der ihm seitens der Staatsanwaltschaft vorgeworfenen Tat dringend verdächtig, allein mit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und der dieser zugrunde liegenden Beurteilung begründet. Es hat - über die Tatsache der Anklageerhebung hinaus - keinerlei Umstände vorgetragen, welche einen dringenden Tatverdacht rechtfertigen könnten. Es hat sich den von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt auf Befragen des Senats ausdrücklich nicht zu eigen gemacht. Damit fehlt es an substantiiertem Sachvortrag, der eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die Gerichte für Arbeitssachen nach Maßgabe zivilprozessualer Grundsätze ermöglichen würde.

20

3. Die Kündigung ist auch als ordentliche Kündigung nicht wirksam. Sie ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

21

a) Allerdings kann eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn das dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23). Bei feststehendem Sachverhalt kann dies auch noch in der Revisionsinstanz erfolgen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 39 ff., AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31). Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Der Inhalt des Kündigungsschreibens ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des beklagten Landes erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es diesem darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen. Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, das beklagte Land habe mit der Kündigung ausschließlich die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die damit der von ihm in der Revisionsinstanz ausdrücklich begehrten Umdeutung entgegenstünden, hat der Kläger nicht aufgezeigt (vgl. dazu BAG 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

22

b) Auch mit Blick auf die ordentliche Kündigung fehlt es jedoch an Sachvortrag des beklagten Landes, der es erlauben würde, das Vorliegen eines dringenden Verdachts kündigungsrelevanten Verhaltens des Klägers selbstständig zu beurteilen.

23

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn zutreffend dahingehend verstanden, dass er auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet ist. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

24

III. Die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO das beklagte Land zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 2010 - 8 Sa 249/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.

2

Der 1953 geborene Kläger war seit Januar 2002 bei der Beklagten - einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in F - als Ingenieur beschäftigt. Seine Tätigkeit verrichtete er in einer nach M ausgelagerten „Fachstelle/Bau“ der Abteilung „Zentrales Baumanagement“. In seine Zuständigkeit fiel die Abwicklung von Bau- und sonstigen Sanierungsvorhaben im Bereich der M Außenstelle der Beklagten und an ihren Liegenschaften in B und R.

3

Der Kläger betreute ua. das Projekt „Erneuerung der Brandschutzklappen des Dienstgebäudes B“. Um den Auftrag bewarb sich die A GmbH (im Folgenden: GmbH), die schon zuvor in dem Dienstgebäude mit regelmäßigen Wartungsarbeiten betraut war. Anfang März 2008 gab sie ein erstes Angebot und unter dem 11. März 2008 ein zweites, inhaltlich erweitertes Angebot mit einer Angebotssumme von 122.652,68 Euro ab.

4

Ein von der Beklagten beauftragtes Ingenieurbüro befürwortete im Hinblick auf das zweite Angebot die Vergabe des Auftrags an die GmbH, allerdings mit der Einschränkung, dass bestimmte Positionen wegen zu hoher Zeitansätze bzw. Einheitspreise nachzuverhandeln seien. Die Unterlagen reichte der Kläger an das Servicezentrum der Beklagten in F weiter. Nachdem von dort die Höhe des Angebots beanstandet worden war, reduzierte die GmbH nach Verhandlungen mit dem Kläger das zweite Angebot um einen Betrag von 10.499,75 Euro. Auf Vorschlag des Klägers und nach Gegenzeichnung durch seinen Vorgesetzten sowie weiteren Genehmigungen über mehrere Hierarchieebenen wurde der GmbH im Wege einer freihändigen Vergabe der Zuschlag erteilt.

5

Aufgrund einer Selbstanzeige des Geschäftsführers der GmbH leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung und Bestechlichkeit ein. Am 4. Februar 2009 wurden die Privatwohnung des Klägers und die Geschäftsräume der M Außenstelle der Beklagten durchsucht. Der Beklagten wurde der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 21. November 2008 eröffnet, der eine detaillierte Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts enthält. Insbesondere ist dort der Inhalt mehrerer Gespräche wiedergegeben, die zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer geführt worden sein sollen. Bei der Beklagten wurden Geschäftsunterlagen betreffend die Projekte „Erneuerung der Brandschutzklappen“ und „Umbau Zu- und Abluftanlage“ beschlagnahmt, darunter Unterlagen von Firmen, die hierauf bezogen Angebote abgegeben hatten. Ein dem Kläger am Folgetag eröffneter Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

6

Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 stellte die Beklagte den Kläger von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Zugleich teilte sie mit, er sei verdächtig, am 15. Februar 2008 vom Geschäftsführer der GmbH eine Gegenleistung in Höhe von 10 vH des Auftragswerts dafür gefordert zu haben, dass er sich in besonderer Weise für eine Beauftragung der GmbH durch die Beklagte einsetzen würde. Außerdem stehe er im Verdacht, im August 2008 das Angebot des Geschäftsführers der GmbH angenommen zu haben, ihm ohne finanzielle Gegenleistung eine Ferienwohnung am Gardasee für eine Woche zur Verfügung zu stellen. Um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern, lud sie ihn zu einem Gespräch am Montag, dem 9. Februar 2009, in ihre F Zentrale ein.

7

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2009 sagte der Kläger seine Teilnahme an dem Gespräch ab. Er berief sich mit Blick auf das laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf sein Schweigerecht. Gleichwohl sei er bereit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wozu er einen Fragenkatalog erbitte. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Kopie des Durchsuchungsbeschlusses vom 21. November 2008 mit, es stehe ihm frei, sich schriftlich zu den in dem Beschluss angeführten Verdachtstatsachen zu äußern. Sie erwarte den Eingang einer Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am 9. Februar 2009. Einen Fragenkatalog werde sie nicht erstellen.

8

Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 erklärte der Kläger, ihm sei noch keine Akteneinsicht gewährt worden. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wies er pauschal als unzutreffend zurück. Weder bei seinem ersten Zusammentreffen noch zu einem späteren Zeitpunkt habe er den mitbeschuldigten Geschäftsführer zu Zahlungen im Zusammenhang mit einer möglichen Beauftragung aufgefordert. Er habe auch keine finanziellen Zuwendungen oder einen geldwerten Vorteil sonstiger Art erhalten. Hinsichtlich der Ferienwohnung am Gardasee sei anzumerken, dass er gemeinsam mit seiner Ehefrau bereits Monate zuvor einen Hotelurlaub an der Adria gebucht und gezahlt habe, wie aus einer beigefügten Buchungsbestätigung hervorgehe.

9

Nach Beteiligung des Gesamtpersonalrats kündigte die Beklage das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12. Februar 2009 außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 26. Februar 2009 erklärte sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009. Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung lägen nicht vor. Die Beklagte habe sich nicht auf eine Aussage des Geschäftsführers im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren stützen dürfen, sondern habe eigene Nachforschungen anstellen müssen. Der Geschäftsführer sei nicht glaubwürdig. Diesem sei Straffreiheit zugesichert worden. Auch habe er wohl angesichts der knappen Kalkulation der Aufträge seinen Betrieb gefährdet gesehen und ihn - den Kläger - aus dem Weg räumen wollen. Er selbst habe keinen bestimmenden Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen durch die Beklagte gehabt. Sollte je ein dringender Tatverdacht bestanden haben sei dieser mit der am 3. März 2010 - unstreitig - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls entfallen. Die Erhebung der öffentlichen Klage vom 8. April 2010 und die anschließende Eröffnung des Hauptverfahrens ließen keine andere Bewertung zu. Diese Entscheidungen erforderten nur ein geringeres Maß an Tatverdacht. Eine im Verlauf des Rechtsstreits von der Beklagten veranlasste Innenrevision habe keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Die Beklagte habe ihn vor der Kündigung nicht ausreichend angehört. Die Äußerungsfrist sei zu kurz gewesen und habe ihm keine substantiierte Stellungnahme ermöglicht. Mangels konkreter Vorgaben habe er nicht erkennen können, zu welchen Sachverhalten und/oder Tatsachen er sich habe äußern sollen. Die Beklagte habe es versäumt, auf ihre Kündigungsabsicht hinzuweisen.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist und weiter fortbesteht.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege vor, zumindest sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei einer Bestechlichkeit und der versuchten Erpressung verdächtig. Grundlage hierfür seien die im Durchsuchungsbeschluss festgehaltenen Ermittlungsergebnisse. Soweit diese auf Aussagen des Geschäftsführers der GmbH beruhten, habe sie keinen Anlass gehabt, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Auch die Strafverfolgungsbehörden hätten offenkundig einen dringenden Tatverdacht angenommen, da ein Haftbefehl nur unter dieser Voraussetzung habe erlassen werden dürfen. Deren Erkenntnisse und Bewertungen mache sie sich zu eigen. Der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhalts nicht nach Kräften mitgewirkt. Weitere Ermittlungen habe sie weder anstellen müssen, noch sei sie dazu nach Beschlagnahme ihrer Geschäftsunterlagen in der Lage gewesen. Soweit der Kläger wegen der Ferienwohnung am Gardasee darauf verwiesen habe, vom 6. bis 13. September 2008 andernorts in Italien eine Unterkunft gebucht zu haben, sei dies angesichts des bis zum 26. September 2008 bewilligten Urlaubs nicht geeignet, den Vorwurf der Bestechlichkeit zu entkräften. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Kläger die Unterkunft tatsächlich genutzt habe. Entscheidend sei, dass er sich den Vorteil habe versprechen lassen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 12. Februar 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Damit bleibt auch die Klage gegen die ordentliche Kündigung erfolglos.

15

I. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

16

1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155).

17

2. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - Rn. 28, aaO). Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/10 - aaO; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - aaO).

18

3. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30, BAGE 134, 349). Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, aaO).

19

II. Danach liegt „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

20

1. Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegen nimmt, verletzt zugleich - unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB oder - als Beschäftigter im öffentlichen Dienst - wegen Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB - seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen(§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr allgemein die Gefahr, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. Der wichtige Grund liegt in der zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, bei der Erfüllung von arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben unberechtigte eigene Vorteile wahrzunehmen. Durch sein Verhalten zerstört der Arbeitnehmer regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B III 2 a der Gründe, EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7). Auch der dringende Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 b der Gründe, aaO).

21

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im Kündigungszeitpunkt einer in diesem Sinne schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22

a) Die Beklagte hat sich für den Verdacht auf den im Durchsuchungsbeschluss vom 21. November 2008 wiedergegebenen Sachverhalt berufen. Danach soll der Kläger - zusammengefasst - den Geschäftsführer der GmbH Mitte Februar 2008 aufgefordert haben, ihm eine Gegenleistung iHv. 10 vH des Werts des Auftrags betreffend die Brandschutzklappensanierung dafür zu gewähren, dass er sich in besonderer Weise für die Vergabe von Aufträgen an die GmbH einsetze. Nachdem der Geschäftsführer ihm in einem Telefonat vom 10. März 2008 mitgeteilt habe, er werde den geforderten Betrag nicht zahlen, soll der Kläger ihn gefragt haben, ob er sich diese Weigerung auch gut überlegt habe; diese Haltung könne Konsequenzen nach sich ziehen. Die Äußerungen soll der Kläger am 5. August 2008 anlässlich einer Besprechung in der Räumlichkeiten der Bu sinngemäß wiederholt und nachfolgend das Angebot des Geschäftsführers, ihm eine Ferienwohnung am Gardasee zur Verfügung zu stellen, angenommen haben.

23

b) Mit der Bezugnahme auf diese Sachverhaltsdarstellung hat die Beklagte hinreichend objektive Tatsachen aufgezeigt, die den Verdacht begründen, der Kläger habe sich in Bezug auf seine Berufstätigkeit Geld bzw. geldwerte Vorteile von einem Vertragspartner der Beklagten versprechen lassen und diesen zu dem Versprechen durch das Inaussichtstellen eines möglichen Auftragsverlusts genötigt. Die Beklagte beruft sich dazu nicht auf bloße Mutmaßungen oder Spekulationen, sondern auf einen greifbaren, durch die Strafverfolgungsbehörden ermittelten und in dem Durchsuchungsbeschluss über mehrere Seiten hinweg hinsichtlich Tatzeit und Tatgeschehen detailliert beschriebenen Sachverhalt. Dass dieser Sachverhalt im Wesentlichen auf den Angaben des im Ermittlungsverfahren mitbeschuldigten Geschäftsführers der GmbH über den Inhalt mit dem Kläger geführter Vieraugengespräche beruht und mit dessen Aussage „steht und fällt“, steht dem Umstand, dass es sich dabei um objektive Verdachtstatsachen handelt, nicht entgegen. Die Beklagte hatte keinen durchgreifenden Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschäftsführers in Zweifel zu ziehen. Auch wenn diesem - wie der Kläger im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits behauptet hat - Straffreiheit zugesagt worden sein sollte, ist nicht erkennbar - und ist es fernliegend -, dass sich diese Zusage auch auf den Straftatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) bezöge. Möglichen Unsicherheiten in Bezug auf die Beweisführung hat die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie die Kündigung auf den Verdacht und nicht auf die Erwiesenheit einer Tat stützt.

24

c) Demgegenüber bringt der Kläger lediglich vor, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von der Dringlichkeit des Verdachts ausgegangen. Insbesondere habe es verkannt, dass sich die Beklagte hierfür nicht auf den gegen ihn erlassenen Haftbefehl habe berufen dürfen. Damit hat der Kläger die den Verdacht begründenden Tatsachen nicht entkräftet.

25

aa) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Derartige Umstände können nicht nur bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, aaO). Sie können auch den Kündigungsgrund selbst unterstützen, sofern es um Handlungen oder Anordnungen der Ermittlungsbehörden geht, die ihrerseits einen dringenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 38, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Das trifft auf den in Rede stehenden Haftbefehl grundsätzlich zu. Nach § 112 Abs. 1 iVm. § 114 StPO darf Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nur angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und - kumulativ - ein Haftgrund besteht. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft der materiellen Wahrheit verpflichtet ist und deshalb nach § 160 Abs. 2 StPO auch den Beschuldigten entlastende Umstände zu ermitteln und bei ihrem Vorgehen zu berücksichtigen hat(Löwe/Rosenberg/Erb StPO § 160 Rn. 47 mwN). Gleiches gilt für den Ermittlungsrichter, der über die Anordnung von Untersuchungshaft entscheidet.

26

bb) Allerdings wird die Verdachtskündigung nicht allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche gestützt werden können. Bei der Kündigung wegen erwiesener Tat reicht eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht aus, die Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12; 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - zu B II 4 und III 3 b, dd der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Für die Verdachtskündigung wird nichts anderes gelten können. Dies hat zur Folge, dass Handlungen oder Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden allenfalls indizielle Bedeutung für die vom Gericht vorzunehmende Bewertung erlangen können, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen des entsprechenden Verdachts gerechtfertigt ist. Die behördlichen Maßnahmen bilden dagegen für sich genommen keinen Kündigungsgrund und sind nicht geeignet, eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die mit der Sache befassten Gerichte zu ersetzen. Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Beklagte habe im Kündigungszeitpunkt davon ausgehen dürfen, der Kläger sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, nicht mit dem Haftbefehl als solchem begründet. Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe sich auf der Grundlage bekannter Verdachtstatsachen die Einschätzung der Ermittlungsbehörden zur Dringlichkeit des Verdachts zu eigen gemacht.

28

(2) Daran anknüpfend hat es weiter geprüft, ob sich der Verdacht aufgrund des Parteivorbringens im vorliegenden Verfahren als weniger intensiv darstellt. Seine Auffassung, dies sei nicht der Fall, hat es im Wesentlichen damit begründet, Manipulationen bei der Preisgestaltung seien den Umständen nach nicht auszuschließen. Das gelte auch dann, wenn das zweite Angebot der GmbH vom 11. März 2008 - wie vom Kläger behauptet - auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses des hinzugezogenen Ingenieurbüros erfolgt sei. Dieser Umstand entlaste den Kläger nicht, weil schon der Umfang der auf 38 Seiten zusammengestellten Angebotspositionen die Chance erhöhe, dass unbemerkt einzelne preisrelevante Posten höher als erforderlich kalkuliert würden. Außerdem sei eine mögliche Preismanipulation durch die später, allerdings erst auf Initiative des Servicezentrums der Beklagten tatsächlich erreichte deutliche Reduzierung des Angebotspreises indiziert.

29

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 1. Oktober 1997 - 5 AZR 685/96 - BAGE 86, 347 mwN). Einen derartigen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf.

30

(b) Die Wertung des Landesarbeitsgerichts ist grundsätzlich möglich. Das gilt umso mehr, als der Kläger keinen Grund dafür benannt hat, warum er als zuständiger Sachbearbeiter das Angebot an das Servicezentrum der Beklagten in F weitergeleitet hat, ohne auf die vom Ingenieurbüro beanstandeten Punkte einzugehen. Selbst wenn er sich damit im Rahmen bestehender Richtlinien bewegt haben sollte, fügt sich sein Vorgehen immerhin in das „Bild“ der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe in Erwägung ziehen müssen, dass vereinzelt falsche Mengen zu dem überhöhten Angebotspreis vom 11. März 2008 geführt hätten, ist unbegründet. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils hat das Ingenieurbüro eine Nachverhandlung des betreffenden Angebots wegen zu hoher Zeitansätze und Einheitspreise vorgeschlagen. Daran knüpfen die Ausführungen des Gerichts an. Das Landesarbeitsgericht hat dabei nicht den Vortrag des Klägers übergangen, er habe auf die Auftragsvergabe keinen bestimmenden Einfluss nehmen können. Es hat das Vorbringen im Tatbestand seines Urteils erwähnt und im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen (unter II 1.2.1.2 der Entscheidungsgründe) gewürdigt. Dass es darin keinen Umstand erblickt hat, der die Intensität des Verdachts hätte vermindern können, begründet keinen Rechtsfehler im aufgezeigten Sinne. Im Übrigen schließt das Fehlen einer Möglichkeit zur internen Einflussnahme nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer nach außen einer solchen berühmt. Soweit der Kläger gemeint hat, die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts seien „lebensfremd“, setzt er seine eigene Bewertung der Abläufe an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts. Das macht dessen Würdigung nicht rechtsfehlerhaft.

31

d) Die Beklagte hat ihre Verpflichtung nicht verletzt, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere hat sie den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört.

32

aa) Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Bei dieser besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 14 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6).

33

bb) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen (BAG 28. November 2007 - 5 AZR 952/06 - Rn. 19, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 b bb der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO).

34

cc) Diesen Anforderungen wird die Anhörung des Klägers gerecht. Die Beklagte hat ihm die konkreten Vorwürfe bekannt gemacht und hinreichend Zeit für eine Stellungnahme eingeräumt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf eine bestehende Kündigungsabsicht bedurfte es nicht.

35

(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 5. und 6. Februar 2009 mit dem gegen ihn gehegten Verdacht konfrontiert. Aufgrund der Mitteilungen im ersten Schreiben wusste der Kläger, dass es im Kern um zwei Sachverhalte geht. Die Darstellung der Vorwürfe war ausreichend. Der Kläger konnte angesichts des dem Schreiben vom 6. Februar 2009 beigefügten Durchsuchungsbeschlusses und der dort enthaltenen ausführlichen Darstellung des maßgebenden Sachverhalts in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht im Unklaren sein, über welchen Kenntnisstand die Beklagte verfügte und auf welche Umstände sie den Verdacht stützte. Einen Katalog von Fragen - wie vom Kläger erbeten - brauchte die Beklagte nicht zu formulieren. Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in seiner Gänze, und zwar auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung. Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen des Arbeitgebers auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon seine spontane Reaktion zu einer Entlastung führt (Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts S. 167). Diesem Zweck liefe die Formulierung konkreter Fragen zuwider.

36

(2) Die dem Kläger im zweiten Schreiben eingeräumte Frist zur Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am Montag, dem 9. Februar 2009, war zwar knapp bemessen. Der Kläger hat aber weder dargelegt, dass und ggf. warum ihm tatsächlich eine sachangemessene Äußerung binnen der Frist nicht zumutbar war, noch sind solche Umstände objektiv erkennbar. Das gilt umso mehr, als die ihm eingeräumte Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung seinem Wunsch entsprach und die - allemal rechtzeitige - Einladung der Beklagten zu dem Gesprächstermin am 9. Februar 2009 nicht aufhob. Soweit mit Blick auf die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB für Aufklärungsbemühungen des Arbeitgebers im Wege der Anhörung des Arbeitnehmers in der Regel eine Frist von einer Woche zu veranschlagen ist(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), folgt daraus nicht, dass dem Arbeitnehmer stets eine entsprechend lange Frist zur Stellungnahme einzuräumen wäre. Das gilt auch angesichts der dem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzugestehenden Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. insoweit BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Im Übrigen hat der Kläger in seinem Schreiben vom 9. Februar 2009 Stellung genommen, ohne um eine Verlängerung der Frist nachzusuchen. Daraus durfte die Beklagte folgern, es habe sich um eine abschließende Äußerung gehandelt. Dass sich der Kläger vorbehalten hat, nach Einsicht in die Ermittlungsakten zu einzelnen Punkten weiter Stellung zu beziehen, steht dem nicht entgegen. Der Kläger hat nicht begründet, warum er sich zu welchen Gesichtspunkten nicht abschließend hat erklären können oder wollen. Dessen hätte es aber bedurft, da sich die Verdachtstatsachen auf Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmung bezogen und er keinen Anlass haben konnte anzunehmen, die Beklagte verfüge über bessere Erkenntnisse als er selbst (ähnlich BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1).

37

(3) Für die ordnungsgemäße Anhörung kommt es nicht darauf an, ob mit der Angabe „Dienstschluss“ das Ende der dem Kläger eingeräumten Frist hinreichend bestimmt bezeichnet worden ist. Die Beklagte hat sich gegenüber den Erklärungen im Schreiben vom 9. Februar 2009 nicht auf Verspätung berufen. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ihr Anhörungsschreiben nicht mehr an ihn persönlich, sondern an seinen bereits umfassend beauftragten Rechtsanwalt habe übermitteln müssen, ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich.

38

(4) Die Anhörung ist auch nicht deshalb unzureichend, weil die Beklagte den Kläger nicht ausdrücklich auf eine bestehende Kündigungsabsicht für den Fall hingewiesen hat, dass sich die Vorwürfe nicht ausräumen ließen. Es ist bereits fraglich, ob den Arbeitgeber eine solche Verpflichtung trifft (bejahend Fischer BB 2003, 522, 523; Seeling/Zwickel MDR 2008, 1022). In jedem Fall bleibt die Nichterteilung eines Hinweises auf eine mögliche Kündigung dann folgenlos, wenn für den Arbeitnehmer die Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses erkennbar war. So liegt es hier. Die Beklagte hat den Kläger mit dem Schreiben vom 5. Februar 2009 mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei gestellt. Sie hat mitgeteilt, aufgrund des Verdachts und der Schwere der ihm zugrunde liegenden Tat sei ihr seine Weiterbeschäftigung unzumutbar. Unter diesen Umständen musste dem Kläger klar sein, dass der Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses aus Sicht der Beklagten ganz wesentlich von seiner Stellungnahme abhing.

39

dd) Die Beklagte hat nicht andere Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt gelassen, insbesondere nur unzureichende eigene Ermittlungen angestellt. Anhaltspunkte für weitere Aufklärungsbemühungen konnten sich angesichts der Beschlagnahme relevanter Geschäftsunterlagen nur aus der Stellungnahme des Klägers ergeben. Dieser hat sich darauf beschränkt, den Verdacht pauschal von sich zu weisen. Er hat sich mit den im Durchsuchungsbeschluss einzeln aufgeführten Gesprächen weder auseinandergesetzt, noch ihnen substantiierten Vortrag entgegengehalten. Ohne eine detaillierte Erwiderung hatte die Beklagte keinen Anlass, etwa den Geschäftsführer der GmbH selbst zu befragen. Mit Blick auf das Angebot einer Ferienwohnung am Gardasee ist die Beklagte den Angaben des Klägers zur Buchung einer angeblich zeitgleichen Urlaubsreise an die Adria nachgegangen - mit dem Ergebnis, dass dieser Umstand in Anbetracht der Dauer des dem Kläger bewilligten Urlaubs nacheinander liegende Aufenthalte an beiden Orten nicht ausschloss.

40

3. Der Verdacht besteht weiterhin. Er wurde im Verlauf des Rechtsstreits weder entkräftet, noch sind Umstände eingetreten, die zu seiner Abschwächung geführt hätten.

41

a) Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu B II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Eine Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen, ist nicht gerechtfertigt.

42

b) Demgegenüber hält das Landesarbeitsgericht nur solche Tatsachen für berücksichtigungsfähig, die der Arbeitgeber bei Anwendung gebotener und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen können. Dies überzeugt nicht. Hat der Arbeitgeber entlastende Umstände deshalb nicht erkannt, weil er den Sachverhalt nicht sorgfältig genug aufgeklärt hat, ist die Verdachtskündigung regelmäßig schon aus diesem Grund unwirksam. Dass zugunsten des Arbeitnehmers darüber hinaus Tatsachen berücksichtigungsfähig sind, die der Arbeitgeber selbst nach zumutbaren Aufklärungsbemühungen noch nicht hat kennen können, trägt der Besonderheit Rechnung, dass im Rahmen der Verdachtskündigung nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, nicht gerecht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Gefahr würde vielmehr „sehenden Auges“ vergrößert. Ihr erst mit einem möglichen Wiedereinstellungsanspruch zu begegnen, würde der Sach- und Interessenlage nicht gerecht.

43

c) Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts wirkt sich im Ergebnis nicht aus (§ 561 ZPO).

44

aa) Der Kläger hat dem Vorbringen der Beklagten zum Inhalt der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH keinen anderen, im Einzelnen dargelegten Gesprächsverlauf entgegengesetzt. Er hat sich auf ein einfaches Bestreiten beschränkt und lediglich behauptet, die eine oder andere Äußerung sei so nicht gefallen. Dabei ist er auch dann noch geblieben, als die Beklagte vorgetragen hatte, sie habe mittlerweile Einsicht in die beschlagnahmten Unterlagen nehmen können und diese ausgewertet, zudem habe sie den Geschäftsführer der GmbH befragt, der seine frühere Aussage bekräftigt habe. Spätestens angesichts dieses Vorbringens hätte der Kläger dem von der Beklagten behaupteten Inhalt und Verlauf der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH substantiiert entgegentreten müssen. Das hat er unterlassen. Damit hat er seiner Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht genügt. Das gilt gleichermaßen für die bruchstückhafte Einlassung zum Komplex „Ferienwohnung“. Sie fügt sich ohne Weiteres in die von der Beklagten behaupteten Verdachtstatsachen ein und vermag diese gerade nicht zu entkräften. Der Kläger hat eine vollständige Darstellung des tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablaufs auch insoweit unterlassen. Auf eine Einschränkung seiner prozessualen Wahrheitspflicht wegen des laufenden Strafverfahrens hat er sich nicht berufen. Es kann deshalb offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Einwand mit Blick auf die Besonderheiten der Verdachtskündigung beachtlich gewesen wäre.

45

bb) Die Aufhebung des Haftbefehls entlastet den Kläger nicht. Aus ihr folgt - unbeschadet der Frage, inwieweit dies dem Kläger zugute kommen könnte - nicht, die Strafverfolgungsbehörden hätten einen dringenden Tatverdacht zuletzt nicht mehr bejaht. Sie kann ebenso gut darauf zurückzuführen sein, dass der Sachverhalt aus Sicht der zuständigen Stellen ausermittelt war und etwa der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht mehr vorlag. Die Annahme, dass nicht etwa der Wegfall eines dringenden Tatverdachts zur Aufhebung des Haftbefehls geführt hat, liegt deshalb nahe, weil er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr bestand. Zumindest hatte der Kläger aufgrund seiner Sachnähe Anlass, sich zum Grund der Aufhebung zu erklären. Das hat er versäumt. Ebenso wenig wird der Verdacht dadurch entkräftet, dass bei einer von der Beklagten durchgeführten Innenrevision kein weiteres den Kläger belastendes Material aufgefunden wurde.

46

III. Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist unter Beachtung eines ihm zukommenden Beurteilungsspielraums (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen. Danach konnte es ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangen, der Beklagten sei in Anbetracht der Schwere der Pflichtverletzung, derer der Kläger verdächtig war, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen.

47

IV. Die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)ist gewahrt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die den Verdacht begründenden Tatsachen der Beklagten erstmals am 4. Februar 2009 bekannt geworden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 13. Februar 2009 zu.

48

V. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Kündigung an einer fehlerhaften Beteiligung des Personalrats oder des Gesamtpersonalrats scheitert. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zuletzt eine fehlerhafte Beteiligung nicht mehr behauptet. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Ein Rechtsfehler liegt auch objektiv nicht vor.

49

1. Allerdings entbindet der Umstand, dass ein Arbeitnehmer, der die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bzw. Gesamtpersonalrats gerügt hat, den Ausführungen des Arbeitgebers nicht weiter entgegen tritt, das mit der Sache befasste Gerichte nicht von der Verpflichtung, den Arbeitgebervortrag auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Hinsichtlich des Vorbringens zur ordnungsgemäßen Beteiligung des zuständigen Personalrats gilt - wie für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG - eine abgestufte Darlegungslast(BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 3 a der Gründe, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 4). Hat der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten, muss der Arbeitgeber im Detail darlegen, ob und ggf. wie das Verfahren durchgeführt worden ist. Erst wenn er dem nachgekommen ist und eine ordnungsgemäße Beteiligung des zuständigen Personalrats schlüssig aufgezeigt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer diesem Vorbringen iSv. § 138 Abs. 2 ZPO ausreichend entgegengetreten ist, insbesondere deutlich gemacht hat, welche Angaben des Arbeitgebers er weiterhin(mit Nichtwissen, § 138 Abs. 4 ZPO) bestreitet (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - aaO; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

50

2. Einer Schlüssigkeitsprüfung im dargestellten Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer auf die Ausführungen des Arbeitgebers zur Personalratsbeteiligung zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass er an der betreffenden Rüge als solcher nicht länger festhält. Mit seinem Vorbringen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertretung, beruft sich der Arbeitnehmer auf einen „anderen“ Unwirksamkeitsgrund iSd. § 4 Satz 1, § 6 KSchG(BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12, EzA KSchG § 6 Nr. 4). Die Rüge, die Kündigung sei noch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, führt zwar nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess. Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Die gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung hat nur im Rahmen der iSv. § 4 Satz 1 iVm. § 6 Satz 1 KSchG rechtzeitig angebrachten Unwirksamkeitsgründe zu erfolgen. Für die außerordentliche Kündigung gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG Entsprechendes. Unterliegt es deshalb in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht mehr berufen zu wollen. Eine solche die Gerichte bindende Beschränkung des Sachvortrags ist grundsätzlich noch in zweiter Instanz möglich. Die Regelung des § 6 Satz 1 KSchG dient der Konzentration des Kündigungsschutzprozesses und in diesem Zusammenhang auch dem Schutz des Arbeitgebers. Dieser soll sich nicht erstmals in zweiter Instanz auf einen bis dahin in das gerichtliche Verfahren nicht eingeführten „anderen“ Unwirksamkeitsgrund einlassen und dementsprechend langfristig entsprechende Beweise sichern müssen. Diesem Zweck widerspricht es nicht, dem Arbeitnehmer die Befugnis einzuräumen, die Unwirksamkeitsrüge bezogen auf einen bestimmten Unwirksamkeitsgrund selbst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium wieder fallen zu lassen.

51

3. So liegt es hier. Einer Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung mit Blick auf die (Gesamt-)Personalratsbeteiligung bedurfte es nicht. Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand des Berufungsurteils festgestellt, der Kläger erhebe die betreffende Rüge nicht mehr. Tatbestandsberichtigung hat der Kläger nicht beantragt.

52

VI. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 13. Februar 2009 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

53

VII. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2011 - 11 Sa 758/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war seit September 2002 bei dem beklagten Land als Lehrer beschäftigt. Er erhielt ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 3.740,00 Euro.

3

Im Jahr 2003 wurde er mit Strafbefehl wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Das beklagte Land erteilte ihm eine Abmahnung. Diese wurde im Februar 2007 gemäß der sog. Tilgungsverordnung aus der Personalakte entfernt.

4

Am 29. August 2008 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kläger wegen Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren. Nachdem das beklagte Land Kenntnis von der Anklageschrift erhalten hatte, suspendierte es den Kläger vom Dienst und gab ihm Gelegenheit zur Äußerung. Dieser ließ sich dahin ein, das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Sachverständigengutachten zur Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin - eines achtjährigen Mädchens - sei unzureichend, nach Einholung eines weiteren Gutachtens könne nicht mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gerechnet werden.

5

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis am 17. September 2008 außerordentlich fristlos. Zur Begründung wies es darauf hin, dass das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen aufgrund der dem Kläger vorgeworfenen Straftaten zerstört sei.

6

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung habe zu keiner Zeit vorgelegen. Die Zeugin sei nicht glaubwürdig.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn über den 17. September 2008 hinaus zu unveränderten Bedingungen auf demselben Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.

8

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, es habe sich auf die strafrechtliche Wertung der Staatsanwaltschaft verlassen dürfen. Da diese von einem hinreichenden Tatverdacht iSv. § 170 StPO ausgehe, sei zugleich auch ein ausreichend erhärteter Verdacht gegeben, der eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertige. Durch den Verdacht, der Kläger habe sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen, sei sein Vertrauen in diesen nachhaltig zerstört. Ggf. sei die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche umzudeuten und zumindest als solche wirksam.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Einvernehmen mit den Parteien bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Nachdem die Jugendschutzkammer des Landgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Einholung eines weiteren Gutachtens mangels Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin abgelehnt hatte, hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

11

I. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des beklagten Landes vom 17. September 2008 nicht aufgelöst worden.

12

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

13

a) Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9).

14

b) Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (vgl. BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5).

15

c) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9). Deshalb besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf auf seine strafrechtliche Relevanz hin geprüft wird (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - aaO).

16

d) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen, allenfalls verstärken (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, BAGE 137, 54; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Sie können im Übrigen bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - aaO). Allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche kann die Verdachtskündigung deshalb nicht gestützt werden. Ebenso wie bei der Kündigung wegen einer aus Sicht des Arbeitgebers erwiesenen Tat, bei der eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht ausreicht, die Kündigung zu rechtfertigen, sind die Gerichte für Arbeitssachen auch bei der Verdachtskündigung gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess im Rahmen des Parteivorbringens selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 26; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12). Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, selbst wenn sie von Gesetzes wegen einen dringenden Tatverdacht voraussetzen sollten, sind nicht geeignet, Tatsachenvortrag der Parteien des Zivilprozesses zu ersetzen. Der wegen eines dringenden Tatverdachts kündigende Arbeitgeber hat im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen vielmehr bestimmte Tatsachen darzulegen, die unmittelbar als solche den Schluss zulassen, der Arbeitnehmer sei eines bestimmten, die Kündigung rechtfertigenden Verhaltens dringend verdächtig. Zu diesem Zweck ist es ihm zwar unbenommen, sich Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden zu eigen zu machen und sie im Arbeitsgerichtsprozess - zumindest durch Bezugnahme - als eigene Behauptungen vorzutragen. Es genügt aber nicht, anstelle von unmittelbar verdachtsbegründenden Tatsachen lediglich den Umstand vorzutragen, auch die Strafverfolgungsbehörden gingen von einem Tatverdacht aus. Weder vermag sich der Prozessgegner darauf sachgerecht einzulassen noch vermögen auf dieser Grundlage die Gerichte für Arbeitssachen das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit der ausgesprochenen (Verdachts-)Kündigung selbstständig zu beurteilen. Auch brächte sich der Arbeitgeber auf diese Weise selbst um die Möglichkeit, den Arbeitnehmer durch substantiierten Tatsachenvortrag gem. § 138 Abs. 2 ZPO zur substantiierten Erwiderung zu veranlassen und ggf. aus den Regelungen in § 138 Abs. 3, Abs. 4 ZPO prozessualen Nutzen zu ziehen.

17

2. Danach fehlt es im Streitfall an den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB. Das beklagte Land hat keine verdachtsbegründenden konkreten Tatsachen dargelegt.

18

a) Das beklagte Land geht allerdings zu Recht davon aus, dass ein Verhalten, wie es dem Kläger im Rahmen der Anklage zur Last gelegt wurde, auch als außerdienstliches Verhalten „an sich“ ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Lehrers sein kann. Aus ihm ergeben sich begründete Zweifel an der Eignung für die arbeitsvertraglich geschuldete pädagogische Tätigkeit, die geeignet sein können, eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen (so auch SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 643 u. 697; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 85; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 80b).

19

b) Das beklagte Land hat jedoch seine Annahme, der Kläger sei der ihm seitens der Staatsanwaltschaft vorgeworfenen Tat dringend verdächtig, allein mit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und der dieser zugrunde liegenden Beurteilung begründet. Es hat - über die Tatsache der Anklageerhebung hinaus - keinerlei Umstände vorgetragen, welche einen dringenden Tatverdacht rechtfertigen könnten. Es hat sich den von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt auf Befragen des Senats ausdrücklich nicht zu eigen gemacht. Damit fehlt es an substantiiertem Sachvortrag, der eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die Gerichte für Arbeitssachen nach Maßgabe zivilprozessualer Grundsätze ermöglichen würde.

20

3. Die Kündigung ist auch als ordentliche Kündigung nicht wirksam. Sie ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

21

a) Allerdings kann eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn das dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23). Bei feststehendem Sachverhalt kann dies auch noch in der Revisionsinstanz erfolgen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 39 ff., AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31). Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Der Inhalt des Kündigungsschreibens ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des beklagten Landes erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es diesem darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen. Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, das beklagte Land habe mit der Kündigung ausschließlich die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die damit der von ihm in der Revisionsinstanz ausdrücklich begehrten Umdeutung entgegenstünden, hat der Kläger nicht aufgezeigt (vgl. dazu BAG 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

22

b) Auch mit Blick auf die ordentliche Kündigung fehlt es jedoch an Sachvortrag des beklagten Landes, der es erlauben würde, das Vorliegen eines dringenden Verdachts kündigungsrelevanten Verhaltens des Klägers selbstständig zu beurteilen.

23

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn zutreffend dahingehend verstanden, dass er auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet ist. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

24

III. Die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO das beklagte Land zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 2010 - 8 Sa 249/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.

2

Der 1953 geborene Kläger war seit Januar 2002 bei der Beklagten - einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in F - als Ingenieur beschäftigt. Seine Tätigkeit verrichtete er in einer nach M ausgelagerten „Fachstelle/Bau“ der Abteilung „Zentrales Baumanagement“. In seine Zuständigkeit fiel die Abwicklung von Bau- und sonstigen Sanierungsvorhaben im Bereich der M Außenstelle der Beklagten und an ihren Liegenschaften in B und R.

3

Der Kläger betreute ua. das Projekt „Erneuerung der Brandschutzklappen des Dienstgebäudes B“. Um den Auftrag bewarb sich die A GmbH (im Folgenden: GmbH), die schon zuvor in dem Dienstgebäude mit regelmäßigen Wartungsarbeiten betraut war. Anfang März 2008 gab sie ein erstes Angebot und unter dem 11. März 2008 ein zweites, inhaltlich erweitertes Angebot mit einer Angebotssumme von 122.652,68 Euro ab.

4

Ein von der Beklagten beauftragtes Ingenieurbüro befürwortete im Hinblick auf das zweite Angebot die Vergabe des Auftrags an die GmbH, allerdings mit der Einschränkung, dass bestimmte Positionen wegen zu hoher Zeitansätze bzw. Einheitspreise nachzuverhandeln seien. Die Unterlagen reichte der Kläger an das Servicezentrum der Beklagten in F weiter. Nachdem von dort die Höhe des Angebots beanstandet worden war, reduzierte die GmbH nach Verhandlungen mit dem Kläger das zweite Angebot um einen Betrag von 10.499,75 Euro. Auf Vorschlag des Klägers und nach Gegenzeichnung durch seinen Vorgesetzten sowie weiteren Genehmigungen über mehrere Hierarchieebenen wurde der GmbH im Wege einer freihändigen Vergabe der Zuschlag erteilt.

5

Aufgrund einer Selbstanzeige des Geschäftsführers der GmbH leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung und Bestechlichkeit ein. Am 4. Februar 2009 wurden die Privatwohnung des Klägers und die Geschäftsräume der M Außenstelle der Beklagten durchsucht. Der Beklagten wurde der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 21. November 2008 eröffnet, der eine detaillierte Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts enthält. Insbesondere ist dort der Inhalt mehrerer Gespräche wiedergegeben, die zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer geführt worden sein sollen. Bei der Beklagten wurden Geschäftsunterlagen betreffend die Projekte „Erneuerung der Brandschutzklappen“ und „Umbau Zu- und Abluftanlage“ beschlagnahmt, darunter Unterlagen von Firmen, die hierauf bezogen Angebote abgegeben hatten. Ein dem Kläger am Folgetag eröffneter Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

6

Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 stellte die Beklagte den Kläger von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Zugleich teilte sie mit, er sei verdächtig, am 15. Februar 2008 vom Geschäftsführer der GmbH eine Gegenleistung in Höhe von 10 vH des Auftragswerts dafür gefordert zu haben, dass er sich in besonderer Weise für eine Beauftragung der GmbH durch die Beklagte einsetzen würde. Außerdem stehe er im Verdacht, im August 2008 das Angebot des Geschäftsführers der GmbH angenommen zu haben, ihm ohne finanzielle Gegenleistung eine Ferienwohnung am Gardasee für eine Woche zur Verfügung zu stellen. Um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern, lud sie ihn zu einem Gespräch am Montag, dem 9. Februar 2009, in ihre F Zentrale ein.

7

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2009 sagte der Kläger seine Teilnahme an dem Gespräch ab. Er berief sich mit Blick auf das laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf sein Schweigerecht. Gleichwohl sei er bereit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wozu er einen Fragenkatalog erbitte. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Kopie des Durchsuchungsbeschlusses vom 21. November 2008 mit, es stehe ihm frei, sich schriftlich zu den in dem Beschluss angeführten Verdachtstatsachen zu äußern. Sie erwarte den Eingang einer Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am 9. Februar 2009. Einen Fragenkatalog werde sie nicht erstellen.

8

Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 erklärte der Kläger, ihm sei noch keine Akteneinsicht gewährt worden. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wies er pauschal als unzutreffend zurück. Weder bei seinem ersten Zusammentreffen noch zu einem späteren Zeitpunkt habe er den mitbeschuldigten Geschäftsführer zu Zahlungen im Zusammenhang mit einer möglichen Beauftragung aufgefordert. Er habe auch keine finanziellen Zuwendungen oder einen geldwerten Vorteil sonstiger Art erhalten. Hinsichtlich der Ferienwohnung am Gardasee sei anzumerken, dass er gemeinsam mit seiner Ehefrau bereits Monate zuvor einen Hotelurlaub an der Adria gebucht und gezahlt habe, wie aus einer beigefügten Buchungsbestätigung hervorgehe.

9

Nach Beteiligung des Gesamtpersonalrats kündigte die Beklage das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12. Februar 2009 außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 26. Februar 2009 erklärte sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009. Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung lägen nicht vor. Die Beklagte habe sich nicht auf eine Aussage des Geschäftsführers im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren stützen dürfen, sondern habe eigene Nachforschungen anstellen müssen. Der Geschäftsführer sei nicht glaubwürdig. Diesem sei Straffreiheit zugesichert worden. Auch habe er wohl angesichts der knappen Kalkulation der Aufträge seinen Betrieb gefährdet gesehen und ihn - den Kläger - aus dem Weg räumen wollen. Er selbst habe keinen bestimmenden Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen durch die Beklagte gehabt. Sollte je ein dringender Tatverdacht bestanden haben sei dieser mit der am 3. März 2010 - unstreitig - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls entfallen. Die Erhebung der öffentlichen Klage vom 8. April 2010 und die anschließende Eröffnung des Hauptverfahrens ließen keine andere Bewertung zu. Diese Entscheidungen erforderten nur ein geringeres Maß an Tatverdacht. Eine im Verlauf des Rechtsstreits von der Beklagten veranlasste Innenrevision habe keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Die Beklagte habe ihn vor der Kündigung nicht ausreichend angehört. Die Äußerungsfrist sei zu kurz gewesen und habe ihm keine substantiierte Stellungnahme ermöglicht. Mangels konkreter Vorgaben habe er nicht erkennen können, zu welchen Sachverhalten und/oder Tatsachen er sich habe äußern sollen. Die Beklagte habe es versäumt, auf ihre Kündigungsabsicht hinzuweisen.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist und weiter fortbesteht.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege vor, zumindest sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei einer Bestechlichkeit und der versuchten Erpressung verdächtig. Grundlage hierfür seien die im Durchsuchungsbeschluss festgehaltenen Ermittlungsergebnisse. Soweit diese auf Aussagen des Geschäftsführers der GmbH beruhten, habe sie keinen Anlass gehabt, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Auch die Strafverfolgungsbehörden hätten offenkundig einen dringenden Tatverdacht angenommen, da ein Haftbefehl nur unter dieser Voraussetzung habe erlassen werden dürfen. Deren Erkenntnisse und Bewertungen mache sie sich zu eigen. Der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhalts nicht nach Kräften mitgewirkt. Weitere Ermittlungen habe sie weder anstellen müssen, noch sei sie dazu nach Beschlagnahme ihrer Geschäftsunterlagen in der Lage gewesen. Soweit der Kläger wegen der Ferienwohnung am Gardasee darauf verwiesen habe, vom 6. bis 13. September 2008 andernorts in Italien eine Unterkunft gebucht zu haben, sei dies angesichts des bis zum 26. September 2008 bewilligten Urlaubs nicht geeignet, den Vorwurf der Bestechlichkeit zu entkräften. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Kläger die Unterkunft tatsächlich genutzt habe. Entscheidend sei, dass er sich den Vorteil habe versprechen lassen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 12. Februar 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Damit bleibt auch die Klage gegen die ordentliche Kündigung erfolglos.

15

I. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

16

1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155).

17

2. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - Rn. 28, aaO). Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/10 - aaO; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - aaO).

18

3. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30, BAGE 134, 349). Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, aaO).

19

II. Danach liegt „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

20

1. Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegen nimmt, verletzt zugleich - unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB oder - als Beschäftigter im öffentlichen Dienst - wegen Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB - seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen(§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr allgemein die Gefahr, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. Der wichtige Grund liegt in der zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, bei der Erfüllung von arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben unberechtigte eigene Vorteile wahrzunehmen. Durch sein Verhalten zerstört der Arbeitnehmer regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B III 2 a der Gründe, EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7). Auch der dringende Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 b der Gründe, aaO).

21

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im Kündigungszeitpunkt einer in diesem Sinne schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22

a) Die Beklagte hat sich für den Verdacht auf den im Durchsuchungsbeschluss vom 21. November 2008 wiedergegebenen Sachverhalt berufen. Danach soll der Kläger - zusammengefasst - den Geschäftsführer der GmbH Mitte Februar 2008 aufgefordert haben, ihm eine Gegenleistung iHv. 10 vH des Werts des Auftrags betreffend die Brandschutzklappensanierung dafür zu gewähren, dass er sich in besonderer Weise für die Vergabe von Aufträgen an die GmbH einsetze. Nachdem der Geschäftsführer ihm in einem Telefonat vom 10. März 2008 mitgeteilt habe, er werde den geforderten Betrag nicht zahlen, soll der Kläger ihn gefragt haben, ob er sich diese Weigerung auch gut überlegt habe; diese Haltung könne Konsequenzen nach sich ziehen. Die Äußerungen soll der Kläger am 5. August 2008 anlässlich einer Besprechung in der Räumlichkeiten der Bu sinngemäß wiederholt und nachfolgend das Angebot des Geschäftsführers, ihm eine Ferienwohnung am Gardasee zur Verfügung zu stellen, angenommen haben.

23

b) Mit der Bezugnahme auf diese Sachverhaltsdarstellung hat die Beklagte hinreichend objektive Tatsachen aufgezeigt, die den Verdacht begründen, der Kläger habe sich in Bezug auf seine Berufstätigkeit Geld bzw. geldwerte Vorteile von einem Vertragspartner der Beklagten versprechen lassen und diesen zu dem Versprechen durch das Inaussichtstellen eines möglichen Auftragsverlusts genötigt. Die Beklagte beruft sich dazu nicht auf bloße Mutmaßungen oder Spekulationen, sondern auf einen greifbaren, durch die Strafverfolgungsbehörden ermittelten und in dem Durchsuchungsbeschluss über mehrere Seiten hinweg hinsichtlich Tatzeit und Tatgeschehen detailliert beschriebenen Sachverhalt. Dass dieser Sachverhalt im Wesentlichen auf den Angaben des im Ermittlungsverfahren mitbeschuldigten Geschäftsführers der GmbH über den Inhalt mit dem Kläger geführter Vieraugengespräche beruht und mit dessen Aussage „steht und fällt“, steht dem Umstand, dass es sich dabei um objektive Verdachtstatsachen handelt, nicht entgegen. Die Beklagte hatte keinen durchgreifenden Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschäftsführers in Zweifel zu ziehen. Auch wenn diesem - wie der Kläger im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits behauptet hat - Straffreiheit zugesagt worden sein sollte, ist nicht erkennbar - und ist es fernliegend -, dass sich diese Zusage auch auf den Straftatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) bezöge. Möglichen Unsicherheiten in Bezug auf die Beweisführung hat die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie die Kündigung auf den Verdacht und nicht auf die Erwiesenheit einer Tat stützt.

24

c) Demgegenüber bringt der Kläger lediglich vor, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von der Dringlichkeit des Verdachts ausgegangen. Insbesondere habe es verkannt, dass sich die Beklagte hierfür nicht auf den gegen ihn erlassenen Haftbefehl habe berufen dürfen. Damit hat der Kläger die den Verdacht begründenden Tatsachen nicht entkräftet.

25

aa) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Derartige Umstände können nicht nur bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, aaO). Sie können auch den Kündigungsgrund selbst unterstützen, sofern es um Handlungen oder Anordnungen der Ermittlungsbehörden geht, die ihrerseits einen dringenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 38, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Das trifft auf den in Rede stehenden Haftbefehl grundsätzlich zu. Nach § 112 Abs. 1 iVm. § 114 StPO darf Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nur angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und - kumulativ - ein Haftgrund besteht. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft der materiellen Wahrheit verpflichtet ist und deshalb nach § 160 Abs. 2 StPO auch den Beschuldigten entlastende Umstände zu ermitteln und bei ihrem Vorgehen zu berücksichtigen hat(Löwe/Rosenberg/Erb StPO § 160 Rn. 47 mwN). Gleiches gilt für den Ermittlungsrichter, der über die Anordnung von Untersuchungshaft entscheidet.

26

bb) Allerdings wird die Verdachtskündigung nicht allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche gestützt werden können. Bei der Kündigung wegen erwiesener Tat reicht eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht aus, die Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12; 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - zu B II 4 und III 3 b, dd der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Für die Verdachtskündigung wird nichts anderes gelten können. Dies hat zur Folge, dass Handlungen oder Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden allenfalls indizielle Bedeutung für die vom Gericht vorzunehmende Bewertung erlangen können, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen des entsprechenden Verdachts gerechtfertigt ist. Die behördlichen Maßnahmen bilden dagegen für sich genommen keinen Kündigungsgrund und sind nicht geeignet, eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die mit der Sache befassten Gerichte zu ersetzen. Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Beklagte habe im Kündigungszeitpunkt davon ausgehen dürfen, der Kläger sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, nicht mit dem Haftbefehl als solchem begründet. Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe sich auf der Grundlage bekannter Verdachtstatsachen die Einschätzung der Ermittlungsbehörden zur Dringlichkeit des Verdachts zu eigen gemacht.

28

(2) Daran anknüpfend hat es weiter geprüft, ob sich der Verdacht aufgrund des Parteivorbringens im vorliegenden Verfahren als weniger intensiv darstellt. Seine Auffassung, dies sei nicht der Fall, hat es im Wesentlichen damit begründet, Manipulationen bei der Preisgestaltung seien den Umständen nach nicht auszuschließen. Das gelte auch dann, wenn das zweite Angebot der GmbH vom 11. März 2008 - wie vom Kläger behauptet - auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses des hinzugezogenen Ingenieurbüros erfolgt sei. Dieser Umstand entlaste den Kläger nicht, weil schon der Umfang der auf 38 Seiten zusammengestellten Angebotspositionen die Chance erhöhe, dass unbemerkt einzelne preisrelevante Posten höher als erforderlich kalkuliert würden. Außerdem sei eine mögliche Preismanipulation durch die später, allerdings erst auf Initiative des Servicezentrums der Beklagten tatsächlich erreichte deutliche Reduzierung des Angebotspreises indiziert.

29

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 1. Oktober 1997 - 5 AZR 685/96 - BAGE 86, 347 mwN). Einen derartigen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf.

30

(b) Die Wertung des Landesarbeitsgerichts ist grundsätzlich möglich. Das gilt umso mehr, als der Kläger keinen Grund dafür benannt hat, warum er als zuständiger Sachbearbeiter das Angebot an das Servicezentrum der Beklagten in F weitergeleitet hat, ohne auf die vom Ingenieurbüro beanstandeten Punkte einzugehen. Selbst wenn er sich damit im Rahmen bestehender Richtlinien bewegt haben sollte, fügt sich sein Vorgehen immerhin in das „Bild“ der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe in Erwägung ziehen müssen, dass vereinzelt falsche Mengen zu dem überhöhten Angebotspreis vom 11. März 2008 geführt hätten, ist unbegründet. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils hat das Ingenieurbüro eine Nachverhandlung des betreffenden Angebots wegen zu hoher Zeitansätze und Einheitspreise vorgeschlagen. Daran knüpfen die Ausführungen des Gerichts an. Das Landesarbeitsgericht hat dabei nicht den Vortrag des Klägers übergangen, er habe auf die Auftragsvergabe keinen bestimmenden Einfluss nehmen können. Es hat das Vorbringen im Tatbestand seines Urteils erwähnt und im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen (unter II 1.2.1.2 der Entscheidungsgründe) gewürdigt. Dass es darin keinen Umstand erblickt hat, der die Intensität des Verdachts hätte vermindern können, begründet keinen Rechtsfehler im aufgezeigten Sinne. Im Übrigen schließt das Fehlen einer Möglichkeit zur internen Einflussnahme nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer nach außen einer solchen berühmt. Soweit der Kläger gemeint hat, die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts seien „lebensfremd“, setzt er seine eigene Bewertung der Abläufe an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts. Das macht dessen Würdigung nicht rechtsfehlerhaft.

31

d) Die Beklagte hat ihre Verpflichtung nicht verletzt, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere hat sie den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört.

32

aa) Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Bei dieser besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 14 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6).

33

bb) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen (BAG 28. November 2007 - 5 AZR 952/06 - Rn. 19, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 b bb der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO).

34

cc) Diesen Anforderungen wird die Anhörung des Klägers gerecht. Die Beklagte hat ihm die konkreten Vorwürfe bekannt gemacht und hinreichend Zeit für eine Stellungnahme eingeräumt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf eine bestehende Kündigungsabsicht bedurfte es nicht.

35

(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 5. und 6. Februar 2009 mit dem gegen ihn gehegten Verdacht konfrontiert. Aufgrund der Mitteilungen im ersten Schreiben wusste der Kläger, dass es im Kern um zwei Sachverhalte geht. Die Darstellung der Vorwürfe war ausreichend. Der Kläger konnte angesichts des dem Schreiben vom 6. Februar 2009 beigefügten Durchsuchungsbeschlusses und der dort enthaltenen ausführlichen Darstellung des maßgebenden Sachverhalts in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht im Unklaren sein, über welchen Kenntnisstand die Beklagte verfügte und auf welche Umstände sie den Verdacht stützte. Einen Katalog von Fragen - wie vom Kläger erbeten - brauchte die Beklagte nicht zu formulieren. Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in seiner Gänze, und zwar auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung. Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen des Arbeitgebers auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon seine spontane Reaktion zu einer Entlastung führt (Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts S. 167). Diesem Zweck liefe die Formulierung konkreter Fragen zuwider.

36

(2) Die dem Kläger im zweiten Schreiben eingeräumte Frist zur Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am Montag, dem 9. Februar 2009, war zwar knapp bemessen. Der Kläger hat aber weder dargelegt, dass und ggf. warum ihm tatsächlich eine sachangemessene Äußerung binnen der Frist nicht zumutbar war, noch sind solche Umstände objektiv erkennbar. Das gilt umso mehr, als die ihm eingeräumte Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung seinem Wunsch entsprach und die - allemal rechtzeitige - Einladung der Beklagten zu dem Gesprächstermin am 9. Februar 2009 nicht aufhob. Soweit mit Blick auf die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB für Aufklärungsbemühungen des Arbeitgebers im Wege der Anhörung des Arbeitnehmers in der Regel eine Frist von einer Woche zu veranschlagen ist(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), folgt daraus nicht, dass dem Arbeitnehmer stets eine entsprechend lange Frist zur Stellungnahme einzuräumen wäre. Das gilt auch angesichts der dem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzugestehenden Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. insoweit BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Im Übrigen hat der Kläger in seinem Schreiben vom 9. Februar 2009 Stellung genommen, ohne um eine Verlängerung der Frist nachzusuchen. Daraus durfte die Beklagte folgern, es habe sich um eine abschließende Äußerung gehandelt. Dass sich der Kläger vorbehalten hat, nach Einsicht in die Ermittlungsakten zu einzelnen Punkten weiter Stellung zu beziehen, steht dem nicht entgegen. Der Kläger hat nicht begründet, warum er sich zu welchen Gesichtspunkten nicht abschließend hat erklären können oder wollen. Dessen hätte es aber bedurft, da sich die Verdachtstatsachen auf Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmung bezogen und er keinen Anlass haben konnte anzunehmen, die Beklagte verfüge über bessere Erkenntnisse als er selbst (ähnlich BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1).

37

(3) Für die ordnungsgemäße Anhörung kommt es nicht darauf an, ob mit der Angabe „Dienstschluss“ das Ende der dem Kläger eingeräumten Frist hinreichend bestimmt bezeichnet worden ist. Die Beklagte hat sich gegenüber den Erklärungen im Schreiben vom 9. Februar 2009 nicht auf Verspätung berufen. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ihr Anhörungsschreiben nicht mehr an ihn persönlich, sondern an seinen bereits umfassend beauftragten Rechtsanwalt habe übermitteln müssen, ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich.

38

(4) Die Anhörung ist auch nicht deshalb unzureichend, weil die Beklagte den Kläger nicht ausdrücklich auf eine bestehende Kündigungsabsicht für den Fall hingewiesen hat, dass sich die Vorwürfe nicht ausräumen ließen. Es ist bereits fraglich, ob den Arbeitgeber eine solche Verpflichtung trifft (bejahend Fischer BB 2003, 522, 523; Seeling/Zwickel MDR 2008, 1022). In jedem Fall bleibt die Nichterteilung eines Hinweises auf eine mögliche Kündigung dann folgenlos, wenn für den Arbeitnehmer die Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses erkennbar war. So liegt es hier. Die Beklagte hat den Kläger mit dem Schreiben vom 5. Februar 2009 mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei gestellt. Sie hat mitgeteilt, aufgrund des Verdachts und der Schwere der ihm zugrunde liegenden Tat sei ihr seine Weiterbeschäftigung unzumutbar. Unter diesen Umständen musste dem Kläger klar sein, dass der Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses aus Sicht der Beklagten ganz wesentlich von seiner Stellungnahme abhing.

39

dd) Die Beklagte hat nicht andere Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt gelassen, insbesondere nur unzureichende eigene Ermittlungen angestellt. Anhaltspunkte für weitere Aufklärungsbemühungen konnten sich angesichts der Beschlagnahme relevanter Geschäftsunterlagen nur aus der Stellungnahme des Klägers ergeben. Dieser hat sich darauf beschränkt, den Verdacht pauschal von sich zu weisen. Er hat sich mit den im Durchsuchungsbeschluss einzeln aufgeführten Gesprächen weder auseinandergesetzt, noch ihnen substantiierten Vortrag entgegengehalten. Ohne eine detaillierte Erwiderung hatte die Beklagte keinen Anlass, etwa den Geschäftsführer der GmbH selbst zu befragen. Mit Blick auf das Angebot einer Ferienwohnung am Gardasee ist die Beklagte den Angaben des Klägers zur Buchung einer angeblich zeitgleichen Urlaubsreise an die Adria nachgegangen - mit dem Ergebnis, dass dieser Umstand in Anbetracht der Dauer des dem Kläger bewilligten Urlaubs nacheinander liegende Aufenthalte an beiden Orten nicht ausschloss.

40

3. Der Verdacht besteht weiterhin. Er wurde im Verlauf des Rechtsstreits weder entkräftet, noch sind Umstände eingetreten, die zu seiner Abschwächung geführt hätten.

41

a) Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu B II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Eine Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen, ist nicht gerechtfertigt.

42

b) Demgegenüber hält das Landesarbeitsgericht nur solche Tatsachen für berücksichtigungsfähig, die der Arbeitgeber bei Anwendung gebotener und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen können. Dies überzeugt nicht. Hat der Arbeitgeber entlastende Umstände deshalb nicht erkannt, weil er den Sachverhalt nicht sorgfältig genug aufgeklärt hat, ist die Verdachtskündigung regelmäßig schon aus diesem Grund unwirksam. Dass zugunsten des Arbeitnehmers darüber hinaus Tatsachen berücksichtigungsfähig sind, die der Arbeitgeber selbst nach zumutbaren Aufklärungsbemühungen noch nicht hat kennen können, trägt der Besonderheit Rechnung, dass im Rahmen der Verdachtskündigung nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, nicht gerecht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Gefahr würde vielmehr „sehenden Auges“ vergrößert. Ihr erst mit einem möglichen Wiedereinstellungsanspruch zu begegnen, würde der Sach- und Interessenlage nicht gerecht.

43

c) Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts wirkt sich im Ergebnis nicht aus (§ 561 ZPO).

44

aa) Der Kläger hat dem Vorbringen der Beklagten zum Inhalt der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH keinen anderen, im Einzelnen dargelegten Gesprächsverlauf entgegengesetzt. Er hat sich auf ein einfaches Bestreiten beschränkt und lediglich behauptet, die eine oder andere Äußerung sei so nicht gefallen. Dabei ist er auch dann noch geblieben, als die Beklagte vorgetragen hatte, sie habe mittlerweile Einsicht in die beschlagnahmten Unterlagen nehmen können und diese ausgewertet, zudem habe sie den Geschäftsführer der GmbH befragt, der seine frühere Aussage bekräftigt habe. Spätestens angesichts dieses Vorbringens hätte der Kläger dem von der Beklagten behaupteten Inhalt und Verlauf der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH substantiiert entgegentreten müssen. Das hat er unterlassen. Damit hat er seiner Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht genügt. Das gilt gleichermaßen für die bruchstückhafte Einlassung zum Komplex „Ferienwohnung“. Sie fügt sich ohne Weiteres in die von der Beklagten behaupteten Verdachtstatsachen ein und vermag diese gerade nicht zu entkräften. Der Kläger hat eine vollständige Darstellung des tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablaufs auch insoweit unterlassen. Auf eine Einschränkung seiner prozessualen Wahrheitspflicht wegen des laufenden Strafverfahrens hat er sich nicht berufen. Es kann deshalb offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Einwand mit Blick auf die Besonderheiten der Verdachtskündigung beachtlich gewesen wäre.

45

bb) Die Aufhebung des Haftbefehls entlastet den Kläger nicht. Aus ihr folgt - unbeschadet der Frage, inwieweit dies dem Kläger zugute kommen könnte - nicht, die Strafverfolgungsbehörden hätten einen dringenden Tatverdacht zuletzt nicht mehr bejaht. Sie kann ebenso gut darauf zurückzuführen sein, dass der Sachverhalt aus Sicht der zuständigen Stellen ausermittelt war und etwa der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht mehr vorlag. Die Annahme, dass nicht etwa der Wegfall eines dringenden Tatverdachts zur Aufhebung des Haftbefehls geführt hat, liegt deshalb nahe, weil er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr bestand. Zumindest hatte der Kläger aufgrund seiner Sachnähe Anlass, sich zum Grund der Aufhebung zu erklären. Das hat er versäumt. Ebenso wenig wird der Verdacht dadurch entkräftet, dass bei einer von der Beklagten durchgeführten Innenrevision kein weiteres den Kläger belastendes Material aufgefunden wurde.

46

III. Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist unter Beachtung eines ihm zukommenden Beurteilungsspielraums (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen. Danach konnte es ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangen, der Beklagten sei in Anbetracht der Schwere der Pflichtverletzung, derer der Kläger verdächtig war, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen.

47

IV. Die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)ist gewahrt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die den Verdacht begründenden Tatsachen der Beklagten erstmals am 4. Februar 2009 bekannt geworden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 13. Februar 2009 zu.

48

V. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Kündigung an einer fehlerhaften Beteiligung des Personalrats oder des Gesamtpersonalrats scheitert. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zuletzt eine fehlerhafte Beteiligung nicht mehr behauptet. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Ein Rechtsfehler liegt auch objektiv nicht vor.

49

1. Allerdings entbindet der Umstand, dass ein Arbeitnehmer, der die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bzw. Gesamtpersonalrats gerügt hat, den Ausführungen des Arbeitgebers nicht weiter entgegen tritt, das mit der Sache befasste Gerichte nicht von der Verpflichtung, den Arbeitgebervortrag auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Hinsichtlich des Vorbringens zur ordnungsgemäßen Beteiligung des zuständigen Personalrats gilt - wie für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG - eine abgestufte Darlegungslast(BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 3 a der Gründe, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 4). Hat der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten, muss der Arbeitgeber im Detail darlegen, ob und ggf. wie das Verfahren durchgeführt worden ist. Erst wenn er dem nachgekommen ist und eine ordnungsgemäße Beteiligung des zuständigen Personalrats schlüssig aufgezeigt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer diesem Vorbringen iSv. § 138 Abs. 2 ZPO ausreichend entgegengetreten ist, insbesondere deutlich gemacht hat, welche Angaben des Arbeitgebers er weiterhin(mit Nichtwissen, § 138 Abs. 4 ZPO) bestreitet (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - aaO; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

50

2. Einer Schlüssigkeitsprüfung im dargestellten Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer auf die Ausführungen des Arbeitgebers zur Personalratsbeteiligung zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass er an der betreffenden Rüge als solcher nicht länger festhält. Mit seinem Vorbringen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertretung, beruft sich der Arbeitnehmer auf einen „anderen“ Unwirksamkeitsgrund iSd. § 4 Satz 1, § 6 KSchG(BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12, EzA KSchG § 6 Nr. 4). Die Rüge, die Kündigung sei noch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, führt zwar nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess. Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Die gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung hat nur im Rahmen der iSv. § 4 Satz 1 iVm. § 6 Satz 1 KSchG rechtzeitig angebrachten Unwirksamkeitsgründe zu erfolgen. Für die außerordentliche Kündigung gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG Entsprechendes. Unterliegt es deshalb in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht mehr berufen zu wollen. Eine solche die Gerichte bindende Beschränkung des Sachvortrags ist grundsätzlich noch in zweiter Instanz möglich. Die Regelung des § 6 Satz 1 KSchG dient der Konzentration des Kündigungsschutzprozesses und in diesem Zusammenhang auch dem Schutz des Arbeitgebers. Dieser soll sich nicht erstmals in zweiter Instanz auf einen bis dahin in das gerichtliche Verfahren nicht eingeführten „anderen“ Unwirksamkeitsgrund einlassen und dementsprechend langfristig entsprechende Beweise sichern müssen. Diesem Zweck widerspricht es nicht, dem Arbeitnehmer die Befugnis einzuräumen, die Unwirksamkeitsrüge bezogen auf einen bestimmten Unwirksamkeitsgrund selbst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium wieder fallen zu lassen.

51

3. So liegt es hier. Einer Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung mit Blick auf die (Gesamt-)Personalratsbeteiligung bedurfte es nicht. Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand des Berufungsurteils festgestellt, der Kläger erhebe die betreffende Rüge nicht mehr. Tatbestandsberichtigung hat der Kläger nicht beantragt.

52

VI. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 13. Februar 2009 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

53

VII. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

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d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Satz 2 zugelassen wird. § 72 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. In den Fällen des § 85 Abs. 2 findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(2) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten die für das Revisionsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 93 bis 96 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Einlegung der Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.