Strafrecht – BGH bestätigt Mordurteil im Hamburger Raser-Fall
Dieses Urteil des für Verkehrsstrafsachen zuständigen 4.Strafsenats zeigt wieder einmal, dass – in krass gelagerten Fällen - bei gefahrträchtigen Verhalten im Straßenverkehr Eventualvorsatz vorliegen kann und somit ein Mordurteil ausgesprochen werden kann. Die Rechtsfolge ist sodann eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Dieser Fall zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Die Motivation des Täters. Er war (mit einem zuvor gestohlenen Taxi) auf der Flucht vor der Polizei. Eine Fahrerlaubnis besaß er nicht. Die Chance auf ein Entkommen war ihm wichtiger als das sichere Überleben. Infolge einer Kollision kamen zwei Menschen ums Leben.
Die Feststellungen des Landgerichtes
Das Landgericht Hamburg (621 Ks 12/17) verurteilte am 19. Februar 2018 den zur Tathandlung 24-jährigen Angeklagten u. a. wegen Diebstahls sowie wegen Mordes in Tateinheit mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe.
Es stellte sich heraus, dass der alkoholisierte Angeklagte am frühen Morgen des 4. Mai 2017 mit einem zuvor gestohlenen Taxis absichtlich im Übergangsbereich der Straße An der Alster in die Straße Ferdinandstor auf die Gegenfahrbahn der mehrspurigen - durch Verkehrsinseln getrennten- innerstädtischen Straße mit möglichst hoher Geschwindigkeit fuhr. Er war auf der Flucht vor der Polizei.
Die Strecke der leicht kurvig verlaufenden Fahrbahn legte er mit einer Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h zurück. In der Folge kollidierte er mit dem Kantstein der Fahrbahn sowie mit einer Verkehrsinsel und verlor die Kontrolle über das Fahrzeug. Sodann stieß er nach Überquerung einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von circa 130 km/h frontal mit einem ihm ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammen. Einer der Insassen des Taxis verstarb noch an der Unfallstelle, zwei weitere Personen wurden schwer verletzt.
Dabei war ihm bewusst, dass er mit hoher – von ihm nicht beherrschbaren - und nur von Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde. Er war sich darüber hinaus auch dessen bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde. All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angeklagten gebilligt, weil er kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen verfolgte.
Das Landgericht begründete den Tötungsvorsatz mit Blick auf die während der Flucht des Angeklagten immer weiter gesteigerten Gefahren. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Überwechselns auf die Gegenfahrbahn war ihm das Leben anderer sowie auch sein eigenes Leben gleichgültig
Vorsatzkritisches Element – Die Eigengefährdung des Täters
Die Feststellung, ob der Angeklagte vorsätzlich oder nur fahrlässig gehandelt hat, hat das Tatgericht anhand der Berücksichtigung aller relevanter Umstände zu treffen.
Nicht wenige sehen den Umstand, dass der Täter (nur) fahrlässig gehandelt hat, darin, dass sich ein „normaler“, d.h. nicht-suizidaler Täter nicht zugleich selbst erheblich gefährden wollte, er also schon aus eigennützigem Interesse darauf vertraue, dass seine Fahrt kollisionsfrei ende.
Schließlich könne der Raser auch nicht darauf vertrauen, dass er und sein Auto unfallfrei bleiben, während er den Tod unbeteiligter Dritter billige. Denn die beiden Folgen sind unabdingbar miteinander verknüpft. Nimmt man in einer solchen Situation einen Tötungsvorsatz an, so deuten viele Stimmen in der Literatur darauf hin, dass man ihm sodann eine "Kamikaze-Einstellung" unterstellen würde.
So stand auch das Landgericht Hamburg vor der Frage, ob die Vorstellung eines zu eigenen schwerwiegenden Verletzungen bis hin zum eigenen Tod führenden erheblichen Verkehrsunfalls dem bedingten Vorsatz entgegensteht:
In der Ausgangslage stellte es fest, dass die Anforderungen an die Feststellungen der Billigung des eigenen Todes (so wie auch des Todes von anderen Personen) außerordentlich hoch sind. Im Regelfall stehe dem ein natürlicher Selberhaltungstrieb entgegen. Dennoch könne ein solcher Selbsterhaltungstrieb durch eine gewisse Motivation durchbrochen werden. Einen solche Motivation müsse dadurch gekennzeichnet sein, dass sie „von außerordentlichen Gründen gespeist und von außerordentlicher Kraft angetrieben werden“ sei.
Schlussendlich hat die Kammer kein genaues Motiv benennen können. Vielmehr wies sie darauf hin, dass der Angeklagte bei dem Tatgeschehen nach einem „Alles oder Nichts“ Prinzip vorging. Primär ging es ihm darum, sich der polizeilichen Festnahme entziehen zu können, auch um den Preis seines eigenen Lebens, unabhängig davon „ob ihm sein Leben aufgrund seiner äußerst widrigen Lebensumstände nicht viel bedeutete oder er sich vor dem Hintergrund sogar mit suizidalen Gedanken trug, ob die gegenüber der drohenden Inhaftierung bestehenden Ängste überwogen oder ob er schlicht unter keinen Umständen die Niederlage im „Verfolungswettstreit“ ertragen konnte“.
Dass die Kammer in seinen Urteilsgründen kein genaues Handlungsmotiv benannt habe, stehe der Annahme des dolus eventualis außerdem nicht entgegen. Schließlich könne aus gewissen Beweisanzeichen gefolgert werden, dass Todesfolgen gebilligt worden sind. Daraus können hinreichend starke Motive begründet werden.
Die Ermangelung an einem klar benannten Handlungsmotiv wirke sich dahingehend als Gegenindiz des Beweisanzeichen aus, dass in die Gesamtbetrachtung mit einfließe. Dieser Umstand führe dennoch nicht dazu, die Billigung der Selbsttötung anzweifeln zu können. Die Indizien sprechen vielmehr für eine Annahme bedingten Tötungsvorsatzes: Dazu gehört insbesondere das objektive hochgradig risikoreiche Täterverhalten sowie das Fehlen von Vorsichts-oder Vermeidemaßnahmen kurz vor der Kollision.
Revision des Angeklagten wird als unbegründet zurück verwiesen
Der BGH (4 StR 345/18) bestätigte am 16. Januar 2019 die Ausführung des Landgerichtes Hamburg im Wesentlichen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten verwarf er als unbegründet zurück.
Bezüglich der Eigengefährdung deutet er vielmehr darauf hin, dass die Möglichkeit bestünde, dass der Angeklagte aus einem Motivbündel heraus agierte.
Haben Sie Fragen zum Thema Strafrecht? Nehmen Sie Kontakt zu Dirk Streifler auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
[E.K.]
Der BGH (4StR 345/18) hat am 16.1 2019 folgendes beschlossen:
Zum Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes bei Fluchtfahrt mit hoher Geschwindigkeit auf vielbefahrenen Straßen einer Großstadt. (Ls d. Schriftltg.)
Zum Sachverhalt:
Das LG hat den Angekl. u. a. wegen Mordes verurteilt. Gegenstand des Verfahrens war eine Verfolgungsfahrt in der Innenstadt von Hamburg. Der Angekl. versuchte, sich dem Zugriff der Polizei durch Wegfahren mit hoher Geschwindigkeit zu entziehen. Dabei kam es zu einem tödlichen Verkehrsunfall. Die Revision des Angekl. hat keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Das LG hat den bedingten Tötungsvorsatz des Angekl. rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt. Nach den Feststellungen war dem Angekl., als er absichtlich im Übergangsbereich der Straße An der Als- ter in die Straße Ferdinandstor auf die Gegenfahrbahn der mehrspurigen nunmehr durch Verkehrs- inseln getrennten innerstädtischen Straßen mit möglichst hoher Geschwindigkeit fuhr, bewusst, „dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.“ Ihm war auch „bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen wür- de.“ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angekl. gebilligt, weil er „kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen“, verfolgte. Der Zurechnung des eingetretenen Todeserfolges zu dem vom Vorsatz des Angekl. umfassten Kausalverlauf steht daher nicht entgegen, dass der Angekl. nicht unmittelbar mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, sondern infolge der Kollisio- nen mit dem Kantstein am rechten Fahrbahnrand und einer der Verkehrsinseln die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und nach Überqueren des Glockengießerwalls auf der gegenüberliegenden Sei- te, am Einmündungsbereich des Ballindamms, mit einer Geschwindigkeit von „ca. 130 bis 143 km/h“ ungebremst frontal mit dem ihm entgegenkommenden Taxi des Geschädigten Y kollidierte.
Entgegen der Auffassung des GBA in seiner Antragsschrift steht der vom LG rechtsfehlerfrei festgestellten Verdeckungsabsicht nicht entgegen, dass das SchwurGer „tatsachenalternativ“ ein Handeln des Angekl. in suizidaler Absicht festgestellt hätte. Das SchwurGer hat vielmehr „nicht klären“ können, ob „auch suizidale Gedanken mit motivgebend waren“; „im Ergebnis“ – so das LG weiter – „war ihm die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“; dies stellt das Mord- merkmal der Verdeckungsabsicht nicht in Frage (vgl. Fischer StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 68 b). Daher kann der Senat offenlassen, ob auch die Voraussetzungen des vom LG weiterhin angenomme-nen Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mittel
Gesetze
Gesetze
Anwälte der Kanzlei die zu passenden Rechtsgebieten beraten
Artikel zu passenden Rechtsgebieten
BUNDESGERICHTSHOF
Ergänzend bemerkt der Senat zu der Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes:
Das Landgericht hat den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt. Nach den Feststellungen war dem Angeklagten, als er absichtlich im Übergangsbereich der Straße An der Alster in die Straße Ferdinandstor auf die Gegenfahrbahn der mehrspurigen nunmehr durch Verkehrsinseln getrennten innerstädtischen Straßen mit möglichst hoher Geschwindigkeit fuhr, be- wusst, „dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.“ Ihm war auch „bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.“ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angeklagten gebilligt, weil er „kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen“, verfolgte. Der Zurechnung des eingetretenen Todeserfolges zu dem vom Vorsatz des Angeklagten umfassten Kausalverlauf steht daher nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, sondern infolge der Kollisionen mit dem Kantstein am rechten Fahrbahnrand und einer der Verkehrsinseln die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und nach Überqueren des Glockengießerwalls auf der gegenüberliegenden Seite, am Einmündungsbereich des Ballindamms, mit einer Geschwindigkeit von „ca. 130 bis 143 km/h“ ungebremst frontal mit dem ihm entgegenkommenden Taxi des Geschädigten Y. kollidierte.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift steht der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verdeckungsabsicht nicht entgegen, dass das Schwurgericht „tatsachenalternativ“ ein Handeln des Angeklag- ten in suizidaler Absicht festgestellt hätte. Das Schwurgericht hat vielmehr „nicht klä- ren“ können, ob „auch suizidale Gedanken mit motivgebend waren“; „im Ergebnis“ – so das Landgericht weiter – „war ihm die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“; dies stellt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht in
Frage (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 68b). Daher kann der Senat offenlassen , ob auch die Voraussetzungen des vom Landgericht weiterhin angenommenen Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln erfüllt sind.
Sost-Scheible Cierniak Bender
Quentin Bartel