Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2024 - StB 54/24
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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2024 - StB 54/24
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 27. Aug. 2024
Az.: StB 54/24
Tenor
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 2024 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschuldigte ist am 19. Juni 2024 festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft; zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2024 (1 BGs 514/24). Dieser Haftbefehl ist durch einen neuen vom 10. Juli 2024 (1 BGs 567/24) ersetzt worden.
Gegenstand des aktuellen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe am 19. Juni 2024 in F. für einen Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, die auf die Mitteilung von Tatsachen gerichtet gewesen sei. Der Haftbefehl nimmt eine mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB an.
Gegen den Haftbefehl wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde vom 6. August 2024.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Haftbefehl und dessen Vollzug liegen vor.
1. Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
a) Der kriegsversehrte K. , der seit Sommer 2023 in Deutschland lebt, war Offizier der ukrainischen Streitkräfte und vor seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik unter dieser ihm von der Ukraine verliehenen Identität dort für den ukrainischen militärischen Geheimdienst G. im Bereich der militärischen Aufklärung tätig und an Kampfhandlungen im Ukrainekrieg beteiligt. In russischen Medien wurde er bezichtigt, Ende März 2022 in B. bei Ki. an der Tötung gefangen genommener russischer Soldaten mitgewirkt und dadurch Kriegsverbrechen begangen zu haben.
Spätestens im Frühjahr 2024 wurde K. in Deutschland Zielperson von Ausforschungsbemühungen eines fremden Geheimdienstes. Am 16. April 2024 erhielt er nach vorheriger Kontaktaufnahme über einen Messengerdienst von einer sich als „J. “ bezeichnenden unbekannten Person telefonisch das vorgebliche Angebot, für den ukrainischen Inlandsgeheimdienst „S. “ (S. ) in Deutschland tätig zu werden. Er solle gegen Entlohnung daran mitwirken, Informationen über russische Staatsbürger in der Bundesrepublik zu sammeln. K. erklärte seine Bereitschaft hierzu, kontaktierte aber nach dem Telefonat sogleich einen ihm bekannten Mitarbeiter des S. , von dem er darüber informiert wurde, das dieser ukrainische Geheimdienst nicht involviert sei und das Angebot zur Mitwirkung nicht von diesem stamme. Ihm wurde daraufhin ein Kontakt zu einem Angehörigen der Auslandsabteilung des S. vermittelt, mit dem K. in der Folgezeit in Verbindung stand und mit dem er sein weiteres Vorgehen absprach. Zudem verständigte K. am 22. April 2024 deutsche Polizeibehörden von dem Anwerbeversuch und arbeitete seither mit diesen bei der Aufklärung des Sachverhalts zusammen.
In der Folgezeit hatte K. wiederholt mit „J. “ Messengerkontakt, bei dem es unter anderem um ein persönliches Treffen beider in F. ging, aber auch um einen ersten angeblichen Ausforschungsauftrag, den K. ausführen sollte. K. vertröstete „J. “ allerdings unter Hinweis auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand hinsichtlich einer Zusammenkunft. Letztlich erklärte „J. “, dass er am 19. Juni 2024 nach F. kommen werde und man sich an diesem Tag um 14.00 Uhr treffen könne, um den Auftrag persönlich zu besprechen. K. stimmte zum Schein dem Treffen zu.
Am Mittag des 19. Juni 2024 legte „J. “ dem K. gegenüber mittels Messengernachricht das Café „ “ in F. als Treffpunkt fest; er werde in diesem warten, um draußen nicht aufzufallen.
b) „J. “, der tatsächlich für einen Geheimdienst eines fremden Staates, indes nicht für den ukrainischen S. tätig war, hatte zwischenzeitlich mit dem Beschuldigten und den Mitbeschuldigten I. und Sa. vereinbart, dass diese ihn bei dem Treffen begleiten sowie dieses absichern und observieren sollten. Der Beschuldigte und die beiden Mitbeschuldigten sagten zu; dabei hielt der Beschuldigte zumindest für möglich und nahm jedenfalls billigend in Kauf, hiermit Dienste für einen ausländischen Geheimdienst zu leisten.
Der Beschuldigte und Sa. hielten sich ab etwa 13.15 Uhr am 19. Juni 2024 auf dem Platz vor dem Café auf und beobachteten die Örtlichkeit, um das erwartete Eintreffen des K. und etwaiger Begleiter auszuspähen. Nachdem K. dem „J. “ mit Textnachrichten wiederholt mitgeteilt hatte, er verspäte sich, werde aber auf jeden Fall kommen, schrieb ihm „J. “ um 14.56 Uhr, er werde noch fünf Minuten warten und dann gehen. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit, also augenscheinlich wegen eines erwarteten Scheiterns des Treffens mit der Zielperson, bezahlte der Beschuldigte zwei konsumierte Getränke im Café und begab sich Sa. in den Außenbereich des Cafés, wo er Fotos von dortigen Gästen anfertigte, um unter diesen vermutete zu K. gehörende Personen aufzuklären.
Sodann verließen der Beschuldigte, Sa. und I. , der das nähere Umfeld des Cafés aufgeklärt hatte, mit einem vom Beschuldigten geführten Pkw gemeinsam die Örtlichkeit, weil K. , wie er von vornherein beabsichtigt hatte, nicht erschienen war. In dem Pkw hatte der Beschuldigte einen GPS-Sender deponiert, der mutmaßlich an dem Fahrzeug der Zielperson angebracht werden sollte, um deren Aufenthaltsort im Anschluss an die Zusammenkunft jederzeit feststellen zu können. Kurze Zeit später wurden die drei festgenommen.
Im Nachgang zu dem gescheiterten Treffen teilte „J. “ dem K. unter Aufrechterhaltung seiner Legende eines Beschäftigten des ukrainischen Geheimdienstes S. mit, die Ukraine werde ihm, weil er Termine nicht einhalte, keine Hilfe - insbesondere keinen konsularischen Beistand - mehr leisten.
c) Die Kontaktaufnahme des ausländischen Geheimdienstes mit K. und ein Treffen mit diesem in dem F. er Café sollten der Gewinnung näherer Informationen über die Zielperson und ihren Aufenthalt in Deutschland dienen. Diese Tatsachen lagen angesichts der früheren Tätigkeit des K. für den ukrainischen Militärgeheimdienst und seiner aktiven Beteiligung an Kriegshandlungen der Ukraine im Aufklärungsinteresse der betreffenden fremden Macht, wobei bislang noch nicht hat festgestellt werden können, um welchen Staat es sich dabei handelte. Naheliegend erscheint allerdings, dass ein russischer Geheimdienst tätig wurde. Die erstrebten Informationen über die Zielperson sollten hochwahrscheinlich gegen diese gerichteten weiteren nachrichtendienstlichen Operationen auf deutschem Staatsgebiet den Weg ebnen; nicht ausschließbar bezweckten sie sogar, die staatlich veranlasste Tötung K. s in Deutschland oder seine Entführung aus der Bundesrepublik vorzubereiten, um ihn für (vermeintliche) Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt in der Ukraine zur Verantwortung zu ziehen.
2. Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) begründet sich wie folgt:
a) Die hochwahrscheinlichen Annahmen zur Kontaktaufnahme des „J. “ mit K. und ihrer Kommunikation in der Folgezeit stützen sich auf Bekundungen der Zielperson sowie Chatnachrichten und Mitschnitte der geführten Telefonate der beiden Personen, die den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt worden sind.
b) Die bisherigen Erkenntnisse zum Tätigwerden der Beteiligten am Tattag in dem F. er Café beziehungsweise dessen unmittelbarer Umgebung und damit zum Agieren des Beschuldigten beruhen auf einem Observationsbericht des hessischen Landeskriminalamtes. Dass das Handeln des Beschuldigten Teil geheimdienstlicher Ausforschungsbemühungen war und er insofern mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte, ergibt sich aus seinem Verhalten und dem der anderen Beteiligten am Tattag, aber auch aus verschiedenen Begleitumständen. So führte der Beschuldigte bei seiner Festnahme mehrere Kreditkarten mit unterschiedlichen Namen mit sich. Beim Mitbeschuldigten Sa. wurden mehrere Pässe mit verschiedenen Namen, in denen zudem kein Geburtsort verzeichnet war, und beim Mitbeschuldigten I. größere Mengen Bargeld sichergestellt. Ferner hat der Beschuldigte bei Vernehmungen unterschiedliche, nicht miteinander korrespondierende Angaben zu dem in seinem Pkw aufgefundenen GPS-Sender gemacht. Schließlich erscheint angesichts der früheren Tätigkeit der Zielperson plausibel, dass sie in den Fokus eines ausländischen Geheimdienstes geriet.
c) Das Vorbringen des Verteidigers des Beschuldigten in der Beschwerdebegründung, es hätten sich keine Hinweise auf ein Kennverhältnis zwischen dem Beschuldigten und der Zielperson ergeben, steht der Annahme dringenden Tatverdachts nicht entgegen. Denn zum einen wird dem Beschuldigten eine Auftragstätigkeit für einen fremden Geheimdienst zur Last gelegt. Zum anderen hat sich der Beschuldigte bei einer Vernehmung dahin eingelassen, K. sei unter anderem Namen Kommandeur einer ukrainischen Militäreinheit gewesen und werde beschuldigt, als solcher im Frühjahr 2022 bei Kämpfen in der Stadt B. im Nordwesten Ki. s Kriegsverbrechen gegen russische Soldaten begangen zu haben. Mithin hatte er Kenntnisse über die Zielperson und über einen naheliegenden Grund für ein geheimdienstliches Vorgehen gegen diese. Auch erscheint, anders als in der Beschwerdebegründungsschrift vorgebracht wird, angesichts der Gesamtumstände die Annahme naheliegend, dass der im Pkw des Beschuldigten deponierte GPS-Sender dazu bestimmt war, ihn für die weitere Ausforschung der Zielperson zu verwenden, zumal der Beschuldigte zum Grund dafür, warum sich das Gerät in seinem Fahrzeug befand, unklare und widersprüchliche Angaben gemacht hat.
d) Ergänzend nimmt der Senat Bezug auf die Darlegungen zur Begründung des dringenden Tatverdachts im angefochtenen Haftbefehl vom 10. Juli 2024 (dort unter II.) sowie in der Zuschrift des Generalbundesanwalts an den Senat vom 12. August 2024.
3. In rechtlicher Hinsicht ist entsprechend der Würdigung des Haftbefehls gegenwärtig die Annahme einer Strafbarkeit des Beschuldigten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB begründet, wobei die Tat der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt.
a) Es besteht kein - gemäß Art. 25 GG und § 20 Abs. 1 Satz 1 GVG beachtliches - Verfahrenshindernis der völkerrechtlichen Immunität. Zwar wurde der Beschuldigte mutmaßlich im Auftrag eines fremden Staates und für diesen tätig. Auch kommt Personen, die für einen Staat hoheitlich tätig werden, grundsätzlich aus der Staatenimmunität abgeleitete und völkergewohnheitsrechtlich anerkannte (funktionelle) Immunität in Bezug auf ihr hoheitlich-staatliches Handeln gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten (allgemeine Funktionsträgerimmunität) zu. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person in einem festen Dienstverhältnis - etwa als Beamter oder Soldat - zu dem ausländischen Staat steht oder - wie möglicherweise hier - nur einzelfallbezogen für diesen tätig wird; entscheidend ist allein, dass sich die Tätigkeit funktional als fremdstaatliches hoheitliches Handeln darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. März 2024 - 3 StR 454/22, juris Rn. 32; vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, NJW 2024, 1674 Rn. 53; Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 17; MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., Vor § 3 Rn. 106; NK-StGB/Böse, 6. Aufl., Vor §§ 3-7 Rn. 35; LK/Werle/Jeßberger, StGB, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rn. 390; Kreicker, JR 2015, 298 mwN; s. ferner BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 - 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 85, 91; BGH, Urteil vom 26. September 1978 - VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101, 1102). Diese allgemeine Funktionsträgerimmunität erfährt indes bei bestimmten Delikten völkergewohnheitsrechtlich verankerte Ausnahmen. Dazu zählen nicht nur völkerrechtliche Verbrechen, also Taten, deren Strafbarkeit unmittelbar im Völkergewohnheitsrecht verwurzelt ist (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom 20. März 2024 - 3 StR 454/22, juris Rn. 32; vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, NJW 2024, 1674 Rn. 53 mwN; Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 13 ff. [zu Kriegsverbrechen]). Auch bei fremdstaatlicher Spionage gilt die allgemeine Funktionsträgerimmunität nicht; insofern anerkennt das Völkerrecht das legitime Interesse des betroffenen Staates, solchen Souveränitätsverletzungen mit dem Mittel des Strafrechts zu begegnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 321; BGH, Urteile vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 47; vom 30. Juli 1993 - 3 StR 347/92, BGHSt 39, 260, 263; Beschluss vom 29. Mai 1991 - 3 StE 4/91, NJW 1991, 2498, 2499; MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., § 5 Rn. 18; NK-StGB/Böse, 6. Aufl., Vor §§ 3-7 Rn. 35; SK-StPO/Frister, 6. Aufl., Vor §§ 18-21 GVG Rn. 20; LK/Werle/Jeßberger, StGB, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rn. 412, § 5 Rn. 85; Berg, ZaöRV 42 [1982], 295, 317; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576, 580; Kreicker, JR 2015, 298, 299; Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen I, 2007, S. 243 ff.). Das gleiche gilt für geheimdienstlich gesteuerte Gewaltakte auf fremdem Staatsgebiet; bei solchen Taten - etwa der (beabsichtigten) Tötung oder Entführung von Regimegegnern im Ausland - stellt die allgemeine Funktionsträgerimmunität gleichfalls kein völkerrechtlich begründetes Strafverfolgungshindernis dar (so implizit BGH, Beschluss vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, BGHSt 64, 170; Urteile vom 24. Juni 2004 - 5 StR 306/03, NJW 2004, 3051; vom 19. Oktober 1962 - 9 StE 4/62, BGHSt 18, 87; vgl. zudem MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., Vor § 3 Rn. 140; NK-StGB/Böse, 6. Aufl., Vor §§ 3-7 Rn. 35; SK-StPO/Frister, 6. Aufl., Vor §§ 18-21 GVG Rn. 20; LK/Werle/Jeßberger, StGB, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rn. 412; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576, 580 f.; Kreicker, JR 2015, 298, 299; Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen I, 2007, S. 254 ff.).
Der am 3. August 2024 in Kraft getretene § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG (BGBl. 2024 I Nr. 255) steht dem nicht entgegen. Die Neuregelung ist nicht dahin zu verstehen, dass der deutsche Gesetzgeber - abweichend vom Völkergewohnheitsrecht und entgegen der einhelligen Rechtspraxis - die dort postulierte Unbeachtlichkeit „funktioneller Immunität“ auf Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch beschränkt wissen will. Vielmehr zeigt der ausdrückliche Verweis der Gesetzesmaterialien auf jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, NJW 2024, 1674 Rn. 53) und die Begründung für die Neuregelung, sie diene der „Festschreibung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“ (vgl. BT-Drucks. 20/11661, S. 19), dass es dem Gesetzgeber allein darum ging, die völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Nichtgeltung der allgemeinen Funktionsträgerimmunität bei völkerrechtlichen Verbrechen deklaratorisch festzuschreiben, ohne weitere Ausnahmen bei anderen Deliktsgruppen zu negieren oder sich zu anderen völkerrechtlichen Exemtionen als der allgemeinen Funktionsträgerimmunität zu verhalten.
b) Die Aktivitäten, an denen der Beschuldigte hochwahrscheinlich mitwirkte und von denen im Sinne eines dringenden Tatverdachts auszugehen ist, unterfallen dem Straftatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
aa) Eine geheimdienstliche Tätigkeit für den Geheimdienst einer fremden Macht übt aus, wer eine aktive Mitarbeit für einen fremden Nachrichtendienst entfaltet und dadurch seine Bereitschaft verwirklicht, sich funktionell in dessen Ausforschungsbestrebungen einzugliedern, ohne dass damit notwendigerweise eine Eingliederung in den organisatorischen Apparat des Geheimdienstes verbunden sein muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. März 2022 - AK 9/22, NStZ 2022, 737 Rn. 22; vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 16; Urteil vom 5. Juli 1972 - 3 StR 4/71, BGHSt 24, 369, 372; MüKoStGB/Hegmann/Stuppi, 4. Aufl., § 99 Rn. 7 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier angesichts des hochwahrscheinlichen Agierens des Beschuldigten erfüllt; es handelte sich bei den verdeckten Observationsmaßnahmen auch um „geheimdienstliches“ Verhalten, also um ein Handeln, das dem Bild entspricht, welches für die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen, die für nachrichtendienstliche Zwecke eingesetzt werden, typisch ist (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschlüsse vom 31. März 2022 - AK 9/22, NStZ 2022, 737 Rn. 22; vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 16; Urteil vom 5. Juli 1972 - 3 StR 4/71, BGHSt 24, 369, 372; LK/Barthe/Schmidt, StGB, 13. Aufl., § 99 Rn. 4 mwN).
bb) Die Agententätigkeit war im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet. Denn der Tatbestand erfasst nicht nur die Informationsübermittlung im engen Sinne, sondern schließt alle Vorbereitungshandlungen ein, darunter die Beschaffung von Informationen und hierfür erbrachte Hilfsdienste. Zudem kommt es nicht darauf an, zu welchem Zweck die erstrebten Erkenntnisse von dem fremden Nachrichtendienst verwendet werden sollen. Der Endzweck der Tathandlungen muss nicht die Informationsvermittlung - etwa durch Lagebeurteilungen - sein; er kann vielmehr auch - wie mutmaßlich hier - in der Vorbereitung nachrichtendienstlicher Operationen - etwa staatsterroristischer Anschläge, von Sabotageakten oder anderen verbrecherischen Vorhaben - liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 17; MüKoStGB/Hegmann/Stuppi, 4. Aufl., § 99 Rn. 17 mwN).
cc) Die Tathandlungen waren zudem gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Das Tatbestandsmerkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ ist nicht eng im Sinne eines unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen ihre staatlichen Institutionen gerichteten Handelns zu verstehen; vielmehr genügt eine Tätigkeit gegen die Interessen Deutschlands. Es reicht aus, wenn staatliche Belange zumindest mittelbar berührt sind und die Bundesrepublik Deutschland in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen ist (BGH, Beschlüsse vom 31. März 2022 - AK 9/22, NStZ 2022, 737 Rn. 24; vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 19; vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158 Rn. 5; vom 22. September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325, 331). Das ist bei einer geheimdienstlichen Tätigkeit eines ausländischen Geheimdienstes auf deutschem Staatsgebiet regelmäßig der Fall (BGH, Beschlüsse vom 31. März 2022 - AK 9/22, NStZ 2022, 737 Rn. 24; vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 19; vom 4. April 2019 - StB 54-55/18, NStZ-RR 2019, 177, 179).
Werden ausländische Staatsangehörige auf deutschem Boden Opfer von Maßnahmen eines fremden Nachrichtendienstes, ist jedoch zu beachten, dass das Tatbestandsmerkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ nicht schon dadurch erfüllt wird, dass die geheimdienstliche Aktivität auf deutschem Staatsgebiet vorgenommen wird, sondern grundsätzlich eine Spionagetätigkeit erfordert, die einen inhaltlichen Antagonismus zu den Interessen der Bundesrepublik Deutschland aufweist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 21; vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158 Rn. 7). Ein solcher ist regelmäßig allerdings auch bei Spionagetätigkeiten gegen rechtmäßig in der Bundesrepublik lebende sowie unter ihrem rechtlichen Schutz stehende Ausländer gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158 Rn. 5; LK/Barthe/Schmidt, StGB, 13. Aufl., § 99 Rn. 9 mwN) und liegt auch hier vor. Denn die Zielperson wohnt in Deutschland aufenthaltsberechtigt mit ihrer Familie und befindet sich hier wegen erlittener Kriegsverletzungen in medizinischer Behandlung. Die nachrichtendienstliche Operation, die letztlich darauf abzielte, ihr von fremdstaatlichen Interventionen unbeeinträchtigtes Leben im Schutz der Rechtsordnung Deutschlands zu gefährden, war gegen die Interessen der Bundesrepublik gerichtet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ukrainischen Kriegsflüchtlingen Schutz zu gewähren. Dem steht nicht entgegen, dass der Zielperson von russischen Medien vorgeworfen wurde, Kriegsverbrechen gegen russische Soldaten in der Ukraine begangen zu haben, und die Ausforschungsbemühungen möglicherweise darauf gerichtet waren, sie hierfür zur Verantwortung zu ziehen. Denn selbst wenn ein Tatverdacht einer Völkerstraftat bestehen sollte, widerstritte ein hiermit in Zusammenhang stehendes geheimdienstliches Vorgehen einer fremden Macht gegen die Zielperson dem Interesse der Bundesrepublik, dass Maßnahmen zur Aufklärung und gegebenenfalls Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen auf deutschem Boden allein im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens ergriffen werden.
dd) Der Beschuldigte handelte hochwahrscheinlich als Mittäter und nicht lediglich als Gehilfe. Täter einer Straftat nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jedermann, der sich in die Ausforschungsbestrebungen des fremden Nachrichtendienstes integriert, sich mit seiner aktiven Tätigkeit also bewusst in dessen Dienst stellt, ohne dass damit eine Eingliederung in dessen Organisationsstruktur verbunden sein muss. Auch die Tätigkeit, mit der eine Informationsbeschaffung durch andere nur unterstützt wird, begründet Täterschaft und nicht lediglich Beihilfe (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. August 2019 - 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 22; vom 2. Dezember 1985 - 3 StR 424/85, NStZ 1986, 165, 166; Urteil vom 5. Juli 1972 - 3 StR 4/71, BGHSt 24, 369, 377 f.; MüKoStGB/Hegmann/Stuppi, 4. Aufl., § 99 Rn. 30 mwN).
4. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts für die Strafverfolgung und damit die des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des angefochtenen Haftbefehls folgt aus § 142a Abs. 1 i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 3 GVG.
5. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist gesamtwürdigend wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.
Denn der Beschuldigte hat mit einer längeren, nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Insofern gilt, dass die Annahme von Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen erfordert; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. September 2022 - AK 27/22, juris Rn. 36; vom 5. Oktober 2018 - StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37).
Zwar verfügt der Beschuldigte über einen festen Wohnsitz in Deutschland, an dem er gemeinsam mit seiner Ehefrau und zwei Kindern lebt. Jedoch reiste er in der Vergangenheit mehrfach im Jahr nach Russland und weiter nach Armenien und Georgien, wo er eigenen Angaben zufolge ein Haus besitzt und sozial verankert ist. Zudem geht er in Deutschland keiner Erwerbstätigkeit nach und angesichts des dringenden Tatverdachts einer Tätigkeit für einen fremden Staat ist die Annahme gerechtfertigt, dass dieser ihn im Falle einer Freilassung dabei unterstützen würde, dorthin auszureisen und sich dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Von der Verteidigung geltend gemachte gesundheitliche Beeinträchtigungen des Beschuldigten stehen der Annahme von Fluchtgefahr nicht entgegen, zumal sie den Beschuldigten auch in der Vergangenheit nicht davon abgehalten haben, regelmäßig und zum Teil für mehrere Wochen nach Armenien und Georgien zu reisen.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.
6. Die Untersuchungshaft ist angesichts der Straferwartung, der bisherigen - kurzen - Haftdauer sowie der aus den Verfahrensakten ersichtlichen stringenten und dem Beschleunigungsgrundsatz genügenden Ermittlungen verhältnismäßig (§ 120 StPO). Entgegen dem Vorbringen des Verteidigers ist kein der weiteren Untersuchungshaft entgegenstehender Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen darin zu erblicken, dass ein von der Verteidigung zur Frage der Kenntnis des Beschuldigten von dem GPS-Sender in seinem Fahrzeug benannter Zeuge bislang nicht vernommen worden ist. Denn die unter Beweis gestellte Bekundung des Zeugen, der Beschuldigte habe ihm im Frühjahr 2024 mitgeteilt, erst damals von dem Gerät Kenntnis erlangt zu haben, stellt sein Wissen um den Sender zur Tatzeit nicht in Frage. Den dringenden Tatverdacht vermag die Zeugenaussage, selbst wenn sie als zutreffend zu bewerten wäre, bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Beweisergebnisse nicht in Frage zu stellen. Insofern wird ergänzend auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 12. August 2024 Bezug genommen.
Sachverhalt
Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, im Auftrag eines fremden Geheimdienstes eine geheimdienstliche Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) ausgeübt zu haben. Konkret soll er an der Ausforschung eines ehemaligen ukrainischen Offiziers beteiligt gewesen sein, der seit Sommer 2023 in Deutschland lebt. Ziel der Spionagetätigkeit war es offenbar, weitere geheimdienstliche Operationen vorzubereiten, die möglicherweise bis hin zu einer Entführung oder Tötung des ukrainischen Offiziers auf deutschem Staatsgebiet reichten. Die Ermittlungsbehörden nahmen den Beschuldigten und zwei Mitbeschuldigte fest, nachdem sie von der Zielperson gewarnt worden waren.
Der Beschuldigte legte Haftbeschwerde ein und machte geltend, dass er als Funktionsträger eines fremden Staates Immunität genieße und deshalb nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliege. Dabei berief er sich insbesondere auf § 20 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), der Immunität für ausländische Funktionsträger bei hoheitlichem Handeln grundsätzlich vorsieht.
Rechtliche Würdigung
Der BGH stellte klar, dass die allgemeine Funktionsträgerimmunität grundsätzlich für hoheitliche Tätigkeiten fremder Staaten gilt. Diese Immunität schützt Staatsvertreter vor der Strafverfolgung in anderen Staaten, wenn sie in Ausübung ihrer offiziellen Funktionen gehandelt haben. Der BGH machte jedoch deutlich, dass es völkerrechtlich anerkannte Ausnahmen von dieser Immunität gibt, die insbesondere bei Spionage greifen.
Spionage stellt eine schwerwiegende Verletzung der staatlichen Souveränität dar, weshalb Staaten ein legitimes Interesse daran haben, solche Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen. Der BGH bekräftigte, dass Spionagetätigkeiten von der allgemeinen Funktionsträgerimmunität ausgenommen sind, da es dem betroffenen Staat – in diesem Fall Deutschland – gestattet ist, gegen solche Delikte strafrechtlich vorzugehen.
Bezug zu § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG
Eine wesentliche Fragestellung in diesem Fall war, ob die kürzlich eingeführte Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG, die eine Ausnahme von der Immunität nur für Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) vorsieht, auch auf Spionage anwendbar ist. Der BGH entschied, dass die Neuregelung des GVG die bestehenden völkerrechtlichen Grundsätze zur Immunität nicht verändert. Der Gesetzgeber habe die Ausnahme in § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG lediglich deklaratorisch festgehalten und keine Beschränkung der Immunitätsausnahme auf Völkerrechtsverbrechen beabsichtigt. Somit stehe diese Norm der Strafverfolgung bei Spionagedelikten nicht entgegen.
Bedeutung der Entscheidung
Der Beschluss des BGH ist von hoher praktischer Relevanz, da er die Reichweite der Funktionsträgerimmunität im deutschen Strafrecht präzisiert. Er bestätigt, dass Spionage und ähnliche geheimdienstliche Aktivitäten, die gegen die Interessen Deutschlands gerichtet sind, von der Immunität ausgenommen sind. Dies gilt auch dann, wenn der Beschuldigte im Auftrag eines fremden Staates gehandelt hat. Die Entscheidung stellt sicher, dass die Strafverfolgung von Personen, die für ausländische Geheimdienste auf deutschem Boden operieren, nicht durch Immunitätsregeln blockiert wird.
Insgesamt ist dieser Beschluss ein wichtiger Beitrag zur Rechtsprechung über die Abgrenzung der Staatenimmunität und ihre Ausnahmen. Besonders in Zeiten zunehmender globaler Spannungen und Spionagevorfälle unterstreicht er, dass Deutschland seine Souveränität durch strafrechtliche Maßnahmen schützen kann.
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