Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2012 - 1 StR 213/10

bei uns veröffentlicht am11.10.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/10
vom
11. Oktober 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
AEUV Art. 34, 36
1. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf liegt ein Verbreiten in Deutschland gemäß
§ 17 UrhG schon dann vor, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in
Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem
und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies
einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen
von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt
sind.
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn
gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit
entgegen.
3. Zum Verbotsirrtum.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10 - LG München II
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich
geschützter Werke
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt sowie
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Oktober 2009 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in 485 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat festgestellt, dass in Höhe von 59.363,16 € nicht auf Verfall erkannt werde, weil Ansprüche von Verletzten ent- gegenstehen.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat keinen Erfolg.

A.

3
Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte in Italien verkaufte Vervielfältigungsstücke von in Deutschland urheberrechtlich geschützten Einrichtungsgegenständen an deutsche Kunden mittels seiner Spedition ausgeliefert hat.

I.

4
1. Dazu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
5
Die Firma D. mit Sitz in Bologna (nachfolgend D. ) bot in Deutschland ansässigen Kunden durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internet-Website Nachbauten von Einrichtungsgegenständen im sogenannten „Bauhausstil“ zum Kauf an, ohne über Lizenzen für deren Vertrieb in Deutsch- land zu verfügen. Es handelte sich - soweit verfahrensgegenständlich - um Nachbauten von: - Stühlen der Aluminium-Group, entworfen von Charles und Ray Eames, Lizenzinhaber Firma Vitra Collections AG, - der Wagenfeldleuchte, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Lizenzinhaber Firma Tecnolumen GmbH & Co. KG, - Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, Lizenzinhaber Firma Cassina SpA, - dem Beistelltisch "Adjustable Table" und der Leuchte "Tubelight", entworfen von Eileen Gray, Lizenzinhaber Firma Classicon GmbH, - Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam, Lizenzinhaber Firma Thonet GmbH.
6
Für diese Gegenstände bestand im relevanten Tatzeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 15. Januar 2008 in Italien jedenfalls kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. In Deutschland waren sie hingegen als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt.
7
Der Angeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger, war Geschäftsführer und Gesellschafter zu 90 % der Firma I. (nachfolgend I. genannt ), einer Spedition, die ebenfalls ihren Sitz in Bologna hatte. Er betrieb seine Geschäfte jedoch im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.
8
Die Firma I. war seit mindestens April 1999 mit der Auslieferung der vorbenannten Nachbauten befasst. Der Vertrieb war zunächst in der Weise organisiert worden, dass die Möbel - ohne einzelnen Endabnehmern zugeordnet zu sein - in ein vom Angeklagten unterhaltenes Lager in Deutschland verbracht und sodann an die Kunden geliefert wurden. Das wegen dieses Sachverhalts vor dem Amtsgericht München geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 120.000 € im Dezember 2006 endgültig eingestellt. Spätestens durch dieses Strafverfahren wussten sowohl der Angeklagte als auch der Geschäftsführer der Firma D. um den urheberrechtlichen Schutz der Vervielfältigungsstücke in Deutschland.
9
Der Verteidiger des Angeklagten in diesem Strafverfahren, Rechtsanwalt Sk. , teilte dem Angeklagten mit, dass nach seiner Auffassung die Einfuhr „EU-rechtlich auch möglich sein“ müsse. Hierzu müssten das Lager in Deutsch- land und die Kunden in der Auswahl der Spedition frei sein. Nachfragen des Angeklagten hierzu erfolgten nicht. Der Angeklagte wurde zudem von dem Geschäftsführer der Firma D. , La. und dem italienischen Rechtsanwalt dieser Firma dahingehend informiert, dass die Gefahr einer Strafverfolgung nicht mehr bestehe, wenn das Auslieferungslager nach Italien verlegt werde. La. berief sich dabei auch auf eine ihm erteilte Auskunft eines Frankfurter Rechtsanwalts. Des Weiteren trat der Angeklagte einmal in Kontakt mit Rechtsanwalt U. aus Frankfurt. Dieser teilte ihm mit, er sehe grundsätzlich kein Problem, müsse die Frage aber abklären. Ein weiterer Kontakt erfolgte nicht.
10
Während des Laufs des Strafverfahrens wurde die Durchführung der Auslieferung geändert und nunmehr für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum wie folgt durchgeführt: Die Firma D. unterhielt für ihr Warenangebot ein Auslieferungslager im italienischen Sterzing. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren die Kunden verpflichtet, die bestellte Ware selbst in Italien abzuholen oder abholen zu lassen. Die Bestellung der deutschen Kunden erfolgte per Fax, per E-Mail, über ein auf der Website abrufbares Bestellformular oder telefonisch bei einer deutschsprachigen Mitarbeiterin. In den verfahrensgegenständlichen Fällen wollten die Kunden die Ware weder selbst abholen noch eine Spedition benennen. Die Firma D. empfahl die Beauftragung der Firma I. und sandte dem Kunden ein Werbeschreiben der Firma I. zu, in dem diese den Transport von Italien nach Deutschland anbot. Die Kunden beauftragten die Firma I. mit dem Transport der von ihnen gekauften Ware. In Werbematerial der Firma D. war ausgeführt , der Kunde erwerbe die Möbel in Italien, zahle aber erst bei Übernahme der Ware. Die Rechnungen schickte die Firma D. direkt an die Kunden.
11
Im Auslieferungslager in Sterzing wurden die aus Deutschland bestellten Einrichtungsgegenstände in verpacktem Zustand bereitgehalten. Auf der Verpackung waren Name und Adresse des Bestellers oder zumindest die Auftragsnummer angegeben. Die Fahrer der Firma I. holten die den Kunden konkret zugeordneten Gegenstände in Sterzing ab, bezahlten den jeweiligen Kaufpreis an die Firma D. und zogen bei Ablieferung an den Besteller in Deutschland Kaufpreis und Frachtlohn vom Kunden ein. Wenn ein Kunde bei der Auslieferung der Einrichtungsgegenstände diese nicht bezahlte, wurde die Ware nicht herausgegeben, sondern mit einem entsprechenden Kommentar an die Firma D. zurückgesandt. Diese erstattete der Firma I. den zuvor entrichteten Kaufpreis im Wege der Verrechnung und bezahlte die Frachtkosten. Von den 2.399 Lieferungen im Tatzeitraum erfolgten 484 Lieferungen durch den Angeklagten selbst, die übrigen durch angestellte Fahrer. Für die Lieferungen ab dem 1. Januar 2007 erhielt die Firma I. Frachtlöhne in Höhe von mindestens 59.363,16 €.
12
2. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB gestützt.
13
Die Firma D. , vertreten durch den Geschäftsführer La. , habe Vervielfältigungsstücke der Werke in Deutschland durch Inverkehrbringen verbreitet. Zum Verbreiten sei neben der bereits am Lager in Sterzing erfolgten Eigentumsübertragung ein Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Die Firma D. habe - entgegen einem beabsichtigten Anschein - ihre Verfügungsgewalt bis zur Ablieferung an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung trotz erfolgter Übereignung nicht aus der Hand gegeben. Sie sei daher erst in Deutschland mit Hilfe des Angeklagten auf den Kunden übergegangen. Der Angeklagte sei zwar davon ausgegangen, dass eine Strafverfolgung in Deutschland unter den praktizierten Lieferbedingungen entfalle. Dieser Verbotsirrtum sei jedoch vermeidbar gewesen, da er zu dem Geschäftsmodell keinen ausreichenden Rechtsrat eingeholt habe.
14
Der Strafbarkeit des Angeklagten stehe auch die Warenverkehrsfreiheit nicht entgegen, da die sich aus den nationalen Regelungen zum Urheberrecht ergebende Beschränkung derselben zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei.

II.

15
Der Senat hat aufgrund Beschlusses vom 8. Dezember 2010 dem Gerichtshof der Europäischen Union (im folgenden EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
16
Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ
17
- dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird,
18
- der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?
19
Daraufhin hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 2012 (Rechtssache C 5/11, EuZW 2012, 663) entschieden:
20
1. Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lie- ferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 derRichtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.
21
2. Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.

B.

22
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

23
Die Verfahrensrüge, § 261 StPO sei verletzt, weil das Landgericht den Inhalt der im Urteil als „verlesen“ wiedergegebenen Lieferlisten und-scheine (UA S. 11 bis 108) nicht in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt habe, dringt - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit - in der Sache nicht durch.
24
1. Die Revision trägt vor, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe sich, dass die besagten Lieferlisten und -scheine nicht im Wege eines ordnungsgemäß angeordneten Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien. Sie seien auch sonst nicht eingeführt worden.
25
2. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 3. August 2009 enthält folgende Eintragung:
26
"Es wurde sodann in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Verfahrensbeteiligten erhielten eine Liste mit aufgeführten Urkunden ausgehändigt, welche die Kammer gemäß § 249 II StPO in die Verhandlung einführen will. - Anlage II zum Protokoll - Der Verteidiger des Angeklagten Do. … widersprach, soweit die in seinem Antrag aufgeführten Unterlagen betreffe.“
27
In Anlage II zum Protokoll vom 3. August 2009 befindet sich ein Abdruck der "Urkundenliste gem. § 249 Abs. 2 StPO", die u.a. einen Beweismittelordner umfasst, der die Lieferlisten und -scheine beinhaltet, die laut Urteil in den Tabellen UA S. 11 bis 108 wiedergegeben sind.
28
Im Protokoll vom 22. September 2009 Seite 4 oben ist sodann ausgeführt : „Es wurde festgestellt, dass das Gericht einschließlich der Schöffen von dem Wortlaut der Urkunden gemäß übergebenen Listen Kenntnis genommen hat und die übrigen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten hiervon Kenntnis zu nehmen."
29
3. Der Senat folgt schon nicht der Auffassung der Revision, das Selbstleseverfahren sei lediglich angekündigt, nicht aber angeordnet worden. Vielmehr ergibt die Beweiskraft des Protokolls, dass der Inhalt der Lieferlisten im Wege des Selbstleseverfahrens in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
30
Hier ist bei der - durch § 274 StPO nicht ausgeschlossenen, vielmehr bei zweifelhaftem Sinn des Protokolls gebotenen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 274 Rn. 5 mwN) - Auslegung maßgeblich auch das tatsächliche Vorgehen der Strafkammer zu berücksichtigen. Den Verfahrensbeteiligten wurde nämlich nicht nur mitgeteilt, die Strafkammer wolle Urkunden im Selbstleseverfahren einführen, sondern diese Urkunden wurden durch die aufgenommene „Urkun- denliste gem. § 249 Abs. 2 StPO" im Protokoll im Einzelnen bezeichnet. Zudem erhielten die Verfahrensbeteiligen zugleich einen Abdruck dieser Liste ausgehändigt. Danach kann in der protokollierten Mitteilung nicht mehr eine bloße Absichtserklärung gesehen werden; sie ist vielmehr als Anordnung des Selbstleseverfahrens durch das Gericht auszulegen, auch wenn das Wort Anordnung darin nicht vorkommt. Das Wort "will" deutet lediglich auf die übrigen zur Umsetzung erforderlichen Handlungsakte - wie Kenntnisnahme bzw. Gelegenheit zur Kenntnisnahme - hin. Dass die Verfahrensbeteiligten hierin auch eine eindeutige Anordnung gesehen haben, wird belegt durch den vom Instanzverteidiger daraufhin - neben einem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhobenen Verwertungswiderspruch - eingelegten Widerspruch gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO. Tragfähige Anhaltspunkte, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Revision weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass der Widerruf des Verteidigers nicht beschieden worden ist. Daraus schließt der Senat jedoch nicht, dass die Strafkammer davon überzeugt gewesen wäre, dass die Voraussetzungen für ein Selbstleseverfahren nicht vorgelegen haben und auf der Grundlage dieser Überzeugung dann dennoch ein solches durchgeführt hat. Freilich ist die Bescheidung des Widerspruchs rechtsfehlerhaft unterbleiben. Die allein erhobene Rüge, ein Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ohne dass es zuvor angeordnet worden sei, kann jedoch nicht in die wesensverschiedene Rüge umgedeutet werden, der gegen die Anordnung eines Selbstleseverfahrens vorgebrachte Widerspruch sei nicht verbeschieden worden (vgl. zur Bedeutung der Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09, NJW 2011, 1523, 1525).
31
Folgerichtig hat der Vorsitzende hinsichtlich der bezeichneten Urkundenliste die Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO getroffen. Hierdurch wird beweiskräftig der Hinweis an die Verfahrensbeteiligten belegt, dass insoweit der Urkundsbeweis im Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurde und als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20).
32
4. Im Übrigen wurden die für die Urteilsfindung relevanten Informationen aus den Lieferlisten und -scheinen auch auf andere Weise Gegenstand der Hauptverhandlung.
33
a) Denn der Angeklagte hat - was die Revision nicht mitteilt - ausweislich der Urteilsfeststellungen die Durchführung der Lieferungen entsprechend geschildert (UA S. 110, 126, 127). Zwar sind der Einführung von in Urkunden enthaltenen umfangreichen und detaillierten Informationen über eine Auskunftsperson Grenzen gesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733; BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529, 1531; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH, Beschluss vom 13. April 1999 - 1 StR 107/99, NStZ 1999, 424). Angesichts von Besonderheiten der Fallgestaltung steht dies hier der Einführung der für die Urteilsfindung bedeutsamen Umstände der Lieferungen über die Einlassung des Angeklagten nicht entgegen. Hierfür war zum einen von Bedeutung, dass es sich um aus den Geschäftsunterlagen des Angeklagten ergebende Informationen handelte, die zudem schon Gegenstand der Anklageschrift waren. Deren Richtigkeit konnte der Angeklagte also bereits zuvor im Hinblick auf das Strafverfahren prüfen. Zum anderen waren unter Berücksichtigung dieser vorherigen Prüfungsmöglichkeit die für die Urteilsfindung belangvollen Informationen - vor allem Anzahl und Zeitraum der Transportfahrten sowie hierfür erhaltener Frachtlohn - sehr wohl einer zusammenfassenden Schilderung zugänglich.
34
Dies gilt entsprechend für die Einführung der relevanten Informationen durch die Angaben der Zeuginnen Sc. und H. , beide gemäß den Urteilsgründen Sachbearbeiterinnen des Zolls, die die Listen und -scheine vorab gesichtet und ausgewertet haben. So stellt die Strafkammer ausdrücklich fest, dass die Angaben zur Höhe des Frachtlohns auf den Angaben der Zeugin Sc. beruhen. Dass diese Informationen zu komplex sein sollten, um auch in einer nur 23 Minuten währenden Zeugeneinvernahme geklärt werden zu können, erschließt sich dem Senat nicht.
35
b) Soweit die Urteilsgründe daneben unter Verweis auf die Verlesung der Lieferlisten und -scheine eine Vielzahl der sich daraus ergebenden Details, wie z.B. die Namen der belieferten Kunden und der im Einzelnen gelieferten Einrichtungsgegenstände , enthalten, war dies für die Urteilsfindung ohne Belang und ersichtlich nur der Vollständigkeit und Genauigkeit wegen bei unstreitigem und unzweifelhaftem Sachverhalt aufgenommen worden. Insoweit wäre jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verstoß auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - 1 StR 342/08, wistra 2009, 359; BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235, 236; vgl. schon zum Ausschluss eines Verfahrensverstoßes BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529).

II.

36
Auch die sachlich-rechtliche Prüfung zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
37
Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler getroffenen Feststellungen strafbare Taten nach § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG bejaht, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat (nachfolgend 1.). Die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV stehen einer Strafbarkeit nicht entgegen (nachfolgend 2.). Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Denn jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines - allerdings eher fernliegenden - Verbotsirrtums ausgegangen (nachfolgend 3.).
38
1. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte dabei geholfen, in Deutschland geschützte Werke der angewandten Kunst gewerbsmäßig im Schutzland zu verbreiten (zum Territorialitätsprinzip vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 - I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 Rn. 17ff.; Dreier in Dreier/Schulze,UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 32).
39
a) Die genannten Einrichtungsgegenstände genießen in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1961 - I ZR 127/59, GRUR 1961, 635 - Stahlrohrstuhl I; BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - I ZR 102/79, GRUR 1981, 820 - Stahlrohrstuhl II; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 - Le-Corbusier-Möbel; OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903 - Bauhausleuchte). Bestand, Inhalt, Umfang und Inhaberschaft eines Schutzrechts richten sich nach dem Recht desjenigen Staates, für dessen Territorium es Wirkung entfalten soll, also nach dem Recht des Schutzlands (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 28, 30 mwN; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rn. 129 ff.).
40
b) Die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke wurden ohne Einwilligung der Berechtigten von dem Verantwortlichen der Firma D. gemäß § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG in Deutschland verbreitet.
41
aa) Zu Recht hat das Landgericht wegen der Urheberrechtsakzessorietät dieser Strafvorschriften den Verbreitungsbegriff des § 17 UrhG zugrunde gelegt (BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93; Hildebrandt in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. § 106 Rn. 17).
42
bb) § 17 Abs. 1 UrhG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden RL 2001/29/EG). Es besteht deshalb die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung dieser Norm nationalen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03, NJW 2009, 2960; BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 Rn. 32 f. Wagenfeld-Leuchte; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 99).
43
cc) Für die Auslegung des Verbreitungsbegriffs gemäß Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG wiederum - und nicht etwa zur Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall, was allein den nationalen Gerichten obliegt (vgl. dd) - war die Vorabentscheidung durch den EuGH bestimmend (zur Urteilswirkung Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV EUV, 5. Aufl., § 267 Rn. 37).
44
Der EuGH hat zur Begründung der oben unter A.II. wiedergegebenen Beantwortung der Vorlagefrage zu 1. ausgeführt, dass die RL 2001/29/EG dazu diene, den Verpflichtungen nachzukommen, die der Union nach dem WIPOUrheberrechtsvertrag (WCT; UNTS Bd. 2186, S. 121; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754; vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09) obliegen und Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen seien. Deswegen sei „Verbreitung durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG im Einklang mit Art.6 Abs. 1 WCT auszulegen und gleichbedeutend mit der dort verwandten Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ (EuGH aaO Rn. 23 f. mwN).
45
Um einen wirksamen Schutz des Urheberrechts entsprechend der Intention der RL 2001/29/EG zu sichern, so der EuGH, müsse der darin verwandte Begriff der Verbreitung eine autonome Auslegung im Unionsrecht erfahren, die nicht von dem Recht abhängen könne, das auf die Geschäfte anwendbar sei, in deren Rahmen eine Verbreitung erfolge und über das die Parteien verfügen könnten (EuGH aaO Rn. 25). Zur weiteren Begründung insoweit verweist er auf die Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Sache, der weitergehend ausführt , dass es dem Urheber möglich sein müsse, die kommerzielle Nutzung seiner Werke von der Vervielfältigung über die Vertriebswege tatsächlich und wirksam zu kontrollieren (Nrn. 50 bis 53 der Schlussanträge, zur Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 3 der Rom-II-Verordnung vgl. dort Nr. 51).
46
Dementsprechend hat der EuGH weiter ausgeführt, dass sich die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen auszeichne, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reichten. Bei einem grenzüberschrei- tenden Verkauf könnten Handlungen, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG führten, in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden. Ein Händler sei daher für jede von ihm selbst oder für seine Rech- nung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führe, in demdie in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt seien. Ihm könne ebenfalls jede derartige von einem Dritten vorgenommene Handlung zugerechnet werden, wenn der betreffende Händler speziell die Öffentlichkeit des Bestimmungsstaats ansprechen wollte und ihm das Verhalten dieses Dritten nicht unbekannt sein konnte (EuGH, aaO Rn. 26 f.).
47
dd) Entsprechend diesem Schutzniveau des Gemeinschaftsrechts legt der Senat den Begriff des Verbreitens gemäß § 17 UrhG so aus, dass bei ei- nem grenzüberschreitenden Verkauf ein Verbreiten in Deutschland gemäß § 17 UrhG schon dann vorliegt, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind.
48
Danach ist weder ein Eigentumsübergang noch ein Wechsel der Verfügungsgewalt in Deutschland zwingend erforderlich. Bei Nutzung eines gezielten und eingespielten Vertriebsweges hierher ist beim grenzüberschreitenden Verkauf hinreichend, dass eine dem Händler zuzurechnende Vertriebshandlung in Deutschland stattfindet, um das Tatbestandsmerkmal des § 106 Abs. 1 UrhG zu erfüllen.
49
ee) In diesem Sinne sind die Einrichtungsgegenstände von der Firma D. , also dem Verantwortlichen La. in Deutschland verbreitet worden. Zwar war die Firma D. unmittelbar nur in Italien, mithin nicht im Schutzland tätig. Jedoch sind dieser Firma die in Deutschland erfolgten Lieferungen durch die Firma I. als ihre Vertriebshandlung zuzurechnen. Denn die Urteilsfeststellungen belegen eine gezielte Ausrichtung der Vertriebstätigkeit der Firma D. auf in Deutschland ansässige Kunden und spezifisch für diese geschaffene Liefer- und Zahlungsmodalitäten.
50
So wurden die von der Firma D. ohne Lizenz vertriebenen Vervielfältigungsstücke in Deutschland durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben, durch zu Werbezwecken versandte, deutschsprachige Kataloge sowie mittels einer auch deutschsprachigen Internetseite beworben und zum Kauf angeboten. Für die Abwicklung stand deutschsprachi- ges Personal zur Verfügung. Dies lässt den Schluss zu, dass die FirmaD. gezielt in Deutschland ansässige Kunden ansprechen und unter ihnen die Einrichtungsgegenstände verbreiten wollte. Zum anderen schuf sich die Firma D. für den Transport zu deutschen Kunden durch die seit Jahren bestehende , enge Zusammenarbeit mit der Spedition des Angeklagten einen eingespielten Vertriebsweg von Italien nach Deutschland.
51
Darüber hinaus hat das Landgericht zu Recht auf die spezifischen Zahlungsmodalitäten abgestellt, wie die Herausgabeverweigerung bei Nichtzahlung des Kunden, die Rücksendung der Ware an D. und die Erstattung von Kaufpreis und Frachtlohn an I. durch D. . Daraus durfte es folgern , die Firma D. mache im Zusammenwirken mit der Firma I. trotz der bereits erfolgten Übereignung die Übergabe der Ware von der Bezahlung des Kaufpreises durch den Kunden abhängig. Dass das Landgericht diese Feststellung zur Grundlage genommen hat, um zu belegen, dass die Ware die betriebliche Sphäre des Verkäufers erst mit Auslieferung an die in Deutschland ansässigen Kunden verließ, also erst dort der Kunde die Verfügungsgewalt erlangte , beruht auf der Anwendung eines seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten engeren Verbreitungsbegriffs. Die Annahme dieser engeren Voraussetzungen durch das Landgericht - Zurechnung der Handlungen des Angeklagten zur betrieblichen Sphäre der Firma D. - belegt zwanglos auch die nach der Entscheidung des EuGH nur mehr erforderliche Verantwortlichkeit des Händlers für die ihm aufgrund eingespielter Vertriebswege bekannte Mitwirkung Dritter an deren Umsetzung.
52
c) Die Annahme, der Angeklagte, dem die gezielte Tätigkeit der Firma I. zur Verbreitung urheberrechtlich geschützter Waren in Deutschland ebenso bekannt war, wie seine bei der Verbreitung nicht nur untergeordnete Rolle, sei lediglich Teilnehmer und nicht sogar Mittäter, beschwert den Angeklagten nicht.
53
d) Auch die Annahme gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 108a UrhG begegnet keinen Bedenken.
54
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit entgegen.
55
Zwar kann jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ i.S.v. Art.34 AEUV darstellen und daher unzulässig sein (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - C 322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, GRUR 2004, 174 Rn. 66; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974 - C 8/74, Dassonville, NJW 1975, 515 Rn. 5). Solche Maßnahmen können indes aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu im Kernbereich auch das Urheberrecht zählt (EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - Rs 55/80, MusikVertrieb Membran/GEMA, EuGHE 1981, 147, 162; Ulrich/Konrad in Dauses , Hdb. EU-WirtschaftsR C.III Rn. 8 mwN), gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 AEUV ab 1. Dezember 2009, vormals Art. 30 EGV).
56
Beschränkungen, die auf dem Unterschied in den nationalen Regelungen über die Schutzfristen beruhen, sind gerechtfertigt, wenn diese untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft sind (vgl. etwa EuGH aaO, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12). Das muss dann erst recht gelten, wenn an sich bestehende Schutzrechte nur unterschiedlich durchsetzbar sind, denn die Beschränkung, die für einen Händler aufgrund des strafrechtlich sanktionierten Verbreitungsverbots besteht, beruht in derartigen Fällen ebenfalls nicht auf einer Handlung oder auf der Zustimmung des Rechtsinhabers, sondern darauf , dass die Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urheberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, wie der EuGH in der Vorabentscheidung in dieser Sache klargestellt hat (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012, Rechtssache C 5/11, Rn. 34, EuZW 2012, 663).
57
Dies muss auch nicht zu einer unzulässigen, weil unverhältnismäßigen und künstlichen Abschottung der Märkte führen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 7 f.). Denn von den Mitgliedstaaten kann zum Schutz des Urheberrechts auch eine Strafbarkeit als erforderlich angesehen werden; die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs ist gerechtfertigt und verfolgt einen legitimen Zweck, wenn sich der Beschuldigte absichtlich oder zumindest wissentlich an Handlungen beteiligt hat, die zur Verbreitung geschützter Werke an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führen, in dem das Urheberrecht in vollem Umfang geschützt ist, und so das ausschließliche Recht des Inhabers dieses Rechts beeinträchtigen (EuGH aaO Rn. 36).
58
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Das dem Urheberrechtsinhaber nach § 17 UrhG zustehende ausschließliche Verbreitungsrecht gilt unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse. Für die geschützten Werke bestand in Italien im Tatzeitraum entweder nur eine verkürzte Schutzfrist oder der an sich bestehende urheberrechtliche Schutz war nicht durchsetzbar. Zudem wurden die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke unter Beteiligung des Angeklagten im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts in Deutschland verbreitet, welches speziell auf Kunden in Deutschland ausgerichtet war (II. 1.) und von Italien aus abgeschlossen wurde. Die Beschränkung des italienischen Anbieters durch ein sanktioniertes Verbreitungsverbot in Deutschland beruht somit ausschließlich auf den unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen des deutschen und des italienischen Urheberrechts und ist mithin gerechtfertigt.
59
3. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft.
60
Das Landgericht hat sich von einem schuldhaften Handeln des Angeklagten überzeugt. Entgegen der fehlerhaften, den sich eindeutig ergebenden Sinn indes nicht in Frage stellenden Formulierung im Urteil handelte der Ange- klagte nicht „ohne Schuld“. Denn der angenommene Verbotsirrtum ist - wie das Landgericht insoweit zutreffend ausführt - jedenfalls vermeidbar gewesen (§ 17 Satz 2 StGB).
61
a) Zwar begegnet die Annahme eines Verbotsirrtums Bedenken, indes ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert.
62
Das Landgericht legt seiner Würdigung zugrunde, der Angeklagte sei davon ausgegangen, mit der Verlegung des Lagers nach Italien würde eine Strafbarkeit in Deutschland entfallen. Dies gründet es auf die unwiderlegte Einlassung , er sei in diese Richtung beraten worden.
63
Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160).
64
Zu einer solchen Gesamtwürdigung aller für das Vorstellungsbild des Angeklagten relevanten Umstände hätte indes hier Anlass bestanden. Dass dies unterblieben ist, lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der Frage, ob dem Angeklagten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
65
Denn der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 5 StR 514/09, NJW 2011, 1236, 1239 mwN). Für ein solches Vorstellungsbild sprechende Indizien lässt das Landgericht unerörtert.
66
So war dem Angeklagten aus dem ersten Strafverfahren bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte. Die ihm zuteil gewordene rechtliche Beratung erfolgte zu Geschäftsmodellen, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen. Dies setzt aber eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160). So lag es hier, denn der Angeklagte konnte sich für die lediglich erhoffte Annahme der Straflosigkeit auf keine höchstrichterlichen Entscheidungen stützen. Deswegen kommt auch dem Aspekt, dass der Begriff der Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG durch den EuGH erst in diesem Verfahren eine weitere Auslegung erfahren hat, für die Irrtumsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
67
In diesem Zusammenhang hätte zudem nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass die vom Angeklagten praktizierten Lieferbedingungen entgegen einem beabsichtigten Anschein darauf ausgerichtet waren, Einwirkungsmöglichkeiten der Firma D. bis zur Zahlung durch den Kunden aufrecht zu erhalten. Diese Verfahrensweise hätte Anlass sein müssen, zu prüfen, ob der Angeklagte nicht von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit des praktizierten Geschäftsmodells ausgegangen ist, weil anderenfalls kein Erfordernis für die festgestellte Verschleierung bestanden hätte.
68
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung wäre das Landgericht überdies nicht gehindert gewesen, aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Rechtsanwälte U. und D’. nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Zwar darf aus zulässigem Prozessverhalten grundsätzlich kein dem Angeklagten nachteiliger Schluss gezogen werden. Hat sich der Angeklagte aber - wie hier - nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert und ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang des Gesprächs mit dem Rechtsanwalt geäußert, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert , kann der Tatrichter hieraus Schlüsse auch zum Nachteil des Angeklagten ziehen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1965 - 4 StR 573/65, BGHSt 20, 298 mwN; vgl. Miebach NStZ 2000, 234, 239).
69
b) Jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums ausgegangen.
70
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 1966 - KRB 2/65, BGHSt 21, 18, 20; BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 264).
71
Auf der Grundlage dessen durfte das Landgericht die vom Angeklagten entfalteten Bemühungen zur Klärung der Rechtslage als nicht ausreichend werten.
72
Zum einen boten einige Auskunftspersonen nicht die Gewähr für eine verlässliche Auskunft. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Auskunft des Geschäftsführers der Firma D. und deren Anwalt D‘. imInteresse der Firma D. erfolgte, was für den Angeklagten ohne weiteres erkennbar war. Abgesehen von einer ungewissen Sachkunde zu Fragen des deutschen Urheberrechts, hätte er daher berücksichtigen müssen, dass diese Auskunftspersonen möglicherweise voreingenommen waren und mit der Auskunft Eigeninteressen verfolgten, nämlich durch seine weitere Mitwirkung an dem Geschäftsmodell Einnahmen unter Verletzung der Urheberrechte in Deutschland zu erzielen.
73
Zum anderen waren die Auskünfte der anderen Rechtsanwälte für den Angeklagten, der aufgrund des ersten Strafverfahrens um das Risiko einer Strafbarkeit bei dem Handel von unlizensierten Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke nach Deutschland wusste, nicht hinreichend verlässlich.
74
Der Rat eines Rechtsanwalts ist nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig , weil er von einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden - nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. § 17 Rn. 9 a). Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich , um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN).
75
Der Verweis des Geschäftsführers der Firma D. auf den Rechtsrat eines Frankfurter Rechtsanwalts bot keine Gewähr für eine derart verlässliche Auskunft. Schon ungeachtet der Einbindung La. s und dessen Eigeninteresse durfte der Angeklagte nicht auf diese ganz pauschale Auskunft vertrauen.
76
Auch der vom Angeklagten nur einmal kontaktierte RechtsanwaltU. konnte keine Auskunft aufgrund sorgfältiger Prüfung und Kenntnis aller Umstände erteilen. Denn er hatte den Angeklagten darauf hingewiesen, dass die Frage einer Urheberrechtsverletzung genauerer Abklärung bedürfe, welche aber nicht erfolgte. Zutreffend folgert das Landgericht hieraus, dass dies keine ausreichende Grundlage für einen unvermeidbaren Irrtum des Angeklagten bot.
77
Zudem hätte berücksichtigt werden dürfen, dass der Angeklagte sich einerseits darauf beruft, er habe auf den Rechtsrat Rechtsanwalts U. s und des auch von ihm bezahlten Rechtsanwalts der Firma D. vertraut, andererseits aber eine Überprüfung der Substanz dieser Auskünfte durch Nichtentpflichtung von der Schweigepflicht der Rechtsanwälte nicht ermöglicht hat (hierzu oben unter a.).
78
Mit nicht zu beanstandenden Erwägungen hat das Landgericht die Auskunft des Rechtsanwalt Sk. als nicht verlässlich gewertet, da diese weder „eindeutig“ oder „klar“, sondern lediglich eine allgemeine und ohne konkrete Prüfung und Kenntnis der Ausgestaltung des geänderten Geschäftsmodells geäußerte Rechtsauffassung gewesen sei. Dies wird von den Feststellungen getragen, denn Rechtsanwalt Sk. hat dem Angeklagten ungefragt lediglich seine - ohne Wissen um die genauen Umständen des praktizierten Geschäftsmodells ersichtlich wenig substantiierte - Auffassung bei Kenntnis um den kontroversen Meinungsstand bekundet. Eine solche Auskunft hat schon keinen hinreichend unrechtsverneinenden Inhalt. Auf diesem ihm günstigen Standpunkt durfte der Angeklagte nicht vorschnell vertrauen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85) und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Denn es reicht nicht aus, wenn er aufgrund der Auskunft nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife nicht ein (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN). Nachfragen seitens des Angeklagten erfolgten aber nicht.
79
c) Soweit die Revision sich darauf beruft, dem Angeklagten hätte auch bei weitergehenden Bemühungen angesichts der erst in diesem Verfahren erfolgten Entscheidung des EuGH zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der RL 2001/29/EG kein der jetzigen Rechtslage entsprechender Hinweis erteilt werden können, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Angesichts des schon vor der Vorabentscheidung des EuGH bestehenden strafrechtlich abgesicherten Urheberrechtsschutzes war das vom Angeklagten praktizierte Geschäftsmodell mit dem Risiko der Strafbarkeit behaftet, wie die Entscheidung des Landgerichts in dieser Sache belegt (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats in dieser Sache vom 8. Dezember 2010). Eine den dargestellten Anforderungen an Verlässlichkeit genügende, insbesondere auf der Grundlage einer dem Angeklagten obliegenden umfassenden Darstellung des Geschäftsmodells erfolgende Auskunft hätte auf dieses Risiko hingewiesen und spätestens hierdurch beim Angeklagten die Einsicht geweckt, es bestehe die Möglichkeit der Strafbarkeit. Ob das Verbreiten dabei entsprechend der Vorabentscheidung des EuGH weit ausgelegt oder - enger - an das hier gegebene Erfordernis des Übergangs der tatsächlichen Verfügungsgewalt geknüpft wird, ist für das Vorstellungsbild unerheblich.

III.

80
Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat aus den Taten nach dem 1. Januar 2007 (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 111i Abs. 2 StPO auf zuvor bereits beendete Taten gemäß § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB, BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56) den ihm vom Kunden ausbezahlten Frachtlohn erlangt; einer Verfallsanordnung stehen die den verletzten Lizenzinhabern aus den Taten erwachsenen Ansprüche (§ 97 UrhG, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) entgegen. Nack Wahl Graf Jäger Cirener

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 73 Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern


(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an. (2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einzieh

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

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Strafgesetzbuch - StGB | § 17 Verbotsirrtum


Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 274 Beweiskraft des Protokolls


Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

Urheberrechtsgesetz - UrhG | § 17 Verbreitungsrecht


(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. (2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitu

Urheberrechtsgesetz - UrhG | § 106 Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke


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Urheberrechtsgesetz - UrhG | § 108a Gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung


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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2013 - 5 StR 461/12

bei uns veröffentlicht am 09.01.2013

5 StR 461/12 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 9. Januar 2013 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juli 2018 - VI ZR 263/17

bei uns veröffentlicht am 10.07.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 263/17 Verkündet am: 10. Juli 2018 Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

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(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

(3) Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung. Als Vermietung gilt jedoch nicht die Überlassung von Originalen oder Vervielfältigungsstücken

1.
von Bauwerken und Werken der angewandten Kunst oder
2.
im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu dem ausschließlichen Zweck, bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis benutzt zu werden.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

(3) Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung. Als Vermietung gilt jedoch nicht die Überlassung von Originalen oder Vervielfältigungsstücken

1.
von Bauwerken und Werken der angewandten Kunst oder
2.
im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu dem ausschließlichen Zweck, bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis benutzt zu werden.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 371/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 6. März 2006 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§
349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
2
Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter L. mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden sei (Verstoß gegen § 338 Nr. 3 i.V.m. § 24 Abs. 1 StPO).
3
1. Der Beschwerdeführer trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
4
In die Hauptverhandlung wurden Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung eingeführt. Die Gespräche wurden weitgehend in dem Sinti-Dialekt "Sintitikes" geführt. Da der Angeklagte Zweifel an der Richtigkeit der im Ermittlungsverfahren gefertigten Übersetzung äußerte, wurde auf den dritten Verhandlungstag eine Sprachsachverständige geladen. Zur Vorbereitung des Termins hatte der Vorsitzende der Sachverständigen vier aufgezeichnete Gespräche in digitalisierter Form und die jeweiligen Übertragungsprotokolle der Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt.
5
Mit der Beweiserhebung durch Abspielen einzelner Gespräche aus der Telefonüberwachung und ihre Übersetzung durch die Sachverständige wurde nach 11.50 Uhr begonnen. Dabei erfolgte auch die Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten , dass der Sachverständigen Aktenteile überlassen worden waren. Um 12.32 Uhr wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und um 13.36 Uhr fortgesetzt.
6
Der Verteidiger lehnte anschließend namens des Angeklagten den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesuch begründete er damit, der Vorsitzende habe die Verteidigung nicht darüber informiert , dass er der Sachverständigen Aktenteile zur Vorbereitung des Termins zur Verfügung gestellt habe; er habe auf ausdrückliche Nachfrage des Verteidigers geäußert, die der Sachverständigen überlassenen Gespräche seien für den Tatnachweis nicht relevant, obwohl eins davon das "Kernstück" der Telefonüberwachung darstellen würde. Das Befangenheitsgesuch wurde mit Gerichtsbeschluss unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen , da der Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht und das Gesuch verspätet eingebracht worden sei.
7
Daraufhin brachte der Verteidiger ein zweites inhaltsgleiches Ablehnungsgesuch an und bezog sich zur Glaubhaftmachung auf die noch einzuholenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und des Sitzungsstaatsanwalts. Auch dieses zweite Gesuch wurde mit Gerichtsbeschluss unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen, weil es sich um die unzulässige Wiederholung eines bereits abgelehnten Gesuchs handele.
8
2. Die Revision greift ausschließlich den auf das erste Befangenheitsgesuch ergangenen Beschluss an; den zweiten Beschluss lässt sie unbeanstandet. Sie macht geltend, dass die Verwerfung des ersten Antrags rechtsfehlerhaft gewesen sei, weil eine Glaubhaftmachung über die anwaltliche Erklärung hinaus nicht erforderlich gewesen und er nicht verspätet eingebracht worden sei. Dass der zweite Antrag verworfen wurde, rügt der Beschwerdeführer hingegen nicht.
9
Dem Senat ist es demnach verwehrt, den zweiten Verwerfungsbeschluss zu prüfen. Kommen nach den vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, ist vom Beschwerdeführer darzutun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird, um somit die Angriffsrichtung der Rüge deutlich zu machen (BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94; Cirener/Sander JR 2006, 300). Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts.
10
3. Die Rüge ist unbegründet, da die nach Beschwerdegrundsätzen vorgenommene Prüfung durch den Senat ergibt, dass beim Vorsitzenden die Besorgnis der Befangenheit nicht bestand.
11
a) Die Entscheidung der Strafkammer, das erste Ablehnungsgesuch als im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 1, 2 Alt. 2 StPO unzulässig zu verwerfen, war rechtsfehlerhaft. Der Antrag bedurfte nicht der weiteren Glaubhaftmachung (§ 26 Abs. 2 StPO), da der Verteidiger seine eigenen Wahrnehmungen mitteilte; dass er die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versicherte, war nicht erforderlich (BayObLG StV 1995, 7; OLG Schleswig MDR 1972, 165; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 26 Rdn. 5; Maul in KK 5. Aufl. § 45 Rdn. 11; a.A. OLG Koblenz OLGSt StPO § 45 Nr. 5). Auch war der Antrag nicht verspätet eingebracht (§ 25 StPO), weil die maßgeblichen Vorgänge, auf die er sich gründete, "unmittelbar" vor der Mittagspause - so die Revision - erfolgten und das Ablehnungsgesuch als erster protokollierter Vorgang danach gestellt wurde.
12
b) Bei zutreffender rechtlicher Beurteilung hätte daher der Vorsitzende nach § 27 Abs. 1 StPO an der Entscheidung über den ersten - zulässigen - Antrag nicht mitwirken dürfen. Hat das Gericht über ein Ablehnungsgesuch in falscher Besetzung entschieden, so ist in dem Fall, dass das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist, allein deswegen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bestand. Denn im Fall eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist es dem Revisionsgericht verwehrt, nach Beschwerdegrundsätzen darüber zu entscheiden , ob das Ablehnungsgesuch begründet war (BVerfG NJW 2005, 3410, 3413 f.; StraFo 2006, 232, 236; BGHSt 50, 216, 219; BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06 - Umdr. S. 9 f.). Ein derartiger Fall liegt hier allerdings nicht vor.
13
c) Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn diese Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; StraFo 2006, 232, 235 f.; BGHSt 50, 216, 218; BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 5 StR 249/06 - Umdr. S. 3). Willkür liegt vor, wenn der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten wertend beurteilt, sich gleichsam zum "Richter in eigener Sache" macht (BVerfG NJW 2005, 3410, 3412; StraFo 2006, 232, 235; Beschluss vom 2. August 2006 - 2 BvR 1518/06 - Umdr. S. 5; BGHSt aaO 219; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05 - Umdr. S. 4; Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06 - Umdr. S. 7 f.), oder ein Verstoß von vergleichbarem Gewicht gegeben ist. Demgegenüber gibt es auch Fallgestaltungen, in denen sich ein Verfassungsverstoß nicht feststellen lässt, vielmehr die §§ 26a, 27 StPO "nur" schlicht fehlerhaft angewendet wurden (BVerfG StraFo 2006, 232, 236; vgl. ferner BGH StV 2005, 587, 588; Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05 - Umdr. S. 6).
14
Erfolgt die Verwerfung nur aus formalen Erwägungen, wurden die Ablehnungsgründe aber nicht inhaltlich geprüft, ist im Einzelfall danach zu differenzieren , ob die Entscheidung des Gerichts auf einer groben Missachtung oder Fehlanwendung des Rechts beruht, ob also Auslegung und Handhabung der Verwerfungsgründe nach § 26a Abs. 1 StPO offensichtlich unhaltbar oder aber lediglich schlicht fehlerhaft sind (BGHSt 50, 216, 219 f.). In letzterem Fall entscheidet das Revisionsgericht weiterhin nach Beschwerdegrundsätzen sachlich über die Besorgnis der Befangenheit (zur bisherigen Rspr. vgl. BGHSt 18, 200, 203; 23, 265; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 1, 3, 9).
15
d) Die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs nach § 26a Abs. 1 StPO erfolgte hier nicht willkürlich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Strafkammer Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.
16
Das mit dem Befangenheitsgesuch beanstandete Verhalten des Vorsitzenden war für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht relevant, sodass er bei der Mitwirkung am Verwerfungsbeschluss sein eigenes Verhalten nicht wertend beurteilen musste. Vielmehr wurde die Verwerfung nur mit formalen Mängeln des Gesuchs - Form und Frist, d.h. fehlende Glaubhaftmachung und Verspätung - begründet.
17
Die Entscheidung, das erste Ablehnungsgesuch wegen fehlender Glaubhaftmachung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, war zwar rechtsfehlerhaft; denn der von einem Verteidiger verfasste Antrag genügt schon dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn die Tatsachen, mit denen die Besorgnis der Befangenheit begründet wird, gerichtsbekannt sind (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972, 17; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 26 Rdn. 16) oder der Antrag Wahrnehmungen des Verteidigers enthält, wobei das Fehlen einer anwaltlichen Versicherung grundsätzlich unschädlich ist (vgl. BayObLG StV 1995, 7; OLG Schleswig MDR 1972, 165; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 26 Rdn. 5; Maul in KK 5. Aufl. § 45 Rdn. 11).
18
Die Bewertung des Landgerichts ist aber nicht offensichtlich unhaltbar. Die Erklärungen des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung mussten zwar als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden. Das gilt jedoch nicht für die unterbliebene Information bezüglich des Überlassens von Aktenteilen im Vorfeld der Sachverständigenvernehmung. Insoweit teilt die Revision nicht mit, ob dieser von der Verteidigung erhobene Vorwurf gerichtsbekannt, insbesondere Gegenstand der Hauptverhandlung war. Auch diesbezüglich genügt zwar die in dem Befangenheitsgesuch enthaltene anwaltliche Erklärung, da es sich um eine eigene Wahrnehmung - gegebenenfalls auch außerhalb der Hauptverhandlung - handelte. Indem die Kammer jedoch insgesamt nicht die schlichte Erklärung ausreichen ließ, sodass zumindest die anwaltliche Versicherung von deren Richtigkeit erforderlich gewesen wäre, wandte sie den Verwerfungsgrund des § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO nicht grob rechtsfehlerhaft an. Zwar setzt die Glaubhaftmachung nach zutreffender Auffassung insoweit eine anwaltliche Versicherung nicht voraus. Die der Entscheidung der Kammer zugrunde liegende Auslegung, die sich auch auf obergerichtliche Rechtsprechung berufen kann (vgl. OLG Koblenz OLGSt StPO § 45 Nr. 5), ist jedoch vertretbar. Sie kann das Argument für sich beanspruchen, dass dem Verteidiger, der ein Ablehnungsgesuch stellt, mit der anwaltlichen Versicherung Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung für das Ablehnungsverfahren, in dem keine Beweisaufnahme über den Ablehnungsgrund stattfindet, vor Augen geführt werden.
19
e) Die demnach nach Beschwerdegrundsätzen vorgenommene Prüfung des Sachverhalts ergibt, dass das auf die Überlassung von Aktenteilen bezügliche Verhalten einem verständigen Angeklagten keinen Anlass geben konnte, an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu zweifeln. Maßstab hierfür ist, ob der Richter den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt. Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (Senat , Urteil vom 9. August 2006 - 1 StR 50/06 - Umdr. S. 23; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 24 Rdn. 6, 8 m.w.N.).
20
Die umfangreichen Bemühungen des Vorsitzenden um einen Sprachsachverständigen für den Sinti-Dialekt "Sintitikes" erfolgten im Interesse des Angeklagten, der Zweifel an der Richtigkeit der im Ermittlungsverfahren gefertigten Übersetzung äußerte. Dass es der Vorsitzende dabei unterließ, die Verteidigung davon zu informieren, dass er der schließlich beauftragten Sachverständigen zu ihrer Vorbereitung bestimmte Aktenteile zur Verfügung gestellt hatte, konnte von vornherein kein Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit begründen , weil eine Verpflichtung hierzu nicht bestand (vgl. zu § 33 Abs. 2, 3 StPO; Maul aaO § 33 Rdn. 2; Wendisch aaO § 33 Rdn. 7). Weiterhin war die Frage des Verteidigers nach der Tatrelevanz der überlassenen digitalisierten Gespräche mit Übersetzungsprotokollen sachwidrig. Denn es war notwendig, der Sachverständigen den für ihre Übersetzungstätigkeit jedenfalls auch bedeutsamen fremdsprachlichen Akteninhalt zur Kenntnis zu bringen (§ 80 Abs. 2 StPO). Welches Interesse der Angeklagte daran haben konnte, ihr nur für den Tatvorwurf nicht relevante Gespräche zur Verfügung zu stellen, ist weder von der Revision vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal sich der Auftrag an die Sachverständige naturgemäß (auch) auf die relevanten Gespräche bezog. Die Frage des Verteidigers zielte ferner auf eine vorläufige Bewertung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise und des Akteninhalts. Hierauf haben die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich keinen Anspruch (BGHSt 43, 212); im Übrigen obliegt die Würdigung des Beweisstoffs ohnehin nicht dem Vorsitzenden allein, sondern dem gesamten Spruchkörper. Die vom Vorsitzenden auf diese sachwidrige Frage gegebene Antwort konnte, zumal die Verfahrensbeteiligten sie ohne weiteres überprüfen konnten, vom Standpunkt eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 573/09
vom
14. September 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
1. Das Gespräch, das ein Konsularbeamter mit einem in ausländischer Haft
befindlichen deutschen Beschuldigten in Erfüllung seiner Hilfspflicht nach
§ 7 KonsG führt, ist keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO.
2. Wird ein Beschuldigter in ausländischer Haft bei Vernehmungen geschlagen
, so führt dies nicht zur Unverwertbarkeit seiner Äußerungen im Rahmen
eines Gesprächs, das er während der Haft mit einem deutschen Konsularbeamten
führt, wenn hierbei die Misshandlungen keinen Einfluss auf den Inhalt
seiner Angaben mehr haben.
BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09 - OLG Koblenz
in der Strafsache
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag und mit Zustimmung
des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am
14. September 2010 gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird
a) die Strafverfolgung auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Juli 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen der "vorsätzlichen nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren Zuwiderhandlung gegen ein EGEmbargo" in acht tateinheitlichen Fällen entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen "mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit acht Fällen der vorsätzlichen nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren Zuwiderhandlung gegen ein EG-Embargo" zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit mehreren verfahrensrechtlichen Beanstandungen und der allgemeinen Sachbeschwerde.
2
Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO die Verfolgung auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt und die Vorwürfe tateinheitlich begangener Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz von der Strafverfolgung ausgenommen. Dies führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs. Im verbleibenden Umfang hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Der Schuldspruch nach § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Näherer Erörterung bedarf nur die im Zusammenhang mit der Verwertung der Aussage des Zeugen M. erhobene Verfahrensbeanstandung. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts beteiligte sich der in Pakistan geborene und 1992 in Deutschland eingebürgerte Angeklagte ab spätestens Sommer 2004 bis zum Februar 2008 als Mitglied in der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Qaida. Er beschaffte in Deutschland Ausrüstungsgegenstände sowie größere Geldbeträge und verbrachte diese bei insge- samt acht Reisen in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet, wo er sie an andere Mitglieder der Organisation weitergab. Darüber hinaus bemühte er sich - teils erfolgreich - um die Rekrutierung von Kämpfern, warb um Unterstützer für Al Qaida, nahm an Ausbildungen der Vereinigung teil und stellte sich auch selbst als Kämpfer zur Verfügung. Am 18. Juni 2007 wurde er in Lahore vom pakistanischen Geheimdienst ISI festgenommen und an diesem sowie am Folgetag mehrfach vernommen. Er machte dabei auch Angaben zu seiner Tätigkeit in der Al Qaida. Bei diesen Verhören wurde der Angeklagte auf nicht näher feststellbare Weise - wahrscheinlich mit einem Schlaginstrument, das aus einem etwa 1 cm dicken, oval zugeschnittenen Gummistück aus einem Reifen mit Holzgriff bestand - geschlagen, als er danach befragt wurde, ob er in Pakistan oder in Deutschland Anschläge plane. Während das Oberlandesgericht insoweit von einer Misshandlung des Angeklagten durch die pakistanischen Behörden ausgeht, hat es hinsichtlich weiterer Verhöre in der Folgezeit nur nicht ausschließen können, dass der Angeklagte dabei erneut geschlagen worden ist.
5
Mitarbeiter des ISI unterrichteten den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Islamabad am 19. Juni 2007 von den Angaben des Angeklagten und boten an, diesen über den ISI befragen zu lassen. Hiervon machte der Verbindungsbeamte keinen Gebrauch. Er teilte dem ISI auch keine Erkenntnisse über den Angeklagten mit, sondern unterrichtete die Deutsche Botschaft von dessen Verhaftung. Am 18. Juli 2007 konnte der Zeuge M. , Leiter der Rechts- und Konsularabteilung der Deutschen Botschaft in Islamabad, den Angeklagten besuchen. Alleiniger Grund für das Gespräch war die konsularische Betreuung des Gefangenen. Dem Zeugen war zuvor vom ISI mitgeteilt worden, dass dem Anklagten Kontakte zu Al Qaida angelastet würden und er sich beim Bombenbau am Arm verletzt habe. Weder der Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamts noch andere Mitarbeiter deutscher Ermittlungs- oder Sicher- heitsbehörden oder Mitarbeiter des ISI waren an ihn mit dem Anliegen herangetreten , den Angeklagten über seine Betätigung für Al Qaida zu befragen oder auch nur das Gespräch in diese Richtung zu lenken. Das Treffen fand in einer Villa statt. Es wurde in entspannter Atmosphäre in deutscher Sprache und teilweise unter vier Augen geführt. Der Zeuge wollte abklären, ob der Angeklagte die Vermittlung eines Rechtsanwalts durch die deutsche Auslandsvertretung wünsche. Er fragte deshalb, seiner üblichen Vorgehensweise in solchen Fällen entsprechend, ob der Angeklagte wisse, was ihm vorgeworfen werde und ob die Vorwürfe stimmten. Dies bejahte der Angeklagte und erzählte nunmehr von sich aus von seiner langjährigen Tätigkeit für Al Qaida und von seiner Verletzung beim Versuch, in einem Trainingslager der Organisation einen Sprengkörper herzustellen. Er berichtete auch davon, in der Haft mehrmals gefragt worden zu sein, ob er Anschläge geplant habe; dies seien die einzigen Gelegenheiten gewesen, bei denen er geschlagen worden sei. Ansonsten sei er relativ vernünftig behandelt und nicht geschlagen worden.
6
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen. Seinen Erklärungen, die er nach einzelnen Beweiserhebungen abgegeben hat, hat das Oberlandesgericht entnommen, dass er den Tatvorwurf bestreite. Es hat Aussagen, die der Angeklagte bei seinen Vernehmungen durch den ISI getätigt hatte, nicht verwertet. Seine der Verurteilung zugrundeliegende Überzeugung beruht indes unter anderem auf den Bekundungen des Zeugen M. über die Angaben, die der Angeklagte ihm gegenüber bei dem Gespräch am 18. Juli 2007 über seine Tätigkeit für Al Qaida gemacht hatte. Diese Angaben sind - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - verwertbar.
7
a) Das Verbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO steht einer Verwertung der Aussage des Zeugen M. nicht entgegen.
8
aa) Die Anhörung des Angeklagten durch den Zeugen M. war keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO. Der Zeuge M. ist erkennbar in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz - KonsG) tätig geworden. Danach sind die Konsularbeamten u.a. dazu berufen, Deutschen nach pflichtgemäßem Ermessen Rat und Beistand zu gewähren (§ 1 KonsG; vgl. auch Art. 5 Buchst. e Wiener Übereinkommen über Konsularische Beziehungen - WÜK). Sie sollen in ihrem Konsularbezirk deutsche Untersuchungs- und Strafgefangene auf deren Verlangen betreuen und ihnen insbesondere Rechtsschutz vermitteln (§ 7 KonsG; vgl. auch Art. 36 Abs. 1 Buchst. c WÜK). Bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Inhaftierten soll der Konsularbeamte auch den Grund der Inhaftierung zu klären versuchen (vgl. Hoffmann, Konsularrecht, Band I, Stand: 1. April 1995, § 7 KonsG, Rn. 7.3.2). Damit er einen geeigneten Anwalt empfehlen kann, ist es erforderlich, dass er sich mit dem Inhaftierten auch über die ihm zur Last gelegten Straftaten unterhält (Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜK, Kommentar für die Praxis, 2007, S. 261). Sowohl das Konsulargesetz als auch das Wiener Übereinkommen unterscheiden zwischen der Beistandsleistung, die der Konsularbeamte gegenüber einem deutschen Staatsbürger in seinem Zuständigkeitsbereich erbringt, und den Vernehmungen und Anhörungen, die er auf Ersuchen der Gerichte und Behörden des Entsendestaates durchführt (§ 15 KonsG; Art. 5 Buchst. j WÜK). Nur bei letzteren hat er die für die jeweilige Vernehmung geltenden deutschen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinngemäß anzuwenden (§ 15 Abs. 3 KonsG).
9
Die Befragung hat aus Anlass der Beistandsleistung für den Inhaftierten stattgefunden. Sie war keine amtliche Befragung eines Beschuldigten in Bezug auf die "Beschuldigung" (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) oder den "Gegenstand der Untersuchung" (§ 69 Abs. 1 Satz 2, § 72 StPO) im Rahmen eines Strafverfahrens (vgl. Löwe/Rosenberg/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136a Rn. 15).
10
bb) Selbst wenn § 136a StPO auf das Gespräch zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. zumindest entsprechend Anwendung zu finden hätte, würde sich hieraus kein Verwertungsverbot für die Erklärungen des Angeklagten ergeben.
11
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts haben die Misshandlungen des Angeklagten bei seinen Vernehmungen durch den ISI keinen Einfluss auf seine Angaben gegenüber dem Zeugen M. gehabt. Der Senat kann erneut offen lassen, ob er an diese - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen gebunden (vgl. insoweit schon BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448, Rn. 73) oder insoweit zu eigener Prüfung im Freibeweisverfahren berufen ist (im letzteren Sinn BGH, Urteil vom 28. Juni 1961 - 2 StR 154/61, BGHSt 16, 164). Denn er kommt auch bei eigener Überprüfung anhand der vom Oberlandesgericht mitgeteilten, von der Revision als solche nicht in Zweifel gezogenen objektiven Umständen der Befragung zu demselben Ergebnis.
12
Gegen eine Fortwirkung spricht die vom Zeugen M. geschilderte Gesprächssituation. Er konnte sich in einer entspannten Atmosphäre durchgängig auf deutsch mit dem Angeklagten unterhalten. Ein - möglicherweise der deutschen Sprache mächtiger - Mitarbeiter des ISI verließ nach einiger Zeit den Raum. Der Angeklagte schilderte dem Zeugen, vereinzelt Schläge erhalten zu haben. Diese deutschem und internationalem Recht zuwiderlaufende Verfahrensweise würde er nicht geschildert haben, wenn er noch unter dem Eindruck von Schlägen gestanden und eine Überwachung des Gespräches befürchtet hätte.
13
cc) Bei dieser Sachlage kommt ein Verwertungsverbot nicht in Betracht; denn es besteht kein Anlass, den Anwendungsbereich von § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO weiter auszudehnen und eine Fernwirkung der vom Angeklagten erlittenen Misshandlungen in der Form anzunehmen, alles, was er während seiner Inhaftierung durch den ISI auch Dritten gegenüber geäußert hat, mit einem Verwertungsverbot zu belegen. Dies gilt auch in Ansehung der Verpflichtungen, die der Bundesrepublik aus Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UNAntifolterkonvention ) erwachsen. Danach trägt jeder Vertragsstaat dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde (Art. 15 UN-Antifolterkonvention). Weder ist der Wortlaut im Sinne einer Fernwirkung auszulegen, noch ist eine entsprechende Praxis der Vertragsstaaten erkennbar, so dass insoweit eine Fernwirkung des Verwertungsverbotes der unter Einsatz unzulässiger Vernehmungsmethoden erlangten Aussage nicht als elementares rechtsstaatliches Gebot des deutschen Strafverfahrensrechts angesehen werden kann (BVerfG [Kammer] Beschluss vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96, StV 1997, 361). Gleiches gilt bei Berücksichtigung der Verpflichtung aus Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juni 2010 - Nr. 22978/05, NJW 2010, 3145, Rn. 87 ff., 92).
14
b) Der Senat muss nicht entscheiden, ob einer Verwertung der Aussage des Zeugen M. der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) unter folgendem Gesichtspunkt entgegenstehen könnte: Der Konsularbeamte ist zu Belehrungen entsprechend der StPO nur verpflichtet, wenn er auf Ersuchen deutscher Gerichte und Behörden Vernehmungen oder Anhörungen durchführt (§ 15 Abs. 1, 3, 5 KonsG). In den Fällen konsularischer Betreuung besteht eine solche gesetzliche Verpflichtung nicht. Die im Rahmen dieser Aufgabe notwendigen Erkundigungen des Konsularbeamten nach dem Tatvorwurf sind indes durchaus geeignet, den Gefangenen dazu zu veranlassen, zu dem Tatvorwurf auch inhaltlich, das heißt entweder diesen bestreitend oder in Form eines Geständnisses Stellung zu nehmen. Die spezielle Situation des im Ausland Inhaftierten, der von einem Repräsentanten seines Heimatlandes besucht wird und Hilfe erwartet, mag insbesondere Anlass für eine offene Selbstbelastung geben. Dies gilt generell und ist unabhängig davon, welchen Vernehmungsmethoden und Haftbedingungen der Gefangene bis dahin ausgesetzt war. Es könnte deshalb Anlass bestehen, der besonderen Situation eines Inhaftierten dadurch Rechnung zu tragen, dass ihn der Konsularbeamte auch in den Fällen fürsorglicher Kontaktaufnahme darüber unterrichten muss, dass der Inhalt des nun folgenden Gesprächs regelmäßig innerhalb der Behörde und gegebenenfalls auch bei den Strafverfolgungsbehörden des Heimatlandes bekannt wird.
15
Eine Rüge mit dieser Stoßrichtung hat der Angeklagte indes nicht erhoben.
16
Die Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt H. rügt ein "Beweisverwertungsverbot wegen Fortwirkung der Folter" und trägt vor, entgegen den Feststellungen des Oberlandesgerichts hätten die Misshandlungen bis zu dem Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen M. fortgewirkt. Sie hält § 136a StPO für verletzt. Die Frage, ob unabhängig von den Haft- und Vernehmungsbedingungen ein Hinweis des Konsularbeamten auf die mit einer Selbstbelastung bei dem Gespräch verbundenen Gefahren notwendig gewesen wäre, wird von der Revision nicht angesprochen. Selbst der von Rechtsanwalt H. in der Hauptverhandlung erklärte Widerspruch gegen eine Vernehmung des Zeugen M. , "da bei der Vernehmung des Zeugen" (gemeint ist erkennbar: bei der Vernehmung des Angeklagten durch den Zeugen) "kein Hinweis auf ein bestehendes Aussageverweigerungsrecht erteilt wurde" knüpft an das behauptete "Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a StPO" an.
17
Gleiches gilt für die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt N. . Auch sie stellt die Verletzung von § 136a StPO in den Vordergrund. Sie hält die Norm mangels einer Vernehmung des Angeklagten durch den Zeugen M. zwar nicht für direkt anwendbar, knüpft aber die Unverwertbarkeit, soweit sie aus dem Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird, an die erfolgten Misshandlungen.
18
2. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Das Oberlandesgericht hat die Strafe aus dem Rahmen des § 129b in Verbindung mit § 129a Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre) entnommen und strafschärfend unter anderem die besondere Gefährlichkeit der Vereinigung Al Qaida, die mehrjährige Dauer der mitgliedschaftlichen Beteiligung und die Intensität der Beteiligungsakte gewertet, bei denen der Angeklagte insgesamt ca. 80.000 € sowie eine große Anzahl teilweise hochwertiger Ausrüstungsgegenstände an andere Mitglieder der Vereinigung weitergegeben hatte. Den Schuldgehalt der Weitergabe von Spendengeldern, durch die das Geld für Zwecke und die Tätigkeit von Al Qaida nutzbar wurde, hat das Oberlandesgericht vollständig in den mitgliedschaftlichen Betätigungsakten und demnach in der mitgliedschaftlichen Beteiligung in der terroristischen Vereinigung erfasst. Es hat deshalb den Unrechtsgehalt der Zuwiderhandlungen gegen ein EG-Embargo als reine Formalverstöße gewertet und diese bei der Strafzumessung nicht gesondert zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Der Senat schließt deshalb aus, dass sich die nunmehr vorgenommene Verfolgungsbeschränkung auf den Strafausspruch ausgewirkt hätte, wenn sie bereits im Verfahren vor dem Oberlandesgericht vorgenommen worden wäre.
19
3. Der allein in der Änderung des Schuldspruchs bestehende Erfolg des Rechtsmittels ist nicht derartig bedeutend, dass es unbillig wäre, den Angeklagten mit den vollen Kosten seines Rechtsmittels zu belasten, § 473 Abs. 4 StPO.
Becker Pfister von Lienen Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 76/10
vom
20. Juli 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zum Umfang der Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 20. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 5. November 2009 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. K. wegen Betruges in drei Fällen unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen ; den Angeklagten J. K. hat es wegen Betruges in vier Fällen und wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2
Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen zugrunde gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde :
3
Im Verlauf der Hauptverhandlung hat der Strafkammervorsitzende bezüglich mehrerer Urkunden das Selbstleseverfahren angeordnet. Betreffend ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat er am darauf folgenden Hauptverhandlungstermin zu Protokoll die Feststellung getroffen, dass das Selbstleseverfahren beendet ist, die Mitglieder der Kammer "von dem Urteil" Kenntnis genommen haben und die übrigen Prozessbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Betreffend eine Reihe von Urkunden zu Geldbewegungen sowie zu Haftabwesenheitszeiten des Angeklagten M. K. hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass die Kammer "von den Urkunden", für die in der letzten Hauptverhandlung das Selbstleseverfahren angeordnet worden ist, Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hierzu hatten. Hinsichtlich mehrerer amtsgerichtlicher Urteile hat er zu Protokoll festgestellt, dass das Selbstleseverfahren beendet ist und die Kammer "von den Urteilen" Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hatten , hiervon Kenntnis zu nehmen.
4
Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter und Schöffen "vom Wortlaut" der Urkunden Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urkunde sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei.
5
Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen:
6
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urkunde oder eines anderen Schriftstücks - neben anderen Voraussetzungen - dann abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter und Schöffen tatsächlich von Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus , dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurkundet werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen.
7
Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises - die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen - aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und die Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und der Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen.
8
Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urkundenbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung - insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen.
9
Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Richter und Schöffen im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KKDiemer , 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen werden.
10
Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, be- darf es der Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenkundiger, insbes. gerichtskundiger , außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung grundsätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer -Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 mwN).
11
Durch die hier vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Schriftstücke durch Richter und Schöffen auszulegen sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden und damit verwertbar.
12
Keiner Entscheidung bedarf, wie wegen der fehlenden Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für seine inhaltliche Richtigkeit eine Rüge zu behandeln wäre, entgegen der protokollierten Feststellung hätten die Richter oder Schöffen tatsächlich gar nicht vom Wortlaut der fraglichen Schriftstücke Kenntnis genommen; denn eine solche Rüge ist hier nicht erhoben.
VRiBGH Becker ist wegen Urlaubs Pfister RiBGH von Lienen ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Pfister Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 131/10
vom
14. September 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
14. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 8. September 2009
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen K. b), d), f), h), j), l) und n), V. b) und d) sowie M. b) und c) verurteilt worden ist,
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte schuldig ist - des Betruges in 26 Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, - des Betruges in 63 Fällen, davon in zehn Fällen in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen, - des versuchten Betruges in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse in acht Fällen und - des versuchten Betruges in sechs Fällen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse in 26 Fällen, wegen Betruges in 74 Fällen, wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse in acht Fällen und wegen versuchten Betruges in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es ihm die berufliche Tätigkeit auf den Gebieten der Frauenheilkunde und der Geburtshilfe sowie der plastischen Chirurgie für die Dauer von drei Jahren untersagt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet , hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat 11 Fälle, in denen Patientinnen eine vom Angeklagten jeweils in betrügerischer Absicht gestellte Arztrechnung über in Wahrheit nicht erbrachte Leistungen bei zwei verschiedenen Abrechnungsstellen - der Beihilfestelle und der privaten Krankenversicherung - zur jeweils anteiligen Begleichung einreichten, als jeweils zwei zueinander in Tatmehrheit stehende Fälle des Betruges, davon in einem Fall in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, bewertet. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Bei mehreren Tatbeteiligten ist die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit für jeden Beteiligten nach der Art seines Tatbeitrages selbstständig zu ermitteln. Bei Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft sind selbstständige Betrugstaten der unmittelbar gegenüber den Geschädigten Handelnden beim Mittäter oder Hintermann, dessen Handlung sich in nur einer Tätigkeit erschöpft , als eine einheitliche Tat anzusehen (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840, 2841; Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, NStZ 2008, 352 f.; Fischer, StGB, 57. Aufl., Vor § 52 Rn. 34 mwN). Das Einreichen der falschen Rechnung durch die Patientinnen bei zwei unterschiedlichen Kostenträgern stellt sich damit für den Angeklagten, der jeweils nur eine unrichtige Rechnung ausstellte, als eine einheitliche Tat dar.
4
Dies führt zur Aufhebung des Urteils wegen Betruges in 11 Fällen und zum Wegfall der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen von zwei mal einem Jahr und zwei Monaten in den Fällen V. b) und M. c) sowie von neun mal einem Jahr in den Fällen K. b), d), f), h), j), l) und n), V. d) und M. b). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
5
Trotz des Wegfalls von 11 Einzelstrafen hat die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten Bestand. Der Senat kann im Hinblick auf die verbleibenden 103 Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von zwei mal einem Jahr und sechs Monaten, 10 mal einem Jahr und vier Monaten, 47 mal einem Jahr und zwei Monaten, 30 mal einem Jahr, acht mal 10 Monaten und sechs mal acht Monaten ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte, wenn es die weggefallenen Einzelstrafen nicht in die Gesamtstrafenbildung mit einbezogen hätte.
6
2. Im verbleibenden Umfang der Verurteilung hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO).
7
Nicht durchgreifend ist insbesondere die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen zugrunde gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien (s.a. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10 - zu einer inhaltsgleichen Rüge). Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
8
Im Zuge der Beweisaufnahme zu 13 Fällen betreffend insgesamt acht Patientinnen hat der Strafkammervorsitzende hinsichtlich jeweils mehrerer Urkunden protokolliert, dass diese verlesen wurden, dass die Verlesung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren erfolgte und dass der Angeklagte , der Verteidiger sowie die Vertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Kenntnisnahme erhielten. Im weiteren Verlauf hat er - jeweils nach Unterbrechung der Hauptverhandlung - zu Protokoll die Feststellung getroffen, die Schöffen und die Berufsrichter hätten von den jeweiligen schriftlichen Unterlagen "Kenntnis genommen".
9
Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter und Schöffen "vom Wortlaut" der Urkunden Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urkunde sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei.
10
Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen:
11
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urkunde oder eines anderen Schriftstücks - neben anderen Voraussetzungen - dann abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus , dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurkundet werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen.
12
Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises - die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen - aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass diese tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen.
13
Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urkundsbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung - insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen.
14
Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Schöffen und Berufsrichter im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KK-Diemer, 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen werden.
15
Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, bedarf es der Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenkundiger, insbesondere gerichtskundiger , außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung grundsätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 mwN).
16
Durch die hier vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Schriftstücke durch die Schöffen und Berufsrichter auszulegen sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden und damit verwertbar.
Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 652/10
vom
30. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Bankrotts u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 30. August 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 25. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) im Schuldspruch in den Fällen B.III.1 bis 40 der Urteilsgründe
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Insolvenzverschleppung in zwei Fällen, Bankrotts in sechs Fällen, Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 30 Fällen, Betrugs sowie Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; im Übrigen hat es das Verfahren eingestellt und den Angeklagten freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist im Umfang der Aufhebung begründet; hinsichtlich der noch verbleibenden Tat B.III.41 der Urteilsgründe (Untreue zum Nachteil der Wohnungseigentumsgemeinschaft N. H. – in K. ) ist sie hingegen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

A.

2
Hinsichtlich der Verurteilungen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten, die der Angeklagte als Geschäftsführer der G. Grundstücks- und Wohnbau GmbH & Co KG (im Folgenden: G. GmbH & Co KG) und der A. Sportmarketing GmbH (im Folgenden: A. GmbH) ausgeübt hat (Fälle B.III.1 bis 39 der Urteilsgründe), greift die Verfahrensrüge einer Verletzung der Vorschrift des § 261 StPO durch; auf die weiteren formellen und materiellen Beanstandungen der Revision kommt es insoweit nicht an.

I.

3
Nach den Urteilsfeststellungen hielt der Angeklagte über Familienangehörige , die ihm Generalvollmachten erteilt hatten, sowohl die Kommanditanteile an der G. GmbH & Co KG als auch sämtliche Anteile an deren Komplementär -GmbH, der G. Grundstücks- und Wohnbau GmbH. Zugleich war er Geschäftsführer beider Gesellschaften. Daneben war der Angeklagte alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der A. GmbH, deren Geschäftsgegenstand im Bereich der Vermarktung von Sportlern lag und deren Anteile vom Angeklagten und seinem Sohn gehalten wurden. Nachdem diese am 6. Januar 2006 die Auflösung der A. GmbH beschlossen hatten, wurde der Angeklagte zu deren Liquidator bestellt. Am 15. Juli 2008 wurde das Unternehmen auf Antrag des Finanzamts wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.
4
Sowohl die G. GmbH & Co KG als auch die A. GmbH hatten ab dem Jahr 2003 mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine Zeitlang gelang es dem Angeklagten, kurzfristige Liquiditätsengpässe mittels Hin- und Herschiebens von Geldern zwischen den beiden Unternehmen, aber auch seinem Privatvermögen auszugleichen. Letztlich jedoch wurden beide Unternehmen zahlungsunfähig. Die Zahlungsunfähigkeit trat nach den Feststellungen bei der G. GmbH & Co KG spätestens Anfang des Jahres 2005, bei der A. GmbH bereits Ende 2004 ein.

II.

5
Die Strafkammer hat ihren Feststellungen zum finanziellen Niedergang der Unternehmen und zum Eintreten der Krisensituationen Auszüge der jeweiligen Geschäftskonten zugrunde gelegt, denen sie eine Vielzahl von Kontoständen und Einzelbuchungen entnommen hat. Diese Einzelbuchungen hat sie zum Teil datum- und zahlengenau auf mehreren Seiten der Urteilsgründe wiedergegeben.
6
Die von der Revision zulässig erhobene Rüge, das Landgericht habe die Auszüge der Geschäftskonten der G. GmbH & Co KG bei der Sparkasse K. (Konto ) und bei der Volksbank V. (Konto ) bzw. der A. GmbH bei der Sparkasse K. (Konto ) verwertet, ohne diese prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben , ist begründet.
7
1. Wie die Revision zutreffend ausführt und durch den Inhalt der Protokollniederschrift bewiesen ist, sind die entsprechenden Kontoauszüge in der Hauptverhandlung weder förmlich als Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO verlesen noch sind sie im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführt worden. Der an verschiedenen Stellen des Hauptverhandlungsprotokolls enthaltene Eintrag , Bankordner seien "zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht und in richterlichen Augenschein" genommen worden, ist nicht geeignet, eine förmliche Verlesung der Urkunden zu beweisen (BGHSt 11, 29, 30; Diemer in KK StPO 6. Aufl. § 249 Rn. 51; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 273 Rn. 9). Die Inaugenscheinnahme einer Urkunde beinhaltet im Übrigen nur dann eine zureichende Beweiserhebung, wenn es nicht auf ihren Inhalt, sondern auf ihr Vorhandensein oder ihren Zustand ankommt (BGHR StPO § 249 Abs. 1 Kontoauszüge 1; Meyer-Goßner aaO § 249 Rn. 7).
8
Zwar kann der Inhalt einer Urkunde auch durch ihren Vorhalt an Zeugen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). So ist im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkt, dass Bankordner mit Zeugen "erörtert" bzw. diesen vorgehalten wurden. Beweisgrundlage ist dann allerdings nicht der Vorhalt selbst, sondern die bestätigende Erklärung desjenigen, dem der Vorhalt gemacht wurde (BGHSt 11, 159, 160; BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1; § 261 Inbegriff der Verhandlung 38). Der Einführung einer Urkunde mittels Vorhalt sind deshalb Grenzen gesetzt. Insbesondere wenn es sich um längere oder sehr komplexe Ausführungen handelt, besteht die Gefahr, dass die Auskunftsperson den Sinn der schriftlichen Erklärung auf den bloßen inhaltlichen Vorhalt hin nicht richtig oder nur unvollständig erfasst oder sich an den genauen Wortlaut eines Schriftstücks nicht zuverlässig erinnern kann (BGHSt 11, 159, 160; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 39; BGH NStZ 1991, 500; Meyer-Goßner aaO § 249 Rn. 28). So liegt der Fall hier. Angesichts der hohen Anzahl der von der Kammer verwerteten Kontoauszüge und Einzelbuchungen ist auszuschließen , dass die als Zeugen gehörten Bankmitarbeiter und Polizeibeamten das entsprechende Zahlenwerk aus eigener Erinnerung heraus im Einzelnen bestätigen konnten (vgl. BGH NJW 2002, 2480, in BGHSt 47, 318 insoweit nicht abgedruckt

).

9
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil in den Fällen B.III.1 bis 39 der Urteilsgründe auf diesem Mangel beruht.
10
Das Landgericht hat im Abschnitt B.II.1 bis 3 ausführliche Feststellungen zur finanziellen Entwicklung der beteiligten Unternehmen getroffen, die sie ihrer Darstellung der konkreten Tathandlungen vorangestellt hat. Darin nimmt die Entwicklung der jeweiligen Geschäftskonten breiten Raum ein, teilweise werden Kontostände sowie einzelne Buchungen, etwa eingehende Mietzahlungen, nach genauem Datum und Betrag wiedergegeben. Aus diesen Feststellungen, die das Landgericht ausdrücklich auf die "in die Hauptverhandlung eingeführten Kontoauszüge" gestützt hat (UA S. 45/46 und 50), hat es sodann die Überzeugung gewonnen, dass die G. GmbH & Co KG "spätestens Anfang 2005" und die A. GmbH "spätestens Ende 2004" zahlungsunfähig geworden waren (vgl. UA S. 18, dort unter B.II.3 "Fazit"). Das sich aus den Kontoauszügen ergebende konkrete Zahlenwerk hatte damit bestimmenden Einfluss auf die Bewertung der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen zu den jeweils relevanten Tatzeitpunkten. Dies kann sich auf die Schuldsprüche in den Fällen B.III.1 bis 39 der Urteilsgründe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.
11
Hierzu gilt im Einzelnen:
12
a) Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall B.III.1 der Urteilsgründe wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 130b Abs. 1 HGB (in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung), § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt, weil er als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der G. GmbH & Co KG unter Missachtung der sich aus § 130a Abs. 1 S. 3 HGB (in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung; jetzt § 15a Abs. 1 S. 1 InsO) ergebenden Verpflichtungen erst am 23. Januar 2006 einen Insolvenzantrag gestellt habe, obwohl das Unternehmen bereits seit Anfang 2005 zahlungsunfähig gewesen sei. Im Fall B.III.2 der Urteilsgründe hat es den Angeklagten eines Vergehens der Insolvenzverschleppung gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG (in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung) schuldig gesprochen, weil er es in seiner Eigenschaft als Liquidator der A. GmbH trotz zum Zeitpunkt seiner Bestellung bereits eingetretener und noch andauernder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens unterlassen habe, einen Insolvenzantrag zu stellen.
13
Das Landgericht hat bei seiner Beweiswürdigung zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit jeweils explizit auf seine Ausführungen zur generellen finanziellen Entwicklung der Unternehmen Bezug genommen und auf die dort angeführten Kontostände verwiesen (UA S. 56/57). Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass sich der von der Revision aufgezeigte Verfahrensmangel auf die Verurteilungen ausgewirkt hat.
14
b) Aus denselben Gründen waren auch die Schuldsprüche wegen Bankrotts aufzuheben. Soweit die Strafkammer in den Fällen B.III.3 bis 5 der Urteilsgründe den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB dadurch als erfüllt angesehen hat, dass es der Angeklagte in verantwortlicher Funktion unterließ, Bilanzen der beiden Unternehmen für das Geschäftsjahr 2004 und eine Liquidationsbilanz der A. GmbH zu erstellen, greift die Rüge noch unter einem weiteren Gesichtspunkt durch. Zwar hat das Landgericht unter zutreffender Heran- ziehung der Grundsätze der Rechtsfigur der omissio libera in causa (vgl. hierzu : OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 104, 105; Beckemper JZ 2003, 806, 807; Rönnau NStZ 2003, 525, 530; Hillenkamp in FS Tiedemann 2008, S. 949, 963; Fischer StGB 58. Aufl. § 283 Rn. 29; LK/Tiedemann 12. Aufl. § 283 Rn. 154 sowie zu § 266a StGB: BGHSt 47, 318, 320 ff.; BGHZ 134, 304, 308 ff.) ausgeführt , dass die finanzielle Unmöglichkeit, einen Steuerberater mit der Erstellung von Bilanzen zu beauftragen, den Angeklagten nicht entlasten könne, weil er trotz sich abzeichnender Liquiditätsprobleme eingehende Mietzahlungen und sonstige Vermögenswerte nicht zur Bildung von Rücklagen, sondern zur Begleichung eigener Schulden oder Schulden der A. GmbH verwandt habe.
15
Die dieser Wertung zugrunde gelegten Buchungsvorgänge, welche das Landgericht überwiegend tabellarisch in den Urteilsgründen aufgeführt hat (UA S. 21 bis 35), hat es jedoch ebenfalls den nicht prozessordnungsgemäß eingeführten Kontounterlagen entnommen, weshalb das Urteil auch insoweit auf dem Verfahrensmangel beruht. Dies gilt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch hinsichtlich der Feststellung, dass der Angeklagte rechtsgrundlos Gelder von den Geschäftskonten der G. GmbH & Co KG abgezogen hat. Zwar haben mehrere Zeugen solche Vermögensverschiebungen pauschal dem Grunde nach bestätigt. Die Bewertung der den Pflichtwidrigkeitsvorwurf begründenden, auf den jeweiligen Fälligkeitsstichtag zu beziehenden Liquiditätsprognose (vgl. BGHSt 47, 318, 322/323 zu § 266a StGB) setzt jedoch Kenntnis von den konkreten Zahlungsflüssen voraus, die sich dem Landgericht erst aus den verwerteten Kontoauszügen eröffnet hat.
16
Vor diesem Hintergrund kann auch die Verurteilung wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in den Fällen B.III.9 bis 38 der Urteilsgründe keinen Bestand haben, bei der das Landgericht ebenfalls von einem schuldhaften Zahlungsunvermögen ausgegangen ist.
17
c) Der Schuldspruch in den Fällen B.III.6 und 7 der Urteilsgründe nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB wegen unterlassener Buchführung sowie im Fall B.III.8 der Urteilsgründe nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Verheimlichens von Vermögenswerten hat ebenfalls keinen Bestand. Auch hier sind die Feststellungen zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit von dem Verfahrensmangel betroffen. Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht den Angeklagten eines Betruges schuldig gesprochen hat (Fall B.III.39 der Urteilsgründe), weil er trotz - von ihm auch erkannter - Zahlungsunfähigkeit einen Handwerker mit der Vornahme von Werkleistungen an Wohnobjekten der G. GmbH & Co KG beauftragt hatte.
18
3. Das Urteil war deshalb im vorbezeichneten Umfang aufzuheben. Für die neuerliche Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich zur Feststellung einer tatsächlichen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit empfiehlt, einen Liquiditätsstatus zu erstellen oder durch einen Sachverständigen erstellen zu lassen, in dem übersichtlich die Barmittel sowie die kurzfristig liquidierbaren Vermögenswerte aller bestehenden oder zu erwartenden Verbindlichkeiten entsprechend ihrer jeweiligen Fälligkeit gegenübergestellt werden (BGHR § 283 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1; BGH NStZ 2003, 546; NJW 2010, 2894, 2898, insoweit in BGHSt 55, 107 nicht abgedruckt; vgl. auch Wegner in Achenbach /Ransiek Handbuch Wirtschaftsstrafrecht 2. Aufl. 2008 VII 1 Rn. 69 ff.; LK/Tiedemann aaO, vor § 283 Rn. 130 ff.). Sofern der neue Tatrichter die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erneut anhand wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen vornehmen sollte, wird er zu beachten haben, dass hierbei nur solche Verbindlichkeiten herangezogen werden können, die zu dem möglichst konkret zu bezeichnenden Bewertungszeitpunkt auch fällig waren (vgl. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO; BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 2; Fischer aaO, vor § 283 Rn. 9).

B.

19
Die Verurteilung wegen Untreue im Fall B.III.40 der Urteilsgründe hält auf die Sachrüge der revisionsrechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand.

I.

20
Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
21
Der Angeklagte war Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter mit einem Kapital von 99.900 € der K. I. GmbH & Co KG (nachfolgend : I. GmbH & Co KG). Der Geschäftsanteil des Angeklagten war an die Sparkasse K. verpfändet, bei der der Angeklagte erhebliche, aus der Finanzierung von Immobilienankäufen resultierende Schulden hatte. Weitere Gesellschafterin der I. GmbH & Co KG war die Firma K. - I. -V. -GmbH, eine Tochtergesellschaft der Sparkasse K. , mit einer Einlage von einem Euro. Ziel der Geschäftsgründung war der Abverkauf der finanzierten Immobilien, wobei die Erlöse überwiegend letztlich der Sparkasse zufließen und der Darlehensrückführung dienen sollten. Im Februar 2002 schloss der Angeklagte hierzu mit Verantwortlichen der I. GmbH & Co KG einen Geschäftsbesorgungsvertrag, wodurch ihm gegen Provision die Vermarktung und Verwaltung von Wohnobjekten übertragen wurde. Am 15. Dezember 2005 vereinnahmte der Angeklagte Mietzahlungen für die I. GmbH & Co KG in Höhe von 12.000 €, die er entgegen den Bestimmungen des Geschäftsbesorgungsvertrages nicht auf das Mietkonto verbuchte, sondern für sich behielt.

II.

22
1. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB verurteilt. Durch die Nichtabführung der Mietzahlungen habe er die ihm durch den Geschäftsbesorgungsvertrag eingeräumte Befugnis , über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht und dadurch dem Vermögen der I. GmbH & Co KG einen Nachteil zugefügt.
23
2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass im Rahmen des § 266 StGB eine Schädigung des Gesamthandvermögens einer Kommanditgesellschaft nur insoweit bedeutsam sein kann, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter berührt. Für die Frage des Nachteilseintritts ist demnach nicht allein auf die Gesellschaft , sondern auf das Vermögen der einzelnen Gesellschafter abzustellen (vgl. BGHSt 34, 221, 223; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 25; E. Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 85; Tiedemann GmbH-Strafrecht 5. Aufl. 2010 vor §§ 82 ff. Rn. 22).
24
a) Soweit der Gesellschaftsanteil des Angeklagten betroffen ist, schließt sein Einverständnis die Annahme eines Vermögensschadens aus (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 25; BGH NStZ 1987, 279; Fischer aaO § 266 Rn. 113). Dem steht die Verpfändung seiner Kommanditanteile an die SparkasseK. nicht entgegen. Denn mit einer solchen ist jedenfalls nicht ohne Weiteres auch eine Übertragung der Stimmrechte verbunden (Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck GmbHG 19. Aufl. 2010 § 15 Rn. 50; Michalski GmbHG 2. Aufl. 2010 § 15 Rn. 227).
25
Feststellungen dazu, ob und in welcher Höhe auf Seiten der Komplementär -GmbH ein Vermögensschaden entstanden ist, hat das Landgericht nicht getroffen. Zwar kommt, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist, eine anteilige Schädigung der GmbH im Verhältnis ihrer Einlageleistung zur Gesamteinlage in Betracht (vgl. BGH NStZ 1987, 279; Soyka, Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften, S. 64, jew. auch zu weiteren möglichen Schadenspositionen). Angesichts der lediglich marginalen Höhe eines solchen Nachteils (12.000 € x 1/99001 = 0,12 €) liegt es aber auf der Hand, dass der Angeklagte jederzeit bereit und in der Lage gewesen war, diesen mit eigenen Mitteln auszugleichen (vgl. BGHSt 15, 342, 344; BGH NStZ 1995, 233, 234; Fischer aaO § 266 Rn. 168 mwN).
26
b) Ob der Angeklagte durch die Vereinnahmung der Mietzahlungen zugleich gegen die sich aus dem Verhältnis zur Sparkasse K. als Pfandnehmerin eines Gesellschaftsanteils ergebenden Pflichten verstoßen und dieser in Höhe des auf seinen Kommanditanteil entfallenden Anteils einen Vermögensnachteil zugefügt hat, kann dahin stehen. Mangels konkreter Feststellungen zum Inhalt der Sicherungsabrede ist bereits offen, ob die Ablieferung vereinnahmter Gelder an die I. GmbH & Co KG auch im Verhältnis zur Pfandnehmerin eine wesentliche Vertragspflicht darstellte (vgl. BGH wistra 1984, 143 mit Anm. Schomburg). Ein möglicher Pflichtenverstoß gegenüber der Sparkasse K. war jedenfalls weder von der Anklage bezeichnet, noch war der Angeklagte hierauf in sonstiger Weise, etwa in Form eines rechtlichen Hinweises entsprechend § 265 Abs. 1 StPO, hingewiesen worden.

C.

27
Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen B.III.1 bis 40 der Urteilsgründe erfordert die Aufhebung auch der Gesamtstrafe.

Fischer Appl Schmitt Eschelbach Ott
5 StR 226/99

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 5. April 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2000

beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22. Dezember 1998 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben , 1. soweit der Angeklagte
a) wegen Hinterziehung von Körperschaftsteuer 1990 in zwei Fällen (Fälle III.D.1 Nrn. 1 und 6 der Urteilsgründe) sowie
b) wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer 1990 in zwei Fällen (Fälle III.D.4 Nrn. 1 und 7 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; in den genannten Fällen wird das Verfahren eingestellt. 2. mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen unterlassenen Steuerabzugs von Vergütungen im Sinne des § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in vier Fällen (Fälle III.D.3 Nrn. 3, 14, 16 und 21 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; insoweit bleiben die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung aufrechterhalten; 3. im Ausspruch über die Gesamtstrafe. II. Soweit der Angeklagte wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in 19 Fällen (Fälle III.D.4 Nrn. 3 bis 6 und 8 bis 22 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, wird das Verfahren abgetrennt. III. Die weitergehende Revision gegen das oben bezeichnete Urteil wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
IV. Soweit das Verfahren eingestellt wird, fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last. V. Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren, soweit es nicht eingestellt wird, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 58 Fällen sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen.
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg.

I.


Der Angeklagte betrieb seit 1971 ein Konzertbüro für Popmusik- und später auch Klassikkonzerte. Anfang der neunziger Jahre wurde er zu einem der bedeutendsten Konzertveranstalter Deutschlands. Allein zwischen 1990 und 1994 veranstaltete der Angeklagte ca. 500 Konzerte mit einem Gesamtumsatz von ungefähr 200 Millionen DM. Seine Geschäftstätigkeit erstreckte sich außer auf die Veranstaltung von Konzerten auch auf den Vertrieb von Eintrittskarten. Die Geschäfte wickelte der Angeklagte im wesentlichen über folgende Firmen ab, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er im Tatzeitraum war:
- H GmbH (im folgenden: HoKo), gegründet am 21. Februar 1990, - C GmbH (im folgenden: CCC), gegründet am 24. April 1990, - R GmbH (im folgenden: RMV), gegründet am 22. Februar 1990, - M GmbH (im folgenden: MCD), ge- gründet am 1. Februar 1991.
Für die Angestellten der Firmen war der Angeklagte jeweils unmittelbarer Ansprechpartner und Weisungsgeber. In den Jahren 1992 bis 1997 trat der Angeklagte im wesentlichen als Veranstalter klassischer Konzerte auf. Bei diesen wurden vor allem Lieder und Opernarien dargeboten, bei denen jeweils der Einzelvortrag der auftretenden Sänger im Vordergrund stand.
1. Nach den Urteilsfeststellungen beging der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit folgende Straftaten:

a) Zwischen 1990 und 1994 erfaßte der Angeklagte erhebliche Betriebseinnahmen der von ihm geleiteten Firmen HoKo, CCC und RMV, welche aus dem Verkauf von Eintrittskarten und Programmheften stammten, in der Buchhaltung nicht und vereinnahmte sie privat, ohne die Beträge der Körperschaftsteuer, Einkommensteuer oder Umsatzsteuer zu unterwerfen. Hierbei nutzte er vor allem die Gegebenheit aus, daß die Eintrittskarten überwiegend bar und von einer Vielzahl von Vorverkaufsstellen verkauft wurden und die Anzahl der bei den Konzerten jeweils anwesenden Zuschauer nur schwer nachprüfbar war. Soweit der Angeklagte die Buchungen in der Buchhaltung der Firmen nicht selbst vornahm, wies er seine Mitarbeiter hierzu entsprechend an. Die Betriebsausgaben wurden hingegen, auch soweit sie mit nicht verbuchten Einnahmen in Zusammenhang standen, vollständig erfaßt. Der Angeklagte hinterzog hierdurch zwischen 1990 und 1994 mehr
als 3,5 Millionen DM an Körperschaftsteuer und mehr als 2 Millionen DM an Einkommensteuer sowie Solidaritätszuschlag.

b) Im Jahr 1993 täuschte der Angeklagte das Land BadenWürttemberg mit einer fingierten Abrechnung über die Zahl der verkauften Eintrittskarten eines am 31. Juli 1993 im Schloûgarten von Schwetzingen durchgeführten Konzerts. Hierdurch erreichte er, daû das vertraglich an die Besucherzahl gekoppelte Entgelt für die Überlassung der Parkanlage um 8.150 DM zu niedrig bemessen wurde.

c) Schlieûlich behielt der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts in erheblichem Umfang für die in den Jahren 1993 bis 1997 an ausländische Künstler gezahlten Gagen Einkommensteuern und Umsatzsteuern nicht ein, meldete diese – neben Umsätzen aus Kartenverkäufen – bei den Finanzbehörden nicht an und führte sie auch nicht ab. Dem Angeklagten war hierbei bekannt, daû er als Geschäftsführer der als Konzertveranstalter auftretenden vier Unternehmen gemäû § 50 a Abs. 4 EStG, § 73 EStDV und § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG, §§ 51 ff. UStDV zum Abzug, zur Anmeldung und zur Abführung anfallender Künstlereinkommen- und Künstlerumsatzsteuern verpflichtet war. Zur Verdeckung der Zahlung von Leistungsentgelten an die ausländischen Künstler ergriff der Angeklagte umfangreiche Maûnahmen:
aa) So wurden ab Beginn des Jahres 1993 im Ausland ansässige Konzertveranstalter zum Schein in die Vertragsabwicklung eingeschaltet, um die Verpflichtung zum Steuerabzug im Inland zu verschleiern. Zum Teil wurden bereits vollzogene Verträge mit den Künstlern nachträglich geändert. Der Angeklagte nutzte hierbei eine vom Bundesamt für Finanzen bis Ende 1995 angewendete und auf § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG beruhende Freistellungspraxis hinsichtlich des Steuerabzugs auf Zahlungen an ausländische Konzertveranstalter aus. Die Voraussetzungen für die Freistellung vom Steuerabzug in Form der Erbringung einer eigenen organisatorischen Leistung der aus-
ländischen Firmen und deren Beteiligung am wirtschaftlichen Risiko der Veranstaltungen lagen jedoch tatsächlich nicht vor.
bb) In einigen Fällen teilte der Angeklagte die an ausländische Künstler gezahlten Gagen in mehrere Teile auf, um jeweils nur ein Drittel dem Steuerabzug zu unterwerfen. Die restlichen Zahlungen wurden als Gegenleistung für die Planung und die Vorbereitung der Auftritte, das Studium des Repertoires oder Beratungsleistungen bezeichnet.
cc) Für die in den Jahren 1996 und 1997 vom Angeklagten veranstaltete weltweite Konzerttournee der drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras verwendete der Angeklagte schlieûlich eine schwer zu durchschauende Konstruktion von Verträgen und Geldflüssen zwischen einer Mehrzahl von in- und ausländischen Firmen, um die wahren Leistungsbeziehungen zwischen den von ihm geleiteten Firmen und den drei Tenören zu verschleiern und um sich seinen steuerlichen Verpflichtungen zu einem erheblichen Teil zu entziehen.
Von Beginn an war geplant, daû jeder der drei Tenöre bei der Konzertreihe von insgesamt zwölf Konzerten pro Auftritt eine Festgage von netto 1,5 Millionen US-Dollar erhalten sollte. Dem Tenor Placido Domingo sollte darüber hinaus jeweils noch eine Zusatzvergütung von 500.000 US-Dollar pro Auftritt gezahlt werden. Von den zwölf Konzerten der drei Tenöre fanden zwei in Deutschland statt, nämlich am 3. August 1996 in Düsseldorf und am 24. August 1996 in München. Zur Verschleierung der Höhe dieser Gagen und zur Vermeidung der „Künstlersteuer“ gemäû § 50a EStG in Form eines Steuerabzugs von den Gagen für inländische Konzerte wurden die Leistungsentgelte zu einem erheblichen Teil als Lizenzzahlungen bezeichnet.
Die vom Angeklagten gewählte rechtliche Konstruktion stellte sich im einzelnen wie folgt dar:
(1) Zum einen sollte eine Verlagerung des Gewinns nach Groûbritannien erfolgen, um einer Ertragsbesteuerung im Inland zu entgehen. Hierzu gründete der Angeklagte zum Schein die Firma T (im folgenden: TCP), eine Personengesellschaft englischen Rechts mit Sitz in London, die nach auûen als Konzertveranstalter der Tournee auftreten sollte. Tatsächlich wurde die Tourneeorganisation aber vom Angeklagten von Mannheim aus durchgeführt. Der zweite Gesellschafter der neu gegründeten Partnership hatte faktisch nur die Stellung eines Angestellten.
(2) Darüber hinaus wurden die Gagenzahlungen ± teilweise unter rückwirkender Abänderung bereits vollzogener Verträge ± zu einem erheblichen Teil als Lizenzzahlungen nach Irland deklariert, da solche nach Art. VIII des deutsch-irischen Doppelbesteuerungsabkommens vom Steuerabzug freigestellt werden konnten. Hierzu gründete der Angeklagte die Firma I Ltd. (im folgenden: IIPS) mit Sitz in Cork/Irland und setzte als Direktoren und Gesellschafter zwei Mitglieder einer irischen Anwaltskanzlei ein. Diese vom Angeklagten beherrschte Gesellschaft sollte den örtlichen Konzertveranstaltern gegen Zahlung von Lizenzgebühren die Möglichkeit der Verwendung des Logos „The-3-Tenors“ einräumen, eines graphisch aufbereiteten Schriftzuges. In Wirklichkeit handelte es sich bei den Lizenzgebühren aber weitgehend um verdeckte Gagenzahlungen. Um die Gewinne auch der irischen Ertragsbesteuerung zu entziehen, gründete und leitete der Angeklagte darüber hinaus die Firma Te (im folgenden: TTL) mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey, deren Inhaber die drei Tenöre waren. Diese Firma erwarb die Handelsmarke der drei Tenöre von der Firma W für 200.000 US-Dollar, übertrug die Rechte an dem Logo aber für knapp 40 Millionen US-Dollar an die Firma IIPS weiter.
Es fand dann plangemäû folgender Geldfluû statt: Pro Konzert zahlten die Konzertveranstalter 4,5 Millionen US-Dollar als vorgebliche Lizenzgebühren an die Firma IIPS. 1,5 Millionen US-Dollar hiervon erhielt der Angeklagte für „Beratungsleistungen“. Die jeweils verbleibenden 3 Millionen US-Dollar
der angeblichen Lizenzzahlungen stellten verdeckte Gagenzahlungen für die drei Tenöre dar, für jeden also 1 Million US-Dollar. In der Summe machten diese Beträge ungefähr die Lizenzzahlungen aus, welche die Firma IIPS an die für die drei Tenöre gegründete Firma TTL zu zahlen hatte. Die entsprechend der ursprünglich getroffenen Vereinbarungen noch auf 1,5 Millionen US-Dollar pro Auftritt und Tenor fehlenden 500.000 US-Dollar Gage erhielten die drei Tenöre von der Firma TCP in London, die nach auûen als Veranstalter der gesamten Konzerttournee auftrat. Tatsächlich wurden sämtliche eingeschalteten Firmen nur zur Vermeidung des Einkommensteuerabzugs auf die Künstlergagen vorgeschoben. In Wirklichkeit veranstaltete der Angeklagte die Konzerttournee über die bereits genannten und von ihm geleiteten, in Deutschland ansässigen Firmen, an die auch die drei Tenöre ihre Leistungen erbrachten. Nach den Feststellungen des Landgerichts hinterzog der Angeklagte insgesamt mehr als 9,1 Millionen DM an ¹Künstlereinkommensteuernª gemäû § 50a EStG und Solidaritätszuschlag sowie mehr als 2,7 Millionen DM an Umsatzsteuern auf Leistungsentgelte an die Künstler und auf Kartenverkäufe.
2. Aufgrund anonymer Anzeigen und der Erkenntnisse aus einer Betriebsprüfung bei einer anderen von dem Angeklagten in den Jahren 1989 und 1990 geführten Gesellschaft hatten sich bereits im Jahr 1994 erste Verdachtsmomente für ein strafbares Verhalten des Angeklagten ergeben. Es wurde daher am 30. November 1994 von der Steuerfahndungsstelle des zuständigen Finanzamts gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Körperschaft-, Umsatz-, Gewerbe-, Vermögen- und Kapitalertragsteuer in ¹noch nicht rechtsverjährtem Zeitraumª eingeleitet, ohne daû ihm die Verfahrenseinleitung mitgeteilt wurde. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren am 3. März 1997 von der Steuerfahndung übernommen hatte, beantragte sie aufgrund der von der Steuerfahndung in einem Zwischenbericht vom 26. Februar 1997 niedergelegten Ermittlungsergebnisse einen Haftbefehl und mehrere Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohn- und Geschäftsräume des Angeklagten, die Ge-
schäftsräume der von ihm geleiteten Gesellschaften, die Kanzlei seines Steuerberaters sowie für verschiedene weitere Objekte. Die beantragten Beschlüsse wurden am 13. März 1997, ein weiterer am 21. Mai 1997, erlassen. Der Haftbefehl nannte als Tatvorwurf die Hinterziehung von Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer in den Jahren 1991, 1993 und 1994 sowie von Einkommensteuer in den Jahren 1988 bis 1994. Die Durchsuchungsanordnungen erstreckten sich, soweit sie Durchsuchungen bei Kreditinstituten betrafen , auf dieselben Steuerarten und -zeiträume, hinsichtlich der Einkommensteuerhinterziehung allerdings nur auf die Jahre 1990 bis 1994. Die weiteren Durchsuchungsanordnungen nannten als Tatvorwurf die Hinterziehung von insgesamt 6,3 Millionen DM an Steuern, begangen durch die Abgabe von inhaltlich falschen Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1990 bis 1994. Sie beruhten auf Durchsuchungsanträgen der Staatsanwaltschaft, welche die betroffenen Steuerarten und Hinterziehungszeiträume konkret bezeichneten, hierbei aber Umsatz - und Körperschaftsteuer für die Jahre 1990 und 1992 nicht nannten. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten der Angeklagte und sein Steuerberater noch am 13. März 1997 aufgrund einer Indiskretion Kenntnis von dem eingeleiteten Strafverfahren erlangt. Am Tag danach richtete der Steuerberater ein Schreiben mit dem Zusatz ¹Irgendwelche Versäumnisse sind uns nicht bekanntª an den Angeklagten, in welchem zusammenfassend dargelegt wurde, welche Pflichten den Angeklagten im Hinblick auf die ¹Künstlereinkommensteuerª trafen und inwieweit diese nicht erfüllt worden waren.
Die Auswertung der aufgrund der Durchsuchungsanordnungen am 17. März 1997 beschlagnahmten Unterlagen, insbesondere von Kreditakten, durch eine Ermittlungsgruppe der Steuerfahndungsstelle führte am 25. März 1997 zu einer dem Angeklagten zunächst nicht mitgeteilten Erweiterung des Ermittlungsverfahrens auf den Verdacht der Hinterziehung von Künstlereinkommensteuer gemäû § 50a EStG für den Zeitraum 1995 und 1996 und am 26. März 1997 aufgrund weiterer Sichtung der sichergestellten
Beweismittel zu einer Erweiterung dieses Vorwurfs auf den Zeitraum 1990 bis 1994. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die Ermittlungsbehörden aufgrund der Auswertung der sichergestellten Unterlagen spätestens am 25. März 1997 Kenntnis von den Vorgängen um die Tournee der ¹Drei Tenöreª und spätestens am Tag darauf Kenntnis davon, daû der Angeklagte auch im Zeitraum von 1990 bis 1994 durch die Einschaltung ausländischer Gesellschaften ¹Künstlersteuernª hinterzogen hatte. Zwischen 2. und 11. April 1997 gab der Angeklagte dann vier Steuererklärungen mit berichtigenden Angaben über die abzuführende Künstlereinkommensteuer für einzelne 1993 bis 1995 betreffende Besteuerungszeiträume ab. Die Verfahrenserweiterungen wurden dem Angeklagten, nachdem allerdings dessen Verteidiger bereits am 16. April 1997 Akteneinsicht erhalten hatte, formell erst am 22. Juli 1997 bekanntgegeben.
Am 17. Juli 1997 wurden vom Amtsgericht Mannheim weitere Durchsuchungsbeschlüsse erlassen, welche als Tatvorwurf die Abgabe von inhaltlich falschen Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen sowie die Nichtabgabe und/oder verspätete Abgabe von Steueranmeldungen gemäû § 50a EStG und eine zu Unrecht beim Bundesamt für Finanzen beantragte Freistellung gemäû § 50d EStG bezeichneten, wodurch für die Jahre 1990 bis 1996 Steuern in einer Gröûenordnung von 16 Millionen DM hinterzogen worden seien. Diese Durchsuchungsbeschlüsse beruhten auf Anträgen der Staatsanwaltschaft, welche zwar für die Einkommensteuerhinterziehung einen Tatzeitraum von 1990 bis 1996, für die Körper - bzw. Umsatzsteuerhinterziehung aber jeweils nur Tatzeiträume von 1991 bis 1994 bzw. bis 1996 bezeichnet hatten. Im Rahmen einer am 22. Juli 1997 durchgeführten zweiten Durchsuchungsaktion, bei der aufgrund dieser Durchsuchungsbeschlüsse erneut die Wohn- und Geschäftsräume des Angeklagten durchsucht wurden, erlangten die Ermittlungsbehörden Kenntnis von den Vorgängen um ein Konzert des Placido Domingo vom 30. Januar 1997, die am 23. August 1997 zu einer Verfahrenserweiterung hinsichtlich Umsatzsteuerhinterziehung auf das erste Quartal 1997 führte,
welche dem Angeklagten sofort bekanntgegeben wurde. Am 30. August 1997 gab der Angeklagte für die Firma MCD eine Steuererklärung mit berichtigenden Angaben über die Künstlereinkommensteuer für das erste Quartal 1997 ab.
Schlieûlich erlieû das Amtsgericht im Zeitraum vom 13. bis 28. August 1997 noch weitere Durchsuchungsbeschlüsse, die ohne Schilderung eines Sachverhaltes und ohne Bezeichnung eines Straftatbestandes oder einer Steuerart pauschal einen Tatzeitraum von 1990 bis 1996 nannten. Am 27. Juli 1998 wurde gegen den Angeklagten Anklage erhoben.

II.


Soweit der Angeklagte wegen Hinterziehung von Körperschaftsteuer 1990 in zwei Fällen (Fälle III.D.1 Nrn. 1 und 6 der Urteilsgründe) sowie wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer 1990 in zwei Fällen (Fälle III.D.4 Nrn. 1 und 7 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, ist das Urteil des Landgerichts aufzuheben; das Verfahren ist insoweit einzustellen. Hinsichtlich dieser Taten wurden keine Handlungen vorgenommen, welche den Lauf der Verjährungsfrist wirksam unterbrochen haben. Dies gilt auch für die erlassenen Gerichtsbeschlüsse , deren verjährungsunterbrechende Wirkung diese Taten nicht erfaûte.
Zwar erstreckt sich die Unterbrechungswirkung von Untersuchungshandlungen grundsätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen Taten, wenn in einem Verfahren wegen mehrerer Taten im prozessualen Sinn ermittelt wird. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Verfolgungswille des tätig werdenden Strafverfolgungsorgans erkennbar auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist (BGHR StGB § 78c Abs. 1 ± Handlung 4 und § 78c Abs. 1 Nr. 1 ± Bekanntgabe 2; jeweils m.w.N.; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78c Rdn. 8; G. Schäfer, Festschrift für Hanns Dünnebier, 1982, S. 541, 547). Der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden ist danach das entscheidende Kri-
terium für die sachliche Reichweite der Unterbrechungswirkung (vgl. BGH wistra 2000, 17 m.w.N.). Für die Bestimmung des Verfolgungswillens der Strafverfolgungsorgane ist maûgeblich, was mit der jeweiligen richterlichen Handlung bezweckt wird. Dabei sind neben dem Wortlaut der Verfügung auch der Sach- und Verfahrenszusammenhang entscheidend. Sofern sich die Reichweite nicht aus der Handlung selbst ergibt, ist der sonstige Akteninhalt zur Auslegung heranzuziehen (vgl. BGHSt 16, 164). Bleiben dann immer noch Zweifel, ist davon auszugehen, daû die betreffende richterliche Handlung die Verjährung nicht unterbrochen hat (BGHSt 18, 274). Für die genannten Taten fehlte es bei Erlaû der Gerichtsbeschlüsse ± soweit diese überhaupt hinreichend konkret gefaût waren ± an einem entsprechenden Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörden.
1. Für die zugunsten der HoKo und der CCC begangenen Taten der Umsatzsteuerhinterziehung für 1990 (Fälle III.D.4 Nrn. 1 und 7 der Urteilsgründe ) ist mangels rechtzeitiger Unterbrechungshandlungen mit Ablauf des 29. April bzw. des 28. Juni 1997 (vgl. Jähnke aaO § 78 Rdn. 7) Verfolgungsverjährung eingetreten.
Die Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB, § 370 AO). Sie beginnt gemäû § 78a StGB, sobald die jeweilige Tat beendet ist, d.h. bei Steuerstraftaten mit Eintritt des tatbestandlichen Erfolges (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 376 Rdn. 26).
Die Tatbeendigung tritt bei Fälligkeitssteuern ± wie hier bei der Umsatzsteuer ± bei Erstattungsanmeldungen mit der Zustimmung der Finanzbehörden zur geltend gemachten Steuererstattung ein (vgl. Kohlmann aaO § 376 AO Rdn. 38, Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 4. Aufl. § 376 Rdn. 22, 25). Zwar ist die Tat grundsätzlich bereits mit Eingang der unrichtigen Steuererklärung beendet, da diese als Steueranmeldung der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO). Wenn allerdings ± wie hier ± Steuererstattungen geltend gemacht werden,
gilt diese Gleichstellung erst ab Zustimmung der Finanzbehörden (§ 168 Satz 2 AO), so daû die Beendigung der Tat erst zu diesem Zeitpunkt vorliegen kann.
Die Umsatzsteuerjahreserklärungen für das Jahr 1990 für die Firmen HoKo und CCC wurden bereits am 8. April bzw. am 9. Juni 1992 beim zuständigen Finanzamt eingereicht. Dennoch verlagerte sich der jeweilige Verjährungsbeginn auf den 30. April bzw. den 29. Juni 1992, da die Finanzbehörden den geltend gemachten Umsatzsteuererstattungen erst mit zu diesen Zeitpunkten erlassenen Umsatzsteuerbescheiden zustimmten.

a) Bis zur Übernahme des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft am 3. März 1997 wurden keine verjährungsunterbrechenden Maûnahmen vorgenommen. Zwar erstreckte sich die Verfahrenseinleitung der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Mannheim vom 30. November 1994 auch auf die Umsatzsteuerhinterziehung ¹in noch nicht rechtsverjährtem Zeitraumª und damit auf das Jahr 1990. Diese Verfahrenseinleitung wurde dem Angeklagten aber nicht bekannt gegeben.

b) Auch hinsichtlich des am 13. März 1997 gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehls, der gemäû § 78c Abs. 1 Nr. 5 StGB grundsätzlich eine Verjährungsunterbrechung bewirkt, erstreckte sich hier dessen sachliche Reichweite nicht auf die Umsatzsteuerhinterziehung für das Jahr 1990. Der Haftbefehl war auf einzelne, nach Steuerart und Besteuerungszeitraum konkretisierte Taten beschränkt, nannte die Umsatzsteuerhinterziehung 1990 aber nicht. Die Einkommen- und die Umsatzsteuerhinterziehung 1990 stellen auch keine einheitliche Tat dar, was zu einer Erstreckung der Unterbrechungswirkung auf die Umsatzsteuerhinterziehung hätte führen können. Tateinheit mit der im Haftbefehl aufgeführten Einkommensteuerhinterziehung 1990 liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Steuererklärungen nicht gleichzeitig und in den wesentlichen Punkten inhaltsgleich eingereicht wurden (vgl. hierzu BGHSt 33, 163; BGHR AO § 370 Abs. 1 ± Konkurrenzen 11).
Ebensowenig stellt die Abgabe verschiedener Steuererklärungen eine Tat im prozessualen Sinn dar.

c) Auch die ebenfalls am 13. März 1997 vom Amtsgericht Mannheim erlassenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen haben die Verfolgungsverjährung im Hinblick auf die Umsatzsteuerhinterziehung 1990 nicht gemäû § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB unterbrochen.
Soweit sie sich auf die Wohn- und Geschäftsräume des Angeklagten und der von ihm geleiteten Gesellschaften beziehen, erfaûten sie die Taten der Umsatzsteuerhinterziehung für das Jahr 1990 nicht.
Zwar deckte der pauschal gehaltene Wortlaut der Durchsuchungsbeschlüsse (¹Abgabe von inhaltlich falschen ESt-, USt-, GewSt- und UStErklärungen 1990 ± 1994ª) an sich auch die Umsatzsteuerhinterziehungen für das Jahr 1990 ab. Es fehlte indessen insoweit am Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörden bei Erlaû der Anordnungen, obgleich ± wie sich bereits aus dem Einleitungsvermerk der Steuerfahndungsstelle ergibt ± auch die Taten der Umsatzsteuerhinterziehung für das Jahr 1990 Gegenstand des Ermittlungsverfahrens waren.
Zur Auslegung des Verfolgungswillens und damit der sachlichen Reichweite der Verjährungsunterbrechung ist mangels anderer Anknüpfungspunkte auf die den gerichtlichen Anordnungen zugrunde liegenden Durchsuchungsanträge der Staatsanwaltschaft zurückzugreifen (vgl. G. Schäfer aaO S. 549). Ein Rückgriff auf diese Anträge zeigt, daû dort ± im Gegensatz zu den Durchsuchungsanordnungen ± die jeweiligen Hinterziehungszeiträume für die einzelnen Steuerarten konkret bezeichnet waren. Anders als bezüglich der Einkommensteuerhinterziehung war das Jahr 1990 nicht erfaût. Nach der insoweit eindeutigen Bezeichnung der Taten sind die Umsatzsteuerhinterziehungen für das Jahr 1990 vom den Durchsuchungsanordnungen zugrunde liegenden Verfolgungswillen mithin nicht umfaût. Die
Beschränkung des Verfolgungswillens der Staatsanwaltschaft ergibt sich auch aus der Bezugnahme des Durchsuchungsantrags auf den Zwischenbericht der Steuerfahndungsstelle vom 27. Februar 1997. Dort wurde der bestehende Tatverdacht hinsichtlich der einzelnen Steuerarten, Hinterziehungszeiträume und Hinterziehungsbeträge genau konkretisiert, wobei für das Jahr 1990 ausschlieûlich die Einkommensteuer aufgeführt wurde.
Die anders formulierten, aber gleichfalls am 13. März 1997 bezüglich mehrerer Kreditinstitute nach § 103 StPO erlassenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen erfaûten die Umsatzsteuerhinterziehungen für das Jahr 1990 ebenfalls nicht. Die Beschränkung des Verfolgungswillens manifestiert sich hier in der genauen Bezeichnung von Steuerarten und Hinterziehungszeiträumen , auf die sich die Untersuchungshandlungen erstrekken sollten. Der am 21. Mai 1997 erlassene Durchsuchungsbeschluû hatte keine weitergehende verjährungsunterbrechende Wirkung.

d) Auch sonst wurden vor Ablauf der Verfolgungsverjährung für diese Taten keine hinreichenden Unterbrechungshandlungen vorgenommen.
Die am 17. März 1997 durchgeführte Beschuldigtenvernehmung des Angeklagten erstreckte sich lediglich auf die im Haftbefehl enthaltenen Tatvorwürfe. Sie unterbricht daher die Verfolgungsverjährung hinsichtlich der Umsatzsteuerhinterziehungen für das Jahr 1990 nicht gemäû § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Auch in der Akteneinsichtsgewährung an den Verteidiger des Angeklagten liegt keine wirksame Verjährungsunterbrechung bezüglich der Umsatzsteuerhinterziehung für das Jahr 1990. Zwar kann in der Gewährung erster Akteneinsicht zugleich die Bekanntgabe einer Verfahrenseinleitung im Sinne von § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB liegen, soweit sie dem Angeklagten vorher noch nicht auf andere Weise bekannt gemacht wurde. Diese Bekanntgabe kann sogar über einen für den Beschuldigten tätigen Rechtsanwalt erfol-
gen, wenn ± wie hier ± aus den Umständen klar ersichtlich wird, daû die diesem gewährte Akteneinsicht zur Information des Beschuldigten über Existenz , Inhalt und Umfang des Ermittlungsverfahrens dienen soll und auch tatsächlich gedient hat (BGHR § 78c Abs. 1 Nr. 1 ± Bekanntgabe 2).
Die Reichweite einer derartigen Bekanntgabe erfaût dabei grundsätzlich den gesamten Verfahrensgegenstand, hier also den der Verfahrenseinleitung vom 30. November 1994. Sie ging jedoch nicht weiter als der zu diesem Zeitpunkt noch bestehende Verfolgungswille, der in den Durchsuchungsanträgen zum Ausdruck kommt. Die Verjährung wurde daher nicht darüber hinausgehend unterbrochen. Die Staatsanwaltschaft hätte ausdrücklich darauf hinweisen müssen, wenn sie angesichts der sehr pauschalen Verfahrenseinleitung und der später im Vermerk der Steuerfahndung vom 26. Februar 1997 erfolgten Konkretisierung der Tatvorwürfe sowie der auf diese beschränkten Durchsuchungsbeschlüsse nun einen weiter gehenden Verfolgungswillen gehabt hätte.
2. Soweit dem Angeklagten Körperschaftsteuerhinterziehungen für 1990 zugunsten der HoKo und der CCC zur Last gelegt werden (Fälle III.D.1 Nrn. 1 und 6 der Urteilsgründe), ist die Verfolgungsverjährung am 30. August bzw. 8. November 1997 eingetreten.

a) Die für den Verjährungsbeginn maûgebliche Tatbeendigung tritt bei der Körperschaftsteuer als Veranlagungssteuer bei Steuernachzahlungen dann ein, wenn der unrichtige Steuerbescheid bekannt gemacht wird (vgl. Franzen/Gast/Joecks, aaO § 376 Rdn. 17, 18). Dies war hinsichtlich der Körperschaftsteuererklärungen 1990 für die CCC am 31. August 1992 und für die HoKo am 9. November 1992 der Fall. Soweit das Urteil für die CCC als Erlaûzeitpunkt des Körperschaftsteuerbescheides 1990 den 15. Oktober 1993 angibt, handelt es sich ± wie die Revision zutreffend feststellt ± um ein offensichtliches Schreibversehen. Die Tabelle im Urteil auf Seite 73 enthält zu Unrecht untereinander zweimal dasselbe Datum.

b) Da die Körperschaftsteuerhinterziehungen für 1990 in den oben genannten Handlungen der Strafverfolgungsorgane in derselben Weise behandelt wurden wie die Umsatzsteuerhinterziehungen für 1990, konnten die dort erwähnten Handlungen auch hier die Verfolgungsverjährung nicht unterbrechen.

c) Der Lauf der Verjährungsfrist wurde auch nicht durch die am 17. Juli 1997 erlassenen Durchsuchungsanordnungen gemäû § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB unterbrochen. Zwar deckte der mehrere Steuerarten umfassende Wortlaut der Durchsuchungsanordnungen ± wie bei den Durchsuchungsbeschlüssen vom 13. März 1997 ± auch die Körperschaftsteuerhinterziehungen für 1990 ab. Ein Rückgriff auf die Durchsuchungsanträge der Staatsanwaltschaft zeigt aber auch hier, daû das Jahr 1990 hinsichtlich der Körperschaftsteuer vom Verfolgungswillen ausgenommen war.

d) Schlieûlich konnten auch die am 13., 20. und 28. August 1997 vom Amtsgericht Mannheim erlassenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen die Verfolgungsverjährung nicht unterbrechen. Diese Anordnungen nennen weder die dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten, noch bezeichnen sie die beweiserheblichen Unterlagen hinreichend konkret, sondern sprechen nur von den Unterlagen, die zur Aufklärung des ± nicht näher bezeichneten ± Sachverhalts dienlich sind. Die Anordnungen sind inhaltlich zu unbestimmt und konnten daher die Verfolgungsverjährung nicht wirksam unterbrechen.
Zwar sind insoweit die Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat nicht hoch, da ihre Einzelheiten durch die Untersuchung erst ermittelt werden sollen. Ein Anfangsverdacht genügt (vgl. Jähnke aaO § 78c Rdn. 5); die Taten brauchen in ihren Einzelheiten nicht festzustehen (BGH wistra 1991, 272, 273). Sie müssen lediglich so individualisiert sein, daû sie von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen zu unterscheiden sind (vgl.
BGHSt 22, 375, 385; Jähnke aaO). Auch diesen Anforderungen wird die Anordnung aber nicht gerecht.
Da die Durchsuchungsanordnungen weder Straftatbestände noch Tatvorwürfe enthalten, vermag auch ein Rückgriff auf die Durchsuchungsanträge der Staatsanwaltschaft den Mangel nicht zu heilen. Zwar erwähnen diese Durchsuchungsanträge im Gegensatz zu den bisher beantragten und erlassenen Durchsuchungsanordnungen nun ausdrücklich die Körperschaftsteuerhinterziehung für 1990, nehmen auf Aktenvermerke der Steuerfahndungsstelle Bezug und bringen hierdurch den Verfolgungswillen für die Körperschaftsteuerhinterziehung für 1990 zum Ausdruck. Die zum Zwecke der Auslegung der sachlichen Reichweite der Verjährungsunterbrechung grundsätzlich mögliche Heranziehung des Inhaltes der Ermittlungsakten und des Durchsuchungsantrages (vgl. o. II. vor 1. und II.1.c) kann jedoch dann keine Verjährungsunterbrechung mehr bewirken, wenn die jeweilige Durchsuchungsanordnung selbst den verfassungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen nicht standhält. Danach müssen derartige schwerwiegende Eingriffe in die Lebenssphäre der Betroffenen meûbar und kontrollierbar sein. Diesen Anforderungen wird aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält, jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Angaben nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (BVerfGE 42, 212, 219 f.; 96, 44, 51 f.; BVerfG wistra 1999, 257; vgl. auch Kleinknecht/ Meyer-Goûner, StPO 44. Aufl. § 105 Rdn. 5 m.w.N.). Die Durchsuchungsund Beschlagnahmeanordnungen des Amtsgerichts Mannheim vom 13., 20. und 28. August 1997 nennen lediglich die Durchsuchungsorte sowie zum Teil die Namen der Firmen, deren ¹Schriftstücke und sonstige Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein könnenª für den Zeitraum 1990 bis 1996 im Rahmen der Durchsuchungen aufgefunden werden sollten. Eine Schilderung der Tatvorwürfe enthalten die Anordnungen ebensowenig wie die Angabe von Strafvorschriften. Zumindest die Bezeichnung des Straftat-
bestandes und der Steuerarten wäre aber im vorliegenden Fall neben der Nennung des Hinterziehungszeitraumes geboten gewesen. Dieser Mangel ist so schwerwiegend, daû die Durchsuchungsanordnungen keine verjährungsunterbrechende Wirkung entfalten konnten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die verfassungsrechtlichen Anforderungen für eine Durchsuchungsanordnung dann als gewahrt angesehen werden können, wenn diese lediglich frühere ergänzt, die ihrerseits hinreichend bestimmt waren und sich auf denselben Tatvorwurf bezogen haben. Dies war hier jedenfalls nicht gegeben, da sich die Durchsuchungsanordnungen vom August 1997 erstmals auf die Körperschaftsteuerhinterziehung für das Jahr 1990 erstrecken sollten.

III.


Die auf die Verletzung formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
Die Revision rügt, daû das Gericht die Verurteilung des Angeklagten wegen Nichtanmeldung der ¹Künstlereinkommensteuerª nach § 50a EStG auf längere und komplizierte fremdsprachige Urkunden gestützt hat, ohne diese nach Übersetzung im Wege der Verlesung oder im Selbstleseverfahren nach § 249 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben. Die Verwertung der Urkunden widerspreche daher § 261 StPO. Diese Rüge greift im Ergebnis nicht durch.
1. Soweit die Nichtverlesung der Vermerke von Rechtsanwalt W vom 19. Oktober 1995 und 24. Mai 1996 gerügt wurde, ist die Rüge bereits unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Im übrigen ist die Rüge unbegründet.

a) Auch wenn die Strafprozeûordnung zur Beweiserhebung über den Inhalt von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken grundsätzlich die Verlesung gemäû § 249 Abs. 1 StPO vorsieht, ist es nicht ausgeschlossen, Urkunden im Wege des Vorhalts in die Hauptverhandlung einzuführen (vgl. BGH, Urt. vom 7. November 1991 ± 4 StR 252/91 ±, insoweit in BGHSt 38, 111 nicht abgedruckt). Zurecht weist allerdings die Revision darauf hin, daû es sich bei einem Vorhalt nicht um einen Urkundenbeweis , sondern lediglich um einen Vernehmungsbehelf handelt. Ein Vorhalt kann nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht Grundlage einer Verurteilung sein. Beweisgrundlage ist nicht der Vorhalt, sondern die bestätigende Erklärung desjenigen, dem der Vorhalt gemacht wird (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 11, 159, 160 und 11, 338, 340/341). Der Inhalt einer Urkunde kann somit durch ihre Erörterung Gegenstand der Hauptverhandlung werden (vgl. BGHSt 11, 159, 160; BGH NJW 1992, 3247, 2348). In einem solchen Fall bedarf es keiner Verlesung der Urkunde. Der Tatrichter kann vielmehr die vom Angeklagten auf die ± nicht nach § 273 StPO protokollierungspflichtigen (vgl. BGHSt 11, 159, 161; BGH bei Kusch NStZ 1995, 220) ± Vorhalte über den Inhalt der Schriftstücke abgegebenen Erklärungen seiner Überzeugungsbildung zugrunde legen (vgl. BGH, Urt. vom 15. März 1978 ± 2 StR 666/77 ±).
Der Einführung des Inhalts eines Schriftstücks in die Hauptverhandlung im Wege des Vorhalts sind jedoch, insbesondere wenn das Urteil auf den Wortlaut des Schriftstücks gestützt werden soll (vgl. hierzu BGHSt 5, 278; BGH, Urt. vom 6. Juni 1957 ± 4 StR 165/57 ±), dann Grenzen gesetzt, wenn es sich bei dem vorgehaltenen Schriftstück um ein längeres oder ein solches handelt, das sprachlich oder inhaltlich schwer zu verstehen ist. Es bestünde dann nicht die Gewähr dafür, daû die Auskunftsperson den Sinn der schriftlichen Erklärung auf den bloûen inhaltlichen Vorhalt hin richtig erfaût hat (BGHSt 11, 159, 160 f., vgl. auch BGH StV 1999, 359). Dies könnte die Wahrheitsfindung gefährden und das rechtliche Gehör und damit die Verteidigung des Angeklagten beeinträchtigen (BGHSt 5, 278, 279).
Andererseits kommt auch in diesem Fall ein Verstoû gegen die §§ 249, 261 StPO nur dann in Betracht, wenn aus dem Schriftstück Tatsachen entnommen worden sind, die überhaupt eines Beweises bedurften. Dies ist z. B. dann nicht der Fall, wenn Schriftstücke in den Urteilsgründen nicht zum Zwecke des Beweises, sondern nur zur Schilderung eines nicht bestrittenen und unzweifelhaften Sachverhalts wörtlich wiedergegeben werden (BGHSt 11, 159, 162).
Auch im Falle eines (Teil-)Geständnisses, in dem der Angeklagte den äuûeren Geschehensablauf im wesentlichen eingeräumt hat, ist eine im Urteil vorgenommene Verwertung des Inhalts in der Hauptverhandlung nicht verlesener Schriftstücke, die dem Angeklagten vorgehalten wurden und zu denen er sich geäuûert hat, nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie verstöût jedenfalls dann nicht gegen §§ 261, 249 StPO, wenn es für das Urteil nicht auf den genauen Wortlaut der Urkunden ankommt und der Angeklagte, dem die zugrunde liegenden Umstände bekannt waren, aufgrund des Vorhalts den Inhalt der Schriftstücke in groben Zügen erfassen konnte und auch tatsächlich erfaût hat, sofern sich die Verwertung im Urteil auf diese groben Züge beschränkt.
So verhält es sich hier. Der Angeklagte räumte nach den Urteilsfeststellungen den äuûeren Geschehensablauf hinsichtlich der Gagenzahlungen an die drei Tenöre im Wege vorgeblicher Lizenzzahlungen über die dazwischen geschalteten ausländischen Firmen vollständig ein (UA S. 104, 130). Insbesondere bestätigte er die gesamte festgestellte steuerliche Konzeption (UA S. 126) sowie den festgestellten Zahlungsfluû, wie er sich auch aus den ihm vorgehaltenen Zahlungsaufstellungen ergibt. Der Angeklagte behauptete lediglich einschränkend, daû es sich bei der festgestellten vertraglichen Konstruktion um eine von den Tenören an ihn herangetragene Möglichkeit der ¹Steueroptimierungª gehandelt habe, wobei den Gagen Bruttovereinbarungen zugrunde gelegen hätten (UA S. 117). Auûerdem habe er sich mit der
Firma TCP ein dauerhaftes Standbein seiner geschäftlichen Aktivitäten im Ausland schaffen wollen (UA S. 122).
Das Landgericht hat dem Angeklagten lediglich solche Schriftstücke vorgehalten und sie mit ihm erörtert, die von ihm stammten, an ihn gerichtet waren oder ihm sonst bekannt waren, weil sie zentrale Punkte seiner Geschäftstätigkeit im Rahmen der Organisation der Konzerttournee der drei Tenöre betrafen. Da die Schriftstücke den Sachverhaltskomplex betrafen, dessen äuûeren Geschehensablauf der Angeklagte im wesentlichen eingeräumt hatte, konnte er sich zu ihnen ± auch soweit es sich um längere oder für Auûenstehende kompliziert erscheinende Schriftstücke handelte ± ohne weiteres äuûern. Der Angeklagte wurde bei den Vorhalten insbesondere nicht mit ihm unbekannten oder für ihn schwer verständlichen Sachverhalten konfrontiert , was Bedenken an der Zulässigkeit der Vorhalte rechtfertigen hätte können. Der genaue Wortlaut der Urkunden spielte für die Beweiswürdigung keine Rolle und ist im Urteil nicht wiedergegeben. Es ist daher auszuschlieûen, daû das Gericht die Schriftstücke als vermeintlich verlesene Urkunden verwertet hat (vgl. hierzu BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 495). Wenn das Gericht aus dem vom Angeklagten bestätigten Inhalt der Schriftstücke dann andere Schlüsse zieht als der Angeklagte oder die Verteidigung, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

b) Soweit die Revision rügt, daû dem Angeklagten einzelne Schriftstücke nicht einmal vorgehalten wurden, widerspricht dies den Feststellungen im Urteil, nach denen der Angeklagte den Inhalt dieser mit ihm erörterten Schriftstücke bestätigt hat (UA S. 130). Die Rüge, ein derartiger Vorhalt sei nicht vorgenommen worden, muû aber bereits deshalb erfolglos bleiben, weil kein Beweis für die Richtigkeit der Behauptung erbracht werden kann. Es widerspräche der Ordnung des Revisionsverfahrens, über Vorgänge in der Hauptverhandlung, die keine wesentlichen Förmlichkeiten darstellen und deshalb in die Sitzungsniederschrift nicht aufzunehmen sind, Beweis zu er-
heben (BGHSt 17, 351, 352 f.; 31, 139, 140). Dies käme einer Wiederholung eines Teils der tatrichterlichen Verhandlung gleich.

c) Eine Übersetzung der fremdsprachigen Urkunden ins Deutsche war nicht erforderlich, da Beweisgrundlage nicht die Urkunden selbst, sondern die Äuûerungen des Angeklagten waren. Für einen Vorhalt ist die Übersetzung fremdsprachlicher Urkunden nicht erforderlich, wenn deren Inhalt den Prozeûbeteiligten in zutreffender Weise zur Kenntnis gebracht wird (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1975, 369).

IV.


Die Sachrüge des Angeklagten hat teilweise Erfolg.
1. Soweit der Angeklagte wegen unterlassenen Steuerabzugs von Vergütungen im Sinne des § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in vier Fällen (Fälle III.D.3 Nrn. 3, 14, 16 und 21 der Urteilsgründe) wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, ist die Verurteilung aufzuheben; der Schuldspruch bedarf erneuter tatrichterlicher Prüfung. Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, daû der Tatbestand erfüllt ist; die Feststellungen, mit denen das Landgericht eine strafbefreiende Wirkung von Selbstanzeigen ausgeschlossen hat, sind jedoch lückenhaft und tragen die Verneinung der Wirksamkeit der Selbstanzeigen nicht.
Der Angeklagte war gemäû § 50a Abs. 4 EStG i.V.m. §§ 73 ff. EStDV verpflichtet, von den an nicht in Deutschland ansässige Künstler gezahlten Gagen im Wege des Steuerabzugs die anfallende Einkommensteuer (sog. Künstlereinkommensteuer) einzubehalten, anzumelden und an das Finanzamt abzuführen. Dieser Verpflichtung ist der Angeklagte in den oben genannten Fällen nicht nachgekommen und wurde deshalb vom Landgericht rechtsfehlerfrei jeweils der Steuerhinterziehung für schuldig befunden.
Nach den Urteilsfeststellungen reichte der Angeklagte zwischen dem 4. und 11. April sowie am 30. Juli 1997 beim zuständigen Finanzamt Steueranmeldungen mit berichtigten Angaben ein, die das Landgericht rechtsfehlerfrei als Selbstanzeigen angesehen hat. In der Hauptverhandlung gab der Angeklagte an, daû es sich hierbei um ¹freiwillige Selbstanzeigenª gehandelt habe, die er aufgrund einer inneren Abkehr von den Taten vorgenommen habe, ohne mit der Tatentdeckung gerechnet zu haben. Das Landgericht erachtet diese Einlassung jedoch für widerlegt; es verneint gemäû § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeigen, da die Taten, auf die sich die Anmeldungen bezogen hätten, zum Zeitpunkt der Berichtigung bereits entdeckt gewesen seien und der Angeklagte bei verständiger Würdigung der Sachlage damit habe rechnen müssen. Am 17. März 1997 habe wegen anderer Steuerstraftaten des Angeklagten eine Durchsuchungsaktion stattgefunden. Da ihm Umfang und Inhalt der sichergestellten Beweismittel bekannt gewesen seien, sei ihm auch wegen der konkreten Fassung der Durchsuchungsbeschlüsse und des Haftbefehls klar gewesen, daû die eingearbeiteten Ermittlungskräfte innerhalb weniger Tage auch die Taten der Hinterziehung der Künstlereinkommensteuer entdecken würden. Hinzu komme, daû der Angeklagte auch aufgrund eines Schreibens seines Steuerberaters vom 14. März 1997 erkannt habe, daû dieser mit einer unmittelbar bevorstehenden Entdeckung der Taten gerechnet habe. Tatsächlich führten die Auswertungen der sichergestellten Beweismittel bereits am 25. und 26. März 1997 zu Verfahrenserweiterungen auf die Hinterziehung von ¹Künstlereinkommensteuerª in den Jahren 1995 und 1996 beziehungsweise 1990 bis 1994.
Die Erwägungen des Landgerichts halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar ist die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeigen trotz der bei dem Angeklagten am 17. März 1997 von der Steuerfahndung durchgeführten Durchsuchung nicht bereits gemäû § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a oder b AO ausgeschlossen. Die Urteilsfeststellungen zur Tatentdeckung im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO sind jedoch lückenhaft. Sie lassen besorgen, daû das
Landgericht den für eine Tatentdeckung maûgeblichen Tatbegriff verkannt hat und deshalb zu Unrecht weitgehend einen Anfangsverdacht hat ausreichen lassen.
Im einzelnen gilt folgendes:

a) Zurecht ist das Landgericht allerdings nicht bereits vom Ausschluû der Straffreiheit für die Selbstanzeigen allein aufgrund der am 17. März 1997 durchgeführten Durchsuchung ausgegangen.
aa) Zwar sind die Beamten der Steuerfahndung im Rahmen der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Angeklagten ¹zur Ermittlung einer Steuerstraftatª im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO erschienen. Das gegen den Angeklagten eingeleitete Ermittlungsverfahren betraf jedoch andere Taten als diejenigen, die Gegenstand seiner späteren Selbstanzeigen waren. Das Ermittlungsverfahren erstreckte sich zum Zeitpunkt der Durchsuchung lediglich auf den Verdacht der Hinterziehung persönlicher Steuern des Angeklagten und betrieblicher Steuern der von ihm geleiteten Gesellschaften, nicht aber auf die Hinterziehung von Künstlereinkommensteuern , hinsichtlich derer der Angeklagte später berichtigte Steuererklärungen abgab. Auf diesen Tatvorwurf wurde das Ermittlungsverfahren erst durch die Verfahrenserweiterungen vom 25. und 26. März 1997 ausgedehnt.
Obwohl der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO, der lediglich von der Ermittlung ¹einer Steuerstraftatª spricht, weder eine zeitliche noch eine sachliche Begrenzung der Sperrwirkung vorsieht, ist diese Norm einschränkend auszulegen und die von ihr ausgehende Sperrwirkung formal zu begrenzen (h. M.; vgl. die Nachweise bei Kohlmann aaO § 371 Rdn. 150). Eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AO besteht für die von späteren Selbstanzeigen erfaûten Sachverhalte jedenfalls dann nicht, wenn sie zum Zeitpunkt, in dem ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat erschie-
nen ist, weder vom Ermittlungswillen des Amtsträgers erfaût waren noch mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in engem sachlichen Zusammenhang standen.
So lag der Sachverhalt hier. Das Ermittlungsverfahren erstreckte sich zum Zeitpunkt der Durchsuchung ausschlieûlich auf den Verdacht der Hinterziehung von Steuerarten, die mit der Einkommensteuer der Künstler, für die der Angeklagte lediglich gemäû § 50a EStG im Steuerabzugsverfahren die Anmeldungs- und Abführungspflicht hatte, nicht eng verknüpft waren.
Es bedarf hier daher keiner Entscheidung, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen auch Sachverhalte von der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO erfaût werden, die zwar nicht von der Ermittlungsabsicht der Amtsträger umfaût sind, aber in einem engen sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand des Ermittlungsverfahrens stehen (vgl. zur sachlichen und zeitlichen Reichweite der Sperrwirkung des § 371 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AO bereits BGH wistra 1983, 146 und die Nachweise zum Meinungsstand bei Kohlmann aaO Rdn. 158 ff. und Franzen /Gast/Joecks aaO § 371 Rdn. 149 ff.).
bb) Da das Ermittlungsverfahren erst am 25. bzw. 26. März 1997 auf den Verdacht der Hinterziehung von Künstlereinkommensteuer erweitert wurde, konnte hier ± ungeachtet der grundsätzlichen Möglichkeit, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Übergabe einer Durchsuchungsanordnung nach § 102 StPO bekanntzugeben (vgl. Kohlmann aaO Rdn. 174; Franzen/Gast/Joecks aaO Rdn. 168) ± im Rahmen der Durchsuchung vom 17. März 1997 auch keine sich auf diesen Tatvorwurf erstreckende Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. b AO an den Angeklagten erfolgt sein. Wegen des jedenfalls fehlenden engen Zusammenhangs zum bisherigen Verfahrensgegenstand konnte ± unabhängig vom insoweit zugrunde zu legenden Tatbegriff (vgl. hierzu die Nachweise bei Kohlmann aaO Rdn. 191 ff.) ± die Bekanntgabe der Tatvor-
würfe, auf die sich die Durchsuchungsanordnungen erstreckten, die Hinterziehung der Künstlereinkommensteuern nicht erfassen.

b) Die Urteilsfeststellungen lassen jedoch nicht erkennen, ob das Landgericht die sachliche Reichweite des Begriffs der Tatentdeckung im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zutreffend bestimmt hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht für die Annahme einer Tatentdeckung ein bloûer Anfangsverdacht nicht aus. Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten , auch wenn die Wahrscheinlichkeit späterer Aufklärung gegeben ist (BGH wistra 1983, 197). Der Tatverdacht muû sich soweit konkretisiert haben , daû bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist (vgl. BGHR AO § 371 ± Selbstanzeige 5; BGH wistra 1983, 197; 1985, 74, 75; 1988, 308; 1993, 227; Kohlmann aaO Rdn. 203 m.w.N.; Franzen/Gast/Joecks aaO Rdn. 186).
Die Feststellungen des Landgerichts ermöglichen keine revisionsgerichtliche Überprüfung der Subsumtion unter den Rechtsbegriff der Tatentdeckung , da sie konkrete Angaben zur Kenntnis der Finanzbehörden von den einzelnen Taten vermissen lassen. Der Umfang der hierfür erforderlichen Feststellungen richtet sich nach dem Begriff der Tat im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO.
aa) Nach einer Ansicht ist der Begriff der Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu verstehen (vgl. Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO und FGO § 371 AO Rdn. 242, Kohlmann aaO Rdn. 241, 206, 191.2). Danach stellt die Hinterziehung von Steuern für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum eine selbständige Tat dar. Nach einer anderen Ansicht ist unter ¹Tatª im Sinne des § 371 AO die Tat im strafprozessualen Sinn des § 264 StPO und damit als einheitliches historisches Geschehen zu verstehen (vgl. die Nachweise bei Kohlmann aaO).
Der Bundesgerichtshof hat noch zur fortgesetzten Handlung ausgesprochen , daû auch für einzelne Teile der Tat eine Selbstanzeige möglich ist (BGHR AO § 371 Abs. 1 ± Fortsetzungszusammenhang 1), wobei er allerdings ausdrücklich offen gelassen hat, wie weit die Ausschluûgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO in die Vergangenheit oder in die Zukunft wirken. Der Bundesgerichtshof hat aber jedenfalls auf den Einzelakt (BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 1 ± Sperrwirkung 1; AO § 371 Abs. 2 Nr. 2 ± Tatentdeckung 2; BGH wistra 1988, 308) oder auf die einzelne Handlung und die Zuordnung zu den einzelnen Steuerabschnitten abgestellt (BGHSt 35, 36, 37).
Nach Aufgabe der Rechtsprechung zur fortgesetzten Handlung ist ± insbesondere unter Berücksichtigung der mit § 371 AO vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzungen (vgl. hierzu Kohlmann aaO Rdn. 8 ff.) ± ohnehin auf die einzelne Handlung, d. h. auf die Nichtabgabe bzw. die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung, abzustellen. Die einzelne Tat im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO bestimmt sich folglich nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem. Der Senat braucht hierbei im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, ob dies auch für die Fälle der Tateinheit bei gleichzeitiger Abgabe von in wesentlichen Punkten inhaltsgleichen Steuererklärungen gilt (zur Tateinheit vgl. BGHSt 33, 163; BGHR § 370 AO ± Konkurrenzen 11).
bb) Die Urteilsfeststellungen müssen daher so konkret gehalten sein, daû erkennbar wird, daû für jede einzelne Steuererklärung bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Dabei bedarf es indes entgegen der Ansicht der Revision nicht bereits der Kenntnis der Finanzbehörden von den jeweiligen Besteuerungsgrundlagen (so auch Koch/Scholz, AO § 371 5. Aufl. Rdn. 33); auch ist eine detaillierte Schilderung der entdeckten Tatumstände im Urteil nicht erforderlich.
Die Urteilsfeststellungen des Landgerichts werden diesen Anforderungen für eine revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit der Subsumtion nicht ge-
recht. Das Urteil schildert hinsichtlich der Tatentdeckung längere Zeiträume (1995 bis 1996, 1990 bis 1994: UA S. 13). Es ist daher zu besorgen, das Landgericht habe übersehen, daû sich die Tatentdeckung auf die einzelnen unrichtigen oder nicht abgegebenen Steuererklärungen erstrecken muû und eine grobe Kenntnis des Gesamtgeschehens nicht ausreicht. Der Senat kann nicht ausschlieûen, daû das Landgericht angenommen hat, die Kenntnis der Unrichtigkeit einzelner Steuererklärungen und der Begehungsmodalitäten stelle die Tatentdeckung für den gesamten Tatkomplex in den angegebenen Zeiträumen dar. Zur Klarstellung hätte das Landgericht bei der gegebenen Sachlage zumindest darlegen müssen, daû die konkreten Erkenntnisse, auf die sich die Verurteilungserwartung stützt, gerade für diejenigen Taten bereits vorgelegen haben, hinsichtlich derer später Selbstanzeigen abgegeben wurden. Da somit nicht auszuschlieûen ist, daû sich die vorhandenen Erkenntnisse der Steuerfahndung bei Abgabe der Selbstanzeigen ausschlieûlich auf andere Taten aus dem Tatzeitraum erstreckt haben und im übrigen nur ein Anfangsverdacht bestanden hat, beruht das Urteil auf diesem Fehler. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Angabe eines Tatzeitraumes dann ausreichen kann, wenn die Kenntnis bestanden hat, daû sämtliche in diesen Zeitraum fallenden Steuererklärungen unrichtig waren. Dies war hier nicht der Fall.
2. Die Verneinung einer wirksamen Selbstanzeige im Fall III.D.3 Nr. 25 der Urteilsgründe begegnet allerdings keinen rechtlichen Bedenken. Hinsichtlich dieser Tat ging die Selbstanzeige erst am 30. Juni 1997 ein (UA S. 81), obwohl dem Angeklagten die Verfahrenserweiterung insoweit bereits am 23. Juni 1997 mitgeteilt worden war (UA S. 14). Dies steht gemäû § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. b AO einer strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige entgegen.
3. Danach bedarf es allein ergänzender Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Umständen der Selbstanzeigen. Der Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach
sich. Der Senat schlieût aus, daû die Höhe der verbleibenden Einzelstrafen ± insbesondere die verhängte Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ± davon beeinfluût sein kann.

V.


Soweit der Angeklagte wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in 19 Fällen (Fälle III.D.4 Nrn. 3 bis 6 und 8 bis 22 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, wird das Verfahren abgetrennt, da insoweit vor einer Entscheidung des Senates ein Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Gerichtshof) gemäû Art. 234 Abs. 3 EG durchzuführen ist.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden die drei Tenöre im Rahmen der von dem Angeklagten organisierten Konzerttournee als Solisten tätig. Für die durchgeführten Veranstaltungen lagen jeweils Bescheinigungen der zuständigen Kulturbehörden vor, nach welchen die getätigten ¹Veranstaltungsumsätzeª denen der in § 4 Nr. 20 lit. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen gleichartig sind. Von den an die Tenöre für ihre Gesangsdarbietungen ausgezahlten Gagen behielt der Angeklagte als Geschäftsführer der als Konzertveranstalter tätigen Firmen nicht nur keine Einkommensteuern , sondern auch keine Umsatzsteuern im Wege des Steuerabzugs ein und führte solche auch nicht an das Finanzamt ab. Das Landgericht hat deswegen den Angeklagten in den genannten Fällen jeweils wegen Umsatzsteuerhinterziehung verurteilt. Zwar sind gemäû § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG i.V.m. §§ 51 ff. UStDV Leistungsempfänger nicht in Deutschland ansässiger Unternehmer verpflichtet, die Umsatzsteuer auf die von diesen Unternehmern erbrachten Leistungen einzubehalten, anzumelden und an das zuständige Finanzamt abzuführen. Eine Umsatzsteuerpflicht besteht indes dann nicht, wenn eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 UStG eingreift. Das Landgericht hat die im vorliegenden
Fall für die Umsätze der Tenöre in Betracht kommende Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG mit der Begründung verneint, daû diese Vorschrift auf Solisten nicht anwendbar sei, da es sich bei diesen nicht um ¹Einrichtungenª im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG handele.
Die Frage, ob es sich bei Solisten um ¹Einrichtungenª im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG handeln kann, ist für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich , da die Kulturbehörden für die betroffenen Konzertveranstaltungen jeweils Bescheinigungen über die ¹Gleichwertigkeitª der ¹Veranstaltungsumsätzeª mit denen von Einrichtungen im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG erteilt hatten. Diese Bescheinigungen über die Gleichartigkeit der kulturellen Aufgaben besitzen auch für das Strafverfahren materiellrechtliche Bindungswirkung (vgl. hierzu Vogel/Schwarz, UStG 11. Aufl. § 4 Nr. 20 Rdn. 6b). Dementsprechend ist das Landgericht davon ausgegangen, daû die Steuerbefreiungen auch für die darbietenden Künstler galten, soweit sie überhaupt nach § 4 Nr. 20 UStG steuerbefreiungsfähig waren.
Zur Klärung dieser Frage ist nach Art. 234 Abs. 3 EG die Vorabentscheidung des Gerichtshofs herbeizuführen, der für die Auslegung von Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ± Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1) ausschlieûlich zuständig ist, dessen nationale Umsetzung § 4 Nr. 20 lit. a UStG darstellt.
2. Der Umstand, daû die vom Gerichtshof zu entscheidende Rechtsfrage die Mehrzahl und das Schwergewicht der vom Landgericht abgeurteilten Taten nicht betrifft, gebietet im vorliegenden Fall die Abtrennung der von der Rechtsfrage betroffenen Verfahrensteile zur Vorlage an den Gerichtshof.
Zwar kann die Aufspaltung des bisher einheitlichen Verfahrens ± insgesamt gesehen ± zu einer erhöhten zeitlichen Beanspruchung der Gerichte
und der Beteiligten sowie zur Notwendigkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung führen. Im vorliegenden Fall können jedoch verfahrensökonomische Gesichtspunkte eine erhebliche, unvorhersehbar lange Verzögerung der übrigen Verfahrensteile nicht rechtfertigen. Das Schwergewicht der Taten, wegen derer der Angeklagte vom Landgericht verurteilt wurde, ist von der vom Gerichtshof zu entscheidenden Rechtsfrage nicht betroffen. Die Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monaten kann aufgrund des vorliegenden Beschlusses in Rechtskraft erwachsen. Insbesondere gebietet die sich aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ergebenden Pflicht zur Beschleunigung des Verfahrens, im Hinblick auf die nicht von der Vorlagepflicht erfaûten Verfahrensteile , eine Abtrennung des Verfahrens vorzunehmen.
Harms Häger Basdorf Tepperwien Raum

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 342/08
vom
30. April 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________________
1. In Fällen fingierter Ketten- oder Karussellgeschäfte, die auf Hinterziehung von
Steuern angelegt sind, ist bei der Strafzumessung der aus dem Gesamtsystem
erwachsene deliktische Schaden als verschuldete Auswirkung der Tat zu
Grunde zu legen, soweit den einzelnen Beteiligten die Struktur und die Funktionsweise
des Gesamtsystems bekannt sind (im Anschluss an BGHSt 47,
343).
2. Werden durch ein komplexes und aufwändiges Täuschungssystem, das die
systematische Verschleierung von Sachverhalten über einen längeren Zeitraum
bezweckt, in beträchtlichem Umfang Steuern verkürzt, kann sich die
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung als
notwendig erweisen.
BGH, Urt. vom 30. April 2009 - 1 StR 342/08 - LG Gießen
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
30. April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 23. November 2007 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in zwei Fällen wegen Untreue verurteilt wurde; das Verfahren wird insoweit eingestellt;
b) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil in den Fällen, in denen der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, im Ausspruch über die jeweilige Einzelstrafe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen sowie wegen Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte wegen Untreue in zwei Fällen verurteilt wurde. Der Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, gegen den Rechtsfolgenausspruch; das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit 1985 Geschäftsführer der J. (nachfolgend J. GmbH). Deren Geschäftsgegenstand war der An- und Verkauf von Nutzfahrzeugen, insbesondere von Betonmischern.
4
1. Die Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in zehn Fällen beruht auf folgenden Feststellungen:
5
In einer Vielzahl von Fällen verlangten die Halter der Gebrauchtfahrzeuge , die die J. GmbH ankaufen wollte, dass nicht der vollständige Kaufpreis in der Rechnung ausgewiesen wurde. Sie wollten auf diese Weise die Zahlung der auf den nicht in die Rechnung aufgenommenen Teil des Kaufpreises entfallenden Steuer vermeiden. Um diesem Ansinnen der Halter der Fahrzeuge zu entsprechen, wurde unter Anleitung des Angeklagten J. und unter Mitwirkung früherer Mitangeklagter ein System von Scheinfirmen sowie Scheingeschäften entwickelt und in der Folge auch umgesetzt. Dieses ermöglichte einerseits den Haltern, geringere Kaufpreise als die tatsächlich gezahlten zu fakturieren. Auf der anderen Seite konnte die J. GmbH durch das nachstehend näher dargelegte System Rechnungen erlangen, die ihr ermöglichten, Vorsteuer aus Beträgen geltend zu machen, die noch über dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis lagen.
6
Im Einzelnen ging der Angeklagte gemeinsam mit den Mitangeklagten wie folgt vor:
7
Der ursprüngliche Halter des jeweiligen Gebrauchtfahrzeugs, der dieses verkaufen wollte, erstellte für Firmen, die zum Schein als unmittelbarer Käufer des Gebrauchtfahrzeugs auftraten (Erstankäufer), eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis über einen Teil des tatsächlichen Kaufpreises. Der verbleibende Rest des Kaufpreises wurde bar gezahlt, ohne dass dieser Teilbetrag versteuert wurde.
8
Der Erstankäufer stellte einem Zwischenhändler eine Scheinrechnung mit Umsatzsteuerausweis aus, wobei der dort angeführte Nettobetrag über dem Kaufpreis lag, der tatsächlich - als Rechnungsbetrag zuzüglich Schwarzgeldbetrag - an den letzten Halter des Fahrzeuges gezahlt worden war. Der Zwischenhändler erstellte seinerseits für die J. GmbH eine Rechnung, in der er einen nochmals höheren Nettopreis sowie die darauf anfallende Umsatzsteuer auswies. Die J. GmbH veräußerte die Fahrzeuge sodann, nachdem sie teilweise durch das Unternehmen instand gesetzt worden waren, im Inland oder - weit überwiegend - in das Ausland. Die Lieferungen ins Ausland waren umsatzsteuerfrei.
9
Einzelne Geschäfte wichen insoweit von dem dargestellten Grundmuster ab, als der ursprüngliche Halter des Fahrzeuges eine Rechnung an ein in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ansässiges Scheinunternehmen ausstellte, in der entsprechend § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG keine Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Parallel dazu wurde eine Lieferkette in Deutschland fingiert, nach der das identische Fahrzeug von einer Scheinfirma an einen Zwischenhändler und von diesem an die J. GmbH verkauft wurde. In anderen Fällen trat ein ansonsten als Zwischenhändler fungierendes Unternehmen unmittelbar als Käufer gegenüber dem ursprünglichen Halter der Fahrzeuge auf. In weiteren Fällen wurden die Teile des Kaufpreises, die von dem ursprünglichen Halter nicht versteuert wurden, durch Scheinrechnungen über den - tatsächlich nicht erfolgten - Verkauf von Ersatzteilen verschleiert.
10
Allen Geschäften war gemeinsam, dass tatsächlich der ursprüngliche Halter des jeweiligen Gebrauchtfahrzeugs mit Geldern bezahlt wurde, die die J. GmbH dem Zwischenhändler zur Verfügung gestellt hatte, der diese an die Verkäufer weiterleitete. Die Fahrzeuge wurden jeweils direkt an die J. GmbH geliefert. Die Entscheidung über den Ankauf eines Fahrzeuges und den zu zahlenden Preis traf in allen Fällen jeweils der Angeklagte J. , der für die J. GmbH handelte.
11
Die J. GmbH versteuerte die aus ihren Lieferungen resultierenden Umsätze im Inland. Umsätze aus Auslandslieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen wurden als solche deklariert. Die sich aus den Rechnungen der Zwischenhändler ergebende Vorsteuer wurde nach § 15 UStG abgezogen. Auch die als Zwischenhändler auftretenden Unternehmen erklärten die Umsätze, die in ihren Rechnungen an die J. GmbH ausgewiesen wurden, und führten die ausgewiesene Umsatzsteuer ab. Von der daraus resultierenden Zahllast wurde die Vorsteuer abgezogen, die sich aus den Rechnungen ergab, die den Zwischenhändlern von den als Erstankäufer auftretenden Scheinfirmen ausgestellt worden waren. Demgegenüber erklärten die Erstankäufer die in den Rechnungen an die Zwischenhändler ausgewiesenen Umsätze nicht und führten die dort ausgewiesene Umsatzsteuer, die sich auf knapp 570.000,-- Euro belief, auch nicht ab.
12
Der Angeklagte J. machte in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1997 bis 2001 und in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Juli und Oktober 2002 für die J. GmbH die Vorsteuer aus den Rechnungen der Zwischenhändler geltend. Diese belief sich auf etwas mehr als 665.000,-- Euro.
13
Nach Auffassung des Landgerichts wurde insoweit durch die Abgabe falscher Umsatzsteuererklärungen Umsatzsteuer in einer Gesamthöhe von 433.900,-- Euro hinterzogen, die bei der Strafzumessung zu Grunde zu legen sei. Bei diesem Betrag handelt es sich um die jeweilige Umsatzsteuer, die auf den Anteil des Kaufpreises entfiel, der unversteuert an den ursprünglichen Halter des jeweiligen Fahrzeugs gezahlt wurde. Diesen berechnete die Strafkammer , indem sie den Nettobetrag der Ausgangsrechnung des ursprünglichen Halters an die Erstankäufer von dem Nettobetrag der Rechnung, die dieser den Zwischenhändlern ausstellte, subtrahierte. Demgegenüber sah die Strafkammer die Umsatzsteuer, die in den Rechnungen der Erstankäufer an die Zwischenhändler und in den Rechnungen der Zwischenhändler an die J. GmbH ausgewiesen wurde, nicht als strafzumessungsrelevanten Hinterziehungsschaden an. Bei einer Verurteilung wegen Vergehen nach § 370 AO sei im Rahmen der Strafzumessung „nach Sinn und Zweck der Vorschrift nur auf die Verkürzung solcher Steuersummen abzustellen, die bei ordnungsgemäßem Verhalten von vornherein an den Fiskus abzuführen gewesen wären“.
14
2. Daneben verurteilte das Landgericht den Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen zum Nachteil der J. GmbH. Nach den diesbezüglichen Feststellungen entnahm der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2001 unter Verletzung der ihn treffenden Pflichten als Geschäftsführer aus dem Vermögen der Gesellschaft ohne rechtfertigenden Grund insgesamt knapp 175.000,-- Euro , um das Geld für eigene Zwecke zu verwenden. Diese Entnahmen verschleierte er durch Scheinrechungen, die er in die Buchhaltung der J. GmbH einstellte. Die in den Scheinrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer machte der Angeklagte in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000 bzw. 2001 als Vorsteuer geltend. Alleinige Gesellschafterin zur Tatzeit war die Ehefrau des Angeklagten.

II.

15
Die Revision des Angeklagten führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Teilaufhebung und -einstellung und zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
16
1. Soweit der Angeklagte wegen Untreue zum Nachteil der J. GmbH verurteilt wurde, ist die Verurteilung aufzuheben und das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Es besteht ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis, da der nach § 266 Abs. 2 StGB i.V.m. § 247 StGB für die Strafverfolgung erforderliche Strafantrag der Verletzten fehlt.
17
a) Nach den Feststellungen war allein die Ehefrau des Angeklagten Gesellschafterin der J. GmbH. Als Verletzte der Untreuetaten zum Nachteil der J. GmbH ist daher allein die Ehefrau des Angeklagten anzusehen (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 86). Dass sie den erforderlichen Strafantrag ge- stellt hat, ist weder festgestellt, noch anderweitig ersichtlich. Auch für eine Ausnahme von dem Strafantragserfordernis, die dann in Betracht kommt, wenn durch die Untreuehandlung eine konkrete Existenzgefährdung der Gesellschaft verursacht worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 79, 80), ergeben sich keine Anhaltspunkte.
18
b) Der Senat schließt aus, dass noch ein wirksamer Strafantrag gestellt werden könnte. Dies gilt um so mehr, als die Antragsfrist nach § 77b Abs. 1 StGB, deren Lauf mit Kenntniserlangung der Antragsberechtigten von Tat und Täter beginnt (§ 77b Abs. 2 StGB), mit hoher Wahrscheinlichkeit verstrichen ist. Diesbezügliche, sich angesichts der konkreten Situation aufdrängende Zweifel würden zu Gunsten des Angeklagten wirken (vgl. BGHSt 22, 90, 93).
19
c) Der Wegfall der Verurteilung wegen Untreue führt vorliegend nicht zur Aufhebung der diesbezüglichen Feststellungen (vgl. Schoreit in KK StPO 6. Aufl. § 260 Rdn. 46), da die zu den Untreuetaten getroffenen Feststellungen auch für die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000 und 2001 von Bedeutung sind.
20
2. Wegen des Wegfalls der wegen Untreue verhängten Einzelstrafen kann der Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
21
3. Im Übrigen bleiben die Verfahrensrügen und die Sachrüge aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen, die auch durch die Gegenerklärung des Angeklagten nicht entkräftet werden, ohne Erfolg.
22
Ergänzend dazu bemerkt der Senat lediglich Folgendes:
23
a) Soweit der Angeklagte rügt, dass die Berufsrichter und die Schöffen vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden keine Kenntnis erlangt haben, deckt er keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Urteil könnte auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler auch nicht beruhen. Denn der Angeklagte hat die einzelnen Lieferungen, deren Daten durch die verlesenen Urkunden eingeführt wurden, nicht bestritten (UA S. 110). Ist aber der Inhalt eines ansonsten zuverlässigen Schriftstücks in der Hauptverhandlung nicht bestritten worden, kann das Urteil im Allgemeinen nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen wurde (vgl. Senat StV 2007 - 569, 570 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend etwas anderes gelten könnte, sind nicht gegeben.
24
b) Auch im Hinblick auf die Rüge, ein Beweisantrag, der am 19. Juni 2007 gestellt wurde, sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem behaupteten Rechtsfehler beruhen könnte.
25
Zutreffend weist die Revision zwar darauf hin, dass die Strafkammer in dem Ablehnungsbeschluss lediglich die zur Begründung des Beweisantrags angeführte Schlussfolgerung des Antragstellers als bereits erwiesen erachtete, nicht aber die eigentliche Beweisbehauptung. In der Sache erweisen sich aber die unter Beweis gestellten Tatsachen aus Sicht des Landgerichts als in tatsächlicher Hinsicht bedeutungslos. Denn im Hinblick auf das Beweisziel kam den Beweistatsachen keine Bedeutung zu. Die Strafkammer erachtete die Tatsachen , auf die nach Feststellung der unter Beweis gestellten (Indiz-)Tatsachen geschlossen werden sollte, bereits anderweitig als erwiesen an. Dies war angesichts der Begründung des Beschlusses für den Angeklagten und seine Verteidiger auch erkennbar. Ein Beruhen des Urteils auf der fehlerhaften Ablehnung kann deshalb ausgeschlossen werden.
26
c) Der Sachrüge ist der Erfolg auch unabhängig davon zu versagen, ob es sich bei den Zwischenhändlern um Unternehmer handelte und ob diese tatsächlich eine Lieferung an die J. GmbH i.S.v. § 3 UStG erbrachten. Denn nach den Feststellungen wusste der Angeklagte J. um seine Einbindung in eine auf Hinterziehung von Umsatzsteuer ausgerichtete Lieferkette. Nach der Rechtsprechung des Senats zu missbräuchlichen Umsatzgeschäften bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im Sinne von § 6a UStG sind aber auf Grund des im Gemeinschaftsrecht verankerten Verbots missbräuchlicher Praktiken für alle Beteiligten eines oder mehrerer Umsatzgeschäfte, die auf die Hinterziehung von Steuern gerichtet sind, die Steuervorteile, die für die einzelnen Geschäfte grundsätzlich vorgesehen sind, zu versagen (BGH DStR 2009, 577 ff.). Dies gilt auch für rein inländische Umsatzgeschäfte (vgl. auch EuGH, Urt. vom 6. Juli 2006 - Rechtssache C-439/05 - Kittel Rdn. 56 f.).

III.

27
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
28
1. Sie beantragt zwar, „das Urteil im angefochtenen Umfang aufzuheben“. Aus dem Inhalt der Revisionsbegründung lässt sich indes entnehmen, dass sich die Beschwerdeführerin allein gegen den Gesamtstrafenausspruch, die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung und die Einzelstrafen, die für die zehn Fälle der Steuerhinterziehung verhängt wurden, wendet.
29
2. Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Eine isolierte Überprüfung der Strafzumessung ist möglich, ohne dass die den Schuldspruch tragenden Feststellungen hiervon berührt würden (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.). Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen bilden eine ausreichende Grundlage für die Nachprüfung der Strafzumessung (BGHSt 33, 59); sowohl das steuerrechtlich erhebliche Verhalten des Angeklagten als auch die Höhe der verkürzten Steuern hat das Landgericht dargelegt.
30
3. Einer Aufhebung und Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte in zwei Fällen wegen Untreue verurteilt wurde, auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft bedarf es nicht, da - unabhängig davon, dass dieses Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO) - das Urteil insoweit bereits auf die Revision des Angeklagten aufzuheben und das Verfahren einzustellen war (vgl. auch Senat, Urt. vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02 m.w.N.).
31
4. Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht der Strafzumessung einen zu geringen Schuldumfang zu Grunde gelegt hat.
32
a) Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannte Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens jeder einzelnen Steuerart. Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH NJW 2009, 528, 531 m.w.N.).
33
Vorliegend wurde zur Ermöglichung der Hinterziehung der Steuern, die der ursprüngliche Halter der Gebrauchtfahrzeuge hätte entrichten müssen, eine Kette von Scheingeschäften gebildet, durch die weitere Steuern hinterzogen wurden. Die Sachverhaltsvarianten, die das Landgericht festgestellt hat, sind betrügerischen Karussellgeschäften vergleichbar, die auf die Erschleichung von ungerechtfertigten Steuervorteilen gerichtet sind. Hier wie dort gilt aber hinsichtlich der verschuldeten Auswirkungen der Tat folgendes:
34
Aufgrund der Ausgestaltung des Gesamtsystems besteht in Fällen solcher fingierter Ketten- oder Karussellgeschäfte typischerweise die Situation, dass für einzelne Glieder der Kette die umsatzsteuerlichen Auswirkungen neutral erscheinen können. Werden nämlich von einzelnen Kettengliedern sämtliche Umsatzsteuern bezahlt und stehen den von diesem Kettenglied gezogenen Vorsteuern vom Scheinrechnungsaussteller gezahlte Umsatzsteuern gegenüber , dann scheint die umsatzsteuerliche Bilanz an sich ausgeglichen. Nach den Feststellungen bestand eine ebensolche Situation bei der J. GmbH. Diese machte zwar zu Unrecht die in den Rechnungen der Zwischenhändler ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Die Zwischenhändler führten aber die Umsatzsteuer, die in den Rechnungen ausgewiesen waren, die der J. GmbH ausgestellt wurden, an das jeweils zuständige Finanzamt ab.
35
Dieser Umstand berührt aber den Schuldspruch nicht. Denn ein Vorsteuerabzug scheidet aus, da den Rechnungen der Zwischenhändler keine tatsächlich durchgeführten Lieferungen zu Grunde lagen. Nur wenn solche tatsächlich gegeben gewesen wären, wäre der Rechnungsadressat zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen (BGH NJW 2002, 1963, 1965).
36
Der Umstand, dass die umsatzsteuerliche Bilanz der J. GmbH auf Grund der Entrichtung der Umsatzsteuer durch die Zwischenhändler als neutral erscheint, hätte aber Auswirkungen auf die Bestimmung des Schuldumfangs.
37
b) Eine solche auf das einzelne Scheinrechnungsverhältnis beschränkte Betrachtung würde dem Gesamtunrechtsgehalt des Hinterziehungssystems aber nicht gerecht. Dieser wird nämlich nicht durch das einzelne Rechnungsverhältnis geprägt, sondern durch das System als Ganzes. Es ist anerkannt, dass jedenfalls, soweit - wie hier - den einzelnen Beteiligten die Struktur und die Funktionsweise des Gesamtsystems bekannt sind, dies auch bei der Feststellung der für die Strafzumessung bestimmenden verschuldeten Auswirkungen der Tat Gewicht erlangen kann. Maßgeblich ist deshalb der vom Vorsatz umfasste , aus dem Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden, der in dem Überschuss von gezogener Vorsteuer im Vergleich zu gezahlter Umsatzsteuer besteht (BGH NJW 2002, 3036, 3039).
38
Es ist daher rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht allein die Umsatzsteuer , die durch die ursprünglichen Halter hinterzogen wurde, der Strafzumessung zu Grunde gelegt hat. Denn hierdurch wird der aus dem Gesamthinterziehungssystem erwachsene Schaden nicht vollständig erfasst.

39
aa) Die Feststellungen der Strafkammer sind bereits deshalb bedenklich, weil sie nicht zweifelsfrei feststellen konnte, welche Höhe der nicht versteuerte Kaufpreis hatte, der an die ursprünglichen Halter gezahlt wurde (UA S. 110, 112, 116). Die Strafkammer stellt allein fest, dass der Nettobetrag, der in den Rechnungen der Erstankäufer aufgeführt wurde, über dem Kaufpreis lag, der tatsächlich an den letzten Halter des Fahrzeuges gezahlt worden war (UA S. 16, 110). Im Ergebnis beschwert dies den Angeklagten aber nicht, da aufgrund der Feststellungen zu seinen Lasten anderweitig hinterzogene Steuern in den Blick zu nehmen sind, die der Höhe nach zweifelsfrei feststehen und den Betrag, den die Strafkammer der Strafzumessung zu Grunde gelegt hat, übersteigen.
40
bb) Denn jedenfalls die von den als formelle Erstankäufer eingesetzten Scheinfirmen in den Rechnungen an die Zwischenhändler ausgewiesene Umsatzsteuer , die sich nach den Feststellungen auf circa 570.000,-- Euro belief, wurde hinterzogen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
41
(1) Die als Erstankäufer eingesetzten Scheinfirmen gaben keine Umsatzsteuervoranmeldungen oder -jahreserklärungen ab und führten die in den Scheinrechnungen an die Zwischenhändler ausgewiesene Umsatzsteuer entgegen § 14 Abs. 3 UStG aF (bzw. § 14c Abs. 2 UStG nF) auch nicht ab. Daher haben die Erstankäufer den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht. Bei der Ausstellung einer Scheinrechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer ist eine Gefährdung des Steueraufkommens jedenfalls dann gegeben , wenn diese Rechnung zum Vorsteuerabzug benutzt werden kann und der Rechnungsaussteller die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt hat (BGH NStZ 2001, 380, 381).

42
(2) Die von den Scheinfirmen ausgestellten Rechnungen wurden zudem von den Zwischenhändlern dafür genutzt, unberechtigt Vorsteuern geltend zu machen. Die Steuergefährdung, der der Gesetzgeber mit Schaffung des § 14 Abs. 3 UStG aF (§ 14c UStG nF) entgegenwirken wollte (vgl. BGH NJW 2002, 3036, 3037), ist in einen Schaden umgeschlagen. Die Umsatzsteuer, die die Zwischenhändler aus den Rechnungen abzuführen hatten, die der J. GmbH ausgestellt worden waren, wurde hierbei verkürzt. Bezieht man auch die an anderer Stelle hinterzogene Umsatzsteuer in die gebotene Gesamtbetrachtung mit ein, erweist sich die umsatzsteuerrechtliche Bilanz der J. GmbH nicht mehr als neutral.
43
(3) Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Landgerichts, dass nach § 14 Abs. 3 UStG aF (resp. § 14c Abs. 2 UStG nF) geschuldete Steuern für die Strafzumessung irrelevant seien, da sie bei steuerehrlichem Verhalten nicht an den Fiskus abzuführen gewesen wären, rechtlich nicht zutreffend. Diese Sichtweise vernachlässigt, dass durch die Rechnungen, in denen Umsatzsteuer ausgewiesen wird, dem Rechnungsempfänger eine weitere Möglichkeit der Steuerhinterziehung eröffnet wird. Wenn sich die mit der Scheinrechnung verbundene Gefahr dann aber - wie hier - realisiert, hat diese verschuldete Auswirkung der Tat für die Strafzumessung Bedeutung. Es ist zu berücksichtigen , dass die Verkürzung, die aus den unrichtigen Erklärungen des Zwischenhändlers resultiert, den schon durch das Unterlassen der Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. -jahreserklärung durch den Erstankäufer verursachten Steuerschaden fortsetzt und allenfalls vergrößert. Damit ist das Steueraufkommen zwar nicht in der Summe der beiden Hinterziehungen, aber im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrages gefährdet (BGH NStZ 2003, 268).
44
c) Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil auch zu Gunsten des Angeklagten. Angesichts der Tatsache, dass sowohl der Schaden der einzelnen Hinterziehungstaten als auch der Gesamtschaden weitaus höher ist, als von der Strafkammer angenommen, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Schadensumfangs sowohl auf höhere Einzel- als auch eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
45
Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die vom Landgericht getroffenen Feststellungen aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter darf aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
46
5. Da bereits der aufgezeigte Rechtsfehler zur Aufhebung des Strafausspruchs führt, bedarf es keines Eingehens auf die weiteren Beanstandungen, die die Beschwerdeführerin gegen den Rechtsfolgenausspruch erhebt. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
47
a) Nach § 153a Abs. 2 oder § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Taten bzw. Tatteile, von deren Ahndung nach § 154a StPO abgesehen wurde, dürfen lediglich dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie prozessordnungsgemäß festgestellt wurden und der Angeklagte darauf hingewiesen wurde (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn. 46 f.).
48
b) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben zu prüfen, ob die Taten einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung darstellen. Dies bestimmt sich vorliegend, soweit in diesem Zusammenhang auf die Höhe der hinterzogenen Steuern abgestellt wird, nach § 370 Abs. 3 AO aF. Insoweit müssten Steuern in „großem Ausmaß“ aus „groben Eigennutz“ hinterzogen worden sein.

49
c) Soweit die Höhe der Umsatzsteuer, die seitens der ursprünglichen Halter hinterzogen wurde, beziffert werden kann, ist dieser Hinterziehungsbetrag ebenfalls zu Ungunsten des Angeklagten als verschuldete Auswirkung der Tat mit in die Strafzumessung einzuziehen. Denn gerade auch, um dem ursprünglichen Halter diese eigenständige Hinterziehung zu ermöglichen, wurde das Gesamtsystem unter Mitwirkung des Angeklagten installiert. Der Umstand, dass insoweit für sich genommen eine eigenständige Beihilfe zur Steuerhinterziehung der ursprünglichen Halter gegeben ist, die als solche nicht angeklagt wurde, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 2003, 268). Wie dargelegt kann insoweit allerdings zur Ermittlung des Schwarzgeldanteils, auf dessen Grundlage die hinterzogene Umsatzsteuer zu berechnen wäre, nicht die Differenz zwischen dem Nettobetrag der Rechnungen, die die Erstankäufer den Zwischenhändlern ausstellten und dem Nettobetrag der Rechnungen der Halter an die Erstankäufer herangezogen werden. Soweit der Schwarzgeldanteil am Kaufpreis nicht anderweitig festgestellt werden kann, wäre insoweit der Schwarzgeldanteil für die einzelnen Geschäfte zu schätzen.
50
d) Für den Fall, dass die neu zu bemessende Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigen sollte, wäre auch § 56 Abs. 3 StGB in den Blick zu nehmen.
51
Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei Steuerhinterziehungen beträchtlichen Umfangs auch von Gewicht ist, die Rechtstreue der Bevölkerung, auch auf dem Gebiet des Steuerrechts zu erhalten. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann sich daher zur Verteidigung der Rechtsordnung als notwendig erweisen, wenn die Tat Ausdruck einer verbreiteten Einstellung ist, die eine durch einen erheblichen Unrechtsgehalt ge- kennzeichnete Norm nicht ernst nimmt und von vornherein auf die Strafaussetzung vertraut (BGH NStZ 1985, 459; GA 1979, 59; Urt. vom 28. September 1983 - 3 StR 280/83). Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung ist insbesondere dann geboten, wenn eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 15; BGH wistra 2000, 96, 97).
52
Besondere Umstände, die die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe gebieten könnten, liegen nach den bisherigen Feststellungen hier vor. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass durch Umsatzsteuerhinterziehungen große Steuerausfälle verursacht werden (vgl. die Nachweise bei Muhler wistra 2009, 1). Zudem hat sich der Angeklagte an einem komplexen und aufwändigen Täuschungssystem beteiligt, das die systematische Verschleierung von Sachverhalten über einen längeren Zeitraum bezweckte (vgl. BGH NJW 2009, 533). Eine solche Vorgehensweise weist Merkmale einer organisierten Kriminalität (vgl. § 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO) auf. Andererseits liegen die Taten bereits einige Zeit zurück. Erforderlich ist eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 5, 6 und 16; NStZ-RR 1998, 7, 8).
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 298/06
vom
22. September 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. September 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 3. Februar 2006 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat er 1997 in Brasilien seine ehemalige Lebensgefährtin gewaltsam getötet, da sie seinen Plänen, bei seinem Umzug nach Deutschland die gemeinsame Tochter und sein ungeschmälertes Vermögen mit sich zu nehmen, im Wege stand.
2
Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Der näheren Ausführung bedarf nur Folgendes:
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte nach der Tat die Leiche zerstückelt und Teile davon im Wald entsorgt, wo Knochen von ihr in einem Plastiksack gefunden wurden. Zuvor hatte er von den Knochen das Muskelfleisch entfernt, um aus von der Strafkammer im Einzelnen näher dargelegten Gründen die Identifizierung der Leiche zu erschweren. Dass das Muskelfleisch entfernt worden war, hat ein Sachverständiger ausweislich der Urteilsgründe im Rahmen seines Gutachtens „anhand der Lichtbilder, aber auch anhand des verlesenen brasilianischen rechtsmedizinischen Gutachtens“ dargelegt.
5
2. Hierauf gestützt, trägt die Revision vor, das Gutachten sei nicht verlesen worden. Sie verweist dabei auch darauf, dass sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung nichts anderes ergebe.
6
3. Dieses Vorbringen genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Senat teilt nicht die Auffassung, die Rüge scheitere an unzureichendem Vortrag, da das Protokoll der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt sei.
7
Grundsätzlich genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass die den Mangel begründenden Tatsachen vollständig vorgetragen werden. Dagegen ist ihre Glaubhaftmachung, etwa durch die Angabe von Beweismitteln und Aktenstellen, aus denen sich diese Tatsachen ergeben, nicht erforderlich (BGH NStZ-RR 2003, 334 ; in vergleichbarem Sinne BGH bei Pfeiffer NStZ 1982, 191; vgl. auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41). Der Vortrag, eine Urkunde sei nicht verlesen worden, ist vollständig. Zur Prüfung seiner Schlüssigkeit - nicht: seiner Richtigkeit - bedarf es des Rückgriffs auf das Protokoll nicht. Besondere Umstände, die in diesem Zusammenhang gleichwohl weitergehende Ausführungen unerlässlich machen könnten, sind nicht erkennbar. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderte daher nicht die Beifügung (von Ablichtungen ) des Protokolls, das sich hier, ohne seine zahlreichen Anlagen, über beinahe 40 Seiten erstreckt.
8
4. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt erwogen, ob das Gutachten auf anderem Wege, etwa durch Verlesung im Rahmen eines Vorhalts, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38a m. w. N.). Jedoch hat die Strafkammer - obwohl verfahrensrechtliche Ausführungen wie etwa zum Rechtsgrund einer Beweiserhebung in den Urteilsgründen nicht geboten sind - ausdrücklich auf das „verlesene“ Gutachten abgestellt. Der Senat kann offen lassen , ob gleichwohl der vorliegenden Rüge mit dem Hinweis der Boden entzogen werden kann, über das Gutachten könne statt durch Verlesung auch durch die Antwort auf einen Vorhalt Beweis erhoben worden sein (verneinend in einem etwas anders gelagerten Fall BGH, Beschluss vom 11. Mai 1983 - 2 StR 66/83; vgl. auch Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 24).
9
5. Selbst für den Fall, dass der Inhalt des brasilianischen Gutachtens nicht prozessordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein sollte, wäre nämlich ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler zu verneinen.
10
a) Wie die Urteilsgründe ergeben, hat der Sachverständige in der Hauptverhandlung den Inhalt des brasilianischen Gutachtens behandelt und erläutert. Ist aber der Inhalt eines Schriftstücks in der Hauptverhandlung erörtert und ist auch nicht bestritten worden, dass das Schriftstück diesen Inhalt hat - hierfür ist nichts ersichtlich - so kann schon deshalb das Urteil regelmäßig nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1957 - 4 StR 165/57; OLG Düsseldorf StV 1995, 120, 121 m. w. N.; Diemer in KK 5. Aufl. § 249 Rdn. 52).
11
b) Im Übrigen hatte der Angeklagte die Tat zeitnah seinem Sohn gestanden , sonst aber behauptet, die Getötete habe ihn mit einem anderen Mann ver- lassen. Erst im Lauf der Hauptverhandlung hat er dann angesichts einer im Einzelnen im Urteil dargelegten „erdrückend gewordenen Beweislage“ immerhin eingeräumt, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen sei. Sie habe nämlich versucht , ihn, den Angeklagten zu ermorden, sein Leibwächter habe ihn gerettet und sie getötet. Anschließend sei die Leiche zerstückelt und im Wald entsorgt worden. Er sei dabei gewesen. Unter den gegebenen Umständen ergibt eine Gesamtschau der Urteilsgründe ohne weiteres, dass die Ausführungen zu der Entfernung des Muskelfleischs und den Gründen hierfür nur ein zusätzliches bestätigendes Indiz aufzeigen, von dem die Überzeugungsbildung der Strafkammer hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten nicht abhing (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 1 StR 407/05; Beschluss vom 13. September 2001 - 1 StR 378/01; Urteil vom 16. Juli 1981 - 4 StR 336/81; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 38 m. w. N.).

II.

12
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts, die auch durch die Erwiderungen der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet sind. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere:

1.
Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme;
2.
Werke der Musik;
3.
pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst;
4.
Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke;
5.
Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden;
6.
Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden;
7.
Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen.

(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

(3) Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung. Als Vermietung gilt jedoch nicht die Überlassung von Originalen oder Vervielfältigungsstücken

1.
von Bauwerken und Werken der angewandten Kunst oder
2.
im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu dem ausschließlichen Zweck, bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis benutzt zu werden.

32
cc) Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde wirft die Frage auf, ob sich juristische Personen mit Sitz außerhalb Deutschlands, jedoch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union auf Grundrechte des Grundgesetzes berufen können. Sie betrifft darüber hinaus die Beachtung des Grundrechts auf Eigentum bei der Auslegung und Anwendung nationalen, auf Unionsrecht beruhenden Rechts.

I.

2

1. Das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs betrifft die inhaltliche Reichweite des dem Urheber vorbehaltenen Verbreitungsrechts nach § 17 Urheberrechtsgesetz (UrhG) in der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Fassung vom 23. Juni 1995 (BGBl I S. 842) und nach § 96 UrhG in der Fassung vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1774). Die Auslegungsfragen ergeben sich im Streitfall aus der Aufstellung von Nachbildungen von Le-Corbusier-Möbeln in einer Zigarrenlounge der Beklagten des Ausgangsverfahrens. Für Herstellung und Vertrieb der Möbel sind der Beschwerdeführerin urheberrechtliche Exklusivrechte eingeräumt.

3

a) § 17 UrhG erhielt durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 23. Juni 1995 (BGBl I S. 842) folgende Fassung:

4

Verbreitungsrecht

5

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

6

(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

7

(3) Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung. Als Vermietung gilt jedoch nicht die Überlassung von Originalen oder Vervielfältigungsstücken

8

1. von Bauwerken und Werken der angewandten Kunst oder

9

2. im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu dem ausschließlichen Zweck, bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis benutzt zu werden.

10

Die Gesetzesnovelle diente der Umsetzung der Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl Nr. L 346 vom 27. November 1992, S. 61), inzwischen abgelöst durch die Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl Nr. L 376 vom 27. Dezember 2006, S. 28; im Folgenden: Vermiet- und Verleih-Richtlinie). Diese betrifft nach ihrem Art. 3 Abs. 2 ausdrücklich nicht das Vermieten oder Verleihen von Werken der angewandten Kunst.

11

In der Begründung des Gesetzentwurfs vom 21. Dezember 1994 (BTDrucks 13/115, S. 7, 12) wird der Begriff der Verbreitung vorausgesetzt. Er wurde stets weit verstanden als "jede Art des Inverkehrbringens von Werkstücken" (vgl. die Einzelbegründung zu § 17 im Regierungsentwurf des Urheberrechtsgesetzes vom 23. März 1962, BTDrucks IV/270, S. 47 f.). Nach bis zum Erlass der angegriffenen Entscheidung allgemeiner Meinung bedeutete "Inverkehrbringen" im Sinne von § 17 Abs. 1 UrhG jede Handlung, durch die das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werks aus der internen Betriebssphäre der allgemeinen Öffentlichkeit zugeführt werden; dafür sollte jede Besitzüberlassung ausreichen (vgl. BGHZ 113, 159 <160 ff.>; Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 17 Rn. 12 m.w.N.). Entsprechend beurteilte etwa das Kammergericht die Ausstattung von Hotelzimmern mit imitierten Le-Corbusier-Möbeln als Verletzung des Verbreitungsrechts und ließ dabei die Frage der bürgerlich-rechtlichen Besitzüberlassung offen (Urteil vom 30. April 1993 - 5 U 2548/91 -, GRUR 1996, S. 968 <969 f.>).

12

b) § 96 UrhG lautet:

13

Verwertungsverbot

14

(1) Rechtswidrig hergestellte Vervielfältigungsstücke dürfen weder verbreitet noch zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden.

15

(2) Rechtswidrig veranstaltete Funksendungen dürfen nicht auf Bild- oder Tonträger aufgenommen oder öffentlich wiedergegeben werden.

16

Diese mit Ausnahme der Überschrift wortgleich schon im Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (BGBl I S. 1273) enthaltene Vorschrift dient nach der Entwurfsbegründung der Klarstellung, dass derjenige, der aufgrund vertraglicher oder gesetzlicher Erlaubnis zur Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe eines Werks berechtigt ist, hierzu keine rechtswidrig hergestellten Vervielfältigungsstücke benutzen darf (vgl. die Einzelbegründung zu § 106, BTDrucks IV/270, S. 103). Als ein Hauptanwendungsfall wurde die Verbreitung von im Ausland rechtmäßig hergestellten und von dort importierten Vervielfältigungen in Deutschland angesehen, deren Herstellung hier rechtswidrig gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 1994 - I ZR 155/90 "Cliff Richard II" -, NJW 1995, S. 868 <870>; Meckel, in: Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 2. Aufl. 2009, § 96 Rn. 1).

17

c) § 97 Abs. 1 UrhG gibt dem Inhaber eines nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Rechts unter bestimmten Bedingungen einen Unterlassungsanspruch. Die Vorschrift lautet:

18

Anspruch auf Unterlassung und Schadensersatz

19

(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. …

20

2. a) § 17 UrhG dient zugleich der Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10; im Folgenden: Urheberrechtsrichtlinie). Diese hat ihre Rechtsgrundlage in den Vorschriften über die Rechtskoordinierung und -angleichung im Binnenmarkt (Art. 47 Abs. 2, Art. 55, Art. 95 EG, heute Art. 53 Abs. 1, Art. 62, Art. 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV). Ihr Harmonisierungszweck wird insbesondere in den Erwägungsgründen 1, 3, 4, 6 und 7 angesprochen, während in den Erwägungsgründen 4, 9 bis 12 und 22 das angestrebte hohe Schutzniveau im Bereich des geistigen Eigentums betont wird.

21

Die Urheberrechtsrichtlinie dient, wie sich aus ihrem Erwägungsgrund 15 ergibt, zugleich der Umsetzung zweier völkerrechtlicher Verträge vom 20. Dezember 1996, nämlich des WIPO-Urheberrechtsvertrags (WCT; UNTS Bd. 2186, S. 121; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754, in Kraft getreten am 6. März 2002, für Deutschland und die Europäische Union am 14. März 2010) und des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger (WPPT; UNTS Bd. 2186, S. 203; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754, 770, in Kraft getreten am 20. Mai 2002, für Deutschland und die Europäische Union am 14. März 2010). Ausweislich ihrer Präambeln sollen die Verträge insbesondere die Rechte von Autoren, darbietenden Künstlern und Tonträgerherstellern erhalten und weiterentwickeln.

22

b) Die Urheberrechtsrichtlinie regelt das Verbreitungsrecht in ihrem Artikel 4:

23

Verbreitungsrecht

24

(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.

25

(2) Das Verbreitungsrecht erschöpft sich in der Gemeinschaft in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.

26

Zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie holte der Bundesgerichtshof in einem Parallelverfahren zum hiesigen Ausgangsverfahren mit Beschluss vom 5. Oktober 2006 - I ZR 247/03 - (GRUR 2007, S. 50) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Europäischer Gerichtshof) gemäß Art. 267 AEUV unter anderem zu der Frage ein, ob von einer Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form auf sonstige Weise auszugehen ist, wenn Dritten der Gebrauch von Werkstücken urheberrechtlich geschützter Werke ermöglicht wird, ohne dass mit der Gebrauchsüberlassung eine Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die Werkstücke verbunden ist. Gegenstand dieses Verfahrens, das ebenfalls die Beschwerdeführerin des vorliegenden Verfahrens eingeleitet hatte, war das Aufstellen in Italien erworbener Imitate von Le-Corbusier-Möbeln zur Benutzung durch Kunden in der Ruhezone eines Kaufhauses und zu Dekorationszwecken in dessen Schaufenstern.

27

In seinem Vorlagebeschluss verwies der Bundesgerichtshof auf seine Rechtsprechung, derzufolge ein Verbreiten im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie regelmäßig vorliege, wenn das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werks aus der internen Betriebssphäre durch Überlassung des Eigentums oder des (auch vorübergehenden) Besitzes der Öffentlichkeit zugeführt würden (a.a.O., <51>). Als noch nicht geklärt sah der Bundesgerichtshof die Frage an, ob dies auch gelte, wenn Werkstücke ohne Übertragung des Eigentums oder des Besitzes und damit ohne Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. Seiner Ansicht nach sei dies aufgrund des Wortlauts von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie und der ein hohes Schutzniveau verlangenden Erwägungsgründe zu bejahen (a.a.O., <52>).

28

Der Europäische Gerichtshof entschied indessen, dass eine Verbreitung im Sinne der Richtlinie nur bei einer Übertragung des Eigentums vorliege (Urteil vom 17. April 2008 - C-456/06 Peek&Cloppenburg/Cassina -, Slg. 2008, S. I-2731, Rn. 41). Zur Begründung führte er aus (Rn. 29 ff.), die Richtlinie präzisiere den Begriff der Verbreitung nicht, er werde aber in Art. 6 Abs. 1 WCT und in Art. 8 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 WPPT definiert. Die Urheberrechtsrichtlinie diene ausweislich ihres Erwägungsgrundes 15 dazu, den Verpflichtungen der Gemeinschaft aus diesen Verträgen nachzukommen, denen zufolge eine Verbreitung nur bei einer Eigentumsübertragung vorliege. Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie sei daher ebenso auszulegen. Diese Schlussfolgerungen würden durch die Erwägungsgründe 9 bis 11 der Richtlinie nicht entkräftet; ein hohes Schutzniveau könne nur in dem vom Gemeinschaftsgesetzgeber geschaffenen Rahmen verwirklicht werden (Rn. 37 ff.).

II.

29

1. Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach italienischem Recht mit Sitz in Italien, produziert Polstermöbel, die nach Entwürfen des 1965 verstorbenen Charles-Édouard Jeanneret-Gris, genannt Le Corbusier, gefertigt sind. Zwischen ihr und der Fondation Le Corbusier in Paris, welche die Rechte des verstorbenen Urhebers wahrnimmt, sowie zwei weiteren Rechtsnachfolgerinnen Le Corbusiers bestehen seit 1965 urheberrechtliche Exklusivverträge für die weltweite Herstellung und den Verkauf bestimmter von Le Corbusier entworfener Möbel. Die Verträge erlauben der Beschwerdeführerin auch das Vorgehen gegen Rechtsverletzungen.

30

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, eine Zigarrenherstellerin, richtete in einer Kunst- und Ausstellungshalle eine Zigarrenlounge ein. Sie erwarb bei einer in Bologna geschäftsansässigen Firma (zugleich Streithelferin der Beklagten im Ausgangsverfahren) Nachbildungen von Sesseln und Sofas der Le-Corbusier-Möbel und stellte diese in der Lounge auf. Urheberrechtliche Nutzungsrechte an den Möbelmodellen sind der Streithelferin nicht eingeräumt.

31

Die Beschwerdeführerin erwirkte beim Landgericht und beim Oberlandesgericht eine Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, von ihr nicht genehmigte Nachbildungen urheberrechtlich geschützter Le-Corbusier-Möbelmodelle in der Bundesrepublik Deutschland zu verwerten, insbesondere in der genannten Zigarrenlounge aufzustellen und gewerblich zu benutzen. Die Gerichte stützten den Unterlassungsanspruch auf § 97 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 UrhG und legten dabei einen weiten Begriff der Verbreitung zugrunde. Leitender Grundgedanke sei die tunlichst angemessene Beteiligung des Urhebers am wirtschaftlichen Nutzen seines Werks. Demgemäß solle der Urheber möglichst umfassend an jedem neuen Verwertungsvorgang teilhaben. Eine Besitzübertragung im Sinne von §§ 854 ff. BGB sei dafür nicht erforderlich, die rein tatsächliche Überlassung an die Kunden der Zigarrenlounge genüge.

32

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht erhob die Streithelferin der Beklagten Beschwerde zum Bundesgerichtshof.

33

2. In dem Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde stellte der Bundesgerichtshof die Entscheidung im Hinblick auf das in dem oben genannten Parallelverfahren eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zunächst zurück.

34

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Parallelverfahren vom 17. April 2008 (a.a.O.) ließ der Bundesgerichtshof die Revision im Ausgangsverfahren zu. Mit dem angegriffenen Urteil vom 22. Januar 2009 (ZUM-RD 2009, S. 531) hob er das Urteil des Oberlandesgerichts auf und wies die Klage unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung ab. Im Parallelverfahren entschied der Bundesgerichtshof in gleicher Weise (Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03 -, GRUR 2009, S. 840).

35

Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof aus, der Beschwerdeführerin stehe ein Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG nicht zu, denn die Beklagte habe das Verbreitungsrecht im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 UrhG durch das Aufstellen der Möbel nicht verletzt und auch nicht gegen das Verwertungsverbot nach § 96 UrhG verstoßen.

36

a) Da es sich bei dem Verbreitungsrecht nach Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie um harmonisiertes Recht handele, sei § 17 UrhG richtlinienkonform auszulegen. Die Richtlinie begründe insoweit nicht nur einen Mindestschutz, hinter dem die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung ihres Schutzniveaus nicht zurückbleiben dürften, sondern stelle eine verbindliche Regelung des Verbreitungsrechts auch im Sinne eines Maximalschutzes dar. Dies folge aus dem Zweck der Richtlinie, unterschiedliche einzelstaatliche Rechtsvorschriften über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im Interesse der Rechtssicherheit und der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts anzupassen und ein uneinheitliches Vorgehen der Mitgliedstaaten zu vermeiden. Die zum Teil im Schrifttum vertretene gegenteilige Ansicht stelle darauf ab, dass die Regelungen des Verbreitungsrechts in den WIPO-Verträgen nur Mindestrechte gewährten und es den Vertragsstaaten unbenommen bleibe, über diesen Mindestschutz hinauszugehen. Die sich daraus ergebenden Folgerungen beträfen aber nur die Auslegung der Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie und damit die vom Europäischen Gerichtshof nunmehr bejahte Frage, ob eine Verbreitung im Sinne dieser Richtlinienbestimmung nur bei einer Übertragung des Eigentums vorliege.

37

Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gelte, dass ein Dritter nicht in das ausschließlich dem Urheber nach § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 UrhG zustehende Verbreitungsrecht eingreife, wenn er Nachbildungen urheberrechtlich geschützter Modelle von Möbeln der Öffentlichkeit lediglich zum Gebrauch zugänglich mache.

38

b) Die geltend gemachten Ansprüche stünden der Beschwerdeführerin auch nicht wegen Verletzung des Verwertungsverbots aus § 96 Abs. 1 UrhG zu. Nach dieser Vorschrift dürften rechtswidrig hergestellte Vervielfältigungsstücke nicht verbreitet werden. Eine unmittelbare Anwendung des § 96 Abs. 1 UrhG scheide aus, weil der Begriff der Verbreitung demjenigen des § 17 UrhG entspreche und dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Für eine analoge Anwendung fehle es an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs habe der Gemeinschaftsgesetzgeber das Verbreitungsrecht bewusst auf Sachverhalte beschränkt, die mit der Übertragung des Eigentums des Originals des Werks oder eines Vervielfältigungsstücks verbunden seien.

III.

39

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

40

1. Die Beschwerdeführerin hält sich für beschwerdebefugt. Als ausländische juristische Person mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat könne sie ungeachtet Art. 19 Abs. 3 GG auch eine Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts rügen. Dabei sei auch ohne Bedeutung, dass sie nicht selbst als Urheberin, sondern nur aufgrund vertraglicher Absprachen mit der Fondation Le Corbusier berechtigt sei.

41

2. Das angegriffene Urteil verletze Art. 14 Abs. 1 GG.

42

a) Die Auslegung von § 17 Abs. 1 UrhG durch den Bundesgerichtshof habe zur Folge, dass der Urheber andere Verbreitungsformen als die Eigentumsübertragung nicht mehr unterbinden könne. Mit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses Eingriffs habe sich der Bundesgerichtshof nicht befasst, weil er davon ausgegangen sei, europarechtlich an diese Auslegung gebunden zu sein. Dabei habe er übersehen, dass Verbreitungsformen, die nicht in einer Eigentumsübertragung bestehen, von vornherein nicht vom Regelungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie erfasst seien, so dass die Auslegung des nationalen Rechts insoweit durch die Richtlinie nicht determiniert werde. Wollte man dies anders sehen, hätte der Bundesgerichtshof jedenfalls nicht von einem Maximalschutzcharakter der Richtlinie ausgehen dürfen. Die Urheberrechtsrichtlinie regle nur einen Mindestschutz, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 9 bis 12 ergebe. § 17 Abs. 1 UrhG hätte verfassungskonform so ausgelegt werden müssen, dass auch die Besitz- und Gebrauchsüberlassung erfasst würde. Dies entspreche der jahrzehntelangen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (bis zur angegriffenen Entscheidung) und der Obergerichte sowie der Auffassung des deutschen Gesetzgebers.

43

Die Auslegung durch den Bundesgerichtshof führe dazu, dass der Kernbestand des Urheberrechts, nämlich über die Rechte am Werk in eigener Verantwortung verfügen und Dritte von der Nutzung des Werks ausschließen zu können, nicht mehr gewährleistet sei. Die Streithelferin umgehe bewusst das deutsche Urheberrecht, indem sie ihre Plagiate in Italien veräußere und vom Käufer nach Deutschland schaffen lasse. Die Gebrauchs- oder Besitzüberlassung in Deutschland werde damit zum einzigen Rechtsakt, auf den der Urheber Zugriff habe oder nach bisheriger Rechtsprechung gehabt habe.

44

b) Die Argumentation des Bundesgerichtshofs sei auch im Hinblick auf § 96 UrhG nicht tragfähig. Die Vorschrift bezwecke gerade, dass kein Dritter das Ergebnis einer rechtswidrigen Handlung für sich ausnutzen könne. Der Bundesgerichtshof dürfe nicht auf den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers abstellen, denn § 96 UrhG sei nicht gemeinschaftsrechtlich harmonisiert.

45

3. Weiter verletze das Urteil das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter. Die Vorlagefragen im Parallelverfahren seien unzureichend gewesen. Nach deren Beantwortung habe der Bundesgerichtshof die Sache erneut dem Europäischen Gerichtshof vorlegen und fragen müssen, ob der Gebrauch von Werkstücken urheberrechtlich geschützter Werke ohne Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt überhaupt in den Anwendungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie falle. Bei Verneinung dieser Frage hätte es keine gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Auslegung der "Verbreitung" im Sinne von § 17 Abs. 1 UrhG gegeben. Ebenso zwingend sei eine Vorlage der Frage gewesen, ob Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie einen Mindest- oder zugleich einen Maximalschutz definiere. Der Bundesgerichtshof beantworte diese entscheidungserhebliche Frage hingegen selbst. Die fehlende Vorlage an den Europäischen Gerichtshof sei offensichtlich unhaltbar, weil eine mögliche Gegenauffassung der vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sei; die Literatur gehe einhellig von einem bloßen Mindestschutzcharakter aus, was der Bundesgerichtshof durchaus erkannt habe.

IV.

46

Die Streithelferin der Beklagten und die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. (GRUR) haben zur Verfassungsbeschwerde Stellungnahmen abgegeben (letztere abgedruckt in GRUR 2010, S. 698).

47

1. Nach Auffassung der Streithelferin auf Beklagtenseite, der Herstellerin der Möbelnachbildungen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil die Beschwerdeführerin nicht beschwerdebefugt sei. Der urheberrechtliche Exklusivvertrag beschränke sich auf die Rechte auf Herstellung und Verkauf der Möbel. Die Beschwerdeführerin könne sich zudem als ausländische juristische Person nicht auf eine Verletzung des deutschen Eigentumsgrundrechts stützen. Die Verletzung solle aus einer richtlinienkonformen Auslegung des deutschen Urheberrechts herrühren; die Richtlinie sei aber allein vom Europäischen Gerichtshof an Grundrechten des Unionsrechts zu messen.

48

Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17. April 2008 (a.a.O.) gehe hervor, dass er von einem voll harmonisierten Verbreitungsbegriff ausgehe. Durch die Definition des Verbreitungsbegriffs würden lediglich Inhalt und Schranken des Eigentums in zulässiger Weise bestimmt.

49

2. Der Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht zufolge ist die aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. April 2008 vom Bundesgerichtshof gezogene Schlussfolgerung, die Urheberrechtsrichtlinie regle einen Maximalschutz, nicht zwingend. Auch bei vollständiger Harmonisierung des Verbreitungsrechts seien die Mitgliedstaaten nicht gehindert, weitere Ausschließlichkeitsrechte zu gewähren.

50

Eine Lücke im Schutz des Urheberrechts bestehe aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs allerdings nur in den Fällen, in denen im Ausland schutzfrei hergestellte Werkexemplare erworben und diese im Inland ohne Eigentumsübergang genutzt würden, ohne dass das ausschließliche Vermietrecht eingreife (was bei Werken der angewandten Kunst der Fall sei, § 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG). Demgegenüber erfasse das Verbreitungsrecht nach wie vor, auch bei angewandter Kunst, den Fall, dass im Ausland erworbene Werkexemplare im Inland weiterveräußert würden.

B.

51

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

I.

52

Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs ist, auch soweit es Rechtsvorschriften betrifft, die Unionsrecht in deutsches Recht umsetzen, als eine Maßnahme der deutschen öffentlichen Gewalt tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 90 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 126, 286 <298 f.>).

53

Zwar übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Unionsrecht, das als Grundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, grundsätzlich nicht aus und überprüft dieses Recht nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, solange die Europäische Union, auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt (vgl. BVerfGE 73, 339 <387>; 102, 147 <162 f.>; 125, 260 <306>). Dies gilt auch für innerstaatliche Rechtsvorschriften, die zwingende Vorgaben einer Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Anwendung unionsrechtlich vollständig determinierter Bestimmungen des nationalen Rechts richten, sind grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 125, 260 <306>).

54

Diese Grundsätze stehen einer Überprüfung des angegriffenen Urteils jedoch nicht entgegen. Wird wie hier die Verfassungsbeschwerde gegen eine Gerichtsentscheidung darauf gestützt, dass ein Gericht bei der Auslegung nationalen Umsetzungsrechts einen den Mitgliedstaaten verbleibenden Umsetzungsspielraum verkannt habe, beruft sich der Beschwerdeführer auf eine Verletzung deutscher Grundrechte im Bereich des unionsrechtlich nicht vollständig determinierten Rechts. Insoweit kann er auch geltend machen, das Gericht habe sich zu Unrecht durch Unionsrecht gebunden gesehen.

II.

55

Die Beschwerdeführerin ist gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG beschwerdefähig und -befugt. Für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde reicht es aus, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung eines für ihn verfassungsbeschwerdefähigen Rechts aufzeigt (vgl. BVerfGE 125, 39 <73> m.w.N.).

56

1. a) Art. 19 Abs. 3 GG steht der Beschwerdefähigkeit für die Rüge einer Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG nicht entgegen.

57

In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht die Geltung der materiellen Grundrechte allgemein für ausländische juristische Personen unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG zwar abgelehnt (vgl. BVerfGE 21, 207 <208 f.>; 23, 229 <236>; 100, 313 <364>). Neuere Kammerbeschlüsse haben hingegen offen gelassen, ob diese Rechtsprechung auch auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden ist (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. April 2004 - 1 BvR 1620/03 -, NJW 2004, S. 3031, und vom 27. Dezember 2007 - 1 BvR 853/06 -, NVwZ 2008, S. 670 f.). Angesichts der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 - verb. Rs. C-92/92 und C-326/92 Phil Collins -, Slg. 1993, S. I-5145, Rn. 30 ff., 35; Urteil vom 5. November 2002 - C-208/00 Überseering -, Slg. 2002, S. I-9919, Rn. 76 ff.) erscheint es jedenfalls möglich, dass die Beschwerdeführerin mit Sitz in Italien Trägerin des Grundrechts auf Eigentum ist.

58

b) Der Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihr Eigentumsgrundrecht lässt sich nicht entgegenhalten, dass sie nicht selbst Urheberin der Möbelmodelle ist, sondern mit den Rechtsnachfolgern von Le Corbusier Exklusivverträge über die Herstellung und Vermarktung der Möbelmodelle Le Corbusiers geschlossen hat. Die Beschwerdeführerin ist dadurch in deren durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Schutzrechte des geistigen Eigentums eingerückt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2000 - 1 BvR 1864/95 -, GRUR 2001, S. 43). Demgegenüber handelt es sich nicht um den Fall einer grundsätzlich unzulässigen Prozessstandschaft, bei der fremde Rechte im eigenen Namen geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 25, 256 <263>; 31, 275 <280>; 56, 296 <297>).

59

2. Die Beschwerdefähigkeit und -befugnis im Hinblick auf die Rüge einer Entziehung des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind gegeben. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, da die Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG jedem zustehen können, gleichgültig ob er eine natürliche oder juristische, eine inländische oder ausländische Person ist (vgl. BVerfGE 12, 6 <8>; 18, 441 <447>; 64, 1 <11>).

III.

60

Die Beschwerdeführerin ist bezüglich der Rüge eines Entzugs des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch dem Grundsatz der Subsidiarität gerecht geworden.

61

1. Der Beschwerdeführer einer Verfassungsbeschwerde muss, über die bloße formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60>; stRspr). Die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens sind allerdings grundsätzlich nicht gehalten, Rechtsausführungen zu machen, sofern nicht das einfache Verfahrensrecht rechtliche Darlegungen verlangt. Dementsprechend obliegt es dem Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren einer Verfassungsbeschwerde lediglich, den Sachverhalt so darzulegen, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich ist; diese ist dann von den Gerichten vorzunehmen. Der Beschwerdeführer muss das fachgerichtliche Verfahren nicht im Sinne eines vorgezogenen Verfassungsrechtsstreits führen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff.>).

62

Etwas anderes kann in Fällen gelten, in denen bei verständiger Einschätzung der Rechtslage und der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>). Weiter ist zu beachten, dass die Rüge der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, insbesondere Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG, nicht mehr im Verfahren der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann, wenn nicht zuvor alle Mittel des Prozessrechts genutzt wurden, um diesen Verstoß zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>; 112, 50 <62>). Das bedeutet insbesondere, dass von der Rechtsordnung eröffnete Rechtsbehelfe in zulässiger Weise ergriffen werden müssen (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>).

63

Die Beachtung der hieraus folgenden Anforderungen muss der Beschwerdeführer, wenn sie nicht offensichtlich gewahrt sind, in seiner Verfassungsbeschwerde gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG substantiiert darlegen (vgl. BVerfGK 4, 102 <103 f.>).

64

2. Im Rahmen einer Rüge der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erstreckt sich die damit umschriebene Obliegenheit des Beschwerdeführers regelmäßig darauf, durch entsprechende Anträge oder Anregungen an das Fachgericht eine Befassung des gesetzlichen Richters zu erreichen.

65

Handelt es sich beim gesetzlichen Richter um den Europäischen Gerichtshof, ist ein entsprechender Antrag der Beteiligten auf Vorlage allerdings nicht vorgesehen, vielmehr ist ein letztinstanzliches nationales Gericht unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 <192 f.>). Es genügt daher dem Grundsatz der Subsidiarität, wenn das Vorbringen bei rechtlicher Prüfung durch das Fachgericht eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof als naheliegend erscheinen lässt.

66

3. Danach hat die Beschwerdeführerin die Rüge eines Entzugs des gesetzlichen Richters zulässig erhoben. Sie hat dem Bundesgerichtshof ein Gutachten unter anderem zur Frage der Voll- oder Teilharmonisierung des Verbreitungsrechts durch Art. 4 der Urheberrechtsrichtlinie vorgelegt und damit den sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität ergebenden Anforderungen noch Genüge getan. Das Gutachten gab dem Bundesgerichtshof hinreichenden Anlass, die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens selbst zu klären.

C.

67

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Zwar kann sich die Beschwerdeführerin darauf stützen, Trägerin von Grundrechten des Grundgesetzes einschließlich des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG zu sein (I.). Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG durch das angegriffene Urteil lässt sich jedoch nicht feststellen (II.). Das Urteil verletzt die Beschwerdeführerin auch nicht in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (III.).

I.

68

Die Beschwerdeführerin als juristische Person mit Sitz in Italien ist Trägerin von Grundrechten des Grundgesetzes. Die Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt eine aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar.

69

1. Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die "wesensmäßige Anwendbarkeit" ist bei den hier als verletzt gerügten Grundrechten ohne weiteres gegeben (vgl. zu Art. 14 Abs. 1 GG: BVerfGE 4, 7<17>; 23, 153 <163>; 35, 348 <360>; 53, 336 <345>; 66, 116 <130>; zu den Prozessgrundrechten: BVerfGE 3, 359 <363>; 12, 6 <8>; 18, 441 <447>; 19, 52 <55 f.>; 64, 1 <11>; 75, 192 <200>).

70

a) Demgegenüber hat der Senat bislang entschieden, dass sich ausländische juristische Personen auf materielle Grundrechte - anders als auf prozessuale Grundrechte wie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 12, 6 <8>; 18, 441 <447>; 21, 362 <373>; 64, 1 <11>) - nicht berufen können. Zur Begründung hat er auf Wortlaut und Sinn von Art. 19 Abs. 3 GG verwiesen, die eine entsprechende ausdehnende Auslegung verböten (vgl. BVerfGE 21, 207 <208 f.>; 23, 229 <236>; 100, 313 <364>). In anderen Entscheidungen haben beide Senate des Bundesverfassungsgerichts die Grundrechtsberechtigung ausländischer juristischer Personen ausdrücklich dahingestellt (vgl. allgemein BVerfGE 12, 6 <8>; 34, 338 <340>; 64, 1 <11>; sowie BVerfGE 18, 441 <447> hinsichtlich Art. 14 Abs. 1 GG).

71

Mit der spezielleren Frage, ob ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben, Träger materieller Grundrechte des Grundgesetzes sein können, hat sich das Bundesverfassungsgericht hingegen bislang nicht näher befasst. Allerdings wurde in einer Entscheidung aus dem Jahr 1968 die Verfassungsbeschwerde einer Vereinigung französischen Rechts mit Sitz in Frankreich ohne weitere Begründung für unzulässig erklärt (BVerfGE 23, 229 <236>); in der Entscheidung aus dem Jahr 1973 zu einer französischen Handelsgesellschaft blieb deren Grundrechtsfähigkeit ausdrücklich dahingestellt (BVerfGE 34, 338 <340>). In der Literatur ist die Frage umstritten (vgl. befürwortend Drathen, Deutschengrundrechte im Lichte des Gemeinschaftsrechts, 1994; H. Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 3 Rn. 20 f., 83 f.; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 3 Rn. 305 ff.; Kotzur, DÖV 2001, S. 192 <195 ff.>; Remmert, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 93 ff. ; ablehnend Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 46 ff.; Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 120 Rn. 36 ff.; v. Mutius, in: Bonner Kommentar zum GG 1975, Art. 19 Abs. 3 Rn. 50, 52; Weinzierl, Europäisierung des deutschen Grundrechtsschutzes?, 2006).

72

b) Nach dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte "für inländische juristische Personen". Wegen der Beschränkung auf inländische juristische Personen lässt sich eine Anwendungserweiterung nicht mit dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 GG begründen. Es würde die Wortlautgrenze übersteigen, wollte man seine unionsrechtskonforme Auslegung auf eine Deutung des Merkmals "inländische" als "deutsche einschließlich europäische" juristische Personen stützen. Auch wenn das Territorium der Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesichts des ihren Bürgern gewährleisteten Raumes "der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen" mit freiem Personenverkehr (Art. 3 Abs. 2 EUV) nicht mehr "Ausland" im klassischen Sinne sein mag, wird es dadurch nicht zum "Inland" im Sinne der territorialen Gebietshoheit (vgl. BVerfGE 123, 267 <402 f.>).

73

Der Vorschrift lag jedoch kein Wille des Verfassungsgebers zugrunde, eine Berufung auf die Grundrechte auch seitens juristischer Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union dauerhaft auszuschließen. Der Allgemeine Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rats kam in einem Entwurf eines Art. 20a GG, der dem heutigen Art. 19 Abs. 3 GG entsprach, zu dem Schluss, es "dürfte kein Anlass bestehen, auch ausländischen juristischen Personen den verfassungsmäßigen Schutz der Grundrechte zu gewähren" (Parlamentarischer Rat, Drucks. 370 vom 13. Dezember 1948). Aus diesem Grund hatte der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen, v. Mangoldt, vorgeschlagen, das Wort "inländische" einzufügen, womit sich der Ausschuss einverstanden erklärte (Kurzprotokoll der 32. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, Drucks. 578 vom 11. Januar 1949, S. 10).

74

In den Jahren 1948/49 stand die Entwicklung eines gemeinsamen Europas noch am Anfang. Seitdem hat die Europäische Union zunehmend Gestalt angenommen und ist heute als hochintegrierter "Staatenverbund" (BVerfGE 123, 267 <348>) ausgestaltet, an dem die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 1 GG mitwirkt. Die Anwendungserweiterung von Art. 19 Abs. 3 GG nimmt diese Entwicklung auf.

75

2. Die Anwendungserweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen aus der Europäischen Union entspricht den durch die europäischen Verträge übernommenen vertraglichen Verpflichtungen, wie sie insbesondere in den europäischen Grundfreiheiten und - subsidiär - dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV zum Ausdruck kommen. Die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot stehen im Anwendungsbereich des Unionsrechts einer Ungleichbehandlung in- und ausländischer Unternehmen aus der Europäischen Union entgegen und drängen insoweit die in Art. 19 Abs. 3 GG vorgesehene Beschränkung der Grundrechtserstreckung auf inländische juristische Personen zurück.

76

a) Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist seit 1957 in den europäischen Verträgen verankert und wurde im Lissabonner Vertrag unverändert in Art. 18 AEUV übernommen. Es ist ein Grundprinzip des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 - C-115/08 Österreich/ČEZ -, EuZW 2010, S. 26, Rn. 89; vgl. schon H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 592), das in den Grundfreiheiten weiter ausgestaltet wird. Das Diskriminierungsverbot gehört zum Kernbestand der Unionsbürgerschaft und ist unmittelbar vor mitgliedstaatlichen Gerichten anwendbar; es begünstigt neben natürlichen auch juristische Personen (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 - Phil Collins -, a.a.O., Rn. 30 ff.). Das allgemeine und die speziellen Diskriminierungsverbote verpflichten die Mitgliedstaaten und alle ihre Organe und Stellen, juristische Personen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auch im Hinblick auf den zu erlangenden Rechtsschutz Inländern gleichzustellen. In einem Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage des Bundesgerichtshofs hat der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass die europarechtliche Niederlassungsfreiheit eine nichtdiskriminierende Beurteilung der Rechts- und damit Parteifähigkeit vor deutschen Zivilgerichten verlangt (Urteil vom 5. November 2002 - Überseering -, a.a.O., Rn. 76 ff.).

77

b) Eine Anwendungserweiterung erübrigt sich nicht, weil ein gleichwertiger Schutz der Beschwerdeführerin anderweitig gesichert wäre. Zwar können sich juristische Personen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat in fachgerichtlichen Verfahren ohnehin auf die unmittelbare Geltung des primären Unionsrechts stützen und bleiben somit auch ohne Berufung auf die deutschen Grundrechte nicht ohne Rechtsschutz. Für einen gleichwertigen Schutz im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote reicht es jedoch nicht aus, wenn ausländische juristische Personen zwar im fachgerichtlichen Verfahren auf eine materielle Gleichstellung mit inländischen juristischen Personen hinwirken, ihre Rechte aber gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mangels Grundrechtsträgerschaft nicht auch mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts durchsetzen können.

78

c) Ein Eingreifen der aus den Grundfreiheiten und Art. 18 AEUV abgeleiteten unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote setzt voraus, dass die betroffenen juristischen Personen aus der Europäischen Union im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden. Der Anwendungsbereich der Verträge richtet sich insoweit nach dem jeweiligen Stand des Primär- und Sekundärrechts der Europäischen Union und damit nach den ihr in den europäischen Verträgen übertragenen Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV, vgl. BVerfGE 123, 267 <349 ff.>; 126, 286 <302>). Insbesondere ist er bei der Verwirklichung der Grundfreiheiten des Vertrags und dem Vollzug des Unionsrechts eröffnet. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin, die sich unter anderem auf unionsrechtlich (teil-)harmonisiertes Urheberrecht beruft, welches durch wirtschaftliche Aktivitäten in Deutschland verletzt worden sein soll, fällt in den Anwendungsbereich der Verträge in diesem Sinne (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 - Phil Collins -, a.a.O., Rn. 22, 27; Urteil vom 6. Juni 2002 - C-360/00 Ricordi -, Slg. 2002, S. I-5088, Rn. 24).

79

d) Durch die Anwendungserweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG werden juristische Personen mit einem Sitz im EU-Ausland ebenso behandelt wie inländische juristische Personen. Dies impliziert umgekehrt, dass EU-Ausländern die gleichen Vorschriften der Verfassung wie inländischen juristischen Personen entgegengehalten werden können. Voraussetzung der Berufungsmöglichkeit auf die Grundrechte ist demnach ein hinreichender Inlandsbezug der ausländischen juristischen Person, der die Geltung der Grundrechte in gleicher Weise wie für inländische juristische Personen geboten erscheinen lässt. Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn die ausländische juristische Person in Deutschland tätig wird und hier vor den Fachgerichten klagen und verklagt werden kann (so der Sache nach zu den Prozessgrundrechten bereits BVerfGE 12, 6 <8>; 18, 441 <447>).

80

e) Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof durch das Bundesverfassungsgericht bedarf es nicht. Die nationalen Gerichte sind selbst dazu befugt, eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts vorzunehmen. Die richtige Auslegung der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote ist hier so offenkundig, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibt ("acte clair"; vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 C.I.L.F.I.T. -, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16).

81

3. Die Anwendungserweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union reagiert auf die europäische Vertrags- und Rechtsentwicklung und vermeidet eine Kollision mit dem Unionsrecht. Die Bundesrepublik Deutschland ist an Art. 18 AEUV und die sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Diskriminierungsverbote einschließlich ihres Anwendungsvorrangs vor nationalem Recht (vgl. BVerfGE 126, 286 <301 f.>) gebunden. Die Anwendungserweiterung beachtet den Grundsatz, dass das supranational begründete Recht der Europäischen Union keine rechtsvernichtende, derogierende Wirkung gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht entfaltet, sondern nur dessen Anwendung soweit zurückdrängt, wie es die Verträge erfordern und es die durch das Zustimmungsgesetz erteilten Rechtsanwendungsbefehle erlauben. Mitgliedstaatliches Recht wird insoweit lediglich unanwendbar (vgl. BVerfGE 123, 267 <398 ff.>; 126, 286 <301 f.>). Die europarechtlichen Vorschriften verdrängen Art. 19 Abs. 3 GG nicht, sondern veranlassen lediglich die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf weitere Rechtssubjekte des Binnenmarkts. Art. 23 Abs. 1 Satz 2, 3 GG erlaubt, unter Wahrung der in Art. 79 Abs. 2, 3 GG genannten Voraussetzungen Hoheitsgewalt auch insoweit auf die Europäische Union zu übertragen, als dadurch die Reichweite der Gewährleistungen des Grundgesetzes geändert oder ergänzt wird, ohne dass dabei das Zitiergebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG eingreift (vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. November 1993, BTDrucks 12/6000, S. 21; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 87; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Oktober 2009, Art. 23 Rn. 115). Mit der vertraglichen Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zu den Vorläuferregelungen zu Art. 18 AEUV und zu den Grundfreiheiten wurde unter Wahrung der Grenzen des Art. 79 Abs. 2, 3 GG auch der Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote mit der von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG geforderten Mehrheit gebilligt (vgl. BVerfGE 126, 286 <302>). Dies wirkt sich auch auf den Anwendungsbereich der Grundrechte aus, sofern eine Erstreckung der Grundrechtsgeltung auf juristische Personen aus der Europäischen Union veranlasst ist, um im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft zu vermeiden. Die einzelnen Grundrechte des Grundgesetzes verändern sich durch die Erweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG jedoch nicht.

82

4. Die dem Bundesverfassungsgericht aufgegebene Kontrolle des europäischen Rechts auf Erhaltung der Identität der nationalen Verfassung, auf Einhaltung der nach dem System der begrenzten Einzelermächtigung überlassenen Kompetenzen und der Gewährleistung eines im Wesentlichen dem deutschen Grundrechtsschutz gleichkommenden Schutzniveaus bleibt erhalten. Die Identität der Verfassung (vgl. BVerfGE 123, 267 <354, 398 ff.>; 126, 286 <302 f.>) wird durch die Erweiterung der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG offensichtlich nicht berührt.

II.

83

Art. 14 Abs. 1 GG ist durch das angegriffene Urteil nicht verletzt. Zwar unterfällt das Urheberrecht der Beschwerdeführerin dem verfassungsmäßigen Recht am Eigentum (1.), welches die Gerichte bei der Auslegung nationalen Rechts zu beachten haben, soweit das europäische Recht hierbei Auslegungsspielräume lässt (2.). Die richtlinienkonforme Auslegung der streitentscheidenden Vorschriften der §§ 17, 96 UrhG durch den Bundesgerichtshof ist aber mit dem Grundgesetz vereinbar (3.).

84

1. Das in §§ 17, 96 UrhG gesetzlich ausgestaltete Recht des Urhebers, die Verbreitung von Vervielfältigungsstücken seines Werks zu kontrollieren, stellt Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG dar. Nach diesen Vorschriften kommen auch Urheber angewandter Kunst in den Genuss dieses Rechts, soweit das Design die erforderliche Gestaltungshöhe besitzt. Dies ist hier unstreitig der Fall.

85

Zu den konstituierenden Merkmalen des Urheberrechts als Eigentum im Sinne der Verfassung gehören die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber im Wege privatrechtlicher Normierung sowie seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können. Im Einzelnen ist es Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausgestaltung des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen (vgl. BVerfGE 31, 229 <240 f.>; 79, 1 <25>). Dabei hat der Gesetzgeber einen verhältnismäßig weiten Gestaltungsraum (vgl. BVerfGE 21, 73 <83>; 79, 1 <25>; 79, 29 <40>). Die Eigentumsgarantie gebietet nicht, dem Urheber jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit zuzuordnen (vgl. BVerfGE 31, 248 <252>; 31, 275 <287>).

86

2. a) Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten und müssen die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den Eigentumsschutz der Urheber ebenso wie etwaige damit konkurrierende Grundrechtspositionen beachtet und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vermeidet (vgl. BVerfGE 89, 1 <9>). Sind bei der gerichtlichen Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 8, 210 <221>; 88, 145 <166>) und die die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften (vgl. BVerfGE 112, 332 <358> m.w.N.).

87

Wie etwa im Mietrecht und im Arbeitsrecht ist es allerdings auch in urheberrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2010 - 1 BvR 2760/08 -, GRUR 2011, S. 223, Rn. 19 m.w.N.). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist vielmehr erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (vgl. BVerfGE 89, 1 <9 f.>; 95, 28 <37>; 97, 391 <401>; 112, 332 <358 f.>).

88

b) Ein Grundrechtsverstoß liegt insbesondere auch dann vor, wenn das Zivilgericht den grundrechtlichen Einfluss überhaupt nicht berücksichtigt oder unzutreffend eingeschätzt hat und die Entscheidung auf der Verkennung des Grundrechtseinflusses beruht (vgl. BVerfGE 97, 391 <401>). Dies kann der Fall sein, wenn sich ein Gericht in der Annahme, an vermeintlich zwingendes Unionsrecht gebunden zu sein, an der Berücksichtigung der Grundrechte des Grundgesetzes gehindert sieht. Lässt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum, ist dieser grundgesetzkonform auszufüllen (vgl. BVerfGE 113, 273 <300 ff.>). Die Fachgerichte müssen den Einfluss der Grundrechte bei der Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften des nationalen Rechts, die unionsrechtlich nicht oder nicht vollständig determiniert sind, zur Geltung bringen (vgl. BVerfGE 118, 79 <95 ff.>).

89

Ob ein Umsetzungsspielraum besteht, ist durch Auslegung des dem nationalen Umsetzungsrecht zugrunde liegenden Unionsrechts, insbesondere also der umgesetzten Richtlinien zu ermitteln. Die Auslegung unionsrechtlicher Sekundärrechtsakte obliegt auf nationaler Ebene zuvörderst den Fachgerichten. Diese haben dabei gegebenenfalls die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV - auch in Bezug auf den Schutz der Grundrechte - in Betracht zu ziehen.

90

Halten die Fachgerichte eine vollständige Bindung durch das Unionsrecht ohne Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof für eindeutig, unterliegt dies der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Hierbei ist es nicht auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt. Denn mit der Feststellung oder Verneinung eines unionsrechtlichen Umsetzungsspielraums wird zunächst durch die Fachgerichte darüber entschieden, ob Grundrechte des Grundgesetzes berücksichtigt werden müssen und ob das Bundesverfassungsgericht nach seiner Rechtsprechung die Überprüfung nationaler Umsetzungsakte am Maßstab des Grundgesetzes zurücknimmt, solange die Europäische Union einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen wirksamen Schutz der Grundrechte gewährleisten, der nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar ist, im Wesentlichen gleichkommt (vgl. BVerfGE 73, 339 <387>; 102, 147 <161>; 123, 267 <335>).

91

c) Fehlt es an einem mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraum, muss das Fachgericht das anwendbare Unionsrecht bei gegebenem Anlass auf seine Vereinbarkeit mit den Unionsgrundrechten prüfen und, wenn erforderlich, ein Vorab-entscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV einleiten (vgl. BVerfGE 118, 79 <97>). Dasselbe gilt, wenn das Unionsrecht, einschließlich der europäischen Grundrechte (vgl. Art. 6 EUV in Verbindung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten), bislang ungeklärte Auslegungsfragen aufwirft. Eine Vorlage kann aus grundrechtlicher Sicht insbesondere dann erforderlich sein, wenn das Gericht Zweifel an der Übereinstimmung eines europäischen Rechtsakts oder einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs mit den Grundrechten des Unionsrechts, die einen den Grundrechten des Grundgesetzes entsprechenden Grundrechtsschutz gewährleisten, hat oder haben muss.

92

3. Ein Verstoß des angegriffenen Urteils gegen die Eigentumsfreiheit der Beschwerdeführerin gemäß Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich nach diesen Maßstäben nicht feststellen. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die Urheberrechtsricht-linie in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof lasse keinen Spielraum für die Einbeziehung der bloßen Gebrauchsüberlassung nachgeahmter Möbelstücke in den Schutz des Verbreitungsrechts nach § 17 Abs. 1 UrhG (a) und § 96 Abs. 1 UrhG (b), ist unter diesen Umständen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sind damit nicht verkannt.

93

a) Zur Harmonisierung des Verbreitungsrechts durch die Urheberrechtsrichtlinie werden verschiedene Auffassungen vertreten (vgl. die Nachweise im angegriffenen Urteil, a.a.O., Rn. 13 f., sowie Goldmann/Möller, GRUR 2009, S. 551 <554 f.>; v. Lewinski, in: Hilty/Drexl/Nordemann, Festschrift für Loewenheim, 2009, S. 175 <180 ff.>; Schulze, GRUR 2009, S. 812 <813 f.>; vgl. auch die Stellungnahme der GRUR im vorliegenden Verfahren, a.a.O.). Der Bundesgerichtshof verweist zutreffend darauf, dass § 17 UrhG richtlinienkonform auszulegen ist. Er durfte von Verfassungs wegen davon ausgehen, dass die Annahme einer bloßen Teilharmonisierung mit dem Harmonisierungszweck der Richtlinie, wie er insbesondere in den Erwägungsgründen 1, 4, 6, 7 niedergelegt ist, und der Warenverkehrsfreiheit des Unionsrechts unvereinbar wäre. Der Europäische Gerichtshof hat im Parallelverfahren etwaige Umsetzungsspielräume nicht erwähnt und Erweiterungen des Verbreitungsbegriffs ausdrücklich dem Unionsgesetzgeber vorbehalten (Urteil vom 17. April 2008, a.a.O., Rn. 37 ff.). Die Generalanwältin hatte sich für eine Auslegung im Sinne eines abschließenden Verbreitungsbegriffs zudem auf die Notwendigkeit des Schutzes der unionsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 EG (jetzt Art. 34 AEUV) gestützt (Schlussanträge vom 17. Januar 2008, Slg. 2008, S. I-2731, Rn. 33 ff.). Der Bundesgerichtshof konnte demnach davon ausgehen, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ihm keinen Auslegungsspielraum lässt, um im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung von § 17 UrhG den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz des Verbreitungsrechts zu überschreiten. Damit hat der Bundesgerichtshof die Frage des Umsetzungsspielraums aufgeworfen und ohne Verfassungsverstoß unter Beachtung des Unionsrechts und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beantwortet.

94

b) Der Bundesgerichtshof konnte auch den Verbreitungsbegriff in § 96 UrhG mit § 17 UrhG übereinstimmend auslegen sowie davon ausgehen, dass er mittelbar ebenfalls von der Harmonisierung durch Art. 4 der Urheberrechtsrichtlinie erfasst wird und demnach kein Spielraum für eine verfassungskonforme Auslegung blieb. Dass sich die Verbreitungsbegriffe der §§ 17, 96 UrhG entsprechen, steht im Einklang mit der allgemeinen Meinung (vgl. nur Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 96 Rn. 9).

III.

95

Das angegriffene Urteil entzieht die Beschwerdeführerin nicht ihrem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

96

1. Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das nationale Gericht ist unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 <192 f.>).

97

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, "dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt" (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, a.a.O., Rn. 21). Die Entscheidungserheblichkeit der europarechtlichen Frage für den Ausgangsrechtsstreit hingegen beurteilt allein das nationale Gericht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, a.a.O., Rn. 10; Urteil vom 27. Juni 1991 - C-348/89 Mecanarte -, Slg. 1991, S. I-3277, Rn. 47; BVerfGE 82, 159 <194>).

98

Das Bundesverfassungsgericht überprüft allerdings nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 159 <194 ff.>; 126, 286 <315 ff.>). Die Vorlagepflicht wird insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht), oder in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung; vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>). Dabei kommt es für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 - 1 BvR 1741/09 -, NJW 2011, S. 1427, Rn. 104 f.; der Sache nach ebenso gehandhabt in BVerfGE 126, 286 <317 f.>).

99

2. Nach diesen Maßstäben liegt keine unhaltbare Handhabung der Vorlagepflicht vor.

100

Indem der Bundesgerichtshof die von ihm für entscheidungserheblich gehaltenen Fragen im Parallelverfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat, hat er Art. 267 Abs. 3 AEUV auch im Streitfall nicht grundsätzlich verkannt. Auch wenn das Unionsrecht die Vorlage einer gleichen oder ähnlichen Auslegungsfrage erlaubt (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juni 1986 - C-14/86 Pretore di Salò -, Slg. 1987, S. 2545, Rn. 12; stRspr), musste der Bundesgerichtshof aus verfassungsrechtlicher Sicht die Sache nicht erneut dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, wenn nach seiner Einschätzung die Antwort des Gerichtshofs keinen Raum für "vernünftigen Zweifel" (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, a.a.O., Rn. 21) ließ. Dem angegriffenen Urteil ist die vertretbare Überzeugung des Bundesgerichtshofs zu entnehmen, dass Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie eine vollharmonisierte Regelung des Verbreitungsrechts darstellt und der Europäische Gerichtshof die Auslegung des Verbreitungsbegriffs der Richtlinie abschließend und umfassend geklärt hat.

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

(3) Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung. Als Vermietung gilt jedoch nicht die Überlassung von Originalen oder Vervielfältigungsstücken

1.
von Bauwerken und Werken der angewandten Kunst oder
2.
im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu dem ausschließlichen Zweck, bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis benutzt zu werden.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 106 bis 108 gewerbsmäßig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

(3) Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung. Als Vermietung gilt jedoch nicht die Überlassung von Originalen oder Vervielfältigungsstücken

1.
von Bauwerken und Werken der angewandten Kunst oder
2.
im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu dem ausschließlichen Zweck, bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis benutzt zu werden.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 107/09
vom
18. August 2009
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verdachts des schweren Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. August
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. September 2008 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Am 16. November 2007 wurde der damals 70 Jahre alte K. in seiner Wohnung in Holzkirchen von zwei Tätern überfallen und gefesselt. Die Täter entwendeten Uhren und Schmuck im Wert von über 10.000,-- €. K. wurde erst nach Stunden befreit. Anklage und Eröffnungsbeschluss gingen davon aus, dass der Angeklagte einer der Täter war, bei dem anderen Täter soll es sich um den gegenwärtig in Jordanien aufhältlichen gesondert verfolgten S. handeln. Die Strafkammer konnte sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen und hat ihn freigesprochen.
2
Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg, da die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
3
1. Dem Tatverdacht gegen den Angeklagten liegen, ohne dass an dieser Stelle die Urteilsgründe vollständig nachzuzeichnen wären, nicht zuletzt folgende Beweisanzeichen zu Grunde:
4
a) Der Angeklagte wird von den beiden Mitangeklagten A. und B. (hinsichtlich derer die Staatsanwaltschaft keine Revision eingelegt hat) als Täter bezeichnet. Die Mitangeklagten waren an der Planung und Vorbereitung der Tat als Einbruch beteiligt. Die Gewalttätigkeiten waren nach der Beweiswürdigung der Strafkammer ein den Mitangeklagten nicht zurechenbarer Exzess. Sie wurden nach der Tat, wie sie angeben, vom Angeklagten und S. , über den Tatablauf im Detail informiert; die Beute wurde noch am gleichen Tag von A. verkauft.
5
b) Auf der Außenseite eines Teilstücks des Klebebandes, mit dem der Geschädigte gefesselt worden war, wurde eine Mischspur mit DNA-Merkmalen des Angeklagten gefunden.
6
c) In der Wohnung des Angeklagten wurden drei Schmuckschatullen gefunden , die aus der Tat stammen.
7
d) Zwischen dem Angeklagten und A. fanden am Tattag innerhalb von etwa zwei Stunden vier Telefongespräche statt.
8
e) Eine unbeteiligte, zufällige Zeugin (Frau Br. ) hat am Tattag in der Nähe des Tatorts zwei Männer beobachtet. In der Hauptverhandlung war sie „zu 80%“ sicher, dass es sich bei einem dieser Männer aus näher dargelegten Gründen (z. B. wegen der Nase, der hohen Stirn, der Statur) um den Angeklagten handelt.
9
2. Die Strafkammer hat diesen Erkenntnissen letztlich kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Ohne dass auch insoweit die Urteilsgründe hier vollumfänglich nachzuzeichnen wären, hält sie die genannten Anhaltspunkte im Kern aus folgenden Gründen nicht für hinreichend tragfähig:
10
a) Es sprächen „starke“ Anhaltspunkte für eine Täterschaft von S. . Die entsprechenden Angaben der Mitangeklagten würden durch näher dargelegte objektive Beweismittel gestützt. Daraus folge jedoch nicht „zwangsläufig“, dass auch die Angaben der Mitangeklagten zur Tatbeteiligung des Angeklagten richtig seien.
11
b) Hinsichtlich der DNA-Spuren hat der Angeklagte angegeben, zwar am Tattag mit seinem Pkw und A. nach Holzkirchen gefahren zu sein, jedoch um ein Regal zu transportieren. Dort sei man zunächst zusammen in ein Cafe gegangen, dann habe ihn A. mit anderen, Unbekannten verlassen. Später sei er wieder gekommen und habe gesagt, mit dem Regal klappe es nicht. Dann sei man gemeinsam nach München zurückgefahren. Das Klebeband habe A. auf der Fahrt nach Holzkirchen auf der Mittelkonsole des Pkws abgelegt. Die Bedienung der Gangschaltung sei dadurch ausgeschlossen gewesen, weshalb er, H. , das Klebeband weggelegt habe. Dadurch müsse die DNA-Spur entstanden sein. Dieses Vorbringen, so die Strafkammer, sei nicht zu widerlegen.
12
c) Die Schmuckkassetten habe ihm A. im Rahmen eines Geschäfts über einen (aus der Tat stammenden) Ring überlassen, welches ihm A. angeboten habe, um den Ärger des Angeklagten über den nicht stattgefunden Transport des Regals zu besänftigen. Für diese Version, so die Strafkammer, spreche, dass ein Freund des Angeklagten sie bestätigt habe. Dieser Freund sei unmittelbar, nachdem der Angeklagte die entsprechende Aussage gemacht habe, in die Hauptverhandlung gerufen worden. Eine Absprache sei daher ausgeschlossen. Dass die Mutter des Angeklagten im Rahmen einer Hausdurchsuchung, bei der die Schatullen gefunden wurden , den Angeklagten mit der Lüge zu entlasten versucht hatte, die Schatullen gehörten ihr, ändere nichts.
13
d) Hinsichtlich der Telefongespräche am Tattag gibt der Angeklagte an, es sei dabei immer nur um Benzingeld für die Fahrt wegen des (letztlich gescheiterten ) Regaltransports gegangen. Dies bewertet die Strafkammer als nicht „vollkommen wirklichkeitsfremd“.
14
e) Die Strafkammer geht davon aus, dass es sich bei den von Frau Br. gesehenen Männern um die Täter handelt. Gegen ihre Annahme, bei einem dieser Männer habe es sich mit erheblicher - wenn auch nicht letzter - Sicherheit um den Angeklagten gehandelt, spreche, dass sie bei der Polizei gesagt habe, die Männer seien 30 bis 40 Jahre alt gewesen, eher 40 Jahre, während sie den Angeklagten in der Hauptverhandlung für 30 Jahre alt geschätzt habe. Ebenso spreche gegen die Zuverlässigkeit der Wiedererkennung, dass sie angegeben habe, der in Rede stehende Mann habe ausgewaschene blaue Jeans getragen; dies sei unvereinbar mit der Angabe A. s , wonach der Angeklagte bei der Tat dunkelblaue Jeans getragen habe.
15
3. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Das Revisionsgericht prüft nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft , widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, oder wenn, im Falle eines Freispruchs, an das Maß der zur Verurteilung erforderlichen Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. zuletzt zusammenfassend BGH, Urt. vom 18. März 2009 - 1 StR 549/08 m.w.N.).
16
a) Die genannten Erwägungen der Strafkammer werden schon jeweils für sich genommen diesen Maßstäben nicht in vollem Umfang gerecht:
17
(1) Die Strafkammer hält die Angaben der Mitangeklagten hinsichtlich S. für glaubhaft, hinsichtlich des Angeklagten letztlich nicht. Der Tatrichter ist allerdings nicht gehindert, einer Auskunftsperson teilweise zu glauben und teilweise nicht. Dies verlangt jedoch eine nachvollziehbare Begründung, die sich mit allen wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzt (st. Rspr., vgl. d. Nachw. bei Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 83, Fußn. 358, 359). Daran fehlt es hier. Es wäre erkennbar in die Erwägungen einzubeziehen gewesen, dass die Angaben A. s insoweit vom Angeklagten bestätigt werden, als auch er angibt, am Tattag mit diesem nach Holzkirchen gefahren zu sein. A. wusste nach den Feststellungen, dass an diesem Tag dort die von ihm (mit) geplante und vorbereitete Tat durchgeführt werden sollte. Es wäre zu erörtern gewesen, ob und warum davon auszugehen ist, dass er in Holzkirchen zugleich ein Regal holen wollte und zu diesem Zweck sich der Hilfe eines nicht an der Tat Beteiligten bediente. Ebenso wäre zu erörtern gewesen, ob es ein nachvollziehbares Motiv für A. und den anderen Mitangeklagten gibt, hinsichtlich der nämlichen, von zwei Personen begangenen Tat bezüglich eines Mittäters (S. ) die Wahrheit zu sagen und eine andere Person als Mittäter frei zu erfinden und zudem den ihnen bekannten Angeklagten zu Unrecht zu belasten. Ohne die Erörterung dieser Gesichtspunkte beruht die - nicht notwendig ausgeschlossene - Erwägung der Strafkammer zur nur teilweisen Glaubhaftigkeit der Angaben über die beiden Täter auf lückenhafter Grundlage.
18
(2) Diese Lücken gelten in gleicher Weise für die Angaben hinsichtlich des Klebebandes und den Zweck der Fahrt, bei der nach Angaben des Angeklagten die in Rede stehende Spur entstanden ist. Hinzu kommt, dass es sich jedenfalls ohne genaue Beschreibung des Klebebandes keinesfalls von selbst versteht, dass das Klebeband auf der Mittelkonsole die Bedienung der Gangschaltung ausgeschlossen (der Angeklagte habe nach seiner - nach Auffassung der Strafkammer nicht zu widerlegenden - Aussage wegen des Klebebandes „nicht schalten gekonnt“) oder jedenfalls nachhaltig erschwert hätte. Im Übrigen führt der Generalbundesanwalt (unter zutreffendem Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, z.B. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ-RR 2003, 371) zutreffend aus, dass Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zuGrunde zu legen sind. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeu- gungsbildung zu beeinflussen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen , für deren Vorliegen es außer der nicht widerlegbaren, aber auch durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen.
19
(3) Auch hinsichtlich der Schmuckschatullen ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Die Würdigung der Strafkammer stützt sich im Kern darauf, dass eine Absprache mit dem Zeugen nicht möglich gewesen wäre. Dies wäre nur dann ohne weitere Begründung tragfähig, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung , in der er die von seinem Freund dann bestätigten Angaben gemacht hat, erstmals erkannt hätte, dass die Frage nach den Schatullen Bedeutung haben kann. Dies wäre zu erörtern gewesen. Die Schatullen waren bei der Hausdurchsuchung gefunden worden, die Brisanz dieses Fundes war, ohne dass auch dies nachvollziehbar gewürdigt wäre, von der Mutter des Angeklagten offenbar sofort erkannt worden. Unter diesen Umständen versteht es sich nicht von selbst, dass dem Angeklagten der Fund der Schatullen unbekannt war oder dass er ihn für irrelevant gehalten hätte. Dann aber ist bei der Frage, ob die Möglichkeit einer Absprache mit seinem Freund bestand, nicht allein auf den Zeitraum zwischen der Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu den Schatullen und der Vernehmung des Freundes hierzu in der Hauptverhandlung abzustellen.
20
(4) Hinsichtlich der Telefongespräche fehlt es an der Erörterung der nahe liegenden Frage, warum über das doch eher einfach strukturierte Thema des Benzingeldes - nach Angaben des Angeklagten soll es um 20,-- € gegangen sein - kurz hintereinander gleich vier Gespräche erforderlich waren und warum dies nicht auf der gemeinsamen Rückfahrt besprochen worden ist.
21
(5) Die Beweiswürdigung hinsichtlich der Zeugin Br. ist unklar. Die Zeugin beschreibt einen Mann, der am Tatort und nach Bewertung der Strafkammer ein Täter war. Die Aussage von A. , dass der Angeklagte am Tatort war, hält die Strafkammer im Ergebnis für falsch. Unter diesen Umständen wird nicht deutlich, warum gerade die Aussage A. s zum Farbton der Hose, die der Angeklagte „bei Begehung der Tat“ getragen habe, geeignet ist, die Würdigung der Aussage von Frau Br. zu beeinflussen.
22
b) Sind aber schon eine Reihe von Erwägungen der Strafkammer zu einzelnen Beweisanzeichen für sich genommen nicht tragfähig begründet, kann auch das auf einer - hier ohnehin etwas pauschalen - Gesamtwürdigung aller Erkenntnisse beruhende Ergebnis keinen Bestand haben. In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin: Wie auch die Strafkammer nicht verkennt, deuten „gewichtige Gesichtspunkte“ auf den Angeklagten als Täter. Allein daraus, dass ein bestimmtes Ergebnis deshalb nicht fern oder sogar nahe liegt, folgt jedoch nicht, dass der Tatrichter im Einzelfall nicht auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (BGH NStZ-RR 2009, 248, 249; NStZ 2009, 264). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, oder die (zwar nicht als denknotwendig ausgeschlossen, aber doch) als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar werden, dass sich der Tatrichter dieser besonderen Konstellation bewusst ist. Andernfalls besteht nämlich die Besorgnis, dass er überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat (BGH NStZ–RR 2009, 248, 249).
23
Die Sache bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
Nack Wahl Elf Graf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 38/11
vom
8. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 2. August 2010 aufgehoben , soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in weiteren zwölf Fällen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 6. Januar 2010 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, in 17 Fällen dadurch Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, dass er für sechs von ihm geleitete Unternehmen mit Sitz in Luxemburg, Belgien, Frankreich und Polen für die Jahre 2002 bis 2005 vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärungen abgegeben habe. Hierzu sei er aber verpflichtet gewesen , weil er über diese Firmen an deutsche Landwirte und Winzer, die umsatzsteuerlich von der Pauschalregelung des § 24 UStG Gebrauch gemacht haben, Lieferungen von Pflanzenschutzmitteln ausgeführt habe. Die Lieferungen seien für ihn in Deutschland steuerpflichtig gewesen.
3
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts lieferte der Angeklagte in den Jahren 2002 bis 2005 als alleinverantwortlich Handelnder mehrerer Gesellschaften , die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Deutschland ihren Sitz hatten und lediglich in Luxemburg, Frankreich und Belgien Lagerräumlichkeiten unterhielten, Pflanzenschutzmittel an deutsche Landwirte und Winzer. Die Empfänger wurden als Betreiber landwirtschaftlicher Betriebe umsatzsteuerlich nach § 24 UStG besteuert. Die den Lieferungen zugrunde liegenden Bestellungen erfolgten zumeist über Sammelbesteller für Einkaufs- gemeinschaften, die vom Angeklagten Bestellscheine mit angefügten „Speditionsauftragsschreiben“ erhalten ha tten. Hinsichtlich der Art und Menge der Be- ladung sowie des Zeitpunkts der Auslieferung wurden die Speditionen allein vom Angeklagten angewiesen, die Landwirte bzw. Sammelbesteller teilten allein die Abladestelle in Deutschland mit.
4
Das Landgericht ist der Ansicht, die Lieferungen hätten der deutschen Umsatzbesteuerung unterlegen, weil es sich um Versandgeschäfte gehandelt habe und deshalb der Ort der Lieferung gemäß § 3c UStG jeweils in Deutschland gelegen habe. Der Angeklagte sei deshalb verpflichtet gewesen, für die von ihm geleiteten Firmen in der Bundesrepublik Deutschland Umsatzsteuererklärungen abzugeben, was er pflichtwidrig unterlassen habe.
5
Das Landgericht hat sich die Überzeugung gebildet, dass der Angeklagte bis zu einer Befragung durch die luxemburgische Steuerfahndung im Oktober oder November 2005 davon ausgegangen ist, die von ihm getätigten Geschäfte unterlägen nicht der Umsatzsteuer (UA S. 10). Es hat den Angeklagten daher - nach einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich zweier Fälle - nur wegen dreier im Jahr 2006 begangener Taten der pflichtwidrigen Nichtabgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen für das Jahr 2005 wegen Steuerhinterziehung verurteilt (Fälle 4, 14, und 17 der Anklageschrift). Der Angeklagte war insoweit geständig (UA S. 11). Vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in weiteren zwölf Fällen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, es konnte sich insoweit von einem Hinterziehungsvorsatz des Angeklagten nicht überzeugen. Dem Angeklagten sei für die Zeit vor dem Erscheinen der luxemburgischen Steuerfahnder bei ihm im Jahr 2005 nicht nachzuweisen gewesen, gewusst zu haben, dass bei dem von ihm gewählten Geschäftsmodell eine Steuerpflicht nach deutschem Umsatzsteuerrecht eintritt. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kenne § 370 AO nicht (UA S. 41).

II.

6
Der Teilfreispruch wegen Annahme eines Tatumstandsirrtums hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Zum einen beruhen die deswegen ebenfalls aufzuhebenden Feststellungen zum Tatvorsatz auf einer in sich widersprüchlichen sowie lückenhaften und damit nicht tragfähigen Beweiswürdigung (a). Zum anderen hat das Landgericht nicht geprüft, ob sich der Angeklagte zumindest einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) schuldig gemacht hat, was einem Freispruch entgegenstehen würde (b). Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer tatrichterlicher Prüfung auf der Grundlage diesbezüglich insgesamt neu zu treffender Feststellungen.
7
a) Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
aa) Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 18, HFR 2010, 866; vom 11. September 2007 - 5 StR 213/07, wistra 2008, 22, 24; vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19; jew. mwN).
9
bb) Derartige Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegen hier vor; die Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite können daher keinen Bestand haben.
10
(1) Die Beweiswürdigung ist in sich widersprüchlich. Sie setzt sich hinsichtlich des freisprechenden Teils des Urteils in Widerspruch zu den die Verurteilung betreffenden Feststellungen.
11
Das Landgericht hat als gegen einen Tatvorsatz des Angeklagten sprechenden Umstand gewertet, dass er seine geschäftliche Tätigkeit nicht verheimlicht , sondern Rechnungen mit ausländischer Umsatzsteuer erstellt habe (UA S. 39). Weiter hat es ausgeführt, die Tatsache, dass der Angeklagte die angefallenen ausländischen Umsatzsteuern in seinen Rechnungen aufgeführt und „wohl“ im Ausland erklärt und abgeführt habe, sei ein Indiz dafür, dass ihm die Steuerbarkeit der Umsätze nach deutschem Umsatzsteuerrecht nicht bewusst gewesen sei (UA S. 40). Diese Wertungen lassen sich nicht mit den - im Rahmen der Verurteilung strafschärfend gewerteten (UA S. 34) - Feststellungen vereinbaren, dass der Angeklagte ab dem Jahr 2005, in dem er von der luxemburgischen Steuerfahndung aufgesucht worden war, „die zuvor aufgebau- ten Unternehmensstrukturen fortgeführt und somit im Ergebnis ein aufwendiges Täuschungssystem genutzt“ habe. Durch die Firmenverlagerung nach Polen, die fortgesetzte Einschaltung von Firmen in Belgien, Luxemburg und Frankreich und die Gründung von Zwischenlagern in Deutschland habe er insbesondere „hinsichtlich der Lieferwege und der Umsatzermittlung einen schwer aufklärbaren Sachverhalt geschaffen“ (UA S. 34). War das Gesamtsystem aber schon vor dem Erscheinen der Steuerfahnder auf Täuschung angelegt, dann konnte die Ausstellung von Rechnungen mit gegenüber dem deutschen Steuersatz zum Teil deutlich niedrigeren ausländischen Umsatzsteuersätzen zwischen drei und zwölf Prozent (UA S. 9) kein Indiz für eine beabsichtigte Steuerehrlichkeit des Angeklagten sein.
12
(2) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft. Denn das Landgericht hat wesentliche, den Urteilsfeststellungen zu entnehmende belastende Umstände nicht in die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite eingestellt.
13
Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, Urteile vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19 und vom 22. August 2002 - 5 StR 240/02, wistra 2002, 430 mwN).
14
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Sie ist lückenhaft, weil sie sich mit wesentlichen, den Angeklagten belastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Zu einer umfassenden Gesamtwürdigung aller den Angeklagten be- und entlastenden Umstände hätte sich das Landgericht hier schon deshalb gedrängt sehen müssen, weil der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen noch nach entsprechenden Hinweisen der luxemburgischen Steuerfahndung auf die in Deutschland bestehende Steuerpflicht das bisherige System der Vermeidung der Besteuerung in Deutschland unverändert fortsetzte.
15
Das Landgericht hätte - worauf der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - auch in die Gesamtwürdigung einbeziehen müssen, dass der Angeklagte den steuerlich bedeutsamen Ort der Lieferung in seinen Rechnungen jedenfalls teilweise absichtlich falsch deklariert hat, was für eine bewusste Täuschung der Finanzbehörden spricht. So hat der Angeklagte auch die Lieferungen seiner polnischen Firmen als Abholgeschäfte mit dem Umsatzsteuersatz von drei Prozent deklariert (UA S. 9 f.), obwohl er nach den Feststellungen in Polen gar kein Warenlager unterhielt (UA S. 4, 38) und die Kunden selbst bei der Bestellung keinen Kontakt nach Polen hatten (UA S. 32). Dieser primär den Fall 15 der Urteilsgründe betreffende Umstand der Ausstellung falscher Rechnungen war auch für die Vorsatzfrage hinsichtlich der Tatvorwürfe betreffend die Jahre 2002 bis 2004 von erheblicher Bedeutung.
16
b) Der Teilfreispruch kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob das Verhalten des Angeklagten nicht zumindest den Bußgeldtatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) verwirklicht hat. § 378 AO wirkt in solchen Fällen wie ein Auffangtatbestand (BGH, Beschluss vom 13. Januar 1988 - 3 StR 450/87, BGHR AO § 378 Leichtfertigkeit 1; BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 5 StR 570/99, NStZ 2000, 320, 321; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 39 ff., HFR 2010,

866).

17
Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 aaO Rn. 40).
18
Jeder Steuerpflichtige muss sich über diejenigen steuerlichen Pflichten unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann sind deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (vgl. BFH, Urteil vom 19. Februar 2009 - II R 49/07 mwN, BFHE 225, 1). In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen (vgl. dazu auch Joecks in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 378 AO Rn. 39 mwN). Dies gilt insbe- sondere dann, wenn er die erkannte Steuerpflichtigkeit eines Geschäfts durch eine modifizierte Gestaltung des Geschäfts zu vermeiden sucht (zu den Erkundigungspflichten vgl. auch Sahan in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht , § 378 AO Rn. 28 ff.). Zudem ist es Steuerpflichtigen regelmäßig möglich und zumutbar, offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des vollständigen und wahren Sachverhalts im Besteuerungsverfahren zu klären (vgl. BVerfG - Kammer - Beschlüsse vom 16. Juni 2011 - 2 BvR 542/09 und vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, wistra 2010, 396, 404, jew. mwN).
19
Im vorliegenden Fall war deshalb in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte für sechs Unternehmen als alleinverantwortlich Handelnder tätig war, die jeweils in großem Umfang grenzüberschreitenden Handel mit Pflanzenschutzmitteln an Landwirte und Winzer durchführten. Er hatte erkannt, dass die Durchführung der von ihm geplanten Lieferungen als „Versandgeschäfte“ zu einer Steuerpflicht in Deutschland führen würde und wählte deswegen eine Ge- schäftsabwicklung, die nach seiner Wertung als „Abholgeschäfte“ im Empfän- gerstaat Deutschland nicht steuerbar waren. Ob er hierbei Rechtsrat eingeholt hatte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

III.

20
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat im Hinblick auf die subjektive Tatseite auf Folgendes hin:
21
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1953 - 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90, 91 f.; BGH, Urteil vom 5. März 1986 - 2 StR 666/85, wistra 1986, 174; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 37, HFR 2010, 866; BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 2, 4, 5). Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes ; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz ). Der Hinterziehungsvorsatz setzt deshalb weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 37, HFR 2010, 866; zu strenge Anforderungen OLG München, Beschluss vom 15. Februar 2011 - 4 St RR 167/10 mit Anm. Roth, StRR 2011, 235).
22
2. Hat der Steuerpflichtige irrtümlich angenommen, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB).
23
3. Ob dies auch dann gilt, wenn der Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs allein auf einer Fehlvorstellung über die Reichweite steuerlicher Normen - hier etwa des § 3c UStG über den Ort der Lieferung in besonderen Fällen - beruht, oder ob dann vielmehr ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) gegeben ist, wird in der neueren Literatur teilweise in Frage gestellt (vgl. Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 369 AO Rn. 28 mwN; vgl. zum Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB auch BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 478/09, NStZ 2010, 337).
24
4. Der Senat braucht diese Frage hier nicht zu entscheiden, denn sie stellt sich erst dann, wenn ein rechtserheblicher Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs festgestellt ist. Ein solcher Irrtum liegt aber dann nicht vor, wenn der Erklärungspflichtige hinsichtlich der Verkürzung eines Steueran- spruchs mit Eventualvorsatz handelt. Bei der Klärung der Frage, ob ein solcher Irrtum bestanden hat, ist Folgendes zu beachten:
25
a) Die bloße Berufung eines Angeklagten auf einen derartigen Irrtum nötigt das Tatgericht nicht, einen solchen Irrtum als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Umstände oder Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen - außer der bloßen Behauptung des Angeklagten - keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85).
26
b) Ein Tatumstandsirrtum scheidet bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen im Übrigen dann aus, wenn der Täter es für möglich hält, dass er die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dass durch sein Verhalten Steuern verkürzt werden oder dass er oder ein anderer nicht gerechtfertigte Vorteile erlangt. Weitergehende Einschränkungen der Annahme eines Eventualvorsatzes ergeben sich auch nicht aus der voluntativen Seite des Vorsatzes. Ob der Täter will, dass ein Steueranspruch besteht, ist für den Hinterziehungsvorsatz bedeutungslos. Es kommt insoweit allein auf die Vorstellung des Täters an, ob ein solcher Steueranspruch besteht oder nicht. Hält er die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, findet er sich also mit der Möglichkeit der Steuerverkürzung ab, handelt er mit bedingtem Tatvorsatz.
27
Ob ein Angeklagter das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich gehalten hat, muss vom Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung geklärt werden. Dabei hat das Gericht bei Kaufleuten deren Umgang mit den in ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in die Würdigung einzubeziehen. Informiert sich ein Kaufmann über die in seinem Gewerbe bestehenden steuerrechtlichen Pflichten nicht, kann dies auf seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflichten hindeuten. Dasselbe gilt, wenn es ein Steuerpflichtiger unterlässt, in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen. Auch in Fällen, in denen ein nicht steuerlich sachkundiger Steuerpflichtiger eine von ihm für möglich gehaltene Steuerpflicht dadurch vermeiden will, dass er von der üblichen Geschäftsabwicklung abweichende Vertragskonstruktionen oder Geschäftsabläufe wählt, kann es für die Inkaufnahme einer Steuerverkürzung sprechen, wenn er keinen zuverlässigen Rechtsrat einholt, sondern allein von seinem laienhaften Rechtsverständnis ausgeht. Dies gilt nicht nur bei rechtlich schwierigen oder ungewöhnlichen Inlandsgeschäften, sondern gerade auch bei grenzüberschreitenden Lieferungen oder Leistungen.
28
5. Im vorliegenden Fall wird es daher für die Frage des Tatvorsatzes darauf ankommen, ob der Angeklagte eine Steuerentstehung in Deutschland für möglich erachtet hat. Im Hinblick darauf, dass er - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - gerade zur Vermeidung einer Besteuerung in Deutschland zugunsten der Anwendung niedrigerer ausländischer Steuersätze die bei Versandgeschäften übliche Geschäftsabwicklung verändert hat, wird dabei der Frage, ob er sachkundigen Rechtsrat eingeholt hat, besondere Bedeutung zukommen. Dasselbe gilt, wenn das neue Tatgericht wieder zu entsprechenden Feststellungen gelangen sollte, für den Umstand, dass der Angeklagte die luxemburgischen Steuerfahndungsbeamten gebeten hat, die deutschen Finanzbehörden nicht zu informieren (UA S. 13).
29
6. Sollte das neue Tatgericht aufgrund seiner Beweisaufnahme und Beweiswürdigung bezogen auf die Fälligkeitszeitpunkte für die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen wieder zur Annahme eines vorsatzausschließenden Tat- umstandsirrtums des Angeklagten gelangen, wird es die Prüfung einer Unterlassenstrafbarkeit auch darauf zu erstrecken haben, ob der Irrtum noch vor Wegfall der Erklärungspflicht, insbesondere vor Eintritt der steuerlichen Festsetzungsverjährung wieder entfallen ist. Bedeutung könnte insoweit dem Umstand zukommen, dass der Angeklagte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - von der luxemburgischen Steuerfahndung auf die Bedenken gegen seine steuerliche Behandlung der Lieferungen nach Deutschland hingewiesen wurde (UA S. 13). RiBGH Hebenstreit befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 394/07
vom
3. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Volksverhetzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. Februar 2008 in der Sitzung am 3. April 2008, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 21. Februar 2008 -
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor in der Verhandlung vom 21. Februar 2008,
Justizangestellte in der Sitzung vom 3. April 2008
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2007 in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte , der seit seinem 14. Lebensjahr in politisch rechtsgerichteten Organisationen und Parteien aktiv und seit dem Jahre 1998 Mitglied des Bundesvorstands der NPD ist, im Jahre 1993 mit dem Handel von CDs unter dem Namen "P. Liste" selbstständig. Seit dem Jahre 1996 bestritt er seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit dieser Tätigkeit. Im Januar 1998 brachte er sein Unternehmen in die der NPD nahestehende "D. Verlags Gesellschaft mbH" ein. Dort war er zunächst als Produktionsleiter angestellt und für alle Artikel verantwortlich, die der Verlag vertrieb; seit dem Jahre 2004 ist er einer von zwei Geschäftsführern. Der Angeklagte hatte bei der Auswahl der CDs freie Hand und trug die Verantwortung für die rechtliche Seite der Produktionen. Dabei war ihm klar, dass sich die von dem Verlag unter seiner Leitung vertriebenen Liedtexte teilweise am Rande der Legalität bewegten. Anlässlich einer Durchsuchung der Räumlichkeiten der "D. Verlags Gesellschaft mbH" im März 2003 wurden insgesamt 250 verschiedene CDs sichergestellt; ihr Inhalt wurde in der Folgezeit überprüft.
2
Hinsichtlich acht dieser CDs hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Sie hat dem Angeklagten vorgeworfen, er habe sich der Volksverhetzung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Gewaltdarstellung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sowie des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen schuldig gemacht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Es hat dies damit begründet, dass teilweise schon die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der jeweils in Betracht kommenden Strafvorschriften nicht gegeben seien ; teilweise hat es angenommen, der Angeklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt bzw. sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.
4
Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt - mit Ausnahme des Falles II. 5. der Urteilsgründe - vertretene Rechtsmittel hat einen Teilerfolg.
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II. Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten in den Fällen II. 1., 2. und 5. der Urteilsgründe wendet.
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1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat das Landgericht ohne Rechtsfehler den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) verneint; denn der Text des Liedes "Geh uns aus dem Weg" auf der CD "Eiserne Jugend" der Gruppe "Foierstoss" wendet sich nicht gegen ein Angriffsobjekt im Sinne der genannten Vorschrift.
7
Die Norm setzt voraus, dass sich der Inhalt einer Schrift, der nach § 11 Abs. 3 StGB CDs gleich stehen, gegen einen Teil der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe richtet. Unter einem - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden - Teil der Bevölkerung ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 130 Rdn. 4). Dass es sich bei den mit den Bezeichnungen "Linke und Antifa-Brut" sowie "Rote Flut" angesprochenen Personenkreisen nicht um abgrenzbare Bevölkerungsgruppen in diesem Sinne handelt , hat das Landgericht mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Interpretation des Liedtextes dargelegt.
8
a) Die Auslegung des Inhalts einer Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat sich wegen des Charakters der Vorschrift als Verbreitungsdelikt an seinem objektiven Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert zu orientieren, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser oder -hörer aufgefasst werden. Ob die Schrift die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, muss sich demnach in erster Linie aus ihr selbst ergeben. Umstände, die in der Schrift selbst keinen Niederschlag gefunden haben, bleiben grundsätzlich außer Betracht. Insbesondere subjektive Zielsetzungen, Mo- tive, Absichten, Vorstellungen oder Neigungen des Täters müssen zumindest "zwischen den Zeilen" erkennbar sein (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm StGB § 130 Rdn. 57). Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG NJW 1994, 2943).
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b) Bei einer diesen Maßstäben entsprechenden Auslegung des Inhalts der CD ergibt sich, dass kein ausreichend eingrenzbarer Bevölkerungsteil angegriffen wird.
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Zwar kann grundsätzlich auch eine politische Gruppierung taugliches Ziel eines Angriffs im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB sein (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rdn. 9). Bei nicht näher spezifizierten Sammelbegriffen wie "Rote" oder "Linke" ist der bezeichnete Personenkreis jedoch so groß und unüberschaubar und umfasst derart zahlreiche, sich teilweise deutlich unterscheidende politische Richtungen und Einstellungen, dass seine Abgrenzung auf Grund bestimmter Merkmale von der Gesamtbevölkerung nicht möglich ist (vgl. BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 1).
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Ähnliches gilt im Ergebnis für die Bezeichnung "Antifa-Brut". Der Begriff "Antifa" bezeichnet nach allgemeinem Verständnis je nach Zusammenhang linke , linksradikale und/oder autonome Gruppierungen oder Organisationen, die sich das Ziel gesetzt haben, Nationalismus oder Rassismus zu bekämpfen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein auch nur annähernd homogenes Gebilde. Vielmehr ist die Ablehnung von Faschismus, Rassismus und Nationalismus häufig nur der kleinste gemeinsame Nenner, der zwischen den unter- schiedlichen Gruppierungen konsensfähig ist. Treffen sich indes ansonsten politisch -ideologisch ganz unterschiedlich geprägte Personengruppen lediglich in einem gemeinsamen Ziel, so reicht allein dies grundsätzlich nicht aus, um sie als abgrenzbaren Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 und 2 StGB ansehen zu können; denn die Personenmehrheit ist in diesen Fällen nicht in einem Maße durch gemeinsame individuelle Merkmale geprägt, das sie nach außen als Einheit erscheinen lässt und eine hinreichend sichere Unterscheidung von der übrigen Bevölkerung ermöglicht.
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Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis; denn auch dem Kontext, etwa dem Inhalt der übrigen Lieder der CD, sind bei sachgerechter Interpretation keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die zu einer hinreichenden Eingrenzbarkeit des angegriffenen Personenkreises führen könnten.
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2. Auch im Fall II. 2. der Urteilsgründe ist der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) in Tateinheit mit Gewaltdarstellung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB) bezüglich der Texte der Lieder auf der CD "Spirit of 88/White Power Skinheads" der Band "Spreegeschwader" im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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a) Hinsichtlich des Liedes "Ignoranten" liegen - entgegen der Ansicht des Landgerichts, das zur Begründung des Freispruchs auf einen Tatbestandsbzw. unvermeidbaren Verbotsirrtum des Angeklagten abgestellt hat - bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der Norm nicht vor; denn es fehlt an der in allen Alternativen der Vorschrift vorausgesetzten besonderen Intensität des Angriffs.
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aa) Mit dem Text des genannten Liedes wird zunächst nicht zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung oder eine im Gesetz näher bezeichnete Gruppe von Personen aufgestachelt. Hierunter ist ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. BGHSt 40, 97, 102; 46, 212, 217). Der Liedtext enthält zwar abfällige Äußerungen über Türken, Albaner und Russen, denen vor allem die Beherrschung der Schulen und die Begehung bestimmter Arten von Straftaten vorgeworfen wird. Wenn auch Hetze, die sich gegen Ausländer richtet, bei entsprechendem Gewicht regelmäßig tatbestandsrelevant sein kann (vgl. Miebach /Schäfer, aaO § 130 Rdn. 32), so ist hier jedoch die erforderliche besonders intensive Form der Einwirkung (vgl. BGHSt 21, 371, 372) auch unter Beachtung des zu berücksichtigenden Kontextes nicht gegeben.
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bb) Daneben wird auch nicht zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen die genannten Angriffsobjekte aufgefordert. Dies setzt ein über das bloße Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel voraus, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 130 Rdn. 5 b; von Bubnoff, aaO § 130 Rdn. 19). Hierunter fallen etwa Gewalttätigkeiten im Sinne des § 125 StGB, Freiheitsberaubungen, gewaltsame Vertreibungen, Pogrome, die Veranstaltung von Hetzjagden gegen Ausländer und sonstige im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art (vgl. Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 35). Ein derartiger Appellcharakter ist dem Text des genannten Liedes nicht zu entnehmen.
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cc) Schließlich wird auch nicht die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen , dass eines der genannten Angriffsobjekte beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet wird. Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung (vgl. BGHSt 46, 212, 216). Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen , durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird (vgl. BGHSt 3, 346, 348). Verleumden erfordert das wider besseres Wissen aufgestellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen (vgl. Fischer, aaO § 130 Rdn. 11). Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (vgl. BVerfG NJW 2001, 61, 63). Ein noch weiter gehender Angriff etwa auf das biologische Lebensrecht an sich ist nicht erforderlich (vgl. BayObLG NStZ 1994, 588, 589). Auch insoweit kommen grundsätzlich entsprechend intensive ausländerfeindliche Parolen in Betracht (vgl. die Beispiele bei Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 44 m. w. N.).
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Derart besonders qualifizierte Beeinträchtigungen, die durch ein gesteigertes Maß an Gehässigkeit und Rohheit gekennzeichnet sein müssen, und durch die die Angehörigen des betreffenden Bevölkerungsteils oder der betreffenden Gruppe in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft verletzt werden und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet wird (vgl. BGHSt 36, 83, 90), liegen hier indes nicht vor. Der Gehalt des Textes zielt vielmehr in erster Linie auf das Anprangern eines von den Interpreten postulierten Unverständnisses gegenüber dem vermeintlich legitimen Anliegen ausländerfeindlicher Bevölkerungskreise und eine - wenn auch durchaus massive - Kundgabe der Missbilligung bestimmter behaupteter Zustände.
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b) Bezüglich des Liedes "Mörder in der Nacht" hat das Landgericht die Verwirklichung des objektiven Tatbestands von § 131 StGB ohne Rechtsfehler verneint, da dem Text keine eindeutig gewaltverherrlichende Aussage zu entnehmen ist.
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3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 5. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 Abs. 1 und 2 StGB) ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
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Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand des § 166 StGB rechtsfehlerfrei mit der Begründung verneint, es fehle an einer ausreichenden Tathandlung , weil dem Angeklagten nicht nachzuweisen gewesen sei, dass er die CD "Der Untermensch" der Gruppe "Camulos" - deren Texte in mehreren Liedern allerdings die inhaltlichen Voraussetzungen des § 166 StGB erfüllen - tatsächlich verbreitet, das heißt, sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht (vgl. BGH NJW 1999, 1979, 1980 zu § 184 StGB m. w. N.) habe. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass im Lager des Verlags eine CD aufbewahrt wurde. Das bloße Vorrätighalten einer Schrift ist gemäß § 166 StGB indes ebenso wenig mit Strafe bedroht wie der Versuch des Verbreitens (§ 166 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 2, § 12 Abs. 1 und 2 StGB).
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Soweit das Landgericht im Übrigen in Bezug auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Volksverhetzung den Vorsatz des Angeklagten nicht festzustellen vermocht hat, begegnet dies aus den vom Generalbundesanwalt in seiner An- tragsschrift zutreffend dargelegten Gründen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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III. Demgegenüber hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe nicht stand.
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1. Bei dem Freispruch des Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Rote raus" auf der CD "Herz des Reiches" der Gruppe "Panzerfaust" hat das Landgericht weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand der Vorschrift mit einer rechtlich tragfähigen Begründung ausgeschlossen.
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a) Entgegen der Meinung der Strafkammer wird mit dem in dem Lied verwendeten Ausdruck "Kommunisten" ein Teil der Bevölkerung im Sinne des Tatbestandes der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB bezeichnet. Im Gegensatz zu der "Antifa"-Bewegung, in der weltanschaulich unterschiedlich geprägte Gruppierungen lediglich durch ein gemeinsames Ziel vereint sind, verbindet Kommunisten - bei durchaus unterschiedlicher Ausrichtung in Einzelfragen - eine gemeinsame weltanschauliche, politisch-ideologische Grundüberzeugung. Diese gibt der Personenmehrheit ein insgesamt gemeinschaftliches Gepräge, das sie - trotz im Randbereich vorhandener Berührungspunkte und Überschneidungen mit sonstigen, insbesondere politisch linksgerichteten Gruppierungen - in ausreichender Weise von der übrigen Bevölkerung unterscheidbar macht.
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b) Der Text des Liedes enthält einen Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der darin liegt, dass die Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. In ihm heißt es auszugsweise: "Blöder als die Polizei erlaubt/ Dreckiger als das dreckigste Schwein/ Du stinkst mehr als ein Hundehaufen/ Dein Gehirn ist erbsenklein/ Du bist ein Kommunist und deine Ideen gehören auf den Mist/ Nie wieder werdet ihr unser Volk zerspalten/ Unser Heimat vergewaltigen". Der Refrain lautet: "Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Das ist unsre Heimat, hier sind wir zu haus/ Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Ihr lächerlichen Kasper, wir lachen euch bloß aus". Bei sachgerechter Auslegung werden hierdurch in eindeutiger Weise Kommunisten nicht nur in einzelnen Persönlichkeitsrechten wie ihrer Ehre getroffen, sondern darüber hinausgehend in besonders gehässiger und roher Weise sozial abgewertet und im Kern ihrer Persönlichkeit verletzt.
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c) Soweit das Landgericht ausgeführt hat, eine Strafbarkeit des Angeklagten scheide daneben jedenfalls aus subjektiven Gründen aus, da ihm "als Laien" kein Vorsatz nachgewiesen werden könne, wenn selbst die Strafkammer den Text für rechtlich noch vertretbar erachte, hat es die Voraussetzungen vorsätzlichen Handelns verkannt.
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aa) Das Landgericht hätte, wollte es den Vorsatz des Angeklagten verneinen , aufgrund der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen darlegen müssen, was der Angeklagte im Einzelnen nicht in sein Wissen und Wollen aufgenommen hat. Da im Rahmen des § 130 StGB bedingter Vorsatz ausreicht, kommt es darauf an, ob der Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt (vgl. Fischer, aaO § 15 Rdn. 9 ff.).
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bb) Dem Landgericht oblag es deshalb, unter Anlegung dieser Maßstäbe zu prüfen, ob der Angeklagte zumindest bedingt vorsätzlich davon ausging, dass in dem betreffenden Lied Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. Hierfür reichte allein der Hinweis darauf nicht aus, dass die Strafkammer selbst die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Norm verneint hat. Vielmehr musste sie die maßgebende Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Begehung der Tat feststellen und würdigen. Dabei war darauf Bedacht zu nehmen, dass der Vorsatz auf der Wissensseite als intellektuelles Element erfordert, dass der Täter sich zurzeit der Handlung des Vorliegens aller Umstände des äußeren Tatbestands bewusst ist.
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Namentlich bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen braucht der Täter im Übrigen nicht die aus den Gesetzesbegriffen folgende rechtliche Wertung nachzuvollziehen; insofern genügt die Parallelwertung in der Laiensphäre, die voraussetzt, dass der Täter die Tatsachen kennt, die dem normativen Begriff zugrunde liegen, und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 15 Rdn. 9, 14).
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2. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat das Landgericht zum Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) festgestellt, dass der Angeklagte in den Räumen der "D. Verlags Gesellschaft mbH" zu Verkaufszwecken die CD "Stimme des Volkes 26.03.1999" lagerte. Diese enthielt die Aufnahme einer aus Liedern und Textbeiträgen bestehenden Sendung von "Radio Germania", einem politisch rechtsgerichteten Sender. In zwei Liedern wird unter Anknüpfung an den Sprachgebrauch des Dritten Reiches die Parole der Hitlerjugend "Blut und Ehre" gebraucht. Dem Angeklagten war im Jahre 1999 in einem Gespräch von dem Verantwortlichen des Senders mitgeteilt worden, dass alle Sendungen anwaltlich begutachtet und für unbedenklich gehalten worden seien. Daneben wird von dem Sprecher zu Beginn der Sendung darauf hingewiesen, dass die Sendung "wie immer auch dieses Mal von unseren Rechtsanwälten als strafrecht- lich nicht relevant und ohne Verstöße gegen die Jugendschutzordnung gewertet worden" sei.
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a) Die Strafkammer hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei angenommen, dass der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist; denn der Angeklagte hielt mit der beschriebenen CD einen Gegenstand zum Zwecke der Verbreitung vorrätig, der ein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 a Abs. 2 Satz 1, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB enthielt.
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b) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht darauf abgestellt , dem Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, er habe gewusst, dass die Verwendung des Begriffspaares "Blut und Ehre" zweifelsfrei auf die Parole der Hitlerjugend hinweise; es fehle somit an der subjektiven Tatseite. Gehe man stattdessen von einem Verbotsirrtum aus, sei dieser unvermeidbar gewesen. Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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aa) Zwar können Fehlvorstellungen oder -bewertungen über normative Tatbestandsmerkmale je nach dem Stand der (Un-)Kenntnis des Täters zu einem den Vorsatz und damit die Strafbarkeit ausschließenden Tatbestandsirrtum (§§ 15, 16 StGB) oder zu einem vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) führen, wobei die sachgerechte Einordnung derartiger Irrtümer unter Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierte Betrachtungen vorzunehmen ist (vgl. BGH NStZ 2006, 214, 217). Insoweit kann das Vertrauen des Täters in juristische Auskünfte sowohl im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes Bedeutung erlangen als auch sich im Bereich der Schuld auf die Strafbarkeit auswirken (vgl. Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81). Durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen wird indes weder tragfähig belegt, dass der An- geklagte ohne Vorsatz handelte, noch dass ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun.
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bb) Weder die pauschale Auskunft des für den Radiosender Verantwortlichen über eine anwaltliche Begutachtung noch der ebenso substanzlose Hinweis des Sprechers zu Beginn der Sendung enthält einen irgendwie näher fassbaren konkreten Hinweis auf eine Strafnorm oder gar ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal. Die Feststellungen lassen deshalb nicht erkennen, wieso der Angeklagte allein aufgrund dieser Auskünfte nicht zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes wusste und wollte, dass in den betreffenden Liedern mit der Losung "Blut und Ehre" die Parole der Hitlerjugend wiedergegeben wurde. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte aufgrund seines politischen Werdegangs und seiner über viele Jahre ausgeübten beruflichen Tätigkeit mit dem Vokabular politisch rechtsgerichteter Kreise in hohem Maße vertraut war.
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cc) Auch ein Verbotsirrtum des Angeklagten ist nicht ausreichend belegt. Wenn der Täter einen in seiner Bedeutung zutreffend erkannten Umstand rechtlich unrichtig subsumiert, kann seine Fehlvorstellung zwar als sog. Subsumtionsirrtum im Rahmen der Schuld Bedeutung gewinnen (vgl. Lackner/Kühl, aaO § 15 Rdn. 14). Hierzu lassen die Urteilsgründe jedoch jegliche näheren Ausführungen vermissen. Der - rechtsfehlerhaften - Annahme eines Tatbestandsirrtums wird vielmehr ohne nähere Begründung diejenige eines Verbotsirrtums "nachgeschoben". Da der Täter bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht hat, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHSt 4, 1, 4; 27, 196, 202; BGH NStZ 1996, 236, 237; 338), hier dem Angeklagten aber bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, liegt es zumindest nicht nahe, dass er aufgrund der pauschalen Hinweise über das Unrecht seines Tuns irrte.
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dd) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht weiter angenommen, ein etwaiger Verbotsirrtum sei unvermeidbar gewesen; hierfür bilden die getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
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Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGHSt 21, 18, 20). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rdn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet (vgl. BGHSt 40, 257, 264).
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Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 8).
40
Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan (vgl. BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3). Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 9 a). Auskünfte , die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 17 Rdn. 18) erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten (vgl. BGH NStZ 2000, 307, 309). Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (vgl. Kirch-Heim/Samson, aaO 81, 85).
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Vor diesem Hintergrund genügen die getroffenen Feststellungen nicht ansatzweise, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu belegen. Dem Angeklagten oblag bereits aufgrund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als der für das Verlagsprogramm verantwortlichen Person eine besondere Erkundigungs- und Prüfungspflicht, an die strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGHSt 37, 55, 66). Dies gilt erst recht im Hinblick auf die sonstigen besonderen Umstände des vorliegenden Falles. So war dem selbst mit den einschlägigen Rechtsfragen vertrauten Angeklagten bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte und die Gefahr der Erfüllung von Straftatbeständen aufgrund des Inhalts der von der "D. Verlags Gesellschaft mbH" angebotenen und vertriebenen CDs nahe lag.
42
Der Angeklagte durfte sich somit allein auf die pauschale mündliche Auskunft eines Dritten über eine anwaltliche Begutachtung ebenso wenig verlassen wie auf die Aussage des Sprechers zu Beginn der Sendung. Beide Hinweise boten keinerlei Gewähr für eine hinreichende inhaltliche Verlässlichkeit; denn sie ließen weder einen Schluss auf den Umfang noch auf die Sorgfältigkeit der rechtlichen Überprüfung zu. Die Auskunft hätte sich zudem inhaltlich darauf richten müssen, dass das beabsichtigte Handeln kein Unrecht ist (vgl. Vogel, aaO § 17 Rdn. 19). Hinsichtlich der Aussage durch den Verantwortlichen des Senders verhalten sich die Urteilsgründe indes noch nicht einmal dazu, ob sich die anwaltliche Begutachtung auf alle oder nur auf einzelne nach dem Strafgesetzbuch in Betracht kommenden Strafvorschriften bezog und auch etwa die einschlägigen Normen des Jugendschutzgesetzes (vgl. §§ 15, 27 JuSchG) umfasste.
43
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 6. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) bezüglich des Liedes "Stinkendes Leben" auf der CD "Das rechte Wort" der Gruppe "Patriot 19/8 & Sleipnir" kann ebenfalls keinen Bestand haben.
44
a) Die in dem Lied angesprochene Gruppe der "Punker" stellt einen Teil der Bevölkerung im Sinne der genannten Vorschrift dar (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, aaO § 130 Rdn. 4; Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 25). Punker sind aufgrund einer etwa in ihrem Lebensstil und äußeren Erscheinungsbild zu Tage tretenden weltanschaulichen Überzeugung, die trotz unterschiedlicher Präferenzen im Einzelnen nach außen genügende Gemeinsamkeiten erkennen lässt, als Personenmehrheit von der übrigen Bevölkerung in ausreichendem Maße abgrenzbar.
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b) Entgegen der Auffassung der Strafkammer wird in dem genannten Lied die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie beschimpft und böswillig verächtlich gemacht werden. Mit dem Text der Kehrreime "Du bist ein Punk, du bist so krank/ bist so abnorm und nie in Form/ benimmst dich wie das letzte Schwein/ Gefällt es dir, Abschaum zu sein?" und "Die Zeit ist reif für Deutschlands Segen/ Die Zukunft liegt in unserer Hand/ Wir werden sie von den Straßen fegen/ Und frei und sauber sei das Land" sowie weiteren ähnlichen Passagen wird die Missachtung von Punkern in besonders gravierender Form zum Ausdruck gebracht; diese werden im Kern ihrer Persönlichkeit getroffen und verletzt. Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang gemeint hat, nur eine Beeinträchtigung der Ehre feststellen zu können, und zur Begründung ausgeführt hat, die Bezeichnung "Schwein" sei im heutigen Sprachgebrauch üblich und werde teilweise auch in populären Liedern wie "Männer sind Schweine" der Gruppe "Die Ärzte" gebraucht, hat sie in besonderer Weise die sich bei verständiger Würdigung aufdrängende Bedeutung des hier relevanten Textes verkannt. In diesem geht es im Gegensatz zu dem von der Strafkammer als Vergleich bemühten Lied nicht um eine satirische Überspitzung bestimmter menschlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften; vielmehr wird in eindeutiger Weise das Recht von Punkern auf Anerkennung als Persönlichkeiten in der Gemeinschaft besonders gehässig und roh verletzt und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet.
46
c) Mit dem Inhalt des letzten Kehrreims wird daneben auch zu Gewaltund Willkürmaßnahmen gegen Punker aufgefordert, da zumindest konkludent auf andere mit dem Ziel eingewirkt wird, in ihnen den Entschluss zu Gewalttätigkeiten und ähnlichen Handlungen hervorzurufen. Diesem appellativen Charakter des Textes steht nicht entgegen, dass vordergründig die Formulierung "Wir werden sie von der Straße fegen" benutzt wird. Bei sachgerechter Bewertung ergibt sich, dass die Zielrichtung der Aussage nicht dahin geht, eigene Handlungen oder Absichten der Interpreten darzustellen; vielmehr ist die eigentliche Intention erkennbar darauf gerichtet, andere zu animieren, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen zu verüben bzw. sich solchen anzuschließen.
47
d) Soweit die Strafkammer daneben unter Hinweis auf eine Unbedenklichkeitserklärung des Rechtsanwalts N. , deren näherer Inhalt in den Feststellungen nicht mitgeteilt wird, den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, hält dies aus den dargelegten Gründen rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schluss des Landgerichts von dieser nicht näher spezifizierten Auskunft darauf, dass der Angeklagte sich in einer Fehlvorstellung über bestimmte Merkmale des gesetzlichen Tatbestands befand, entbehrt auch hier einer tragfähigen Grundlage.
48
e) Aus denselben Gründen ist die den Ausführungen über einen Tatbestandsirrtum ohne weitere Begründung folgende Annahme eines Verbotsirrtums rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat auch in diesem Fall nicht dargelegt, über welches normative Tatbestandsmerkmal sich der Angeklagte in einer Weise im Irrtum befunden haben soll, die seine Unrechtseinsicht ausschloss.
49
f) Schließlich reichen die Ausführungen des Landgerichts nicht aus, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu begründen. Allein das Vertrauen in eine inhaltlich nicht näher konkretisierte anwaltliche Auskunft kann bei sachgerechter Bewertung der sonstigen Umstände des vorliegenden Falles bei Anwendung der dargelegten Maßstäbe nicht zu der Annahme führen, der Angeklagte habe seine eventuelle Fehlvorstellung nicht durch die genügende Anspannung seines Gewissens vermeiden können.
50
4. Der Freispruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Bunthaarige Schweine" auf der CD "Totgesagte leben länger" der Gruppe "Doitsche Patrioten" begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
51
a) Der Text des Liedes richtet sich wie im Fall zuvor bei verständiger Auslegung gegen Punker und damit gegen einen genügend abgrenzbaren Teil der Bevölkerung. Dem steht nicht entgegen, dass die Punker hier nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sind; denn eine derartige namentliche Benennung ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn sich aus dem Inhalt der Schrift ausreichend deutlich ergibt, welcher bestimmte Bevölkerungsteil Ziel des Angriffs ist. Dies ist hier der Fall. In dem Text des Liedes werden mehrere typische Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen genannt, die Punkern zuzuordnen sind und deren Erscheinungsbild bestimmen. Dies lässt den zweifelsfreien Schluss darauf zu, dass hier die betreffende Personenmehrheit als Angriffsobjekt umschrieben ist.
52
b) Mit Formulierungen wie "Hallo du kleines Arschgesicht/ Ich find dich einfach widerlich/ Wie oft willst du denn noch erwachen/ Bestell dir lieber gleich nen Sarg", "Bunthaarige Schweine/ Dreckig eklig und verkeimt/ Ziehst du hier nicht gleich Leine/ Nutz ich die Gunst der Zeit" oder "Vielleicht hast du es nicht ganz geschnallt/ Verpiss dich bevor es knallt" wird sowohl die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie böswillig verächtlich gemacht werden, als auch zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie aufgefordert.
53
c) Soweit die Strafkammer den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, weil er gewusst habe, dass zu der CD ein Gutachten der Rechtsanwältin P. existiere, das zu dem Ergebnis gekommen sei, die Texte seien strafrechtlich unbedenklich, hält dies aus den bereits ausgeführten Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch in diesem Fall wird der Inhalt des Gutachtens in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; danach kannte der Angeklagte nur dessen pauschales Ergebnis. Somit wird die Folgerung der Strafkammer, er habe sich über einzelne Tatbestandsmerkmale im Irrtum befunden, von den Feststellungen nicht getragen.
54
d) Entsprechendes gilt für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Dessen Voraussetzungen sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Auch insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Darüber hinaus wäre hier in die rechtliche Bewertung die Kenntnis des Angeklagten davon einzubeziehen gewesen, dass in zumindest einem früheren Fall (Fall II. 2. der Urteilsgründe ) trotz eines Gutachtens von Rechtsanwältin P. , welches zu dem Ergebnis gekommen war, die auf der CD befindlichen und von ihr geprüften Texte seien erlaubt, die CD im Nachhinein bezüglich dreier Lieder durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde, was zu einer Neuauflage führte, in der die beanstandeten Lieder durch andere ersetzt wurden. Der Angeklagte hatte somit begründeten Anlass, an der Verlässlichkeit der Auskunft zu zweifeln und durfte auch aus diesem Grunde nicht ohne Weiteres auf das pauschale Ergebnis der entsprechenden Begutachtung vertrauen.
55
5. Soweit die Strafkammer im Fall II. 8. der Urteilsgründe den Angeklagten vom Vorwurf des Verbreitens von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) freigesprochen hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Prüfung schließlich ebenfalls nicht stand.
56
a) Das Landgericht hat zunächst den objektiven Tatbestand der Vorschrift mit rechtsfehlerfreien Erwägungen bejaht. Dabei hat es zutreffend ausgeführt , den Texten der Lieder "Doitschland" und "Unter dem Krakenkreuz" sei bei einer Auslegung aus verständiger Sicht zu entnehmen, dass der Ausdruck "Krakenkreuz" als Synonym für "Hakenkreuz" gebraucht und damit eindeutig an nationalsozialistische Zielsetzungen angeknüpft werde.
57
b) Das Landgericht hat jedoch die - bereits als solche nicht nahe liegende - Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, er habe die CD als "reine Spaß-CD" bewertet, mit der ein besonderer Typ Skinheads satirisch habe dargestellt werden sollen, für nicht widerlegt angesehen und deshalb den Vorsatz des Angeklagten verneint. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite geht von einem unzutreffenden Verständnis der Liedtexte aus und erweist sich als lücken- und damit sachlichrechtlich fehlerhaft.
58
aa) Die Interpretation des Textes der einzelnen Lieder durch das Landgericht begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit es verschiedene Passagen als geeignet angesehen hat, Zweifel aufkommen zu lassen, ob mit den Liedtexten politische Ziele verfolgt werden sollten. Hierfür hat es etwa die Textstelle "Doitschland ich lieb dich so/ das ist keine Banane und keine Schokolade/ ich vermisse meine Heimat und das finde ich sehr schade" benannt. Insoweit hätte sich die Strafkammer jedenfalls mit der nahe liegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass die Begriffe "Banane" und "Schokolade" in der rechtsextremen Szene als Synonyme für Menschen mit dunkler Hautfarbe und südländischer Herkunft gebraucht werden. In diesem Zusammenhang wäre zu würdigen gewesen, dass der Angeklagte mit der politisch rechtsgerichteten Terminologie in besonderer Weise vertraut war, was nahe legt, dass ihm der Gehalt der dargestellten Textpassage in Form einer rassistischen Ausrichtung der Texte ohne Weiteres klar war.
59
bb) Das Landgericht hat sich daneben nicht erkennbar damit auseinandergesetzt , dass - für den Angeklagten nach den Umständen ebenfalls augen- fällig - durch das Propagieren des "Marschierens unter dem Krakenkreuz" zur Machtübernahme als Entsprechung zum Marschieren der vormaligen NSDAP unter dem Hakenkreuz mit dem Ziel der Machtergreifung in besonderer Weise an die nationalsozialistische Terminologie und Ideologie angeknüpft wird. Den Urteilsgründen ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Angeklagte den objektiven Bedeutungsgehalt dieser eindeutigen Passage nicht erkannte und damit nicht einverstanden war. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Verbraucherbegriff bei progressiver Kundenwerbung.
BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09
LG Leipzig –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
wegen progressiver Kundenwerbung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Februar 2011

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 26. März 2009 werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass die Vollstreckung der gegen die Angeklagten H. , L. , Ka. , Her. und Ke. verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Hinsichtlich der letztgenannten fünf Angeklagten werden die Gebühren und Auslagen des Revisionsverfahrens jeweils um ein Fünftel ermäßigt; die Staatskasse trägt auch ein Fünftel ihrer notwendigen Auslagen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten der progressiven Kundenwerbung (§ 16 Abs. 2 UWG) schuldig gesprochen und gegen sie – mit Ausnahme des Angeklagten K. , der zu einer Geldstrafe verurteilt wurde – auf Freiheitsstrafen erkannt, wobei jeweils ein Monat (bzw. 30 Tagessätze) wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt wurde. Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen wurde nur bei einem Teil der Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben nur insoweit Erfolg, als sie sich gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung wenden.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Die Angeklagten, welche in unterschiedlicher Stellung und in unterschiedlichen Zeiträumen bei den Unternehmen P. -P. V. (nachfolgend PPV) und BIFOS tätig waren, vertrieben über die PPV in der Zeit von Juni 2002 bis April 2006 Seminare der mit ihr eng verwobenen Firmen AFOS und BIFOS. Dabei handelte es sich um Fortbildungsseminare zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung und Motivation, Zeitmanagement, Rhetorik und Verkauf, welche sich über einen Zeitraum von vier Tagen erstreckten. Die Teilnahme kostete – entsprechend vergleichbaren Seminaren – 3.200 €. Neben den Seminaren wurde auch eine Vertriebsmitarbeit bei der PPV beworben ; „als Vertriebsmitarbeiter sollten die Interessenten u.a. für den Verkauf der Seminare werben“ (UA S. 31).
4
Sämtliche Werbemaßnahmen der PPV folgten dabei einem einheitlichen Absatzkonzept, das sich wie folgt gestaltete: Die Maßnahmen richteten sich in erster Linie an Personen, die nach Arbeit oder einer Verdienstmöglichkeit an den Wochenenden suchten. Zu diesem Zweck schalteten Mitarbeiter der PPV in verschiedenen Zeitungen „bewusst kurz gehaltene Annoncen“ (UA S. 22), die für Fahrdiensttätigkeiten am Wochenende einen Verdienst von 400 bis 500 € in Aussicht stellten. „Die Annoncen enthielten regelmäßig keine Hinweise darauf, dass damit eine Vertriebstätigkeit verbunden sein sollte. Ein Name der Firma, die die Verdienstmöglichkeiten offerierte , war nicht angegeben. Der Inhalt der Annoncen differierte leicht, teils war von Nebenbeschäftigung, von Personentransporten, von Fahrdiensten im Nebenberuf, von Nebentätigkeit mit Pkw, von Chauffeurdiensten und Fahrten ‚geladener Gäste’ die Rede“ (UA S. 22). Interessenten erhielten auch in telefonischen oder persönlichen Kontaktgesprächen keine näheren Informationen zu der angebotenen Tätigkeit; sie wurden zu einer Präsentationsveran- staltung eingeladen, zu welcher sie regelmäßig von Mitarbeitern der PPV gefahren wurden, „um eine Abreise vor Abschluss der Veranstaltung zu verhindern“ (UA S. 23). Der Veranstaltungsort und das veranstaltende Unternehmen waren den Interessenten nicht bekannt. Auf der Fahrt zu den Präsentationsveranstaltungen erhielten die Interessenten ebenfalls keine weitergehenden Informationen zu der angebotenen Tätigkeit. Die Sitzordnung im Präsentationssaal wurde dergestalt vorgegeben, dass auf beiden Seiten des Neuinteressenten jeweils ein Mitarbeiter der PPV Platz nahm. Dadurch waren Kontakte zwischen Neuinteressenten erschwert. Im Vorfeld der Präsentation hatten die Interessenten eine Unkostenpauschale von 35 € zu entrichten.
5
Die Präsentation begann mit einem Vortrag des Präsentationsleiters, der darin – nach zunächst allgemeinen Ausführungen – für die Fortbildungsseminare warb sowie zeitweise auch für die Vermittlung von Immobilienanlagen , von Telefonanbietern, von Stromverträgen, von Saunen, „Steuerchecks“ und „Vitasol-Kabinen“. Im Gegensatz zu den Fortbildungsseminaren konnten die Teilnehmer die weiteren Produkte im Anschluss an die Präsentation jedoch nicht erwerben; „sie spielten im Vertriebssystem der PPV eine sehr untergeordnete Rolle“ (UA S. 31).
6
Im Schwerpunkt wurde auch für eine Mitarbeit bei der PPV zum Vertrieb der Fortbildungsseminare geworben, wobei den Zuhörern Provisionen in folgender Höhe in Aussicht gestellt wurden: Für jedes erfolgreich vermittelte Seminar sollten sie als „Vertriebsrepräsentantenanwärter“ eine Provision von 550 € brutto erhalten. Bereits nach der Vermittlung von zwei Seminaren sollte der Anwärter zum „Vertriebsrepräsentanten“ ernannt werden, dessen Aufgabe es war, seinerseits die Anwärter anzuleiten; die Provision für jedes erfolgreich vermittelte Seminar sollte sich auf 700 € brutto erhöhen.
7
Im Anschluss an den Präsentationsvortrag fanden Einzelgespräche mit den Teilnehmern statt, in denen die Verdienstmöglichkeiten nochmals erläutert wurden. „Regelmäßig wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eine Mitarbeit bei der PPV nur bei Buchung und Bezahlung des Seminars möglich sei“ (UA S. 33). Der Interessent schloss den Seminarvertrag ab. Außerdem füllte er in der Regel einen Bewerbungsbogen als Vertriebspartner aus, welcher u.a. folgenden Text enthielt: „Ich bestätige mit meiner Unterschrift , dass die Abnahme der/des von der PPV vermittelten Produkte(s) mir nicht als Voraussetzung oder Bedingung einer etwaigen Mitarbeit beim PPV dargestellt wurde, sondern dass mir vielmehr zur Kenntnis gebracht wurde, dass eine Mitarbeit – und damit auch die mir vorgestellten Verdienstmöglichkeiten durch Produktvermittlung – auch ohne eigene Produktabnahme möglich ist. Entschließe ich mich zur Abnahme der/des Produkte(s), geschieht dies, weil mich diese(s) überzeugt haben“ (UA S. 32).
8
Tatsächlich wurde jedoch die Buchung und Bezahlung eines Seminars regelmäßig als Voraussetzung für eine Vertriebsmitarbeit bei der PPV verlangt ; dabei kam es, „den Umworbenen bei Abschluss des Seminarvertrages regelmäßig auf die Berechtigung zur Teilnahme am Vertriebssystem mit den entsprechenden Provisionsaussichten und nicht auf die Seminarteilnahme an“ (UA S. 34).
9
Ein Vertriebsmitarbeitervertrag wurde zumeist erst im Rahmen der folgenden Präsentationsveranstaltung etwa eine Woche später unterzeichnet und ausgehändigt. Voraussetzung dafür war, dass der Kunde die Seminargebühr bezahlt hatte oder zumindest eine Ratenzahlungsvereinbarung bzw. eine Vereinbarung über die Verrechnung mit Provisionsansprüchen getroffen worden war.
10
Die neu geworbenen Vertriebsmitarbeiter fuhren sodann Neuinteressenten zu einer der nachfolgenden Präsentationsveranstaltungen, auf welcher diese „auf die gleiche Art und unter dem Versprechen der gleichen Provisionen“ (UA S. 34) zu der Zahlung einer Seminargebühr und „damit dem Systembeitritt“ (UA S. 35) bewogen werden sollten.
11
Insgesamt wurden im Tatzeitraum dergestalt mindestens 4.605 Personen umworben; es wurden 3.959 Seminare erfolgreich vermittelt.
12
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten als eine einheitliche Straftat der progressiven Kundenwerbung gemäß § 16 Abs. 2 UWG gewertet. Die Angeklagten hätten sich an Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift gewandt. Maßgeblich hierfür sei weder der Zeitpunkt der Unterzeichnung des Mitarbeitervertrages, noch derjenige der Buchung des Seminars, sondern die Kontaktanbahnung bis hin zur Anfahrt zu den Präsentationsveranstaltungen. Während dieses Zeitraums seien die Interessenten noch in der Informations- und Entscheidungsphase gewesen. Solange sie aber noch keine Entscheidung in Richtung einer unternehmerischen Tätigkeit getroffen hätten, bestehe bei ihnen die Verbrauchereigenschaft fort. Hierüber hätten sich die Angeklagten auch in keinem Irrtum (§ 17 StGB) befunden. Dies zeige sich schon daran, dass sie in den Mitarbeiterverträgen den Passus aufgenommen hätten, dass die Mitarbeit nicht vom Erwerb eines Seminars abhängig gemacht worden sei.
13
Das Kettenelement liege darin, dass der einzelne Abnehmer weitere Abnehmer habe werben sollen, denen gegenüber wiederum dieselben Vorteilsversprechen erfolgen sollten. Insgesamt handele es sich um ein einheitliches Absatzkonzept. Dies begründe eine Tat im Rechtssinne, die von den Angeklagten gemeinschaftlich begangen worden sei.

II.


14
Die Revisionen sind mit der Sachrüge nur insoweit teilweise erfolgreich , als das Landgericht fünf Angeklagten eine Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung versagt hat. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Ausführungen bedarf ergänzend zum Antrag des Generalbundesanwalts nur Folgendes:
15
1. Hinsichtlich der Angeklagten H. und Ke. ist kein Strafklageverbrauch eingetreten. Gegen diese Angeklagten wurde zwar von der Staatsanwaltschaft Rostock wegen eines Vergehens nach § 16 Abs. 2 UWG ermittelt und das Verfahren nach Erfüllung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt. Das Landgericht führt jedoch zutreffend aus, dass die diesen Angeklagten vorgeworfene Tat (Anwerbung des Zeugen N. im November 2006) außerhalb des abgeurteilten Tatzeitraums lag, der bis Ende April 2006 andauerte. Als Endpunkt hat die Strafkammer den von den Angeklagten zu diesem Zeitpunkt gefassten Entschluss gewertet, die PPV zu beenden und das System innerhalb einer neuen Gesellschaft, der MMG, weiterzuführen. In der Verlagerung der Geschäftstätigkeit auf eine andere Firma hat das Landgericht zutreffend einen neuen Tatentschluss gesehen , der zugleich das ursprüngliche Organisationsdelikt – bezogen auf die PPV – beendete. Dass die Vertriebstätigkeit durch die PPV im Juli 2006 wiederaufgenommen wurde, stellt abermals einen neuen Tatentschluss dar und lässt nicht etwa die ursprüngliche Tat wieder aufleben.
16
Diese Ausführungen des Landgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Ein Strafklageverbrauch durch die Verfahrenseinstellung eines Teilaktes (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. August 2003 – 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 343) kommt schon allein deshalb nicht in Betracht, weil diese Einzelhandlung nicht dieselbe prozessuale Tat betrifft und außerhalb des Aburteilungszeitraums steht.
17
Die Angriffe der Revision gegen die Feststellungen des Landgerichts hierzu bleiben ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen, insoweit die Ablehnung von Beweisanträgen betreffend, die sich auf eine durchgängige Tätigkeit der PPV beziehen, sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet. Es bestand angesichts des in den Urteilsgründen dargestellten Ermittlungsergebnisses für die Strafkammer auch kein Anlass zu weiterer (freibeweislicher) Nachforschung, ob die PPV durchgängig im Jahr 2006 ein System progressiver Kundenwerbung betrieb (zur Frage, inwieweit eine freibeweisliche Feststellung von tatsächlichen Voraussetzungen eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommt, vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 – StB 4 und 5/01, BGHSt 46, 349, 353; BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 – 1 StR 266/10, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, NJW 2011, 547). Soweit die Verteidigung hierzu auf die angebotenen Zeuginnen O. und Kr. verweist, ist nicht ersichtlich, in welcher Funktion und wo im Einzelnen die Zeuginnen für die PPV tätig gewesen sein sollen. Ebenso wenig lässt sich erkennen, ob sie im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Seminaren gearbeitet haben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die weiterhin als Zeugin benannte D. K. , die hauptsächlich mit Büroarbeiten betraut war.
18
Im Übrigen würde selbst ein Fortbestand der PPV den Ansatz des Landgerichts nicht in Frage stellen. Maßgeblich hierfür ist nämlich, dass in der Verlagerung der Geschäftstätigkeit (und deren Modifizierung) ein neuer Tatentschluss zu sehen ist, der zugleich eine neue und selbständige Tat im Sinne des § 264 StPO begründet. Dem steht nicht entgegen, dass die PPV in ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur weiter bestanden hat, zumal sie ja später auch tatsächlich reaktiviert wurde. Jedenfalls sollte sie nicht mehr Träger des Systems progressiver Kundenwerbung sein. Insofern widerspräche ein Fortbestand der PPV nicht der Auffassung des Landgerichts, dass mit der Übertragung der Seminarwerbung auf die MMG ein neuer Tatentschluss verbunden, die ursprüngliche Tat (über die PPV) mithin abgeschlossen war. Damit kann der Einzelvorgang einer progressiven Kundenwerbung, der zur Einstellung nach § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft Rostock geführt hat, nicht mehr Teil des Organisationsdelikts sein, weshalb ein Strafklageverbrauch ausscheidet.
19
2. Soweit die Beschwerdeführer die Ablehnung von Beweisanträgen auf die Vernehmung Hunderter von Zeugen in Anlehnung an eine – freilich schwer nachvollziehbare – Beweismittelauflistung in der Anklage beanstanden , scheitern die Rügen auch an den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Konnexität bei fortgeschrittener Beweisaufnahme (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284).
20
3. Die Schuldsprüche wegen progressiver Werbung halten rechtlicher Überprüfung stand.
21
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Verbrauchereigenschaft der Interessenten bejaht.
22
aa) Der Straftatbestand des § 16 Abs. 2 UWG wurde im Rahmen der Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb im Jahr 2004 (BGBl. I, S. 1414) in Bezug auf den geschützten Personenkreis modifiziert. Während die Vorgängervorschrift des § 6c UWG a.F. noch sämtliche Nichtkaufleute erfasste, beschränkte die Neufassung der Strafvorschrift den Schutzbereich auf Verbraucher, weil nur insofern ein erhebliches Gefährdungspotential bestehe (BT-Drucks. 15/1487, S. 26).
23
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb enthält dabei keine eigene Definition des Verbraucherbegriffs, sondern erklärt in § 2 Abs. 2 UWG die Vorschrift des § 13 BGB für entsprechend anwendbar. Danach ist Verbraucher eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Im Gegensatz dazu steht unternehmerisches Handeln, das durch die Definition des Unternehmerbegriffs (§ 14 Abs. 1 BGB) gesetzlich bestimmt ist als Abschluss von Rechtsgeschäften für eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit.
24
Für die Abgrenzung ist nicht der innere Wille des Handelnden entscheidend , sondern es gilt ein objektivierter Maßstab. Ob eine Tätigkeit als selbständige zu qualifizieren ist, bestimmt sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Rechtsgeschäfts, in die erforderlichenfalls die Begleitumstände einzubeziehen sind (BGH, Urteil vom 15. November 2007 – III ZR 295/06, NJW 2008, 435; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 3 f.). Ausgeschlossen vom Verbraucherbegriff ist nur jedwedes selbständiges berufliches oder gewerbliches Handeln. Auch ein Arbeitnehmer wird bei Rechtsgeschäften in Beziehung auf sein Arbeitsverhältnis als Verbraucher angesehen (BVerfG – Kammer –, NJW 2007, 286, 287; MünchKommBGB /Micklitz, 5. Aufl., § 13 Rn. 46). Unternehmer- und nicht Verbraucherhandeln liegt allerdings vor, wenn das maßgebliche Geschäft im Zuge der Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit (sogenannte Existenzgründung) geschlossen wird (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2005 – III ZB 36/04, BGHZ 162, 253, 256 mwN; Palandt /Ellenberger aaO; Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 16; aA Micklitz, aaO, Rn. 54). Dies gilt indes nicht, solange die getroffene Maßnahme noch nicht Bestandteil der Existenzgründung selbst ist, sondern sich im Vorfeld einer solchen bewegt und die Entscheidung, ob es überhaupt zu einer Existenzgründung kommen soll, erst vorbereitet (BGH, Urteil vom 15. November 2007 – III ZR 295/06, NJW 2008, 435). Bewegt sich das rechtsgeschäftliche Handeln im Vorfeld einer Existenzgründung, über die noch nicht definitiv entschieden ist, ist es noch nicht dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen. Solche Aktivitäten in der Sondierungsphase betreffen daher Verbraucherhandeln (vgl. BGH aaO).
25
Maßgebender Zeitpunkt der Beurteilung der Verbrauchereigenschaft ist dabei im Rahmen des § 16 Abs. 2 UWG nicht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses; abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt, in welchem der Geworbene erstmals durch das Absatzkonzept des Veranstalters in der Weise angesprochen wird, dass die Werbung unmittelbar in die Abnahme des Produkts einmünden soll.
26
Das Lauterkeitsrecht entfaltet seine verbraucherschützende Funktion bereits im Vorfeld von Vertragsanbahnungen und auch in solchen Fällen, in denen – wie bei der bloßen Sympathiewerbung (Imagewerbung) eines Unternehmens – eine Vertragsanbahnung nicht in Rede steht (Sosnitza in Pi- per/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 2 Rn. 85; Lettl, GRUR 2004, 449, 451). In diesem Zusammenhang ist auch die durch § 2 Abs. 2 UWG lediglich entsprechend – d.h. sinngemäß – angeordnete Geltung des Verbraucherschutzbegriffes zu sehen. Da nach § 16 Abs. 2 UWG das Verhalten im Vorgriff auf den Abschluss eines Rechtsgeschäftes pönalisiert wird, bestimmt sich danach auch der Verbraucherbegriff. Maßgeblich ist deshalb, ob die Adressaten in dem Zeitpunkt, in welchem sie durch die Werbemaßnahmen angesprochen werden, Verbraucher sind (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 16 Rn. 36).
27
bb) Für diese Auslegung des § 16 Abs. 2 UWG sprechen zudem der Schutzzweck der Norm und deren Deliktscharakter. § 16 Abs. 2 UWG ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt (Diemer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze , Stand: Oktober 2009, § 16 UWG Rn. 124; Dreyer in HarteBavendamm /Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl., § 16 Rn. 32; Bornkamm aaO, § 16 Rn. 4; Sosnitza, aaO, § 16 Rn. 36). Bezweckt ist der generelle Schutz geschäftlich unerfahrener Personen vor der Verstrickung in Vertriebsmethoden , die schon ihrer Anlage nach für sie ein gefährliches, schadensträchtiges Risiko zum Inhalt haben (Diemer aaO, Rn. 123). Der Abnehmer soll vor Täuschung , glücksspielartiger Willensbeeinflussung und Vermögensgefährdung geschützt werden (BT-Drucks. 10/5058, S. 38 f., ähnlich BT-Drucks. 9/1707, S. 14). Zur Erfüllung des Tatbestandes ist es nicht erforderlich, dass Abnehmer auf das System „hereinfallen“ (Dreyer aaO; Sosnitza aaO) und einen Vertrag abschließen. Vielmehr genügt das Herbeiführen einer gefahrenvollen Situation, mithin die Verfolgung des als Schneeballsystem stukturierten Absatzsystems durch Werbemaßnahmen.
28
cc) Aufgrund der Ausgestaltung des Straftatbestandes als Unternehmensdelikt ist die Tat bereits vollendet, wenn der Täter versucht, das Werbeund Vertriebssystem in Gang zu setzen (Janssen/Maluga in MünchKommStGB , Nebenstrafrecht II, UWG, 2010, § 16 Rn. 96). Nach allgemeinen Regeln muss er dazu zur Tat unmittelbar angesetzt haben. Das Verhalten des Täters muss darauf gerichtet sein, den geschützten Personenkreis zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten zu veranlassen (vgl. Bornkamm aaO, Rn. 36; Janssen/Maluga aaO, Rn. 97; Diemer aaO, Rn. 143; Sosnitza aaO). Zur Tatbestandsvollendung gehört daher jede Handlung im Rahmen des nach § 16 Abs. 2 UWG tatbestandlichen Werbesystems , die geeignet ist, das Ziel zu erreichen (Diemer aaO, Rn. 129). Entscheidend ist daher, ob in diesem Zeitpunkt – nicht bei Vertragsabschluss – sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Deshalb kann es hier dahinstehen , ob die Interessenten beim Abschluss der Seminarverträge etwa nicht mehr Verbraucher waren.
29
dd) Europäisches Gemeinschaftsrecht steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar ist der so zu bestimmende Verbraucherbegriff im Verhältnis zu dem der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, ABl. L 149, 22) zugrunde liegenden Verbraucherbegriff möglicherweise umfassender. Da der europäische Verbraucherbegriff jedoch einerseits den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken begrenzt, andererseits aber die im Übrigen einschlägige Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (RL 84/450/EWG, ABl. L 250, 17) nur einen Mindest-, aber keinen Höchstschutz vorgibt, ist ein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht nicht begründet ; denn eine Verstärkung des Verbraucherschutzes über den Standard der Richtlinien hinaus ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (BTDrucks. 16/10145, S. 11 f.; Sosnitza aaO, § 2 Rn. 89; Dreyer aaO, § 16 Rn. 36; Palandt/Ellenberger aaO, Rn. 3).
30
ee) Das Landgericht hat für die Prüfung, ob die von den Werbemaßnahmen angesprochenen Interessenten als Verbraucher anzusehen sind, auf den Zeitpunkt abgestellt, als diese das erste Kontaktgespräch aufnahmen, spätestens aber als sie zu den Präsentationsveranstaltungen gefahren wurden. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Schon in dieser Phase waren sie von Seiten der Angeklagten Werbemaßnahmen ausgesetzt. Bis dahin war keinesfalls etwa eine Entscheidung im Sinne einer „Existenzgründung“ für eine selbständige Tätigkeit gefallen. Die Interessenten befanden sich – wie auch die mitgeteilten Zeugenaussagen belegen – in einer Phase der Vorinformation und Willensbildung und waren damit keine Unternehmer im Sinne des § 14 Abs. 1 BGB, sondern Verbraucher im Sinne des § 13 BGB. Abgesehen davon, dass der Inhalt der Annoncen nicht ohne weiteres auf eine selbständige Tätigkeit schließen ließ, sondern bewusst offen gehalten war und sowohl im Sinne einer arbeitnehmerähnlichen als auch einer kleinunternehmerischen Tätigkeit verstanden werden konnte, war jedenfalls bis dahin noch kein Entschluss für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit getroffen. Dies gilt sogar für die Präsentationsveranstaltung selbst, weil auch diese der Information der Teilnehmer gedient hat, die noch nicht entschlossen waren.
31
Diese Phasen der Anwerbung waren bei dem Unternehmensdelikt des § 16 Abs. 2 UWG bereits tatbestandsmäßig. Die Anwerbung, beginnend mit dem Schalten der Zeitungsannoncen, war nach dem Tatplan der Angeklagten bereits darauf angelegt, den Verkauf der Seminare herbeizuführen. Spätestens ab Beginn der Präsentationsveranstaltung war das Unternehmensdelikt des § 16 Abs. 2 UWG vollendet, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem die Interessenten noch Verbraucher waren. Ihre mögliche spätere Entscheidung, als Vertriebsrepräsentant tätig zu werden, spielt dabei – ungeachtet der Frage , ob sie als „Existenzgründung“ zu qualifizieren wäre – keine Rolle. Nur bei einer solchen – mit dem Wortsinn und der Systematik des Gesetzes übereinstimmenden – Auslegung kann ein effektiver Schutz vor unlauterer Werbung durch die Eröffnung zweckwidriger Umgehungsmaßnahmen gewährleistet werden.
32
b) Das Landgericht hat das Kettenelement im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG rechtsfehlerfrei bejaht. Es hat festgestellt, dass faktische Voraussetzung für die Beauftragung als Vertriebsmitarbeiter der Erwerb einer Seminarveranstaltung war. Damit hat es der gegenteiligen Klausel in den Mitarbeiter- verträgen keine Geltung beigemessen, diese vielmehr nur als Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse gewertet (UA S. 159 ff.). Die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
33
Da die Buchung der Teilnahme an den Motivations- und Ausbildungsseminaren als Bedingung dafür behandelt wurde, dass die Vertriebsmitarbeiter selbst diese Seminare gegen Provisionen vertreiben durften, liegt das Kettenelement vor. Dieser Bedingungszusammenhang erfüllt den Tatbestand des § 16 Abs. 2 UWG, weil der geworbene Mitarbeiter nur dadurch besondere Vorteile erlangen kann, indem er andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlasst. Hierdurch wird nämlich ein Schneeballsystem dergestalt begründet, dass der Vertriebsmitarbeiter ein Produkt erwerben muss und sich nur durch die Einwerbung neuer Kunden refinanzieren kann. Für den Fall einer weiteren Anwerbung erhöhte sich die Provision ebenso, wie eine Beteiligung für den mittlerweile in der Hierarchie aufgestiegenen Vertriebsmitarbeiter für den Fall vorgesehen war, dass untergeordnete Vertriebsmitarbeiter Käufer anwerben (vgl. UA S. 145 ff.). Damit weist das System Merkmale auf, die nach ihrer Beeinflussungswirkung geeignet sind, die typische Dynamik eines Systems der progressiven Kundenwerbung in Gang zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1997 – 5 StR 223/97, NJW 1998, 390, zu § 6c UWG a.F.).
34
4. Die Angeklagten unterlagen – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat – keinem Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB. Ausreichende Unrechtseinsicht liegt bereits dann vor, wenn der Täter bei der Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (st. Rspr.: BGH, Urteile vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8; vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307, 313; vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 23. Dezember 1952 – 2 StR 612/52, BGHSt 4, 1, 4; vom 1. Juni 1977 – KRB 3/76, BGHSt 27, 196, 202); es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (BGH, Beschluss vom 4. November 1957 – GSSt 1/57, BGHSt 11, 263, 266).
35
Der vom Tatgericht gezogene Schluss, die der festgestellten Praxis diametral entgegenstehenden Formulierungen in den Mitarbeiterverträgen belegten, dass die Angeklagten mit der Möglichkeit einer Strafbarkeit rechneten , ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass im Tatzeitraum zivilrechtliche Urteile von Amts- und Landgerichten einen Verstoß gegen § 16 Abs. 2 UWG mangels Verbrauchereigenschaft der Interessenten verneinten. Die Aussagekraft dieser Entscheidungen war schon dadurch vermindert, dass für das den Einzelfall beurteilende Zivilgericht das sich nur aus einer Gesamtbetrachtung erschließende System der progressiven Kundenwerbung praktisch nicht zu erkennen war. Zudem waren die Angeklagten – wie das Landgericht in den Urteilsgründen im Einzelnen ausgeführt hat – durch zahlreiche strafrichterliche Entscheidungen vorgewarnt, die eine Strafbarkeit inzident bejahten. Das von den Angeklagten verfolgte System der progressiven Kundenwerbung war jedenfalls darauf ausgerichtet, eine von ihnen so verstandene rechtliche Grauzone auszunutzen. Dies setzt dann aber regelmäßig eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt, wenn höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorliegen, jedenfalls die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (BVerfG – Kammer –, NJW 2006, 2684, 2686; BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258). Dass die Angeklagten selbst von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Strafbarkeit ihres Verhaltens ausgingen , zeigen gerade auch ihre Bemühungen, sowohl in vorformulierten Bewerbungsbögen als auch in Vertriebsmitarbeiterverträgen die tatsächliche Kopplung von Seminarerwerb und Mitarbeit bei der Firma PPV zu verschleiern (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. August 2002 – 3 StR 11/02, NJW 2002, 3415, 3417).
36
5. Keinen Bestand hat das landgerichtliche nur insoweit, als bei den Angeklagten H. , L. , Ka. , Her. und Keu. die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafkammer begründet dies damit, dass die Angeklagten bis zum Plädoyer der Staatsanwältin eine entsprechende Tätigkeit fortgesetzt hätten. Dieser Gesichtspunkt trägt unter der hier gegebenen besonderen Voraussetzung, dass die Praxis der Zivilgerichte und der Strafverfolgungsbehörden zu den hier zu entscheidenden Fragen durchaus ambivalent gewesen ist, die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht. Zudem haben auch diese Angeklagten jedenfalls nach dem ersten Plädoyer der Staatsanwältin ihre Tätigkeit eingestellt. Dies weist darauf hin, dass sie sich allein die strafgerichtliche Verurteilung zur Warnung dienen lassen werden.
37
Der Senat setzt bei diesen – sämtlich unbestraften und sozial eingeordneten – Angeklagten die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Es sind keine Umstände ersichtlich, die bei ihnen eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, die vom Landgericht bei einem Mitangeklagten ohne weiteres auch für eine Freiheitsstrafe über einem Jahr nach § 56 Abs. 2 StGB gewährt worden ist.
38
Die hierzu erforderlichen Nebenentscheidungen werden dem Landgericht übertragen.
Basdorf Raum Brause Schaal König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 277/09
vom
8. Dezember 2009
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________
ArzneimittelG § 2 Abs. 1 Nr. 5 a.F., § 2 Abs. 1 Nr. 2a n.F., § 5, § 95 Abs. 1 Nr. 1,
Das unerlaubte Inverkehrbringen von Gamma-Butyrolacton (GBL) zu Konsumzwecken
ist nach dem Arzneimittelgesetz strafbar.
BGH, Urt. vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09 - LG Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen vorsätzlichen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Dezember 2009, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und der Richter am Bundesgerichtshof
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin und
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. L. ,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22. Dezember 2008 werden mit der Maßgabe verworfen, dass hinsichtlich des Angeklagten B. L. die Aufrechterhaltung der Sperrfrist aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck vom 26. Februar 2007 (Az.: ) entfällt. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die beiden Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen vorsätzlichen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in acht Fällen schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten M. L. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten B. L. unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck vom 26. Februar 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Den in dem vorbezeichneten Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck angeordneten Entzug der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins sowie die angeordnete Sperrfrist von acht Monaten hat das Landgericht aufrechterhalten. Außerdem hat es gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner den Verfall von Wertersatz in Höhe von 463.410,-- € angeordnet. Gegen diese Verurteilung richten sich die Revisionen der beiden Angeklagten, mit denen sie jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Ihre Rechtsmittel bleiben jedoch ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Die beiden Angeklagten betrieben einen Handel mit der chemischen Substanz Gamma-Butyrolacton (GBL). GBL wird industriell in großen Mengen hergestellt, in Deutschland insbesondere von der Firma BASF mit einer Jahresproduktion von ungefähr 50.000 Tonnen. Es wird hauptsächlich in der Industrie als Ausgangsstoff für chemische Synthesen oder als Wirkstoff in Reinigungsund Lösungsmitteln eingesetzt, z.B. in Graffitientfernern in einer Konzentration von fünf bis zehn Prozent. Es kann aber auch in nahezu reiner Form (etwa mit einem Reinheitsgrad von 99,9 %) als Droge verwendet werden. Bei GBL handelt es sich um einen Ester der Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB), auch bekannt als „liquid ecstasy“, die - anders als GBL - dem Betäubungsmittelgesetz unterfällt. GBL ist einer der Grundstoffe bei der Herstellung von GHB. Bei einer oralen Einnahme wandelt es sich im menschlichen Körper in weniger als einer Minute in GHB um und hat deshalb dieselbe berauschende Wirkung wie GHB. Dementsprechend wirkt GBL in einer Dosis bis zu zweieinhalb Milliliter euphorisierend , angstlösend und sexuell stimulierend. Aber schon eine geringe Überdosierung oder die Einnahme in Verbindung mit Alkohol kann zu schwerwie- genden, möglicherweise auch lebensbedrohlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Krämpfen, Brechreiz, Verwirrung, komatösen Zuständen, Atemstillstand oder zu Herz- oder Kreislaufversagen führen. Der dauerhafte Konsum von GBL macht zudem süchtig. Schwerstabhängige müssen die Substanz stündlich einnehmen, um nicht an starken Entzugserscheinungen zu leiden. Um der Gefahr zu begegnen, dass GBL als Droge missbraucht oder zur Herstellung von GHB verwendet wird, hat sich die chemische Industrie einer freiwilligen Selbstkontrolle unterworfen (sog. Monitoring). Der Verkauf des Mittels ist gewissen Beschränkungen unterworfen. Danach verlangen die Hersteller von jedem Abnehmer eine Endverbleibserklärung sowie die Verpflichtung, seinerseits von seinen Kunden eine dementsprechende Erklärung zu fordern. Verdachtsfälle werden an die gemeinsame Grundstoffüberwachungsstelle beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden gemeldet. Privatverbraucher können deshalb konsumtypische Kleinmengen GBL im Chemikalienhandel nicht ohne weiteres beziehen.
4
Die Angeklagten machten im Jahr 2004 erstmals eigene Erfahrungen mit dem Konsum von GBL. Zuvor hatten sie sich im Internet mit der Wirkungsweise der Substanz vertraut gemacht. Ihnen war bekannt, dass die Einnahme von GBL nicht nur die gewünschte Berauschung, sondern auch die bereits beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Folge haben konnte. Seit Sommer 2004 erwarben sie GBL in einer Chemikaliengroßhandlung und verkauften die Substanz in Gewinnerzielungsabsicht an Dritte weiter, die das GBL wegen dessen berauschender Wirkung konsumieren wollten. Eine Verdachtsmeldung an die gemeinsame Grundstoffüberwachungsstelle führte am 24. Februar 2005 zu einer Durchsuchung der Wohnungen der beiden Angeklagten. Dabei wurden Restmengen von GBL sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft erhob in einem anderen Verfahren unter dem Datum des 16. November 2005 Anklage gegen die beiden Angeklagten. Am 28. März 2007 wurden sie durch das Amtsgericht Hersbruck wegen des unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in drei Fällen (Tatzeitraum August bis Oktober 2004) jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das Urteil ist infolge der von den Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen nicht rechtskräftig.
5
Nach den Wohnungsdurchsuchungen im Februar 2005 setzten die Angeklagten ihren Handel mit GBL fort, obwohl ihnen von zwei Rechtsanwälten geraten worden war, „von einem solchen Verkauf die Finger zu lassen“ (UA S. 55). Über das Internet verkauften sie Mengen von 250, 500, 1.000, 5.000 und 10.000 Millilitern. Der von ihnen geforderte Durchschnittsverkaufspreis lag bei 100,-- € pro Liter. Sie selbst hatten beim Einkauf im Großhandel lediglich zwischen 12,50 € und 21,-- € pro Liter für das GBL gezahlt. Der Versand durch die Angeklagten erfolgte per Post. Das GBL war in Plastikflaschen abgefüllt, die mit Warnhinweisen versehen waren, die auf die Gesundheitsschädlichkeit von GBL hinwiesen. Gebrauchsanweisungen für die Verwendung als Lösungs- oder Reinigungsmittel waren demgegenüber nicht beigefügt. Auf ihren Internetseiten bezeichneten die beiden Angeklagten die von ihnen vertriebenen Produkte als „wheel-cleaner“ oder als „glue-remover“ aus „100 % reinem GBL“ bzw. „purecleaner (gbl)“ mit einer „Reinheit von mindestens 99,94 %“, mit dem „besonders gut Kleberückstände, metallische Oberflächen, Nagellacke, Graffitis usw.“ entfernt werden könnten. Außerdem warben sie mit „Verkauf an Privat/kein Monitoring“. Die von den Angeklagten verwendeten Bezeichnungen dienten nach den landgerichtlichen Feststellungen lediglich der Verschleierung des eigentlichen Verwendungszweckes. Das Angebot der Angeklagten richtete sich vornehmlich an einen Kundenkreis, der das - für Privatpersonen aufgrund des sog. Monito- rings schwer zu beschaffende - GBL erwerben wollte, um sich damit zu berauschen , ohne zugleich behördlich erfasst zu werden. Demzufolge nahmen die Angeklagten ihren Kunden keine Endverbleibserklärungen ab; sie forderten keinerlei Nachweise, auch nicht bezüglich des Alters ihrer Kunden, sondern gaben das von ihnen vertriebene GBL ohne jegliche Einschränkung an ihre Interessenten ab.
6
In der Zeit vom 4. März 2005 bis 13. Februar 2007 wurde den Angeklagten in acht Fällen GBL in Mengen zwischen 100 und 1.492 Litern geliefert. Die auf diese Weise beschaffte Gesamtmenge von insgesamt 5.699 Litern gaben die Angeklagten bis auf eine Restmenge von 550 Litern, die bei neuerlichen Durchsuchungen ihrer Wohnungen und eines ihrer Lagerräume sichergestellt werden konnte, an ihre Kunden ab, wobei sie das GBL in einer großen Anzahl von Fällen in kleinen Mengen zwischen 0,1 und 1,0 Liter weiterverkauften. Bei insgesamt mehr als 4.000 Verkaufsgeschäften erzielten die beiden Angeklagten einen Erlös von etwa 564.000,-- €. Durch die Einnahme des von den Angeklagten vertriebenen GBL kam es bei einigen Konsumenten, die zum Teil noch minderjährig waren, zu beträchtlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Bewusstseinsverlust , Schwindelgefühlen, Erbrechen oder schwerer Abhängigkeit. Das Landgericht ist zu Gunsten der Angeklagten davon ausgegangen, dass diese mit dem Eintritt solcher Folgen bei ihren Abnehmern nicht rechneten bzw. solche nicht billigten.
7
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in dem Tatzeitraum vom 4. März 2005 bis 13. Februar 2007 als ein unerlaubtes Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG in acht Fällen bewertet , wobei es bezüglich der einzelnen Taten nicht auf die Verkaufsgeschäfte zwischen den Angeklagten und ihren privaten Abnehmern, sondern auf die im Tatzeitraum erhaltenen Lieferungen abgestellt hat. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung allerdings verneint, dass es sich bei dem von den Angeklagten vertriebenen GBL nach objektiven Kriterien um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG (in der bis 22. Juli 2009 geltenden Fassung) handelt. Diese Einschätzung hat es darauf gestützt, dass die Substanz nicht nur nach den Vorstellungen des Herstellers, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung lediglich als Industriechemikalie anzusehen sei. Die Einordnung der Substanz als Arzneimittel ergebe sich jedoch aus der Zweckbestimmung durch die Angeklagten, die das Mittel in erster Linie zur Verwendung als Droge an ihre Kunden abgegeben hätten. Zwar sei die Arzneimitteleigenschaft grundsätzlich objektiv zu bestimmen, es liege vorliegend jedoch einer der Ausnahmefälle vor, bei denen es nur auf eine subjektive Zweckbestimmung ankomme. Da die von den Angeklagten vertriebene Substanz für mehrere Verwendungszwecke geeignet sei, nämlich als Industriechemikalie und zur Erzeugung eines Rauschzustands bei oraler Einnahme, sei für die Einordnung der Substanz als Arzneimittel maßgeblich auf die Zweckbestimmung dessen abzustellen , der ein Mittel in Verkehr bringe. Im vorliegenden Fall komme es daher allein auf die Zweckbestimmung durch die Angeklagten an, die bei der Abgabe des GBL an ihre Kunden dessen Einsatz als Rauschmittel im Auge gehabt hätten.

II.


8
Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind, wie der Generalbundesanwalt schon in seinen Antragsschriften vom 19. Juni 2009 zutreffend ausgeführt hat, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrügen hat - abgesehen von der Aufrechterhal- tung der Sperrfrist hinsichtlich des Angeklagten B. L. - ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere wird der Schuldspruch wegen vorsätzlichen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Ergebnis getragen.
9
Allerdings hat das Landgericht die Arzneimitteleigenschaft des von den Angeklagten vertriebenen Gamma-Butyrolactons (GBL) gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF für sich genommen nicht tragfähig begründet. Denn es hat insoweit einen unzutreffenden Maßstab angelegt, als es bei der arzneimittelrechtlichen Einordnung der Substanz allein auf die subjektive Zweckbestimmung durch die Angeklagten abgestellt hat und die Frage, ob es sich bei dem Mittel auch nach der Verkehrsauffassung um ein Arzneimittel handelt, verneint bzw. an anderer Stelle des Urteils offen gelassen hat.
10
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF sind Arzneimittel unter anderem Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Diese Zweckbestimmung richtet sich, was das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, grundsätzlich nach objektiven Kriterien, nämlich der Verkehrsanschauung. Nur im Ausnahmefall, etwa wenn sich die Zweckbestimmung bei neuartigen Substanzen (noch) nicht beurteilen lässt, kann es auf subjektive Kriterien wie den vom Hersteller oder Abgebenden bestimmten Zweck ankommen (vgl. BGHSt 43, 336, 339 f. m.w.N.; BGH NStZ 2008, 530). Ein weiterer Ausnahmefall, in dem eine subjektive Zweckbestimmung erforderlich werden kann, ist auch für solche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen bejaht worden, die, wie z.B. Nitroglycerin, sowohl als Arzneimittel als auch zu technischen Zwecken verwendet werden können http://www.juris.de/jportal/portal/t/m6o/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR024480976BJNE002115310&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 11 - (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht 3. Aufl. 113. Lfg. AMG § 2 Anm. 24; vgl. auch BGHSt 43, 336, 339, insoweit jedoch nicht tragend; Sander, Arzneimittelrecht 46. Lfg. AMG § 2 Erl. 1; Körner, BtMG 6. Aufl. Vorbem. AMG Rdn. 15 u. 49 zur Arzneimitteleigenschaft von Lachgas; jeweils allerdings ohne konkretisierende Begründung). Das Landgericht ist dieser Auffassung gefolgt. Es hat einen solchen Ausnahmefall bei mehreren Verwendungszwecken auch vorliegend angenommen , da die von den Angeklagten vertriebene Substanz nicht nur als Industriechemikalie oder Reinigungsmittel, sondern bei einer Einnahme durch den Menschen auch als Droge eingesetzt werden kann. Obwohl das Landgericht eine Arzneimitteleigenschaft des GBL nach der Verkehrsanschauung verneint bzw. offen gelassen hat, ist es aufgrund des von den Angeklagten bei der Abgabe bestimmten Zwecks, nämlich der Verwendung als Rauschmittel, davon ausgegangen, dass es sich bei GBL um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs.1 Nr. 5 AMG aF handelt.
11
Die genannte Auffassung lässt jedoch außer Acht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Arzneimittelbegriff einer einschränkenden Auslegung bedarf (BVerfG NJW 2006, 2684, 2685). Das Kriterium der subjektiven Zweckbestimmung kann daher bei der Einordnung eines Stoffes oder einer Zubereitung von Stoffen als Arzneimittel nicht zu einer Ausweitung des gesetzlichen Tatbestands führen, sondern angesichts der außerordentlichen tatbestandlichen Weite lediglich zu einer Begrenzung der Strafbarkeit herangezogen werden. Auf diese Weise werden Substanzen, die zwar die von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF geschilderten Wirkungsweisen aufweisen, aber nicht zum Zweck der Einflussnahme auf den menschlichen Körper eingesetzt werden sollen, dem Anwendungsbereich der im Arzneimittelgesetz enthaltenen Strafvorschriften entzogen. Auch dem Rückgriff auf die Vorstellungen des Produkt- herstellers in den Fällen, in denen es an einer Verkehrsanschauung (noch) fehlt, kommt limitierende Wirkung zu (BVerfG aaO).
12
Dieser Begrenzungsfunktion der subjektiven Zweckbestimmung liefe es jedoch zuwider, wenn in Fällen, in denen nach der Verkehrsanschauung objektiv kein Arzneimittel vorliegt, die Einordnung einer Substanz unter den Arzneimittelbegriff und damit auch die Strafbarkeit nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften allein mit der vom Hersteller oder vom Abgebenden zum Ausdruck gebrachten Zweckbestimmung begründet würde. Denn dies würde nicht zu einer Begrenzung, sondern zu einer Erweiterung des Tatbestandes führen, da eine Strafbarkeit nach dem Arzneimittelgesetz auch dann gegeben wäre, wenn die in den Verkehr gebrachte Substanz nach der Verkehrsanschauung kein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG aF darstellte. Steht daher aufgrund objektiver Kriterien fest, dass ein Stoff bzw. eine Stoffzubereitung zu keinem der in § 2 AMG aF genannten Verwendungszwecke bestimmt ist, kommt ein Rückgriff auf die Zweckbestimmung, die der Hersteller eines Mittels oder derjenige, der es in den Verkehr bringt, diesem Mittel gibt, zur Begründung einer Strafbarkeit nach dem Arzneimittelgesetz nicht in Betracht.

III.


13
1. Dennoch halten die Schuldsprüche auf der Basis der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand. Bei der von den Angeklagten vertriebenen Substanz handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nach objektiven Kriterien um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF.
14
a) Ob ein Stoff (oder eine Zubereitung aus Stoffen) zu einem der in § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF aufgeführten Zwecke bestimmt ist, richtet sich grundsätzlich nach der Verkehrsanschauung. Dabei ist auf die Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers - hier: der am Gebrauch euphorisierend wirkender Mittel Interessierten - abzustellen. Die Verkehrsanschauung knüpft dabei regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Anschauungen der Verbraucher werden weiterhin durch die stoffliche Zusammensetzung eines Erzeugnisses, die pharmakologischen Eigenschaften eines Mittels, durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft sowie durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise, Gebrauchsanweisungen oder durch die Aufmachung beeinflusst, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt. Von Bedeutung sind schließlich auch der Umfang der Verbreitung eines Produkts, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern, aber auch die Gefahren aufgrund von Nebenwirkungen und Risiken bei längerem Gebrauch (vgl. BGHSt 46, 380, 383; BGHZ 151, 286, 291; BVerwGE 97, 132, 135; Kloesel/Cyran, aaO AMG § 2 Anm. 20 f.; Körner, aaO Vorbem. AMG Rdn. 12 f.).
15
b) Das Landgericht hat angenommen, dass es sich bei GBL nach der Verkehrsauffassung um eine Industriechemikalie und nicht um ein Arzneimittel handele, und dies damit begründet, dass die Verwendung als Rauschdroge gegenüber der industriellen Verwendung quantitativ unbedeutend sei. Tatsächlich hat die Rechtsprechung bei der Prüfung der Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes darauf abgestellt, wie groß der Anteil der Verbraucher ist, die diesen Stoff als Arzneimittel ansehen (vgl. BGHSt 46, 380, 383 m.w.N.). Dabei ging es je- doch um die anders gelagerte Frage der Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln. In derartigen Fällen kann es gerade deshalb zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, weil sich die Verwendung von Arznei- oder Lebensmitteln bei einer oralen Einnahme äußerlich nicht voneinander unterscheidet. Bei der Beurteilung, ob sich eine Verkehrsauffassung hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes gebildet hat, kann es daher bedeutsam sein, wie viele der Verbraucher den Stoff in die eine oder andere Richtung verwenden wollen.
16
Anders als bei der Einordnung eines Stoffes als Arznei- oder Lebensmittel wird GBL aber nicht einheitlich verwendet. Vielmehr unterscheidet sich die Art und Weise seines Gebrauchs nach dem jeweiligen Verwendungszweck. In der chemischen Industrie wird es in großen Mengen produziert und anderen Stoffen zur Durchführung von chemischen Synthesen oder - in einer geringen Konzentration von lediglich fünf bis zehn Prozent - zur Herstellung von Reinigungs - und Lösungsmitteln zugesetzt. Demgegenüber wird GBL von Personen, die sich damit berauschen wollen, in einer Dosis von wenigen Millilitern und in nahezu reiner Form konsumiert. Da diese unterschiedlichen Verwendungsarten weder qualitativ noch quantitativ vergleichbar sind, kommt es für die Beurteilung einer Verkehrsauffassung nicht auf deren zahlenmäßiges Verhältnis zueinander an. Maßstab kann vielmehr nur die Verwendung innerhalb eines einheitlichen Verkehrskreises sein, in dem das Mittel auf dieselbe Art und Weise gebraucht wird, da nur insoweit eine Vergleichbarkeit der Verwendungsmöglichkeiten besteht. Die quantitative Betrachtungsweise des Landgerichts berücksichtigt zudem nicht, dass es schon aus Gründen des Gesundheitsschutzes, wie er etwa auch vom Arzneimittelgesetz bezweckt wird (vgl. § 1 AMG), nicht angezeigt ist, bei der Beurteilung einer Verkehrsauffassung allein auf einen zahlenmäßigen Vergleich der unterschiedlichen Verwendungsarten abzustellen. Selbst wenn mehrere zehntausend Tonnen eines Stoffes zu industriellen Zwecken eingesetzt werden, sagt dies für sich genommen noch nichts darüber aus, ob dieser Stoff daneben nicht auch von einer großen Zahl von Verbrauchern zur Anwendung im oder am menschlichen Körper eingesetzt wird, selbst wenn der Umfang des Gebrauchs für diese Anwendung gegenüber dem Umfang der industriellen Verwendung verhältnismäßig gering erscheinen mag. Da sich auch diese Verbraucher durch die Verwendung eines solchen Stoffes einer erheblichen Gefahr für ihre Gesundheit aussetzen können, liefe es den Aspekten des Gesundheitsschutzes zuwider, ihnen diesen Schutz durch das AMG zu versagen, nur weil dieser Stoff quantitativ überwiegend in der Industrie Verwendung findet. Dem Landgericht ist zwar zuzugeben, dass die Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes freilich nicht schon dadurch begründet wird, dass er von einigen wenigen Verbrauchern, denen die Wirkungsweise des Stoffes bekannt ist, als Rauschmittel verwendet wird. Kennen aber zahlreiche Verbraucher die Wirkungsweise eines Mittels und hat sich eine Verbrauchergewohnheit gebildet, dieses Mittel zu den in § 2 Abs. 1 AMG aF benannten Zwecken zu verwenden, so liegt ein Arzneimittel vor (vgl. Sander, aaO AMG § 2 Erl. 1).
17
c) An diesen Maßstäben gemessen, gilt Folgendes: Nach den Feststellungen des Landgerichts führt die Einnahme von Gamma-Butyrolacton (GBL) bei einem Menschen zu Rauschzuständen, es beeinflusst die Stimmungslage und wirkt euphorisierend, angstlösend und sexuell stimulierend. Der dauerhafte Missbrauch kann zu schweren Abhängigkeitserkrankungen führen, schon geringe Überdosierungen zu schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Krämpfen, Brechreiz, Verwirrung, Atemstillstand, Herz- oder Kreislaufversagen und möglicherweise auch zum Tod des Einnehmenden. Da sich GBL nach der Einnahme im Körper in kurzer Zeit in Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) umwandelt , dessen Ester es ist, entspricht GBL auch in seiner pharmakologischen Wirkung dieser Droge, die unter dem Namen „liquid ecstasy“ bekannt ist und aufgrund der 16. BtMÄndV vom 28. November 2001 (BGBl. I S. 3338) seit 1. März 2002 dem Betäubungsmittelgesetz unterfällt. GHB wird nach den Feststellungen des Landgerichts zudem als Wirkstoff in Medikamenten genutzt. So findet sich dieser Stoff in dem Medikament „Somsanit“, einer Injektionslösung für Anästhesiezwecke, und „Xyrem“, das zur Behandlung von Schlafstörungen verwendet wird. Hinzu kommt, dass die berauschende Wirkung von GBL öffentlich bekannt ist. Gerade wegen der Gefahr des Missbrauchs von GBL als Droge oder als Ausgangsstoff zur Herstellung des unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Mittels GHB („liquid ecstasy“) unterwirft sich die chemische Industrie einer freiwilligen Selbstkontrolle durch das sog. Monitoring, indem die Hersteller von ihren Abnehmern Endverbleibserklärungen verlangen.
18
Solche Schutzmaßnahmen sprechen dagegen, dass nur wenige Verbraucher Kenntnis von den Verwendungsmöglichkeiten des GBL als Droge oder als Ausgangsstoff zur Herstellung von Drogen haben und sich der Missbrauch von GBL deshalb nur auf einen geringen Kreis von Anwendern beschränkt. Der Umstand, dass sich zudem im Internet leicht zugängliche Informationen über die Wirkungsweise des GBL finden, spricht ebenfalls dafür, dass diese einem größeren Verbraucherkreis bekannt ist. Auf diese Weise haben auch die Angeklagten ihre Kenntnisse von der berauschenden Wirkung der Substanz erlangt. In „Drogenforen“ im Internet, an denen auch der Angeklagte M. L. mit eigenen Beiträgen aktiv teilgenommen hat, wird nach den Feststellungen des Landgerichts anhaltend über die Verwendung von GBL als Rauschmittel, die dazu angebrachte Dosierung, etwaige Vorsichtsmaßnahmen und insbesondere mögliche Bezugsquellen diskutiert. Das Landgericht hat zudem festgestellt, dass in einer Pressemitteilung der Zollfahndung in Hamburg vom 28. April 2004 - die im Übrigen auch den beiden Angeklagten vorlag - über Ermittlungen gegen ein Hamburger Unternehmen berichtet worden sei, das eine größere Menge an GBL beschafft habe, das zur Herstellung der synthetischen Droge GHB, besser bekannt unter dem Namen „liquid ecstasy“, verwendet werden könne. Diese Pressemitteilung enthielt zudem einen Text mit der Überschrift „Hintergrund-Info Liquid Ecstasy“, in dem unter anderem auf die pharmakologische Wirkung und die beträchtlichen Gesundheitsgefahren dieser Substanz hingewiesen wurde.
19
Das Landgericht hat zudem festgestellt, dass es eine Praxis von zahlreichen Konsumenten gibt, GBL aufgrund seiner berauschenden Wirkung als Droge zu verwenden, und sich hierfür auch ein Markt gebildet hat. In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, dass nach den landgerichtlichen Feststellungen allein von den Angeklagten im hier relevanten Tatzeitraum etwa 5.000 Liter GBL durch mehr als 4.000 Verkaufsgeschäfte veräußert wurden. Unter Zugrundelegung einer Dosierung von zweieinhalb M illilitern, die regelmäßig noch nicht unmittelbar zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung führt, ergibt sich, dass aus der von den Angeklagten veräußerten verfahrensgegenständlichen Gesamtmenge an GBL mindestens zwei Millionen Konsumeinheiten hätten hergestellt werden können. Angesichts dieser Umstände, namentlich der pharmakologischen Wirkung von GBL und der Möglichkeiten, sich über diese etwa durch Beiträge hierüber im Internet zu informieren, sowie der von dem Landgericht festgestellten beträchtlichen Verkaufszahlen und Mengen an GBL, die von den Angeklagten veräußert wurden, steht fest, dass zahlreichen Verbrauchern die Wirkungsweise von GBL bekannt ist und sich auch ein entsprechender Markt an Konsumenten gebildet hat. Diese Substanz ist daher auch nach der allgemeinen Verkehrsanschauung aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Fall einer oralen Einnahme dazu bestimmt, den seelischen Zustand eines Menschen zu be- einflussen. Demnach handelt es sich aber nicht nur nach der Zweckbestimmung durch die Angeklagten, sondern bereits nach objektiven Kriterien um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF (so auch Körner, BtMG 6. Aufl. Anhang zum BtMG Teil C 1 Rdn. 615; allgemein zur Einordnung von Psychopharmaka unter den Arzneimittelbegriff vgl. BGHSt 43, 336, 341 m.w.N.; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht 3. Aufl. 113. Lfg. AMG § 2 Anm. 74).
20
d) Der Umstand, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Frage, ob sich eine Verkehrsauffassung hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft des GBL gebildet hat, einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat, indem es allein auf das zahlenmäßige Verhältnis der unterschiedlichen Verwendungsarten abgestellt hat, erfordert nicht die Aufhebung des Urteils. Die Beurteilung der Verkehrsanschauung ist zwar grundsätzlich tatgerichtliche Aufgabe (vgl. Kloesel/Cyran aaO Anm. 21). Hat das Tatgericht aber bei der Beurteilung der Verkehrsauffassung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt und sich deshalb - wie im vorliegenden Fall - daran gehindert gesehen, einen Schluss auf deren Bestehen zu ziehen, kann das Revisionsgericht aufgrund rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen selbst die Schlussfolgerungen ziehen , die sich auch dem Tatgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Maßstabes hinsichtlich des Bestehens einer Verkehrsauffassung aufgedrängt hätten , und in der Sache selbst entscheiden. Es kann insoweit nichts anderes gelten , als bei einer - noch weiter gehenden - Schuldspruchänderung zu Lasten eines Angeklagten in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. Auch dort kann das Revisionsgericht in der Sache selbst entscheiden, wenn das Tatgericht durch umfangreiche Feststellungen eine Tatsachengrundlage geschaffen hat, deren Änderung oder Ergänzung durch eine weitere Beweisaufnahme ausgeschlossen werden kann (BVerfG NStZ 2001, 187, 188; Kuckein in KK 6. Aufl. § 354 Rdn. 12). Solche umfangreichen und rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die dem Senat die Beurteilung ermöglichen, ob sich hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft des GBL eine entsprechende Verkehrsanschauung gebildet hat, liegen hier vor.
21
2. Der Einordnung von GBL als Arzneimittel steht es nicht entgegen, dass aufgrund der 17. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom 12. Februar 2002 (BGBl. I S. 612) die Ester von GHB - und damit auch GBL - vom Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes ausgenommen worden sind. Dies hat für eine Strafbarkeit der Angeklagten nach dem Arzneimittelgesetz keine Bedeutung. Die Begriffe Arzneimittel und Betäubungsmittel schließen sich nicht gegenseitig aus. So ergibt sich aus § 81 AMG, dass auf Arzneimittel , die zugleich Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind, neben den Vorschriften des AMG auch die des BtMG anwendbar sind. Dieses Zusammenwirken von Betäubungsmittel- und Arzneimittelrecht hat zur Folge, dass der Umgang mit Substanzen, die nicht Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind, nur nach den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften straflos ist. Insbesondere eine mögliche Strafbarkeit nach dem Arzneimittelgesetz bleibt hiervon aber unberührt (vgl. BGHSt 43, 336, 342; Körner, aaO § 1 BtMG Rdn. 12).
22
3. Bei dem von den Angeklagten vertriebenen GBL handelt es sich, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auch um ein bedenkliches Arzneimittel gemäß § 5 AMG. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift sind Arzneimittel bedenklich, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Dies ist vorliegend der Fall. Die Einnahme von GBL kann zu Krämpfen, Brechreiz, Verwirrung und komatösen Zuständen führen. Durch eine Überdosierung oder eine Einnahme in Verbindung mit geringen Mengen an Alkohol kann es zu einem lebensbedrohlichen Atemstillstand oder zu Herz- oder Kreislaufversagen kommen. Selbst wenn sich die eingenommene Dosis in einem Bereich bewegen sollte, der nicht unmittelbar zu den beschriebenen schweren Gesundheitsschäden führt, macht der dauerhafte Konsum von GBL süchtig. Es kann zu schwerwiegenden Abhängigkeitserkrankungen kommen, mit der Folge, dass Schwerstabhängige die Substanz - auch in der Nacht - stündlich einnehmen müssen, um nicht an starken Entzugserscheinungen zu leiden. Die Angeklagten haben das GBL überwiegend ohne Dosierungsanleitung und ohne Rücksicht auf das Alter oder die Erfahrungen ihrer Kunden mit entsprechenden Mitteln zum Zweck der oralen Einnahme beliebig weiterverkauft, obwohl sie um die gesundheitlichen Gefahren insbesondere bei Überdosierung oder dauerhaftem Gebrauch wussten. Ihre Abnehmer haben die Substanz dementsprechend als Rauschmittel verwendet, so dass vorliegend der bestimmungsgemäße Gebrauch des GBL mit dem auf diesem Markt vorgesehenen Missbrauch gleichzusetzen ist (vgl. BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittel 2).
23
4. Weiter liegt kein Rechtsfehler darin, dass das Landgericht entgegen der von der Staatsanwaltschaft - ausweislich der Urteilsgründe - in ihrem Plädoyer vertretenen Auffassung die beiden Angeklagten nicht jeweils wegen nur einer Tat verurteilt hat. Das Landgericht hat trotz umfangreicher Beweisaufnahme keine konkreten Feststellungen dazu treffen können, ob und in welchem Umfang die Angeklagten durch die jeweiligen Einzellieferungen ihr Depot jeweils vor dessen vollständiger Entleerung aufgefüllt haben. Die Annahme einer Bewertungseinheit setzt aber zumindest konkrete Anhaltspunkte voraus, dass bestimmte Einzelverkäufe aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren (BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 20 m.w.N.). Fehlen solche Anhaltspunkte , wie im vorliegenden Fall, gebietet es auch der Zweifelssatz nicht, eine Bewertungseinheit anzunehmen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 14 m.w.N.). Andererseits beschwert es die Angeklagten nicht, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Konkurrenzen nicht auf die einzelnen von den Angeklagten getätigten Verkaufsgeschäfte mit ihren privaten Abnehmern abgestellt , sondern hinsichtlich der einzelnen Lieferungen des GBL an die Angeklagten jeweils eine Bewertungseinheit angenommen hat und deshalb lediglich von acht Fällen des unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel ausgegangen ist.
24
5. Das Landgericht hat schließlich mit zutreffender Begründung einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) der beiden Angeklagten verneint. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die Angeklagten, nachdem ihre Wohnungen im Februar 2005 durchsucht worden waren, Rechtsrat hinsichtlich des weiteren Verkaufs von GBL bei ihren zwei damaligen Verteidigern gesucht. Beide Rechtsanwälte hatten den Angeklagten empfohlen, „zur Vorsicht“ wegen einer möglichen Strafbarkeit den Verkauf einzustellen bzw. „von einem solchen Verkauf die Finger zu lassen“. Selbst nach der damaligen Einschätzung des Angeklagten M. L. war eine Abgabe von GBL zu Konsumzwecken strafbar, wie sich einem von ihm stammenden Eintrag vom Januar 2006 in einem „Drogen -Forum“ im Internet entnehmen lässt: „Solange es (das GBL) nicht zur Einnahme abgegeben wurde, passiert dem Verkäufer nichts“ (UA S. 56). Schließlich zeigen auch die Bemühungen der Angeklagten, die Abgabe des GBL zu Konsumzwecken zu verschleiern, indem sie es als Mittel zum Entfernen von Klebstoff („glue-remover“) oder Felgenreiniger („wheel-cleaner“) anboten, dass sie Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden unter allen Umständen vermeiden wollten. Ein solches Vorgehen der Angeklagten setzt damit die gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt selbst dann, wenn höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorlie- gen, jedenfalls die Vorstellung der Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. BVerfG NJW 2006, 2684, 2686).

IV.


25
Der Senat hat gemäß § 354a StPO geprüft, ob die Neuregelung des Arzneimittelbegriffs durch das am 23. Juli 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I, S. 1990) eine den Angeklagten günstigere Bewertung zulässt, als dies nach dem bisherigen Arzneimittelbegriff, der auch der Entscheidung des Landgerichts zugrunde liegt, möglich gewesen ist. Nach der Neufassung sind Arzneimittel unter anderem Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen Körper angewendet werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG nF). Mit der Neufassung des Arzneimittelbegriffs hat der Gesetzgeber weiter gehend als bisher Elemente der Definition des Arzneimittels nach der Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) und der Richtlinie 2001/82/EG (Gemeinschaftskodex für Tierarzneimittel) in das deutsche Recht überführt. Nach den Gesetzgebungsmaterialien bleiben die Änderungen zwar weitgehend ohne Auswirkungen in der Anwendungspraxis, weil die Kernelemente der bisherigen deutschen und der gemeinschaftsrechtlichen Arzneimitteldefinition übereinstimmen (BTDrucks. 16/12256 S. 41). Für den Bereich der sog. Funktionsarzneimittel (vgl. zum Begriff Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht 3. Aufl. 113. Lfg. § 2 AMG Anm. 3) hat der Gesetzgeber aber nunmehr klargestellt, dass es für die Einordnung eines Mittels als (Hu- man-)Arzneimittel allein auf dessen Wirkungsweise bei der Anwendung im oder am menschlichen Körper ankommt. Für eine Zweckbestimmung des Mittels nach objektiven Kriterien bleibt insoweit kein Raum mehr. Da durch die Einnahme von GBL die körperlichen und seelischen Zustände eines Menschen beeinflusst werden, kommt diesem Mittel eine pharmakologische Wirkung zu. Nach der Neufassung des Arzneimittelbegriffs handelt es sich bei GBL deshalb um ein (Funktions-)Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG. Dessen unerlaubte Abgabe an Konsumenten ist daher nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften verboten und unterliegt gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG derselben Strafandrohung wie bisher (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB). Die Gesetzesänderung lässt daher im Vergleich zur bisherigen gesetzlichen Regelung keine günstigere Bewertung für die beiden Angeklagten zu, so dass im vorliegenden Fall noch von dem Arzneimittelbegriff in der bis 22. Juli 2009 geltenden Fassung auszugehen war.

V.


26
Der Rechtsfolgenausspruch begegnet - wie auch der Generalbundesanwalt , schon in seinen Antragsschriften vom 19. Juni 2009, zutreffend dargelegt hat - ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Lediglich die Aufrechterhaltung der Sperrfrist aus dem gegen den Angeklagten B. L. ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck vom 26. Februar 2007 (Az.: ) hat zu entfallen, da sich die bis 4. Juli 2008 bemessene Sperrfrist infolge des Zeitablaufs erledigt hat (BGH NStZ 1996, 433). Wahl Hebenstreit Elf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 38/11
vom
8. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 2. August 2010 aufgehoben , soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in weiteren zwölf Fällen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 6. Januar 2010 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, in 17 Fällen dadurch Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, dass er für sechs von ihm geleitete Unternehmen mit Sitz in Luxemburg, Belgien, Frankreich und Polen für die Jahre 2002 bis 2005 vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärungen abgegeben habe. Hierzu sei er aber verpflichtet gewesen , weil er über diese Firmen an deutsche Landwirte und Winzer, die umsatzsteuerlich von der Pauschalregelung des § 24 UStG Gebrauch gemacht haben, Lieferungen von Pflanzenschutzmitteln ausgeführt habe. Die Lieferungen seien für ihn in Deutschland steuerpflichtig gewesen.
3
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts lieferte der Angeklagte in den Jahren 2002 bis 2005 als alleinverantwortlich Handelnder mehrerer Gesellschaften , die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Deutschland ihren Sitz hatten und lediglich in Luxemburg, Frankreich und Belgien Lagerräumlichkeiten unterhielten, Pflanzenschutzmittel an deutsche Landwirte und Winzer. Die Empfänger wurden als Betreiber landwirtschaftlicher Betriebe umsatzsteuerlich nach § 24 UStG besteuert. Die den Lieferungen zugrunde liegenden Bestellungen erfolgten zumeist über Sammelbesteller für Einkaufs- gemeinschaften, die vom Angeklagten Bestellscheine mit angefügten „Speditionsauftragsschreiben“ erhalten ha tten. Hinsichtlich der Art und Menge der Be- ladung sowie des Zeitpunkts der Auslieferung wurden die Speditionen allein vom Angeklagten angewiesen, die Landwirte bzw. Sammelbesteller teilten allein die Abladestelle in Deutschland mit.
4
Das Landgericht ist der Ansicht, die Lieferungen hätten der deutschen Umsatzbesteuerung unterlegen, weil es sich um Versandgeschäfte gehandelt habe und deshalb der Ort der Lieferung gemäß § 3c UStG jeweils in Deutschland gelegen habe. Der Angeklagte sei deshalb verpflichtet gewesen, für die von ihm geleiteten Firmen in der Bundesrepublik Deutschland Umsatzsteuererklärungen abzugeben, was er pflichtwidrig unterlassen habe.
5
Das Landgericht hat sich die Überzeugung gebildet, dass der Angeklagte bis zu einer Befragung durch die luxemburgische Steuerfahndung im Oktober oder November 2005 davon ausgegangen ist, die von ihm getätigten Geschäfte unterlägen nicht der Umsatzsteuer (UA S. 10). Es hat den Angeklagten daher - nach einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich zweier Fälle - nur wegen dreier im Jahr 2006 begangener Taten der pflichtwidrigen Nichtabgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen für das Jahr 2005 wegen Steuerhinterziehung verurteilt (Fälle 4, 14, und 17 der Anklageschrift). Der Angeklagte war insoweit geständig (UA S. 11). Vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in weiteren zwölf Fällen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, es konnte sich insoweit von einem Hinterziehungsvorsatz des Angeklagten nicht überzeugen. Dem Angeklagten sei für die Zeit vor dem Erscheinen der luxemburgischen Steuerfahnder bei ihm im Jahr 2005 nicht nachzuweisen gewesen, gewusst zu haben, dass bei dem von ihm gewählten Geschäftsmodell eine Steuerpflicht nach deutschem Umsatzsteuerrecht eintritt. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kenne § 370 AO nicht (UA S. 41).

II.

6
Der Teilfreispruch wegen Annahme eines Tatumstandsirrtums hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Zum einen beruhen die deswegen ebenfalls aufzuhebenden Feststellungen zum Tatvorsatz auf einer in sich widersprüchlichen sowie lückenhaften und damit nicht tragfähigen Beweiswürdigung (a). Zum anderen hat das Landgericht nicht geprüft, ob sich der Angeklagte zumindest einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) schuldig gemacht hat, was einem Freispruch entgegenstehen würde (b). Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer tatrichterlicher Prüfung auf der Grundlage diesbezüglich insgesamt neu zu treffender Feststellungen.
7
a) Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
aa) Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 18, HFR 2010, 866; vom 11. September 2007 - 5 StR 213/07, wistra 2008, 22, 24; vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19; jew. mwN).
9
bb) Derartige Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegen hier vor; die Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite können daher keinen Bestand haben.
10
(1) Die Beweiswürdigung ist in sich widersprüchlich. Sie setzt sich hinsichtlich des freisprechenden Teils des Urteils in Widerspruch zu den die Verurteilung betreffenden Feststellungen.
11
Das Landgericht hat als gegen einen Tatvorsatz des Angeklagten sprechenden Umstand gewertet, dass er seine geschäftliche Tätigkeit nicht verheimlicht , sondern Rechnungen mit ausländischer Umsatzsteuer erstellt habe (UA S. 39). Weiter hat es ausgeführt, die Tatsache, dass der Angeklagte die angefallenen ausländischen Umsatzsteuern in seinen Rechnungen aufgeführt und „wohl“ im Ausland erklärt und abgeführt habe, sei ein Indiz dafür, dass ihm die Steuerbarkeit der Umsätze nach deutschem Umsatzsteuerrecht nicht bewusst gewesen sei (UA S. 40). Diese Wertungen lassen sich nicht mit den - im Rahmen der Verurteilung strafschärfend gewerteten (UA S. 34) - Feststellungen vereinbaren, dass der Angeklagte ab dem Jahr 2005, in dem er von der luxemburgischen Steuerfahndung aufgesucht worden war, „die zuvor aufgebau- ten Unternehmensstrukturen fortgeführt und somit im Ergebnis ein aufwendiges Täuschungssystem genutzt“ habe. Durch die Firmenverlagerung nach Polen, die fortgesetzte Einschaltung von Firmen in Belgien, Luxemburg und Frankreich und die Gründung von Zwischenlagern in Deutschland habe er insbesondere „hinsichtlich der Lieferwege und der Umsatzermittlung einen schwer aufklärbaren Sachverhalt geschaffen“ (UA S. 34). War das Gesamtsystem aber schon vor dem Erscheinen der Steuerfahnder auf Täuschung angelegt, dann konnte die Ausstellung von Rechnungen mit gegenüber dem deutschen Steuersatz zum Teil deutlich niedrigeren ausländischen Umsatzsteuersätzen zwischen drei und zwölf Prozent (UA S. 9) kein Indiz für eine beabsichtigte Steuerehrlichkeit des Angeklagten sein.
12
(2) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft. Denn das Landgericht hat wesentliche, den Urteilsfeststellungen zu entnehmende belastende Umstände nicht in die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite eingestellt.
13
Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, Urteile vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19 und vom 22. August 2002 - 5 StR 240/02, wistra 2002, 430 mwN).
14
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Sie ist lückenhaft, weil sie sich mit wesentlichen, den Angeklagten belastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Zu einer umfassenden Gesamtwürdigung aller den Angeklagten be- und entlastenden Umstände hätte sich das Landgericht hier schon deshalb gedrängt sehen müssen, weil der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen noch nach entsprechenden Hinweisen der luxemburgischen Steuerfahndung auf die in Deutschland bestehende Steuerpflicht das bisherige System der Vermeidung der Besteuerung in Deutschland unverändert fortsetzte.
15
Das Landgericht hätte - worauf der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - auch in die Gesamtwürdigung einbeziehen müssen, dass der Angeklagte den steuerlich bedeutsamen Ort der Lieferung in seinen Rechnungen jedenfalls teilweise absichtlich falsch deklariert hat, was für eine bewusste Täuschung der Finanzbehörden spricht. So hat der Angeklagte auch die Lieferungen seiner polnischen Firmen als Abholgeschäfte mit dem Umsatzsteuersatz von drei Prozent deklariert (UA S. 9 f.), obwohl er nach den Feststellungen in Polen gar kein Warenlager unterhielt (UA S. 4, 38) und die Kunden selbst bei der Bestellung keinen Kontakt nach Polen hatten (UA S. 32). Dieser primär den Fall 15 der Urteilsgründe betreffende Umstand der Ausstellung falscher Rechnungen war auch für die Vorsatzfrage hinsichtlich der Tatvorwürfe betreffend die Jahre 2002 bis 2004 von erheblicher Bedeutung.
16
b) Der Teilfreispruch kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob das Verhalten des Angeklagten nicht zumindest den Bußgeldtatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) verwirklicht hat. § 378 AO wirkt in solchen Fällen wie ein Auffangtatbestand (BGH, Beschluss vom 13. Januar 1988 - 3 StR 450/87, BGHR AO § 378 Leichtfertigkeit 1; BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 5 StR 570/99, NStZ 2000, 320, 321; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 39 ff., HFR 2010,

866).

17
Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 aaO Rn. 40).
18
Jeder Steuerpflichtige muss sich über diejenigen steuerlichen Pflichten unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann sind deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (vgl. BFH, Urteil vom 19. Februar 2009 - II R 49/07 mwN, BFHE 225, 1). In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen (vgl. dazu auch Joecks in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 378 AO Rn. 39 mwN). Dies gilt insbe- sondere dann, wenn er die erkannte Steuerpflichtigkeit eines Geschäfts durch eine modifizierte Gestaltung des Geschäfts zu vermeiden sucht (zu den Erkundigungspflichten vgl. auch Sahan in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht , § 378 AO Rn. 28 ff.). Zudem ist es Steuerpflichtigen regelmäßig möglich und zumutbar, offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des vollständigen und wahren Sachverhalts im Besteuerungsverfahren zu klären (vgl. BVerfG - Kammer - Beschlüsse vom 16. Juni 2011 - 2 BvR 542/09 und vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, wistra 2010, 396, 404, jew. mwN).
19
Im vorliegenden Fall war deshalb in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte für sechs Unternehmen als alleinverantwortlich Handelnder tätig war, die jeweils in großem Umfang grenzüberschreitenden Handel mit Pflanzenschutzmitteln an Landwirte und Winzer durchführten. Er hatte erkannt, dass die Durchführung der von ihm geplanten Lieferungen als „Versandgeschäfte“ zu einer Steuerpflicht in Deutschland führen würde und wählte deswegen eine Ge- schäftsabwicklung, die nach seiner Wertung als „Abholgeschäfte“ im Empfän- gerstaat Deutschland nicht steuerbar waren. Ob er hierbei Rechtsrat eingeholt hatte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

III.

20
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat im Hinblick auf die subjektive Tatseite auf Folgendes hin:
21
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1953 - 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90, 91 f.; BGH, Urteil vom 5. März 1986 - 2 StR 666/85, wistra 1986, 174; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 37, HFR 2010, 866; BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 2, 4, 5). Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes ; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz ). Der Hinterziehungsvorsatz setzt deshalb weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09 Rn. 37, HFR 2010, 866; zu strenge Anforderungen OLG München, Beschluss vom 15. Februar 2011 - 4 St RR 167/10 mit Anm. Roth, StRR 2011, 235).
22
2. Hat der Steuerpflichtige irrtümlich angenommen, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB).
23
3. Ob dies auch dann gilt, wenn der Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs allein auf einer Fehlvorstellung über die Reichweite steuerlicher Normen - hier etwa des § 3c UStG über den Ort der Lieferung in besonderen Fällen - beruht, oder ob dann vielmehr ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) gegeben ist, wird in der neueren Literatur teilweise in Frage gestellt (vgl. Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 369 AO Rn. 28 mwN; vgl. zum Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB auch BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 478/09, NStZ 2010, 337).
24
4. Der Senat braucht diese Frage hier nicht zu entscheiden, denn sie stellt sich erst dann, wenn ein rechtserheblicher Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs festgestellt ist. Ein solcher Irrtum liegt aber dann nicht vor, wenn der Erklärungspflichtige hinsichtlich der Verkürzung eines Steueran- spruchs mit Eventualvorsatz handelt. Bei der Klärung der Frage, ob ein solcher Irrtum bestanden hat, ist Folgendes zu beachten:
25
a) Die bloße Berufung eines Angeklagten auf einen derartigen Irrtum nötigt das Tatgericht nicht, einen solchen Irrtum als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Umstände oder Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen - außer der bloßen Behauptung des Angeklagten - keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85).
26
b) Ein Tatumstandsirrtum scheidet bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen im Übrigen dann aus, wenn der Täter es für möglich hält, dass er die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dass durch sein Verhalten Steuern verkürzt werden oder dass er oder ein anderer nicht gerechtfertigte Vorteile erlangt. Weitergehende Einschränkungen der Annahme eines Eventualvorsatzes ergeben sich auch nicht aus der voluntativen Seite des Vorsatzes. Ob der Täter will, dass ein Steueranspruch besteht, ist für den Hinterziehungsvorsatz bedeutungslos. Es kommt insoweit allein auf die Vorstellung des Täters an, ob ein solcher Steueranspruch besteht oder nicht. Hält er die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, findet er sich also mit der Möglichkeit der Steuerverkürzung ab, handelt er mit bedingtem Tatvorsatz.
27
Ob ein Angeklagter das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich gehalten hat, muss vom Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung geklärt werden. Dabei hat das Gericht bei Kaufleuten deren Umgang mit den in ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in die Würdigung einzubeziehen. Informiert sich ein Kaufmann über die in seinem Gewerbe bestehenden steuerrechtlichen Pflichten nicht, kann dies auf seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflichten hindeuten. Dasselbe gilt, wenn es ein Steuerpflichtiger unterlässt, in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen. Auch in Fällen, in denen ein nicht steuerlich sachkundiger Steuerpflichtiger eine von ihm für möglich gehaltene Steuerpflicht dadurch vermeiden will, dass er von der üblichen Geschäftsabwicklung abweichende Vertragskonstruktionen oder Geschäftsabläufe wählt, kann es für die Inkaufnahme einer Steuerverkürzung sprechen, wenn er keinen zuverlässigen Rechtsrat einholt, sondern allein von seinem laienhaften Rechtsverständnis ausgeht. Dies gilt nicht nur bei rechtlich schwierigen oder ungewöhnlichen Inlandsgeschäften, sondern gerade auch bei grenzüberschreitenden Lieferungen oder Leistungen.
28
5. Im vorliegenden Fall wird es daher für die Frage des Tatvorsatzes darauf ankommen, ob der Angeklagte eine Steuerentstehung in Deutschland für möglich erachtet hat. Im Hinblick darauf, dass er - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - gerade zur Vermeidung einer Besteuerung in Deutschland zugunsten der Anwendung niedrigerer ausländischer Steuersätze die bei Versandgeschäften übliche Geschäftsabwicklung verändert hat, wird dabei der Frage, ob er sachkundigen Rechtsrat eingeholt hat, besondere Bedeutung zukommen. Dasselbe gilt, wenn das neue Tatgericht wieder zu entsprechenden Feststellungen gelangen sollte, für den Umstand, dass der Angeklagte die luxemburgischen Steuerfahndungsbeamten gebeten hat, die deutschen Finanzbehörden nicht zu informieren (UA S. 13).
29
6. Sollte das neue Tatgericht aufgrund seiner Beweisaufnahme und Beweiswürdigung bezogen auf die Fälligkeitszeitpunkte für die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen wieder zur Annahme eines vorsatzausschließenden Tat- umstandsirrtums des Angeklagten gelangen, wird es die Prüfung einer Unterlassenstrafbarkeit auch darauf zu erstrecken haben, ob der Irrtum noch vor Wegfall der Erklärungspflicht, insbesondere vor Eintritt der steuerlichen Festsetzungsverjährung wieder entfallen ist. Bedeutung könnte insoweit dem Umstand zukommen, dass der Angeklagte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - von der luxemburgischen Steuerfahndung auf die Bedenken gegen seine steuerliche Behandlung der Lieferungen nach Deutschland hingewiesen wurde (UA S. 13). RiBGH Hebenstreit befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 394/07
vom
3. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Volksverhetzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. Februar 2008 in der Sitzung am 3. April 2008, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 21. Februar 2008 -
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor in der Verhandlung vom 21. Februar 2008,
Justizangestellte in der Sitzung vom 3. April 2008
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2007 in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte , der seit seinem 14. Lebensjahr in politisch rechtsgerichteten Organisationen und Parteien aktiv und seit dem Jahre 1998 Mitglied des Bundesvorstands der NPD ist, im Jahre 1993 mit dem Handel von CDs unter dem Namen "P. Liste" selbstständig. Seit dem Jahre 1996 bestritt er seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit dieser Tätigkeit. Im Januar 1998 brachte er sein Unternehmen in die der NPD nahestehende "D. Verlags Gesellschaft mbH" ein. Dort war er zunächst als Produktionsleiter angestellt und für alle Artikel verantwortlich, die der Verlag vertrieb; seit dem Jahre 2004 ist er einer von zwei Geschäftsführern. Der Angeklagte hatte bei der Auswahl der CDs freie Hand und trug die Verantwortung für die rechtliche Seite der Produktionen. Dabei war ihm klar, dass sich die von dem Verlag unter seiner Leitung vertriebenen Liedtexte teilweise am Rande der Legalität bewegten. Anlässlich einer Durchsuchung der Räumlichkeiten der "D. Verlags Gesellschaft mbH" im März 2003 wurden insgesamt 250 verschiedene CDs sichergestellt; ihr Inhalt wurde in der Folgezeit überprüft.
2
Hinsichtlich acht dieser CDs hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Sie hat dem Angeklagten vorgeworfen, er habe sich der Volksverhetzung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Gewaltdarstellung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sowie des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen schuldig gemacht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Es hat dies damit begründet, dass teilweise schon die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der jeweils in Betracht kommenden Strafvorschriften nicht gegeben seien ; teilweise hat es angenommen, der Angeklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt bzw. sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.
4
Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt - mit Ausnahme des Falles II. 5. der Urteilsgründe - vertretene Rechtsmittel hat einen Teilerfolg.
5
II. Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten in den Fällen II. 1., 2. und 5. der Urteilsgründe wendet.
6
1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat das Landgericht ohne Rechtsfehler den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) verneint; denn der Text des Liedes "Geh uns aus dem Weg" auf der CD "Eiserne Jugend" der Gruppe "Foierstoss" wendet sich nicht gegen ein Angriffsobjekt im Sinne der genannten Vorschrift.
7
Die Norm setzt voraus, dass sich der Inhalt einer Schrift, der nach § 11 Abs. 3 StGB CDs gleich stehen, gegen einen Teil der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe richtet. Unter einem - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden - Teil der Bevölkerung ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 130 Rdn. 4). Dass es sich bei den mit den Bezeichnungen "Linke und Antifa-Brut" sowie "Rote Flut" angesprochenen Personenkreisen nicht um abgrenzbare Bevölkerungsgruppen in diesem Sinne handelt , hat das Landgericht mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Interpretation des Liedtextes dargelegt.
8
a) Die Auslegung des Inhalts einer Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat sich wegen des Charakters der Vorschrift als Verbreitungsdelikt an seinem objektiven Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert zu orientieren, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser oder -hörer aufgefasst werden. Ob die Schrift die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, muss sich demnach in erster Linie aus ihr selbst ergeben. Umstände, die in der Schrift selbst keinen Niederschlag gefunden haben, bleiben grundsätzlich außer Betracht. Insbesondere subjektive Zielsetzungen, Mo- tive, Absichten, Vorstellungen oder Neigungen des Täters müssen zumindest "zwischen den Zeilen" erkennbar sein (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm StGB § 130 Rdn. 57). Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG NJW 1994, 2943).
9
b) Bei einer diesen Maßstäben entsprechenden Auslegung des Inhalts der CD ergibt sich, dass kein ausreichend eingrenzbarer Bevölkerungsteil angegriffen wird.
10
Zwar kann grundsätzlich auch eine politische Gruppierung taugliches Ziel eines Angriffs im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB sein (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rdn. 9). Bei nicht näher spezifizierten Sammelbegriffen wie "Rote" oder "Linke" ist der bezeichnete Personenkreis jedoch so groß und unüberschaubar und umfasst derart zahlreiche, sich teilweise deutlich unterscheidende politische Richtungen und Einstellungen, dass seine Abgrenzung auf Grund bestimmter Merkmale von der Gesamtbevölkerung nicht möglich ist (vgl. BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 1).
11
Ähnliches gilt im Ergebnis für die Bezeichnung "Antifa-Brut". Der Begriff "Antifa" bezeichnet nach allgemeinem Verständnis je nach Zusammenhang linke , linksradikale und/oder autonome Gruppierungen oder Organisationen, die sich das Ziel gesetzt haben, Nationalismus oder Rassismus zu bekämpfen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein auch nur annähernd homogenes Gebilde. Vielmehr ist die Ablehnung von Faschismus, Rassismus und Nationalismus häufig nur der kleinste gemeinsame Nenner, der zwischen den unter- schiedlichen Gruppierungen konsensfähig ist. Treffen sich indes ansonsten politisch -ideologisch ganz unterschiedlich geprägte Personengruppen lediglich in einem gemeinsamen Ziel, so reicht allein dies grundsätzlich nicht aus, um sie als abgrenzbaren Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 und 2 StGB ansehen zu können; denn die Personenmehrheit ist in diesen Fällen nicht in einem Maße durch gemeinsame individuelle Merkmale geprägt, das sie nach außen als Einheit erscheinen lässt und eine hinreichend sichere Unterscheidung von der übrigen Bevölkerung ermöglicht.
12
Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis; denn auch dem Kontext, etwa dem Inhalt der übrigen Lieder der CD, sind bei sachgerechter Interpretation keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die zu einer hinreichenden Eingrenzbarkeit des angegriffenen Personenkreises führen könnten.
13
2. Auch im Fall II. 2. der Urteilsgründe ist der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) in Tateinheit mit Gewaltdarstellung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB) bezüglich der Texte der Lieder auf der CD "Spirit of 88/White Power Skinheads" der Band "Spreegeschwader" im Ergebnis nicht zu beanstanden.
14
a) Hinsichtlich des Liedes "Ignoranten" liegen - entgegen der Ansicht des Landgerichts, das zur Begründung des Freispruchs auf einen Tatbestandsbzw. unvermeidbaren Verbotsirrtum des Angeklagten abgestellt hat - bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der Norm nicht vor; denn es fehlt an der in allen Alternativen der Vorschrift vorausgesetzten besonderen Intensität des Angriffs.
15
aa) Mit dem Text des genannten Liedes wird zunächst nicht zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung oder eine im Gesetz näher bezeichnete Gruppe von Personen aufgestachelt. Hierunter ist ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. BGHSt 40, 97, 102; 46, 212, 217). Der Liedtext enthält zwar abfällige Äußerungen über Türken, Albaner und Russen, denen vor allem die Beherrschung der Schulen und die Begehung bestimmter Arten von Straftaten vorgeworfen wird. Wenn auch Hetze, die sich gegen Ausländer richtet, bei entsprechendem Gewicht regelmäßig tatbestandsrelevant sein kann (vgl. Miebach /Schäfer, aaO § 130 Rdn. 32), so ist hier jedoch die erforderliche besonders intensive Form der Einwirkung (vgl. BGHSt 21, 371, 372) auch unter Beachtung des zu berücksichtigenden Kontextes nicht gegeben.
16
bb) Daneben wird auch nicht zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen die genannten Angriffsobjekte aufgefordert. Dies setzt ein über das bloße Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel voraus, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 130 Rdn. 5 b; von Bubnoff, aaO § 130 Rdn. 19). Hierunter fallen etwa Gewalttätigkeiten im Sinne des § 125 StGB, Freiheitsberaubungen, gewaltsame Vertreibungen, Pogrome, die Veranstaltung von Hetzjagden gegen Ausländer und sonstige im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art (vgl. Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 35). Ein derartiger Appellcharakter ist dem Text des genannten Liedes nicht zu entnehmen.
17
cc) Schließlich wird auch nicht die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen , dass eines der genannten Angriffsobjekte beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet wird. Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung (vgl. BGHSt 46, 212, 216). Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen , durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird (vgl. BGHSt 3, 346, 348). Verleumden erfordert das wider besseres Wissen aufgestellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen (vgl. Fischer, aaO § 130 Rdn. 11). Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (vgl. BVerfG NJW 2001, 61, 63). Ein noch weiter gehender Angriff etwa auf das biologische Lebensrecht an sich ist nicht erforderlich (vgl. BayObLG NStZ 1994, 588, 589). Auch insoweit kommen grundsätzlich entsprechend intensive ausländerfeindliche Parolen in Betracht (vgl. die Beispiele bei Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 44 m. w. N.).
18
Derart besonders qualifizierte Beeinträchtigungen, die durch ein gesteigertes Maß an Gehässigkeit und Rohheit gekennzeichnet sein müssen, und durch die die Angehörigen des betreffenden Bevölkerungsteils oder der betreffenden Gruppe in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft verletzt werden und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet wird (vgl. BGHSt 36, 83, 90), liegen hier indes nicht vor. Der Gehalt des Textes zielt vielmehr in erster Linie auf das Anprangern eines von den Interpreten postulierten Unverständnisses gegenüber dem vermeintlich legitimen Anliegen ausländerfeindlicher Bevölkerungskreise und eine - wenn auch durchaus massive - Kundgabe der Missbilligung bestimmter behaupteter Zustände.
19
b) Bezüglich des Liedes "Mörder in der Nacht" hat das Landgericht die Verwirklichung des objektiven Tatbestands von § 131 StGB ohne Rechtsfehler verneint, da dem Text keine eindeutig gewaltverherrlichende Aussage zu entnehmen ist.
20
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 5. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 Abs. 1 und 2 StGB) ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
21
Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand des § 166 StGB rechtsfehlerfrei mit der Begründung verneint, es fehle an einer ausreichenden Tathandlung , weil dem Angeklagten nicht nachzuweisen gewesen sei, dass er die CD "Der Untermensch" der Gruppe "Camulos" - deren Texte in mehreren Liedern allerdings die inhaltlichen Voraussetzungen des § 166 StGB erfüllen - tatsächlich verbreitet, das heißt, sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht (vgl. BGH NJW 1999, 1979, 1980 zu § 184 StGB m. w. N.) habe. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass im Lager des Verlags eine CD aufbewahrt wurde. Das bloße Vorrätighalten einer Schrift ist gemäß § 166 StGB indes ebenso wenig mit Strafe bedroht wie der Versuch des Verbreitens (§ 166 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 2, § 12 Abs. 1 und 2 StGB).
22
Soweit das Landgericht im Übrigen in Bezug auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Volksverhetzung den Vorsatz des Angeklagten nicht festzustellen vermocht hat, begegnet dies aus den vom Generalbundesanwalt in seiner An- tragsschrift zutreffend dargelegten Gründen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
23
III. Demgegenüber hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe nicht stand.
24
1. Bei dem Freispruch des Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Rote raus" auf der CD "Herz des Reiches" der Gruppe "Panzerfaust" hat das Landgericht weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand der Vorschrift mit einer rechtlich tragfähigen Begründung ausgeschlossen.
25
a) Entgegen der Meinung der Strafkammer wird mit dem in dem Lied verwendeten Ausdruck "Kommunisten" ein Teil der Bevölkerung im Sinne des Tatbestandes der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB bezeichnet. Im Gegensatz zu der "Antifa"-Bewegung, in der weltanschaulich unterschiedlich geprägte Gruppierungen lediglich durch ein gemeinsames Ziel vereint sind, verbindet Kommunisten - bei durchaus unterschiedlicher Ausrichtung in Einzelfragen - eine gemeinsame weltanschauliche, politisch-ideologische Grundüberzeugung. Diese gibt der Personenmehrheit ein insgesamt gemeinschaftliches Gepräge, das sie - trotz im Randbereich vorhandener Berührungspunkte und Überschneidungen mit sonstigen, insbesondere politisch linksgerichteten Gruppierungen - in ausreichender Weise von der übrigen Bevölkerung unterscheidbar macht.
26
b) Der Text des Liedes enthält einen Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der darin liegt, dass die Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. In ihm heißt es auszugsweise: "Blöder als die Polizei erlaubt/ Dreckiger als das dreckigste Schwein/ Du stinkst mehr als ein Hundehaufen/ Dein Gehirn ist erbsenklein/ Du bist ein Kommunist und deine Ideen gehören auf den Mist/ Nie wieder werdet ihr unser Volk zerspalten/ Unser Heimat vergewaltigen". Der Refrain lautet: "Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Das ist unsre Heimat, hier sind wir zu haus/ Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Ihr lächerlichen Kasper, wir lachen euch bloß aus". Bei sachgerechter Auslegung werden hierdurch in eindeutiger Weise Kommunisten nicht nur in einzelnen Persönlichkeitsrechten wie ihrer Ehre getroffen, sondern darüber hinausgehend in besonders gehässiger und roher Weise sozial abgewertet und im Kern ihrer Persönlichkeit verletzt.
27
c) Soweit das Landgericht ausgeführt hat, eine Strafbarkeit des Angeklagten scheide daneben jedenfalls aus subjektiven Gründen aus, da ihm "als Laien" kein Vorsatz nachgewiesen werden könne, wenn selbst die Strafkammer den Text für rechtlich noch vertretbar erachte, hat es die Voraussetzungen vorsätzlichen Handelns verkannt.
28
aa) Das Landgericht hätte, wollte es den Vorsatz des Angeklagten verneinen , aufgrund der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen darlegen müssen, was der Angeklagte im Einzelnen nicht in sein Wissen und Wollen aufgenommen hat. Da im Rahmen des § 130 StGB bedingter Vorsatz ausreicht, kommt es darauf an, ob der Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt (vgl. Fischer, aaO § 15 Rdn. 9 ff.).
29
bb) Dem Landgericht oblag es deshalb, unter Anlegung dieser Maßstäbe zu prüfen, ob der Angeklagte zumindest bedingt vorsätzlich davon ausging, dass in dem betreffenden Lied Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. Hierfür reichte allein der Hinweis darauf nicht aus, dass die Strafkammer selbst die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Norm verneint hat. Vielmehr musste sie die maßgebende Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Begehung der Tat feststellen und würdigen. Dabei war darauf Bedacht zu nehmen, dass der Vorsatz auf der Wissensseite als intellektuelles Element erfordert, dass der Täter sich zurzeit der Handlung des Vorliegens aller Umstände des äußeren Tatbestands bewusst ist.
30
Namentlich bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen braucht der Täter im Übrigen nicht die aus den Gesetzesbegriffen folgende rechtliche Wertung nachzuvollziehen; insofern genügt die Parallelwertung in der Laiensphäre, die voraussetzt, dass der Täter die Tatsachen kennt, die dem normativen Begriff zugrunde liegen, und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 15 Rdn. 9, 14).
31
2. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat das Landgericht zum Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) festgestellt, dass der Angeklagte in den Räumen der "D. Verlags Gesellschaft mbH" zu Verkaufszwecken die CD "Stimme des Volkes 26.03.1999" lagerte. Diese enthielt die Aufnahme einer aus Liedern und Textbeiträgen bestehenden Sendung von "Radio Germania", einem politisch rechtsgerichteten Sender. In zwei Liedern wird unter Anknüpfung an den Sprachgebrauch des Dritten Reiches die Parole der Hitlerjugend "Blut und Ehre" gebraucht. Dem Angeklagten war im Jahre 1999 in einem Gespräch von dem Verantwortlichen des Senders mitgeteilt worden, dass alle Sendungen anwaltlich begutachtet und für unbedenklich gehalten worden seien. Daneben wird von dem Sprecher zu Beginn der Sendung darauf hingewiesen, dass die Sendung "wie immer auch dieses Mal von unseren Rechtsanwälten als strafrecht- lich nicht relevant und ohne Verstöße gegen die Jugendschutzordnung gewertet worden" sei.
32
a) Die Strafkammer hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei angenommen, dass der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist; denn der Angeklagte hielt mit der beschriebenen CD einen Gegenstand zum Zwecke der Verbreitung vorrätig, der ein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 a Abs. 2 Satz 1, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB enthielt.
33
b) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht darauf abgestellt , dem Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, er habe gewusst, dass die Verwendung des Begriffspaares "Blut und Ehre" zweifelsfrei auf die Parole der Hitlerjugend hinweise; es fehle somit an der subjektiven Tatseite. Gehe man stattdessen von einem Verbotsirrtum aus, sei dieser unvermeidbar gewesen. Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
34
aa) Zwar können Fehlvorstellungen oder -bewertungen über normative Tatbestandsmerkmale je nach dem Stand der (Un-)Kenntnis des Täters zu einem den Vorsatz und damit die Strafbarkeit ausschließenden Tatbestandsirrtum (§§ 15, 16 StGB) oder zu einem vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) führen, wobei die sachgerechte Einordnung derartiger Irrtümer unter Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierte Betrachtungen vorzunehmen ist (vgl. BGH NStZ 2006, 214, 217). Insoweit kann das Vertrauen des Täters in juristische Auskünfte sowohl im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes Bedeutung erlangen als auch sich im Bereich der Schuld auf die Strafbarkeit auswirken (vgl. Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81). Durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen wird indes weder tragfähig belegt, dass der An- geklagte ohne Vorsatz handelte, noch dass ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun.
35
bb) Weder die pauschale Auskunft des für den Radiosender Verantwortlichen über eine anwaltliche Begutachtung noch der ebenso substanzlose Hinweis des Sprechers zu Beginn der Sendung enthält einen irgendwie näher fassbaren konkreten Hinweis auf eine Strafnorm oder gar ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal. Die Feststellungen lassen deshalb nicht erkennen, wieso der Angeklagte allein aufgrund dieser Auskünfte nicht zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes wusste und wollte, dass in den betreffenden Liedern mit der Losung "Blut und Ehre" die Parole der Hitlerjugend wiedergegeben wurde. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte aufgrund seines politischen Werdegangs und seiner über viele Jahre ausgeübten beruflichen Tätigkeit mit dem Vokabular politisch rechtsgerichteter Kreise in hohem Maße vertraut war.
36
cc) Auch ein Verbotsirrtum des Angeklagten ist nicht ausreichend belegt. Wenn der Täter einen in seiner Bedeutung zutreffend erkannten Umstand rechtlich unrichtig subsumiert, kann seine Fehlvorstellung zwar als sog. Subsumtionsirrtum im Rahmen der Schuld Bedeutung gewinnen (vgl. Lackner/Kühl, aaO § 15 Rdn. 14). Hierzu lassen die Urteilsgründe jedoch jegliche näheren Ausführungen vermissen. Der - rechtsfehlerhaften - Annahme eines Tatbestandsirrtums wird vielmehr ohne nähere Begründung diejenige eines Verbotsirrtums "nachgeschoben". Da der Täter bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht hat, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHSt 4, 1, 4; 27, 196, 202; BGH NStZ 1996, 236, 237; 338), hier dem Angeklagten aber bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, liegt es zumindest nicht nahe, dass er aufgrund der pauschalen Hinweise über das Unrecht seines Tuns irrte.
37
dd) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht weiter angenommen, ein etwaiger Verbotsirrtum sei unvermeidbar gewesen; hierfür bilden die getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
38
Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGHSt 21, 18, 20). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rdn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet (vgl. BGHSt 40, 257, 264).
39
Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 8).
40
Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan (vgl. BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3). Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 9 a). Auskünfte , die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 17 Rdn. 18) erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten (vgl. BGH NStZ 2000, 307, 309). Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (vgl. Kirch-Heim/Samson, aaO 81, 85).
41
Vor diesem Hintergrund genügen die getroffenen Feststellungen nicht ansatzweise, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu belegen. Dem Angeklagten oblag bereits aufgrund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als der für das Verlagsprogramm verantwortlichen Person eine besondere Erkundigungs- und Prüfungspflicht, an die strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGHSt 37, 55, 66). Dies gilt erst recht im Hinblick auf die sonstigen besonderen Umstände des vorliegenden Falles. So war dem selbst mit den einschlägigen Rechtsfragen vertrauten Angeklagten bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte und die Gefahr der Erfüllung von Straftatbeständen aufgrund des Inhalts der von der "D. Verlags Gesellschaft mbH" angebotenen und vertriebenen CDs nahe lag.
42
Der Angeklagte durfte sich somit allein auf die pauschale mündliche Auskunft eines Dritten über eine anwaltliche Begutachtung ebenso wenig verlassen wie auf die Aussage des Sprechers zu Beginn der Sendung. Beide Hinweise boten keinerlei Gewähr für eine hinreichende inhaltliche Verlässlichkeit; denn sie ließen weder einen Schluss auf den Umfang noch auf die Sorgfältigkeit der rechtlichen Überprüfung zu. Die Auskunft hätte sich zudem inhaltlich darauf richten müssen, dass das beabsichtigte Handeln kein Unrecht ist (vgl. Vogel, aaO § 17 Rdn. 19). Hinsichtlich der Aussage durch den Verantwortlichen des Senders verhalten sich die Urteilsgründe indes noch nicht einmal dazu, ob sich die anwaltliche Begutachtung auf alle oder nur auf einzelne nach dem Strafgesetzbuch in Betracht kommenden Strafvorschriften bezog und auch etwa die einschlägigen Normen des Jugendschutzgesetzes (vgl. §§ 15, 27 JuSchG) umfasste.
43
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 6. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) bezüglich des Liedes "Stinkendes Leben" auf der CD "Das rechte Wort" der Gruppe "Patriot 19/8 & Sleipnir" kann ebenfalls keinen Bestand haben.
44
a) Die in dem Lied angesprochene Gruppe der "Punker" stellt einen Teil der Bevölkerung im Sinne der genannten Vorschrift dar (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, aaO § 130 Rdn. 4; Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 25). Punker sind aufgrund einer etwa in ihrem Lebensstil und äußeren Erscheinungsbild zu Tage tretenden weltanschaulichen Überzeugung, die trotz unterschiedlicher Präferenzen im Einzelnen nach außen genügende Gemeinsamkeiten erkennen lässt, als Personenmehrheit von der übrigen Bevölkerung in ausreichendem Maße abgrenzbar.
45
b) Entgegen der Auffassung der Strafkammer wird in dem genannten Lied die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie beschimpft und böswillig verächtlich gemacht werden. Mit dem Text der Kehrreime "Du bist ein Punk, du bist so krank/ bist so abnorm und nie in Form/ benimmst dich wie das letzte Schwein/ Gefällt es dir, Abschaum zu sein?" und "Die Zeit ist reif für Deutschlands Segen/ Die Zukunft liegt in unserer Hand/ Wir werden sie von den Straßen fegen/ Und frei und sauber sei das Land" sowie weiteren ähnlichen Passagen wird die Missachtung von Punkern in besonders gravierender Form zum Ausdruck gebracht; diese werden im Kern ihrer Persönlichkeit getroffen und verletzt. Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang gemeint hat, nur eine Beeinträchtigung der Ehre feststellen zu können, und zur Begründung ausgeführt hat, die Bezeichnung "Schwein" sei im heutigen Sprachgebrauch üblich und werde teilweise auch in populären Liedern wie "Männer sind Schweine" der Gruppe "Die Ärzte" gebraucht, hat sie in besonderer Weise die sich bei verständiger Würdigung aufdrängende Bedeutung des hier relevanten Textes verkannt. In diesem geht es im Gegensatz zu dem von der Strafkammer als Vergleich bemühten Lied nicht um eine satirische Überspitzung bestimmter menschlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften; vielmehr wird in eindeutiger Weise das Recht von Punkern auf Anerkennung als Persönlichkeiten in der Gemeinschaft besonders gehässig und roh verletzt und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet.
46
c) Mit dem Inhalt des letzten Kehrreims wird daneben auch zu Gewaltund Willkürmaßnahmen gegen Punker aufgefordert, da zumindest konkludent auf andere mit dem Ziel eingewirkt wird, in ihnen den Entschluss zu Gewalttätigkeiten und ähnlichen Handlungen hervorzurufen. Diesem appellativen Charakter des Textes steht nicht entgegen, dass vordergründig die Formulierung "Wir werden sie von der Straße fegen" benutzt wird. Bei sachgerechter Bewertung ergibt sich, dass die Zielrichtung der Aussage nicht dahin geht, eigene Handlungen oder Absichten der Interpreten darzustellen; vielmehr ist die eigentliche Intention erkennbar darauf gerichtet, andere zu animieren, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen zu verüben bzw. sich solchen anzuschließen.
47
d) Soweit die Strafkammer daneben unter Hinweis auf eine Unbedenklichkeitserklärung des Rechtsanwalts N. , deren näherer Inhalt in den Feststellungen nicht mitgeteilt wird, den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, hält dies aus den dargelegten Gründen rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schluss des Landgerichts von dieser nicht näher spezifizierten Auskunft darauf, dass der Angeklagte sich in einer Fehlvorstellung über bestimmte Merkmale des gesetzlichen Tatbestands befand, entbehrt auch hier einer tragfähigen Grundlage.
48
e) Aus denselben Gründen ist die den Ausführungen über einen Tatbestandsirrtum ohne weitere Begründung folgende Annahme eines Verbotsirrtums rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat auch in diesem Fall nicht dargelegt, über welches normative Tatbestandsmerkmal sich der Angeklagte in einer Weise im Irrtum befunden haben soll, die seine Unrechtseinsicht ausschloss.
49
f) Schließlich reichen die Ausführungen des Landgerichts nicht aus, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu begründen. Allein das Vertrauen in eine inhaltlich nicht näher konkretisierte anwaltliche Auskunft kann bei sachgerechter Bewertung der sonstigen Umstände des vorliegenden Falles bei Anwendung der dargelegten Maßstäbe nicht zu der Annahme führen, der Angeklagte habe seine eventuelle Fehlvorstellung nicht durch die genügende Anspannung seines Gewissens vermeiden können.
50
4. Der Freispruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Bunthaarige Schweine" auf der CD "Totgesagte leben länger" der Gruppe "Doitsche Patrioten" begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
51
a) Der Text des Liedes richtet sich wie im Fall zuvor bei verständiger Auslegung gegen Punker und damit gegen einen genügend abgrenzbaren Teil der Bevölkerung. Dem steht nicht entgegen, dass die Punker hier nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sind; denn eine derartige namentliche Benennung ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn sich aus dem Inhalt der Schrift ausreichend deutlich ergibt, welcher bestimmte Bevölkerungsteil Ziel des Angriffs ist. Dies ist hier der Fall. In dem Text des Liedes werden mehrere typische Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen genannt, die Punkern zuzuordnen sind und deren Erscheinungsbild bestimmen. Dies lässt den zweifelsfreien Schluss darauf zu, dass hier die betreffende Personenmehrheit als Angriffsobjekt umschrieben ist.
52
b) Mit Formulierungen wie "Hallo du kleines Arschgesicht/ Ich find dich einfach widerlich/ Wie oft willst du denn noch erwachen/ Bestell dir lieber gleich nen Sarg", "Bunthaarige Schweine/ Dreckig eklig und verkeimt/ Ziehst du hier nicht gleich Leine/ Nutz ich die Gunst der Zeit" oder "Vielleicht hast du es nicht ganz geschnallt/ Verpiss dich bevor es knallt" wird sowohl die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie böswillig verächtlich gemacht werden, als auch zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie aufgefordert.
53
c) Soweit die Strafkammer den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, weil er gewusst habe, dass zu der CD ein Gutachten der Rechtsanwältin P. existiere, das zu dem Ergebnis gekommen sei, die Texte seien strafrechtlich unbedenklich, hält dies aus den bereits ausgeführten Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch in diesem Fall wird der Inhalt des Gutachtens in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; danach kannte der Angeklagte nur dessen pauschales Ergebnis. Somit wird die Folgerung der Strafkammer, er habe sich über einzelne Tatbestandsmerkmale im Irrtum befunden, von den Feststellungen nicht getragen.
54
d) Entsprechendes gilt für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Dessen Voraussetzungen sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Auch insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Darüber hinaus wäre hier in die rechtliche Bewertung die Kenntnis des Angeklagten davon einzubeziehen gewesen, dass in zumindest einem früheren Fall (Fall II. 2. der Urteilsgründe ) trotz eines Gutachtens von Rechtsanwältin P. , welches zu dem Ergebnis gekommen war, die auf der CD befindlichen und von ihr geprüften Texte seien erlaubt, die CD im Nachhinein bezüglich dreier Lieder durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde, was zu einer Neuauflage führte, in der die beanstandeten Lieder durch andere ersetzt wurden. Der Angeklagte hatte somit begründeten Anlass, an der Verlässlichkeit der Auskunft zu zweifeln und durfte auch aus diesem Grunde nicht ohne Weiteres auf das pauschale Ergebnis der entsprechenden Begutachtung vertrauen.
55
5. Soweit die Strafkammer im Fall II. 8. der Urteilsgründe den Angeklagten vom Vorwurf des Verbreitens von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) freigesprochen hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Prüfung schließlich ebenfalls nicht stand.
56
a) Das Landgericht hat zunächst den objektiven Tatbestand der Vorschrift mit rechtsfehlerfreien Erwägungen bejaht. Dabei hat es zutreffend ausgeführt , den Texten der Lieder "Doitschland" und "Unter dem Krakenkreuz" sei bei einer Auslegung aus verständiger Sicht zu entnehmen, dass der Ausdruck "Krakenkreuz" als Synonym für "Hakenkreuz" gebraucht und damit eindeutig an nationalsozialistische Zielsetzungen angeknüpft werde.
57
b) Das Landgericht hat jedoch die - bereits als solche nicht nahe liegende - Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, er habe die CD als "reine Spaß-CD" bewertet, mit der ein besonderer Typ Skinheads satirisch habe dargestellt werden sollen, für nicht widerlegt angesehen und deshalb den Vorsatz des Angeklagten verneint. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite geht von einem unzutreffenden Verständnis der Liedtexte aus und erweist sich als lücken- und damit sachlichrechtlich fehlerhaft.
58
aa) Die Interpretation des Textes der einzelnen Lieder durch das Landgericht begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit es verschiedene Passagen als geeignet angesehen hat, Zweifel aufkommen zu lassen, ob mit den Liedtexten politische Ziele verfolgt werden sollten. Hierfür hat es etwa die Textstelle "Doitschland ich lieb dich so/ das ist keine Banane und keine Schokolade/ ich vermisse meine Heimat und das finde ich sehr schade" benannt. Insoweit hätte sich die Strafkammer jedenfalls mit der nahe liegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass die Begriffe "Banane" und "Schokolade" in der rechtsextremen Szene als Synonyme für Menschen mit dunkler Hautfarbe und südländischer Herkunft gebraucht werden. In diesem Zusammenhang wäre zu würdigen gewesen, dass der Angeklagte mit der politisch rechtsgerichteten Terminologie in besonderer Weise vertraut war, was nahe legt, dass ihm der Gehalt der dargestellten Textpassage in Form einer rassistischen Ausrichtung der Texte ohne Weiteres klar war.
59
bb) Das Landgericht hat sich daneben nicht erkennbar damit auseinandergesetzt , dass - für den Angeklagten nach den Umständen ebenfalls augen- fällig - durch das Propagieren des "Marschierens unter dem Krakenkreuz" zur Machtübernahme als Entsprechung zum Marschieren der vormaligen NSDAP unter dem Hakenkreuz mit dem Ziel der Machtergreifung in besonderer Weise an die nationalsozialistische Terminologie und Ideologie angeknüpft wird. Den Urteilsgründen ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Angeklagte den objektiven Bedeutungsgehalt dieser eindeutigen Passage nicht erkannte und damit nicht einverstanden war. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 394/07
vom
3. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Volksverhetzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. Februar 2008 in der Sitzung am 3. April 2008, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 21. Februar 2008 -
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor in der Verhandlung vom 21. Februar 2008,
Justizangestellte in der Sitzung vom 3. April 2008
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2007 in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte , der seit seinem 14. Lebensjahr in politisch rechtsgerichteten Organisationen und Parteien aktiv und seit dem Jahre 1998 Mitglied des Bundesvorstands der NPD ist, im Jahre 1993 mit dem Handel von CDs unter dem Namen "P. Liste" selbstständig. Seit dem Jahre 1996 bestritt er seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit dieser Tätigkeit. Im Januar 1998 brachte er sein Unternehmen in die der NPD nahestehende "D. Verlags Gesellschaft mbH" ein. Dort war er zunächst als Produktionsleiter angestellt und für alle Artikel verantwortlich, die der Verlag vertrieb; seit dem Jahre 2004 ist er einer von zwei Geschäftsführern. Der Angeklagte hatte bei der Auswahl der CDs freie Hand und trug die Verantwortung für die rechtliche Seite der Produktionen. Dabei war ihm klar, dass sich die von dem Verlag unter seiner Leitung vertriebenen Liedtexte teilweise am Rande der Legalität bewegten. Anlässlich einer Durchsuchung der Räumlichkeiten der "D. Verlags Gesellschaft mbH" im März 2003 wurden insgesamt 250 verschiedene CDs sichergestellt; ihr Inhalt wurde in der Folgezeit überprüft.
2
Hinsichtlich acht dieser CDs hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Sie hat dem Angeklagten vorgeworfen, er habe sich der Volksverhetzung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Gewaltdarstellung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sowie des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen schuldig gemacht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Es hat dies damit begründet, dass teilweise schon die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der jeweils in Betracht kommenden Strafvorschriften nicht gegeben seien ; teilweise hat es angenommen, der Angeklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt bzw. sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.
4
Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt - mit Ausnahme des Falles II. 5. der Urteilsgründe - vertretene Rechtsmittel hat einen Teilerfolg.
5
II. Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten in den Fällen II. 1., 2. und 5. der Urteilsgründe wendet.
6
1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat das Landgericht ohne Rechtsfehler den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) verneint; denn der Text des Liedes "Geh uns aus dem Weg" auf der CD "Eiserne Jugend" der Gruppe "Foierstoss" wendet sich nicht gegen ein Angriffsobjekt im Sinne der genannten Vorschrift.
7
Die Norm setzt voraus, dass sich der Inhalt einer Schrift, der nach § 11 Abs. 3 StGB CDs gleich stehen, gegen einen Teil der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe richtet. Unter einem - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden - Teil der Bevölkerung ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 130 Rdn. 4). Dass es sich bei den mit den Bezeichnungen "Linke und Antifa-Brut" sowie "Rote Flut" angesprochenen Personenkreisen nicht um abgrenzbare Bevölkerungsgruppen in diesem Sinne handelt , hat das Landgericht mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Interpretation des Liedtextes dargelegt.
8
a) Die Auslegung des Inhalts einer Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat sich wegen des Charakters der Vorschrift als Verbreitungsdelikt an seinem objektiven Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert zu orientieren, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser oder -hörer aufgefasst werden. Ob die Schrift die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, muss sich demnach in erster Linie aus ihr selbst ergeben. Umstände, die in der Schrift selbst keinen Niederschlag gefunden haben, bleiben grundsätzlich außer Betracht. Insbesondere subjektive Zielsetzungen, Mo- tive, Absichten, Vorstellungen oder Neigungen des Täters müssen zumindest "zwischen den Zeilen" erkennbar sein (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm StGB § 130 Rdn. 57). Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG NJW 1994, 2943).
9
b) Bei einer diesen Maßstäben entsprechenden Auslegung des Inhalts der CD ergibt sich, dass kein ausreichend eingrenzbarer Bevölkerungsteil angegriffen wird.
10
Zwar kann grundsätzlich auch eine politische Gruppierung taugliches Ziel eines Angriffs im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB sein (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rdn. 9). Bei nicht näher spezifizierten Sammelbegriffen wie "Rote" oder "Linke" ist der bezeichnete Personenkreis jedoch so groß und unüberschaubar und umfasst derart zahlreiche, sich teilweise deutlich unterscheidende politische Richtungen und Einstellungen, dass seine Abgrenzung auf Grund bestimmter Merkmale von der Gesamtbevölkerung nicht möglich ist (vgl. BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 1).
11
Ähnliches gilt im Ergebnis für die Bezeichnung "Antifa-Brut". Der Begriff "Antifa" bezeichnet nach allgemeinem Verständnis je nach Zusammenhang linke , linksradikale und/oder autonome Gruppierungen oder Organisationen, die sich das Ziel gesetzt haben, Nationalismus oder Rassismus zu bekämpfen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein auch nur annähernd homogenes Gebilde. Vielmehr ist die Ablehnung von Faschismus, Rassismus und Nationalismus häufig nur der kleinste gemeinsame Nenner, der zwischen den unter- schiedlichen Gruppierungen konsensfähig ist. Treffen sich indes ansonsten politisch -ideologisch ganz unterschiedlich geprägte Personengruppen lediglich in einem gemeinsamen Ziel, so reicht allein dies grundsätzlich nicht aus, um sie als abgrenzbaren Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 und 2 StGB ansehen zu können; denn die Personenmehrheit ist in diesen Fällen nicht in einem Maße durch gemeinsame individuelle Merkmale geprägt, das sie nach außen als Einheit erscheinen lässt und eine hinreichend sichere Unterscheidung von der übrigen Bevölkerung ermöglicht.
12
Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis; denn auch dem Kontext, etwa dem Inhalt der übrigen Lieder der CD, sind bei sachgerechter Interpretation keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die zu einer hinreichenden Eingrenzbarkeit des angegriffenen Personenkreises führen könnten.
13
2. Auch im Fall II. 2. der Urteilsgründe ist der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) in Tateinheit mit Gewaltdarstellung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB) bezüglich der Texte der Lieder auf der CD "Spirit of 88/White Power Skinheads" der Band "Spreegeschwader" im Ergebnis nicht zu beanstanden.
14
a) Hinsichtlich des Liedes "Ignoranten" liegen - entgegen der Ansicht des Landgerichts, das zur Begründung des Freispruchs auf einen Tatbestandsbzw. unvermeidbaren Verbotsirrtum des Angeklagten abgestellt hat - bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der Norm nicht vor; denn es fehlt an der in allen Alternativen der Vorschrift vorausgesetzten besonderen Intensität des Angriffs.
15
aa) Mit dem Text des genannten Liedes wird zunächst nicht zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung oder eine im Gesetz näher bezeichnete Gruppe von Personen aufgestachelt. Hierunter ist ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. BGHSt 40, 97, 102; 46, 212, 217). Der Liedtext enthält zwar abfällige Äußerungen über Türken, Albaner und Russen, denen vor allem die Beherrschung der Schulen und die Begehung bestimmter Arten von Straftaten vorgeworfen wird. Wenn auch Hetze, die sich gegen Ausländer richtet, bei entsprechendem Gewicht regelmäßig tatbestandsrelevant sein kann (vgl. Miebach /Schäfer, aaO § 130 Rdn. 32), so ist hier jedoch die erforderliche besonders intensive Form der Einwirkung (vgl. BGHSt 21, 371, 372) auch unter Beachtung des zu berücksichtigenden Kontextes nicht gegeben.
16
bb) Daneben wird auch nicht zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen die genannten Angriffsobjekte aufgefordert. Dies setzt ein über das bloße Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel voraus, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 130 Rdn. 5 b; von Bubnoff, aaO § 130 Rdn. 19). Hierunter fallen etwa Gewalttätigkeiten im Sinne des § 125 StGB, Freiheitsberaubungen, gewaltsame Vertreibungen, Pogrome, die Veranstaltung von Hetzjagden gegen Ausländer und sonstige im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art (vgl. Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 35). Ein derartiger Appellcharakter ist dem Text des genannten Liedes nicht zu entnehmen.
17
cc) Schließlich wird auch nicht die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen , dass eines der genannten Angriffsobjekte beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet wird. Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung (vgl. BGHSt 46, 212, 216). Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen , durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird (vgl. BGHSt 3, 346, 348). Verleumden erfordert das wider besseres Wissen aufgestellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen (vgl. Fischer, aaO § 130 Rdn. 11). Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (vgl. BVerfG NJW 2001, 61, 63). Ein noch weiter gehender Angriff etwa auf das biologische Lebensrecht an sich ist nicht erforderlich (vgl. BayObLG NStZ 1994, 588, 589). Auch insoweit kommen grundsätzlich entsprechend intensive ausländerfeindliche Parolen in Betracht (vgl. die Beispiele bei Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 44 m. w. N.).
18
Derart besonders qualifizierte Beeinträchtigungen, die durch ein gesteigertes Maß an Gehässigkeit und Rohheit gekennzeichnet sein müssen, und durch die die Angehörigen des betreffenden Bevölkerungsteils oder der betreffenden Gruppe in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft verletzt werden und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet wird (vgl. BGHSt 36, 83, 90), liegen hier indes nicht vor. Der Gehalt des Textes zielt vielmehr in erster Linie auf das Anprangern eines von den Interpreten postulierten Unverständnisses gegenüber dem vermeintlich legitimen Anliegen ausländerfeindlicher Bevölkerungskreise und eine - wenn auch durchaus massive - Kundgabe der Missbilligung bestimmter behaupteter Zustände.
19
b) Bezüglich des Liedes "Mörder in der Nacht" hat das Landgericht die Verwirklichung des objektiven Tatbestands von § 131 StGB ohne Rechtsfehler verneint, da dem Text keine eindeutig gewaltverherrlichende Aussage zu entnehmen ist.
20
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 5. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 Abs. 1 und 2 StGB) ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
21
Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand des § 166 StGB rechtsfehlerfrei mit der Begründung verneint, es fehle an einer ausreichenden Tathandlung , weil dem Angeklagten nicht nachzuweisen gewesen sei, dass er die CD "Der Untermensch" der Gruppe "Camulos" - deren Texte in mehreren Liedern allerdings die inhaltlichen Voraussetzungen des § 166 StGB erfüllen - tatsächlich verbreitet, das heißt, sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht (vgl. BGH NJW 1999, 1979, 1980 zu § 184 StGB m. w. N.) habe. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass im Lager des Verlags eine CD aufbewahrt wurde. Das bloße Vorrätighalten einer Schrift ist gemäß § 166 StGB indes ebenso wenig mit Strafe bedroht wie der Versuch des Verbreitens (§ 166 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 2, § 12 Abs. 1 und 2 StGB).
22
Soweit das Landgericht im Übrigen in Bezug auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Volksverhetzung den Vorsatz des Angeklagten nicht festzustellen vermocht hat, begegnet dies aus den vom Generalbundesanwalt in seiner An- tragsschrift zutreffend dargelegten Gründen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
23
III. Demgegenüber hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe nicht stand.
24
1. Bei dem Freispruch des Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Rote raus" auf der CD "Herz des Reiches" der Gruppe "Panzerfaust" hat das Landgericht weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand der Vorschrift mit einer rechtlich tragfähigen Begründung ausgeschlossen.
25
a) Entgegen der Meinung der Strafkammer wird mit dem in dem Lied verwendeten Ausdruck "Kommunisten" ein Teil der Bevölkerung im Sinne des Tatbestandes der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB bezeichnet. Im Gegensatz zu der "Antifa"-Bewegung, in der weltanschaulich unterschiedlich geprägte Gruppierungen lediglich durch ein gemeinsames Ziel vereint sind, verbindet Kommunisten - bei durchaus unterschiedlicher Ausrichtung in Einzelfragen - eine gemeinsame weltanschauliche, politisch-ideologische Grundüberzeugung. Diese gibt der Personenmehrheit ein insgesamt gemeinschaftliches Gepräge, das sie - trotz im Randbereich vorhandener Berührungspunkte und Überschneidungen mit sonstigen, insbesondere politisch linksgerichteten Gruppierungen - in ausreichender Weise von der übrigen Bevölkerung unterscheidbar macht.
26
b) Der Text des Liedes enthält einen Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der darin liegt, dass die Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. In ihm heißt es auszugsweise: "Blöder als die Polizei erlaubt/ Dreckiger als das dreckigste Schwein/ Du stinkst mehr als ein Hundehaufen/ Dein Gehirn ist erbsenklein/ Du bist ein Kommunist und deine Ideen gehören auf den Mist/ Nie wieder werdet ihr unser Volk zerspalten/ Unser Heimat vergewaltigen". Der Refrain lautet: "Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Das ist unsre Heimat, hier sind wir zu haus/ Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Ihr lächerlichen Kasper, wir lachen euch bloß aus". Bei sachgerechter Auslegung werden hierdurch in eindeutiger Weise Kommunisten nicht nur in einzelnen Persönlichkeitsrechten wie ihrer Ehre getroffen, sondern darüber hinausgehend in besonders gehässiger und roher Weise sozial abgewertet und im Kern ihrer Persönlichkeit verletzt.
27
c) Soweit das Landgericht ausgeführt hat, eine Strafbarkeit des Angeklagten scheide daneben jedenfalls aus subjektiven Gründen aus, da ihm "als Laien" kein Vorsatz nachgewiesen werden könne, wenn selbst die Strafkammer den Text für rechtlich noch vertretbar erachte, hat es die Voraussetzungen vorsätzlichen Handelns verkannt.
28
aa) Das Landgericht hätte, wollte es den Vorsatz des Angeklagten verneinen , aufgrund der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen darlegen müssen, was der Angeklagte im Einzelnen nicht in sein Wissen und Wollen aufgenommen hat. Da im Rahmen des § 130 StGB bedingter Vorsatz ausreicht, kommt es darauf an, ob der Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt (vgl. Fischer, aaO § 15 Rdn. 9 ff.).
29
bb) Dem Landgericht oblag es deshalb, unter Anlegung dieser Maßstäbe zu prüfen, ob der Angeklagte zumindest bedingt vorsätzlich davon ausging, dass in dem betreffenden Lied Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. Hierfür reichte allein der Hinweis darauf nicht aus, dass die Strafkammer selbst die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Norm verneint hat. Vielmehr musste sie die maßgebende Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Begehung der Tat feststellen und würdigen. Dabei war darauf Bedacht zu nehmen, dass der Vorsatz auf der Wissensseite als intellektuelles Element erfordert, dass der Täter sich zurzeit der Handlung des Vorliegens aller Umstände des äußeren Tatbestands bewusst ist.
30
Namentlich bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen braucht der Täter im Übrigen nicht die aus den Gesetzesbegriffen folgende rechtliche Wertung nachzuvollziehen; insofern genügt die Parallelwertung in der Laiensphäre, die voraussetzt, dass der Täter die Tatsachen kennt, die dem normativen Begriff zugrunde liegen, und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 15 Rdn. 9, 14).
31
2. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat das Landgericht zum Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) festgestellt, dass der Angeklagte in den Räumen der "D. Verlags Gesellschaft mbH" zu Verkaufszwecken die CD "Stimme des Volkes 26.03.1999" lagerte. Diese enthielt die Aufnahme einer aus Liedern und Textbeiträgen bestehenden Sendung von "Radio Germania", einem politisch rechtsgerichteten Sender. In zwei Liedern wird unter Anknüpfung an den Sprachgebrauch des Dritten Reiches die Parole der Hitlerjugend "Blut und Ehre" gebraucht. Dem Angeklagten war im Jahre 1999 in einem Gespräch von dem Verantwortlichen des Senders mitgeteilt worden, dass alle Sendungen anwaltlich begutachtet und für unbedenklich gehalten worden seien. Daneben wird von dem Sprecher zu Beginn der Sendung darauf hingewiesen, dass die Sendung "wie immer auch dieses Mal von unseren Rechtsanwälten als strafrecht- lich nicht relevant und ohne Verstöße gegen die Jugendschutzordnung gewertet worden" sei.
32
a) Die Strafkammer hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei angenommen, dass der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist; denn der Angeklagte hielt mit der beschriebenen CD einen Gegenstand zum Zwecke der Verbreitung vorrätig, der ein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 a Abs. 2 Satz 1, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB enthielt.
33
b) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht darauf abgestellt , dem Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, er habe gewusst, dass die Verwendung des Begriffspaares "Blut und Ehre" zweifelsfrei auf die Parole der Hitlerjugend hinweise; es fehle somit an der subjektiven Tatseite. Gehe man stattdessen von einem Verbotsirrtum aus, sei dieser unvermeidbar gewesen. Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
34
aa) Zwar können Fehlvorstellungen oder -bewertungen über normative Tatbestandsmerkmale je nach dem Stand der (Un-)Kenntnis des Täters zu einem den Vorsatz und damit die Strafbarkeit ausschließenden Tatbestandsirrtum (§§ 15, 16 StGB) oder zu einem vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) führen, wobei die sachgerechte Einordnung derartiger Irrtümer unter Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierte Betrachtungen vorzunehmen ist (vgl. BGH NStZ 2006, 214, 217). Insoweit kann das Vertrauen des Täters in juristische Auskünfte sowohl im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes Bedeutung erlangen als auch sich im Bereich der Schuld auf die Strafbarkeit auswirken (vgl. Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81). Durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen wird indes weder tragfähig belegt, dass der An- geklagte ohne Vorsatz handelte, noch dass ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun.
35
bb) Weder die pauschale Auskunft des für den Radiosender Verantwortlichen über eine anwaltliche Begutachtung noch der ebenso substanzlose Hinweis des Sprechers zu Beginn der Sendung enthält einen irgendwie näher fassbaren konkreten Hinweis auf eine Strafnorm oder gar ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal. Die Feststellungen lassen deshalb nicht erkennen, wieso der Angeklagte allein aufgrund dieser Auskünfte nicht zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes wusste und wollte, dass in den betreffenden Liedern mit der Losung "Blut und Ehre" die Parole der Hitlerjugend wiedergegeben wurde. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte aufgrund seines politischen Werdegangs und seiner über viele Jahre ausgeübten beruflichen Tätigkeit mit dem Vokabular politisch rechtsgerichteter Kreise in hohem Maße vertraut war.
36
cc) Auch ein Verbotsirrtum des Angeklagten ist nicht ausreichend belegt. Wenn der Täter einen in seiner Bedeutung zutreffend erkannten Umstand rechtlich unrichtig subsumiert, kann seine Fehlvorstellung zwar als sog. Subsumtionsirrtum im Rahmen der Schuld Bedeutung gewinnen (vgl. Lackner/Kühl, aaO § 15 Rdn. 14). Hierzu lassen die Urteilsgründe jedoch jegliche näheren Ausführungen vermissen. Der - rechtsfehlerhaften - Annahme eines Tatbestandsirrtums wird vielmehr ohne nähere Begründung diejenige eines Verbotsirrtums "nachgeschoben". Da der Täter bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht hat, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHSt 4, 1, 4; 27, 196, 202; BGH NStZ 1996, 236, 237; 338), hier dem Angeklagten aber bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, liegt es zumindest nicht nahe, dass er aufgrund der pauschalen Hinweise über das Unrecht seines Tuns irrte.
37
dd) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht weiter angenommen, ein etwaiger Verbotsirrtum sei unvermeidbar gewesen; hierfür bilden die getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
38
Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGHSt 21, 18, 20). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rdn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet (vgl. BGHSt 40, 257, 264).
39
Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 8).
40
Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan (vgl. BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3). Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 9 a). Auskünfte , die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 17 Rdn. 18) erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten (vgl. BGH NStZ 2000, 307, 309). Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (vgl. Kirch-Heim/Samson, aaO 81, 85).
41
Vor diesem Hintergrund genügen die getroffenen Feststellungen nicht ansatzweise, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu belegen. Dem Angeklagten oblag bereits aufgrund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als der für das Verlagsprogramm verantwortlichen Person eine besondere Erkundigungs- und Prüfungspflicht, an die strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGHSt 37, 55, 66). Dies gilt erst recht im Hinblick auf die sonstigen besonderen Umstände des vorliegenden Falles. So war dem selbst mit den einschlägigen Rechtsfragen vertrauten Angeklagten bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte und die Gefahr der Erfüllung von Straftatbeständen aufgrund des Inhalts der von der "D. Verlags Gesellschaft mbH" angebotenen und vertriebenen CDs nahe lag.
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Der Angeklagte durfte sich somit allein auf die pauschale mündliche Auskunft eines Dritten über eine anwaltliche Begutachtung ebenso wenig verlassen wie auf die Aussage des Sprechers zu Beginn der Sendung. Beide Hinweise boten keinerlei Gewähr für eine hinreichende inhaltliche Verlässlichkeit; denn sie ließen weder einen Schluss auf den Umfang noch auf die Sorgfältigkeit der rechtlichen Überprüfung zu. Die Auskunft hätte sich zudem inhaltlich darauf richten müssen, dass das beabsichtigte Handeln kein Unrecht ist (vgl. Vogel, aaO § 17 Rdn. 19). Hinsichtlich der Aussage durch den Verantwortlichen des Senders verhalten sich die Urteilsgründe indes noch nicht einmal dazu, ob sich die anwaltliche Begutachtung auf alle oder nur auf einzelne nach dem Strafgesetzbuch in Betracht kommenden Strafvorschriften bezog und auch etwa die einschlägigen Normen des Jugendschutzgesetzes (vgl. §§ 15, 27 JuSchG) umfasste.
43
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 6. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) bezüglich des Liedes "Stinkendes Leben" auf der CD "Das rechte Wort" der Gruppe "Patriot 19/8 & Sleipnir" kann ebenfalls keinen Bestand haben.
44
a) Die in dem Lied angesprochene Gruppe der "Punker" stellt einen Teil der Bevölkerung im Sinne der genannten Vorschrift dar (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, aaO § 130 Rdn. 4; Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 25). Punker sind aufgrund einer etwa in ihrem Lebensstil und äußeren Erscheinungsbild zu Tage tretenden weltanschaulichen Überzeugung, die trotz unterschiedlicher Präferenzen im Einzelnen nach außen genügende Gemeinsamkeiten erkennen lässt, als Personenmehrheit von der übrigen Bevölkerung in ausreichendem Maße abgrenzbar.
45
b) Entgegen der Auffassung der Strafkammer wird in dem genannten Lied die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie beschimpft und böswillig verächtlich gemacht werden. Mit dem Text der Kehrreime "Du bist ein Punk, du bist so krank/ bist so abnorm und nie in Form/ benimmst dich wie das letzte Schwein/ Gefällt es dir, Abschaum zu sein?" und "Die Zeit ist reif für Deutschlands Segen/ Die Zukunft liegt in unserer Hand/ Wir werden sie von den Straßen fegen/ Und frei und sauber sei das Land" sowie weiteren ähnlichen Passagen wird die Missachtung von Punkern in besonders gravierender Form zum Ausdruck gebracht; diese werden im Kern ihrer Persönlichkeit getroffen und verletzt. Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang gemeint hat, nur eine Beeinträchtigung der Ehre feststellen zu können, und zur Begründung ausgeführt hat, die Bezeichnung "Schwein" sei im heutigen Sprachgebrauch üblich und werde teilweise auch in populären Liedern wie "Männer sind Schweine" der Gruppe "Die Ärzte" gebraucht, hat sie in besonderer Weise die sich bei verständiger Würdigung aufdrängende Bedeutung des hier relevanten Textes verkannt. In diesem geht es im Gegensatz zu dem von der Strafkammer als Vergleich bemühten Lied nicht um eine satirische Überspitzung bestimmter menschlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften; vielmehr wird in eindeutiger Weise das Recht von Punkern auf Anerkennung als Persönlichkeiten in der Gemeinschaft besonders gehässig und roh verletzt und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet.
46
c) Mit dem Inhalt des letzten Kehrreims wird daneben auch zu Gewaltund Willkürmaßnahmen gegen Punker aufgefordert, da zumindest konkludent auf andere mit dem Ziel eingewirkt wird, in ihnen den Entschluss zu Gewalttätigkeiten und ähnlichen Handlungen hervorzurufen. Diesem appellativen Charakter des Textes steht nicht entgegen, dass vordergründig die Formulierung "Wir werden sie von der Straße fegen" benutzt wird. Bei sachgerechter Bewertung ergibt sich, dass die Zielrichtung der Aussage nicht dahin geht, eigene Handlungen oder Absichten der Interpreten darzustellen; vielmehr ist die eigentliche Intention erkennbar darauf gerichtet, andere zu animieren, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen zu verüben bzw. sich solchen anzuschließen.
47
d) Soweit die Strafkammer daneben unter Hinweis auf eine Unbedenklichkeitserklärung des Rechtsanwalts N. , deren näherer Inhalt in den Feststellungen nicht mitgeteilt wird, den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, hält dies aus den dargelegten Gründen rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schluss des Landgerichts von dieser nicht näher spezifizierten Auskunft darauf, dass der Angeklagte sich in einer Fehlvorstellung über bestimmte Merkmale des gesetzlichen Tatbestands befand, entbehrt auch hier einer tragfähigen Grundlage.
48
e) Aus denselben Gründen ist die den Ausführungen über einen Tatbestandsirrtum ohne weitere Begründung folgende Annahme eines Verbotsirrtums rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat auch in diesem Fall nicht dargelegt, über welches normative Tatbestandsmerkmal sich der Angeklagte in einer Weise im Irrtum befunden haben soll, die seine Unrechtseinsicht ausschloss.
49
f) Schließlich reichen die Ausführungen des Landgerichts nicht aus, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu begründen. Allein das Vertrauen in eine inhaltlich nicht näher konkretisierte anwaltliche Auskunft kann bei sachgerechter Bewertung der sonstigen Umstände des vorliegenden Falles bei Anwendung der dargelegten Maßstäbe nicht zu der Annahme führen, der Angeklagte habe seine eventuelle Fehlvorstellung nicht durch die genügende Anspannung seines Gewissens vermeiden können.
50
4. Der Freispruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Bunthaarige Schweine" auf der CD "Totgesagte leben länger" der Gruppe "Doitsche Patrioten" begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
51
a) Der Text des Liedes richtet sich wie im Fall zuvor bei verständiger Auslegung gegen Punker und damit gegen einen genügend abgrenzbaren Teil der Bevölkerung. Dem steht nicht entgegen, dass die Punker hier nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sind; denn eine derartige namentliche Benennung ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn sich aus dem Inhalt der Schrift ausreichend deutlich ergibt, welcher bestimmte Bevölkerungsteil Ziel des Angriffs ist. Dies ist hier der Fall. In dem Text des Liedes werden mehrere typische Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen genannt, die Punkern zuzuordnen sind und deren Erscheinungsbild bestimmen. Dies lässt den zweifelsfreien Schluss darauf zu, dass hier die betreffende Personenmehrheit als Angriffsobjekt umschrieben ist.
52
b) Mit Formulierungen wie "Hallo du kleines Arschgesicht/ Ich find dich einfach widerlich/ Wie oft willst du denn noch erwachen/ Bestell dir lieber gleich nen Sarg", "Bunthaarige Schweine/ Dreckig eklig und verkeimt/ Ziehst du hier nicht gleich Leine/ Nutz ich die Gunst der Zeit" oder "Vielleicht hast du es nicht ganz geschnallt/ Verpiss dich bevor es knallt" wird sowohl die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie böswillig verächtlich gemacht werden, als auch zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie aufgefordert.
53
c) Soweit die Strafkammer den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, weil er gewusst habe, dass zu der CD ein Gutachten der Rechtsanwältin P. existiere, das zu dem Ergebnis gekommen sei, die Texte seien strafrechtlich unbedenklich, hält dies aus den bereits ausgeführten Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch in diesem Fall wird der Inhalt des Gutachtens in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; danach kannte der Angeklagte nur dessen pauschales Ergebnis. Somit wird die Folgerung der Strafkammer, er habe sich über einzelne Tatbestandsmerkmale im Irrtum befunden, von den Feststellungen nicht getragen.
54
d) Entsprechendes gilt für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Dessen Voraussetzungen sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Auch insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Darüber hinaus wäre hier in die rechtliche Bewertung die Kenntnis des Angeklagten davon einzubeziehen gewesen, dass in zumindest einem früheren Fall (Fall II. 2. der Urteilsgründe ) trotz eines Gutachtens von Rechtsanwältin P. , welches zu dem Ergebnis gekommen war, die auf der CD befindlichen und von ihr geprüften Texte seien erlaubt, die CD im Nachhinein bezüglich dreier Lieder durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde, was zu einer Neuauflage führte, in der die beanstandeten Lieder durch andere ersetzt wurden. Der Angeklagte hatte somit begründeten Anlass, an der Verlässlichkeit der Auskunft zu zweifeln und durfte auch aus diesem Grunde nicht ohne Weiteres auf das pauschale Ergebnis der entsprechenden Begutachtung vertrauen.
55
5. Soweit die Strafkammer im Fall II. 8. der Urteilsgründe den Angeklagten vom Vorwurf des Verbreitens von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) freigesprochen hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Prüfung schließlich ebenfalls nicht stand.
56
a) Das Landgericht hat zunächst den objektiven Tatbestand der Vorschrift mit rechtsfehlerfreien Erwägungen bejaht. Dabei hat es zutreffend ausgeführt , den Texten der Lieder "Doitschland" und "Unter dem Krakenkreuz" sei bei einer Auslegung aus verständiger Sicht zu entnehmen, dass der Ausdruck "Krakenkreuz" als Synonym für "Hakenkreuz" gebraucht und damit eindeutig an nationalsozialistische Zielsetzungen angeknüpft werde.
57
b) Das Landgericht hat jedoch die - bereits als solche nicht nahe liegende - Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, er habe die CD als "reine Spaß-CD" bewertet, mit der ein besonderer Typ Skinheads satirisch habe dargestellt werden sollen, für nicht widerlegt angesehen und deshalb den Vorsatz des Angeklagten verneint. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite geht von einem unzutreffenden Verständnis der Liedtexte aus und erweist sich als lücken- und damit sachlichrechtlich fehlerhaft.
58
aa) Die Interpretation des Textes der einzelnen Lieder durch das Landgericht begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit es verschiedene Passagen als geeignet angesehen hat, Zweifel aufkommen zu lassen, ob mit den Liedtexten politische Ziele verfolgt werden sollten. Hierfür hat es etwa die Textstelle "Doitschland ich lieb dich so/ das ist keine Banane und keine Schokolade/ ich vermisse meine Heimat und das finde ich sehr schade" benannt. Insoweit hätte sich die Strafkammer jedenfalls mit der nahe liegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass die Begriffe "Banane" und "Schokolade" in der rechtsextremen Szene als Synonyme für Menschen mit dunkler Hautfarbe und südländischer Herkunft gebraucht werden. In diesem Zusammenhang wäre zu würdigen gewesen, dass der Angeklagte mit der politisch rechtsgerichteten Terminologie in besonderer Weise vertraut war, was nahe legt, dass ihm der Gehalt der dargestellten Textpassage in Form einer rassistischen Ausrichtung der Texte ohne Weiteres klar war.
59
bb) Das Landgericht hat sich daneben nicht erkennbar damit auseinandergesetzt , dass - für den Angeklagten nach den Umständen ebenfalls augen- fällig - durch das Propagieren des "Marschierens unter dem Krakenkreuz" zur Machtübernahme als Entsprechung zum Marschieren der vormaligen NSDAP unter dem Hakenkreuz mit dem Ziel der Machtergreifung in besonderer Weise an die nationalsozialistische Terminologie und Ideologie angeknüpft wird. Den Urteilsgründen ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Angeklagte den objektiven Bedeutungsgehalt dieser eindeutigen Passage nicht erkannte und damit nicht einverstanden war. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.

(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.

(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 535/08
vom
23. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14. März 2008 aufgehoben, soweit festgestellt ist, dass der Wertersatzverfall wegen entgegenstehender Rechte der Verletzten unterbleibt, und der Umfang des aus den Taten Erlangten bezeichnet ist (Nr. 3 des Tenors). Diese Feststellungen entfallen. 2. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 19. September 2008 ausgeführt: "Es entspricht zwar § 111i Abs. 2 StPO n.F., dass der Tatrichter im Urteil feststellen kann, dass nur deshalb nicht auf Verfall erkannt worden ist, weil Ansprüche des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer solchen Anordnung entgegenstehen, und er in diesem Fall das aus der Tat Erlangte oder dessen Wert im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a StGB zu bezeichnen hat. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht jedoch § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit das mildere alte Recht gilt (vgl. Senat StV 2008, 226 und Beschl. vom 19.02.2008 - 1 StR 596/07). Denn der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO n.F. hat trotz der systematischen Verortung in der Strafprozessordnung materiell-rechtlichen Charakter; die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO n.F. stellt die Grundentscheidung für den Auffangrechtserwerb dar und kommt somit einer aufschiebend bedingten Verfallsanordnung gleich. Eine allein auf die Anordnung nach § 111i Abs. 3 StPO n.F. (Aufrechterhaltung von der Rückgewinnungshilfe dienenden Maßnahmen um drei Jahre) gerichtete, beschränkte Feststellungsentscheidung ist dem Tatrichter in Altfällen nicht möglich. Nach dem Gesetzeszweck sind nämlich die verlängerte Rückgewinnungshilfe nach Absatz 3 und der Auffangrechtserwerb nach Absatz 5 gerade aufeinander bezogen (ausführlich zum Ganzen, BGH NJW 2008, 1093 m.w.N.). Auch nach dem Willen des Gesetzgebers bilden die neu eingefügten Absätze 2 bis 8 von § 111i StPO im Hinblick auf § 2 StGB ein einheitliches Regelungsgefüge mit auch materiell-rechtlichem Charakter. Er führt diesbezüglich aus, hinsichtlich der 'sich aus § 111i Abs. 2 bis 8 StPO-E ergebenden möglichen Belastungen (sei) für den Verurteilten § 2 StGB anwendbar und … es (handele) sich ansonsten um Änderungen des Verfahrensrechts' (BTDrucks. 16/700 S. 20)."
2
Dem schließt sich der Senat an. Nack Kolz Hebenstreit Elf Jäger

(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht.

(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte. Urheber, Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70), Lichtbildner (§ 72) und ausübende Künstler (§ 73) können auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.