Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2017 - XI ZB 14/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger wendet sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung aus drei notariellen Urkunden, die im Zusammenhang mit dem durch ein Darlehen der Beklagten finanzierten Erwerb einer Eigentumswohnung errichtet wurden.
- 2
- Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. November 2016 abgewiesen. Das Urteil ist dem Klägervertreter am 21. November 2016 zugestellt worden. Der Kläger hat gegen das Urteil des Landgerichts am 20. Dezember 2016 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 3. Januar 2017 die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Vorsitzende des Beru- fungssenats hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum 6. Februar 2017 verlängert.
- 3
- Der Kläger hat die Berufungsbegründung per Telefax übersandt. Ausweislich des Faxjournals des Empfangsgeräts des Berufungsgerichts hat der Sendevorgang der auf der letzten Seite unterzeichneten Berufungsbegründung am 6. Februar 2017 um 23.58 Uhr begonnen und 12 Minuten und 56 Sekunden gedauert. Im Anschluss daran ist die Berufungsbegründung erneut, diesmal auf allen Seiten unterzeichnet, übertragen worden.
- 4
- Nach Hinweis des Berufungsgerichts auf die Fristversäumung hat der Kläger am 21. Februar 2017 beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat dies damit begründet, dass sein Prozessbevollmächtigter den Übermittlungsvorgang der 22 Seiten umfassenden Berufungsbegründung am 6. Februar 2017 um ca. 23.37 Uhr eingeleitet habe. Erst ca. 18 Minuten nach Beginn des Wahlvorgangs sei eine Verbindung zustande gekommen. Mit einer Belegung des Telefaxgerätes bei dem Oberlandesgericht von ca. 20 Minuten, die ungewöhnlich lang sei, habe der Prozessbevollmächtigte nicht rechnen müssen. Bei normalem Lauf der Dinge wäre allenfalls mit einer Belegung von wenigen Minuten zu rechnen gewesen und dann wäre die Berufungsbegründung trotz der ebenfalls ungewöhnlich langen Zeit für die Übertragung, die normalerweise nur 16 bis 26 Sekunden pro Seite dauere, noch rechtzeitig eingegangen.
- 5
- Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist versäumt und ihm sei gegen die Versäumung dieser Frist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er die Frist nicht ohne das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzu- rechnende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt habe. Diesem sei vorzuwerfen, dass er mit der Übermittlung der Berufungsbegründung nicht so rechtzeitig begonnen habe, dass unter gewöhnlichen Umständen mit ihrem Abschluss am Tag des Fristablaufs bis 24.00 Uhr hätte gerechnet werden dürfen. Die Belegung des gerichtseigenen Telefaxanschlusses durch andere eingehende Sendungen sei eine an Werktagen kurz vor Mitternacht allgemein zu beobachtende Erscheinung, der ein Rechtsmittelführer durch einen zeitlichen Sicherheitszuschlag Rechnung zu tragen habe. Nicht ausreichend sei es daher, wenn mit der Übermittlung eines umfangreicheren Schriftsatzes - wie hier - erst eine halbe Stunde vor Mitternacht begonnen werde. Es komme nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einer Übertragungsdauer von nur 16 bis 26 Sekunden pro Seite habe rechnen können, weil auch bei der dann anzunehmenden Übertragungszeit von bis zu 9 1/2 Minuten der sich ergebende Sicherheitszuschlag von lediglich ca. 14 Minuten zu gering gewesen sei.
- 6
- Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
- 7
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG, NJW 2003, 281).
- 8
- Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Berufungsbegründungsfrist durch das Verschulden des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers, das dieser sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, versäumt worden ist. Diese Beurteilung überspannt unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen nicht die an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen.
- 9
- Zwar durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Erstellung und Übermittlung der Berufungsbegründung die ihm dafür eingeräumte Frist bis zur äußersten Grenze ausschöpfen (BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011 - XI ZB 24/10, juris Rn. 9 mwN und vom 16. Dezember 2015 - IV ZB 23/15, juris Rn. 13). Ein Rechtsanwalt, der einen fristgebundenen Schriftsatz - wie hier - am letzten Tag der Frist einreichen will, muss aber sicherstellen, dass der Schriftsatz auf dem gewählten Übertragungsweg noch rechtzeitig vor Fristablauf bei Gericht eingeht (BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO und vom 16. Dezember 2015, aaO). Das zur Fristwahrung Gebotene hat der Anwalt bei der Übermittlung des Schriftsatzes per Fax daher nur getan, wenn er mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen hat, dass unter gewöhnlichen Umständen mit ihrem Abschluss am Tage des Fristablaufs bis 24.00 Uhr hätte gerechnet werden können (BVerfGE 135, 126, 139 Rn. 33; BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO, vom 16. Dezember 2015, aaO und vom 26. Januar 2017 - I ZB 43/16, NJW-RR 2017, 629 Rn. 10).
- 10
- Dabei muss eine Partei nach ständiger Rechtsprechung Verzögerungen einkalkulieren, mit denen üblicherweise zu rechnen ist, wozu - insbesondere auch in den Abend- und Nachtstunden - die Belegung des Telefaxempfangsgeräts bei Gericht durch andere eingehende Sendungen gehört (BVerfGE 135, 126, 139 f. Rn. 34; BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011 - XI ZB 24/10, juris Rn. 10, vom 16. Dezember 2015 - IV ZB 23/15, juris Rn. 14 und vom 26. Januar 2017 - I ZB 43/16, NJW-RR 2017, 629 Rn. 10; BFH, BFH/NV 2010, 919 Rn. 5). Die Belegung des gerichtseigenen Telefaxanschlusses durch andere eingehende Sendungen ist eine kurz vor Fristablauf allgemein zu beobachtende Erscheinung , die verschiedentlich Gegenstand der Rechtsprechung war und der der Anwalt im Hinblick auf die ihm obliegende Sorgfaltspflicht durch einen zeitlichen Sicherheitszuschlag Rechnung tragen muss (BVerfGE 135, 126, 139 f. Rn. 34 mwN; BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO, vom 16. Dezember 2015, aaO und vom 26. Januar 2017, aaO). Dass das Empfangsgerät eines Gerichts in den Abend- und Nachtstunden für eine Zeit von zwanzig Minuten belegt ist, ist - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - kein ungewöhnliches Ereignis, mit dem der Absender des Telefax nicht rechnen muss (vgl. BVerfGE 135, 126, 140 Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 2. Juli 2014 - 1 BvR 862/13, juris Rn. 3, vom 23. Juni 2016 - 1 BvR 1806/14, juris Rn. 3 f. und vom 23. Dezember 2016 - 1 BvR 3511/13, juris Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO und vom 26. Januar 2017, aaO; BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 7 B 18/10, juris Rn. 6; BVerwG, NVwZ-RR 2015, 392 Rn. 2; BFH, BFH/NV 2004, 519, 520, BFH/NV 2010, 919 Rn. 5 und BFH/NV 2016, 214 Rn. 6).
- 11
- Nach diesen Maßgaben hat hier der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu spät mit der Übermittlung der Berufungsbegründung begonnen. Ausweislich der Schilderung im Wiedereinsetzungsgesuch hat er den Übermittlungsvorgang gegen 23.37 Uhr eingeleitet. Auf der Grundlage der vom Kläger vorgetragenen Erfahrungswerte bezüglich der Dauer der Übermittlung eines Telefax von bis zu 26 Sekunden pro Seite ergibt sich aber für die 22 Seiten umfassende Berufungsbegründung eine Übermittlungsdauer von 9 Minuten und 32 Sekunden.
Ellenberger Grüneberg Maihold Menges Derstadt
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 02.11.2016 - 11 O 705/13 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 21.04.2017 - 5 U 171/16 -
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Annotations
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.