Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 09. Juli 2019 - L 20 SF 12/19 AB

bei uns veröffentlicht am09.07.2019
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 5 KR 648/18 ER, 08.10.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 29. April 2019, L 20 SF 12/19 AB, wird als unzulässig verworfen.

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Anhörungsrüge wird abgelehnt.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Mit am 07.05.2019 zugestelltem Beschluss vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, verwarf der Senat den im Verfahren L 20 KR 500/18 B ER gestellten Befangenheitsantrag des Antragstellers gegen den Richter am Landessozialgericht (LSG) X. als unzulässig.

Dagegen hat der Antragsteller mit einem auf den „07. Mai 2019“ datierten, beim Bayer. LSG aber erst am 04.06.2019 per Telefax eingegangenen Schreiben „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Gleichzeitig hat er beantragt, ihm für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen.

II.

Die als Anhörungsrüge auszulegende „sofortige Beschwerde“ ist unzulässig. PKH für das Verfahren der Anhörungsrüge ist dem Antragsteller nicht zu bewilligen.

1. Auslegung des auf den 07.05.2019 datierten und am 04.06.2019 bei Gericht eingegangenen Schreibens Das auf den 07.05.2019 datierte und am 04.06.2019 eingegangene Schreiben des Antragstellers ist, wie seine Auslegung ergibt, als Anhörungsrüge zu dem in Sachen des Antragstellers ergangenen Beschluss des Senats vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, zu sehen.

Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, 1 BvR 461/03).

Bei Beachtung dieser Vorgaben ergibt die Auslegung, dass das auf den 07.05.2019 datierte Schreiben des Antragstellers als Anhörungsrüge gegen den in Sachen des Antragstellers ergangenen Beschluss des Senats vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, zu betrachten ist. In diesem Beschluss ist auf dessen Unanfechtbarkeit gemäß § 177 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden. Eine „sofortige Beschwerde“, wie es der Antragsteller in seinem Schreiben vom 07.05.2019 formuliert hat, oder ein anderes Rechtsmittel ist daher nicht eröffnet. Aus dem Umstand, dass sich der Antragsteller mit dem vorgenannten Schreiben gegen den Beschluss vom 29.04.2019 gewandt hat und diesen offenbar als fehlerhaft ansieht, zieht der Senat den Schluss, dass der Antragsteller gleichwohl eine Überprüfung dieses Beschlusses durch den Senat begehrt. Diesem Begehren kommt eine Überprüfung im Rahmen einer Anhörungsrüge gemäß § 178a SGG, einem außerordentlichen Rechtsbehelf als Möglichkeit der richterlichen Selbstkorrektur (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders./Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 178a, Rdnr. 2), am nächsten. Um dem Begehren des Antragstellers im Sinne der Gewährung umfassenden Rechtsschutzes nachzukommen, ist daher sein Schreiben vom 07.04.2019 als Anhörungsrüge zu behandeln und zu verbescheiden.

2. Zuständigkeit für die Entscheidung über die Anhörungsrüge

Zuständig für die Entscheidung über die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 29.04.2019, mit dem sein Befangenheitsantrag gegen den Richter am Bayer. LSG X. als unzulässig verworfen worden ist, ist der 20. Senat in der Besetzung auch mit dem zuvor vom Antragsteller als befangen abgelehnten Richter. Zwar kann grundsätzlich gemäß § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ein abgelehnter Richter an der Entscheidung über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch nicht mitwirken, was in gleicher Weise für eine Anhörungsrüge gegen einen den Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluss zu gelten hat. Dieses Mitwirkungsverbot gilt jedoch in entsprechender Anwendung der für die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch selbst geltenden Grundsätze auch für eine nachfolgende Anhörungsrüge dann nicht, wenn die Anhörungsrüge unzulässig ist, also eine rein auf formale Gesichtspunkte gestützte Entscheidung ohne inhaltliche Prüfung des sachlichen Vortrags des Antragstellers der Anhörungsrüge zu Fragen der Befangenheit erfolgt, was vorliegend der Fall ist (vgl. unten Ziff. 3.).

Für die Selbstentscheidung eines Gerichts über ein Befangenheitsgesuch, also unter Mitwirkung des vom Befangenheitsgesuch betroffenen Richters, gilt Folgendes:

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG lässt „in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs“ (BVerfG, Beschluss vom 20.07.2007, 1 BvR 3084/06) eine Selbstentscheidung der abgelehnten Richter über das Gesuch zu (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG gerät bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des Vorliegens eines klar unzulässigen, d.h. gänzlich untauglichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.07.2007, 1 BvR 3084/06), oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01). Dabei ist aber eine enge Auslegung der Voraussetzungen geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.02.2006, 2 BvR 836/04). Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15.06.2015, 1 BvR 1288/14). Eine völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs in diesem Sinn ist dann anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.03.2013, 1 BvR 2853/11). Ist hingegen eine - wenn auch nur geringfügige - Befassung mit dem Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung des Befangenheitsgesuchs unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.07.2006, 2 BvR 513/06). Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01). Diese Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag sind verfassungsrechtlich so durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.07.2007, 1 BvR 2228/06).

Übertragen auf den zu einer Anhörungsrüge zu der Entscheidung über einen Befangenheitsantrag zu ergehenden Beschluss bedeutet dies, dass einer Mitwirkung des vom Befangenheitsgesuch betroffenen Richters dann nichts entgegensteht, wenn die Entscheidung über die Anhörungsrüge keinerlei Eingehen auf inhaltliche Fragen betreffend die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters erfordert.

Im vorliegenden Fall bedarf die Entscheidung über die Anhörungsrüge keinerlei Auseinandersetzung mit Fragen betreffend die Befangenheit, da die Anhörungsrüge bereits unzulässig ist (vgl. unten Ziff. 3.).

3. Unzulässigkeit der Anhörungsrüge

Die Anhörungsrüge ist gemäß § 178a Abs. 4 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen; sie ist verfristet und entspricht im Übrigen auch nicht dem Darlegungserfordernis des § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG.

Gemäß § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG muss die Anhörungsrüge die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 178a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG genannten Voraussetzungen („das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat“) darlegen; zu erheben ist sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 178a Abs. 2 Satz 1 SGG. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

3.1. Verfristung

Die Anhörungsrüge ist verfristet, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 178a Abs. 2 Satz 1 SGG erhoben worden ist.

Frühester, in aller Regel aber auch spätester Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Verletzung des rechtlichen Gehörs, mit der die Zwei-Wochen-Frist des § 178a Abs. 2 Satz 1 SGG zu laufen beginnt, ist die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BSG, Beschluss vom 15.03.2018, B 10 ÜG 30/17 C). Wenn ein Antragsteller geltend macht, von einem die Anhörungsrüge eröffnenden Umstand erst später Kenntnis erlangt zu haben, ist dies gemäß § 178a Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz SGG vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Der Antragsteller hätte daher innerhalb von zwei Wochen ab Zugang des Beschlusses vom 29.04.2019, d.h. ab dem 07.05.2019, die Anhörungsrüge erheben müssen, wobei entscheidend für die Fristwahrung allein der Eingang bei Gericht, nicht aber die Abfassung oder Datierung des Schreibens durch den Antragsteller ist (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 16.05.2014, L 15 SF 372/13, und vom 12.10.2015, L 15 SF 274/15). Vorliegend hat der Antragsteller die Anhörungsrüge aber deutlich nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist, nämlich mit Eingang bei Gericht am 04.06.2019, erhoben. Irgendwelche Wiedereinsetzungsgründe für eine verspätete Geltendmachung der Anhörungsrüge sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgetragen worden.

3.2. Nichterfüllung des Darlegungserfordernisses

Die Anhörungsrüge ist auch deshalb unzulässig, weil der Antragsteller dem Darlegungserfordernis des § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG nicht gerecht geworden ist.

Die Erfüllung des Darlegungserfordernisses gemäß § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG, wonach die Anhörungsrüge die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 178a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG genannten Voraussetzungen („das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat“) darlegen muss, ist wegen § 178a Abs. 4 Satz 1 SGG Zulässigkeitsvoraussetzung (vgl. BSG, Beschluss vom 07.04.2005, B 7a AL 38/05 B; Beschluss des Bayer. LSG vom 24.07.2012, L 15 SF 150/12 AB RG, L 15 SF 151/12 AB RG). Eine Anhörungsrüge ist daher nur dann zulässig, wenn sich dem Vorbringen zweierlei entnehmen lässt, nämlich zum einen die Verletzung des Anspruchs des die Rüge erhebenden Beteiligten auf rechtliches Gehör durch das Gericht, zum anderen, dass die Verletzung entscheidungserheblich ist (vgl. Leitherer, a.a.O., § 178a, Rdnr. 6a).

Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten dürfen - auch mit Blick auf die kurze Darlegungsfrist von zwei Wochen - die Anforderungen nicht überspannt werden, da im SGG zwingende Begründungsanforderungen ansonsten nur für Verfahren vor dem BSG mit Vertretungszwang aufgestellt werden. Auch von einem rechtsunkundigen Beteiligten müssen jedoch gewisse Mindestanforderungen erfüllt werden. Dies ist zum einen ein substantiierter Vortrag, aus dem erkennbar ist, warum das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist, oder der schlüssig die Umstände aufzeigt, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt. Zum anderen ist darzulegen, weshalb ohne den Verstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Leitherer, a.a.O., § 178a, Rdnr. 6a; Bayer. LSG, Beschluss vom 07.08.2013, L 15 SF 139/13 RG).

Darlegungen im aufgezeigten Sinne fehlen im Schreiben des Antragstellers vom 07.05.2019 völlig. Diesem Schreiben kann lediglich entnommen werden, dass der Antragsteller die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ohne Verstöße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot gegenüber Schwerbehinderten, ohne überzogene Anforderungen an Anträge, Begründungen und Beweisführungen und unter Beachtung der Vorschriften der Zivilprozessordnung und des Sozialgesetzbuchs begehrt. Worin konkret er im bisherigen Verfahren zum Befangenheitsantrag Verstöße gegen die vorgenannten Gesichtspunkte zu erkennen meint, benennt er nicht, so dass auch bei einer für den Antragsteller äußerst freundlichen Auslegung die Mindestanforderungen an das Darlegungserfordernis nicht erfüllt sind.

4. Keine PKH

PKH ist dem Antragsteller wegen der fehlenden Erfolgsaussichten der Anhörungsrüge nicht zu bewilligen.

Zwar ist ein Antrag auf Bewilligung von PKH auch im Verfahren der Anhörungsrüge zulässig (vgl. BSG, Beschlüsse vom 25.02.2010, B 11 AL 22/09 C, und vom 15.03.2018, B 10 ÜG 30/17 C). Sofern das LSG Sachsen im Beschluss vom 30.04.2013, L 8 AS 702/13 B KO RG, die Ansicht vertreten hat, dass die Bewilligung von PKH für das Verfahren der Anhörungsrüge bereits deshalb ausscheide, weil für das Verfahren der Anhörungsrüge keine Kosten der Prozessführung aufzubringen seien - nach § 183 SGG keine Gerichtskosten und wegen des Zusammenhangs mit dem zugrunde liegenden Verfahren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Buchst. b Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) auch keine Anwaltsgebühren -, kann sich der Senat dieser Ansicht jedenfalls nicht für den Fall anschließen, dass - wie vorliegend - im zugrunde liegenden Verfahren eine anwaltliche Vertretung noch nicht erfolgt ist. Denn wenn ein Rechtsanwalt allein für die Vertretung im Verfahren der Anhörungsrüge beauftragt wird, fallen dafür Anwaltskosten an, da der Anwalt nicht schon einen Gebührenanspruch für das zugrunde liegende Verfahren erworben hat. Würde in einer Konstellation wie hier, in dem eine anwaltliche Vertretung erstmals für das Verfahren der Anhörungsrüge angestrebt wird, die Bewilligung von PKH in jedem Fall verweigert, wäre ein unbemittelter Antragsteller schlechter gestellt als ein bemittelter, was mit der Bewilligung von PKH unter grundrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 GG) gerade vermieden werden soll (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 22.01.1959, 1 BvR 154/55, und vom 16.04.2019, 1 BvR 2111/17).

Die Bewilligung von PKH scheitert aber daran, dass für das Verfahren der Anhörungsrüge keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestehen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat verweist insofern wird auf die obigen Ausführungen (vgl. Ziff. 3.). Auf weitere Ausführungen kann vorliegend verzichtet werden. Denn die Umstände des Einzelfalls machen vorliegend, auch wenn die Entscheidung über die Bewilligung von PKH und diejenige über das Begehren in der Sache, hier also über die Anhörungsrüge, unterschiedlichen Maßstäben unterliegen, eine separate Begründung der Entscheidung über die PKH nicht erforderlich (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 08.07.2016, 2 BvR 2231/13, und vom 05.12.2018, 2 BvR 2257/17).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 178a Abs. 4 Satz 3 SGG (Entscheidung über die Anhörungsrüge) bzw. § 177 SGG (Entscheidung über den PKH-Antrag) unanfechtbar.

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Tatbestand 1 Der Senat hat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 15. Dezember 2008

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Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Festbetrages für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin.

2

Der im Jahre 1954 geborene Kläger ist freiwillig bei einer Ersatzkasse versichert. Er leidet an erhöhten Blutfettwerten (Hyperlipoproteinämie) und beginnender geringer Arteriosklerose in den Halsschlagadern. Hinweise für eine koronare Herzerkrankung bestehen nicht. Seine vertragsärztlich verordnete Therapie zielt mittels Statinen erfolgreich auf die Absenkung seines LDL-Cholesterin-Werts (an Lipoprotein geringer Dichte gebundenes Cholesterin, das im Blutkreislauf zur Leber transportiert wird) im Serum auf weniger als 70 mg/dl. Statine dienen insbesondere dazu, als zu hoch angesehene Spiegel von LDL-Cholesterin im Menschen zu senken. Hierzu vermindern sie die körpereigene Erzeugung dieses Stoffes, indem sie die Wirkung des Schlüsselenzyms für die Cholesterinproduktion in Körperzellen (ß-Hydroxy-ß-Methylglutaryl-Coenzym A-Reduktase ) hemmen. Die Zellen reagieren auf den hierdurch hervorgerufenen Cholesterinmangel, indem sie vermehrt Rezeptoren bilden, die das LDL aus dem Blut aufnehmen. Zur Gruppe der Statine gehören ua Atorvastatin und Simvastatin. Der Kläger erhält seit 2003 vertragsärztliche Verordnungen über in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel mit Statinen, und zwar zunächst Sortis 20 mg/d mit dem Wirkstoff Atorvastatin, ab 2005 das Kombipräparat Inegy 10/20 mit den Wirkstoffen Ezetimib und Simvastatin, das der Kläger - ärztlich attestiert - bestens verträgt, und am 23.11.2009 Atorvastatin 40 mg N3 "aut idem". Der Wirkstoff Atorvastatin wird synthetisch hergestellt und genießt bis 2011 Patentschutz. Sortis wurde am 17.12.1996 mit den Wirkstärken 10, 20, 40 mg, später auch mit der Wirkstärke 80 mg arzneimittelrechtlich zugelassen. Seine Zulassung erstreckt sich nach der Fachinformation ua auf das Anwendungsgebiet der primären und kombinierten Hypercholesterinämie. Für diese Anwendungsgebiete sind auch die übrigen Arzneimittel zugelassen, die als Wirkstoffe die Statine Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin enthalten. Der Beigeladene zu 1. fasste auf der Grundlage einer Anhörung und einer gutachterlichen Stellungnahme Arzneimittel mit Statinen als Wirkstoff in der Festbetragsgruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" in der Anlage 2 der Arzneimittel-Richtlinien zusammen (Wirkstoffe und Vergleichsgrößen Atorvastatin: 16,7; Fluvastatin: 42,2; Lovastatin: 23,2; Pravastatin: 21,3 sowie Simvastatin: 20,7; Beschluss vom 20.7.2004, BAnz Nr 182 vom 25.9.2004, S 21086). Die Beigeladenen zu 2. bis 7. setzten mit Wirkung vom 1.1.2005 einen Festbetrag von 62,55 Euro für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer fest (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 29.10.2004, BAnz Nr 210 vom 5.11.2004, S 22602). Die Wirkstoffe Fluvastatin, Lovastatin und Simvastatin waren bei Beschlussfassung zu diesem Festbetrag erhältlich. Der Apothekenabgabepreis von Sortis liegt seit Inkrafttreten der Festbetragsfestsetzungen deutlich über dem Festbetrag.

3

Das SG hat die hiergegen mit der Begründung erhobene Klage, der Kläger müsse nun selbst neben der Zuzahlung zu Unrecht noch 57,08 Euro je "N3-Packung" für die Versorgung mit Sortis tragen, abgewiesen (Urteil vom 22.1.2008). Während des Klage- und Berufungsverfahrens haben die Beigeladenen zu 2. bis 7. beschlossen, den Festbetrag für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer abzusenken, und zwar mit Wirkung vom 1.4.2006 auf 59,42 Euro (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 10.2.2006, BAnz Nr 48 vom 9.3.2006, S 1524, 1534) und mit Wirkung vom 1.7.2006 auf 36,61 Euro (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 11.5.2006, BAnz Nr 105 vom 7.6.2006, S 4218, 4219). Der Beigeladene zu 1. hat die Vergleichsgrößen in der Festbetragsgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer aktualisiert (Atorvastatin: 25,9; Fluvastatin: 58,2; Lovastatin: 25,2; Pravastatin: 25,3; Simvastatin: 26,9; Beschluss vom 13.3.2008, BAnz Nr 52 vom 4.4.2008, S 1224). Die Beigeladenen zu 2. bis 7. haben daraufhin den Festbetrag für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer mit Wirkung vom 1.6.2008 wie folgt angepasst: Festbetrag 13,48 Euro (Standardpackung zu 100 Stück, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,4; Beschluss vom 7.4.2008, BAnz Nr 57 vom 15.4.2008, S 1345, 1346). Der Kläger hat erklärt, nur noch gegen den Beschluss vom 7.4.2008 vorzugehen. Das LSG hat die Klage abgewiesen: Gemessen an § 35 SGB V in der seit 1.5.2006 geltenden Fassung verletzten die Beschlüsse zur Gruppenbildung der Statine und zur Aktualisierung der Vergleichsgrößen keine Rechte des Klägers. Die festgesetzte Höhe der Festbeträge sei rechtmäßig (Urteil vom 24.2.2010).

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 35 Abs 1 SGB V, § 35 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V sowie von Verfahrensrecht. Sowohl die Bildung der Festbetragsgruppe der Statine unter Einbeziehung des Wirkstoffs Atorvastatin als auch die Vergleichsgrößen in der Festbetragsgruppe sowie die Festbetragshöhe seien rechtswidrig. Das LSG habe gegen §§ 103 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG verstoßen, da es entgegen seiner Aufklärungspflicht abgelehnt habe, antragsgemäß Prof. Dr. W. zu hören und Beweis durch Sachverständige zu erheben.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2010 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2008 aufzuheben und ab 1. Juni 2008 die Festbetragsfestsetzungen vom 29. Oktober 2004, 10. Februar 2006, 11. Mai 2006 und 7. April 2008 insoweit abzuändern, als darin ein Festbetrag für den Wirkstoff Atorvastatin festgesetzt wird.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

8

Der Beigeladene zu 1. beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an.

10

Die Beigeladenen zu 2. und 3. schließen sich dem Vorbringen des Beklagten an.

11

Die Beigeladenen zu 4. bis 7. haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

12

Der Beklagte hat den Festbetrag der Festbetragsgruppe der Statine mit Wirkung vom 1.9.2010 erneut angepasst (Beschluss vom 29.6.2010, BAnz Nr 99 vom 7.7.2010, S 2338, 2339).

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die bei ihm anhängig gewordene Klage abgewiesen, weil der Kläger teilweise mangels Klagebefugnis (dazu 1.) und zum Teil in der Sache (dazu 2.) keinen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen Festbetragsfestsetzungen hat.

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1. Die Revision ist zum Teil bereits deshalb unbegründet, weil dem Kläger die Klagebefugnis als eine auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtende Sachurteilsvoraussetzung für die Anfechtung der Festsetzung vom 1.6.2008 bis 22.11.2009 fehlt.

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a) Die auf die Aufhebung der Festbetragsfestsetzung gerichtete Klage ist eine ohne Vorverfahren zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG iVm § 35 Abs 7 Satz 3 SGB V). Festbetragsfestsetzungen sind grundsätzlich Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 SGB X; vgl BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8). Sie richten sich nach der Gesetzeskonzeption an Versicherte und Vertragsärzte (zur Anfechtbarkeit durch Arzneimittelhersteller vgl Senat Urteile vom selben Tage - B 1 KR 7/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen und B 1 KR 13/10 R): Versicherte erhalten die krankheitsbedingt notwendigen Arzneimittel (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V)aus dem GKV-Leistungskatalog aufgrund vertragsärztlicher Verordnung (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 14 mwN). Ist für ein Arzneimittel ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§ 31 Abs 2 Satz 1 bis 5 SGB V idF durch Art 1 Nr 1 Buchst a Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.4.2006, BGBl I 984). Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse dagegen regelmäßig die vollen Kosten abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung (§ 31 Abs 2 Satz 1 Halbs 2 SGB V). Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Festbetrag (§ 12 Abs 2 SGB V). Die behandelnden Ärzte müssen ihr Therapieverhalten an der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnung ausrichten und auf die sich aus der Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinweisen, wenn sie ein Arzneimittel verordnen, dessen Preis den Festbetrag überschreitet (§ 73 Abs 5 Satz 3 SGB V).

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b) Zulässiger Streitgegenstand der Klage ist der Anspruch auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzungen vom 29.10.2004, 10.2.2006, 11.5.2006 und 7.4.2008 für die Zeit ab 1.6.2008, obwohl der Kläger beim LSG erklärt hat, nur noch gegen den Beschluss vom 7.4.2008 vorzugehen und das Berufungsverfahren im Übrigen für erledigt anzusehen. Diese Erklärung ist als teilweise Klagerücknahme (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 125 RdNr 10 mwN; zur klägerischen Erledigungserklärung Hauck, SGb 2004, 407) und Beschränkung des Begehrens auf die Aufhebung der Festbetragsfestsetzungen ab 1.6.2008 auszulegen. Dieser Ausgangszeitpunkt beruht darauf, dass die Festsetzung vom 7.4.2008 mit Wirkung vom 1.6.2008 erfolgt ist.

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Die teilweise Rücknahme seiner Klage bezogen auf die zeitlich vor dem 1.6.2008 liegenden Zeiträume konnte der Kläger wirksam erklären, weil es sich um jeweils abtrennbare, tatsächlich und rechtlich selbstständige Teile des Gesamtstreitstoffs handelt. Denn die Allgemeinverfügungen in Form der Festbetragsfestsetzungen vom 29.10.2004, 10.2.2006 und 11.5.2006 sind in zeitlicher Hinsicht teilbare Verwaltungsakte. Das SGG gibt selbst nicht vor, wann und unter welchen Voraussetzungen die Regelungen eines Verwaltungsaktes teilbar und damit der teilweisen Bestandskraft zugänglich sind. Vielmehr knüpft es an die nach materiell-rechtlichen Vorschriften zu beurteilende Teilbarkeit an (vgl § 54 Abs 1 Satz 1 iVm § 131 Abs 1 Satz 1 SGG und BSGE 59, 137, 143 = SozR 2200 § 368a Nr 13 S 43; BVerwG Beschluss vom 2.1.1997 - 8 B 240/96; BVerwG Beschluss vom 30.7.2010 - 8 B 125/09; BFH Beschluss vom 24.3.2009 - III B 120/07; Hauck in: Zeihe, SGG, Stand 1.11.2010, § 131 Anm 3 mwN). Insbesondere aus § 35 Abs 5 Satz 3 SGB V folgt, dass die einzelne Festbetragsfestsetzung als Dauerverwaltungsakt in zeitliche Abschnitte teilbar ist.

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Die Einbeziehung der vor 2008 erlassenen Festbetragsfestsetzungen ab 1.6.2008 ist auch interessengerecht. Bei einer alleinigen Aufhebung der Festbetragsfestsetzung des Jahres 2008 würden die zuvor geltenden Festbetragsregelungen - zunächst des Jahres 2006, nach Aufhebung sodann des Jahres 2004, die seinerzeit nicht befristet waren, jeweils wieder in Kraft treten (vgl entsprechend BSGE 87, 95, 98 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 1 S 4 f). Im Zweifel ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren des Klägers auszugehen (vgl etwa BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 6 mwN; BVerfGE 107, 395, 401 ff = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 5 ff; BVerfGE 110, 77, 85; BVerfG SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr 10). Hinzu kommt, dass ungeachtet des Zeitpunktes, von dem an der Kläger klagebefugt war (vgl unten II 1. d), die Festbetragsfestsetzungen in das Klage- und Berufungsverfahren nach § 96 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG zulässig einbezogen waren. Die neuere ersetzte jeweils mit Wirkung für die Zukunft die vorangegangene Allgemeinverfügung (vgl zur wirksamen Einbeziehung eines Verwaltungsaktes im Berufungsverfahren trotz unzulässiger Klage BSGE 4, 24, 26; BSGE 18, 84, 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 96 RdNr 2 und RdNr 7). Es findet sich bis zur Verfügung vom 7.4.2008 eine ununterbrochene Kette wirksamer Einbeziehungen nach § 96 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG.

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Nicht in das Verfahren einbezogen ist die während des laufenden Revisionsverfahrens ergangene Festbetragsfestsetzung vom 29.6.2010 für die Gruppe der Statine (Beschluss vom 29.6.2010 mit Wirkung vom 1.9.2010, BAnz Nr 99 vom 7.7.2010, S 2338, 2339). Sie gilt nach Maßgabe des sinngemäß auszulegenden § 171 Abs 2 SGG als beim erstinstanzlich hierfür gemäß § 29 Abs 4 Nr 3 SGG zuständigen LSG angefochten.

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c) Der Kläger hat seine Klage im Berufungsverfahren zulässig gegen den Beklagten umgestellt, um nach Änderung der Zuständigkeit für Festbetragsfestsetzungen in § 35 Abs 3 Satz 1 SGB V iVm § 217f Abs 1 SGB V(idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl l 378) dem mit dieser Funktionsnachfolge verbundenen gesetzlichen Beteiligtenwechsel von den Beigeladenen zu 2. bis 7. zum Beklagten Rechnung zu tragen (vgl hierzu BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 13; BSGE 102, 248 = SozR 4-5050 § 15 Nr 6).

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d) Die Anfechtungsklage des Klägers ist erst mit der vertragsärztlichen Verordnung vom 23.11.2009 zulässig geworden. Für den Anfechtungszeitraum vom 1.6.2008 bis 22.11.2009 fehlt es dem Kläger an der erforderlichen Klagebefugnis. Eine Klage, mit der die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes begehrt wird, ist regelmäßig nur zulässig, wenn der Kläger behaupten kann, durch den angefochtenen, von ihm als rechtswidrig angesehenen Verwaltungsakt beschwert zu sein (vgl § 54 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 SGG; BSGE 98, 129 = SozR 4-2400 § 35a Nr 1, RdNr 12). Daran mangelt es Versicherten als Adressaten einer Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel, bei denen der Eintritt eines einschlägigen Leistungsfalles gänzlich ungewiss ist. Die völlig unabsehbare Tatsache, dass ihm in Zukunft evtl bei entsprechender Erkrankung ein Fertigarzneimittel verordnet werden könnte, dessen Kosten über dem festgesetzten Festbetrag für das Arzneimittel liegen, stellt noch keine hinreichende Betroffenheit eines Versicherten dar, sondern eine bloße ganz ferne Möglichkeit, eines Tages betroffen zu sein. So verhielt es sich beim Kläger bis zum Ablauf des 22.11.2009. Klagebefugt sind dagegen Versicherte, die ein zum Festbetrag nicht erhältliches Fertigarzneimittel vertragsärztlich verordnet bekommen haben. Sie haben aufgrund dessen gegen ihre Krankenkasse einen Sachleistungsanspruch auf das verordnete Arzneimittel (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V) und können geltend machen, dieser Anspruch werde durch die Festbetragsfestsetzung rechtswidrig beschränkt (vgl auch BVerfGE 106, 275, 304 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 2, S 22).

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e) Der erkennende Senat weicht mit seiner Rechtsprechung, die die Rechtmäßigkeitskontrolle der Festbetragsfestsetzung auf das zuvor beschriebene Verfahren beschränkt, nicht von der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG in einer Weise ab, die es erfordert, den Großen Senat anzurufen, denn die Arzneimittelversorgung sieht insoweit von der Hilfsmittelversorgung abweichende Regelungen vor.

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aa) Der 3. BSG-Senat eröffnet Versicherten bei Streit über eine konkrete Hilfsmittelversorgung die Möglichkeit, im Rahmen einer Klage auf Naturalleistung oder sachleistungsersetzende Kostenerstattung gegen die Krankenkasse auch Festbetragsfestsetzungen nicht nur auf ihre Wirksamkeit (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X),sondern - unabhängig von ihrer Bestandskraft - umfassend inzidenter auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen (vgl BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 30 f - Hörgeräteversorgung). Die Festbetragsfestsetzung hat bei Hilfsmitteln indes partiell eine andere Funktion als bei Arzneimitteln: Versicherte sind berechtigt, Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, zu wählen, haben dann aber die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V).

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bb) In der - auch durch die arzneimittelrechtliche Zulassung beeinflussten - Arzneimittelversorgung gilt dies nicht, vielmehr kann dort ein solcher Anspruch Versicherter erst durch die Festbetragsfestsetzung im Zusammenspiel mit der vertragsärztlichen Verordnung begründet und zugleich begrenzt werden: Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog der GKV grundsätzlich ausgeschlossen (vgl zur Regelungskonzeption für Arzneimittel BSGE 95, 132 RdNr 17 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 24 mwN). Infolgedessen müssen betroffene Versicherte unmittelbar die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel selbst gerichtlich überprüfen lassen, wenn sie hiermit nicht einverstanden sind. Der Gesetzgeber hat ihnen dafür das Verfahren der Anfechtungsklage ohne Vorverfahren zur Verfügung gestellt (vgl oben, unter II 1. a). Ein auf eine konkrete Leistung eines Arzneimittels gerichtetes Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gegen die Krankenkasse ist für Versicherte weder zulässig noch erforderlich, um die Rechtmäßigkeit einer Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel zu überprüfen. In solchen Streitigkeiten über die konkrete Gewährung eines Arzneimittels kann inzidenter lediglich noch eine Überprüfung der Wirksamkeit der Festbetragsfestsetzung geboten sein (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X),nicht aber ihrer Rechtmäßigkeit.

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cc) Die umschriebene gestufte gesetzliche Rechtsschutzkonzeption für Versicherte bei der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel sichert effizienten Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG), ohne ihn zu verkürzen. Die nicht nichtige Allgemeinverfügung der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel entfaltet zwar mit ihrer Bekanntmachung (§ 35 Abs 7 Satz 1 SGB V; § 37 Abs 3 SGB X)gegenüber allen Versicherten Rechtswirksamkeit (vgl § 39 Abs 1 Satz 1 SGB X). Sind Versicherte indes zunächst nicht klagebefugt, sondern erst später durch den Erhalt einer vertragsärztlichen Verordnung, verbleibt ihnen die Möglichkeit eines Antrags auf Überprüfung der Festbetragsfestsetzung nach § 44 SGB X.

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Die daraus folgende, für Ansprüche Versicherter auf Arzneimittelversorgung gesetzlich vorgegebene Zweiteilung der Rechtsschutzverfahren betrifft klar abgrenzbare unterschiedliche Streitgegenstände und Beteiligte. Die nur sacheinheitlich (§ 35 Abs 7 Satz 4 SGB V), wenn auch für unterschiedliche Geltungszeiträume teilbar anfechtbare Festbetragsfestsetzung gilt jeweils für eine Gruppe von Arzneimitteln (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V) und setzt hierfür die Geldbeträge fest, mit denen einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber ein Preiswettbewerb unter den Herstellern ermöglicht werden soll (§ 35 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V). Die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung sind nicht an den individuellen Verhältnissen des einzelnen Patienten ausgerichtet, sondern orientieren sich generell an den Versicherten. So sind bei der Gruppenbildung unterschiedliche Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel zu berücksichtigen, sofern sie für die Therapie bedeutsam sind (§ 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 SGB V). Die nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 3 SGB V gebildeten Gruppen müssen gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen(§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB V). Für die Frage, ob ein Wirkstoff gegenüber den anderen Wirkstoffen einer Festbetragsgruppe eine therapeutische Verbesserung bedeutet mit der Folge, dass er in eine Festbetragsgruppe nicht einbezogen werden kann, ist maßgeblich, ob der Wirkstoff "regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen" vorzuziehen ist (§ 35 Abs 1b SGB V). Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§ 35 Abs 5 Satz 1 SGB V). Soweit wie möglich ist eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen (§ 35 Abs 5 Satz 2 Halbs 2 SGB V). Der generell an den Versicherten ausgerichtete Prüfmaßstab korrespondiert mit dem generell auf die Wirkungen für Patienten abstellenden, auch für die GKV bedeutsamen Maßstab des Arzneimittelzulassungsrechts (vgl näher zur erforderlichen Qualität der Studien zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 13 ff mwN).

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Entsprechend dem erlassenen Verfügungssatz kann ein als Versicherter betroffener Kläger gegen eine Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel auf tatsächlicher Ebene rechtsrelevant nur geltend machen, die generellen Kriterien der Festbetragsfestsetzung seien missachtet. Zieht ein Versicherter dagegen nicht in Zweifel, dass der Festbetrag "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet (§ 35 Abs 5 Satz 1 SGB V), beruft er sich jedoch für sich selbst auf einen atypischen Einzelfall, in welchem er trotz genereller Achtung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben für Festbeträge keine hinreichende Arzneimittelversorgung zum Festbetrag erhält, kann er - gerichtlich überprüfbar - Vollversorgung individuell und systemgerecht gegenüber seiner Krankenkasse einfordern, sei es als Sachleistung für die Zukunft oder als sachleistungsersetzende Kostenerstattung (§ 13 Abs 3 Satz 1 SGB V). Soweit im vorliegenden Rechtsstreit der Kläger etwa im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, er halte die bei ihm zur Cholesterinsenkung durchgeführte Therapie mit Inegy für bedenklich, weil er sich hierdurch der möglichen Nebenwirkungen gleich zweier Wirkstoffe ausgesetzt sehe, ist ein solches rein individualbezogenes Vorbringen im Anfechtungsstreit gegen die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel aus der Gruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer unerheblich.

28

Die Zweiteilung des Rechtsschutzes entspricht den Rechten und Pflichten der Beteiligten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) und - heute - der Spitzenverband Bund der Krankenkassen sind im Rahmen des gestuften Verfahrens der Festbetragsbildung allein für die Festsetzung von Festbeträgen anhand der aufgezeigten Kriterien zuständig, die einen generellen Personenkreis betreffen. Abweichende, aus der Individualsituation des Versicherten erwachsende Ausnahmen, wie sie der erkennende Senat rechtsähnlich etwa im Bereich des arzneimittelrechtlichen Zulassungserfordernisses für Einzelimporte nach § 73 Abs 3 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln - Arzneimittelgesetz (AMG) anerkannt hat(vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 14 ff - Tomudex; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 28 mwN - Ilomedin),hat der Versicherte gegenüber seiner Krankenkasse geltend zu machen.

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2. Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg, auch soweit die Anfechtungsklage zulässig ist, weil der Kläger in der Sache keinen Anspruch auf die begehrte Aufhebung der Festbetragsfestsetzung für die Zeit ab dem 23.11.2009 hat. Der Senat sieht von Feststellungen zu der Frage ab, inwieweit die ärztliche Verordnung vom 23.11.2009 ungültig geworden ist, weil sie ungenutzt geblieben ist, sowie ob und in welchem Umfang der Kläger Anschlussverordnungen erhalten hat. Sollte es an Folgeverordnungen fehlen, wäre die Revision ab dem 23.2.2010 schon - entsprechend dem unter 1. Ausgeführten - mangels Klagebefugnis unbegründet, andernfalls wegen der Rechtmäßigkeit der Festsetzung.

30

Anhand des dargelegten Maßstabs der Überprüfung (vgl oben II 1. e) kann der Kläger nicht beanspruchen, dass der Beschluss über die Festbetragsfestsetzung vom 7.4.2008 aufgehoben wird, weil er rechtmäßig ist. Nach der anzuwendenden gesetzlichen Regelung (dazu a) handelte der hierzu berufene Beigeladene zu 1. formell rechtmäßig (dazu b). Er bildete die Festbetragsgruppe (dazu c, d) und die Vergleichsgrößen (dazu e) materiell rechtmäßig. Die Beigeladenen zu 2. bis 7. setzten die Festbeträge rechtmäßig fest (dazu f). Die früheren Festbetragsfestsetzungen vom 11.5.2006, 10.2.2006 und 29.10.2004 sind nicht zu überprüfen.

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a) Zu messen ist die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 7.4.2008 an der Festbetragsregelung des § 35 SGB V(idF durch Art 1 Nr 2 AVWG vom 26.4.2006, BGBl I 984; Abs 3 geändert mit Wirkung vom 1.7.2008 durch Art 1 Nr 18 GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378 sowie Abs 5 Satz 7 geändert mit Wirkung vom 1.1.2009 durch Art 1 Nr 1c Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV vom 15.12.2008, BGBl I 2426). Diese Norm gibt für die Festsetzung von Festbeträgen ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst bestimmt der Beigeladene zu 1. in den Arzneimittel-Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können und welche Vergleichsgrößen dabei zugrunde zu legen sind(§ 35 Abs 1 und 2 SGB V). Auf der Grundlage dieses Beschlusses erfolgt sodann die Festsetzung der jeweiligen Festbeträge im Wege einer Allgemeinverfügung (vgl § 35 Abs 3 bis 6 und Abs 7 Satz 1 SGB V). Die Entscheidung des Beigeladenen zu 1. ist nicht isoliert anfechtbar (§ 35 Abs 7 Satz 4 SGB V),ihre Überprüfung daher Bestandteil der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der auf ihrer Grundlage ergangenen Allgemeinverfügung (BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 11, unter Hinweis auf BT-Drucks 11/3480 S 54).

32

b) Der hierzu berufene Beigeladene zu 1. hat die Festbetragsgruppe (§ 35 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB V) und die Vergleichsgrößen (§ 35 Abs 1 Satz 5 SGB V) als Grundlage der Festbetragsfestsetzung formell rechtsfehlerfrei bestimmt. Er hat zunächst erstmals eine Festbetragsgruppe der Statine bestehend aus Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin gebildet und Vergleichsgrößen festgesetzt (Beschluss vom 20.7.2004), später lediglich die Vergleichsgrößen neu ermittelt (Beschluss vom 13.3.2008) und sodann die Gruppe um Rosuvastatin erweitert (Beschluss vom 15.10.2009, BAnz Nr 184 vom 4.12.2009, S 4112). Der Beigeladene zu 1. hat all dies in Arzneimittel-Richtlinien geregelt (§ 35 Abs 1 Satz 1 und 5 SGB V idF des AVWG; § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000). Die Richtlinien sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt (stRspr; vgl nur BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 26). Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes - GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190; § 91 Abs 6 SGB V idF des GKV-WSG; BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 33; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 22; vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 57 ff).

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Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 mwN - LITT; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18 mwN). Kritischen Stimmen ist in jüngerer Zeit Literatur entgegengetreten (vgl Neumann, NZS 2010, 593; Hauck NZS 2010, 600 mwN). Für die Bildung von Festbetragsgruppen gilt die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit im Besonderen, weil der Gesetzgeber einen konkreten Katalog von gesetzlichen Voraussetzungen formuliert, bei deren Vorliegen er den Beigeladenen zu 1. im Bereich der Arzneimittelversorgung mit der Gruppenbildung betraut (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 30). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2002 (BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2)zwar ausdrücklich nur das System der Festsetzung von Festbeträgen (§§ 35 ff SGB V) im Ganzen als verfassungskonform bewertet, folgerichtig die Verfassungsmäßigkeit der Kompetenzen des Beigeladenen zu 1. damit aber unausgesprochen vorausgesetzt (vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 61 - Therapiehinweise).

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Die im Interesse der verfassungsrechtlichen Anforderungen der Betroffenenpartizipation umfassend durch Gesetz und - inzwischen - Verfahrensordnung des Beigeladenen zu 1. ausgestalteten und abgesicherten Beteiligungsrechte wurden gewahrt. Sie stellen sicher, dass alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur marginale Bedeutung zukommt (vgl dazu Hauck, NZS 2010, 600, 604).

35

Auf die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass der Beigeladene zu 1. anlässlich der Gruppenbildung für Statine im Jahre 2004 Prof. Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt hat, kommt es demgegenüber nicht an. Auswahl und Entpflichtung von Sachverständigen liegen im Ermessen des Beigeladenen zu 1. (vgl auch Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 38; Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 19). Seine Entscheidung war ohne Zweifel sachgerecht, eine auf Neutralität angelegte Institution wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mit einem Gutachten zu betrauen und einem Einzelsachverständigen vorzuziehen. Die AkdÄ hat als wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer ua die Aufgabe, entsprechend den Regelungen in den ärztlichen Berufsordnungen - wie in § 62 AMG vorausgesetzt - unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die ihr aus der deutschen Ärzteschaft mitgeteilt werden müssen, zu erfassen, zu dokumentieren und zu bewerten. Der Gesetzgeber bindet vor diesem Hintergrund die AkdÄ inzwischen selbst in Verfahren des GBA zur Anforderung ergänzender versorgungsrelevanter Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit von Arzneimitteln ein (vgl § 92 Abs 2a Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst c Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz - AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011).

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c) Die gebildete Gruppeneinteilung entspricht nach der gebotenen gerichtlichen Prüfung (dazu aa) materiellem Recht. Der Beigeladene zu 1. hat mit seinem Beschluss vom 20.7.2004 ausgehend von rechtmäßigen Kriterien (dazu bb) - hier: dem Inhalt der Arzneimittelzulassungen (dazu cc) - in der Gruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, zusammengefasst (dazu dd), ohne unterschiedliche Bioverfügbarkeiten der Arzneimittel berücksichtigen zu müssen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V; dazu ee). Die gebildete Gruppe gewährleistet, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB V; dazu ff). Der Einbeziehung von Sortis steht nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V; dazu d).

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aa) Die im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden Richtlinien des Beigeladenen zu 1. sind gerichtlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 - LITT; Schlegel, MedR 2008, 30, 32; Hauck NZS 2010, 600, 611 f). § 35 SGB V gibt dem Beigeladenen zu 1. ein engmaschiges, rechtlich voll überprüfbares Programm vor: Die Verwendung ihrer Art nach rechtmäßiger Prüfkriterien, die Ermittlung des Inhalts der Arzneimittelzulassungen, die Qualifizierung von Arzneimitteln als solche mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, die Gewährleistung sowohl fehlender Einschränkungen von Therapiemöglichkeiten als auch der Verfügbarkeit medizinisch notwendiger Verordnungsalternativen sowie die zutreffende rechtliche Erfassung der Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen ist vom Gericht uneingeschränkt zu überprüfen. Der Gesetzgeber belässt dem Beigeladenen zu 1. bei der Umsetzung dieser Regelungselemente des § 35 SGB V keinen Gestaltungsspielraum. Das gilt auch für die Vollständigkeit der vom Beigeladenen zu 1. zu berücksichtigenden Studienlage.

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Anders liegt es dagegen bei der Entscheidung über Zeitpunkt, Zuschnitt und Auswahl der Gruppe sowie bei der Bewertung des zutreffend ermittelten Standes der Studienlage im Hinblick auf ihre Eignung, für die Gruppenbildung relevante Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse zu erlassen. Hier entscheidet der Beigeladene zu 1. als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom Beigeladenen zu 1. getroffenen Wertungen setzen (vgl ähnlich BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 67 - Therapiehinweise). Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen.

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bb) Grundlage und Ausgangspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Festbetragsgruppenbildung ist grundsätzlich der Inhalt der arzneimittelrechtlichen Zulassung nach dem AMG. Der Inhalt ergibt sich zusammengefasst insbesondere aus der Fachinformation gemäß § 11a AMG. Eine Berücksichtigung darüber hinausgehender Unterlagen ist für die Prüfung des Vorliegens vergleichbarer Wirkstoffe nach Maßgabe des § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 und Satz 3 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nicht vorgesehen. Hiervon abweichend ist dagegen nicht allein die arzneimittelrechtliche Zulassung, sondern eine neuere Studienlage maßgeblich, wenn eine solche für die Gruppenbildung bedeutsame Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen oder Verordnungsausschlüsse durch den GBA rechtfertigt, weil sie Indikationsbereiche eines Arzneimittels oder von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen als unwirtschaftlich erscheinen lässt und nicht lediglich insgesamt das Therapiegebiet der Gesamtgruppe einschränkt. Dies folgt aus Regelungssystem (dazu <1.>), Normsystematik und Wortlaut (dazu <2.>), Entstehungsgeschichte (dazu <3.>) sowie Sinn und Zweck des § 35 SGB V(dazu <4.>).

40

(1.) § 35 SGB V knüpft an das allgemeine Regelungssystem der Arzneimittelversorgung in der GKV an und ändert es nur in spezifischen, genau umrissenen Teilbereichen. Nach diesem System ist Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf ein zur Krankenbehandlung notwendiges Arzneimittel in der Regel seine Anwendung im Rahmen der durch die arzneimittelrechtliche Zulassung vorgegebenen Indikation. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV ist ihre Qualität als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelrechts. Dieses bezweckt, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen (§ 1 AMG). Insoweit stellen das SGB V und das AMG auf den selben Zweck ab (stRspr, vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 15 mwN - D-Ribose; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 15 - Lorenzos Öl; vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 55 f - Therapiehinweise, und SozR 4-2500 § 106 Nr 21<6. BSG-Senat>). Daher verzichtet das Krankenversicherungsrecht bei der Arzneimittelversorgung weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit vielmehr im Ausgangspunkt an das Arzneimittelrecht nach dem AMG an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments (vgl § 25 Abs 2 AMG)abhängig macht (vgl BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 29 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21). Wurde diese Prüfung erfolgreich durchlaufen und ist für das Arzneimittel die Zulassung einschließlich der darin enthaltenen Ausweisung der Anwendungsgebiete erteilt worden, so ist es in diesem Umfang grundsätzlich auch verordnungsfähig im Sinne des SGB V (vgl BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mit Bezugnahme auf BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7). Eine eigene Sachprüfungsbefugnis der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit kommt hinsichtlich der erteilten arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht in Betracht (BSGE 95, 132 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 22). Eine erforderliche, aber nicht vorhandene Zulassung schließt grundsätzlich die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels aus. Insoweit ist die arzneimittelrechtliche Zulassung für die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels in der GKV "negativ vorgreiflich" (vgl BSGE 95, 132 RdNr 16 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 23 mwN).

41

Auch soweit Versicherte ausnahmsweise außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung Versorgung mit arzneimittelrechtlich zugelassenen Arzneimitteln nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use beanspruchen können, setzt dies ua eine Studienlage voraus, die eine Zulassung des Arzneimittels nach den Anforderungen des AMG zur betroffenen Indikation rechtfertigen würde. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSGE 89, 184, 191 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 - Sandoglobulin; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 31 mwN - Ritalin) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nämlich grundsätzlich nur in Betracht, wenn es 1.) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 24 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 34 mwN - Ritalin).

42

Änderungen des Maßstabs der danach an der arzneimittelrechtlichen Zulassung ausgerichteten Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV können sich indes mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) ergeben. Dies erwächst daraus, dass eine Diskrepanz bestehen kann zwischen der Aussagekraft der für die Zulassung durchgeführten klinischen Studien und den in der Praxis auftretenden Anforderungen an ein Arzneimittel, insbesondere beim Fehlen klinischer Studien zu patientenrelevanten Endpunkten. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt ua den sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) ergebenden Einschränkungen (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27). Das Wirtschaftlichkeitsgebot kann weitergehende Einschränkungen der generellen Verordnungsfähigkeit zugelassener Arzneimittel im Rahmen der GKV fordern, etwa weil eine neuere Studienlage Therapiehinweise rechtfertigt, da Indikationsbereiche eines Arzneimittels oder von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen als unwirtschaftlich erscheinen (vgl zum bisher geltenden Recht zB BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 39 ff - Therapiehinweise). Der Beigeladene zu 1. kann nach heutiger Rechtslage die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist (§ 92 Abs 1 Satz 1 Halbs 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst a AMNOG, vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011). Er kann im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft vom pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit der AkdÄ und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder dem Paul-Ehrlich-Institut innerhalb einer angemessenen Frist ergänzende versorgungsrelevante Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels fordern. Werden die Studien nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt, kann der GBA das Arzneimittel schon allein deshalb von der Verordnungsfähigkeit ausschließen (§ 92 Abs 2a Satz 1 und 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst c AMNOG). Die in besonderen Fällen mögliche Ausrichtung an auf patientenrelevante Endpunkte bezogene Studien wird schließlich auch daran deutlich, dass der GBA neuerdings die Verordnung eines Arzneimittels nur einschränken oder ausschließen darf, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht durch einen Festbetrag nach § 35 SGB V oder durch die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags nach §130b SGB V hergestellt werden kann(s § 92 Abs 2 Satz 11 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst b AMNOG; vgl zum Ganzen Hauck, GesR 2011, 69, 70 ff).

43

(2.) Auch Wortlaut und Normsystematik des § 35 Abs 1 SGB V verdeutlichen, dass grundsätzlich für die Festbetragsgruppen auf die arzneimittelrechtliche Zulassung abzustellen ist. Das Prüfprogramm für die Bildung von Festbetragsgruppen weist breite sachliche Überschneidungen mit dem Arzneimittelrecht auf. So enthält § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB V die grundlegende Aufzählung denkbarer Festbetragsgruppen anhand von Kriterien, die sich entsprechend auch in der arzneimittelrechtlichen Überprüfung der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels wiederfinden und keinen Hinweis auf Abweichungen vom dargelegten allgemeinen Regelungssystem enthalten. Der Begriff des Wirkstoffs in Nr 1 greift den Wirkstoffbegriff nach § 4 Abs 19 AMG auf, der infolgedessen sinngemäß anwendbar ist(vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 37; zur arzneimittelrechtlichen Anbindung des Begriffs "Bioverfügbarkeit" in diesem Zusammenhang vgl Orlowski in: Orlowski/Wasem/Rau/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Stand Januar 2011, § 35 RdNr 9 f). Mit Blick darauf ist auch die Eingrenzung auf pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe in Nr 2 folgerichtig in Anlehnung an das AMG vorzunehmen. Denn pharmakologisch-therapeutische Wirkungsweisen eines Wirkstoffs sind Bestandteil der arzneimittelrechtlichen Zulassungsprüfung (§ 25 Abs 2 Nr 1 bis 5a AMG) und dementsprechend Inhalt der Fachinformation (§ 11a AMG).

44

Dagegen hat der Gesetzgeber in § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V eine Ausnahmeregelung für patentgeschützte Arzneimittel statuiert, für die er einen über die arzneimittelrechtliche Zulassung hinausgehenden Überprüfungsmaßstab angewendet wissen will: Von der Bildung eigentlich zulässiger Festbetragsgruppen sind patentgeschützte Arzneimittel ausgenommen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder(zunächst idF vor dem AVWG: "und"; s hierzu näher Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage - B 1 KR 7/10 R) die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Diese Regelung bezweckt, den Arzneimittelherstellern Anreize zur Entwicklung von innovativen Arzneimitteln zu bieten (vgl hierzu Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 11/3480, S 53; zur Klarstellung späterer Gesetzesfassungen BT-Drucks 15/1525 S 87; s zur nachträglichen Einfügung der Regelung auch Schulin, Patentschutz und Festbeträge für Arzneimittel, 1993, 92 ff). Nach Auffassung des Gesetzgebers sind echte Innovationen mit therapeutischem Zusatznutzen erwünscht und unterliegen nicht der Festbetragsregelung (Gesetzentwurf eines AVWG der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 16/194 S 7 zu Art 1 Nr 2 Buchst c). Um bloße Scheininnovationen nicht zu begünstigen, erfolgt der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung nicht allein aufgrund der Fachinformationen, sondern auch durch Bewertung von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, soweit diese Studien allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht. Vorrangig sind klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen (§ 35 Abs 1b Satz 4 und 5 SGB V; vgl näher unten, II 2. d).

45

(3.) Auch die Entstehungsgeschichte des § 35 SGB V belegt die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung als Ausgangspunkt der Gruppenbildung. Die erste Fassung einer Festbetragsregelung nach dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl I S 2477) sah in Abs 4 die Festsetzung eines Festbetrags für Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (§ 35 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V) erst drei Jahre nach der ersten Zulassung eines wirkstoffgleichen Arzneimittels vor. Damit stellte die Regelung den Zusammenhang zwischen SGB V und AMG für den Wirkstoffbegriff ausdrücklich her. Dass diese Regelung durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) beseitigt worden ist, beruht auf der Verlängerung des Patentschutzes für Arzneimittel um bis zu fünf Jahre durch die Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel (vgl BT-Drucks 12/3608 S 81). Eine Loslösung des Wirkstoffbegriffs im SGB V von demjenigen des AMG war nicht beabsichtigt.

46

(4.) Schließlich entspricht die grundsätzliche Anknüpfung der Festbetragsgruppenbildung an die arzneimittelrechtliche Zulassung dem Regelungszweck des § 35 SGB V. Die Festbetragsregelung des § 35 SGB V zielt - wie dargelegt - unter Ausgestaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots darauf ab, den Bereich zu Lasten der GKV verordnungsfähiger Arzneimittel de iure zu erweitern, die Leistungspflicht der Krankenkassen hierbei auf den einschlägigen festgesetzten Festbetrag zu begrenzen und hierdurch zugleich den Wettbewerb unter den Arzneimittelanbietern zu verstärken und das Interesse der Anbieter zu wecken, Preise unterhalb des Festbetrags festzusetzen. All dies kann nur im Rahmen des allgemeinen Systems der in den GKV-Leistungskatalog einbezogenen Arzneimittel gelingen.

47

cc) Hinsichtlich der Arzneimittelgruppe der Statine ist für den hier betroffenen Zeitraum an die Inhalte der arzneimittelrechtlichen Zulassung anzuknüpfen. Dass für einzelne Statine der Festbetragsgruppe eine Studienlage besteht, die weitergehende Einschränkungen der generellen Verordnungsfähigkeit zugelassener Arzneimittel mit diesem Wirkstoff im Rahmen der GKV rechtfertigt, hat das LSG nicht festgestellt. Der Beigeladene zu 1. hat dies ebenfalls nicht angenommen und deshalb keine der ihm rechtlich für einen solchen Fall eröffneten Maßnahmen ergriffen. Weder er noch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gehen nach eingehender Recherche hiervon aus. Keiner der Beteiligten in den beim erkennenden Senat anhängigen Verfahren behauptet Entsprechendes. Bei einem solchen Sachstand verbleibt es beim durch das Arzneimittelzulassungsrecht vorgegebenen Prüfmaßstab für die Festbetragsgruppenbildung, ohne dass weitere Ermittlungen des erkennenden Senats zu diesen generellen Tatsachen geboten wären.

48

dd) Auf der Grundlage des Inhalts der arzneimittelrechtlichen Zulassung stellen die fünf fraglichen Statine pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe, insbesondere chemisch verwandte Stoffe iS von § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 Nr 2 SGB V dar. Zutreffend ist der Beigeladene zu 1. davon ausgegangen, dass die Überprüfung der pharmakologisch-therapeutischen Vergleichbarkeit zwei verschiedene Aspekte, namentlich einen pharmakologischen wie einen therapeutischen umfasst (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 38). Für das Verständnis des Begriffs der Vergleichbarkeit ist mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass Vergleichbarkeit nicht Austauschbarkeit oder Identität bedeutet. Anders als nach Nr 1 geht es bei der Gruppenbildung nach Nr 2 vielmehr darum, einen übergreifenden gemeinsamen Bezugspunkt mehrerer Wirkstoffe herzustellen (ebenso Sodan, PharmR 2007, 485, 487). Dementsprechend steht mit der Überprüfung der pharmakologisch-therapeutischen, insbesondere chemischen Vergleichbarkeit eine Beurteilung von Art und Aufbau der einzelnen Wirkstoffe, ihrer Wirkmechanismen und ihrer Anwendungsgebiete an.

49

Der Beigeladene zu 1. hat die dargelegten Vergleichsmaßstäbe entsprechend seinen Ausführungen zu chemischer Zusammensetzung, Wirkprofil und therapeutischem Einsatzgebiet der fünf Statine rechtsfehlerfrei angewendet. Nicht zu beanstanden ist, dass er hierbei als Einstieg die in der Fachinformation enthaltene Anatomisch-Therapeutisch-Chemische (ATC) Klassifikation der WHO nach Maßgabe des § 73 Abs 8 Satz 5 SGB V gewählt hat, wie es inzwischen seiner Verfahrensordnung (VerfO) entspricht(vgl § 16 Abs 2 VerfO). Die ATC-Klassifikation teilt die Wirkstoffe nach dem Organ oder Organsystem, auf das sie einwirken, und nach ihren chemischen, pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen ein (abrufbar unter www.dimdi.de) und kann als Orientierungshilfe dienen. Sie geht von einem identischen Code für die Wirkstoffgruppe der fünf Statine Simvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Fluvastatin und Atorvastatin aus.

50

Zu Recht bejaht der Beigeladene zu 1. die chemische Verwandtschaft der betroffenen Wirkstoffe. Er beurteilt sie im Einklang mit dem Wortlaut des § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V maßgeblich vom Endprodukt und nicht von der Herstellungsform her: Die fünf Statine haben nicht nur eine gemeinsame b-, d-Dihydroxy-n-Carbonsäure-Struktur, sondern darüber hinaus auch eine gemeinsame molekulare räumliche Struktur, die erst die spezifische Interaktion Wirkstoff-Enzym ermöglicht.

51

Ebenfalls stellt der Beigeladene zu 1. rechtmäßig für die pharmakologische Vergleichbarkeit maßgeblich auf den Wirkmechanismus der erfassten Arzneimittel ab. Er geht nämlich von einem vergleichbaren Wirkprofil aller HMG-CoA-Reduktase (=CSE)-Hemmer aus, weil durch alle Hemmer der HMG-CoA-Reduktase Vorstufen von Cholesterin verringert synthetisiert werden. Die daraus resultierende Verarmung an interzellulärem Cholesterin führt zu einer Zunahme von LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche, die Aufnahme von LDL-Cholesterin in die Zelle wird hierdurch erhöht.

52

Auch die therapeutische Vergleichbarkeit hat der Beigeladene zu 1. anhand der Anwendungsgebiete der Statine, wie sie sich aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung ergeben, frei von Rechtsfehlern beurteilt. Für alle fünf Wirkstoffe bestand im hier maßgeblichen Zeitraum eine Zulassung für das Anwendungsgebiet der Hypercholesterinämie; schon daraus lässt sich die therapeutische Vergleichbarkeit ableiten. Atorvastatin besitzt zudem seit Mai 2006 eine Zulassung auch für das Anwendungsgebiet der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen; über eine Zulassung für dieses Anwendungsgebiet verfügen auch die Konkurrenzwirkstoffe Fluvastatin, Pravastatin und Simvastatin.

53

ee) Der Beigeladene zu 1. musste keine für die Therapie bedeutsamen unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel berücksichtigen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V). Denn mit den Statinen ist eine Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V betroffen, der lediglich pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe angehören.

54

ff) Dass alle fünf Statine einschließlich Atorvastatin in eine Festbetragsgruppe einbezogen wurden, schränkt iS von § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB V keine Therapiemöglichkeiten ein und schneidet keine medizinisch notwendigen Verordnungsalternativen ab. Der Wirkstoff Atorvastatin war im hier zu prüfenden Zeitraum für kein Behandlungsgebiet zugelassen, für das nicht wenigstens ein anderes Statin arzneimittelrechtlich zugelassen war. Gleichzeitig erlaubt die arzneimittelrechtliche Zulassung von Atorvastatin keinen Rückschluss darauf, dass ausschließlich mit diesem Wirkstoff besondere Patientenkollektive zu erschließen seien. Ebenso wenig kommt es unter dem Aspekt der Nebenwirkungen zu einer Einengung der Therapiemöglichkeiten. Der Fachinformation für Atorvastatin ist im Vergleich zu denjenigen der anderen vier Statine kein Vorteil im Hinblick auf Art und Häufigkeit der Nebenwirkungen zu entnehmen.

55

d) Der Einbeziehung von Sortis steht nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V). Die Wirkungsweise von dem noch bis 2011 patentgeschützten Wirkstoff Atorvastatin ist im Rechtssinne nicht neuartig. Als neuartig gilt ein Wirkstoff nämlich nur, solange derjenige Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht (§ 35 Abs 1 Satz 4 SGB V). Nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG)Feststellungen des LSG wurde der Wirkstoff Lovastatin als erster der Gruppe der Statine in Verkehr gebracht und war schon vor 2003 patentfrei.

56

Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass der Beigeladene zu 1. eine therapeutische Verbesserung durch Sortis zu Unrecht verneint hat. Die zunächst 2004 rechtmäßige Gruppenbildung wurde durch das AVWG nicht unwirksam (dazu aa). Der Beigeladene zu 1. hat die Anforderungen an eine therapeutische Verbesserung (dazu bb) und deren Nachweis (dazu cc) gerichtlich voll überprüfbar (dazu dd) gesetzeskonform zugrunde gelegt. Ihm sind bei seiner Bewertung der Studienlage hinsichtlich einer therapeutischen Verbesserung keine Beurteilungsfehler unterlaufen (dazu ee). Die Gruppenbildung ist auch nicht wegen Verletzung der Beobachtungspflicht bezüglich einer therapeutischen Verbesserung rechtswidrig geworden (dazu ff). Es bedarf keiner weiteren gerichtlichen Ermittlungen (dazu gg). Die vom Kläger hierzu erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch (dazu hh).

57

aa) Die Gruppenbildung erfolgte 2004 insgesamt rechtmäßig, ohne dass ihre Wirksamkeit durch das AVWG entfiel. Unerheblich ist, dass der Beigeladene zu 1. zunächst (Beschluss vom 20.7.2004) die Erfüllung beider Voraussetzungen eines Festbetragsausschlusses - Neuartigkeit und Bestehen einer therapeutischen Verbesserung - geprüft und verneint hat, obwohl § 35 SGB V aF(idF durch das GMG) eine Ausnahme von der Gruppenbildung schon bei Nichterfüllung einer der beiden Voraussetzungen ausschloss (vgl dazu näher Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage - B 1 KR 7/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die zusätzliche Prüfung wirkte sich im Ergebnis nicht aus, auch wenn erst aufgrund der Änderung des § 35 SGB V durch das AVWG ab 1.5.2006 die Kriterien der Neuartigkeit und therapeutischen Verbesserung kumulativ zu prüfen sind.

58

Die Gesetzesänderung durch das AVWG ließ die bisher beschlossene Richtlinie nicht unwirksam werden. Die Änderung oder der Wegfall der Ermächtigungsgrundlage einer untergesetzlichen Norm berührt nämlich nicht per se deren Rechtswirksamkeit (vgl entsprechend zu Rechtsverordnungen zB BVerwG Buchholz 451.20 § 139i GewO Nr 1 = GewArch 1997, 245; vgl auch BVerfGE 14, 245, 249; BVerfGE 78, 179, 198). Ab Inkrafttreten des AVWG war die Rechtmäßigkeit des fortwirkenden Beschlusses des Beigeladenen zu 1. indes an der neuen Gesetzesfassung zu messen, da § 35 SGB V idF des AVWG wegen seines unmittelbaren Geltungsanspruchs ohne Übergangsregelung ein solcher Normanwendungsbefehl zu entnehmen ist. Der Gruppenbildungsbeschluss genügt aber auch diesen gesetzlichen Anforderungen (vgl das Folgende).

59

bb) Schon im Jahre 2004 waren für die Anforderungen an eine therapeutische Verbesserung die sachlichen Kriterien zugrunde zu legen, die der Gesetzgeber durch Art 1 Nr 2 Buchst c AVWG ausdrücklich erst 2006 in § 35 Abs 1b SGB V normiert hat. Bereits auf der Grundlage des GMG stand ein solches Vorgehen mit der Gesetzeslage in Einklang. Demgemäß geht die Begründung des Gesetzentwurfs eines AVWG davon aus, dass sich eine Änderung des geltenden Verfahrens für die Bildung von Festbetragsgruppen durch Einführung des § 35 Abs 1b SGB V zum 1.5.2006 nicht ergebe, da der GBA bereits jetzt entsprechend verfahre (vgl BT-Drucks 16/194 S 7). Auch in der Folgezeit hat sich das danach maßgebliche gesetzliche Prüfprogramm für das Bestehen einer therapeutischen Verbesserung nicht geändert.

60

Danach besteht eine therapeutische Verbesserung, wenn ein patentgeschützter Wirkstoff für die betroffenen Patienten einen therapierelevanten höheren Nutzen als andere Arzneimittel dieser Wirkstoffgruppe hat und deshalb als zweckmäßige Therapie regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen oder Indikationsbereiche den anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe vorzuziehen ist (§ 35 Abs 1b Satz 1 SGB V). Der geforderte "höhere Nutzen" entspricht dem "Zusatznutzen" gegenüber anderen Wirkstoffen, wie er vom Gesetzgeber auch in § 35b Abs 1 Satz 3 SGB V(idF durch Art 1 Nr 20 Buchst b GKV-WSG mit Wirkung ab 1.4.2007; vgl ab 1.1.2011 § 35b Abs 1 Satz 3 idF durch Art 1 Nr 6 Buchst b DBuchst bb AMNOG)zur zentralen Vorgabe einer Nutzenbewertung durch das IQWiG gemacht worden ist. Gleiches gilt für den "medizinischen Zusatznutzen" bei dem durch das AMNOG eingeführten Verfahren der frühen Nutzenbewertung (§ 35a Abs 1 Satz 4 SGB V, vgl BT-Drucks 17/2413, S 21).

61

Inhaltlich gibt der Gesetzgeber als Maßstab einer therapeutischen Verbesserung eine Verbesserung hinsichtlich der Lebensqualität, zB durch Verringerung von Nebenwirkungen bezüglich Häufigkeit und Schweregrad, sowie Morbidität und Mortalität vor (§ 35 Abs 1 Satz 3 und 5 SGB V, sog patientenrelevante Endpunkte). Nur im Zusammenhang mit einer an der positiven Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte ausgerichteten Therapie kann sich ein höherer Nutzen auch daraus ergeben, dass das Arzneimittel eine überlegene Wirksamkeit gegenüber anderen Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe zeigt oder über besondere therapierelevante Leistungsmerkmale verfügt, zB Wechsel des Applikationsortes oder -weges, oder eine andere für die Therapie relevante Galenik aufweist (vgl BT-Drucks 16/194 S 8). Anders als bei der Gruppenbildung anhand von Wirkstoffen (§ 35 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V) kommen im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmals daher auch die ganz spezifischen Besonderheiten eines Wirkstoffs in Betracht, soweit diese therapeutisch relevant sind.

62

cc) Methodisch erfolgt der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung aufgrund der Fachinformationen und durch Bewertung von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, soweit diese Studien allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht. Vorrangig sind klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen (§ 35 Abs 1b Satz 4 und 5 SGB V). Maßgeblich ist hierbei der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V, vgl BT-Drucks 16/194 S 8). Erforderlich ist dabei der Nachweis der erfolgreichen therapeutischen Verbesserung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf der Grundlage wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Therapierelevanz (stRspr, BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7 mwN - Immucothel; BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E). Die höchste Beweiskraft haben danach direkte Vergleichsstudien mit anderen Wirkstoffen. Nur soweit derartige Studien nicht existieren, kann im Einzelfall auf andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden (vgl auch Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 64). Sie müssen in jedem Fall das Kriterium erfüllen, mit dem Primärziel des Erreichens patientenrelevanter Endpunkte durchgeführt worden zu sein. Studien, die als Primärziel bloße Surrogatparameter formuliert haben, kommen dagegen zum Nachweis einer therapeutischen Verbesserung nicht in Betracht (vgl zur neueren Rechtslage Schickert, PharmR 2010, 452, 456).

63

dd) Der Beigeladene zu 1. ist nicht ermächtigt, von diesem gesetzlichen Prüfprogramm abzuweichen. Soweit der Regelungsgehalt reicht, verbleibt ihm kein eigener Gestaltungsspielraum. Wie bereits ausgeführt (vgl II 2. c aa) erfolgt insoweit eine volle gerichtliche Überprüfung. Den dargelegten gesetzlichen Anforderungen ist der Beigeladene zu 1. durch seinen Beschluss vom 20.7.2004 gerecht geworden. Er hat nach diesen Maßstäben geprüft, dass für Atorvastatin eine therapeutische Verbesserung im aufgezeigten Sinne nicht nachgewiesen ist. Die Standards, die der Beigeladene zu 1. ausweislich seiner Beschlussbegründung vom 15.9.2004 zur Prüfung des Vorliegens einer therapeutischen Verbesserung verlangt, korrespondieren inhaltlich (sogar zT fast wortgleich formuliert) mit dem gesetzlich festgeschriebenen Prüfmaßstab. Bei dem Nachweis einer therapeutischen Verbesserung hat der Beigeladene zu 1. rechtsfehlerfrei auf den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne der Rechtsprechung des BSG abgestellt und als Unterlagen in erster Linie direkte Vergleichsstudien, für den Fall ihres Fehlens placebokontrollierte Studien in Form von randomisierten, doppelblinden und kontrollierten Studien mit dem Ziel der Beeinflussung klinisch bedeutsamer Endpunkte gefordert.

64

ee) Der Beigeladene zu 1. hat das ermächtigungskonforme Prüfprogramm über den Nachweis einer therapeutischen Verbesserung mit seinem Beschluss vom 20.7.2004 ausweislich der Beschlussbegründung auch rechtmäßig angewendet. Der Beschluss beruht auf einer umfassenden Sichtung der aktuellen relevanten Studienlage zur Wirkstoffgruppe der Statine. Auf die Einbeziehung irgendwelcher Meinungsäußerungen von Einzelnen oder Gruppen von Fachleuten kommt es jenseits der bereits geprüften Anhörungsrechte (vgl § 35 Abs 2 SGB V)insoweit entgegen der Ansicht des Klägers nicht an.

65

Der Beigeladene zu 1. ist insgesamt nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass für Atorvastatin gegenüber den anderen Statinen keine Alleinstellungsmerkmale bewiesen sind, die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Er hat anhand des gesetzlich gebotenen Maßstabs die Aussage- und Beweiskraft der einzelnen Studien nachvollziehbar bewertet, nachdem er ihr Design, ihre Ziele und ihre Vergleichbarkeit überprüft und qualifiziert hat. Seine Folgerungen sind schlüssig und lassen keine Widersprüche erkennen. Zu allen von dem Kläger als Alleinstellungsmerkmal hervorgehobenen Aspekten, namentlich den besonderen pleiotropen (außerhalb der Hauptwirkung heilend wirkenden) Eigenschaften (dazu <1.>), der größten Wirkstärke (dazu <2.>), dem schnelleren Wirkeintritt (dazu <3.>) und einem überlegenen Sicherheitsprofil von Atorvastatin gegenüber den anderen Statinen (dazu <4.>) begründet der Beschluss nachvollziehbar, dass eine therapeutische Verbesserung nach den gesetzlichen Kriterien nicht festzustellen ist.

66

(1.) So fehlen hinsichtlich der behaupteten pleiotropen Eigenschaften von Atorvastatin genauere Kenntnisse darüber, in welchem Ausmaß pleiotrope Effekte zur Risikoverbesserung beitragen und ob Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen bestehen. Studien zum Nachweis von Art und Umfang angeblich pleiotroper Effekte liegen nicht vor.

67

(2.) Gegen die vom Kläger ins Feld geführte höhere Wirkstärke Atorvastatins wendet der Beigeladene zu 1. schlüssig ein, dass sich daraus nicht per se eine klinische Überlegenheit ableiten lässt. Es mangelt nämlich hierzu an den erforderlichen qualitativ hochwertigen Vergleichsstudien mit klinisch relevanten Endpunkten, die hinreichende Schlüsse auf nennenswerte Patientenkollektive erlauben: Die vorliegenden indirekten Vergleichsstudien eignen sich nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Beigeladenen zu 1. nicht zum Nachweis relevanter Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen. Die Ausgangsrisiken der untersuchten Populationen weichen so erheblich voneinander ab, dass sie kaum miteinander vergleichbar sind. Ebenso variiert - wohl vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Zuschnitts der Vergleichsgruppen - das Ausmaß der LDL-Senkung in den einzelnen Studien in einem Ausmaß, das Vergleichsschlüsse problematisch macht.

68

(3.) Auch hinsichtlich der Frage, ob ein schnellerer Wirkeintritt von Atorvastatin gegenüber anderen Statinen mit Blick auf patientenrelevante Endpunkte nachweisbare Vorteile bietet, gibt es bisher keine direkten Vergleichsstudien. Die vorliegenden indirekten Vergleichsstudien können therapierelevante Vorteile nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Beigeladenen zu 1. nicht hinreichend belegen, da sie sich wesentlich in der jeweiligen Größe des Ausgangsrisikos der untersuchten Populationen und Stärke der Interventionen unterscheiden. Diese Parameter sind indes die stärksten Determinanten für die Geschwindigkeit des Eintretens einer statistisch signifikanten Wirkung einer Statintherapie.

69

(4.) Das geltend gemachte besondere Sicherheitsprofil von Atorvastatin ist entsprechend der Beschlussbegründung schließlich ebenfalls nicht evidenzbasiert nachgewiesen. Direkte Vergleichsstudien zwischen den Statinen zu unerwünschten Nebenwirkungen liegen nicht vor. Eine signifikante Unterscheidung nach der Häufigkeit schwerer unerwünschter Ereignisse wird bei den placebokontrollierten Studien als "overall health impact" in den seltensten Fällen angegeben. Diese Argumentation deckt sich wiederum nachvollziehbar mit der bestehenden Studienlage.

70

ff) Der Beigeladene zu 1. hat im Ergebnis die ihm als Normgeber obliegende Beobachtungspflicht nicht verletzt. Von einer Verletzung der Beobachtungspflicht wäre nur auszugehen, wenn der Beigeladene zu 1. eine neue Studienlage übergangen hätte, die nach den aufgezeigten gesetzlichen Maßstäben Anlass zur erneuten Überprüfung eines einmal gefassten Gruppenbildungsbeschlusses gegeben hätte. Daran fehlt es.

71

Der Beigeladene zu 1. muss nach Erlass einer Richtlinie über die Bildung einer Festbetragsgruppe im Blick behalten, ob neuere wissenschaftliche Erkenntnisse eine Änderung seiner Entscheidung gebieten. Dies folgt auch ohne besondere, ausdrückliche Regelung in § 35 SGB V aus der generellen, dem GBA als Normgeber obliegenden Beobachtungspflicht. Wesentlicher innerer Grund des gesetzlichen Regelungskonzepts, den GBA als Normgeber vorzusehen, ist es gerade, ihn die sich ständig ändernde Entwicklung des allgemein anerkannten Standes der Medizin und der Pharmakologie beobachten zu lassen, damit er wesentliche Änderungen umgehend in den Richtlinien berücksichtigt (vgl dazu Hauck, NZS 2010, 600, 611 mwN). Im Falle der hier in Frage stehenden Richtlinien ist der GBA zur Beobachtung dessen verpflichtet, ob die bisher festgelegte Zusammenfassung mehrerer Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht mehr entspricht (vgl ähnlich BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2).

72

Eine solche Beobachtungspflicht setzt der Beigeladene zu 1. auch selbst in § 7 Abs 4 seiner VerfO voraus. Danach muss er Hinweisen dazu nachgehen, dass getroffene Entscheidungen nicht mehr mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse übereinstimmen. Hinweise darauf, dass für den Wirkstoff Atorvastatin zwischenzeitlich Studien erstellt worden sind, die unter Berücksichtigung der aufgezeigten gesetzlichen Wertungen für eine abweichende Bewertung der therapeutischen Verbesserung sprechen, liegen indes nicht vor. Das belegen die Untersuchungen des IQWiG vom 15.8.2005 und des Beigeladenen zu 1. von Februar 2010 unter Einbeziehung aller neueren Studien für die Folgejahre. Keiner der Beteiligten hat denn auch dargelegt, dass abweichend von der Beurteilung des IQWiG und der Recherche des Beigeladenen zu 1. neue endpunktrelevante Studien mit bisher nicht berücksichtigten Ergebnissen zu den Statinen veröffentlicht worden sind.

73

gg) Der erkennende Senat kann sich auf die vorliegenden Ermittlungsergebnisse stützen, ohne dass es weiterer Beweiserhebung bedarf. Zwar geht es beim Nachweis einer therapeutischen Verbesserung durch Arzneimittel um die Feststellung genereller Tatsachen, die auch der Ermittlung des Senats im Revisionsverfahren unterliegen. Weitere Beweiserhebung drängt sich aber nicht auf. Auch hier (vgl bereits oben, II 2. b und c cc) ist von Bedeutung, dass sich der Beigeladene zu 1. nicht beliebiger Einzelgutachter bedient, sondern die vom Gesetzgeber hervorgehobene AkdÄ mit der Überprüfung der Voraussetzungen betraut hat. Hinzu kommt, dass er in der Folgezeit im Rahmen eines Generalauftrags das IQWiG mit einer Überprüfung beauftragt und schließlich unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung bei dem LSG nochmals selbst recherchiert hat. Nur die Darlegung, eine therapeutische Verbesserung sei anhand aussagekräftiger Studien in der gesetzlich gebotenen Qualität nachgewiesen, würde vorliegend zu weiteren Ermittlungen zwingen. Daran fehlt es indes.

74

Das IQWiG hat nämlich die Einschätzung des Beigeladenen zu 1. bestätigt, ohne Anhaltspunkte für neuere abweichende Studienergebnisse in hinreichend qualifizierten Studien zu finden. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Absicherung von Neutralität und Qualität der in Auftrag gegebenen Untersuchung des IQWiG streitet bei Beachtung aller gesetzlicher Vorgaben eine Rechtsvermutung für die Richtigkeit seiner Beurteilung, die in derartigen Fällen wie dem vorliegenden eine weitere Beweiserhebung erübrigt. Das folgt aus Ausstattung (dazu <1.>), Aufgabe (dazu <2.>) und Gesetzeszweck der Einrichtung des IQWiG (dazu <3.>). Mit Blick darauf kommt gesetzeskonformen Bewertungen des IQWiG eine Richtigkeitsgewähr zu.

75

(1.) Das IQWiG stellt ein Expertengremium dar, das in seiner persönlichen und fachlichen Integrität und Qualität durch Transparenz und Unabhängigkeit gesetzlich und institutionell besonders abgesichert ist (vgl Hauck, NZS 2010, 600, 609; Rixen, MedR 2008, 24, 26). Der Beigeladene zu 1. hat gesetzeskonform das IQWiG als fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut errichtet (§ 139a Abs 1 Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 112 GMG). Der Gesetzgeber hat bereits die zulässige Rechtsform des IQWiG eingegrenzt, um dessen Kompetenz und Unabhängigkeit sicherzustellen. Zur Sicherung der fachlichen Unabhängigkeit des IQWiG haben die Beschäftigten vor ihrer Einstellung alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen (vgl § 139a Abs 6 SGB V). Entsprechendes gilt, soweit das IQWiG wissenschaftliche Forschungsaufträge an externe Sachverständige vergibt (s § 139b Abs 3 SGB V). Die Vergabe von Forschungsaufträgen gewährleistet, dass die Arbeiten des IQWiG höchsten wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Hierzu hat es ausgewiesene Experten mit wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen einzubeziehen (vgl BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4).

76

Das IQWiG arbeitet in einer transparenten Form unter Unterrichtung Betroffener und Interessierter über alle Arbeitsschritte und Arbeitsergebnisse (vgl § 139a Abs 4 SGB V und hierzu BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4), insbesondere auch über die Grundlagen für die Entscheidungsfindung. Indem das IQWiG zu gewährleisten hat, dass die Bewertung des medizinischen Nutzens nach den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt (§ 139a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 117 Buchst b GKV-WSG),hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es seine Arbeitsmethode nach den international üblichen und akzeptierten Standards der evidenzbasierten Medizin auszurichten hat. Das IQWiG geht nach der Gesetzeskonzeption bei seinen Bewertungen in vergleichbarer hoch qualitativer Weise vor wie andere mit entsprechenden Aufgaben betraute Stellen im internationalen Bereich, zB das National Institute for Health and Clinical Excellence (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 151 Zu Nummer 117 <§ 139a > Zu Buchst b; Engelmann in: jurisPK-SGB V § 139a RdNr 30). Zusätzlich bestehen Rechte Sachverständiger, Interessierter und Betroffener, Stellung zu nehmen (vgl § 139a Abs 5 SGB V).

77

(2.) Das IQWiG wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der GKV erbrachten Leistungen in gesetzlich vorgegebenem Umfang tätig (vgl § 139a Abs 3 SGB V). Die Arbeit des IQWiG hat zum Ziel, die grundsätzlichen Anforderungen des SGB V bei der Leistungserbringung zu sichern. Hierzu soll es Erkenntnisse über den Wert der Leistungen auch im Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten sowie zu den Auswirkungen auf die Verbesserung der medizinischen Behandlung erarbeiten. Dies soll gewährleisten, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen dem besten verfügbaren wissenschaftlichen Stand entsprechen und auch weiterhin finanzierbar bleiben (vgl BT-Drucks 15/1525 S 127 Zu Nummer 112 Zu § 139a Zu Abs 3).

78

Zu den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben gehört auch die Bewertung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln (vgl § 139a Abs 3 Nr 5 SGB V). Der Beigeladene zu 1. beauftragt das IQWiG mit den gesetzlich umrissenen Arbeiten (vgl § 139b Abs 1 Satz 1 SGB V). Hierzu hat er dem IQWiG ua am 21.12.2004 den Generalauftrag erteilt, durch die Erfassung und Auswertung des relevanten Schrifttums eine kontinuierliche Beobachtung und Bewertung medizinischer Entwicklungen von grundlegender Bedeutung und ihrer Auswirkungen auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung in Deutschland vorzunehmen und den GBA hierüber regelmäßig zu informieren. Das IQWiG soll aus der eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeit heraus dem GBA für dessen gesetzliche Aufgaben notwendige Informationen zur Verfügung stellen und konkrete Vorschläge für Einzelaufträge erarbeiten.

79

(3.) Ziel des Gesetzgebers ist es, durch Einbindung des IQWiG in die Zuarbeit für den GBA den dynamischen Prozess der Fortentwicklung der medizinischen und pflegerischen Leistungen zu sichern und die kontinuierliche Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine qualitativ gesicherte Leistungserbringung zu gewährleisten (BT-Drucks 15/1525, S 127). Das IQWiG leitet deshalb seine Arbeitsergebnisse dem GBA als Empfehlungen zu (vgl § 139b Abs 4 Satz 1 SGB V). Dieser hat die Empfehlungen im Rahmen seiner Aufgabenstellung "zu berücksichtigen", wird also nur mit besonderer Begründung davon abweichen (vgl Hauck, NZS 2007, 461, 464). Insbesondere hat er zu prüfen, ob das IQWiG seine Bewertungen ausgehend von einem zutreffenden Rechtsverständnis der zugrunde gelegten Begriffe auf der Basis einer umfassenden Einbeziehung der relevanten Studien nachvollziehbar und widerspruchsfrei getroffen hat. Für die Umsetzung von Handlungsempfehlungen des IQWiG verbleibt ihm indes sein gesetzgeberisches Ermessen.

80

Dass von AkdÄ und IQWiG nicht berücksichtigte Studien hinreichender Qualität im gesetzlich gebotenen Sinne vorliegen, ist schließlich weder vom Kläger oder von sonstigen Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits noch von den Arzneimittelherstellern in den beim erkennenden Senat anhängigen Parallelverfahren in Kenntnis der Beurteilungen von AkdÄ und IQWiG behauptet worden. Es ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

81

hh) Die Verfahrensrüge des Klägers, das LSG habe unter Verstoß gegen §§ 103, 128 SGG keinen Beweis darüber erhoben, dass in medizinischen Fachkreisen ein Konsens bestehe, dass ein bestimmtes Patientenkollektiv nur mit Atorvastatin wirksam behandelt werde, greift nach alledem nicht durch. Es bestehen nämlich, wie dargelegt, derzeit keine weiteren Ermittlungspflichten.

82

e) Der Beigeladene zu 1. hat die Vergleichsgrößen materiell rechtmäßig festgesetzt (den Beschluss vom 20.7.2004 ersetzender Beschluss vom 13.3.2008). Gemäß § 35 Abs 1 Satz 5 SGB V ermittelt der Beigeladene zu 1. die nach § 35 Abs 3 SGB V "notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen". Die von ihm festgeschriebenen Werte sind in diesem Sinne geeignete Vergleichsgrößen.

83

Die gerichtliche Kontrolle der Ermittlung von Vergleichsgrößen ist beschränkt. Dem Beigeladenen zu 1. steht nämlich bei der Entscheidung über die Vergleichsgrößenbildung ein Gestaltungsspielraum zu. Er kann selbst darüber entscheiden, anhand welcher Kriterien er die Vergleichsgrößen bestimmt. Das Gesetz gibt keine Wahl dahin vor, ob der Tagesdosis, der Einzeldosis oder aber einer gänzlich anderen geeigneten Vergleichsgröße der Vorrang gebührt (Hauck in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, aaO, § 35 SGB V RdNr 45). Die Gerichte haben lediglich zu kontrollieren, ob der GBA hierbei auf der Grundlage eines vollständig ermittelten Sachverhalts den Zweck der Vergleichsgrößenbildung nachvollziehbar beachtet hat, die Arzneimittel mit verschiedenen Wirkstoffen innerhalb einer Gruppe vergleichbar zu machen (vgl zum Grundsatz oben, II 2. c aa mwN; siehe auch Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 20a). Diesen Anforderungen genügt die hier gewählte Vergleichsgrößenbildung. Der Beigeladene zu 1. hat sämtliche Daten anhand der zum Zeitpunkt des Gruppenbeschlusses zuletzt verfügbaren Jahresdaten des GKV-Arzneimittelindexes ermittelt und diese rechnerisch korrekt für alle fünf Statine umgesetzt. Das ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel.

84

Der Beigeladene zu 1. hat den Gesetzeszweck der Vergleichsgrößen beachtet, sicherzustellen, dass die aufzuwendenden Arzneimittelkosten unabhängig vom jeweiligen Wirkstoff für die von jedem Versicherten individuell benötigte Arzneimitteldosis annähernd gleich sind (vgl dazu Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 20a). Er hat jedem Wirkstoff einen bestimmten Zahlenwert zugewiesen, der ihn innerhalb der Gruppe vergleichbar macht. Seine hierbei gewählte Methode der verordnungsgewichteten durchschnittlichen Wirkstärke ist geeignet, eine sachgerechte mengenbezogene Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Wirkstoffen herzustellen. Sie errechnet für jeden der fünf Wirkstoffe einen Einzelwert als Vergleichsgröße, der sich am Verordnungsverhalten der Ärzte orientiert, also daran, welcher Wirkstoff wie häufig in welcher Wirkstärke verordnet wurde. Um zwischen Wirkstoffen mit vergleichbarer und mit unterschiedlicher Applikationsfrequenz, Wirkstoffen mit unterschiedlichen Applikationsfrequenzen und Behandlungszeiten, Wirkstoffen mit unterschiedlichen Applikationsfrequenzen und Intervallen, unterschiedlichen Behandlungszeiten und unterschiedlicher Anzahl therapiefreier Tage sowie Wirkstoffkombinationen mit vergleichbarer Applikationsfrequenz zu unterscheiden, bezieht die Berechnung zusätzlich einen sogenannten Applikationsfaktor ein.

85

Die dagegen vorgetragenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Die vom Beigeladenen zu 1. angewendete Methode geht systemgerecht davon aus, dass nur therapeutisch sinnvolle Wirkstärken gemäß § 25 Abs 1 Satz 1 AMG zugelassen werden, und die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte diese Wirkstärken zutreffend verordnen(vgl Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 9). Die vom Kläger bevorzugte Methode, die Vergleichsgröße anhand einer tatsächlichen Wirkstärke zu bestimmen, leidet dagegen daran, dass sich seine Prämisse, bei jedem Patienten wirke etwa Atorvastatin "doppelt so gut" wie Pravastatin oder "viermal so gut" wie Simvastatin, schwerlich objektivieren lässt. Bei Anwendung eines Wirkstoffs bringt die doppelte Wirkmenge nicht automatisch auch den doppelten Behandlungserfolg mit sich. Ua vor diesem Hintergrund ist eine arzneimittelrechtliche Zulassung stets wirkstärkenbezogen (vgl § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AMG). Dem trägt die hier gewählte Methode Rechnung, sich nicht an einer fiktiven "tatsächlichen Wirkstärke", sondern an der tatsächlichen Situation der Verordnungen in der Praxis im Hinblick auf die Wirkstärke zu orientieren (vgl ähnlich für den Vergleich der Wirksamkeit mehrerer Wirkstoffe BSGE 93, 296 RdNr 14 = SozR 4-2500 § 35 Nr 2 RdNr 16).

86

f) Die (hier noch zuständigen) Beigeladenen zu 2. bis 7. haben die Festbeträge rechtmäßig festgesetzt. Sie haben die notwendige Form gewahrt, da die Festsetzung im Bundesanzeiger öffentlich bekanntgemacht wurde (§ 35 Abs 7 Satz 1 SGB V), und die Festbeträge auch materiell rechtmäßig festgesetzt. Sie haben die in § 35 Abs 5 SGB V formulierten Vorgaben befolgt, Festbeträge so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten(Satz 1), Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen, einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen, sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten ausrichten und soweit wie möglich eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherstellen (Satz 2).

87

Die gerichtliche Kontrolle der festgesetzten Festbetragshöhe erfolgt grundsätzlich in vollem Umfang. Sie beschränkt sich jedoch auf die zutreffende Konkretisierung der bestehenden Zielvorgaben nebst wissenschaftlich haltbarer Schätzungen, wo in Unkenntnis der Reaktion jedes einzelnen Arzneimittelanbieters prognostische Elemente und Schätzungen mit in die Festbetragsfestsetzung einfließen müssen (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 46). Es besteht allerdings kein Beurteilungsspielraum der Beigeladenen zu 2. bis 7. mit Blick darauf, dass im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche, in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet ist (vgl dagegen zum Rechtsschutz im Hinblick auf atypische Einzelfälle oben II 1. e; aA - einen Beurteilungsspielraum bejahend - Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 31; Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 93). Anderes wäre auch verfassungsrechtlich bedenklich. Das BVerfG hat die Regelungen über die Festsetzung von Festbeträgen in § 35 Abs 5 SGB V mit Rücksicht darauf nicht beanstandet, dass sie klar überprüfbare Festsetzungsmaßstäbe enthalten. Eine wesentliche Änderung des Inhalts des Wirtschaftlichkeitsgebots oder wirtschaftslenkende Handlungsspielräume sind dem Beklagten und waren den beigeladenen Krankenkassenverbänden nicht eröffnet (vgl näher BVerfGE 106, 275, 302 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2, S 20).

88

Die Beigeladenen zu 2. bis 7. haben das gesetzliche Berechnungsverfahren beachtet (s § 35 Abs 5 Satz 3 bis 7 SGB V). Danach sind die Festbeträge mindestens einmal im Jahr zu überprüfen; sie sind in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen. Der Festbetrag für die Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V soll den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis einer Standardpackung nicht übersteigen. Dabei müssen mindestens ein Fünftel aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel aller Packungen zum Festbetrag verfügbar sein; zugleich darf die Summe der jeweiligen Vomhundertsätze der Verordnungen und Packungen, die nicht zum Festbetrag erhältlich sind, den Wert von 160 nicht überschreiten. Bei der Berechnung nach § 35 Abs 5 Satz 4 SGB V sind hochpreisige Packungen mit einem Anteil von weniger als 1 vH an den verordneten Packungen in der Festbetragsgruppe nicht zu berücksichtigen. Für die Zahl der Verordnungen sind die zum Zeitpunkt des Berechnungsstichtages zuletzt verfügbaren Jahresdaten des Arzneimittelindexes der gesetzlichen Krankenversicherung zu Grunde zu legen. Demgemäß hat sich die Festsetzung der optimalen Festbetragshöhe iterativ unter Anwendung einer Maßzahl anzunähern (sogenannte Maßzahl M). Sie ist als Summe des prozentualen Anteils zuzahlungspflichtiger Verordnungen und des prozentualen Anteils zuzahlungspflichtiger Packungen definiert und muss durch die Festbetragsfestsetzung eingehalten werden.

89

Der Festbetrag von 13,48 Euro (Wirkstärkenvergleichsgröße 0,4 und Packungsgröße 100 Stück) genügt - soweit hier von Interesse - diesen Anforderungen. Die festgesetzte Festbetragshöhe muss nur im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten, nicht aber im atypischen Einzelfall (vgl oben, II 1. e). Die Maßzahl M hat am Berechnungsstichtag bei 96,4 gelegen. Damit standen den Versicherten 35,1 Prozent der Packungen und 68,5 Prozent der Verordnungen - und folglich weit mehr als gesetzlich erforderlich - zum angepassten Festbetrag zur Verfügung. Außerdem waren Arzneimittel mit zwei der fünf Wirkstoffe der Festbetragsgruppe zum Festbetrag erhältlich. Danach greift auch das Vorbringen des Klägers nicht durch, die festgesetzte Festbetragshöhe stelle keine hinreichende Arzneimittelauswahl sicher. Die Sicherstellung einer für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl hat nur "soweit wie möglich" zu erfolgen, kann also auch dazu führen, dass lediglich ein einziges therapiegerechtes Arzneimittel zum Festbetrag zur Verfügung steht. Darüber ging das Angebot zum Festbetrag erhältlicher therapiegerechter Statine deutlich hinaus.

90

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG. Der Kläger muss als nach § 183 SGG Kostenprivilegierter nicht die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen. Allerdings sind nach § 193 Abs 4 SGG nur die Aufwendungen der in § 184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen nicht erstattungsfähig. Das sind lediglich Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 SGG genannten privilegierten Personen gehören, nicht aber Beigeladene. Kosten eines Beigeladenen sind grundsätzlich durch eine im Verfahren unterlegene Behörde zu erstatten (vgl BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 5; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 17). Es entspricht aber in der Regel der Billigkeit, nach § 183 Abs 1 SGG kostenprivilegierte Beteiligte von der Erstattungspflicht gegenüber beigeladenen Trägern öffentlicher Verwaltung freizustellen. Sie sollen nicht durch eine drohende Kostenlast von der Anstrengung eines gerichtlichen Verfahrens abgehalten werden. So liegt es hier.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.

(4) (weggefallen)

(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(3) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.

Gründe

I.

Streitig ist, ob dem Antragsteller für die Vergütung für ein von ihm im Auftrag des Gerichts erstelltes Gutachten Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

In dem beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 16 SB 101/11 geführten rentenrechtlichen Berufungsverfahren erstellte der Antragsteller im Auftrag des Gerichts ein orthopädisches Gutachten. Das Gutachten (ohne Datum) ging am 29.07.2013 per Fax und am Folgetag im Original beim LSG ein.

Am 31.10.2013 faxte der Antragsteller dem LSG eine auf den 29.09.2013 datierte Rechnung über 1.871,75 EUR für das Gutachten zu.

Mit Schreiben vom 05.11.2013 teilte der Kostenbeamte des LSG dem Antragsteller mit, dass die Rechnung für das Gutachten erst nach Ablauf der 3-Monatsfrist des § 2 Abs. 1 JVEG eingegangen und daher der Vergütungsanspruch erloschen sei.

Mit Schreiben vom 20.11.2013, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat sich der Antragsteller gegen die Ablehnung der Vergütung gewandt und Wiedereinsetzung beantragt. Er erinnere sich daran, dass früher einmal eine Abgabefrist von zwei Jahren gegolten habe. Im Übrigen habe er die jetzt geltende Frist nur um einige Tage überschritten. Ihm sei bewusst, dass das Gericht die Möglichkeit habe, Nachsicht mit jemanden walten zu lassen, der allenfalls mit leichtem Verschulden die Frist zur Abgabe der Honorarnote ein wenig überschritten habe.

Das Gericht hat dem Antragsteller mit Schreiben vom 02.01.2014 erläutert, dass der Wiedereinsetzungsantrag nicht erfolgversprechend und die Möglichkeit, Nachsicht walten zu lassen, in den gesetzlichen Regelungen nicht vorgesehen sei. Eine Reaktion des Antragstellers darauf ist nicht mehr erfolgt.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der Vergütung für das Gutachten über Herrn B. im Verfahren mit dem Aktenzeichen L 16 SB 101/11, über den nicht der Kostenbeamte, sondern gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG das Gericht zu entscheiden hat, ist abzulehnen. Denn der Antragsteller hat einen Wiedereinsetzungsgrund nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht.

1. Anzuwendende Fassung des JVEG

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn der Antragsteller als Berechtigter ist vor dem gemäß Art. 55 2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

2. Vergütungsantrag zu spät gestellt

Der Vergütungsanspruch war bereits erloschen, als der Vergütungsanspruch für das Gutachten über Herrn B. im Verfahren mit dem Aktenzeichen L 16 SB 101/11 geltend gemacht wurde.

Der Anspruch auf Vergütung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG im Falle der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle zu laufen, die den Berechtigten herangezogen hat.

Vorliegend ist das Gutachten am 29.07.2013 beim LSG eingegangen. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Vergütungsanspruchs ist am 29.10.2013 (Dienstag) abgelaufen.

Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 30.10.2013, Az.: L 15 SF 231/13 E).

Die Rechnung des Antragstellers ist bei Gericht am 31.10.2013 eingegangen. Dieser Eingang der Rechnung ist erst nach Ablauf der dreimonatigen Frist für die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs erfolgt. Darauf, dass der Antragsteller die Rechnung auf den 29.09.2013 vordatiert hat, kommt es nicht an; entscheidend ist allein der Eingang bei Gericht.

3. Keine Wiedereinsetzung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, da der Antragsteller einen Wiedereinsetzungsgrund nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht hat.

3.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn - er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d. h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung, einen Wiedereinsetzungsantrag stellt, - er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12), - er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG den Vergütungsanspruch beziffert und - sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d. h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Vorlage einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

3.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

3.2.1. Fristgerechte Antragstellung

Von einem fristgerechten Wiedereinsetzungsantrag ist auszugehen.

Zumindest ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 05.11.2013 musste dem Antragsteller bewusst sein, dass die Rechung für das Gutachten über Herrn B. im Verfahren mit dem Aktenzeichen L 16 SB 101/11 nicht fristgerecht eingereicht worden war. Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet.

Am 20.11.2013 hat der Antragsteller einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Dieser Antrag ist innerhalb der mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 05.11.2013, der bei entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post fingiert werden kann, in Lauf gesetzten Frist von zwei Wochen bei Gericht eingegangen.

3.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds

Es fehlt an einer fristgerechten Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds schon deshalb, weil der Antragsteller überhaupt keinen Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen hat.

Voraussetzung für eine fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds ist, dass Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gehindert war. Dazu hat er Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen, die erklären, warum er an einem fristgerecht, d. h. innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu stellenden Entschädigungsantrag ohne Verschulden gehindert war.

Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist von einer Glaubhaftmachung schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12 - mit ausführlichen Erläuterungen auch zu verfassungsrechtlichen Aspekten).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller in seinem Schreiben vom 20.11.2013 einen Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dass er unverschuldet an einer rechtzeitigen Rechnungsstellung gehindert gewesen wäre, nicht vorgetragen. Vielmehr hat er selbst zugestanden, dass er die Frist zumindest „mit leichtem Verschulden“ versäumt habe, und um Nachsicht gebeten, da die Fristüberschreitung nur wenige Tage betrage. Dies würde aber keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.

Rein der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass es keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen würde, wenn dem Antragsteller die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG unbekannt gewesen wäre (ständige Rspr. des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 10.09.2013, Az.: L 15 SF 206/13 E - m. w. N.). Eine Unkenntnis von einzuhaltenden Fristen ist grundsätzlich nicht geeignet, eine Wiedereinsetzung zu begründen. Denn wegen des Grundsatzes der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten Gesetze mit ihrer Verkündung allen Normadressaten als bekannt ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese tatsächlich davon Kenntnis davon erhalten haben. Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung vermag daher eine Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 06.05.2010, Az.: B 13 R 44/09 R - m. w. N.).

Im Übrigen war dem Antragsteller aufgrund des ausdrücklichen Hinweises im „Merkblatt für die/den Sachverständige(n)“, das dem Auftragsschreiben vom 15.12.2011 als Anlage beigefügt war, die Antragsfrist von drei Monaten und die Konsequenz des Erlöschens des Vergütungsanspruchs bei nicht fristgerechter Geltendmachung des Anspruchs auch bekannt.

4. Keine „Nachsichtgewährung“

„Nachsicht“ kann nicht gewährt werden, da dafür die Regelungen des JVEG keine Rechtsgrundlage geben. Eine „Nachsichtgewährung“ durch richterliches Ermessen würde einen Gesetzesverstoß darstellen.

Wenn der Senat im Beschluss vom 15.11.2005, Az.: L 10 AL 2/02.Ko, am Rande die Frage der „Nachsichtgewährung“ angesprochen (, dies aber schon wegen des fehlenden Nachweises eines nicht gegebenen Verschuldens abgelehnt) und dabei auf das Urteil des BSG vom 27.09.1983, Az.: 12 RK 7/82, Bezug genommen hat, weist der Senat lediglich zur Klarstellung auf Folgendes hin:

Einer Anwendung des Instituts der „Nachsichtgewährung“ im Bereich des JVEG steht schon entgegen, dass hier für Fälle einer Fristversäumnis das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung zur Verfügung steht. Die der Entscheidung des BSG zugrunde liegende ganz andere Rechtsmaterie hingegen sah eine Wiedereinsetzung nicht vor, so dass das BSG aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben heraus die Möglichkeit geprüft hat, die Fristversäumnis anderweitig unschädlich zu machen. Dabei hat es aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „insoweit mindestens die Anforderungen zu stellen“ seien, „die an eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden müssten.“

Dem Antragsteller kann daher bezüglich der Vergütung seines Gutachtens über Herrn B. im Verfahren mit dem Aktenzeichen L 16 SB 101/11 keine Wiedereinsetzung gewährt werden.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung als Einzelrichter zu entscheiden gehabt (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 8 JVEG).

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.

Tatbestand

1

Der Senat hat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 15. Dezember 2008 mit Beschluss vom 19. November 2009 - B 11 AL 76/09 B - als unzulässig verworfen. Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 1. Dezember 2009 zugestellten Beschluss hat dieser mit einem am selben Tage beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 15. Dezember 2009 Anhörungsrüge und Gegenvorstellung erhoben.

2

Daneben hat der Kläger selbst mit einem von ihm verfassten und unterzeichneten Schreiben ebenfalls vom 15. Dezember 2009 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Gehörsrüge, hilfsweise eine Gegenvorstellung beantragt. In diesem Schreiben lehnt der Kläger die beteiligten Richter - Dr. W., Dr. L., Dr. R - wegen Vorbefassung ab.

Entscheidungsgründe

3

Der Senat kann trotz der Erklärung des Klägers, er lehne die beteiligten Richter ab, in der aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung entscheiden (dazu 1.). Der Antrag auf Bewilligung von PKH (dazu 2.) bleibt ebenso ohne Erfolg wie die Anhörungsrüge (dazu 3.) und die Gegenvorstellung (dazu 4.).

4

1. Der Senat kann trotz der vom Kläger erklärten Ablehnung der am Ausgangsbeschluss beteiligten Richter in der üblichen, nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG vorgeschriebenen Besetzung entscheiden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Klägers in seinem eigenen Schreiben vom 15. Dezember 2009 bereits deswegen unbeachtlich ist, weil es nicht von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten herrührt (§ 73 Abs 4 SGG). Denn die Ablehnungsgesuche sind jedenfalls offensichtlich unzulässig und damit unbeachtlich.

5

Die vom Kläger geäußerte Auffassung, bei der Entscheidung über eine Anhörungsrüge sei der iudex a quo wegen Vorbefassung "stets als befangen" anzusehen, ist unzutreffend; vielmehr ist es gerade der Sinn der Anhörungsrüge, dem iudex a quo die Möglichkeit der Selbstkorrektur einzuräumen (vgl ua Beschluss des BSG vom 20. Oktober 2009, B 7 AL 10/09 C, mit Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Mai 2009, 5 PKH 6/09, NVwZ-RR 2009, 662 f). Da der Kläger überdies keine konkreten Gründe für eine Besorgnis der Befangenheit eines der abgelehnten Richter anführt (vgl § 60 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz iVm § 42 Abs 2 Zivilprozessordnung), sondern im Wesentlichen nur inhaltliche Einwendungen gegen den Ausgangsbeschluss unter teilweiser Wiederholung seines dem Senat bereits bekannten Vorbringens erhebt, sind seine Ablehnungsgesuche auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bereits deshalb rechtsmissbräuchlich (vgl ua Beschluss des BVerfG vom 12. Juli 2006, 2 BvR 513/06, veröffentlicht in juris; Beschluss des Senats vom 19. Januar 2010, B 11 AL 13/09 C, mwN). Dass kein konkreter Befangenheitsgrund geltend gemacht werden kann, ergibt sich schließlich daraus, dass der vom Kläger für die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung beauftragte Prozessbevollmächtigte davon abgesehen hat, ein Ablehnungsgesuch anzubringen.

6

2. Dem Kläger steht auch keine PKH für eine Anhörungsrüge bzw eine Gegenvorstellung zu, da seine Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG, § 114 ZPO).

7

Voraussetzung für den Erfolg einer Anhörungsrüge ist insbesondere, dass das Gericht in der angegriffenen Entscheidung den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 178a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG). Anhaltspunkte für eine solche Verletzung ergeben sich indes weder aus dem Vortrag des Prozessbevollmächtigen des Klägers in dessen Schriftsatz vom 15. Dezember 2009 noch aus den Ausführungen des Klägers in seinem eigenen Schreiben vom selben Datum. Diesem Vorbringen ist nur zu entnehmen, dass der Kläger den Ausgangsbeschluss vom 19. November 2009 für inhaltlich unrichtig hält. Dagegen werden keine konkreten Gesichtspunkte aufgezeigt, die darauf hindeuten könnten, das BSG habe entweder nicht hinreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben oder habe irgendein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen. Anhaltspunkte für eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sind auch sonst nicht zu erkennen.

8

Eine Gegenvorstellung (zur Statthaftigkeit auch nach Einführung der Anhörungsrüge vgl BVerfG, Beschluss vom 25. November 2008, 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190 = NJW 2009, 829) hätte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn dem Gericht eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots vorgehalten werden könnte (vgl ua BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 3, Nr 5). Im vorliegenden Fall zeigen die vom Kläger vorgebrachten Gründe keine schwerwiegende Rechtsverletzung auf, insbesondere nicht die Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots. Von einer Missachtung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots kann auch unabhängig vom Vortrag des Klägers keine Rede sein, da der angegriffene Beschluss vom 19. November 2009 eingehend mit Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung begründet worden ist.

9

3. Die vom Prozessbevollmächtigten erhobene Anhörungsrüge ist unzulässig.

10

Zulässigkeitsvoraussetzung der Anhörungsrüge ist nach § 178a Abs 2 Satz 5 SGG iVm § 178a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG die nachvollziehbare Darlegung, dass das BSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Daran fehlt es.

11

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt im Schriftsatz vom 15. Dezember 2009 lediglich vor, nach Auffassung des Klägers sei es diesem nicht abzuverlangen, zu der Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf die am Beschluss des Hessischen LSG mitwirkenden Richter Gründe näher darzulegen; ausreichend sei, dass ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben könne. Damit macht der Kläger lediglich geltend, er stimme der Auffassung des BSG, das die Nichtzulassungsbeschwerde wegen Fehlens einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Begründung als unzulässig verworfen hat, nicht zu. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt jedoch von vornherein nicht der Anspruch, dass das Gericht der Argumentation des Klägers folgt.

12

4. Auch die vom Prozessbevollmächtigten erhobene Gegenvorstellung ist unzulässig.

13

Wie unter 2. bereits ausgeführt setzt nach der Rechtsprechung des BSG eine zulässige Gegenvorstellung die Bezeichnung einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots voraus (ua BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 5). Anhaltspunkte für solche Verletzung liegen aber nach den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten nicht vor. Vorsorglich wird im Übrigen darauf hingewiesen, dass der Senat nach nochmaliger Überprüfung an seiner Entscheidung vom 19. November 2009 in vollem Umfang festhält.

14

5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 178a Abs 4 Satz 3 SGG).

15

6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 26. Juni 2017 - 3 A 1454/16 As SN - verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit darin der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird.

Das Urteil wird aufgehoben, soweit darin der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird. Insoweit wird die Sache an das Verwaltungsgericht Schwerin zurückverwiesen.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine Aufstockungsklage syrischer Asylbewerber durch das Verwaltungsgericht Schwerin.

2

1. Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten am 15. April 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 13. Mai 2016 Asylanträge stellten. Zur Begründung gaben sie an, dass sie Syrien wegen des Krieges verlassen hätten. Der am 8. Februar 1978 geborene Beschwerdeführer zu 1. habe zum Militär antreten müssen, er wolle jedoch keine unschuldigen Menschen töten. Zudem habe er sich als Kurde in Syrien diskriminiert gefühlt. Die Beschwerdeführer zu 1. und zu 2. hätten zu Beginn der Revolution an Demonstrationen teilgenommen und seien dabei fotografiert worden. Die Fotos seien auf Facebook verbreitet worden.

3

Mit Bescheid vom 31. Mai 2016 erkannte das Bundesamt den Beschwerdeführern jeweils den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab.

4

2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer am 16. Juni 2016 Klage beim Verwaltungsgericht Schwerin, mit der sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrten. Zugleich beantragten sie unter Beifügung entsprechender Unterlagen, ihnen Prozesskostenhilfe zu gewähren. Dieser Antrag und die zugehörigen Unterlagen gingen ebenfalls am 16. Juni 2016 beim Verwaltungsgericht ein. Ihnen sei die Flüchtlingseigenschaft bereits deshalb zuzuerkennen, weil sie illegal aus Syrien ausgereist seien und Asylanträge gestellt hätten. Der Beschwerdeführer zu 1. sei in Syrien als Reservist militärdienstpflichtig, wolle den Militärdienst jedoch nicht antreten. Dies werde als oppositionelle Haltung verstanden und sanktioniert werden. Zudem seien die Beschwerdeführer zu 1. und 2. gegen das Assad-Regime. Als säkularem Moslem drohe dem Beschwerdeführer zu 1. politische Verfolgung nicht nur durch das syrische Regime, sondern auch durch Islamisten.

5

3. Mit Urteil vom 26. Juni 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage der Beschwerdeführer ab und lehnte im Urteilstenor zugleich den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung der Klageabweisung führte es unter Berücksichtigung verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bis März 2017 an, dass den Beschwerdeführern nicht bereits wegen ihrer Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Auslandsaufenthalts bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung drohe. Dies gelte auch nicht vor dem Hintergrund des in Syrien anhaltenden Bürgerkrieges. Es sei festzustellen, dass der syrische Staat trotz der Bedrängnis durch oppositionelle Gruppierungen kein allgemeines Reiseverbot für syrische Bürger verhängt und im Jahr 2015 800.000 Reisepässe ausgestellt habe. Der Gefahr, dass sich im Ausland eine machtvolle Opposition bilden könne, habe der syrische Staat demnach keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Eine besondere Rückkehrgefahr folge auch nicht aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zu 1. aufgrund seines Alters noch wehrdienstpflichtig sei. Er habe seinen Wehrdienst bereits von 2004 bis 2006 bei einem Club unterhalb der Militärs abgeleistet. Der Beschwerdeführer zu 1. habe nicht dargelegt, dass er sich mit seiner Ausreise aus Syrien einer konkret bevorstehenden erneuten Einberufung entzogen habe, zumal er legal mit einem Reisepass ausgereist und ab 2012 berufsbedingt zwischen dem Oman und dem Irak gependelt sei. Mit einer Festnahme bei Wiedereinreise nach Syrien habe der Beschwerdeführer zu 1. nicht zu rechnen. Er habe auch nicht dargelegt, dass er im Falle einer erneuten Einberufung zum Militär eine Bestrafung als Deserteur in Kauf nehmen werde, um dem Wehrdienst zu entgehen. Auch die Teilnahme an Demonstrationen begründe für die Beschwerdeführer zu 1. und 2. keine Verfolgungsgefahr. Angesichts des Umstands, dass sie über Reisepässe verfügten und Syrien mehrfach verlassen hätten, sei diesen Aktivitäten keine besondere Bedeutung beizumessen. Am Ende der Entscheidungsgründe stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen der fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens abzulehnen gewesen sei.

6

4. Gegen die Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags erhoben die Beschwerdeführer Anhörungsrüge. Das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 - 2 BvR 31/14 -, nach dem die Frage der Verfolgung aller Syrer eine ungeklärte Rechtsfrage darstelle, nicht berücksichtigt habe. Es habe zudem verkannt, dass die Verfolgung von Rückkehrern, die sich dem Wehrdienst entzogen hätten, eine ebenfalls schwierige und ungeklärte Frage sei. Der angegriffene Beschluss verstoße zudem gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit.

7

Mit Beschluss vom 12. Juli 2017 wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück. Es habe den Vortrag des Beschwerdeführers zu 1. bezüglich einer potentiellen Einberufung zum Militärdienst unter Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung bewertet. Die Frage, ob einem syrischen Asylbewerber allein wegen seiner illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen sei, sei nicht offen, sondern aus Sicht des Verwaltungsgerichts geklärt. Sowohl die erkennende Kammer als auch diverse - in der Entscheidung im Einzelnen ausgeführte - näher benannte Obergerichte verneinten eine asylrelevante Verfolgung wegen illegaler Ausreise aus Syrien. Daher habe das Verwaltungsgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Verweis auf die Urteilsgründe ablehnen können. Die vorliegende prozessuale Konstellation unterscheide sich von derjenigen, die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 zugrunde gelegen habe. Die aus Sicht der Beschwerdeführer fehlerhafte rechtliche Bewertung könne nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.

8

5. Die Beschwerdeführer beantragten die Zulassung der Berufung. Diesen Antrag lehnte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 18. September 2017 wegen unzureichender Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ab. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 habe die Situation betroffen, dass innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung auf identischer Tatsachengrundlage unterschiedliche rechtliche Schlussfolgerungen gezogen worden seien. Da der Beschwerdeführer zu 1. legal aus Syrien ausgereist sei, hätten die Beschwerdeführer eine grundsätzliche Bedeutung der Frage einer Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung nicht dargelegt.

II.

9

Die Beschwerdeführer haben gegen die Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags durch das Urteil des Verwaltungsgerichts am 11. Juli 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

10

Das Verwaltungsgericht habe im Prozesskostenhilfeverfahren über schwierige, ungeklärte Fragen entschieden und damit unter Verletzung des Gebots der Rechtsschutzgleichheit die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über Prozesskostenhilfe verkannt. So sei die Frage ungeklärt, ob Flüchtlingen aus Syrien allein aufgrund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Dies zeige - von den Beschwerdeführern im Einzelnen zitierte - verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2016. Auch die Frage, ob einer Person, die sich dem Militärdienst entzogen habe, im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung drohe, sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt. Eine Vielzahl von Verwaltungsgerichten nehme für Personen im wehrdienstpflichtigen Alter von 18 bis 42 Jahren eine Verfolgungsgefahr an. Über beide Fragen habe das Verwaltungsgericht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden. Dies verstoße zudem gegen das Willkürverbot und den Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

III.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.>). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrer durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit, soweit es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnt.

12

1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

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Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier i.V.m. § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfas-sungsgebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.

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Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. Bergner/Pernice, in: Emmenegger/ Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, S. 241 <258 ff.>). Eine Auslegung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin, dass ein Rechtsschutzbegehren hinreichende Erfolgsaussichten hat, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen und noch nicht geklärten oder von einer in hohem Maße streitigen Rechtsfrage abhängt, wird dem Gebot der in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit gerecht. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige und noch nicht geklärte oder hoch streitige Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfGK 2, 279 <282>; 8, 213 <217>). Legt ein Fachgericht § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwar in dem vorgenannten, die Rechtsschutzgleichheit wahrenden Sinne aus, sieht es die entscheidungserhebliche Rechtsfrage aber als einfach und/oder geklärt beziehungsweise unstreitig an, obwohl dies erheblichen Zweifeln begegnet, und beantwortet sie deswegen schon im Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil des Unbemittelten, hängt es vor allem von der Eigenart der jeweiligen Rechtsmaterie und der Ausgestaltung des zugehörigen Verfahrens ab, ob dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird. So sind etwa die Voraussetzungen (Kostenvorschusspflicht, Anwaltszwang) und weitere Modalitäten (Schriftlichkeit oder Mündlichkeit des Verfahrens, Amtsermittlung, weiterer Rechtsmittelzug) des jeweiligen Rechtsschutzwegs zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 81, 347 <359 f.>).

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Aus diesem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsschutzgleichheit folgt, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen sind (vgl. in jeweils unterschiedlichen Konstellationen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, S. 3190 <3191>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -, NJW 2005, S. 3489; BVerfGK 8, 213 <216 ff.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, NJW-RR 2016, S. 1264 <1266>; Linke, NVwZ 2003, S. 421 <423 ff.>). Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung - jedenfalls in einem Rechtsgebiet wie dem Asylrecht, in dem ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vielfach als unzulässig angesehen wird (vgl. kritisch und m.w.N. Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 29) - nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, wobei es verfassungsrechtlich unerheblich ist, ob für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten generell auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags abgestellt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. April 2017 - 7 ZB 16.498 -, juris, Rn. 1; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Juni 2012 - 12 PA 69/12 -, juris, Rn. 2) oder jedenfalls dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2012 - 18 E 1326/11 -, juris, Rn. 19; OVG Bremen, Beschluss vom 2. September 2014 - 2 PA 93/14 -, juris, Rn. 3; jeweils zu der Frage des zwischenzeitlich rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens; a.A. und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend noch OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 2 PA 1176/04 -, DÖV 2005, S. 34).

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2. Gemessen an diesen Maßstäben hält das angegriffene Urteil, soweit es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt, einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung offensichtlich nicht stand.

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a) Das Verwaltungsgericht hat die Bedeutung des Gebots der Rechtsschutzgleichheit verkannt, indem es in einem einheitlichen Urteil die Klage abgewiesen und unter Verweis auf die Begründung der Klageabweisung die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt hat.

18

Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn zur Begründung der Versagung von Prozesskostenhilfe auf die Begründung einer Sachentscheidung Bezug genommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris, Rn. 13). Allerdings unterliegen die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Sache unterschiedlichen Maßstäben, die im Einzelfall eine separate Begründung der Ablehnung der Prozesskostenhilfe erforderlich machen kann (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 14).

19

Diesen Anforderungen ist das Verwaltungsgericht nicht gerecht geworden. Ein Verfassungsverstoß folgt nicht bereits aus dem Umstand, dass über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO, § 146 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 1 ZPO durch Beschluss zu entscheiden ist. Allerdings hat das Verwaltungsgericht im Prozesskostenhilfeverfahren und im Hauptsacheverfahren die gleichen Prüfungsmaßstäbe angewendet. Dabei hat es die Möglichkeit außer Acht gelassen, dass Prozesskostenhilfe dann zu gewähren ist, wenn die Klage lediglich in einer ex-ante-Perspektive hinreichende Erfolgsaussichten hat. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im Urteilstenor abgelehnt und diese Ablehnung am Ende der Entscheidungsgründe lediglich damit begründet, dass wegen der - in der Begründung der Klageabweisung dargelegten - fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen sei. Selbstständige Erwägungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags aus einer ex-ante-Sicht ergeben sich daraus nicht.

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b) Zudem hat das Verwaltungsgericht zwei höchst streitige Fragen im Prozesskostenhilfeverfahren durchentschieden, indem es sowohl die Verfolgung allgemein aus Syrien ausgereister potentieller Rückkehrer als auch die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern im wehrpflichtigen Alter verneint hat.

21

aa) Zu der entscheidungserheblichen Frage, ob unverfolgt ausgereisten Syrern bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien allein aufgrund der Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und des längeren Auslandsaufenthaltes politische Verfolgung droht und ihnen deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, gab es zum maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2016 keine aktuelle Entscheidung des dem Verwaltungsgericht übergeordneten Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern. Dieses hatte sogar im Gegensatz zu der im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts vertretenen Auffassung noch mit Beschluss vom 24. April 2014 (Az.: 2 L 16/13, juris) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für unverfolgt ausgereiste Syrer bejaht.

22

Diese Frage war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch in der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt. Die Obergerichte gaben entsprechenden Klagen zu diesem Zeitpunkt sogar eher statt (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). Die erstinstanzliche Entscheidungspraxis war darüber hinaus sehr uneinheitlich. Die vom Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil zitierten Entscheidungen, die die Flüchtlingszuerkennung für unverfolgt ausgereiste Syrer verneinen, sind zudem nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2016 ergangen und durften nicht zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden.

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bb) Auch die Frage, ob syrischen Staatsangehörigen im wehrdienstfähigen Alter wegen einer Wehrdienstentziehung Verfolgung droht, war im Juni 2016 in der Rechtsprechung des übergeordneten Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ungeklärt. Dieses hat die Frage erst mit Urteil vom 21. März 2018 (Az.: 2 L 238/13, juris) - zugunsten der Beschwerdeführer - beantwortet. Auch in der übrigen Rechtsprechung war die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei Wehrdienstentziehung ungeklärt. Erst nach dem hier entscheidenden Zeitpunkt im Juni 2016 gab es zu dieser Frage - divergierende - Entscheidungen der Obergerichte (die Flüchtlingseigenschaft bejahend BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 -; VGH BW, Urteil vom 14. Juni 2017 - A 11 S 511/17 -; Hessischer VGH, Urteil vom 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A -; die Flüchtlingseigenschaft verneinend etwa OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und Beschluss vom 12. September 2017 - 2 LB 750/17 -; OVG Saarland, Urteile vom 18. Mai 2017 - 2 A 176/17 - und vom 22. August 2017 - 2 A 262/17 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16.OVG - alle juris). Damit lag jedenfalls eine klärungsbedürftige Tatsachenfrage bezüglich der Verfolgungsgefahr für diese Gruppe in Syrien vor, die durch das Verwaltungsgericht nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten der Beschwerdeführer entschieden werden durfte.

24

cc) Die Versagung von Prozesskostenhilfe hat die Beschwerdeführer als Unbemittelte schlechter gestellt als Bemittelte und ihnen die Chance genommen, ihre Auffassung in der mündlichen Verhandlung und in der zweiten Instanz weiter zu vertreten.

25

3. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben, soweit es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnt und die Sache ist insoweit dorthin zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

IV.

26

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat den Beschwerdeführern gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.