Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2024 - StB 54/24
Sachverhalt
Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, im Auftrag eines fremden Geheimdienstes eine geheimdienstliche Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) ausgeübt zu haben. Konkret soll er an der Ausforschung eines ehemaligen ukrainischen Offiziers beteiligt gewesen sein, der seit Sommer 2023 in Deutschland lebt. Ziel der Spionagetätigkeit war es offenbar, weitere geheimdienstliche Operationen vorzubereiten, die möglicherweise bis hin zu einer Entführung oder Tötung des ukrainischen Offiziers auf deutschem Staatsgebiet reichten. Die Ermittlungsbehörden nahmen den Beschuldigten und zwei Mitbeschuldigte fest, nachdem sie von der Zielperson gewarnt worden waren.
Der Beschuldigte legte Haftbeschwerde ein und machte geltend, dass er als Funktionsträger eines fremden Staates Immunität genieße und deshalb nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliege. Dabei berief er sich insbesondere auf § 20 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), der Immunität für ausländische Funktionsträger bei hoheitlichem Handeln grundsätzlich vorsieht.
Rechtliche Würdigung
Der BGH stellte klar, dass die allgemeine Funktionsträgerimmunität grundsätzlich für hoheitliche Tätigkeiten fremder Staaten gilt. Diese Immunität schützt Staatsvertreter vor der Strafverfolgung in anderen Staaten, wenn sie in Ausübung ihrer offiziellen Funktionen gehandelt haben. Der BGH machte jedoch deutlich, dass es völkerrechtlich anerkannte Ausnahmen von dieser Immunität gibt, die insbesondere bei Spionage greifen.
Spionage stellt eine schwerwiegende Verletzung der staatlichen Souveränität dar, weshalb Staaten ein legitimes Interesse daran haben, solche Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen. Der BGH bekräftigte, dass Spionagetätigkeiten von der allgemeinen Funktionsträgerimmunität ausgenommen sind, da es dem betroffenen Staat – in diesem Fall Deutschland – gestattet ist, gegen solche Delikte strafrechtlich vorzugehen.
Bezug zu § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG
Eine wesentliche Fragestellung in diesem Fall war, ob die kürzlich eingeführte Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG, die eine Ausnahme von der Immunität nur für Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) vorsieht, auch auf Spionage anwendbar ist. Der BGH entschied, dass die Neuregelung des GVG die bestehenden völkerrechtlichen Grundsätze zur Immunität nicht verändert. Der Gesetzgeber habe die Ausnahme in § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG lediglich deklaratorisch festgehalten und keine Beschränkung der Immunitätsausnahme auf Völkerrechtsverbrechen beabsichtigt. Somit stehe diese Norm der Strafverfolgung bei Spionagedelikten nicht entgegen.
Bedeutung der Entscheidung
Der Beschluss des BGH ist von hoher praktischer Relevanz, da er die Reichweite der Funktionsträgerimmunität im deutschen Strafrecht präzisiert. Er bestätigt, dass Spionage und ähnliche geheimdienstliche Aktivitäten, die gegen die Interessen Deutschlands gerichtet sind, von der Immunität ausgenommen sind. Dies gilt auch dann, wenn der Beschuldigte im Auftrag eines fremden Staates gehandelt hat. Die Entscheidung stellt sicher, dass die Strafverfolgung von Personen, die für ausländische Geheimdienste auf deutschem Boden operieren, nicht durch Immunitätsregeln blockiert wird.
Insgesamt ist dieser Beschluss ein wichtiger Beitrag zur Rechtsprechung über die Abgrenzung der Staatenimmunität und ihre Ausnahmen. Besonders in Zeiten zunehmender globaler Spannungen und Spionagevorfälle unterstreicht er, dass Deutschland seine Souveränität durch strafrechtliche Maßnahmen schützen kann.
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