Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - L 19 R 696/15

bei uns veröffentlicht am15.03.2017

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.07.2015 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte anstelle einer Altersrente für Frauen hat.

Die 1951 geborene Klägerin beantragte am 31.07.2014 gleichzeitig eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte und eine Altersrente für Frauen jeweils mit Rentenbeginn zum 01.10.2014. Sie gab hierbei an, seit 01.10.2012 fortlaufend Arbeitslosengeld I von der Agentur für Arbeit in A-Stadt zu beziehen.

Die Beklagte kam zum Ergebnis, dass für die Wartezeit von 35 Jahren Beitragszeiten im Umfang von 548 Monaten und Anrechnungszeiten von 2 Monaten, insgesamt 550 Monate zu berücksichtigen seien. Für die Wartezeit von 45 Jahren für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte seien 524 Monate Pflichtbeitragszeiten und 1 Monat Berücksichtigungszeit, also 525 Monate zu berücksichtigen, so dass die Wartezeit von 45 Jahren (= 540 Monate) nicht erfüllt sei.

Mit Schreiben vom 22.08.2014 tätigte die Beklagte bei der Klägerin eine Nachfrage, nachdem die Klägerin in den letzten zwei Jahren vor dem beantragten Rentenbeginn Arbeitslosengeld bezogen habe: Solche Zeiten dürften für die Wartezeit (von 45 Jahren) nur berücksichtigt werden, wenn die Arbeitslosigkeit auf eine Insolvenz oder auf eine Geschäftsaufgabe zurückzuführen sei. Falls ein solcher Sachverhalt vorliege, werde um Übersendung der entsprechenden Beweismittel gebeten.

Die Klägerin legte eine Änderungskündigung vom 10.02.2004 vor, wonach ihr der Arbeitsplatz in A-Stadt bei der Firma P. Schmiergeräte GmbH gekündigt wurde und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab 01.10.2004 in F-Stadt im Landkreis C. angeboten worden war. Die Klägerin trug weiter vor, dass sie die Fahrstrecke von täglich hin und zurück 300 km ab Oktober 2012 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr habe bewältigen können und deshalb ihren Arbeitsvertrag gekündigt habe. Hinzuweisen sei noch darauf, dass im Jahr 2009 der gesamte Firmensitz von A-Stadt nach B-Stadt verlagert worden sei.

Mit Bescheid vom 10.09.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Altersrente für Frauen ab 01.10.2014 in Höhe von monatlich 1.202,07 Euro netto unter Berücksichtigung eines Rentenabschlages von 6,6% für einen vorzeitigen Rentenbeginn von 22 Kalendermonaten. Im Bescheid wurde außerdem ausgeführt, dass die Wartezeit von 45 Jahren für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht erfüllt sei. Es seien 525 berücksichtigungsfähige Monate zurückgelegt worden und ein Sachverhalt, der dazu hätte führen können, dass die Pflichtbeiträge aus der Zeit vom 01.10.2012 bis 30.09.2014 aus der Zahlung von Arbeitslosengeld an der Berechnung der Wartezeit teilnehmen würden, habe nicht vorgelegen.

Mit Schreiben vom 08.10.2014 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein, ohne diesen näher zu begründen. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2015 den Widerspruch unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid zurück.

Am 02.02.2015 hat die Klägerin mit Telefax Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und eine Abänderung des angefochtenen Bescheides dahingehend beantragt, dass ihr ab 01.10.2014 eine abschlagsfreie Altersrente zu zahlen sei. Die Beklagte habe sich zu Unrecht auf die Neuregelung des § 51 Abs. 3a Ziff. 3a 2. Halbs. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gestützt und die Wartezeit verkürzt berechnet. Die Ausnahmetatbestände seien nämlich gleichheitssatzwidrig. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, sich rechtsmissbräuchlich zu verhalten und zu einem früheren Zeitpunkt das gesetzliche Altersruhegeld zu beziehen. Sie habe ihren bisherigen Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen, da sie die sehr lange Pendelstrecke nicht mehr habe bewältigen können. Dies habe auch die Bundesagentur für Arbeit nachvollzogen und deshalb keine Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) verhängt. Bei der Klägerin sei die Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht vom Motiv einer eventuellen Frühverrentung bestimmt gewesen, sondern sie habe den täglichen Arbeitsweg aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bewerkstelligen können.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 24.07.2015 die Klage abgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI habe die Klägerin nicht erfüllt. Bei ihr liege keine Wartezeit von 45 Jahren vor, weil auf diese Wartezeit die Pflichtbeitragszeiten aufgrund von Leistungen der Agentur für Arbeit in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht zu berücksichtigen seien (§ 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI). Es liege auch kein Ausnahmefall vor, wonach eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers die Arbeitslosigkeit bedingt habe. Die Vorschrift sei auch nicht deshalb verfassungswidrig, als sie als Rückausnahme von der zweijährigen „Karenzzeit“ den Sachverhalt, der bei der Klägerin zur Arbeitslosigkeit geführt habe, nicht vorgesehen habe. Zweck der Ausnahmeregelung sei es nach dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, solche Härtefälle zu berücksichtigen, bei denen die Arbeitnehmer unfreiwillig aus ihren Arbeitsverhältnis hätten ausscheiden müssen (BT-Drs. 18/1489, S. 26). Die beiden Ausnahmetatbestände würden objektiv zwingende Umstände darstellen, bei denen keinerlei Handlungsspielraum seitens des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bestehe und der Ausscheidungsgrund vom Arbeitnehmer nicht beeinflusst werden könne. Mit diesen Ausnahmefällen seien die zur Arbeitslosigkeit der Klägerin führenden Gründe nicht vergleichbar. Sie habe - wenn auch aus verständlichen Gründen - das Arbeitsverhältnis selbst beendet und die Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Eine verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung gegenüber der Personengruppe, die das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht habe beeinflussen können, könne somit nicht erkannt werden. Die von der Klägerin für die angewandte Vorschrift geltend gemachte Ungleichbehandlung und der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) werde zwar in der Literatur diskutiert, betreffe jedoch auch dort nur Sachverhalte, bei denen Versicherte ebenfalls unfreiwillig - beispielsweise aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung - arbeitslos geworden seien. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Versicherungsverlauf keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die Klägerin vor ihrer Kündigung längere Zeit arbeitsunfähig gewesen wäre.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 09.09.2015 mit Telefax-Schreiben Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie hat weiterhin geltend gemacht, dass in ihrem Fall keine rechtsmissbräuchliche Gestaltung vorgelegen habe und sie deshalb zu Unrecht die Beitragszeiten aus der Zahlung von Arbeitslosengeld I in der Zeit von Oktober 2012 bis September 2014 nicht auf die Wartezeit angerechnet bekommen habe. Für Arbeitslose, die nicht während ihrer langen Erwerbsbiografie die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I bezogen hätten, sondern vor Eintritt in die Rente, finde eine Ungleichbehandlung statt, die nicht begründet sei. Mit Ausnahme einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung sei es vom Einzelnen nicht steuerbar, ob eine Pflichtbeitragszeit Arbeitslosen-geld I während einer langjährigen Beschäftigungsbiografie entstehe oder an deren Ende. Beide Male habe der Arbeitslose die Entgeltersatzleistung selbst finanziert und beide Male handele es sich um eine Pflichtbeitragszeit, für die Beiträge abgeführt worden seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.07.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 10.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2015 ab 01.10.2014 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.07.2015 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagte Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht Nürnberg hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte hat.

In der erstinstanzlichen Entscheidung nicht problematisiert worden ist, dass die Klägerin seit Oktober 2014 eine Altersrente für Frauen erhält. Insofern hätte ein Ausschlussgrund nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI vorliegen können, wonach ein Wechsel in eine andere Rente wegen Alters nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente ausgeschlossen ist. Dadurch dass hier die Bewilligung der einen Altersrente (für Frauen) und das Versagen der anderen (für besonders langjährig Versicherte) in einem gemeinsamen Bescheid erfolgt ist und dieser angefochten und Gegenstand des hier anhängigen Berufungsrechtsstreits ist, liegt eine bindende Bewilligung bisher eindeutig (noch) nicht vor.

Zwar würde auch bereits die Erfüllung der zweiten Alternative als Ausschlussgrund genügen und der Bezug einer Altersrente für Frauen besteht seit Oktober 2014. Dies ist im Übrigen auch unabhängig von der Frage einer tatsächlichen Zahlung (Text und Erläuterungen zum SGB VI, Hrsg. DRV Bund, 17. Aufl. 2013, § 34, 4.1). Ebenso kommt es nicht darauf an, ob eine Rente Abschläge hat und die andere nicht. Eine denkbare Lesart der Norm dahingehend, dass nur eine Abänderung für die Vergangenheit ausgeschlossen wäre, ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Bezugs d.h. für die Zukunft, der Wechsel aber offen wäre, würde klar dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen. Dagegen ist es im vorliegenden Fall bedeutsam, dass ein solcher Wechsel dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die andere Rente vor oder zumindest zum gleichen Zeitpunkt wie die gewährte beginnen würde (Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand 12/2016, § 34 SGB VI, Rn 52; Text und Erläuterungen a.a.O.). Der Senat sieht wegen des im vorliegenden Fall möglichen gleichzeitigen Beginns den Wechsel nicht als ausgeschlossen an.

Die Klägerin hat unstreitig ab Rentenbeginn die Voraussetzungen für eine Altersrente für Frauen erfüllt und diese Rente ist auch zutreffend - unter Berücksichtigung von Abschlägen für einen vorzeitigen Beginn - der Höhe nach berechnet worden. Eine abschlagsfreie Rentenzahlung ab Oktober 2014 ist im Fall der Klägerin - d.h. unter den dort bestehenden Faktoren - nicht möglich.

Eine Rentenzahlung ohne Abschläge wäre zwar bei einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte möglich, jedoch erfüllt die Klägerin nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelungen die Voraussetzungen hierfür nicht.

Nach § 236 b SGB VI, der ab 01.07.2014 in Kraft getreten ist und damit auf den von der Klägerin gewünschten Rentenbeginn anzuwenden ist, haben Versicherte, die vor dem 01. Januar 1964 geboren sind, Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie

1. das 63. Lebensjahr vollendet und

2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben.

Die Klägerin hat zum 27.07.2014 und damit vor dem beantragten Rentenbeginn das 63. Lebensjahr vollendet und ist auch deutlich vor dem 01.01.1964 geboren.

Die Beklagte ist jedoch zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die Klägerin die Wartezeit von 45 Jahren nach der insoweit klaren gesetzlichen Regelung nicht erfüllt hat.

Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden nach § 51 Abs. 3a SGB VI Kalendermonate angerechnet

– mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,

– mit Berücksichtigungszeiten,

– mit Zeiten des Bezugs von Leistungen bei Krankheit und von Übergangsgeld.

Unter besonderen Einschränkungen werden weiter

– Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (§ 51 Abs. 3 a Satz 1 Nr. 3 a SGB VI) und

– Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen angerechnet. Dabei werden gemäß § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 2. Halbs. SGB VI Zeiten nach Nr. 3 Buchst. a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt.

Die Beklagte hat zutreffend ermittelt, dass die Klägerin 525 Monate aufzuweisen hat, die von dieser Vorschrift erfasst sind. Die Klägerin hat in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn Pflichtbeitragszeiten aufgrund von Leistungen der Agentur für Arbeit aufzuweisen gehabt. Die Arbeitslosigkeit der Klägerin war dabei weder auf eine Insolvenz, noch eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers zurückzuführen gewesen. Deshalb bleiben nach der gesetzlichen Bestimmung die Pflichtbeiträge für die Zeit vom 01.10.2012 bis 30.09.2014 für die Berechnung der Wartezeit von 45 Jahren unberücksichtigt.

Der Senat ist auch nicht zum Ergebnis gekommen, dass die gesetzliche Regelung des § 51 Abs. 3a SGB VI insgesamt verfassungswidrig ist oder im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung zumindest die Rückausnahmegründe erweitert werden müssten. Der Senat schließt sich insofern der Argumentation des LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 21.06.2016 (Az. L 9 R 695/16 - nach juris) an.

Ein Verstoß gegen Art. 14 GG ist nicht gegeben: Die Klägerin erhält aus den im Rahmen des Bezuges von Entgeltersatzleistungen abgeführten Beiträgen eine Gegenleistung, weil diese Zeiten bei der Berechnung der Rentenhöhe ohne Einschränkung berücksichtigt werden.

Der Senat sieht auch nicht auf Grund von Art. 3 GG ein anderes Ergebnis als geboten an. Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei werden nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht verlangt, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen.

Der Fall der Klägerin mit einem von ihr veranlassten - wenn auch aus ihrer Sicht begründeten und schuldlos herbeigeführten - Verlust des Arbeitsplatzes und dem damit ausgelösten Eintritt von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ist nicht weitgehend vergleichbar mit einem unabänderlichen generellen Wegfall des Arbeitsplatzes. Insofern stellt sich die Frage einer erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 51 Abs. 3a SGB VI allenfalls für zwar nicht explizit genannte Fälle neben Insolvenz und vollständiger Geschäftsaufgabe, die ebenfalls den generellen Wegfall des Arbeitsplatzes ohne jede - auch nur theoretische - Umsetzungsmöglichkeit betreffen (vgl. insoweit die im anhängigen Revisionsverfahren BSG B 5 R 8/16 R, zuvor LSG Niedersachsen, L 2 R 517/15, thematisierte Problematik der Kündigung zur Abwendung einer Insolvenz). Die beiden Ausnahmetatbestände betreffen Fälle, in denen der Ausscheidungsgrund vom Arbeitnehmer nicht beeinflusst werden kann, und stellen objektiv zwingende Umstände dar, bei denen keinerlei Handlungsspielraum seitens des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers besteht, da sämtliche Arbeitsverhältnisse aufgelöst werden. Ein derartiger Fall liegt hier klar nicht vor. Im Fall der Klägerin wäre etwa durch Maßnahmen einer zeitweisen Verkürzung des Arbeitsweges - etwa durch Zweitwohnung oder Dienstwohnung - jederzeit eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit denkbar gewesen. Eine verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung gegenüber der Personengruppe, die das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht beeinflussen kann, kann somit nicht erkannt werden.

Art. 3 GG ist daneben aber auch im Hinblick auf die Frage des zeitlichen Rahmens für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Bedeutung. Der Senat folgt nicht der Auffassung der Klägerseite, dass es ohne Belang zu bleiben hat, wann im Erwerbsleben Zeiten der Arbeitslosigkeit auftreten, d.h. dass entweder generell die Beiträge aus Leistungen für Arbeitslosigkeit bei der Berechnung der Wartezeit zu berücksichtigen sind oder eben generell nicht, wenn man sie als nachrangig gegenüber Pflichtbeiträgen aus Beschäftigung einordnet. Der Gesetzgeber durfte aus Sicht des Senates eine Zeit vor dem zu erwartenden und tatsächlich erfolgten Rentenbeginn festlegen, in denen dieser bevorstehende Rentenbeginn bei der Frage des Umgangs mit der weiteren Gestaltung des Erwerbslebens eine besondere Bedeutung gewinnt.

Zutreffend hat bereits das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass durch die Nichtberücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn Fehlanreize zu einer dem Renteneintritt vorgeschalteten Arbeitslosigkeit bzw. eine verkappte Frühverrentung vermieden werden sollen (BT-Drs. 18/1489 S. 26). Die getroffene gesetzliche Regelung ist dafür geeignet und angemessen. Der betroffene Arbeitnehmer wird dazu angehalten, alles von seiner Seite Mögliche zu tun, dass kein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vor dem vorgesehenen Rentenbeginn erfolgt.

Zwar ist die Annahme eines Zeitraums von zwei Jahren nicht zwingend: Es hätte durchaus auch ein etwas kürzerer oder geringfügig längerer Zeitraum gewählt werden können. Der Zeitraum ist hinsichtlich der Länge jedoch durchaus stimmig: ein deutlich längerer hätte zu viele Unwägbarkeiten bis zu Renteneintritt offen gelassen, ein deutlich kürzerer wäre von seinem Wirkzweck - dem Verhindern von missbräuchlicher Herbeiführung von Arbeitslosigkeit - zu schwach. Insofern wohnt der jetzt getroffenen Festlegung nur soviel Willkürlichkeit inne, wie sie mit jeder Festlegung eines Stichtages zwangsläufig verbunden ist.

Hinzu kommt, dass die Schaffung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte, die einen abschlagsfreien Altersrentenbezug schon zu einem früheren Zeitpunkt als nach der bisherigen Gesetzeslage ermöglicht, eine Besserstellung einführt, für die ein weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum gilt (vgl. z.B. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 09.11.2011, Az. 1 BvR 1853/11 - nach juris). Dieser ist gerichtlich nicht überprüfbar, solange es sich um eine vertretbare und nachvollziehbare Regelung handelt. Verfassungsrechtlich nicht geboten ist die Schaffung der besten Regelung oder der Regelung mit der höchsten Einzelfallgerechtigkeit.

Entgegen der Ansicht der Klägerin setzt die hier geschaffene Regelung auch nicht unmittelbar an der Feststellung eines Rechtsmissbrauchs oder einer inakzeptablen Motivation an, weil dies im Zuge einer Massenverwaltung gar nicht mit der notwendigen Klarheit feststellbar wäre. Auch dies ist eine bei der Schaffung einer gesetzlichen Regelung zulässige Überlegung des Gesetzgebers.

Nach alledem sieht der Senat keinen Anlass dafür, dass die Regelung des § 236 b SGB VI im Fall der Klägerin unter Anwendung eines vom klaren Gesetzeswortlaut abweichenden Inhalts des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 2. Halbs. SGB VI zur Anwendung zu kommen hätte. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte abschlagsfreie Altersrente.

Dementsprechend sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.07.2015 nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

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(1) Versicherte und ihre Hinterbliebenen haben Anspruch auf Rente, wenn die für die jeweilige Rente erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) erfüllt ist und die jeweiligen besonderen versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 51 Anrechenbare Zeiten


(1) Auf die allgemeine Wartezeit und auf die Wartezeiten von 15 und 20 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. (2) Auf die Wartezeit von 25 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung mit stän

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(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie 1. das 63. Lebensjahr vollendet und2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllthaben. (2) Versicherte, di

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Versicherte
Geburtsjahr
Anhebung
um Monate
auf Alter
JahrMonat
19532632
19544634
19556636
19568638
1957106310
195812640
195914642
196016644
196118646
196220648
1963226410.

(1) Auf die allgemeine Wartezeit und auf die Wartezeiten von 15 und 20 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet.

(2) Auf die Wartezeit von 25 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung mit ständigen Arbeiten unter Tage angerechnet. Kalendermonate nach § 52 werden nicht angerechnet.

(3) Auf die Wartezeit von 35 Jahren werden alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet.

(3a) Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden Kalendermonate angerechnet mit

1.
Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten des Bezugs von
a)
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
b)
Leistungen bei Krankheit und
c)
Übergangsgeld,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und
4.
freiwilligen Beiträgen, wenn mindestens 18 Jahre mit Zeiten nach Nummer 1 vorhanden sind; dabei werden Zeiten freiwilliger Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen.
Kalendermonate, die durch Versorgungsausgleich oder Rentensplitting ermittelt werden, werden nicht angerechnet.

(4) Auf die Wartezeiten werden auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten (Fünftes Kapitel) angerechnet; auf die Wartezeit von 25 Jahren jedoch nur, wenn sie der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen sind.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Auf die allgemeine Wartezeit und auf die Wartezeiten von 15 und 20 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet.

(2) Auf die Wartezeit von 25 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung mit ständigen Arbeiten unter Tage angerechnet. Kalendermonate nach § 52 werden nicht angerechnet.

(3) Auf die Wartezeit von 35 Jahren werden alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet.

(3a) Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden Kalendermonate angerechnet mit

1.
Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten des Bezugs von
a)
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
b)
Leistungen bei Krankheit und
c)
Übergangsgeld,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und
4.
freiwilligen Beiträgen, wenn mindestens 18 Jahre mit Zeiten nach Nummer 1 vorhanden sind; dabei werden Zeiten freiwilliger Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen.
Kalendermonate, die durch Versorgungsausgleich oder Rentensplitting ermittelt werden, werden nicht angerechnet.

(4) Auf die Wartezeiten werden auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten (Fünftes Kapitel) angerechnet; auf die Wartezeit von 25 Jahren jedoch nur, wenn sie der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen sind.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Auf die allgemeine Wartezeit und auf die Wartezeiten von 15 und 20 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet.

(2) Auf die Wartezeit von 25 Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung mit ständigen Arbeiten unter Tage angerechnet. Kalendermonate nach § 52 werden nicht angerechnet.

(3) Auf die Wartezeit von 35 Jahren werden alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet.

(3a) Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden Kalendermonate angerechnet mit

1.
Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten des Bezugs von
a)
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
b)
Leistungen bei Krankheit und
c)
Übergangsgeld,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und
4.
freiwilligen Beiträgen, wenn mindestens 18 Jahre mit Zeiten nach Nummer 1 vorhanden sind; dabei werden Zeiten freiwilliger Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen.
Kalendermonate, die durch Versorgungsausgleich oder Rentensplitting ermittelt werden, werden nicht angerechnet.

(4) Auf die Wartezeiten werden auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten (Fünftes Kapitel) angerechnet; auf die Wartezeit von 25 Jahren jedoch nur, wenn sie der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen sind.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte für den Zeitraum September 2014 bis März 2015.

2

Der am geborene Kläger war nach einer Fachschulausbildung im August 1968 mit der Aufnahme einer beruflichen Ausbildung in das Arbeitsleben eingetreten und langjährig berufstätig. Zu Beginn des Jahres 2014 war er bei der "N. Transport K. GmbH" (im Folgenden: Arbeitgeberin) im Bereich des Rechnungswesens beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte die Arbeitgeberin am 12.12.2013 zum 31.1.2014. In einer Bescheinigung vom 10.6.2014 erklärte sie, dass die Kündigung als Kostensenkungsmaßnahme eine seinerzeit drohende Insolvenz abwenden sollte. Im Ergebnis blieb diese Maßnahme jedoch ohne Erfolg. Am 31.3.2014 stellte die Arbeitgeberin den Insolvenzantrag. Ab Februar 2014 bezog der Kläger Arbeitslosengeld (Alg) von der Bundesagentur für Arbeit (BA), die aufgrund des Leistungsbezugs auch Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete.

3

Am 26.8.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab September 2014. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2.10.2014 ab, weil der Kläger statt der erforderlichen 540 Monate nur 533 Wartezeitmonate zurückgelegt habe. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2014 zurück. Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung könnten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nur bei der Wartezeit berücksichtigt werden, sofern das vorangegangene Beschäftigungsverhältnis durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe beendet worden sei. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Kündigung durch die Arbeitgeberin sei bereits vor der Stellung des Insolvenzantrags erklärt worden.

4

Bereits im September 2014 hatte der Kläger eine geringfügige versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen, die er bis März 2015 ausübte. Unter Berücksichtigung der sich daraus ergebenden sieben weiteren Beitragsmonate bewilligte die Beklagte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 25.3.2015 die begehrte Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab April 2015.

5

Gegen die Ablehnung der Rente für den Zeitraum September 2014 bis März 2015 hat der Kläger beim SG Stade Klage erhoben. Mit Urteil vom 14.9.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung hat das LSG Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 2.3.2016 zurückgewiesen. Im Zeitraum September 2014 bis März 2015 sei die Wartezeit von 45 Jahren für die Bewilligung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte noch nicht erfüllt gewesen. Die sieben Monate des Alg-Bezugs mit Beitragszahlung durch die BA von Februar bis August 2014 könnten nicht auf die Wartezeit angerechnet werden, weil sie in den letzten zwei Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn lägen und daher nach den Vorgaben des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB VI für die Berechnung der 45-jährigen Wartezeit nicht berücksichtigungsfähig seien. Die (Rück-)Ausnahmeregelung, wonach solche Zeiten gleichwohl angerechnet werden dürften, wenn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sei, greife nicht ein. Die Arbeitgeberin habe sich im Zeitpunkt der Kündigung im Dezember 2013 zwar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden, sei aber seinerzeit noch nicht in Insolvenz geraten. Der Insolvenzantrag sei vielmehr erst am 31.3.2014 gestellt worden. Eine Auslegung, wonach auch eine nur zur Abwehr einer möglicherweise in Betracht kommenden Insolvenz ausgesprochene Kündigung für das Eingreifen der (Rück-)Ausnahmeregelung ausreiche, sei mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren. Es finde sich auch keine tragfähige Grundlage in den Gesetzesmaterialien und in der Systematik, die die Annahme rechtfertige, dass eine solche Auslegung über den Wortlaut hinaus dem gesetzgeberischen Willen entspreche. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung bestünden im Ergebnis nicht.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 51 Abs 3a SGB VI. Das Berufungsgericht habe den Anwendungsbereich der Norm verkannt. Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung seien auf die Wartezeit von 45 Jahren auch dann anzurechnen, wenn der Insolvenzantrag noch nicht gestellt worden, die Kündigung aber dennoch - wie in seinem Fall - durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bedingt sei, also zeitlich mit ihr in unmittelbarem Zusammenhang stehe. Nach dem Wortlaut der Vorschrift müsse die Kündigung nur durch eine Insolvenz bedingt sein. In der Gesetzesbegründung fänden sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die Ausnahmeregelung von der Stellung eines Insolvenzantrags oder der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abhängig habe machen wollen. In der Insolvenzordnung (InsO) sei die drohende Zahlungsunfähigkeit der Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund eines Insolvenzverfahrens gleichgestellt. Es reiche daher bereits die Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers und die kausale Verknüpfung zwischen Kündigung und Zahlungsunfähigkeit bzw drohender Zahlungsunfähigkeit aus. Sofern dieser Argumentation nicht gefolgt werde, müsse die Regelung jedenfalls verfassungskonform auf den Fall einer Kündigung im Rahmen einer Insolvenz, dh einer zeitlich kurz vor der Stellung eines Insolvenzantrags ausgesprochenen Kündigung angewandt werden. Dies gebiete der allgemeine Gleichbehandlungssatz des Art 3 Abs 1 GG bei einem Vergleich mit Personen, die nach der Anmeldung einer Insolvenz gekündigt würden. Beide Personengruppen seien unfreiwillig und unverschuldet entlassen worden. Auch könnten bei beiden die objektiven Umstände, die zu einer Kündigung geführt hätten, von außen überprüfbar und unkompliziert nachvollzogen werden. Zudem handele es sich bei beiden Gruppen um Härtefälle, bei denen die gesetzliche (Rück-)Ausnahme greifen soll. Sofern auch eine verfassungskonforme Auslegung nicht für möglich gehalten werde, müsse das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 51 Abs 3a SGB VI zur Entscheidung vorgelegt werden. Die Vorschrift verstoße neben Art 3 Abs 1 GG zudem in der Auslegung des LSG gegen Art 14 GG. Es liege ein unverhältnismäßiger Eingriff in rentenrechtliche Anwartschaften vor.

7

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 2. März 2016 und des Sozialgerichts Stade vom 14. September 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Altersente für besonders langjährig Versicherte bereits für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis einschließlich 31. März 2015 zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

A. Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte Revision (§ 160 Abs 1 und 3 SGG) ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere entgegen den von dem Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken formgerecht iS des § 164 Abs 2 S 1 und S 3 SGG begründet.

11

Wendet sich die Revision - wie hier - gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen. Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (Senatsbeschlüsse vom 10.2.2016 - B 5 RS 1/15 R - BeckRS 2016, 66775 RdNr 6; vom 5.5.2015 - B 5 R 18/14 R - BeckRS 2015, 69242 RdNr 6; vom 9.1.2014 - B 5 RE 1/14 R - BeckRS 2014, 65978 RdNr 7 und vom 23.2.2017 - B 5 SF 5/16 AR - Juris RdNr 13). Diesen Anforderungen kann eine Rüge der Verletzung materiellen Rechts nur genügen, wenn sie den vom Vordergericht festgestellten entscheidungserheblichen Lebenssachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) vollständig darlegt (Senatsbeschluss vom 23.2.2017 - B 5 SF 5/16 AR - Juris RdNr 14).

12

Welche inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung in Bezug auf die Darstellung des entscheidungserheblichen Lebenssachverhaltes im Rahmen der Rüge der Verletzung materiellen Rechts konkret zu stellen sind, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung. Aufwand und Intensität des Eingehens auf die tatrichterlichen Feststellungen richten sich nach deren eigener Qualität und sind naturgemäß am geringsten, wenn das Tatsachengericht in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich kundgetan hat, wovon es aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens überzeugt ist und was es demgemäß festgestellt hat. Die Aufgabe des Revisionsführers wächst in dem Umfang, in dem das LSG von dieser Idealform abweicht und Feststellungen auf den Gesamttext seiner Entscheidung verteilt und/oder nur mittelbar in der Weise trifft, dass allenfalls aus seiner weiteren Rechtsanwendung deutlich wird, von welchem Sachverhalt es überzeugt war. Insoweit muss die Revisionsbegründung als Ergebnis eigener geistiger Arbeit (BSG vom 25.7.1968 - 8 RV 361/66 - SozEntsch BSG 1/4 § 164 Nr 17 - Juris RdNr 15) - und nicht von "copy and paste" - darlegen, in welcher Weise sie dem angefochtenen Urteil den mitgeteilten Sachverhalt als dessen geistigen Gehalt entnimmt (Senatsbeschluss vom 23.2.2017 - B 5 SF 5/16 AR - Juris RdNr 22; zustimmend 12. Senat des BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - Juris RdNr 20 ff, zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR).

13

Eine formgerechte Revisionsbegründung erfordert daher weder stets eine geschlossene Darstellung des Streitstoffs und der angegriffenen Entscheidung als Ganzes noch bedarf sie zwingend der wörtlichen Wiedergabe der vom Vordergericht festgestellten, rechtlich relevanten Tatumstände (BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - Juris RdNr 23). Unzulässig sind solche Formen der Darstellung des entscheidungserheblichen Lebenssachverhalts allerdings nicht. Etwas Gegenteiliges ist auch nicht dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 24.2.2016 (B 13 R 31/14 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 4 RdNr 20) zu entnehmen. Dieser hat lediglich darauf hingewiesen, dass die Wiedergabe des kompletten Berufungsurteils in der Revisionsbegründung wegen deren Überfrachtung mit Unwesentlichem und der damit verbundenen Erschwernis der Arbeit des Revisionsgerichts nicht wünschenswert ist.

14

Der Kläger, der in der Revisionsbegründung die angefochtene Entscheidung nahezu vollständig wiedergegeben hat, hat mit dieser Art der Darstellung - unabhängig von der Frage ihrer Sachdienlichkeit - den rechtlichen Anforderungen an die gebotene Form genügt.

15

B. Die Revision ist allerdings unbegründet.

16

Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte bereits ab 1.9.2014. Er hat die gesetzlichen Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt (dazu I.). Auch verstößt § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 2 und 3 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.6.2014 (BGBl I 787) nicht gegen die Verfassung (dazu II.). Eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG kommen daher nicht in Betracht.

17

I. Einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage ist § 236b Abs 1 iVm Abs 2 S 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.6.2014. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, die vor dem 1.1.1953 geboren sind, Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet (Abs 1 Nr 1) und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben (Abs 1 Nr 2). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar ist der Kläger vor dem 1.1.1953 - am 29.12.1950 - geboren und hatte am 1.9.2014 das 63. Lebensjahr vollendet. Er erfüllte jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht die 45-jährige Wartezeit.

18

1. Welche Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit angerechnet werden, regelt § 51 Abs 3a S 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.6.2014. Danach werden auf die Wartezeit von 45 Jahren Kalendermonate angerechnet mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr 1), Berücksichtigungszeiten (Nr 2), Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (Nr 3 Buchst a), Leistungen bei Krankheit (Nr 3 Buchst b) und Übergangsgeld (Nr 3 Buchst c), soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind (Teils 1), wobei Zeiten nach Buchst a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt werden (Teils 2), es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (Teils 3). Ferner werden auf die Wartezeit von 45 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen angerechnet (Nr 4).

19

Nach den nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger bis Ende Januar 2014 533 Kalendermonate zurückgelegt, die auf die 45-jährige Wartezeit (= 540 Monate) anrechenbar sind. Die darüber hinaus von Februar bis August 2014 zurückgelegten 7 Monate des Bezugs von Alg, einer Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung (§ 3 Abs 4 Nr 1 SGB III), sind nach den Vorgaben des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 2 und 3 SGB VI nicht anrechnungsfähig. Sie liegen in den letzten zwei Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn 1.9.2014 (Teils 2), ohne dass der Alg-Bezug durch eine Insolvenz - die vorliegend allein als Rückausnahmefall in Betracht kommt - bedingt ist (Teils 3).

20

Insolvenzbedingt ist der Alg-Bezug nur dann, wenn sich die Beendigung einer Beschäftigung - die ihrerseits Ursache der Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für Alg ist (§ 136 Abs 1 Nr 1 SGB III) - als Ergebnis einer verfahrensrechtlich durch die InsO gelenkten Tätigkeit darstellt. Dies ist der Fall, wenn die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses auf der Erklärung zB Kündigung einer Person beruht, deren Handlungsbefugnis durch die InsO begründet ist. Als solche Person kommt der (vorläufige) Insolvenzverwalter oder der Arbeitgeber in der Funktion als Schuldner in Eigenverwaltung in Betracht.

21

Ein solches Verständnis des im Gesetz nicht näher umschriebenen und auch durch den Sprachgebrauch nicht eindeutig bestimmten Rechtsbegriffs der "Insolvenz" (dazu a) ergibt sich unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm (dazu b) sowie systematischer Erwägungen (dazu c) insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit.

22

a) § 51a Abs 3a SGB VI definiert den Begriff "Insolvenz" nicht. Ebenso wenig ergibt sich ein eindeutiger Wortsinn aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Insoweit wird unter dem Begriff "Insolvenz" insbesondere "Zahlungsunfähigkeit" (Gabler, Lexikon Recht in der Wirtschaft, 1998, S 519; Duden, Das große Fremdwörterbuch, 4. Aufl 2007, S 631), aber auch zusätzlich "Bankrott, Ruin, Pleite, Illiquidität" (Duden, Das Synonymwörterbuch, Bd 8, 6. Aufl 2014, S 530) verstanden, wobei die Erläuterung "Zahlungsunfähigkeit" teilweise mit dem Hinweis verbunden wird, dass die InsO das Verfahren zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners regelt (Der Brockhaus in einem Band, 14. Aufl 2011, S 416). Ähnlich verhält es sich im allgemeinen rechtlichen Sprachgebrauch, bei dem unter dem Begriff "Insolvenz" ua auf das Insolvenzrecht und das Insolvenzverfahren nach der InsO verwiesen wird (vgl Creifelds, Rechtswörterbuch, 21. Aufl 2014, S 669 iVm 672). Danach bezeichnet der Begriff "Insolvenz" entweder inhaltlich einen bestimmten finanziellen Zustand oder aber ist in Anlehnung an die InsO verfahrensrechtlich geprägt.

23

b) Unter Berücksichtigung des sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Sinns und Zwecks des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 2 und 3 SGB VI ist der Begriff "Insolvenz" in letzterem Sinn zu verstehen.

24

Welches Verständnis dem Begriff "Insolvenz" bei der Konzeption des § 51 Abs 3a SGB VI zugrunde gelegt worden ist, geben die Gesetzesmaterialien nicht ausdrücklich an. Der ursprüngliche Entwurf des § 51 Abs 3a SGB VI sah weder eine Ausnahme von der Anrechenbarkeit der Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die 45-jährige Wartezeit noch eine Rückausnahmeregelung für bestimmte Fälle vor(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 25.3.2014 - BT-Drucks 18/909, S 7 Anlage 1 Art 1 Nr 2 und S 13 f Begründung A.I.). Erst im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens empfahl der Ausschuss für Arbeit und Soziales zwecks Vermeidung von Fehlanreizen, die sich aus der Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die Wartezeit von 45 Jahren bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ergeben könnten, diese Zeiten nicht zu berücksichtigen, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn lägen; um Härtefälle zu verhindern, sollten diese Zeiten zwei Jahre vor Rentenbeginn nur dann anrechnungsfähig sein, wenn sie durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt seien (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales <11. Ausschuss> vom 21.5.2014 - BT-Drucks 18/1489, S 5 und S 26 zu Buchst b). Welche Voraussetzungen an das Vorliegen einer Insolvenz zu stellen sind, ist dabei nicht erläutert worden.

25

Anhaltspunkte für die Bedeutung des Begriffs "Insolvenz" bzw "durch eine Insolvenz … des Arbeitgebers bedingt" lassen sich aber der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22.7.2014 (BT-Drucks 18/2186) entnehmen, in der die Formulierung Vermeidung bzw Verhinderung von "Fehlanreizen" wieder aufgenommen wird. Im Einzelnen heißt es dort (BT-Drucks 12/2186, S 9):

26

"Bereits bei Kabinettsbeschluss bestand Einigkeit, dass im parlamentarischen Verfahren zu prüfen sein wird, wie Frühverrentung verhindert werden kann. Denn Ziel der sogenannten Rente ab 63 soll nicht sein, bereits zwei Jahre vor Rentenbeginn aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und über den Bezug von Arbeitslosengeld in die abschlagsfreie Rente zu gehen. Um derartige Missbräuche von vornherein auszuschließen, werden Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in die abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 63 Jahre nicht mitgezählt. Eine Ausnahme gilt für diejenigen Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs, die durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht wurden. Denn in diesen Fällen liegt typischerweise keine missbräuchliche Frühverrentung vor.

           

                 
        

Zutreffend ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch aus anderen Gründen als einer Insolvenz oder einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers unverschuldet arbeitslos werden können. Die Einführung großzügigerer Kriterien als einer Insolvenz oder einer vollständigen Geschäftsaufgabe wäre jedoch missbrauchsanfällig und daher ungeeignet, Fehlanreize zu verhindern. Denn in anderen als den geregelten Ausnahmefällen ist kein Nachweis darüber möglich, dass für die Arbeitslosigkeit allein Gründe maßgeblich waren, die frei von missbräuchlichen Absichten sind."

27

Das Ziel, eine missbräuchliche Frühverrentung von vornherein auszuschließen, ist regelmäßig nur erreichbar, wenn die Insolvenz in einem durch die InsO geprägten Sinn zu verstehen ist.

28

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw der Anordnung vorläufiger Maßnahmen bereits vor der Eröffnung verliert der Arbeitgeber die Verfügungs- bzw unkontrollierte Verfügungsbefugnis über sein Unternehmen oder fällt dieses bei Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse als Basis von Beschäftigungen weg mit der Folge, dass zumindest im Regelfall rechtlich oder faktisch eine missbräuchliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zwecks Frühverrentung durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgeschlossen ist (dazu aa). Dieses Ziel ist nicht erreichbar, wenn dem Begriff "Insolvenz" die Bedeutung einer bloßen Zahlungsunfähigkeit oder eines vergleichbaren finanziellen Zustands beigemessen wird (dazu bb).

29

aa) (1) Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, ernennt das Insolvenzgericht im Regelfall einen Insolvenzverwalter (§ 27 Abs 1 S 1 InsO). Mit der Eröffnung des Verfahrens tritt der Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung ein (Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, 2. Aufl 2010, S 643 RdNr 4; Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Aufl 2017, Einführung InsO RdNr 37, § 113 RdNr 1). Damit ist er aus den Arbeitsverhältnissen, die auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestehen (§ 108 Abs 1 S 1 InsO), nach Maßgabe der geltenden Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Arbeitsvertragsregelungen und Gesetze berechtigt und verpflichtet (Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO). Die Kündigungs- und Anfechtungsbefugnis gehen auf ihn über (Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, 1999, RdNr 518). Bereits vor der Eröffnung hat das Insolvenzgericht die Befugnis, vorläufige Maßnahmen zur Sicherung des Schuldnervermögens anzuordnen. Bei der Anordnung der vorläufigen Verwaltung wird differenziert zwischen der sog "schwachen" Verwaltung mit Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs 2 Nr 2 Alt 2 InsO und der sog "starken" Verwaltung mit Verfügungsverbot gemäß § 21 Abs 2 Nr 2 Alt 1, § 22 InsO(Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO, S 641 RdNr 2). Die Anordnung der "schwachen" vorläufigen Verwaltung hat keine Auswirkung auf die Arbeitgeberstellung; der Insolvenzschuldner bleibt Arbeitgeber (Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO; Berscheid, aaO, RdNr 499). Eine von ihm ausgesprochene Kündigung von Arbeitsverhältnissen ist jedoch nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam, sofern sich nichts anderes aus den Anordnungen des Insolvenzgerichts ergibt (vgl BAG Urteil vom 10.10.2002 - 2 AZR 532/01 - Juris RdNr 23 ff; Rüntz in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, S 227 RdNr 17). Ordnet das Insolvenzgericht die "starke" vorläufige Verwaltung an, so geht mit diesem Zeitpunkt die Arbeitgeberstellung, insbesondere das Kündigungsrecht auf den Insolvenzverwalter über (vgl Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO; Berscheid, aaO, RdNr 492).

30

Im Regelinsolvenzverfahren hat damit der Arbeitgeber nach Eröffnung des Verfahrens keine Möglichkeit mehr, Arbeitsverhältnisse zu beenden und ist auch vor dem Eröffnungsbeschluss bei Anordnung vorläufiger Maßnahmen zumindest von der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bei Kündigungen abhängig.

31

Ordnet das Gericht dagegen ausnahmsweise (dazu Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO, S 498 RdNr 7) Eigenverwaltung an (§§ 270 ff InsO), erhält der Schuldner zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse, unterliegt aber der umfassenden Aufsicht und Überwachung eines vom Insolvenzgericht eingesetzten Sachwalters (§ 270 Abs 1 S 1 InsO; Undritz in Schmidt, InsO, 19. Aufl 2016, § 270 InsO RdNr 25; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 270 RdNr 29). Dabei schließt der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§§ 21 ff InsO) grundsätzlich nicht aus (Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, aaO, S 502 RdNr 14).

32

Bei Anordnung der Eigenverwaltung wird der Schuldner daher zumindest in seinen Verfügungen kontrolliert.

33

(2) Die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gemäß § 26 Abs 1 S 1 InsO führt etwa bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften, Genossenschaften und Offenen Handelsgesellschaften sowie Kommanditgesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, zu deren Auflösung(§ 60 Abs 1 Nr 5 GmbHG, § 262 Abs 1 Nr 4 AktG, § 81a Nr 1 GenG, § 131 Abs 2 Nr 1 HGB, § 161 Abs 2 HGB). Die Auflösung führt zur Abwicklung (Liquidation) der Gesellschaft (vgl Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl 2017, § 60 RdNr 2; Kamanabrou in Oetker, HGB, 5. Aufl 2017, § 131 RdNr 19; Füller in Bürgers/Körber, Aktiengesetz, 4. Aufl 2017, § 262 RdNr 12) und anschließender Beendigung (vgl Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl 2016, § 60 RdNr 19 mwN; vgl zur Löschung vermögensloser Gesellschaften und Genossenschaften § 394 FamFG). Damit entfällt in diesen Fällen das Unternehmen als Basis der Beschäftigung des Arbeitnehmers, sodass eine missbräuchliche Kündigung insoweit ebenfalls ausscheidet. Dies gilt letztlich ebenso, wenn der Arbeitgeber eine natürliche Person ist. Auch diese ist im Fall ihrer - durch Beschluss des Insolvenzgerichts nachgewiesenen - Vermögenslosigkeit wirtschaftlich nicht in der Lage, ein Unternehmen fortzuführen.

34

bb) Verstünde man dagegen unter Insolvenz iS von § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 3 SGB VI nur den Zustand der Zahlungsunfähigkeit oder einen vergleichbaren finanziellen Zustand, bliebe die Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers rechtlich uneingeschränkt, sodass ein Zusammenwirken zwischen ihm und dem Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen werden kann. Interne, nicht dokumentierte Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich eines Nachweises entziehen, sind insoweit immer möglich. Abgesehen davon wäre auch die Zahlungsunfähigkeit nicht in einem geregelten Verfahren festgestellt worden, was zusätzlich Raum für eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Alg und anschließender Rente bietet.

35

c) Für das hier vertretene Begriffsverständnis sprechen schließlich auch systematische Erwägungen, insbesondere der zweite gesetzlich geregelte Rückausnahmetatbestand, die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers. Hierbei entfällt die Basis vorhandener Beschäftigungsverhältnisse und damit die Gelegenheit für eine missbräuchliche Frühverrentung durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die zweite Rückausnahmeregelung entspricht insoweit der oben dargestellten zweiten Variante einer verfahrensrechtlich geprägten Insolvenz, der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse, und ist mit der aufgezeigten ersten verfahrensrechtlichen Insolvenzvariante, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in der Wirkung vergleichbar. Beide schließen typischerweise einen Missbrauch aus, die vollständige Geschäftsaufgabe in tatsächlicher Hinsicht durch Wegfall der Beschäftigungsbasis und das eröffnete Insolvenzverfahren in rechtlicher Hinsicht durch Wegfall der uneingeschränkten oder unkontrollierten Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers.

36

Darüber hinaus verwenden auch die sonstigen Bücher des SGB, soweit sie Rechtsfolgen an die Insolvenz knüpfen, einen durch die InsO verfahrensrechtlich geprägten Insolvenzbegriff.

37

So setzt zB in § 165 Abs 1 S 1 SGB III der Anspruch auf Insolvenzgeld den Eintritt eines Insolvenzereignisses voraus, das in § 165 Abs 3 S 2 SGB III definiert wird. Danach gilt als Insolvenzereignis die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Im SGB IV normiert zB § 28a Abs 1 S 1 Nr 3 eine Meldepflicht des Arbeitgebers oder eines anderen Meldepflichtigen bei der Einzugsstelle für jeden in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten bei Eintritt eines Insolvenzereignisses. § 8a der Verordnung über die Erfassung und Übermittlung von Daten für die Träger der Sozialversicherung, der die Meldepflicht für bereits vor dem Insolvenzereignis freigestellte Beschäftigte betrifft(vgl Erkelenz in Jahn/Jansen, SGB IV, § 28a RdNr 16a, Stand 30.6.2015), konkretisiert diesen Begriff iS der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder dessen Nichteröffnung mangels Masse. § 19 Abs 1a S 1 SGB V nennt die Insolvenz einer Krankenkasse als Grund für das Ende der Mitgliedschaft eines Versicherten. § 171b SGB V, der die "Insolvenz von Krankenkassen" näher regelt, bestimmt in Abs 1, dass vom 1.1.2010 an die InsO für die Krankenkassen nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze gilt und regelt in Abs 5, dass mit dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder dem Tag der Rechtskraft des Beschlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, die Krankenkasse mit der Maßgabe geschlossen ist, dass die Abwicklung der Geschäfte der Krankenkasse im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der InsO erfolgt. Hiermit übereinstimmend definiert § 171d Abs 1 SGB V den Insolvenzfall als Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Krankenkasse oder die rechtskräftige Abweisung der Eröffnung mangels Masse.

38

Ein insolvenzbedingter Alg-Bezug im dargelegten Sinn liegt bei dem Kläger nicht vor. Seine Arbeitgeberin hat ihre Befugnis zur Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses am 12.12.2013 nicht aus den Regelungen der InsO abgeleitet. Das Insolvenzverfahren war vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeleitet.

39

2. Eine analoge Anwendung des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 3 SGB VI auf Fälle des Alg-Bezugs aufgrund der Kündigung eines Beschäftigungsverhältnisses zur Abwendung einer dann doch eingetretenen Insolvenz des Arbeitgebers oder gar auf sämtliche unfreiwilligen und unverschuldeten Beendigungen von Arbeitsverhältnissen kommt nicht in Betracht.

40

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz voraus (BGHZ 149, 165, 174; BGH NJW 2007, 992, 993 und 2008, 1446 Tz 14; BAG NJW 2003, 2473, 2474 f; BFH NJW 2006, 1837). Eine solche liegt hier nicht vor. Dem Gesetzgeber war bewusst, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch aus anderen Gründen als einer Insolvenz oder einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers unverschuldet arbeitslos werden können. Er hat sich trotz dieser Erkenntnis lediglich für die zwei genannten Rückausnahmen entschieden, weil in allen anderen Fällen kein Nachweis darüber möglich sei, dass die Arbeitslosigkeit nicht auf missbräuchlichen Absichten beruhe (vgl Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22.7.2014 - BT-Drucks 18/2186, S 9). Der Gesetzgeber hat daher wissentlich und willentlich eine nur enge Rückausnahmeregelung geschaffen.

41

II. § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 2 und 3 SGB VI stehen mit der Verfassung in Einklang.

42

1. Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor.

43

a) Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, dass Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung gemäß § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teil 2 SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn entgegen der Grundregel des Teils 1 nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden.

44

Der allgemeine Gleichheitssatz iS von Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl nur BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 - stRspr).

45

Die Regelung des Teils 2 benachteiligt die Personengruppe, die Zeiten im Sinne des Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn zurückgelegt hat, gegenüber der Personengruppe, die derartige Zeiten vor diesem Zeitraum absolviert hat und damit der Grundregel des Teils 1 unterfällt.

46

Die unterschiedliche Behandlung der dargestellten Gruppen durch den Gesetzgeber wird durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt.

47

Da eine Anordnung des Gesetzgebers, Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind, auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen, angesichts der weiten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit (BVerfGE 122, 1, 23; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1; BVerwGE 101, 86, 95; BSGE 70, 62, 67 = SozR 3-5750 Art 2 § 62 Nr 6)aus Verfassungsgründen nicht geboten war, kann es ihm grundsätzlich auch nicht verwehrt sein, für sie zeitliche Grenzen zu setzen. Insoweit liegt ein Vergleich mit der Zulässigkeit von Stichtagsregelungen nahe (vgl BVerfGE 80, 297, 311 = SozR 5795 § 4 Nr 8).

48

Dem Gesetzgeber ist es durch Art 3 Abs 1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Einführung eines Stichtags überhaupt notwendig ist und sich die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist (vgl zB BVerfGE 101, 239, 270; 117, 272, 301 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7; BVerfGE 123, 111, 128; 126, 369, 399 = SozR 5050 § 226 Nr 9).

49

Einer Prüfung anhand dieser Kriterien hält § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 2 SGB VI stand.

50

aa) Der Gesetzgeber durfte die Einführung einer zeitlichen Begrenzung der Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die Wartezeit von 45 Jahren iS eines Berücksichtigungsausschlusses in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn für notwendig halten.

51

Die Ausschlussregelung iS des Teils 2 ist in das Gesetz aufgenommen worden, um eine missbräuchliche Frühverrentung von vornherein zu verhindern. Die sog "Rente ab 63" dient - wie bereits oben ausgeführt - nicht dem Ziel, bereits zwei Jahre vor Rentenbeginn aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und über den Bezug von Alg in die abschlagsfreie Rente zu wechseln (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22.7.2014 - BT-Drucks 18/2186, S 9). Der Gesetzgeber durfte von der Gefahr einer missbräuchlichen Frühverrentung ausgehen. Es liegt im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, bei einer nicht eindeutig geklärten und auch nicht ohne Weiteres aufklärbaren Sachlage seinen Entscheidungen über zu ergreifende Maßnahmen eine Gefährdungsprognose zugrunde zu legen, wobei er sich allerdings nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützen darf (BVerfGE 138, 136 RdNr 144 mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

52

Die Einschätzung einer missbräuchlichen Frühverrentung kann sich nicht auf empirisch nachweisbare Befunde stützen; ebenso wenig ist ein derartiger Sachverhalt im voraus aufklärbar oder vorhersehbar, weil das Rentenzugangsgeschehen multifaktoriell ist und sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Akteure, wie zB individuellen Überlegungen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebersicht, ergibt (vgl schriftliche Stellungnahme der BA zur öffentlichen Anhörung vom Sachverständigen am 5.5.2014 - Ausschussdrucks 18<11>82 S 32, 33). Es stellt auch keine der Lebenserfahrung widersprechende Würdigung des Lebenssachverhalts dar, dass ältere Arbeitnehmer, die bereits ein langes und in der Regel anstrengendes Erwerbsleben absolviert, die 45-jährige Wartezeit möglicherweise aber dennoch nicht erfüllt haben, sich unter Inanspruchnahme von Alg aus dem Erwerbsleben verabschieden, um ggf über den Leistungsbezug die noch nicht erfüllte Wartezeit zu erreichen und anschließend mit 63 in die abschlagsfreie Rente zu wechseln. Die Möglichkeit, ein langes Erwerbsleben bei vorhandener sozialer Absicherung vorzeitig beenden zu können, stellt einen nicht zu leugnenden Anreiz dar (so auch die Einschätzung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der BA - schriftliche Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung vom Sachverständigen am 5.5.2014 - Ausschussdrucks 18<11>82, S 27, 28 und 33, 34; vgl auch schriftliche Stellungnahme des Prof. Dr. Bromsdorf zur öffentlichen Anhörung vom Sachverständigen am 5.5.2014 und Information des ULA-Deutschen Führungskräfteverbandes - Ausschussdrucks 18<11>82 S 63, 65 und 82) (so auch die Einschätzung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der BA - schriftliche Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung vom Sachverständigen am 5.5.2014 - Ausschussdrucks 18<11>82, S 27, 28 und 33, 34; vgl auch schriftliche Stellungnahme des Prof. Dr. Bromsdorf zur öffentlichen Anhörung vom Sachverständigen am 5.5.2014 und Information des ULA-Deutschen Führungskräfteverbandes - Ausschussdrucks 18<11>82 S 63, 65 und 82), der durch interne Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unschwer umgesetzt werden kann. Angesichts dieser Lebenswirklichkeit hält der Senat den moralischen Vorwurf der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die Ausschlussregelung stelle Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter den "Generalverdacht" einer missbräuchlichen Absprache über die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses (Sachstand WD 6 - 3000 - 133/14 S 9), für nicht gerechtfertigt. Erst recht vermag er nicht die Legitimität der gesetzgeberischen Erwägung in Frage zu stellen.

53

bb) Ein Ausschluss der Anrechnung für die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn orientiert sich auch am gegebenen Sachverhalt und ist damit vertretbar.

54

Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte wird gemäß § 236b SGB VI frühestens ab Vollendung des 63. Lebensjahres geleistet. Die Personen, die von der Ausschlussregelung des Teils 2 betroffen sind, haben daher mindestens das 61. Lebensjahr vollendet. Versicherte dieser Altersgruppe erhalten nach § 147 Abs 2 SGB III - vorbehaltlich des Vorliegens der weiteren dort normierten Anspruchsvoraussetzungen - Alg für 24 Monate, mithin also zwei Jahre. Der vom Gesetzgeber im Teils 2 gewählte Ausschlusszeitraum entspricht damit dem Zeitraum, in dem Alg maximal vor dem Rentenbeginn bezogen werden kann.

55

cc) Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Regelung des Teils 2 eine Härte für ihn - und vergleichbar betroffene Personen - darstellt, weil die Kündigung durch seine Arbeitgeberin zu einem Zeitpunkt (12.12.2013) erklärt worden ist, zu dem der Entwurf des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes noch nicht vorgelegen hat, sodass missbräuchliche Absichten bezogen auf die ab 1.7.2014 neu geregelte Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht vorgelegen haben können. Gleichwohl ist der Teils 2 zur Überzeugung des Senats mit dem allgemeinen Gleichheitssatz zu vereinbaren, weil jede Stichtagsregelung gewisse Härten mit sich bringt und Art 3 Abs 1 GG dem Gesetzgeber nicht aufgibt, die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BVerfGE 84, 348, 359; 110, 412, 436; 122, 151, 714 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16). Dies gilt umso mehr, als der Kläger seinerzeit kein Vertrauen auf die Anrechenbarkeit von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung innerhalb der letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn auf die 45-jährige Wartezeit haben konnte, weil derartige Zeiten nach der damaligen Rechtslage insoweit überhaupt nicht berücksichtigungsfähig waren (vgl § 51 Abs 3a SGB VI idF von Art 1 Nr 17 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007, BGBl I 554).

56

b) Ebenso erweist sich die Rückausnahmeregelung des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 3 SGB VI, nach dem Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn in den Fällen angerechnet werden, in denen dieser Bezug durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist, als mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.

57

Da die Rückausnahmeregelung des Teils 3 die Personengruppen begünstigt, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers zwei Jahre vor Rentenbeginn Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung beziehen, kommen als Vergleichsgruppen solche Personengruppen in Betracht, die aus anderen betriebsbedingten Gründen ihren Arbeitsplatz verloren haben und ebenfalls im vorgenannten Zeitraum Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung beziehen. Ihnen wird anders als den begünstigten Personengruppen diese Zeit nicht auf die 45-jährige Wartezeit angerechnet, was zu einem Rentenausschluss führt, falls die Wartezeit nicht bereits zu diesem Zeitpunkt erfüllt ist.

58

aa) Die unterschiedliche Behandlung der dargestellten Gruppen durch den Gesetzgeber wird durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt.

59

Der Gesetzgeber hat die Anrechnung von Zeiten des Alg-Bezugs in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 63 Jahre grundsätzlich ausgeschlossen, um - wie bereits oben dargelegt - eine missbräuchliche Frühverrentung zu verhindern. Versicherte sollen nicht bereits zwei Jahre vor Rentenbeginn aus dem Erwerbsleben ausscheiden und über den Bezug von Alg in die abschlagsfreie Rente gehen. Eine Ausnahme gilt für diejenigen Zeiten des Alg-Bezugs, die durch eine Insolvenz oder die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht werden, weil in diesen Fällen typischerweise keine missbräuchliche Frühverrentung vorliegt. Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22.7.2014 (BT-Drucks 18/2186, S 9) ist die Einführung großzügigerer Kriterien missbrauchsanfällig und daher ungeeignet, Fehlanreize zu verhindern. In anderen als den geregelten Ausnahmefällen sei kein Nachweis darüber möglich, dass für die Arbeitslosigkeit allein Gründe maßgeblich waren, die frei von missbräuchlichen Absichten sind.

60

Diese Gründe sind sachgerecht. Der Arbeitgeber verliert im Fall der Insolvenz, dh der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw der Anordnung vorläufiger Maßnahmen vor der Eröffnung die Verfügungs- bzw uneingeschränkte oder unkontrollierte Verfügungsbefugnis über sein Unternehmen oder bei einer Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse das Unternehmen als Basis von Beschäftigungen mit der Folge, dass zumindest im Regelfall rechtlich oder faktisch eine missbräuchliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zwecks Frühverrentung durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgeschlossen ist (vgl B.I.1.b aa). Letzteres gilt auch für die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers (vgl B.I.1.c).

61

Für alle sonstigen Fälle eines betriebsbedingten Verlustes des Arbeitsplatzes lässt sich dagegen ein Missbrauch nicht ausschließen. Zwischen einem Arbeitgeber, der die unkontrollierte und uneingeschränkte Verfügungsbefugnis über seinen laufenden Betrieb hat, und Arbeitnehmern sind vielmehr interne Absprachen über die Auflösung von Arbeitsverhältnissen möglich, die sich eines Nachweises entziehen.

62

bb) Schließlich liegen auch keine Fälle unzulässiger Typisierung vor.

63

Insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen - wie der Normierung von Voraussetzungen für den Anspruch einer gesetzlichen Rente - sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl nur BVerfGE 103, 310, 319; 113, 167, 236 = SozR 4-2500 § 266 Nr 8 RdNr 136; stRspr); der Gesetzgeber hat sich dabei am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, solange eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl nur BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob durch sie eintretende Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl nur BVerfGE 133, 377, 413). Außerdem ist zu beachten, dass die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besonders groß bei einer bevorzugenden Typisierung ist (BVerfGE 17, 1, 24 = SozR Nr 52 zu Art 3 GG; BVerfGE 103, 310, 319).

64

(1) Die in den Teils 3 aufgenommenen Ausnahmefälle stellen gemessen am Normzweck Regelfälle dar. Der Gesetzgeber hat die Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung innerhalb der letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn auf die Wartezeit ausgenommen, um von vornherein eine missbräuchliche Frühverrentung auszuschließen (BT-Drucks 18/2186, S 9). Hiervon hat er lediglich die Fälle der Insolvenz und der vollständigen Geschäftsaufgabe rückausgenommen, weil in diesen typischerweise keine Frühverrentung vorliegt, während in anderen Fällen kein Nachweis möglich ist, dass die Arbeitslosigkeit nicht auf missbräuchlichen Absichten beruht (BT-Drucks aaO).

65

(2) Auch wird durch die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt.

66

Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 2.9.2016 (BT-Drucks 18/9513, S 4) sind von 199 560 im Jahre 2014 gestellten Neuanträgen auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte 195 833 Anträge bewilligt und 1653 Anträge abgelehnt worden, wobei die Ablehnung von 1425 Anträgen wegen Nichterfüllung der Wartezeit erfolgt ist. Damit sind lediglich 0,714 % der 2014 gestellten Anträge an der Nichterreichung der 45-jährigen Wartezeit gescheitert. Im Jahr 2015 ist dieser Anteil noch geringer ausgefallen. Von 264 236 Neuanträgen auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte sind 260 394 Anträge bewilligt und 1488 abgelehnt worden, von denen 1250 auf dem Ablehnungsgrund "Wartezeit nicht erfüllt" beruhen (BT-Drucks 18/9513, S 4). Dies entspricht einem Anteil von 0,4731 % an allen gestellten Rentenanträgen.

67

Zwar handelt es sich bei diesen Werten nicht um eine präzise Berechnung der Auswirkungen der zum 1.7.2014 in Kraft getretenen Regelung des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teils 2 iVm 3 SGB VI. Denn die og Zahlen erfassen auch Personen, die nach altem Recht (vor dem 1.7.2014) eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen konnten (vgl BT-Druck 18/9513, S 3 und 4), und auf die sich die umstrittene Regelung möglicherweise nicht ausgewirkt hat. Außerdem könnte ein Teil der Ablehnungsfälle aufgrund nicht erfüllter Wartezeit auf anderen Gründen als der Regelung des Teils 2 iVm Teils 3 beruhen. Insoweit ist insbesondere zu bedenken, dass nicht nur Versicherte aus der Arbeitslosigkeit heraus, sondern auch "Beschäftigte", "geringfügig Beschäftigte", Personen "ohne Versicherungsereignis" und "Sonstige" die Gewährung einer "Rente ab 63" beantragt haben (so Versichertenbericht der Deutschen Rentenversicherung 2016, S 24 über die Rentenzugänge aus diesen Gruppen im Jahr 2014). Bei den zuletzt genannten Gruppen kann die Wartezeit von 45 Jahren ebenso nicht erfüllt sein, ohne dass hierfür die umstrittene Regelung ursächlich gewesen sein dürfte. Auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte behalten die ermittelten Werte indes eine hinreichend verlässliche Aussagekraft. Da nur weniger als ein Prozent aller Rentenanträge an der nicht erfüllten Wartezeit gescheitert sind, erlaubt dieser Befund trotz einer gewissen Ungenauigkeit die Aussage, dass die Ausschlussregelung in Verbindung mit den eng gefassten Rückausnahmen nur einen geringen Anteil von Personen erfasst.

68

(3) Schließlich wiegt die Ungleichbehandlung auch nicht sehr intensiv. Wie der Fall des Klägers zeigt, können Versicherte, die mangels Anrechenbarkeit von Zeiten des Alg-Bezugs in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn die Wartezeit von 45 Jahren nicht erfüllen, die fehlenden Beitragsmonate durch Ausübung einer (geringfügigen) versicherungspflichtigen Beschäftigung nachträglich erwirtschaften. Angesichts der Arbeitsmarktlage ist der Fall des Klägers auch nicht als Ausnahmefall anzusehen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 25.3.2014 (BT-Drucks 18/909, Begründung A I S 14) ist darauf hingewiesen, dass sich seit dem Jahr 2000 die Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen von knapp 20 % auf 46,5 % im Jahr 2012 mehr als verdoppelt hat. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung realisierten immer mehr Unternehmen, dass ältere Erwerbstätige dringend gebraucht würden, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Entsprechend sei die Wertschätzung der Unternehmen gegenüber ihren älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich gestiegen. Die Unternehmen investierten im eigenen Interesse zunehmend in altersgerechte Arbeitsbedingungen, Weiterbildung und Gesundheitsmanagement. Es seien keine Anzeichen erkennbar, dass sich dieser Trend umkehren könnte. Dem entspricht die Hintergrundinformation der BA - Statistik - vom Dezember 2015 (S 2 und 7): Danach hat die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in den letzten Jahren auch aus demografischen Gründen stark zugenommen. Seit 2009 sei die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 63 kontinuierlich gestiegen. Nach Einführung der "Rente ab 63" im Juli 2014 habe sich zwar die Beschäftigtenzahl verringert; ein Zusammenhang mit der Einführung der Rente könne plausibel vermutet werden. In der Altersgruppe der 61 und 62-Jährigen ist von 2010 bis Ende 2015 ein Beschäftigungsanstieg zu verzeichnen.

69

Angesichts der nachträglich möglichen Erfüllung der 45-jährigen Wartezeit durch Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung stellt die Regelung des Teils 2 iVm 3 für die nicht privilegierten Personengruppen entgegen der Ansicht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (Sachstand WD 6 - 3000 - 133/14 S 10 f) auch keine unzumutbare Belastung dar.

70

(4) Schließlich wäre die durch die Ungleichbehandlung entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar.

71

Bei einer Privilegierung auch solcher Personen, die aus anderen Gründen als der Insolvenz oder der vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers betriebsbedingt ihren Arbeitsplatz verloren haben, könnte die Regelung ihre Zweckbestimmung, Missbrauchsfälle von vornherein auszuschließen, nicht erreichen. Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22.7.2014 ist in anderen als den geregelten Ausnahmefällen kein Nachweis darüber möglich, dass für die Arbeitslosigkeit allein Gründe maßgeblich waren, die frei von missbräuchlichen Absichten sind (BT-Drucks 18/2186, S 9). Diese Erwägung ist vor dem Hintergrund stets möglicher, nicht dokumentierter Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachvollziehbar und plausibel.

72

(5) Letztlich ist im Rahmen der Prüfung eines Gleichheitsverstoßes zu bedenken, dass es sich bei der Rückausnahme des Teils 3 um eine bevorzugende Typisierung handelt, bei der die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers weiter gespannt ist als bei einer benachteiligenden Typisierung (BVerfGE 17, 1, 23 f = SozR Nr 52 zu Art 3 GG; BVerfGE 65, 325, 356; 103, 310, 319).

73

Ob eine bevorzugende oder benachteiligende Typisierung vorliegt, ist ausgehend vom Normalfall zu beurteilen, dh ausgehend von dem Fall, der nach Sinn und Zweck des Gesetzes in der Regel erfasst werden soll und erfasst wird (BVerfGE 17, 1, 23 f = SozR Nr 52 zu Art 3 GG). Grundsätzlich will der Gesetzgeber keine Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Leistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn, um eine missbräuchliche Frühverrentung zu verhindern (BT-Drucks 18/2186, S 9). Ausgehend hiervon stellt die Rückausnahme der in Teils 3 privilegierten Personengruppen eine Bevorzugung dar. Die Zahl der infolge der Typisierung bevorzugten Personen dürfte sich in solchen Grenzen halten, die angesichts der bei Bevorzugungen weit gespannten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hingenommen werden kann (vgl hierzu BVerfGE 17, 1, 25 = SozR Nr 52 zu Art 3 GG).

74

Nach dem Versichertenbericht der Deutschen Rentenversicherung 2016 (S 24) wechseln in die Altersrente für besonders langjährig Versicherte vor allem beschäftigte Personen. Im Jahr 2014 stellten "Beschäftigte" 77 % der Zugänge in diese Rente. Die restlichen 23 % entfielen auf "geringfügig Beschäftigte", "Arbeitslose", Personen "ohne Versicherungsereignis" und "Sonstige". Der Anteil der Arbeitslosen lag hierbei bei nur knapp 10 %. Hiervon wird nach der Lebenserfahrung nur ein Teil zu denjenigen gehören, die Leistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn infolge einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe ihres Arbeitgebers bezogen haben und nur über die Rückausnahmeregelung des Teils 3 und die hierdurch mögliche Anrechnung dieser Zeiten die Wartezeit erfüllt haben. Eine nicht mehr hinnehmbare Begünstigungsquote von mehr als 10 % (vgl hierzu Jarass in ders/Pieroth, GG, 14. Aufl 2016, Art 3 RdNr 31) wird auf keinen Fall erreicht.

75

2. Ebenso wenig liegt eine Verletzung des Art 14 Abs 1 S 1 GG vor.

76

Was zum "Inhalt" des Eigentums gehört, bestimmen entsprechend Art 14 Abs 1 S 2 GG die Gesetze (BVerfGE 52, 1, 27). Der Gesetzgeber schafft auf der Ebene des objektiven Rechts diejenigen Rechtssätze, die die Rechtsstellung des Eigentümers begründen und ausformen; sie können privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein (BVerfGE 58, 300, 330).

77

Die Anrechnung von Zeiten des Alg-Bezugs auf die 45-jährige Wartezeit ist erst durch § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a SGB VI mit Wirkung zum 1.7.2014 angeordnet worden, wobei zugleich die Berücksichtigung dieser Zeiten für die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn ausgeschlossen worden ist. Die Vorschrift hat damit nicht in eine den Versicherten bereits zuerkannte Rechtsposition eingegriffen, sondern ihnen vielmehr von Anfang an nur eine beschränkte Rechtsposition eingeräumt. Art 14 GG schützt aber lediglich Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen (BVerfGE 68, 193, 222 = SozR 5495 Art 5 Nr 1; BVerfGE 78, 205, 211; 95, 173, 187 f).

78

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich mittelbar gegen die Ausgestaltung des Elterngelds als Einkommensersatzleistung.

2

1. In dem am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) wurde das Elterngeld, abgesehen von dem gegebenenfalls um einen Geschwisterbonus erhöhten Mindestbetrag von 300 €, als Einkommensersatzleistung ausgestaltet. Das Elterngeld wird nach § 2 Abs. 1 BEEG in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 € monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt.

3

2. Die 1971 geborene Beschwerdeführerin ist verheiratet und Mutter von fünf Kindern. Sie widmet sich der Kindererziehung. Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist erwerbstätig. Der Beschwerdeführerin wurde Elterngeld in Höhe des Mindestbetrags von 300 € monatlich für das im Mai 2007 geborene Kind gewährt. Widerspruch und Klage der Beschwerdeführerin auf die Gewährung von Elterngeld in Höhe des Maximalbetrags von 1.800 € blieben bis zum Bundessozialgericht erfolglos.

4

3. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Das Elterngeld benachteilige durch seine Ausgestaltung als Entgeltersatzleistung Eltern, die vor der Geburt kein Erwerbseinkommen erwirtschaftet hätten. Betroffen seien insbesondere Eltern, die in einer Mehrkindfamilie ausschließlich die Erziehungsverantwortung übernommen hätten, aber auch Studenten und Arbeitslose. Als steuerfinanzierte Entgeltersatzleistung bilde das Elterngeld einen Fremdkörper im Sozialrecht. Keine andere Sozialleistung gewähre bei einem höheren Einkommen höhere Leistungen ohne einen rechtfertigenden Grund. Die Ziele, die der Gesetzgeber mit der Einführung des Elterngelds verfolgt habe, wie die Schaffung eines finanziellen Schonraums für junge Familien, wögen für Eltern mit geringem Einkommen in keinem Fall geringer als für solche mit höherem Einkommen.

5

Darüber hinaus sei Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Die Gestaltung des Elterngelds diskriminiere Mehrkindfamilien, in denen realistisch nur ein Elternteil berufstätig sein könne, gegenüber Familien, in denen die Eltern ihre Berufstätigkeit nur kurzfristig zugunsten der Familienarbeit unterbrächen. Gegenüber dem Bundeserziehungsgeld, das durch das Elterngeld abgelöst wurde, hätten solche Familien eine Leistungshalbierung hinnehmen müssen. Erhalte ein Elternteil heute bei Inanspruchnahme des Mindestbetrags von 300 € monatlich insgesamt 3.600 €, so konnte ein bezugsberechtigtes Elternteil bei zweijährigem Bezug 7.200 € Bundeserziehungsgeld erhalten. Demgegenüber erhielten Eltern bei Bezug des Höchstbetrags von 1.800 € monatlich insgesamt 21.600 € Elterngeld (25.200 € bei Inanspruchnahme der Partnermonate).

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie unbegründet ist.

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1. Die Gestaltung des Elterngelds als steuerfinanzierte Einkommensersatzleistung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

8

a) Die Bemessung der Höhe des Elterngelds auf der Grundlage des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens (§ 2 Abs. 1 BEEG) führt zwar zu einer unterschiedlichen Behandlung der Leistungsempfänger je nach der Höhe ihres vor der Geburt erwirtschafteten Erwerbseinkommens, ohne dass der staatlichen Leistung am Einkommen orientierte Sozialversicherungsleistungen der Empfänger vorausgegangen wären. Dass die einkommensabhängige Ausgestaltung des Elterngelds im Vergleich zur nicht als Einkommensersatzleistung ausgestalteten Vorgängerregelung im Bundeserziehungsgeldgesetz einen Systemwechsel bedeutet und möglicherweise in der einfachgesetzlichen Struktur sozialer Leistungen systematisch eine gewisse Sonderstellung einnimmt, bedeutet verfassungsrechtlich für sich genommen jedoch keinen Gleichheitsverstoß (vgl. BVerfGE 81, 156 <207>; 85, 238 <247>).

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b) Die mit der einkommensbezogenen Differenzierung der Höhe des Elterngelds einhergehende Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

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aa) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, ohne dass dem Gesetzgeber damit jede Differenzierung verwehrt wäre. Differenzierungen bedürfen allerdings stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 122, 1 <23>; 126, 400 <416> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris, Rn. 64 f.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris, Rn. 65). Umgekehrt kommt dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personengruppen grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 99, 165 <178>; 106, 166 <175 f.>). Ob er bei der Ausgestaltung dieses Gestaltungsspielraums die gerechteste und zweckmäßigste Lösung trifft, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen (BVerfGE 38, 154 <166>).

11

bb) Die an das bisherige Erwerbseinkommen anknüpfende Differenzierung bei der Höhe des Elterngelds unterliegt danach nicht den strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Sie knüpft nicht an Persönlichkeitsmerkmale an, die dem Einzelnen nicht verfügbar wären oder sich den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmalen annäherten. Auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheit kann sie sich allerdings mittelbar auswirken (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG).

12

(1) Der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie ist allenfalls am Rande in seiner abwehrrechtlichen Dimension betroffen (verneinend Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Februar 2011 - B 10 EG 17/09 R -, juris, Rn. 63 m.w.N.). Zwar garantiert Art. 6 Abs. 1 und 2 GG die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb hat der Staat die Ehe- und die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren. Demgemäß können Ehepaare nach eigenen Vorstellungen zwischen einer Doppelverdiener- und einer Einverdienerehe wählen und dürfen Eltern ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll (vgl. BVerfGE 99, 216 <231>). Solche Entscheidungen sind grundsätzlich durch entsprechende Ausge-staltung des Elterngelds oder ähnlicher Leistungen mittelbar beeinflussbar. Die hier allein zu überprüfende Bemessung des zwölfmonatigen Elterngelds nach dem bisherigen Erwerbseinkommen beeinflusst diese Entscheidungen jedoch allenfalls am Rande. Insbesondere hat die Regelung des § 2 Abs. 1 BEEG keine intensive Anreizwirkung für Doppelverdienerehen im Vergleich zu Einverdienerehen. Vielmehr schafft nach der Geburt eines Kindes gerade die Einkommensersatzfunktion des Elterngelds einen tatsächlichen Anreiz, die Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung eines Kindes vorübergehend zu unterbrechen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2011 - B 10 EG 17/09 R -, juris, Rn. 63).

13

(2) Hingegen ist Art. 6 Abs. 1 und 2 GG durch die Regelung des § 2 Abs. 1 BEEG in seiner Schutz- und Förderdimension (vgl. BVerfGE 111, 160 <172>) berührt. Grenzen zulässiger Ungleichbehandlung, die dem Gesetzgeber durch den allgemeinen Gleichheitssatz hinsichtlich der Auswirkungen auf die Freiheitsrechte gezogen sind (s.o., aa), ergeben sich auch im Hinblick auf die Verwirklichung des staatlichen Schutz- und Förderungsauftrags des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG (vgl. BVerfGE 111, 176 <184 f.>). Das Elterngeld dient der Familienförderung. Der Gesetzgeber verwirklicht damit den ihm verfassungsrechtlich aufgetragenen Schutz der Familie. Die durch das BEEG gewährte Familienförderung ist für sich betrachtet stärker, wenn der bezugsberechtigte Elternteil zuvor ein höheres Einkommen hatte, als wenn er ein niedrigeres Einkommen hatte. Diese Differenzierung ist angesichts des verfassungsrechtlichen Auftrags zur Familienförderung rechtfertigungsbedürftig. Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personengruppen grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. BVerfGE 99, 165 <177 f.>; 106, 166 <175 f.>). Weit ist der Gestaltungsspielraum auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Familienförderung (vgl. BVerfGE 87, 1 <35 f.>; 103, 242 <260>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. April 2011 - 1 BvR 1811/08 -, juris, Rn. 9).

14

cc) Die gesetzgeberische Entscheidung, bei der Bemessung des Elterngelds an das bisherige Erwerbseinkommen anzuknüpfen, beruht auf Sachgründen, die hinreichend gewichtig sind, um die Ungleichbehandlung grundrechtlich zu rechtfertigen.

15

(1) Mit der Ausgestaltung als Einkommensersatzleistung wollte der Gesetzgeber insbesondere darauf "reagieren, dass Männer und Frauen sich immer später und seltener für Kinder entscheiden". Für viele Männer und Frauen seien "finanzielle Unsicherheit und Brüche in der Berufsbiographie Gründe, ihren Kinderwunsch nicht zu verwirklichen". Die Ausrichtung des Elterngelds auf die Kompensation des Wegfalls individuellen Einkommens soll finanzielle Unsicherheiten verhindern, die eine Hinauszögerung des Kinderwunschs verursache (BTDrucks 16/1889, S. 15).

16

Zwar kann, worauf die Beschwerdeführerin hinweist, ein Elternteil, der vor der Geburt eines Kindes ein höheres Einkommen erzielt hat, größere Ansparungen zur Vorbereitung auf die Zeit der Kinderbetreuung tätigen als eine Person mit geringerem Einkommen. Auch hat ein Elternteil mit höherem Einkommen bessere Aussichten, nach einer Zeit der Kinderbetreuung wiederum ein höheres Erwerbseinkommen zu erwirtschaften und so Ausgaben für Kinderbetreuung zu finanzieren, die eine weitere Berufstätigkeit und die angemessene Förderung des Kindes ermöglichen. Schwerpunktmäßig fördert das Elterngeld jedoch Erziehende mit kleinen und mittleren Einkommen, wie sie meist am Beginn der Berufstätigkeit erwirtschaftet werden (vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Februar 2011 - B 10 EG 17/09 R -, juris, Rn. 40). Eltern mit geringeren Einkommen erhalten gemäß § 2 Abs. 2 BEEG relativ eine höhere Kompensation des Erwerbsausfalls als Eltern mit hohem Einkommen, weil das Elterngeld auf 1.800 € beschränkt ist. Der Gesetzgeber will verhindern, dass bei Männern und Frauen die Aussicht, nach Studium und Ausbildung mit der Geburt eines Kindes einen erheblichen Teil des gerade erwirtschafteten Einkommens wieder zu verlieren, zu einem Aufschieben des Kinderwunschs führt. Das Elterngeld soll die Entscheidung für eine Verbindung von Beruf und Familie gegenüber einem Verzicht auf Kinder begünstigen und will daher Einkommensunterschiede zwischen kinderlosen Paaren und Paaren mit Kindern abmildern (vgl. BTDrucks 16/1889, S. 14).

17

Dass der Gesetzgeber bei jüngeren Berufstätigen spezifische Hindernisse für die Familiengründung ausmacht und darum in typisierender Weise gerade hier Anreize für die Familiengründung setzt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar verzichtet der Gesetzgeber mit der gewählten Ausgestaltung des Elterngelds darauf, einen sozialen Ausgleich vorzunehmen. Die Behebung von Notlagen überlässt er anderen Sicherungssystemen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2011 - B 10 EG 17/09 R -, juris, Rn. 90). Dass bei einer Ausgestaltung des Elterngelds als Kompensationsleistung für geburtsbedingten Einkommensverlust Unterschiede der Förderung zwischen Familien je nach dem vorgeburtlichen Einkommen der Eltern entstehen, ist jedoch verfassungsrechtlich angesichts der gesetzlichen Zielsetzung noch hinzunehmen, zumal die Regelung auch Eltern ohne vorgeburtliches Einkommen nicht gänzlich ohne Förderung lässt.

18

(2) Die mittelbar angegriffene Regelung ist zudem im Hinblick auf den Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen und überkommene Rollenverteilungen zu überwinden (stRspr; vgl. BVerfGE 92, 91 <112 f.>). Der Verfassungsauftrag will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen (vgl. BVerfGE 85, 191 <207> m.w.N.). Dies verpflichtet den Gesetzgeber auch dazu, einer Verfestigung überkommener Rollenverteilung zwischen Mutter und Vater in der Familie zu begegnen, nach der das Kind einseitig und dauerhaft dem "Zuständigkeitsbereich" der Mutter zugeordnet würde (vgl. BVerfGE 114, 357 <370 f.>).

19

Nicht nur mit Einführung der sogenannten Partner- oder Vätermonate (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2011 - 1 BvL 15/11 -, juris), sondern auch mit der Gestaltung des Elterngelds als Einkommensersatz beabsichtigte der Gesetzgeber, die partnerschaftliche Teilhabe beider Eltern an Erziehungs- und Betreuungsaufgaben zu stärken (BTDrucks 16/1889, S. 1, 2, 14, 15, 16, 19 f.). Während der ersten Zeit der Kinderbetreuung gebe in 95 % der Fällen die Mutter ihre Erwerbstätigkeit auf, während der Vater seine beruflichen Anstrengungen häufig intensiviere, um den entstandenen Einkommensausfall zumindest teilweise kompensieren zu können. Daher nähmen nur 5 % der Väter Elternzeit in Anspruch (BTDrucks 16/1889, S. 14). Um Vätern und Müttern gleichermaßen eine aktive Elternrolle zu erlauben, wolle das Elterngeld die Übernahme der Elternzeit auch durch jenen Elternteil, meist den Vater, ermöglichen, der das höhere Einkommen erziele (BTDrucks 16/1889, S. 20). Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass sich die Zahl der Väter, die Elternzeit und Elterngeld in Anspruch nehmen, seit der Einführung des Elterngelds zum 3. Quartal 2009 auf 23,9 % erhöht hat. Väter erhalten auch häufig ein höheres Elterngeld als Mütter. So erhielten von Januar 2007 bis Juni 2008 21,7 % der Väter über 1.500 € Elterngeld, während dies nur auf 4,4 % der Mütter zutraf (vgl. BTDrucks 16/10770, S. 12). Insofern ist die Annahme des Gesetzgebers, die Ausgestaltung des Elterngelds als Einkommensersatzleistung könne auch Väter zur Wahrnehmung von Erziehungsverantwortung ermutigen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

20

2. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffene Regelung auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Die gesetzgeberische Entscheidung, bei der Bemessung des Elterngelds an das bisherige Erwerbseinkommen anzuknüpfen, ist von legitimen Zwecken getragen. Bei der Ausgestaltung der durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Familienförderung kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, den er mit der hier mittelbar angegriffenen Regelung nicht überschritten hat.

21

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

22

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.