Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13

bei uns veröffentlicht am10.11.2015

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen die neugefasste Streupflichtsatzung der Antragsgegnerin vom 17.04.2013, soweit diese bestimmt, dass bei einseitigen Gehwegen nur diejenigen Straßenanlieger reinigungs-, räum- und streupflichtig sind, auf deren Seite der Gehweg verläuft.
Der Antragsteller ist Eigentümer und Bewohner des Anwesens B.straße 5 in der Schwarzwaldgemeinde Simonswald. Ein Gehweg verläuft lediglich auf der seinem Anwesen zugewandten Straßenseite.
Mit Schreiben vom 22.02.2009 wandte er sich an die Antragsgegnerin und äußerte sein Unverständnis darüber, dass die Anlieger auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die den Gehweg ebenfalls benutzten, offenbar nicht räum- und streupflichtig seien.
Die Antragsgegnerin klärte ihn darüber auf, dass nach der geltenden Streupflichtsatzung vom 14.01.1988 auch die Gegenüberlieger räum- und streupflichtig seien. Er solle sich mit diesen ins Benehmen setzen.
Mit Schreiben vom 01.03.2009 machte der Antragsteller geltend, dass sich sein Gegenüberlieger weigere, seinen Pflichten nach der Satzung nachzukommen. Insofern sei es nun an der Antragsgegnerin, ihn daran zu erinnern.
Die Antragsgegnerin sagte zu, im kommenden Herbst in ihrem Mitteilungsblatt noch einmal auf die durch die Streupflichtsatzung begründeten Verpflichtungen - insbesondere in der B.straße - hinzuweisen.
Da sich der Gegenüberlieger auch nach neuerlichen Hinweisen im amtlichen Mitteilungsblatt weigerte, seiner Räum- und Streupflicht nachzukommen, wies ihn die Antragsgegnerin am 17.12.2010 telefonisch auf die gemeinsame Verpflichtung aus der Streupflichtsatzung hin.
Nachdem der Antragsteller im Oktober 2012 moniert hatte, dass der Eigentümer des Anwesens B.straße 8 seinen Verpflichtungen weiterhin nicht nachkomme, stellte ihm die Antragsgegnerin unter dem 24.10.2012 anheim, mit seinem Nachbarn einen wöchentlichen Wechsel zu vereinbaren.
Der Antragsteller kündigte rechtliche Schritte an, sollte die Antragsgegnerin nicht gegen seinen Nachbarn einschreiten. Es gehe um das Haftungsrisiko.
10 
Nachdem der Antragsteller erneut die Untätigkeit des Gegenüberliegers gerügt hatte, teilte ihm die Antragsgegnerin mit, dass sie in ihrem Mitteilungsblatt nochmals auf die gemeinsame Verpflichtung hingewiesen habe. Sie empfahl dringend eine einvernehmliche Regelung.
11 
Mit Anwaltsschreiben vom 10.12.2012 wies der Antragsteller darauf hin, dass es sich bei der Räum- und Streupflicht um eine hoheitlich auferlegte Verpflichtung handle, die erforderlichenfalls mit ordnungsrechtlichen Mitteln durchzusetzen sei.
12 
Die Antragsgegnerin bestätigte unter dem 14.12.2012 die sich aus § 2 Abs. 2 ihrer Satzung ergebende gemeinsame Verpflichtung und bot sich „kulanterweise“ an, einen Plan zur einvernehmlichen Regelung aufzustellen.
13 
Der Antragsteller schlug vor, dass er in den ungeraden, sein Gegenüberlieger in den geraden Wochen die Räum- und Streupflicht übernehmen solle.
14 
Nachdem eine einvernehmliche Einigung nicht zustande kam, unterzog die Antragsgegnerin ihre Satzung einer Prüfung. Dabei stellte sie fest, dass die Mustersatzung des Gemeindetages von 2006 bei einseitigen Gehwegen eine Verpflichtung nur für die Anlieger empfiehlt, auf deren Seite der Gehweg verläuft. Eine Umfrage des Gemeindetages ergab, dass die allermeisten Gemeinden eine entsprechende Regelung in ihre Satzung aufgenommen hatten.
15 
Mit Schreiben vom 13.02.2013 teilte sie dem Antragsteller mit, dass sie ihre Streupflichtsatzung demnächst überarbeiten und neu fassen werde.
16 
Mit Verfügung vom 20.02.2013 verpflichtete sie den Eigentümer des Anwesens B.straße 8, bis zum Erlass einer neuen Satzung, längstens bis zum 31.05.2013, der Räum- und Streupflicht alleine nachzukommen.
17 
Der Antragsteller trat mit Anwaltsschreiben vom 16.03.2013 der Absicht der Antragsgegnerin entgegen, die Streupflichtsatzung dahin zu ändern, dass bei einseitigen Gehwegen nur noch die Straßenanlieger verpflichtet sein sollten, auf deren Seite der Gehweg verlaufe. Diese einseitige Belastung sei nicht sachgerecht, sondern willkürlich und verletze den Gleichheitsgrundsatz.
18 
Am 17.04.2013 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin, die Streupflichtsatzung neu zu fassen, indem diese an die Mustersatzung des Gemeindetages „angepasst und auf den neuesten Stand gebracht“ wurde. Dabei wurde als „eindeutige bzw. klare Regelung“ die entsprechende Regelung aus der Mustersatzung übernommen, dass bei einseitigen Gehwegen nur diejenigen Straßenanlieger verpflichtet sind, auf deren Seite der Gehweg verläuft (§ 2 Abs. 3 Streupflichtsatzung). Die neue Streupflichtsatzung wurde am 03.05.2013 im amtlichen Mitteilungsblatt der Antragsgegnerin bekannt gemacht. Sie trat am 01.06.2013 in Kraft.
19 
Nachdem er die Antragsgegnerin vergebens um eine Satzungsänderung gebeten und das Landratsamt Emmendingen erfolglos um ein aufsichtsbehördliches Einschreiten ersucht hatte, hat der Antragsteller am 17.12.2013 das vorliegende Normenkontrollverfahren eingeleitet. Durch die angegriffene Satzungsbestimmung werde er in seinen Rechten verletzt, da diese gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Allein deshalb, weil sein Gegenüberlieger der Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen sei, was die Antragsgegnerin ordnungsrechtlich hätte durchsetzen müssen, habe sie sich nunmehr des Problems durch eine Neuregelung entledigt. Da der einseitige Gehweg auch von den Anliegern der anderen Straßenseite genutzt werde, mithin auch diese einen Erschließungsvorteil hätten, werde er durch die Satzungsbestimmung unverhältnismäßig belastet. Die Satzungsänderung ziele letztlich als Einzelmaßnahme darauf ab, sich des Problems einer Umsetzung der bisherigen Satzungsregelung zu entledigen und ihn „ruhig zu stellen“. Damit werde die bisherige rechtswidrige Praxis bestätigt. Insofern beruhe die Satzungsänderung auf sachfremden Erwägungen, womit gegen das Willkürverbot verstoßen werde.
20 
Der Antragsteller beantragt,
21 
§ 2 Abs. 3 der Streupflichtsatzung der Gemeinde Simonswald vom
22 
17. April 2013 für unwirksam zu erklären.
23 
Die Antragsgegnerin beantragt,
24 
den Antrag abzuweisen.
25 
Anlass für die Neufassung der Satzung sei die durch die bisherigen Bestimmungen entstandene Rechtsunsicherheit gewesen. Genaue Regelungen zur Durchführung der gemeinsamen Verpflichtung hätten gefehlt. Bei Unstimmigkeiten über deren Organisation und fehlender Absprache, sei nicht geklärt gewesen, wer wann räum- und streupflichtig gewesen sei. Durch die beschlossene Neuregelung sei nunmehr klar und für jedermann verständlich festgelegt, dass der Straßenanlieger, auf dessen Seite der Gehweg verlaufe, allein verpflichtet sei. Auch habe der große Verwaltungsaufwand für eine ständige Kontrolle vermieden werden sollen. Bei den individuellen Absprachen sei kaum festzustellen gewesen, wer zu welchem Zeitpunkt verantwortlich gewesen sei. Die Neufassung entspreche auch der Mustersatzung des Gemeindetags. Aus dessen Erläuterungen gehe hervor, dass eine beidseitige Verpflichtung nicht immer zur Zufriedenheit der Gemeinden umzusetzen sei; so müssten die Straßenanlieger oft brieflich nachinformiert werden.
26 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten und die dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
27 
Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
28 
1. Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGO statthafte Antrag ist zulässig.
29 
Insbesondere ist der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. So macht er sinngemäß geltend, als Straßenanlieger dadurch unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG und seinem Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG beschränkt zu werden, dass die (Reinigungs-,) Räum- und Streupflicht bei einseitigen Gehwegen nurmehr allein den Straßenanliegern auferlegt wird, auf deren Seite der Gehweg verläuft.
30 
Auch die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt. So wurde die Streupflichtsatzung am 03.05.2013 bekannt gemacht. Der Normenkontrollantrag ist am 17.12.2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
31 
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die allein beanstandete Satzungsbestimmung des § 2 Abs. 3 der Streupflichtsatzung der Antragsgegnerin vom 17.04.2013 ist weder in formeller (a) noch in materieller Hinsicht (b) rechtswidrig.
32 
a) Dass die Satzung unter Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften der Gemeindeordnung zu Stande gekommen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Da dies nicht innerhalb eines Jahres geltend gemacht wurde, wäre die Verletzung solcher Vorschriften auch grundsätzlich unbeachtlich (vgl. § 4 Abs. 4 GemO).
33 
b) Die beanstandete Satzungsbestimmung leidet auch in materieller Hinsicht unter keinem zu ihrer Unwirksamkeit führenden Mangel. Insbesondere verstößt sie nicht gegen höherrangiges Recht.
34 
Ermächtigungsgrundlage für die in § 2 der Streupflichtsatzung vorgesehene Überwälzung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die Straßenanlieger - nicht Angrenzer - ist § 41 Abs. 2 Satz 1 StrG. Danach können die den Gemeinden nach § 41 Abs. 1 Satz 1 StrG obliegenden Pflichten - außer der Verpflichtung zur Beleuchtung - für Gehwege durch Satzung den Straßenanliegern ganz oder teilweise auferlegt werden. § 41 Abs. 2 Satz 3 StrG bestimmt nunmehr ausdrücklich, dass für den - auch hier gegebenen - Fall, dass nur auf einer Straßenseite ein Gehweg vorhanden ist, durch Satzung auch dem Anlieger der gegenüberliegenden Straßenseite teilweise die Verpflichtung nach Satz 1 auferlegt werden kann. Mit dieser zum 01.01.1988 in Kraft getretenen Änderung des Straßengesetzes sollte offenbar der Rechtsprechung Rechnung getragen werden (vgl. hierzu die Regierungsbegründung, LTDrs. 9/4134, S. 50).
35 
Damit ist es aber nach der gesetzlichen Regelung zulässig, die Verpflichtung nach Satz 1 bei einseitigen Gehwegen nur den Anliegern aufzuerlegen, auf deren Seite der Gehweg verläuft. Dies dürfte nach der gesetzlichen Systematik - entsprechend dem hergebrachten Grundsatz, dass „jeder vor seiner Tür kehrt“ - auch als der „Normalfall“ anzusehen sein. Dass bereits die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 41 Abs. 2 StrG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstieße, vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch der Antragsteller macht dies letztlich nicht geltend.
36 
Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen für den Gesetzgeber unterschiedliche Grenzen, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.01.2012 - 1 BvL 21/11 -, BVerfGE 130, 131; Beschl. v. 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 -, BVerfGE 129, 49). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft. Eine strengere Bindung kann sich aber auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 21.06.2011, a.a.O. m.w.N.); denn dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.07.2008 - 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/08 -, BVerfGE 121, 317 m.w.N.).
37 
Danach ist, soweit die - eine Abwälzung der Verpflichtung allein auf die Direkt-anlieger ermöglichende - gesetzliche Regelung des § 41 Abs. 2 StrG in Rede steht, eine eher großzügige Prüfung angezeigt.
38 
Denn angeknüpft wird nicht an Persönlichkeitsmerkmale, sondern nur an die räumliche Nähe zur Straße und die damit verbundenen Vorteile. Zwar werden mit der Abwälzung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die Straßenanlieger auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) berührt. Der Eingriff in diese Rechtspositionen ist jedoch grundsätzlich eher gering und nicht unverhältnismäßig (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.08.1965 - I C 78.62 -, BVerwGE 22, 26), denn der Straßenanlieger profitiert im besonderen Maße davon, dass ein Grundstück durch eine Straße erschlossen wird. Der dahinter stehende Gedanke der Vorteilsausgleichung rechtfertigt es, ihm nicht nur Geldleistungspflichten etwa in Gestalt von Erschließungs- und Straßenausbaubeiträgen für den Bau und die Unterhaltung von Straßen aufzuerlegen, sondern ihn auch zur Reinigung des vor seinem Grundstück gelegenen Straßenabschnitts heranzuziehen, damit auf diese Weise - auch in seinem Interesse - die Sicherheit und Leichtigkeit des auf der Straße stattfindenden Verkehrs gewährleistet ist (vgl. BayVGH vom 08.02.2011 - 8 ZB 10.1541 -, BayVBl 2011, 435 m.w.N.). Die Heranziehung zu diesen Reinigungspflichten beruht damit auf einer unbedenklichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) unter Berücksichtigung der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG; BayVGH, Beschl. v. 08.02.2011, a.a.O., m.w.N.). Sie ist auch ohne Weiteres mit dem persönlichen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zu vereinbaren, denn sie braucht von den betroffenen Grundstückseigentümern - schon wegen Art. 12 Abs. 2 GG - nicht persönlich erfüllt zu werden. Vielmehr können sie sich hierzu Dritter bedienen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.08.1965 - I C 78.62 -, BVerwGE 22, 26; Urt. v. 11.03.1988 - 4 C 78.84 -, NVwZ 1988, 824).
39 
Dass nach der gesetzlichen Ermächtigung die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht allein den Straßenanliegern auferlegt werden kann, auf deren Seite der Gehweg verläuft, führt auf keine unzulässige Ungleichbehandlung. Denn für diese, bereits in der gesetzlichen Regelung angelegte sachbezogene - weil an die räumliche Nähe zum zu reinigenden bzw. zu räumenden Gehweg anknüpfende - Ungleichbehandlung gibt es sachlich einleuchtende Gründe (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989 - 4 NB 21.89 -, Buchholz 407.0 Allgemeines Straßenrecht Nr. 21; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.08.1985 - 1 S 2122/83 -; BayVGH, Urt. v. 25.04.1989 - 8 N 87.01583 -, BayVBl 1989, 435; anders HessVGH, Urt. v. 17.06.2008 - 2 UE 203/07 -, ESVGH 59, 18), die auch von solcher Art und solchem Gewicht sind, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00 -, BVerfGE 107, 27; Beschl. v. 08.06.2004 - 2 BvL 5/00 -, BVerfGE 110, 412); von einer auf einen Verstoß gegen das Willkürverbot führenden evidenten Unsachlichkeit der vorgenommenen Differenzierung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.01.1993 - BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92 -,BVerfGE 88, 87), kann ersichtlich nicht die Rede sein.
40 
Denn dieser Anlieger hat, da er dem Gehweg räumlich näher als der Gegenüberlieger ist, nicht nur im Regelfall rascheren und gefahrloseren Zugang zu der zu reinigenden und zu räumenden Fläche, sondern auch typischerweise die größeren Vorteile durch ihn. Nur ihm, nicht dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten des gegenüberliegenden Grundstücks, bietet der Gehweg einen unmittelbaren Zugang zum Grundstück (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989, a.a.O.; VGH.-Bad.-Württ., Urt. v. 08.08.1985 - 1 S 2122/83 -). Hinzu kommt, dass Verunreinigungen des Gehwegs durch Grundstücke der Straßenanlieger - wie etwa durch herabfallendes Laub, Dachlawinen und dergleichen - naturgemäß in weit größerem Maße von den an den Gehweg angrenzenden Grundstücken herrühren. Schließlich lässt sich bei gemeinsamer Verpflichtung die gemeinsam zu reinigende bzw. zu räumende Fläche häufig nur unter erheblichen Schwierigkeiten ermitteln. Immer dann, wenn die seitlichen Grundstücksgrenzen nicht einander gegenüberliegen, entstünden gemeinsame Verpflichtungen hinsichtlich von Teilflächen für mehr als zwei gegenüberliegende Straßenanlieger, was letztlich unpraktikabel wäre (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.08.1985, a.a.O.). Schließlich ist durch die ausdrückliche Regelung in § 41 Abs. 2 Satz 3 StrG, dass bei einseitigem Gehweg durch Satzung auch dem Anlieger der gegenüberliegenden Seite teilweise die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auferlegt werden kann, gewährleistet, dass auch besonderen örtlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden kann, die eine Heranziehung auch der Gegenüberlieger angezeigt erscheinen lassen können.
41 
Vor diesem Hintergrund fällt indes auch der Antragsgegnerin, die bei der Neufassung ihrer Streupflichtsatzung gleichermaßen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten hatte, nicht dadurch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG - insbesondere auch nicht gegen das daraus abzuleitende Willkürverbot - zur Last, dass sie mit der Regelung in § 2 Abs. 3 - der Mustersatzung des Gemeindetages von 2006 folgend - davon abgesehen hat, bei einseitigen Gehwegen nach § 41 Abs. 2 Satz 3 StrG auch die Gegenüberlieger heranzuziehen. Auch wenn die oben beschriebenen Schwierigkeiten und die sich daraus ergebende Unpraktikabilität in dem hier in Rede stehenden Straßenabschnitt der B.straße zu vernachlässigen sein dürften, weil die Grenzlängen nahezu übereinstimmen („korrespondierende Anlieger“, vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.11.1985, a.a.O.), stellt sich die typischerweise gegebene Interessenlage vorliegend nicht anders dar. Besondere Umstände in der Schwarzwaldgemeinde Simonswald, insbesondere in der B.straße, die etwa dazu führten, dass sich gerade dadurch eine für die Anlieger der Straßenseite mit dem Gehweg unzumutbare Belastung ergäbe, dass nicht auch die („korrespondierenden“) Gegenüberlieger in die Pflicht genommen werden, sind nicht ersichtlich. Dass die Heranziehung - jedenfalls zur winterlichen Räumpflicht - unabhängig von einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz - unzumutbar wäre (vgl. BayVGH, Urt. v. 04.04.2007 - 8 B 05.3195 -, NVwZ-RR 2008, 62; Beschl. v. 08.02.2011 - 8 ZB 10.1541 -, BayVBl 2011, 435) und damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstieße, ist im Übrigen auch nicht zu erkennen.
42 
Zwar wäre es der Antragsgegnerin nicht verwehrt gewesen, nach § 41 Abs. 2 Satz 1 und 3 StrG auch die Gegenüberlieger zu verpflichten, um es bei der bisherigen Satzungslage zu belassen, und die gemeinsame Verpflichtung im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung des von ihr angeführten Verwaltungsaufwands nunmehr durch eine alternierende Verpflichtung (etwa durch einen wöchentlichen oder jährlichen Turnus) praktikabel auszugestalten (vgl. Senatsbeschl. v. 23.05.1989 - 5 S 3298/88 -, BWVPr 1989, 272; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.11.1985 - 1 S 2439/84 -; SächsOVG, Urt. v. 21.03.2014, - 5 C 27/12 -, juris Rn. 58; auch OVG Rh.-Pf., Urt. v. 13.05.1987 - 10 C 41/86 -, juris: „Regelungsmodell“ für eine entsprechende freiwillige Vereinbarung). Denn schon das Erschlossensein durch die Straße stellt einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für die Begründung von Straßenreinigungspflichten dar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989, a.a.O.; HessVGH, Urt. v. 17.06.2008, a.a.O.; Urt. v. 10.11.1987 - 2 UE 329/85 -, RdL 1989, 19).
43 
In welcher Weise sie vorgehen wollte, lag indes - im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen - in ihrem normativen Ermessen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989, a.a.O.). Hierbei konnte sie sich durchaus auch von Erwägungen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit (vgl. HessVGH, Urt. v. 18.08.1999, a.a.O.) sowie der Rechtssicherheit leiten lassen. Die objektiv gerechteste Lösung musste sie nicht treffen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.02.1976 - X 1863/75 -, ESVGH 26, 51; SächsOVG, Urt. v. 21.03.2014, a.a.O., Rn. 60; HessVGH, Urt. v. 18.08.1999 - 5 UE 871/95 -, NVwZ-RR 2000, 242).
44 
Auch auf Vertrauensschutz kann sich der Antragsteller nicht berufen; denn er musste jederzeit damit rechnen, dass die Antragsgegnerin ihre Streupflichtsatzung - im Einklang mit § 41 Abs. 2 StrG - an die Mustersatzung des Gemeindetags „anpasst“.
45 
Ob, was der Antragsteller insbesondere bezweifelt, die von der Antragsgegnerin für eine Überwälzung der Pflichten allein auf die Anlieger der Straßenseite mit dem Gehweg angeführten Gründe - Rechtsklarheit und Vermeidung von Verwaltungsaufwand - im Hinblick auf eine hier ohne Weiteres mögliche alternierende Verpflichtung der „korrespondierenden Anlieger“ überhaupt tragfähig waren und sich deren Entscheidung, ihre Streupflichtsatzung nunmehr neu zu fassen, möglicherweise vor dem Hintergrund des ansonsten gebotenen ordnungsbehördlichen Einschreitens gegen den säumigen - gesamtschuldnerisch verpflichteten - Anlieger (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.11.1985, a.a.O.; BGH, Urt. v. 11.06.1992 - III ZR 134/91 -, BGHZ 118, 368) als ermessensfehlerhaft oder gar willkürlich darstellte, ist demgegenüber vom Senat nicht zu prüfen.
46 
Denn die Grundsätze über die Ermessensentscheidung beim Erlass von Verwaltungsakten sind auf die Bestimmung der Maßstäbe, die für den Erlass von Satzungen gelten, nicht übertragbar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.04.1988 - 7 B 47.88 -, Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 73). Anders als etwa bei Bebauungsplänen (vgl. § 214 Abs. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB) ist der Entscheidungsvorgang beim Erlass von Satzungen (Normsetzungsvorgang) grundsätzlich nicht an weitere, gerichtlich nachprüfbare Voraussetzungen gebunden. Soweit verschiedentlich bei Abgabensatzungen Anforderungen an die Entscheidungsgrundlagen - etwa an die zugrundeliegende Gebührenkalkulation - gestellt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.08.1989 - 2 S 2805/87 -, VBlBW 1990, 103, Urt. v. 20.01.2010 - 2 S 1171/09 -, juris Rn. 30) und bei örtlichen Bauvorschriften eine Abwägung für erforderlich gehalten wurde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123, Urt. v. 11.10.2006 - 3 S 337/06 -, ESVGH 57, 82), lässt sich dies jedenfalls nicht auf Satzungen nach § 41 Abs. 2 StrG übertragen.
47 
Insofern hat es grundsätzlich sein Bewenden damit, dass das Satzungsrecht von den Gemeinden „im Rahmen der Gesetze“ (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG) nach ihrem nicht weiter überprüfbaren, weiten normativen Ermessen wahrgenommen werden darf und keinen weiteren Einschränkungen aufgrund richterlicher Rechtsschöpfung unterliegt (vgl. Schoch NVwZ 1990, 808; Gern, Kommunalrecht, 9. A. 2005, Rn. 154; zu örtlichen Bauvorschriften BVerwG, Beschl. v. 18.05.2005 - 4 B 23.05 -, BauR 2005, 1752).
48 
Dies bedeutet, dass für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Satzung - wie auch grundsätzlich bei Gesetzen - nur das Ergebnis des Normsetzungsvorgangs, also die Satzung selbst Prüfungsgegenstand ist. Sie ist Ausdruck des objektivierten Willens des Satzungsgebers. Ist dieser Wille - wie hier - objektiv fehlerfrei in der Satzung niedergelegt und als solcher erkennbar, ist die Satzung wirksam. Konkrete Überlegungen des Gemeinderats oder einzelner seiner Mitglieder sind, soweit sie nicht in der Satzung Ausdruck gefunden haben, mögen sie auch für sich betrachtet sachwidrig sein, für deren Wirksamkeit ohne Bedeutung (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.02.1998 - 2 S 1648/97 -, VBlBW 1998, 430; Urt. v. 11.07.2012 - 2 S 1995/11 -, BWGZ 2013, 118). Insofern führte auch eine etwaige subjektive Willkür des Satzungsgebers nicht zur Unwirksamkeit der erlassenen Norm (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.03.1979 - 1 BvR 111/74, 1 BvR 21 BvR 283/78 -, BVerfGE 51, 1, juris Rn. 83; BVerwG, Beschl. v. 05.04.1988, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.02.1998, a.a.O.).
49 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
50 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
51 
B e s c h l u s s
vom 10. November 2015
52 
Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 52 Abs. 1 u. 2 GKG in Anlehnung an Nr. 43.5 des Streitwertkatalogs 2013).
53 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
27 
Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
28 
1. Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGO statthafte Antrag ist zulässig.
29 
Insbesondere ist der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. So macht er sinngemäß geltend, als Straßenanlieger dadurch unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG und seinem Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG beschränkt zu werden, dass die (Reinigungs-,) Räum- und Streupflicht bei einseitigen Gehwegen nurmehr allein den Straßenanliegern auferlegt wird, auf deren Seite der Gehweg verläuft.
30 
Auch die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt. So wurde die Streupflichtsatzung am 03.05.2013 bekannt gemacht. Der Normenkontrollantrag ist am 17.12.2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
31 
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die allein beanstandete Satzungsbestimmung des § 2 Abs. 3 der Streupflichtsatzung der Antragsgegnerin vom 17.04.2013 ist weder in formeller (a) noch in materieller Hinsicht (b) rechtswidrig.
32 
a) Dass die Satzung unter Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften der Gemeindeordnung zu Stande gekommen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Da dies nicht innerhalb eines Jahres geltend gemacht wurde, wäre die Verletzung solcher Vorschriften auch grundsätzlich unbeachtlich (vgl. § 4 Abs. 4 GemO).
33 
b) Die beanstandete Satzungsbestimmung leidet auch in materieller Hinsicht unter keinem zu ihrer Unwirksamkeit führenden Mangel. Insbesondere verstößt sie nicht gegen höherrangiges Recht.
34 
Ermächtigungsgrundlage für die in § 2 der Streupflichtsatzung vorgesehene Überwälzung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die Straßenanlieger - nicht Angrenzer - ist § 41 Abs. 2 Satz 1 StrG. Danach können die den Gemeinden nach § 41 Abs. 1 Satz 1 StrG obliegenden Pflichten - außer der Verpflichtung zur Beleuchtung - für Gehwege durch Satzung den Straßenanliegern ganz oder teilweise auferlegt werden. § 41 Abs. 2 Satz 3 StrG bestimmt nunmehr ausdrücklich, dass für den - auch hier gegebenen - Fall, dass nur auf einer Straßenseite ein Gehweg vorhanden ist, durch Satzung auch dem Anlieger der gegenüberliegenden Straßenseite teilweise die Verpflichtung nach Satz 1 auferlegt werden kann. Mit dieser zum 01.01.1988 in Kraft getretenen Änderung des Straßengesetzes sollte offenbar der Rechtsprechung Rechnung getragen werden (vgl. hierzu die Regierungsbegründung, LTDrs. 9/4134, S. 50).
35 
Damit ist es aber nach der gesetzlichen Regelung zulässig, die Verpflichtung nach Satz 1 bei einseitigen Gehwegen nur den Anliegern aufzuerlegen, auf deren Seite der Gehweg verläuft. Dies dürfte nach der gesetzlichen Systematik - entsprechend dem hergebrachten Grundsatz, dass „jeder vor seiner Tür kehrt“ - auch als der „Normalfall“ anzusehen sein. Dass bereits die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 41 Abs. 2 StrG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstieße, vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch der Antragsteller macht dies letztlich nicht geltend.
36 
Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen für den Gesetzgeber unterschiedliche Grenzen, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.01.2012 - 1 BvL 21/11 -, BVerfGE 130, 131; Beschl. v. 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 -, BVerfGE 129, 49). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft. Eine strengere Bindung kann sich aber auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 21.06.2011, a.a.O. m.w.N.); denn dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.07.2008 - 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/08 -, BVerfGE 121, 317 m.w.N.).
37 
Danach ist, soweit die - eine Abwälzung der Verpflichtung allein auf die Direkt-anlieger ermöglichende - gesetzliche Regelung des § 41 Abs. 2 StrG in Rede steht, eine eher großzügige Prüfung angezeigt.
38 
Denn angeknüpft wird nicht an Persönlichkeitsmerkmale, sondern nur an die räumliche Nähe zur Straße und die damit verbundenen Vorteile. Zwar werden mit der Abwälzung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die Straßenanlieger auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) berührt. Der Eingriff in diese Rechtspositionen ist jedoch grundsätzlich eher gering und nicht unverhältnismäßig (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.08.1965 - I C 78.62 -, BVerwGE 22, 26), denn der Straßenanlieger profitiert im besonderen Maße davon, dass ein Grundstück durch eine Straße erschlossen wird. Der dahinter stehende Gedanke der Vorteilsausgleichung rechtfertigt es, ihm nicht nur Geldleistungspflichten etwa in Gestalt von Erschließungs- und Straßenausbaubeiträgen für den Bau und die Unterhaltung von Straßen aufzuerlegen, sondern ihn auch zur Reinigung des vor seinem Grundstück gelegenen Straßenabschnitts heranzuziehen, damit auf diese Weise - auch in seinem Interesse - die Sicherheit und Leichtigkeit des auf der Straße stattfindenden Verkehrs gewährleistet ist (vgl. BayVGH vom 08.02.2011 - 8 ZB 10.1541 -, BayVBl 2011, 435 m.w.N.). Die Heranziehung zu diesen Reinigungspflichten beruht damit auf einer unbedenklichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) unter Berücksichtigung der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG; BayVGH, Beschl. v. 08.02.2011, a.a.O., m.w.N.). Sie ist auch ohne Weiteres mit dem persönlichen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zu vereinbaren, denn sie braucht von den betroffenen Grundstückseigentümern - schon wegen Art. 12 Abs. 2 GG - nicht persönlich erfüllt zu werden. Vielmehr können sie sich hierzu Dritter bedienen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.08.1965 - I C 78.62 -, BVerwGE 22, 26; Urt. v. 11.03.1988 - 4 C 78.84 -, NVwZ 1988, 824).
39 
Dass nach der gesetzlichen Ermächtigung die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht allein den Straßenanliegern auferlegt werden kann, auf deren Seite der Gehweg verläuft, führt auf keine unzulässige Ungleichbehandlung. Denn für diese, bereits in der gesetzlichen Regelung angelegte sachbezogene - weil an die räumliche Nähe zum zu reinigenden bzw. zu räumenden Gehweg anknüpfende - Ungleichbehandlung gibt es sachlich einleuchtende Gründe (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989 - 4 NB 21.89 -, Buchholz 407.0 Allgemeines Straßenrecht Nr. 21; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.08.1985 - 1 S 2122/83 -; BayVGH, Urt. v. 25.04.1989 - 8 N 87.01583 -, BayVBl 1989, 435; anders HessVGH, Urt. v. 17.06.2008 - 2 UE 203/07 -, ESVGH 59, 18), die auch von solcher Art und solchem Gewicht sind, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00 -, BVerfGE 107, 27; Beschl. v. 08.06.2004 - 2 BvL 5/00 -, BVerfGE 110, 412); von einer auf einen Verstoß gegen das Willkürverbot führenden evidenten Unsachlichkeit der vorgenommenen Differenzierung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.01.1993 - BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92 -,BVerfGE 88, 87), kann ersichtlich nicht die Rede sein.
40 
Denn dieser Anlieger hat, da er dem Gehweg räumlich näher als der Gegenüberlieger ist, nicht nur im Regelfall rascheren und gefahrloseren Zugang zu der zu reinigenden und zu räumenden Fläche, sondern auch typischerweise die größeren Vorteile durch ihn. Nur ihm, nicht dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten des gegenüberliegenden Grundstücks, bietet der Gehweg einen unmittelbaren Zugang zum Grundstück (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989, a.a.O.; VGH.-Bad.-Württ., Urt. v. 08.08.1985 - 1 S 2122/83 -). Hinzu kommt, dass Verunreinigungen des Gehwegs durch Grundstücke der Straßenanlieger - wie etwa durch herabfallendes Laub, Dachlawinen und dergleichen - naturgemäß in weit größerem Maße von den an den Gehweg angrenzenden Grundstücken herrühren. Schließlich lässt sich bei gemeinsamer Verpflichtung die gemeinsam zu reinigende bzw. zu räumende Fläche häufig nur unter erheblichen Schwierigkeiten ermitteln. Immer dann, wenn die seitlichen Grundstücksgrenzen nicht einander gegenüberliegen, entstünden gemeinsame Verpflichtungen hinsichtlich von Teilflächen für mehr als zwei gegenüberliegende Straßenanlieger, was letztlich unpraktikabel wäre (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.08.1985, a.a.O.). Schließlich ist durch die ausdrückliche Regelung in § 41 Abs. 2 Satz 3 StrG, dass bei einseitigem Gehweg durch Satzung auch dem Anlieger der gegenüberliegenden Seite teilweise die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auferlegt werden kann, gewährleistet, dass auch besonderen örtlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden kann, die eine Heranziehung auch der Gegenüberlieger angezeigt erscheinen lassen können.
41 
Vor diesem Hintergrund fällt indes auch der Antragsgegnerin, die bei der Neufassung ihrer Streupflichtsatzung gleichermaßen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten hatte, nicht dadurch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG - insbesondere auch nicht gegen das daraus abzuleitende Willkürverbot - zur Last, dass sie mit der Regelung in § 2 Abs. 3 - der Mustersatzung des Gemeindetages von 2006 folgend - davon abgesehen hat, bei einseitigen Gehwegen nach § 41 Abs. 2 Satz 3 StrG auch die Gegenüberlieger heranzuziehen. Auch wenn die oben beschriebenen Schwierigkeiten und die sich daraus ergebende Unpraktikabilität in dem hier in Rede stehenden Straßenabschnitt der B.straße zu vernachlässigen sein dürften, weil die Grenzlängen nahezu übereinstimmen („korrespondierende Anlieger“, vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.11.1985, a.a.O.), stellt sich die typischerweise gegebene Interessenlage vorliegend nicht anders dar. Besondere Umstände in der Schwarzwaldgemeinde Simonswald, insbesondere in der B.straße, die etwa dazu führten, dass sich gerade dadurch eine für die Anlieger der Straßenseite mit dem Gehweg unzumutbare Belastung ergäbe, dass nicht auch die („korrespondierenden“) Gegenüberlieger in die Pflicht genommen werden, sind nicht ersichtlich. Dass die Heranziehung - jedenfalls zur winterlichen Räumpflicht - unabhängig von einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz - unzumutbar wäre (vgl. BayVGH, Urt. v. 04.04.2007 - 8 B 05.3195 -, NVwZ-RR 2008, 62; Beschl. v. 08.02.2011 - 8 ZB 10.1541 -, BayVBl 2011, 435) und damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstieße, ist im Übrigen auch nicht zu erkennen.
42 
Zwar wäre es der Antragsgegnerin nicht verwehrt gewesen, nach § 41 Abs. 2 Satz 1 und 3 StrG auch die Gegenüberlieger zu verpflichten, um es bei der bisherigen Satzungslage zu belassen, und die gemeinsame Verpflichtung im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung des von ihr angeführten Verwaltungsaufwands nunmehr durch eine alternierende Verpflichtung (etwa durch einen wöchentlichen oder jährlichen Turnus) praktikabel auszugestalten (vgl. Senatsbeschl. v. 23.05.1989 - 5 S 3298/88 -, BWVPr 1989, 272; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.11.1985 - 1 S 2439/84 -; SächsOVG, Urt. v. 21.03.2014, - 5 C 27/12 -, juris Rn. 58; auch OVG Rh.-Pf., Urt. v. 13.05.1987 - 10 C 41/86 -, juris: „Regelungsmodell“ für eine entsprechende freiwillige Vereinbarung). Denn schon das Erschlossensein durch die Straße stellt einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für die Begründung von Straßenreinigungspflichten dar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989, a.a.O.; HessVGH, Urt. v. 17.06.2008, a.a.O.; Urt. v. 10.11.1987 - 2 UE 329/85 -, RdL 1989, 19).
43 
In welcher Weise sie vorgehen wollte, lag indes - im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen - in ihrem normativen Ermessen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989, a.a.O.). Hierbei konnte sie sich durchaus auch von Erwägungen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit (vgl. HessVGH, Urt. v. 18.08.1999, a.a.O.) sowie der Rechtssicherheit leiten lassen. Die objektiv gerechteste Lösung musste sie nicht treffen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.02.1976 - X 1863/75 -, ESVGH 26, 51; SächsOVG, Urt. v. 21.03.2014, a.a.O., Rn. 60; HessVGH, Urt. v. 18.08.1999 - 5 UE 871/95 -, NVwZ-RR 2000, 242).
44 
Auch auf Vertrauensschutz kann sich der Antragsteller nicht berufen; denn er musste jederzeit damit rechnen, dass die Antragsgegnerin ihre Streupflichtsatzung - im Einklang mit § 41 Abs. 2 StrG - an die Mustersatzung des Gemeindetags „anpasst“.
45 
Ob, was der Antragsteller insbesondere bezweifelt, die von der Antragsgegnerin für eine Überwälzung der Pflichten allein auf die Anlieger der Straßenseite mit dem Gehweg angeführten Gründe - Rechtsklarheit und Vermeidung von Verwaltungsaufwand - im Hinblick auf eine hier ohne Weiteres mögliche alternierende Verpflichtung der „korrespondierenden Anlieger“ überhaupt tragfähig waren und sich deren Entscheidung, ihre Streupflichtsatzung nunmehr neu zu fassen, möglicherweise vor dem Hintergrund des ansonsten gebotenen ordnungsbehördlichen Einschreitens gegen den säumigen - gesamtschuldnerisch verpflichteten - Anlieger (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.11.1985, a.a.O.; BGH, Urt. v. 11.06.1992 - III ZR 134/91 -, BGHZ 118, 368) als ermessensfehlerhaft oder gar willkürlich darstellte, ist demgegenüber vom Senat nicht zu prüfen.
46 
Denn die Grundsätze über die Ermessensentscheidung beim Erlass von Verwaltungsakten sind auf die Bestimmung der Maßstäbe, die für den Erlass von Satzungen gelten, nicht übertragbar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.04.1988 - 7 B 47.88 -, Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 73). Anders als etwa bei Bebauungsplänen (vgl. § 214 Abs. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB) ist der Entscheidungsvorgang beim Erlass von Satzungen (Normsetzungsvorgang) grundsätzlich nicht an weitere, gerichtlich nachprüfbare Voraussetzungen gebunden. Soweit verschiedentlich bei Abgabensatzungen Anforderungen an die Entscheidungsgrundlagen - etwa an die zugrundeliegende Gebührenkalkulation - gestellt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.08.1989 - 2 S 2805/87 -, VBlBW 1990, 103, Urt. v. 20.01.2010 - 2 S 1171/09 -, juris Rn. 30) und bei örtlichen Bauvorschriften eine Abwägung für erforderlich gehalten wurde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123, Urt. v. 11.10.2006 - 3 S 337/06 -, ESVGH 57, 82), lässt sich dies jedenfalls nicht auf Satzungen nach § 41 Abs. 2 StrG übertragen.
47 
Insofern hat es grundsätzlich sein Bewenden damit, dass das Satzungsrecht von den Gemeinden „im Rahmen der Gesetze“ (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG) nach ihrem nicht weiter überprüfbaren, weiten normativen Ermessen wahrgenommen werden darf und keinen weiteren Einschränkungen aufgrund richterlicher Rechtsschöpfung unterliegt (vgl. Schoch NVwZ 1990, 808; Gern, Kommunalrecht, 9. A. 2005, Rn. 154; zu örtlichen Bauvorschriften BVerwG, Beschl. v. 18.05.2005 - 4 B 23.05 -, BauR 2005, 1752).
48 
Dies bedeutet, dass für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Satzung - wie auch grundsätzlich bei Gesetzen - nur das Ergebnis des Normsetzungsvorgangs, also die Satzung selbst Prüfungsgegenstand ist. Sie ist Ausdruck des objektivierten Willens des Satzungsgebers. Ist dieser Wille - wie hier - objektiv fehlerfrei in der Satzung niedergelegt und als solcher erkennbar, ist die Satzung wirksam. Konkrete Überlegungen des Gemeinderats oder einzelner seiner Mitglieder sind, soweit sie nicht in der Satzung Ausdruck gefunden haben, mögen sie auch für sich betrachtet sachwidrig sein, für deren Wirksamkeit ohne Bedeutung (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.02.1998 - 2 S 1648/97 -, VBlBW 1998, 430; Urt. v. 11.07.2012 - 2 S 1995/11 -, BWGZ 2013, 118). Insofern führte auch eine etwaige subjektive Willkür des Satzungsgebers nicht zur Unwirksamkeit der erlassenen Norm (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.03.1979 - 1 BvR 111/74, 1 BvR 21 BvR 283/78 -, BVerfGE 51, 1, juris Rn. 83; BVerwG, Beschl. v. 05.04.1988, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.02.1998, a.a.O.).
49 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
50 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
51 
B e s c h l u s s
vom 10. November 2015
52 
Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 52 Abs. 1 u. 2 GKG in Anlehnung an Nr. 43.5 des Streitwertkatalogs 2013).
53 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 47


(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit 1. von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 de

Baugesetzbuch - BBauG | § 214 Beachtlichkeit der Verletzung von Vorschriften über die Aufstellung des Flächennutzungsplans und der Satzungen; ergänzendes Verfahren


(1) Eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzbuchs ist für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach diesem Gesetzbuch nur beachtlich, wenn1.entgegen § 2 Absatz 3 die von der Planung berührten Bela

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 28


(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben,

Baugesetzbuch - BBauG | § 2 Aufstellung der Bauleitpläne


(1) Die Bauleitpläne sind von der Gemeinde in eigener Verantwortung aufzustellen. Der Beschluss, einen Bauleitplan aufzustellen, ist ortsüblich bekannt zu machen. (2) Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind aufeinander abzustimmen. Dabei können

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 24. Jan. 2012 - 1 BvL 21/11

bei uns veröffentlicht am 24.01.2012

Tenor 1. § 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (Ha

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07

bei uns veröffentlicht am 21.06.2011

Tenor 1. § 18b Absatz 3 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföGÄndG) vom 22. Mai 1990 (Bu

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Jan. 2010 - 2 S 1171/09

bei uns veröffentlicht am 20.01.2010

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. April 2009 - 2 K 4176/07 - wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. D

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 11. Okt. 2006 - 3 S 337/06

bei uns veröffentlicht am 11.10.2006

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 14. Dezember 2005 - 2 K 2338/04 - geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldne
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Nov. 2015 - 5 S 2590/13.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 21. Feb. 2017 - 4 K 185/16

bei uns veröffentlicht am 21.02.2017

Gründe I. 1 Die Antragstellerin begehrt im Rahmen eines Normenkontrollantrages die Feststellung, dass eine am 27. September 2012 beschlossene Satzung der Antragsgegnerin, mit der für einen Teil ihres Gemeindegebietes ein Anschluss- und Benutzun

Referenzen

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Tenor

1. § 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 211), zuletzt geändert am 15. Dezember 2009 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 506), ist mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Vorschrift Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246 <2257>), verfügen, von der Möglichkeit ausnimmt, abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist.

2. Bis zu einer Neuregelung gilt die Vorschrift mit der Maßgabe fort, dass sie auch auf Gaststätten anzuwenden ist, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246 <2257>), verfügen.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz als Ausnahme von dem generell in Gaststätten geltenden Rauchverbot die Einrichtung von Raucherräumen für Schankwirtschaften erlaubt, diese Begünstigung jedoch Speisewirtschaften vorenthält.

I.

2

1. a) Durch § 2 Abs. 1 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (GVBl S. 211), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes vom 15. Dezember 2009 (GVBl S. 506), wird das Rauchen in Gaststätten sowie in zahlreichen anderen öffentlich zugänglichen Einrichtungen verboten. Die Vorschrift lautet auszugsweise:

3

§ 2

4

Rauchverbot

5

(1) Das Rauchen ist nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 verboten in

6

1. bis 8 ...

7

9. Einrichtungen, in denen Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden (Gaststätten), einschließlich Gaststätten, die in der Betriebsart Diskothek geführt werden.

8

10. bis 12. ...

9

(2) bis (8) ...

10

Vom Rauchverbot ausgenommen sind Gaststätten mit nur einem Gastraum und einer Gastfläche von weniger als 75 m 2 , die keine zubereiteten Speisen anbieten und nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen (§ 2 Abs. 5 HmbPSchG).

11

§ 2 Abs. 4 HmbPSchG erlaubt für Gaststätten, in denen keine zubereiteten Speisen angeboten werden und die nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen, die Einrichtung von Raucherräumen. Die Vorschrift lautet:

12

(4) In Gaststätten gemäß Absatz 1 Nummer 9, die keine zubereiteten Speisen anbieten und nicht über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3419), zuletzt geändert am 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246, 2257), verfügen, können abgeschlossene Räume eingerichtet werden, in denen das Rauchen gestattet ist. Voraussetzung hierfür ist, dass

13

1. diese Räume baulich so wirksam abgetrennt werden, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen wird und die Raucherräume belüftet werden,

14

2. der Zutritt Personen unter 18 Jahren verwehrt ist und

15

3. diese Räume nicht größer sind als die übrige Gastfläche.

16

In ähnlicher Weise wie § 2 Abs. 4 HmbPSchG erlaubt § 2 Abs. 3 HmbPSchG, dass in anderen Einrichtungen, für die grundsätzlich das Rauchverbot gilt (z.B. Behörden, Krankenhäusern, Wohneinrichtungen, Hochschulen, Sporthallen und Justizvollzugsanstalten), Raucherräume eingerichtet werden. Zu den Voraussetzungen gehört auch hier, dass "in diesen Räumen keine zubereiteten Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden" (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 HmbPSchG).

17

Die Betreibenden von Gaststätten sind verantwortlich für die Einhaltung des Verbots und müssen, wenn ihnen ein Verstoß bekannt wird, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um weitere Verstöße zu verhindern (§ 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HmbPSchG). Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, handelt ordnungswidrig (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 HmbPSchG).

18

b) Eine vergleichbare Regelung zur Zulassung von Raucherräumen in Gaststätten findet sich in anderen Ländern nicht. Während in Bayern und im Saarland ein striktes Rauchverbot in Gaststätten gilt und damit die Einrichtung von Raucherräumen dort ohnehin unzulässig ist, lassen alle anderen Länder das Rauchen in gesonderten Räumen unter besonderen Voraussetzungen zu, ohne danach zu unterscheiden, ob in den jeweiligen Gaststätten zubereitete Speisen angeboten werden oder nicht.

19

2. Bereits in seiner ursprünglichen Fassung vom 11. Juli 2007 (GVBl S. 211) sah das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz als Ausnahme vom geltenden Rauchverbot die Möglichkeit vor, in Gaststätten und verschiedenen anderen Einrichtungen Raucherräume zu schaffen. Voraussetzung war, dass diese Räume baulich so wirksam abgetrennt wurden, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen war und dass die Raucherräume belüftet und ausdrücklich gekennzeichnet waren (§ 2 Abs. 3 HmbPSchG a.F.). Zwischen Speise- und Schankwirtschaften wurde dabei nicht differenziert. Eine Ausnahmeregelung für getränkegeprägte Kleingastronomie enthielt das Gesetz damals noch nicht.

20

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) Regelungen der Länder Baden-Württemberg und Berlin über Rauchverbote in Gaststätten für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hatte, weil sie die getränkegeprägte Kleingastronomie unverhältnismäßig belasteten, befasste sich der Landesgesetzgeber mit hiernach gebotenen Anpassungen des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes. Zwischen den damaligen Regierungsfraktionen bestanden zunächst unterschiedliche Vorstellungen über eine Neuregelung: Während in der CDU-Fraktion mehrheitlich weitgehende Ausnahmetatbestände vom Rauchverbot in Gaststätten befürwortet wurden, trat die Grün-Alternative Liste (GAL) für ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahmen ein. Unter dem 25. November 2009 legten die Regierungsfraktionen der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg schließlich den gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes vor (Drucks 19/4713), der in der Folgezeit zu der hier gegenständlichen Gesetzesfassung führte. Zur Begründung des Gesetzantrags wird knapp auf die Notwendigkeit einer Anpassung des Gesetzes an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Weiter heißt es, dem generellen Ziel des Schutzes vor den Gefahren des Passivrauchens solle unverändert Rechnung getragen werden, es sollten aber auch die Interessen der Gastronomie Berücksichtigung finden.

II.

21

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: die Klägerin) betreibt eine Gaststätte auf einem in Hamburg an der Autobahn A 7 gelegenen Autohof. Neben einer Gaststube mit einer Fläche von 70 m 2 umfasst die Gaststätte noch einen 33 m 2 großen "Clubraum". Für diese Gaststätte ist die Klägerin im Besitz einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit dem Ausschank von Getränken aller Art und der Abgabe von Speisen.

22

Im Juni 2010 beantragte sie beim zuständigen Bezirksamt eine Ausnahmegenehmigung vom Rauchverbot, um den Clubraum als Raucherraum auszuweisen. 80 % ihrer Gäste seien Lkw-Fahrer; diese seien fast alle Raucher. Schon bei Einführung der ursprünglichen Fassung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes sei es für ihre Gaststätte zu Umsatzeinbußen von bis zu 20 % gekommen. Das nun eingeführte komplette Rauchverbot in Speisewirtschaften bedrohe ihre wirtschaftliche Existenz. Es seien Umsatzeinbußen von etwa 60 % zu erwarten. Die Kundschaft der Lkw-Fahrer würde fast komplett wegbrechen. Dies werde dadurch begünstigt, dass die umliegenden Länder die Einrichtung von Raucherräumen erlaubten und die Lkw-Fahrer sehr mobil seien.

23

Das Bezirksamt lehnte den Erlass einer Ausnahmegenehmigung ab; die gesetzliche Regelung gelte ausnahmslos, eine Ausnahme für Speisewirtschaften sei nicht vorgesehen. Nachdem auch der Widerspruch der Klägerin ohne Erfolg blieb, begehrt die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht festzustellen, dass sie berechtigt sei, einen bestimmten näher bezeichneten Raum ihrer Gaststätte als Raucherraum auszuweisen und zu betreiben.

24

2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 2 Abs. 4 HmbPSchG mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit nach dieser Regelung Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes (GastG) verfügen, anders als Schankwirtschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG) keine abgeschlossenen Räume einrichten dürfen, in denen das Rauchen gestattet ist.

25

Die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG sei entscheidungserheblich. Wenn die Vorschrift verfassungsgemäß sei, sei die Klage abzuweisen; denn in der Gaststätte der Klägerin würde dann das Rauchverbot absolut gelten, und die Klägerin dürfte keinen Raucherraum betreiben. Wenn die Vorschrift verfassungswidrig sei, bestehe für sie dagegen zumindest die Chance, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber und damit einen Erfolg der Feststellungsklage zu erreichen. Die Feststellungsklage sei zulässig und bis auf die Tatsache, dass die Klägerin eine Speise- und keine Schankwirtschaft betreibe, begründet. Es bestehe keine Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift schließe eine Interpretation dahingehend aus, dass auch in Speisewirtschaften abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden dürften. Zwar würde die Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG nicht unmittelbar dazu führen, dass die Klägerin einen abgeschlossenen Raucherraum einrichten dürfte. Für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage genüge in den Fällen eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses jedoch bereits die Chance, eine günstigere Regelung zu erreichen.

26

Seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG begründet das Verwaltungsgericht unter Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317). Das Rauchverbot in Gaststätten greife in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin ein. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt; denn die Ausgestaltung der Ausnahme vom Rauchverbot gemäß § 2 Abs. 4 HmbPSchG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil im Hinblick auf diese Ausnahme Speisewirtschaften ohne sachliche Rechtfertigung anders als Schankwirtschaften behandelt würden.

III.

27

Zu der Vorlage haben das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, das Statistische Bundesamt, das Deutsche Krebsforschungszentrum und namens des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA Bundesverband) dessen Landesverband Hamburg Stellung genommen. Der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Bürgerschaft und der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben von Stellungnahmen abgesehen.

28

1. Der Präsident des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts teilt mit, dass das Gericht mit den im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss aufgeworfenen Fragen zur Verfassungswidrigkeit des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes bisher nicht befasst gewesen sei.

29

2. Das Statistische Bundesamt teilt mit, dass sich seit 2007 die Umsätze in der getränkegeprägten Gastronomie (Schankwirtschaften, Diskotheken und Tanzlokale, Bars, Vergnügungslokale, sonstige getränkegeprägte Gastronomie) deutlich schlechter als in der speisengeprägten Gastronomie (Restaurants mit herkömmlicher Bedienung, Restaurants mit Selbstbedienung, Imbissstuben, Cafés, Eissalons) entwickelt hätten. Die Umsätze in beiden Wirtschaftszweigen seien bezogen auf das Basisjahr 2005 gesunken, und zwar verstärkt seit Januar 2007. Zu diesem Zeitpunkt sei der Mehrwertsteuersatz erhöht worden. In der getränkegeprägten Gastronomie seien die Umsätze seit Januar 2007 stärker zurückgegangen als in der speisengeprägten Gastronomie; so seien etwa im August 2010 bei den realen Umsatzmesszahlen im Vergleich zu 2005 für die getränkegeprägte Gastronomie nur noch 76,0 % gegenüber 85,6 % für die speisengeprägte Gastronomie erreicht worden. Erst im Laufe des Jahres 2009 habe sich der Trend in beiden Bereichen mit zuletzt 77,1 % beziehungsweise 86,6 % im September 2011 stabilisiert.

30

Zu der Frage, ob es bei der Umsatzentwicklung Unterschiede zwischen kleinen Einraumgaststätten und größeren Gaststätten gebe, konnte das Statistische Bundesamt keine Aussagen treffen. Wegen der verschiedenen Regelungen in den einzelnen Ländern und der unterschiedlichen Zeitpunkte deren In- und Außerkrafttretens sah sich das Statistische Bundesamt zudem nicht in der Lage abzuschätzen, inwieweit landesspezifische Regelungen zum Rauchverbot für die beschriebene Entwicklung ursächlich waren. Damit unterscheide sich die Lage von derjenigen zum Zeitpunkt der Anfrage des Bundesverfassungsgerichts in dem der Entscheidung des Senats vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) zugrunde liegenden Verfahren. Bei der für dieses Verfahren abgegebenen Stellungnahme sei es für einen bestimmten Zeitraum im Jahr 2007 möglich gewesen, die Länder eindeutig in solche mit gleichartigen Passivraucherschutzgesetzen und solche gänzlich ohne entsprechende Regelungen einzuteilen.

31

3. Das Deutsche Krebsforschungszentrum teilt mit, dass es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Unterschied mache, ob die Schadstoffe, die im Tabakrauch enthalten seien, in einer Schankwirtschaft oder in einem Speiserestaurant eingeatmet würden. Sie seien in jedem Fall gesundheitsschädlich und krebserregend, insbesondere für die Beschäftigten. Der "Kompromiss", in Speisegaststätten das Rauchen zu verbieten und es in Getränkegaststätten zuzulassen, gehe auf ein Positionspapier der Tabakindustrie aus dem Jahr 2005 zurück. Er widerspreche den Erkenntnissen der Krebsforschung und dem Vorrang des Gesundheitsschutzes vor wirtschaftlichen Erwägungen.

32

4. Für den DEHOGA Bundesverband hat sich dessen Landesverband Hamburg geäußert. Er differenziert in seiner Stellungnahme zwischen drei Typen von Gaststätten: (1.) reinen Schankwirtschaften, (2.) Speisewirtschaften, die getränkeorientiert seien, aber auch einfache Speisen oder eine kleine Speisekarte anböten, und (3.) Restaurants, bei denen das Speisenangebot deutlich im Vordergrund stehe.

33

Es gebe in Hamburg nur relativ wenige Gaststätten, die völlig auf die Abgabe von Speisen verzichteten; allenfalls handele es sich um 60 bis 80 Betriebe. Solche Betriebe, die schon immer auf die Abgabe von Speisen verzichtet hätten, dürften nur in geringem Umfang von der gesetzlichen Neuregelung betroffen sein. Etwas anders stelle sich die Situation für solche Gaststätten dar, bei denen erst in Reaktion auf die gesetzliche Neuregelung die Abgabe von Speisen eingestellt worden sei. Hier sei der Speisenumsatz ersatzlos weggefallen, ohne dass in nennenswertem Umfang neue Gäste, nämlich rauchende Gäste und deren Begleitung, hätten gewonnen werden können.

34

Die Betreibenden getränkeorientierter Speisewirtschaften klagten regelmäßig darüber, dass ihr Umsatz nach der Novellierung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes drastisch zurückgegangen sei. Teils werde über Umsatzrückgänge von 30 % bis 50 % berichtet. Dies werde in erster Linie auf das Rauchverbot zurückgeführt. Für Gruppen mit rauchenden Gästen sei es unattraktiver geworden, solche Gaststätten aufzusuchen; denn die Notwendigkeit, zum Rauchen die Gaststätte zu verlassen, werde als Störung des kommunikativen Miteinanders empfunden. Die Verweildauer der Gäste habe sich erheblich verkürzt. Außerdem wichen Gäste in den Außenbezirken Hamburgs auf Gaststätten in den benachbarten Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen aus.

35

Bei "klassischen" Restaurants seien die Klagen über Umsatzrückgänge weniger ausgeprägt. Zwar werde auch dort immer wieder mitgeteilt, dass sich die Aufenthaltsdauer der Gäste gerade in der kälteren Jahreszeit verkürzt habe, vereinzelt werde allerdings auch berichtet, dass es einen Zuwachs an Gästen gebe, die den rauchfreien Essensgenuss zu schätzen wüssten.

B.

36

Die Vorlage ist zulässig. Insbesondere hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG unter Hinweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 zu einem gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss bei der Zulassung von Raucherräumen (dort für Diskotheken; vgl. BVerfGE 121, 317 <368 ff.>) hinreichend dargelegt. Auf dieser Grundlage sind dem Vorlagebeschluss auch die - gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erforderlichen - hinreichenden Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu entnehmen. Ist das vorlegende Gericht - wie hier - der Überzeugung, dass die zur Prüfung gestellte Norm das in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht oder einen speziellen Gleichheitssatz verletzt, reicht es für die Feststellung der Entscheidungserheblichkeit aus, dass die Verfassungswidrigerklärung der Norm der im Ausgangsverfahren klagenden Partei die Chance offen hält, eine für sie günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl. BVerfGE 121, 108 <115> m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall; denn der Gesetzgeber kann den vom vorlegenden Gericht angenommenen Gleichheitsverstoß zwar auf verschiedenen Wegen heilen, sich hierbei aber auch für die Möglichkeit entscheiden, die Begünstigung in Gestalt der Zulassung von Raucherräumen auf Speisegaststätten zu erstrecken. In diesem Fall hätte die Klägerin nach der hier maßgeblichen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts im Ausgangsverfahren Erfolg.

C.

37

§ 2 Abs. 4 HmbPSchG ist mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar, als die Norm solche Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis verfügen, von der Möglichkeit ausnimmt, abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist.

I.

38

Die maßgebliche Vorschrift (§ 2 Abs. 4 HmbPSchG) ist nicht umfassend, sondern nur im Rahmen der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage (§ 81 BVerfGG) auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (vgl. BVerfGE 126, 331 <354>). Dies betrifft die Frage, ob Betreibende von Speisewirtschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG) anders als Betreibende von Schankwirtschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG) von der Möglichkeit ausgeschlossen werden dürfen, in entsprechend der gesetzlichen Regelung ausgestatteten Nebenräumen ihrer Gaststätten das Rauchen zu gestatten. Es wird also weder die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Rauchverbots in Gaststätten aufgeworfen (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <344, 356>), noch ist mit Blick auf eine etwa übermäßige Belastung einer bestimmten Gastronomiesparte über die Notwendigkeit eines weiteren Ausnahmetatbestandes vom gesetzlichen Rauchverbot zu befinden (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <359 ff.>). Ausweislich der Vorlagefrage geht es vielmehr allein darum, ob der Klägerin ein gesetzlich geregelter Ausnahmetatbestand - nämlich die Möglichkeit, einen Raucherraum einzurichten - in verfassungswidriger Weise vorenthalten wird. Diese Konstellation entspricht im Ansatz derjenigen, über die der Senat bereits hinsichtlich des Ausschlusses von Diskotheken von der ansonsten erlaubten Einrichtung von Raucherräumen durch die ursprüngliche Fassung von § 7 Abs. 2 Satz 2 des Landesnichtraucherschutzgesetzes Baden-Württemberg entschieden hat (BVerfGE 121, 317<368 ff.>). Auch im vorliegenden Fall liegt eine Beschränkung der freien Berufsausübung durch ein Rauchverbot vor, von dem eine Ausnahme vorgesehen ist, deren Ausschluss für bestimmte Gastronomiebetriebe den Anforderungen aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG standhalten muss (vgl. BVerfGE 25, 236 <251>; 121, 317 <369>).

39

1. a) Da für eine Speisewirtschaft, wie sie von der Klägerin betrieben wird, die Einrichtung eines Raucherraums durch § 2 Abs. 4 HmbPSchG nicht zugelassen ist, gibt es für solche Gaststätten keine Ausnahme von dem in § 2 Abs. 1 Nr. 9 HmbPSchG normierten Rauchverbot. Ungeachtet seiner vornehmlichen Adressierung an die Besucher einer Gaststätte greift dieses Rauchverbot in die Berufsausübungsfreiheit der Gaststättenbetreibenden ein (vgl. BVerfGE 121, 317 <344 ff.>). Die Freiheit der Berufsausübung wird durch Art. 12 Abs. 1 GG umfassend geschützt (vgl. BVerfGE 85, 248 <256>) und erstreckt sich auch auf das Recht, Art und Qualität der am Markt angebotenen Güter und Leistungen selbst festzulegen (vgl. BVerfGE 106, 275 <299>) und damit den Kreis der angesprochenen Interessenten selbst auszuwählen. Unter diesem Gesichtspunkt beeinträchtigt das Rauchverbot die freie Berufsausübung derjenigen, die Gaststätten betreiben; denn ihnen wird die Möglichkeit genommen, selbst darüber zu bestimmen, ob in ihren Lokalen den Gästen das Rauchen gestattet oder untersagt ist. Damit können sie nur noch in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen darüber entscheiden, ob die Leistungen und Dienste ihres Gaststättenbetriebs auch solchen Gästen angeboten werden sollen, die diese zusammen mit dem Rauchen von Tabak in Anspruch nehmen möchten. Den Gaststättenbetreibenden wird es nicht nur erheblich erschwert, rauchende Gäste mit ihren Angeboten zu erreichen, sondern sie werden regelmäßig daran gehindert, ihre Leistungen an Gäste zu erbringen, die auf das Rauchen in der Gaststätte nicht verzichten wollen (so BVerfGE 121, 317 <345>).

40

b) Berufsausübungsregelungen müssen nicht nur den Anforderungen genügen, die sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 GG ergeben, sie müssen vielmehr auch sonst in jeder Hinsicht verfassungsgemäß sein und insbesondere den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (vgl. BVerfGE 25, 236 <251>; 121, 317 <369>).

41

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 126, 400 <416>; 127, 263 <280>; stRspr). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, NVwZ 2011, S. 1316 <1317> m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011, a.a.O.); denn dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten, zu denen auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Berufsausübung zählt, nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 121, 317 <370> m.w.N.).

42

2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf die verfassungsrechtliche Prüfung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG ist diese Norm mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

43

a) Für die vorliegend zu beurteilende Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften ist bei der Prüfung anhand des Gleichheitssatzes von einer strengeren Bindung des Gesetzgebers auszugehen, weil sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten - hier in Gestalt der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten freien Berufsausübung - nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 121, 317 <370>). Aufgrund der differenzierenden Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG sind die Betreibenden von Speisewirtschaften im Unterschied zu denjenigen, die Schankwirtschaften betreiben, daran gehindert, gesonderte Nebenräume einzurichten, um dort ihren Gästen das Rauchen zu gestatten und damit eine Ausnahme vom ansonsten geltenden Rauchverbot in Gaststätten für sich zu nutzen. Dies hat zur Folge, dass Betreibende von Speisewirtschaften nicht in freier Ausübung ihres Berufs das Angebot ihrer Gaststätten auch für rauchende Gäste attraktiv gestalten können. Es liegt nahe, dass dies erhebliche wirtschaftliche Nachteile insbesondere für eher getränkegeprägte Speisegaststätten nach sich zieht, bei denen die Gäste auf Speisen zwar nicht verzichten wollen, solche Lokale aber vorrangig aus anderen Gründen - wie etwa auf der Suche nach Geselligkeit und zur Kommunikation - aufsuchen.

44

b) Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Es fehlt an einem hinreichend gewichtigen Grund für die Differenzierung.

45

aa) Als Differenzierungsgrund genügt es nicht bereits, dass die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG vorgenommene Unterscheidung das Ergebnis eines politischen Kompromisses zwischen den damaligen Regierungsfraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft ist. Die Notwendigkeit, sich durch einen politischen Kompromiss eine parlamentarische Mehrheit zu sichern, prägt Politik. Sie kann für sich allein genommen die mit schwerwiegenden Nachteilen für die Ausübung eines Freiheitsrechts verbundene Ungleichbehandlung verschiedener Normadressaten freilich nicht rechtfertigen. Auch wenn der Gesetzgeber im demokratischen Staat regelmäßig auf politische Kompromisse angewiesen ist, gilt doch auch für ihn gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Bindung an die Grundrechte. Dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist mithin nicht allein schon wegen des Vorliegens eines politischen Kompromisses Genüge getan, er setzt vielmehr seinerseits der Möglichkeit eines Kompromisses inhaltliche Grenzen.

46

bb) Sachliche Gesichtspunkte, mit denen sich die Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften bei der Zulassung von Raucherräumen rechtfertigen lässt, sind nicht erkennbar  . 

47

Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist allerdings nicht ausschlaggebend, ob die maßgeblichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Nicht die subjektive Willkür des Gesetzgebers führt zur Feststellung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern die objektive Unangemessenheit der Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll (vgl. BVerfGE 51, 1 <26 f.>; 93, 386 <400> m.w.N.). Auf dieser Grundlage ist kein hinreichend gewichtiger Grund für die Differenzierung auszumachen.

48

(1) So lässt sich die unterschiedliche Behandlung nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes rechtfertigen.

49

(a) Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals, ungeachtet der Frage, ob und inwieweit ein Landesgesetzgeber dieses Ziel zum Gegenstand eines Nichtraucherschutzgesetzes machen kann, ohne dadurch gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu verstoßen (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <347 f.>). Insoweit fehlt es bereits an dem erforderlichen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Regelungsziel und den vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungsmerkmalen (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011, a.a.O., S. 1316 f. m.w.N.). Im vorliegenden Fall lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen dem Schutz des Gaststättenpersonals und der Differenzierung zwischen Speise- und Schankgaststätten nicht erkennen, denn nicht nur in Speise-, sondern auch in Schankwirtschaften sind Angestellte beschäftigt, die die Gäste in dort zulässigen Raucherräumen bedienen und hierbei den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt werden. Weder in den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens noch anderweitig lassen sich Nachweise dafür finden, dass das Gaststättenpersonal in Raucherräumen von Speisewirtschaften regelmäßig in stärkerem Maße dem Tabakrauch ausgesetzt sein könnte als in Raucherräumen von Schankwirtschaften. Nicht von der Hand zu weisen ist zudem die Überlegung des vorlegenden Gerichts, dass ein etwa beabsichtigter Schutz des Gaststättenpersonals effektiver und zugleich für die Betreibenden von Gaststätten weniger belastend zu erreichen ist, wenn die Zulassung von Raucherräumen davon abhängig gemacht wird, dass sich die Gäste dort selbst bedienen.

50

(b) Die Differenzierung kann ferner nicht mit dem Schutz der Gesundheit der Gäste gerechtfertigt werden. Gäste sind in den Schutz der gesetzlichen Regelung schon nicht einbezogen, soweit sie ihre eigene Gesundheit dadurch gefährden können, dass sie selbst rauchen. Ihnen wird kein Schutz vor Selbstgefährdung aufgedrängt (vgl. BVerfGE 59, 275 <278 f.>; 121, 317 <359>). Vielmehr wird nach § 1 Abs. 1 HmbPSchG mit dem Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz ausdrücklich nur das Ziel verfolgt, die Bevölkerung vor den gesundheitlichen Gefahren durch Passivrauchen in öffentlichen Einrichtungen zu schützen. Dieses begrenzte Schutzziel rechtfertigt indessen die Ungleichbehandlung von Schank- und Speisewirtschaften nicht.

51

(aa) Die Erwägung eines erhöhten Schutzbedürfnisses für Gäste in Speisewirtschaften wegen einer angenommenen zusätzlichen Belastung der Nahrung durch Tabakrauch wurde zwar bei einer Anhörung im Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz der Hamburgischen Bürgerschaft von einer Auskunftsperson vorgebracht (vgl. Ausschuss-Drucks 19/8, S. 17), im Gesetzgebungsverfahren spielte dieses Schutzziel als Grund für die hier zu beurteilende Differenzierung jedoch ersichtlich keine Rolle. So erklärte der Präses der damaligen Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz in einer späteren Ausschusssitzung, es sei "aus gesundheitspolitischer Sicht völlig irrelevant ..., ob man beim Rauchen was isst oder nicht". Dies sei "eine Geschmacksfrage, aber keine gesundheitspolitische Frage". Beim Essen zu rauchen sei nicht mehr oder weniger schädlich als beim Trinken zu rauchen (vgl. Ausschuss-Drucks 19/9, S. 12). Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Annahme eines erhöhten Schutzbedürfnisses auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen würde. So hat das Deutsche Krebsforschungszentrum in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Verfahren ausgeführt, es ergebe aus wissenschaftlicher Sicht keinen Unterschied, ob die Aufnahme der Schadstoffe, die im Tabakrauch enthalten seien, in einer Schankwirtschaft oder in einem Speiserestaurant erfolge.

52

Aber selbst wenn unterstellt wird, dass die Verbindung von Essen und Passivrauchen zu einer besonderen Schadstoffbelastung der nichtrauchenden Gäste führt, ergibt sich daraus keine Rechtfertigung, den Betreibenden von Speisewirtschaften die für andere Gaststätten bestehende Möglichkeit vorzuenthalten, Raucherräume einzurichten. Ist das Rauchen nur noch in vollständig abgetrennten Nebenräumen erlaubt, so entfällt das an die besondere Betriebsart anknüpfende Argument der gesteigerten Gefährdung durch Passivrauchen, weil sich die Gäste zum Essen in Nichtraucherbereichen aufhalten können. Eine Gefährdung der Gäste in den Nichtraucherbereichen kann durch strikte Einhaltung der Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 2 HmbPSchG verhindert werden. Danach sind Raucherräume baulich so wirksam abzutrennen, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 121, 317 <371 f.>).

53

(bb) Schließlich lässt sich die unterschiedliche Behandlung von Schank- und Speisegaststätten nicht damit rechtfertigen, dass durch den Ausschluss von Raucherräumen in der letztgenannten Gastronomiesparte eine größere Anzahl von Menschen den Gefahren des Passivrauchens entzogen wird. Zwar geht mit jeder Verringerung der Möglichkeiten zu rauchen zwangsläufig auch die Zahl der durch Passivrauchen gesundheitlich Gefährdeten zurück. Auch darf der Gesetzgeber der Prävention dieser Gesundheitsgefahr durchaus Raum geben  . Diese Erwägung kann hier jedoch keinen hinreichend gewichtigen, sachlich vertretbaren Differenzierungsgrund liefern; denn es fehlt insoweit wiederum an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung. Anhaltspunkte dafür, dass das in Speisewirtschaften offerierte gastronomische Angebot im Vergleich zu Schankwirtschaften zu einer weiteren Erhöhung der mit dem Passivrauchen verbundenen Gesundheitsgefahren führt, liegen nicht vor (vgl. oben ). Wenn der Ausschluss der Speisewirtschaften von der gesetzlichen Begünstigung dazu dienen sollte, die Anzahl der Gelegenheiten zum Rauchen gering zu halten, erschiene die Differenzierung daher geradezu willkürlich; denn es würde an ein Unterscheidungsmerkmal angeknüpft, das in keinerlei Zusammenhang mit einem solchen Regelungsziel des Gesetzgebers steht.

54

(2) Eine etwaige unterschiedliche wirtschaftliche Betroffenheit von Speise- und Schankwirtschaften durch ein Rauchverbot scheidet ebenfalls als tauglicher Differenzierungsgrund aus.

55

Aus Sicht des Gesetzgebers spielten die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbots offenkundig bei der Formulierung der Vorschrift keine Rolle. Im Gesetzgebungsverfahren wurde ersichtlich davon ausgegangen, dass keine ausreichenden "belastbaren Zahlen … über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbotes in der Gastronomie in Deutschland" vorliegen (Abg. Harald Krüger, PlProt 19/42, S. 2622). Eine Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften wegen unterschiedlicher wirtschaftlicher Belastung durch das Rauchverbot scheitert bereits an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Für den - allein von der Regelung betroffenen - Bereich derjenigen Gaststätten, die über die baulichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Nebenraums für rauchende Gäste verfügen, lässt sich nicht feststellen, dass reine Schankwirtschaften typischerweise in erheblichem Umfang wirtschaftlich stärker durch ein Rauchverbot belastet würden als Gaststätten, in denen auch zubereitete Speisen angeboten werden oder angeboten werden dürfen.

56

Zwar hatte das Statistische Bundesamt in seiner Stellungnahme zu dem durch Urteil vom 30. Juli 2008 abgeschlossenen Verfahren ausgeführt, dass die landesgesetzlichen Rauchverbote wahrscheinlich zu stärkeren Umsatzrückgängen im Bereich der getränkegeprägten Gastronomie geführt hätten (vgl. BVerfGE 121, 317 <339>). Für das vorliegende Verfahren konnte es seine damalige - ohnehin als bloße "Momentaufnahme" bezeichnete - Feststellung jedoch nicht bestätigen. So führt das Statistische Bundesamt zwar aus, dass die Umsätze der getränke- und der speisengeprägten Gastronomie seit Januar 2007 zurückgegangen seien und die Umsatzentwicklung der getränkegeprägten Gastronomie schlechter sei als die der speisengeprägten. Es konnte aber keine Aussage darüber treffen, inwieweit dies durch landesgesetzliche Regelungen zum Rauchverbot verursacht worden sei. Zudem war der im Jahr 2008 getroffenen Einschätzung nicht zu entnehmen, ob die vermutete besondere wirtschaftliche Betroffenheit der getränkegeprägten Gastronomie nicht im Wesentlichen durch die Besonderheiten und spezifischen Belastungen der getränkegeprägten Kleingastronomie verursacht war. Dafür spricht, dass die Nichtraucherschutzgesetze der seinerzeit bei der Auswertung berücksichtigten Bundesländer (Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen) bereits damals die Einrichtung von Raucherräumen für Schank- und Speisewirtschaften erlaubten, aber noch keine Ausnahmeregelung für Einraumgaststätten enthielten, bei denen solche Nebenräume nicht geschaffen werden konnten. Deshalb erscheint es nicht fernliegend, dass die damals für Schankwirtschaften erfassten Umsatzrückgänge vor allem auf solche Gaststätten zurückgehen, die von vornherein nicht die Möglichkeit hatten, Raucherräume einzurichten und mithin vom Rauchverbot wirtschaftlich besonders nachteilig betroffen waren. Dementsprechend findet sich im Urteil des Senats vom 30. Juli 2008 auch nicht die Feststellung einer generell stärkeren Belastung der Schankwirtschaften im Vergleich zu den Speisewirtschaften. Vielmehr hat der Senat spezifische Auswirkungen nur für eine bestimmte Gruppe von Schankwirtschaften zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und besondere wirtschaftliche Nachteile allein für die getränkegeprägte Kleingastronomie bejaht (BVerfGE 121, 317 <363>), die namentlich durch "Eckkneipen" (BVerfG, a.a.O., S. 358) oder "Einraumkneipen" (BVerfG, a.a.O., S. 364) repräsentiert wird. Maßgebend für die vom Senat getroffene Unterscheidung war ausdrücklich nicht allein die Ausrichtung solcher Gaststätten als Schankwirtschaften, sondern - neben der geringeren Zahl von Sitzplätzen - die besondere Gästestruktur, die gegenüber anderen Gastronomiesparten durch eine vergleichsweise hohe Zahl von rauchenden Gästen gekennzeichnet ist (BVerfG, a.a.O., S. 363) und mithin bei einem Rauchverbot existenzbedrohliche Umsatzrückgänge befürchten lässt (BVerfG, a.a.O., S. 365). Es war bereits damals nicht und ist heute noch weniger zu erkennen, dass über diesen speziellen Gaststättentypus hinaus, der in besonderer Weise durch rauchende Stammgäste geprägt wird, Schankwirtschaften im Vergleich mit Speisewirtschaften allgemein von einem Rauchverbot in einem solchen Maße wirtschaftlich stärker betroffen wären, dass dies den völligen Begünstigungsausschluss aller Speisewirtschaften rechtfertigen könnte.

57

In den Materialien zum Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes finden sich zwar Hinweise, die darauf hindeuten, dass sich der Gesetzgeber bei der von ihm vorgenommenen Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften an dem Urteil des Senats vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) orientieren wollte. So berief sich der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion vor der Hamburgischen Bürgerschaft darauf, dass das Bundesverfassungsgericht "Unterscheidungen der Gastronomiearten in Speisegaststätten und getränkegeprägt" für zulässig gehalten habe, dass "innerhalb der Gruppe jedoch keine Ungleichbehandlungen passieren" dürften (Abg. Harald Krüger, PlProt. 19/42, S. 2622 <2623>). Ähnlich äußerten sich Abgeordnete des Koalitionspartners GAL im Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz (vgl. Drucks. 19/4768, S. 3). Hieraus kann sich jedoch ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung beider Gastronomiesparten in § 2 Abs. 4 HmbPSchG schon deshalb nicht ergeben, weil in dem zitierten Urteil das gastronomische Angebot keineswegs generell als geeignetes Differenzierungskriterium bei der Zulassung von Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten genannt wird. Der Senat hatte vielmehr das Merkmal des "vorwiegend an Getränken und weniger an Speisen ausgerichtete(n) Angebot(s)" lediglich als eines von mehreren Merkmalen herangezogen, um mit der getränkegeprägten Kleingastronomie den vom Rauchverbot besonders belasteten Typus von Gaststätten zu kennzeichnen (vgl. BVerfGE 121, 317 <363 f.>; oben <2>). Allein in diesem Zusammenhang wurde das unterschiedliche gastronomische Angebot im Folgenden bei der Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 375) und der Formulierung der Zwischenregelung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 377) wieder aufgenommen.

II.

58

Die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG bestimmte Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften ist eine Berufsausübungsregelung, die als gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungswidrigkeit der Norm führt hier jedoch nicht zu ihrer Nichtigkeit. Es ist lediglich die Unvereinbarkeit der gegenwärtigen Regelung mit dem Grundgesetz festzustellen, weil dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten für die Neuregelung zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 121, 317 <373 f.> m.w.N.). Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, ob er den festgestellten Gleichheitsverstoß durch eine Ausdehnung der Begünstigung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG auf Speisewirtschaften, durch eine nach sachgerechten Kriterien differenzierende Vorschrift oder durch eine grundlegend anders konzipierte Verbotsregelung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 374) ausräumen will.

III.

59

Mit Blick auf die Berufsfreiheit der Betreibenden von Speisewirtschaften besteht für den Zeitraum bis zu einer gesetzlichen Neuregelung zur Vermeidung weiterer erheblicher wirtschaftlicher Nachteile ein Bedürfnis nach einer Zwischenregelung durch das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des § 35 BVerfGG (vgl. BVerfGE 48, 127 <184>; 84, 9 <21>; 121, 317 <376>). Hierzu wird in Anlehnung an das bisherige Regelungskonzept des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <376>) die geltende Ausnahme vom Rauchverbot durch die Zulassung von Raucherräumen auf solche Gaststätten erstreckt, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach dem Gaststättengesetz verfügen. Auch für Speisewirtschaften können hiernach unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Satz 2 HmbPSchG abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden.

Tenor

1. § 18b Absatz 3 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföGÄndG) vom 22. Mai 1990 (Bundesgesetzblatt I Seite 936) ist in dieser und den nachfolgenden Fassungen mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit er den großen Teilerlass der Rückforderung von Förderungsdarlehen davon abhängig macht, dass Auszubildende die Ausbildung vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer mit Bestehen der Abschlussprüfung beenden, obwohl in dem betreffenden Studiengang die gesetzlich festgelegte Mindeststudienzeit weniger als vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer endet.

2. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 28. Juni 2002 - IV 11 - 02 9 97 883 1/58 - in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Bundesverwaltungsamts vom 5. November 2002 - IV 11 - 02 9 97 883 1/58 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Oktober 2004 - 25 K 10483/02 - und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2007 - 4 A 4838/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

4. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich zum einen dagegen, dass Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern für eine geringere Förderungshöchstdauer Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) erhalten konnten als Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern. Zum anderen betrifft sie die Voraussetzungen für einen sogenannten "großen Teilerlass" der als Darlehen gewährten Ausbildungsförderung nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG, die infolge der unterschiedlichen Förderungshöchstdauer in den neuen Ländern anders als in den alten nicht zu erfüllen waren. Die Regelung wurde später mit einer Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2012 abgeschafft.

I.

2

1. Die bedürftigkeitsabhängige Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz wird grundsätzlich für die Dauer der Ausbildung geleistet. Bei Studiengängen, d.h. bei der Ausbildung an Hochschulen (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG), wird die Förderung allerdings grundsätzlich begrenzt durch die normativ vorgegebene Förderungshöchstdauer (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Die Studienförderung wird zur Hälfte als unverzinsliches Darlehen erbracht, wobei die zurückzuzahlende Darlehenssumme für Ausbildungsabschnitte, die nach dem 28. Februar 2001 beginnen, auf 10.000 Euro begrenzt ist (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Die erste Darlehensrate ist fünf Jahre nach dem Ende der Förderungshöchstdauer zu leisten (vgl. § 18 Abs. 3 Satz 3 BAföG).

3

2. § 18b BAföG sieht Möglichkeiten vor, das Darlehen bei erfolgreichem Studienabschluss teilweise zu erlassen. Neben einem leistungsabhängigen Teilerlass (vgl. § 18b Abs. 2 BAföG) kommt nach § 18b Abs. 3 BAföG ein studiendauerabhängiger Teilerlass bei Beendigung des Studiums vor Ablauf der Förderungshöchstdauer in Betracht. Das Gesetz unterscheidet hier zwischen einem großen (Satz 1) und einem kleinen Teilerlass (Satz 2).

4

a) In der hier maßgeblichen Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföGÄndG) vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) lautet § 18b Abs. 3 BAföG:

5

§ 18b

6

Teilerlass des Darlehens

7

8

(3) Beendet der Auszubildende die Ausbildung vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer mit dem Bestehen der Abschlußprüfung oder, wenn eine solche nicht vorgesehen ist, nach den Ausbildungsvorschriften planmäßig, so werden auf seinen Antrag 5.000 DM des Darlehens erlassen. Beträgt der in Satz 1 genannte Zeitraum nur zwei Monate, werden 2.000 DM erlassen. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides nach § 18 Abs. 5a zu stellen.

...

9

Mit Wirkung zum 1. Oktober 2002 sind durch das Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) vom 19. März 2001 (BGBl I S. 390) an die Stelle der Beträge von 5.000 DM und 2.000 DM Beträge von 2.560 Euro und 1.025 Euro getreten. Durch das Dreiundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (23. BAföGÄndG) vom 24. Oktober 2010 (BGBl I S. 1422) sind die Regelungen über den Darlehensteilerlass mit einer Übergangszeit für bereits im Studium stehende BAföG-Empfänger abgeschafft worden. Einen Teilerlass können nunmehr nur noch solche Auszubildenden erhalten, die ihre Abschlussprüfung bis zum 31. Dezember 2012 bestehen oder ihre Ausbildung bis zu diesem Zeitpunkt planmäßig beenden.

10

b) Der Teilerlass des Darlehens bei vorzeitiger Beendigung des Studiums ist seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (2. BAföGÄndG) vom 31. Juli 1974 (BGBl I S. 1649) im Bundesausbildungsförderungsgesetz geregelt. Ursprünglich war ein Teilerlass von 2.000 DM für jedes Semester vorgesehen, um das ein Auszubildender seine Ausbildung vor dem Ende der Förderungshöchstdauer abschloss. Nach der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs sollte damit ein Anreiz geschaffen werden, dass der Auszubildende seine Ausbildung in der Mindeststudienzeit, also vor Ablauf der Förderungshöchstdauer beendete (vgl. BTDrucks 7/2098, S. 20 zu Nr. 16). Dies war möglich, weil die Förderungshöchstdauer damals die Mindeststudienzeit um ein bis zwei Semester überstieg, um mindestens ein Semester zur freieren Studiengestaltung bereitzustellen (siehe dazu unten 3. a). Bei einem Abschluss des Studiums innerhalb der Mindeststudienzeit wurde das Studium mithin in der Regel mindestens ein Semester vor dem Ablauf der Förderungshöchstdauer beendet.

11

Durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (6. BAföGÄndG) vom 16. Juli 1979 (BGBl I S. 1037) wurden die Möglichkeiten, einen Teilerlass des Darlehens zu erreichen, dahingehend erweitert, dass hierfür schon ein Abschluss der Ausbildung vier Monate vor dem Ablauf der Förderungshöchstdauer genügte. Dadurch sollten ungerechtfertigte Härten vermieden werden, gleichzeitig aber ein Anreiz zur vorzeitigen Beendigung des Studiums erhalten bleiben (vgl. BTDrucks 8/2868, S. 23). Zur Milderung von Härten bei Verfehlung des Stichtags, insbesondere wegen nicht vom Auszubildenden zu vertretender Verzögerungen im Prüfungsablauf (vgl. BTDrucks 11/1315, S. 12 zu Nr. 9 Buchtstabe b), führte das Elfte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (11. BAföGÄndG) vom 21. Juni 1988 (BGBl I S. 829) schließlich den kleinen Teilerlass ein, der auf einen Abschluss der Ausbildung zwei Monate vor Ablauf der Förderungshöchstdauer abstellte.

12

3. a) Die Förderungshöchstdauer wurde zunächst in einer vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft beziehungsweise Bildung und Forschung erlassenen Rechtsverordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen (FörderungshöchstdauerV) geregelt. In ihrer ursprünglichen Fassung vom 9. November 1972 (BGBl I S. 2076) setzte sie für die einzelnen Ausbildungs- und Studiengänge jeweils eine bestimmte Anzahl an vollen Semestern als Förderungshöchstdauer fest. Dabei orientierte sie sich an den landesrechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen, die damals noch überwiegend eine Mindestausbildungsdauer vorschrieben. Die Förderungshöchstdauer wurde dabei grundsätzlich so bemessen, dass dem Auszubildenden über die Mindestausbildungsdauer hinaus noch ein Semester zur Ablegung des Examens, soweit dies nach den Ausbildungsbestimmungen erforderlich war, und ein weiteres Semester zur freieren Studiengestaltung zur Verfügung stand (vgl. BRDrucks 483/72, S. 2 der Begründung zu §§ 4 und 5).

13

Als die landesrechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen aufgrund der Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes (HRG) vom 26. Januar 1976 (BGBl I S. 185) dazu übergingen, anstelle von Mindeststudienzeiten Regelstudienzeiten festzusetzen, änderten sich seit Mitte der 1980er Jahre auch die Prinzipien der Bemessung der Förderungshöchstdauer. Die Förderungshöchstdauerverordnung glich zunächst bei neuen Studiengängen, nach und nach aber auch bei herkömmlichen Studiengängen die Förderungshöchstdauer an die Regelstudienzeit an (vgl. im Einzelnen hierzu BRDrucks 238/85, S. 9 f., BRDrucks 249/88, S. 11 f., BRDrucks 610/92, S. 22 und BRDrucks 236/94, S. 13).

14

Auch die durch das Achtzehnte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (18. BAföGÄndG) vom 17. Juli 1996 (BGBl I S. 1006) mit Wirkung zum 1. August 1996 eingeführte bundesgesetzliche Regelung der Förderungshöchstdauer in § 15a BAföG orientierte sich nach der Begründung des Gesetzentwurfs an den Regelstudienzeiten (vgl. BRDrucks 886/95, S. 35). Seit dem 1. April 2001 (Fassung des Ausbildungsförderungsreformgesetzes , vgl. oben 2. a) ordnet § 15a Abs. 1 Satz 1 BAföG ausdrücklich an, dass die Förderungshöchstdauer der Regelstudienzeit im Sinne von § 10 Abs. 2 HRG oder einer vergleichbaren Festsetzung entspricht.

15

b) Für Studiengänge in den neuen Ländern galt das Prinzip der Bemessung der Förderungshöchstdauer nach der Regelstudienzeit bereits seit der Wiedervereinigung uneingeschränkt. Der durch Anlage I Kapitel XVI Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 3 Buchstabe b und Nr. 5 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Verbindung mit Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885, 1132) zum 1. Januar 1991 eingeführte § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV sah vor:

16

§ 9

17

Vorläufige Förderungshöchstdauer bei nicht genannten Ausbildungen

18

19

(2) Die Förderungshöchstdauer für die Ausbildung an Hochschulen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und in dem Teil des Landes Berlin, in dem die Verordnung bisher nicht galt, bestimmt sich nach der vom zuständigen Fachministerium in den Studienplänen für die jeweilige Fachrichtung festgelegten Regelstudienzeit.

20

c) Im Studiengang Humanmedizin wurde die Förderungshöchstdauer ausgehend von den unter a) dargestellten Bemessungsprinzipien unter Berücksichtigung der bundesrechtlichen Vorgaben des ärztlichen Berufsrechts festgesetzt.

21

aa) Das ärztliche Berufsrecht sieht seit den 1970er Jahren eine Mindeststudienzeit von sechs Jahren oder zwölf Semestern vor, die aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Koordinierung auch in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt (vgl. zuletzt Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ). Eine Approbation als Arzt erhält nur, wer nach einem Studium der Humanmedizin an einer wissenschaftlichen Hochschule von mindestens sechs Jahren die Ärztliche Prüfung bestanden hat (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Bundesärzteordnung, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte<ÄApprO>).

22

Die Approbationsordnung für Ärzte normiert seit Ende der 1970er Jahre auch die Regelstudienzeit für das Studium der Humanmedizin. Sie beträgt nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO sechs Jahre und drei Monate, d.h. zwölf Semester und den Prüfungszeitraum, und setzt sich aus der Mindeststudienzeit und der maximal notwendigen Zeit für die Ablegung des letzten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung zusammen, der nach § 16 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO jährlich in den Monaten April bis Juni und Oktober bis Dezember stattfindet (vgl. auch BRDrucks 6/78, S. 34, 41 f.).

23

Diese bundesrechtlichen Vorgaben galten auch für Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern, die sich ab 1992 oder ab 1991 immatrikulierten und das Physikum bis zum 31. Dezember 1994 bestanden (vgl. § 14a Abs. 4 BÄO i.d.F. der Anlage I Kapitel X Sachgebiet D Abschnitt II Nr. 1 Buchstabe h des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 i.V.m. Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 ). Dementsprechend setzte auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena, an der der Beschwerdeführer studiert hat, in § 1 Satz 2 ihrer Studienordnung für den Vorklinischen Studienabschnitt des Studienganges Humanmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 28. September 1993 (Amtsblatt des Thüringer Kultusministeriums und des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Nr. 9/1994, S. 336) die Regelstudienzeit auf sechs Jahre und drei Monate fest.

24

bb) Die Förderungshöchstdauer im Studiengang Humanmedizin wurde im Hinblick auf die im ärztlichen Berufsrecht vorgegebene Mindest- und Regelstudienzeit vor dem Hintergrund der sich wandelnden Bemessungsprinzipien mehrfach geändert.

25

Für Studierende, die ihr Studium der Humanmedizin nach dem 1. Januar 1970 aufgenommen hatten, galt zunächst eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semestern (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 38 und 39 FörderungshöchstdauerV i.d.F. vom 9. November 1972 ). Sie setzte sich aus der Mindeststudienzeit von sechs Jahren und einem weiteren Semester zur Absolvierung von Examina und zur freieren Studiengestaltung zusammen (vgl. BRDrucks 483/72, S. 2 der Begründung zu §§ 4 und 5). Vor dem Hintergrund der Änderung des § 16 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO, wonach der Dritte Abschnitt der Ärztlichen Prüfung erst innerhalb der ersten drei Monate des dreizehnten Fachsemesters abgelegt werden konnte, wurde die Förderungshöchstdauer Mitte 1979 rückwirkend zum 1. August 1974 auf vierzehn Semester erhöht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 38 i.d.F. der Dritten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen <3. FörderungshöchstdauerVÄndV> vom 25. Mai 1979 ). Nach der Begründung des Verordnungsgebers sollte auch Studierenden der Humanmedizin durch die Anhebung der Förderungshöchstdauer ein über die Mindeststudienzeit hinaus gehendes Fachsemester ermöglicht werden (vgl. BRDrucks 17/79, S. 23).

26

§ 5 Abs. 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV in der Fassung der Achten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen (8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV) vom 11. Juli 1988 (BGBl I S. 1029) setzte die Förderungshöchstdauer wieder herab, um sie an die in der Approbationsordnung für Ärzte geregelte Regelstudienzeit "anzugleichen" (vgl. BRDrucks 249/88, S. 15). Die Vorschrift, die für alle Studierenden der Humanmedizin galt, die ihr Studium nach dem 1. Oktober 1986 aufgenommen hatten (vgl. § 11b Abs. 3 FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV), lautet:

27

§ 5

28

Förderungshöchstdauer an wissenschaftlichen Hochschulen

29

(1) Die Förderungshöchstdauer für die Ausbildung an wissenschaftlichen Hochschulen beträgt für den

30

Studiengang

Semester

63. Medizin

13

31

32

Die Zehnte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen (10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV) vom 13. Juni 1994 (BGBl I S. 1257) änderte § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV erneut und setzte die Förderungshöchstdauer nunmehr auf die Regelstudienzeit von zwölf Semestern und drei Monaten herab. Zugleich führte sie eine Übergangsregelung in § 11d FörderungshöchstdauerV ein. Diese Vorschrift lautet:

33

§ 11d

34

Übergangsvorschrift 1994

35

In einem Studiengang, dessen Förderungshöchstdauer durch die Zehnte Verordnung zur Änderung dieser Verordnung vom 13. Juni 1994 (BGBl. I S. 1257) gekürzt wird, gilt für Auszubildende, die vor dem 1. Oktober 1994 das vierte Fachsemester vollendet haben, die bisherige Förderungshöchstdauer weiter.

36

In den neuen Ländern war die vollständige Anpassung der Förderungshöchstdauer an die bundesrechtlich vorgegebene Regelstudienzeit allerdings durch § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV schon früher erfolgt (siehe oben b).

37

Die der Regelstudienzeit entsprechende Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten wurde auch als besondere Regelung in § 15a Abs. 2 Nr. 3 BAföG in der seit dem 1. August 1996 geltenden Fassung des 18. BAföGÄndG (siehe dazu oben a) aufgenommen. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

38

§ 15a

39

Förderungshöchstdauer

40

41

(2) Abweichend von Absatz 1 beträgt die Förderungshöchstdauer für die Universitätsstudiengänge

42

3. Medizin, mit Ausnahme von Zahn- und Tiermedizin,

12 Semester

und 3 Monate.

43

Nach Maßgabe von § 15a Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 4 Satz 2 BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG galt allerdings die FörderungshöchstdauerV für solche Studierenden weiter, die vor dem 1. Oktober 1996 das vierte Fachsemester beendet hatten.

44

Die allgemeine Verweisung auf die Regelstudienstudienzeit in § 15a Abs. 1 Satz 1 BAföG in der seit dem 1. April 2001 geltenden Fassung des Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) (vgl. oben 2. a) machte diese Regelung schließlich entbehrlich.

45

4. Was die Möglichkeiten anbetrifft, einen großen Teilerlass nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG zu erhalten, stellt sich die Rechtslage für Studierende der Humanmedizin damit wie folgt dar: Studierenden, die ihr Studium in den neuen Ländern nach den Vorschriften der Approbationsordnung für Ärzte durchführten und abschlossen (siehe dazu 3. c) aa), war es von vornherein objektiv unmöglich, einen großen Teilerlass nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG zu erreichen. Sie konnten ihr Studium nicht vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer abschließen, da die Förderungshöchstdauer gemäß § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung entsprechend der Regelstudienzeit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO zwölf Semester und drei Monate betrug und eine Mindeststudienzeit von zwölf Semestern zu absolvieren war. Für Studierende der Humanmedizin, die ab dem Sommersemester 1993 ihr Studium in den alten Ländern aufgenommen hatten, gilt das gleiche (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV). Wer allerdings, wie bei einem Studienbeginn im Wintersemester 1992/1993 oder früher, am 1. Oktober 1994 sein viertes Fachsemester in den alten Ländern vollendet hatte, konnte bei einem Abschluss des Studiums vor Ablauf des zweiten Monats nach dem Ende des zwölften Semesters einen großen Teilerlass erhalten, da für ihn eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semestern galt (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV i.V.m. § 11d FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV).

II.

46

Der Beschwerdeführer begann im Wintersemester 1991/1992 ein Medizinstudium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und schloss es am 27. Oktober 1997 erfolgreich mit dem Bestehen des Dritten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung ab. Während des Studiums erhielt er Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die ihm zur Hälfte als unverzinsliches Darlehen gewährt wurde.

47

Bereits Ende 1994 erließ das Studentenwerk Erfurt einen Leistungs- und Rückforderungsbescheid, der als Ende der Förderungshöchstdauer September 1997 nannte. Auf den Widerspruch des Beschwerdeführers erging Anfang 1995 zunächst ein korrigierter Leistungsbescheid, in dem als Ende der Förderungshöchstdauer nunmehr der Dezember 1997 genannt war. Im April 1995 wurde sodann ein Abhilfebescheid hinsichtlich der angefochtenen Rückzahlungsverpflichtung erlassen, der zugleich die Förderungshöchstdauer auf sechs Jahre und drei Monate festlegte. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Beschwerdeführer hiergegen Klage und begehrte die Festsetzung des Endes der Förderungshöchstdauer auf März 1998, d.h. auf das Ende des dreizehnten Fachsemesters. Das Verwaltungsgericht Weimar wies die Klage als unzulässig ab, weil die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Förderungshöchstdauer keine Regelung im Sinne eines Verwaltungsakts enthielten. Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg, wenngleich das Thüringer Oberverwaltungsgericht der Auffassung des Verwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines Verwaltungsaktes widersprach.

48

Am 17. Juni 2002 erließ das Bundesverwaltungsamt einen Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid nach § 18 Abs. 5a BAföG, in dem es das Ende der Förderungshöchstdauer auf den letzten Tag des Monats Dezember 1997 festlegte und die Höhe der Darlehensschuld festsetzte. Mit zwei weiteren Bescheiden vom 28. Juni 2002 gewährte das Bundesverwaltungsamt dem Beschwerdeführer einen leistungsabhängigen Teilerlass sowie einen kleinen Teilerlass (1022,58 Euro = 2.000 DM), weil der Beschwerdeführer das Studium zwei Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer abgeschlossen habe. Der Beschwerdeführer hatte danach noch insgesamt 4.904,13 Euro zurückzuzahlen. Diese Summe würde sich bei vorzeitiger Rückzahlung auf 3.996,87 Euro reduzieren.

49

Mit seinem gegen den Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid einerseits und den Bescheid über die Gewährung eines kleinen Teilerlasses andererseits gerichteten Widerspruch machte der Beschwerdeführer geltend, das Ende der Förderungshöchstdauer müsse auf den letzten Tag des Monats März 1998 festgesetzt werden. Darüber hinaus sei ihm anstelle des kleinen Teilerlasses ein großer Teilerlass (2.556,46 Euro = 5.000 DM) zu gewähren. Seine nach Zurückweisung des Widerspruchs durch zwei separate Widerspruchsbescheide erhobenen Klagen auf die Festsetzung des Endes der Förderungshöchstdauer auf März 1998 einerseits und auf die Gewährung eines großen Teilerlasses nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG andererseits wies das Verwaltungsgericht Köln als unbegründet ab. Es könne offen bleiben, ob das Bundesverwaltungsamt an die zuvor vom Studentenwerk Erfurt verfügte Festsetzung der Förderungshöchstdauer gebunden sei. Auch wenn man dies zugunsten des Beschwerdeführers nicht annähme, habe es die Förderungshöchstdauer nach § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV zutreffend festgesetzt. § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es sei ein sachlicher Gesichtspunkt, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung des § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV den besonderen Verhältnissen an den Hochschulen in den neuen Ländern habe Rechnung tragen wollen. Unterschiede bei der Förderung in den alten und neuen Ländern seien für eine Übergangszeit hinzunehmen. Aufgrund des Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers bei der Regelung sozialer Vergünstigungen verstoße es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Bemessung der Förderungshöchstdauer nach § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV dazu führe, dass ein großer Teilerlass nicht erreichbar sei. Die normative Bestimmung einer Förderungshöchstdauer, die auf studienorganisatorische Besonderheiten keine Rücksicht nehme, verstoße nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht dadurch gegen den Gleichheitssatz, dass für Absolventen bestimmter Studiengänge ein Teilerlass nicht erreichbar sei. Entscheidend sei, dass die Förderungshöchstdauer so festgelegt werde, dass ein Abschluss der geförderten Ausbildung regelmäßig möglich sei. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete hingegen nicht, für die Rückzahlung Regelungen vorzusehen, die es in jedem Studiengang ermöglichten, grundsätzlich alle denkbaren Vergünstigungen - wie alle Varianten des leistungsabhängigen Teilerlasses oder des studiendauerabhängigen Teilerlasses - ausschöpfen zu können.

50

Die Anträge auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen als unbegründet ab. Zur Begründung führte es unter anderem aus, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV verstoße auch nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil - abweichend vom Regelungssystem in den alten Ländern - nicht gewährleistet gewesen sei, dass jedem Auszubildenden beim Besuch einer wissenschaftlichen Hochschule im Beitrittsgebiet über die Mindestausbildungsdauer hinaus generell ein weiteres Semester zur freien Verfügung gestanden habe. Die insoweit gegebene unterschiedliche Behandlung der Auszubildenden im Beitrittsgebiet und in den alten Ländern rechtfertige sich mit Blick auf die besondere Situation, die bei Abschluss des Einigungsvertrages für das Inkraftsetzen der Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes im Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 in Rechnung zu stellen gewesen sei. Die Anwendung dieser Vorschriften einschließlich der Normen über die Förderungshöchstdauer sei nämlich zunächst im Rahmen eines andersartigen, noch maßgeblich durch die ehemalige Deutsche Demokratische Republik geprägten Bildungssystems erfolgt, dessen Angleichung an die Bedingungen in den alten Ländern nur im Laufe eines längerwährenden Prozesses zu erwarten gewesen sei. Diese besondere Lage habe es ausgeschlossen, die Regelungen der Förderungshöchstdauerverordnung für die alten Länder auf das Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 zu übertragen. Mit der Anknüpfung an die Regelstudienzeit in § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV sei eine Bestimmung getroffen worden, die diese Besonderheiten berücksichtigte und deren im Einzelfall nachteiligen Folgen die Auszubildenden für eine Übergangszeit hinzunehmen hätten.

III.

51

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unmittelbar gegen den Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid und den Bescheid über die Gewährung eines kleinen Teilerlasses sowie die hierzu ergangenen Widerspruchsbescheide und gerichtlichen Entscheidungen. Mittelbar richtet er sich gegen § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV sowie § 15a Abs. 2 Nr. 3 BAföG in der seit dem 1. August 1996 geltenden Fassung. Er rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Studierende der Humanmedizin würden im Verhältnis zu Studierenden anderer Studienrichtungen, zum Beispiel Jurastudenten, in nicht gerechtfertigter Weise dadurch ungleich behandelt, dass bei ihnen ein großer Teilerlass von vornherein nicht möglich sei. Zudem dürfe die Förderungshöchstdauer nicht unterschiedlich in den neuen und alten Ländern geregelt werden, da das Medizinstudium in Detailfragen bundeseinheitlich geregelt sei. Die vom Verwaltungsgericht und vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Gründe studienorganisatorischer Art und die angeführten Besonderheiten an den Hochschulen in den neuen Ländern hätten mit der Frage der Förderungshöchstdauer und der Möglichkeit eines großen Teilerlasses nichts zu tun. Es liege deshalb auch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern vor, für die bei einem Studienbeginn zum Wintersemester 1991/1992 eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semestern gegolten habe und für die ein großer Teilerlass objektiv möglich gewesen sei.

IV.

52

Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der für das Ausbildungsförderungsrecht zuständige 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der Marburger Bund, der NAV Virchow-Bund, das Deutsche Studentenwerk und der Wissenschaftsrat geäußert.

53

1. Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der nach eigenen Angaben bislang nicht mit der durch die Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Problematik befasst war, ist der Auffassung, dass der Beschwerdeführer durch die Versagung des großen Teilerlasses in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sei. Er verweist auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts  , wonach bei der Festlegung der Förderungshöchstdauer zu gewährleisten sei, dass regelmäßig ein Semester zur freieren Verfügung des Auszubildenden stehe (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1983 - BVerwG 5 C 50.81 -, juris Rn. 8; BVerwGE 88, 151 <155 f.>; BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 11 C 26.94 -, juris Rn. 22). Es liege nahe, dass es dann grundsätzlich auch möglich sein müsse, zumindest in diesem Verfügungssemester eine Ausbildung vier Monate vor Ablauf der Förderungshöchstdauer zu beenden. Es liege in jedem Fall auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung, eine Förderungshöchstdauer zu verlangen, die den Auszubildenden so viel zeitlichen Spielraum für die Ausbildung lasse, dass sie objektiv in allen Studiengängen die Voraussetzungen für den großen Teilerlass erreichen könnten. Hierfür spreche neben dem Wortlaut der Regelung auch ihr für alle Studiengänge gleichermaßen geltender Sinn, einen finanziellen Anreiz für eine zügige Durchführung der Ausbildung zu setzen. Im Ergebnis sei auch die unterschiedliche Behandlung von Studierenden nach dem Standort der Hochschule mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Für Studiengänge, für die bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Ausbildungsförderungsrechts im Beitrittsgebiet kraft Bundesrechts an ostdeutschen und westdeutschen Hochschulen dieselben Ausbildungs- und Prüfungsregelungen galten, habe kein tragfähiger Grund für die ungleiche Behandlung in Bezug auf die Förderungshöchstdauer bestanden.

54

2. Der Marburger Bund hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für begründet. Es liege ein zweifacher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowohl im Hinblick auf die Ungleichbehandlung zwischen den Studierenden der Humanmedizin der alten und der neuen Länder durch § 9 FörderungshöchstdauerV als auch zwischen den Studierenden der Humanmedizin und denen anderer Studiengänge vor. Etwaige organisatorische Besonderheiten in den neuen Ländern hätten eher zu einer Verlängerung der Förderungshöchstdauer führen müssen. Nach einer Mitgliederbefragung habe es zwischen den Studienbedingungen im Beitrittsgebiet und in den alten Ländern keine Unterschiede gegeben, so dass ein Studienabschluss jeweils grundsätzlich in derselben Zeit erreichbar gewesen sei. Der Ausschluss von der Möglichkeit, einen großen Teilerlass zu erhalten, sei nicht mit dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu rechtfertigen. Die Grenzen zulässiger Typisierung und Pauschalierung seien überschritten, zumal mit dem Kreis der Studierenden der Humanmedizin an den ostdeutschen Universitäten keine zahlenmäßig kleine Gruppe betroffen sei. Der NAV Virchow-Bund folgt in der Sache gleichfalls der Argumentation des Beschwerdeführers.

55

3. Das Deutsche Studentenwerk und der Wissenschaftsrat nehmen in ihren Äußerungen Bezug auf die vom Wissenschaftsrat veröffentlichten Studien zur "Entwicklung der Fachstudiendauer an Universitäten von 1990 bis 1998" (Drs. 4770-01 vom 15. Februar 2001, S. 80 ff. und Anhang I, S. 118 f.) beziehungsweise "von 1999 bis 2003" (Drs. 6825/05 vom 29. August 2005, S. 100 und Anhang I, S. 170). Aus ihnen geht hervor, dass die mittlere Fachstudiendauer im Studienfach Humanmedizin an den meisten Universitäten in den neuen Ländern im Jahre 1998 deutlich und im Jahre 2003 geringfügig niedriger war als an den Universitäten in den alten Ländern. Als Gründe gälten die völlige Neukonzeption der Studiengänge in den neuen Ländern nach der Wende, in denen die Studien- und Prüfungsordnungen realitätsnäher gewesen seien als die über Jahre hinweg nicht evaluierten Ordnungen in den alten Ländern. Letztlich sei auch die Betreuungsrelation besser gewesen als in den alten Ländern.

B.

56

Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig.

I.

57

Die Verfassungsbeschwerde ist allerdings unzulässig, soweit der Beschwerdeführer als selbstständigen Beschwerdegegenstand die Festsetzung der Förderungshöchstdauer und die hierzu ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen sowie mittelbar die Vorschriften des § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV und des § 15a Abs. 2 Nr. 3 BAföG in der vom 1. August 1996 bis zum 31. März 2001 geltenden Fassung angreift, aus denen sich die für den Beschwerdeführer festgesetzte Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten ergibt.

58

Es kann dahinstehen, ob dem Beschwerdeführer insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, als die Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten und ihr Ende im Dezember 1997 bereits durch die Bescheide des Studentenwerkes Erfurt von Ende 1994 bzw. Anfang 1995 bestandskräftig festgestellt worden und das Bundesverwaltungsamt bei Erlass des hier angefochtenen Feststellungs- und Rückzahlungsbescheides vom 17. Juni 2002 an diese Festsetzungen mit der Folge gebunden gewesen wäre, dass die in den Ausgangsverfahren begehrte Festsetzung des Endes der Förderungshöchstdauer auf März 1998 nicht in Betracht käme.

59

Jedenfalls ist der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt, weil er durch die Förderungshöchstdauer als solche nicht in seinen Grundrechten verletzt sein kann. Für den Beschwerdeführer galt zwar eine niedrigere Förderungshöchstdauer als für Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern. Hinsichtlich der primären Rechtswirkung der Förderungshöchstdauer, die Gewährung von Ausbildungsförderung zeitlich zu begrenzen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 BAföG), ist dem Beschwerdeführer selbst jedoch kein Nachteil entstanden. Er hat sein Studium innerhalb der für ihn maßgeblichen Förderungshöchstdauer abgeschlossen und für dessen gesamte Dauer Ausbildungsförderung erhalten. § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV und die darauf gestützten Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen enthalten damit keine unmittelbare verfassungsrechtliche Beschwer für den Beschwerdeführer.

60

Allerdings wirken sich die Vorschriften zur Förderungshöchstdauer indirekt nachteilig für den Beschwerdeführer aus, weil die Gewährung eines großen Teilerlasses nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG auch von der für ihn geltenden Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten abhängt. Doch ist eine Verfassungsbeschwerde nur gegen denjenigen Akt öffentlicher Gewalt zulässig, der die geltend gemachte Grundrechtsverletzung bewirkt (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. August 2010 - 1 BvR 2393/08 u.a. -, juris Rn. 19, 30). Das ist hier die Versagung des Teilerlasses.

II.

61

Zulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Versagung eines großen Teilerlasses und die hierzu ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen richtet. Er hat insoweit den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend hinreichend substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG aufgezeigt. Sinngemäß richtet sich seine Verfassungsbeschwerde ausweislich ihrer Begründung mittelbar gegen § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG in Verbindung mit den für den Beschwerdeführer einschlägigen Vorschriften zur Förderungs-höchstdauer einerseits und zur Mindeststudienzeit andererseits. Der Beschwer-deführer hat diese Vorschrift zwar nicht ausdrücklich als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde bezeichnet. Doch sind seine Ausführungen entsprechend auszulegen (vgl. BVerfGE 68, 1 <68 f.>).

C.

62

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Der Beschwerdeführer wird durch § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften zur Förderungshöchstdauer (§ 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO) einerseits und zur Mindeststudienzeit (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO) andererseits und durch die daraus folgende Versagung eines großen Teilerlasses in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil es ihm als Studierendem der Humanmedizin in den neuen Ländern von vornherein objektiv unmöglich war, in den Genuss eines großen Teilerlasses zu kommen.

I.

63

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416> m.w.N.). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Ausschluss (vgl. BVerfGE 93, 386 <396>; 105, 73 <110 ff., 133>), bei dem eine Begünstigung dem einem Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 <431>; 112, 164 <174>; 126, 400 <416> m.w.N.).

64

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 122, 1 <23>; 126, 400 <416> m.w.N.). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 88, 87 <97>; 93, 386 <397>; 99, 367 <389>; 105, 73 <110>; 107, 27 <46>; 110, 412 <432>).

65

Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416> m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>). Im Übrigen hängt das Maß der Bindung unter anderem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 14/09 -, juris Rn. 45).

II.

66

§ 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften zur Förderungshöchstdauer (hier § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO) einerseits und zur Mindeststudienzeit (hier § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO) andererseits und die darauf beruhende Versagung eines großen Teilerlasses für den Beschwerdeführer sind selbst bei Anlegung eines großzügigen Prüfungsmaßstabes mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

67

1. Der Beschwerdeführer wird als Student der Humanmedizin in den neuen Ländern zum einen gegenüber Studierenden der Humanmedizin, die im Wintersemester 1992/1993 oder früher ihr Studium in den alten Ländern aufgenommen und im Sommersemester 1994 ihr viertes Fachsemester vollendet haben, ungleich behandelt. Während für letztere nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV in der Fassung der 8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV in Verbindung mit § 11d FörderungshöchstdauerV in der Fassung der 10. BAföG- FörderungshöchstdauerVÄndV eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semester galt und sie damit bei einem Abschluss des Studiums vor Ablauf des zweiten Monats nach dem Ablauf der Mindeststudienzeit von zwölf Semestern einen großen Teilerlass erhalten konnten, war dies dem Beschwerdeführer nicht möglich. Denn er konnte sein Studium wegen der bundesrechtlich vorgegebenen Mindeststudienzeit von zwölf Semestern einerseits und der für Studierende in den neuen Ländern geltenden, der Regelstudienzeit entsprechenden Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten andererseits nicht vier Monate vor dem Ablauf der Förderungshöchstdauer beenden. Zum anderen liegt eine Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden anderer Studiengänge vor, in denen entweder gar keine Mindeststudienzeit gilt oder Mindeststudienzeit und Förderungshöchstdauer so bemessen sind, dass ein Abschluss des Studiums vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer möglich bleibt.

68

2. Tragfähige Gründe für die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlungen sind nicht erkennbar. Sie ergeben sich weder aus den Materialien zum Bundesausbildungsförderungsgesetz noch aus der Begründung der Förderungshöchstdauerverordnung. Auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist hierzu nichts vorgetragen worden.

69

a) Für die Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern bestehen keine tragfähigen Sachgründe. Zwar durfte der Gesetzgeber bei der Gewährung von Leistungen einen Spielraum in Anspruch nehmen. Doch erlaubt ihm dieser nicht, Studierende in den neuen Ländern ohne sachangemessene Gründe von einer Begünstigung auszuschließen. Dabei kann dahinstehen, ob im Studiengang Humanmedizin in den neuen Ländern in den 1990er Jahren Studienbedingungen geherrscht haben, die einen schnelleren Studienabschluss als an Universitäten in den alten Ländern ermöglich haben, und es deshalb ungeachtet der bundeseinheitlich vorgegebenen Studieninhalte verfassungsrechtlich zulässig war, die Förderungshöchstdauer in den neuen Ländern übergangsweise niedriger festzusetzen als in den alten Ländern. Zwar darf der Gesetzgeber insbesondere auch zur Bewältigung der Folgen der Deutschen Einheit Regeln treffen, mit denen auch Härten einhergehen können. Doch ließe sich damit allenfalls rechtfertigen, Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern für eine kürzere Dauer zu fördern, weil sie ihr Studium früher abschließen konnten als Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern. Nicht zu rechtfertigen wäre es jedoch, deshalb keinen großen Teilerlass für den Darlehensteil bereits ausgezahlter Förderung zu gewähren. Der Sinn und Zweck des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG, Anreize für einen möglichst raschen Studienabschluss vor dem Ende der Förderungshöchstdauer zu setzen (vgl. oben A. I. 2. b), besteht gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern ebenso wie in den alten Ländern. Die Mindeststudienzeit von zwölf Semestern, die einem schnellen Studienabschluss Grenzen setzt, gilt kraft bundesgesetzlicher Anordnung für alle Studierenden der Humanmedizin. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, warum Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern die Begünstigung eines großen Teilerlasses von vornherein versagt blieb, während sie Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern nach der Wiedervereinigung noch übergangsweise offen stand.

70

b) Die Ungleichbehandlung sowohl gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern als auch gegenüber Studierenden anderer Fachrichtungen lässt sich nicht mit der Befugnis des Gesetzgebers rechtfertigen, bei der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen. Die Voraussetzungen dafür liegen hier nicht vor.

71

aa) Der Gesetzgeber ist zwar von Verfassungs wegen nicht gehalten, sämtliche studienorganisatorischen Besonderheiten zu berücksichtigen und zu überprüfen, ob es nach den individuellen Studienbedingungen eines jeden Studierenden in jedem Studiengang und an jeder Universität möglich ist, das Studium vier Monate vor Ablauf der Förderungshöchstdauer zu beenden. Er muss die Verwaltung auch nicht zu einer entsprechenden umfangreichen Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung individueller Härten verpflichten. Generelle Hinderungsgründe, die sich wie hier die bindenden Mindeststudienzeiten aus Rechtsvorschriften ergeben, müssen aber in einer Regelung über die Gewährung eines studiendauerabhängigen Teilerlasses berücksichtigt werden.

72

Die unzureichende Berücksichtigung gesetzlicher Mindeststudienzeiten und ihres Verhältnisses zur Förderungshöchstdauer kann gesamte Studiengänge und damit eine große Anzahl von Studierenden von der Möglichkeit eines großen Teilerlasses ausschließen. Gerade die hier betroffene Gruppe der Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern ist zahlenmäßig nicht unbedeutend. So schlossen beispielsweise im Jahre 1998 insgesamt 1088 deutsche Erstabsolventen ihr Medizinstudium an Universitäten in den neuen Ländern ab (vgl. Wissenschaftsrat, Entwicklung der Fachstudiendauer an Universitäten von 1990 bis 1998, Drs. 4770-01 vom 15. Februar 2001, Anhang I, S. 118). Geht man entsprechend der Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks für das Jahr 1997 davon aus, dass 17 % der Studierenden der Humanmedizin Leistungen nach dem BAföG erhalten haben, waren allein im Jahre 1998 ca. 185 Studierende von dem Begünstigungsausschluss betroffen. Seit Inkrafttreten von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV in der Fassung der 10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV gilt im Übrigen für alle Studierenden der Humanmedizin im gesamten Bundesgebiet eine Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten, so dass seitdem kein Studierender der Humanmedizin mehr von einem großen Teilerlass profitieren kann.

73

bb) Der Ausschluss größerer Gruppen von Studierenden von der Chance eines großen Teilerlasses wegen studiengangsbezogener Mindeststudienzeiten ist ohne unzumutbaren Aufwand vermeidbar, indem die Regeln über Teilerlass, Förderungshöchstdauer und Mindeststudienzeit aufeinander abgestimmt werden. Es sind keine verwaltungspraktischen Hindernisse oder sonstige Gründe ersichtlich, die diesen Ausschluss geböten. Er hat seine Ursache vielmehr in der fehlenden Abstimmung derjenigen Regeln, die für den großen Teilerlass von Bedeutung sind. Dies lässt sich nicht mit Typisierungs- und Pauschalierungserwägungen rechtfertigen. So gewährleistete die ursprüngliche Konzeption des studiendauerabhängigen Teilerlasses unter Berücksichtigung der früheren Bemessungsprinzipien der Förderungshöchstdauer, dass Mindeststudienzeiten einem Teilerlass nicht entgegenstanden. Da die Förderungshöchstdauer bis Mitte der 1980er Jahre die Mindeststudienzeit immer um mindestens ein Semester überstieg (vgl. oben A. I. 3. a), war ein Teilerlass, der in Höhe von 2.000 DM für jedes Semester gewährt wurde, um das ein Auszubildender seine Ausbildung vor dem Ende der Förderungshöchstdauer beendete (vgl. oben A. I. 2. b), in jedem Studiengang objektiv möglich. Dies hat sich jedoch geändert, weil sich die Förderungshöchstdauer mehr und mehr an der Regelstudienzeit orientierte. In Studiengängen, in denen die Förderungshöchstdauer nunmehr der Regelstudienzeit entsprach und diese sich aus der bisherigen Mindeststudienzeit und der notwendigen Examenszeit zusammensetzte, wie dies im Studium der Humanmedizin der Fall ist (vgl. BRDrucks 6/78, S. 34, 41 f., und oben A. I. 3. c) aa), war damit ein Abschluss des Studiums ein volles Semester vor dem Ende der Förderungshöchstdauer nicht mehr möglich. Die Verkürzung des für einen großen Teilerlass notwendigen Zeitraums zwischen dem erfolgreichen Abschluss des Studiums und dem Ende der Förderungshöchstdauer von einem Semester, d.h. sechs Monaten, auf vier Monate war nicht auf die gewandelte Förderungshöchstdauer abgestimmt und hat, wie der vorliegende Fall zeigt, die Problematik, dass Mindeststudienzeiten einem Studienabschluss vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer entgegenstehen können, nicht beseitigt.

74

c) Die Benachteiligung gegenüber Studierenden anderer Studiengänge ist nicht durch andere Sachgründe gerechtfertigt. Zwar zeichnet sich der Studiengang Humanmedizin durch die höchste Förderungshöchstdauer von allen universitären Studiengängen aus. Dies ist jedoch dem außergewöhnlichen Umfang des Studiums und der gesetzlich bestimmten und auch europarechtlich vorgegebenen Mindeststudienzeit geschuldet. Die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dienen primär dazu, einen erfolgreichen Studienabschluss zu gewährleisten und werden deshalb für die gesamte erforderliche Dauer des Studiums gezahlt. Die Studienwahl selbst ist frei. Es ist damit nicht durch einen tragfähigen Sachgrund gerechtfertigt, wenn Studierenden ein großer Teilerlass deshalb versagt wird, weil sie sich in gesetzlich gebilligter Weise für ein umfangreiches Studium entschieden haben.

75

Im Übrigen besteht aus Sicht der Geförderten bei langer Studien- und Förderungsdauer ein größeres Bedürfnis für einen großen Teilerlass, da die zurückzuzahlende Darlehenssumme in der Regel höher ausfällt als bei kürzeren Studiengängen. Dies gilt in besonderem Maße für solche Studierenden, die, wie der Beschwerdeführer, ihr Studium vor dem 28. Februar 2001 abgeschlossen haben und für die deshalb die Begrenzung der zurückzuzahlenden Darlehenssumme auf 10.000 Euro nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht eingreift. Der große Teilerlass, der anders als der leistungsabhängige Teilerlass nach § 18b Abs. 2 BAföG nicht in Form eines prozentualen Anteils der gesamten Darlehenssumme, sondern in Ge-stalt eines fixen Betrages gewährt wird, wirkt sich zudem bei langer Förderungsdauer und damit hoher Darlehenssumme im Verhältnis geringfügiger aus als bei kürzerer Förderungsdauer.

76

Aufgrund der langen Studien- und Förderungsdauer im Studiengang Humanmedizin entsprechen Anreize zur zügigen Beendigung des Studiums auch in besonderem Maße dem Sinn und Zweck des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Zweck für Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern und ab Sommersemester 1993 auch für Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern als verfehlt anzusehen wäre und sie deshalb gegenüber Studierenden anderer Fachrichtungen schlechter gestellt werden dürften.

77

d) Die Gewährung eines kleinen Teilerlasses nach § 18b Abs. 3 Satz 2 BAföG, den der Beschwerdeführer erhalten hat, kompensiert nicht die Versagung eines großen Teilerlasses. Dass Studierende der Humanmedizin wie andere Studierende in den Genuss eines kleinen Teilerlasses kommen können, rechtfertigt es nicht, ihnen die Begünstigung eines großen Teilerlasses vorzuenthalten, dessen Voraussetzungen andere Studierende erfüllen können.

D.

I.

78

1. a) § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG ist für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Eine verfassungskonforme Auslegung scheidet wegen der strikten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen großen Teilerlass aus. In entsprechender Anwendung von § 78 Satz 2 BVerfGG ist die Rechtsfolge der Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG auch für die späteren Fassungen des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG (Fassungen des Ausbildungsförderungsreformgesetzes und des 23. BAföGÄndG, vgl. oben A. I. 2. a) auszusprechen, weil dies im Interesse der Rechtsklarheit geboten ist.

79

b) Der festgestellte Verfassungsverstoß beschränkt sich auf die Fälle, in denen § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in Verbindung mit den Vorschriften zur Mindeststudienzeit einerseits und zur Förderungshöchstdauer andererseits dazu führt, dass Studierenden in ihrem Studiengang ein großer Teilerlass von vornherein objektiv unmöglich ist, weil sie ihr Studium nicht mindestens vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer beenden können. In entsprechender Anwendung von § 78 Satz 2 BVerfGG wird die Unvereinbarkeit auch über die der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende Fallkonstellation eines Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern hinaus erklärt, weil dies im Interesse der Rechtsklarheit geboten ist (vgl. BVerfGE 19, 206 <225 f.>; 40, 296 <328 f.>; 45, 104 <119, 139>). Sie führt nicht nur im konkreten Fall in Verbindung mit der sich aus § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV und § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO ergebenden Förderungshöchstdauer einerseits und der sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO und § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO ergebenden Mindeststudienzeit andererseits zu einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG bei Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt darüber hinaus bei Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern ab Sommersemester 1993 gegenüber Studierenden in solchen Studiengängen vor, die die Voraussetzungen des großen Teilerlasses nach Maßgabe der für sie geltenden Mindeststudienzeiten und Förderungshöchstdauer grundsätzlich erfüllen können. Ein entsprechender Gleichheitsverstoß gilt auch für alle anderen Studiengänge, in denen Mindeststudienzeiten vorgeschrieben sind und eine Förderungshöchstdauer gilt, die um weniger als vier Monate über der Mindeststudienzeit liegt.

80

2. a) Als Folge der Unvereinbarkeitserklärung dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden; laufende Verfahren sind auszusetzen (vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>; 126, 400 <431>).

81

b) Die Unvereinbarkeitserklärung hat weiterhin zur Folge, dass der Gesetzgeber zur rückwirkenden, gleichheitsgerechten Neuregelung für den gesamten Zeitraum verpflichtet ist, auf den sich die Unvereinbarkeitserklärung bezieht (vgl. BVerfGE 87, 153 <178>; 99, 280 <298>; 105, 73 <134>; 107, 27 <58>; 110, 94 <138>). Dies bedeutet, dass die Neuregelung unabhängig vom Zeitpunkt des Studienabschlusses alle noch nicht bestands- oder rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erfassen muss, die die Gewährung eines großen Teilerlasses zum Gegenstand haben und einen Studiengang betreffen, in dem wegen Rechtsvorschriften zu Mindeststudienzeiten und zur Förderungshöchstdauer die Voraussetzungen des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG von vornherein nicht erfüllbar waren. Wie der Gesetzgeber den festgestellten Gleichheitsverstoß beseitigt, steht in seinem Ermessen. Die vollständige Abschaffung des Teilerlasses für Studierende, die ihr Studium nach dem 31. Dezember 2012 abschließen, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung und bleibt hiervon unberührt.

82

Bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Verfahren können demgegenüber von der rückwirkenden Neuregelung ausgenommen werden (vgl. BVerfGE 87, 153 <178>; 99, 280 <298>; 107, 27 <58>; 120, 125 <167>). Es bleibt dem Gesetzgeber zwar unbenommen, die Wirkung der vorliegenden Entscheidung auch auf bestandskräftige Bescheide zu erstrecken; von Verfassungs wegen verpflichtet ist er hierzu jedoch nicht (vgl. BVerfGE 104, 126 <150>; 115, 259 <276>).

83

c) Die Neuregelung hat bis zum 31. Dezember 2011 zu erfolgen. Es besteht keine Veranlassung, dem Gesetzgeber eine längere Frist zur Nachbesserung einzuräumen und während dieses Zeitraums die Fortgeltung der verfassungswidrigen Rechtslage anzuordnen. Seit Ende der 1970er Jahre wird über die Angemessenheit der Teilerlassregelung bei frühzeitiger Beendigung der Ausbildung diskutiert (vgl. BTDrucks 8/2868, S. 23; BTDrucks 11/1315, S. 12 zu Nr. 9 Buchtstabe b). Wie die Begründung des Gesetzentwurfs zum 23. BAföGÄndG zeigt, hatte der Gesetzgeber die Unstimmigkeiten von § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG auch bereits erkannt (vgl. BTDrucks 17/1551, S. 28 f. zu Nummer 13). Eine geordnete Finanz- und Haushaltsplanung ist durch die erforderliche Neuregelung ebenfalls nicht gefährdet.

II.

84

1. Die zur Versagung eines großen Teilerlasses ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsamtes, des Verwaltungsgerichts Köln und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sie beruhen auf der mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Rechtslage in Verbindung mit § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen sind aufzuheben; die Sache ist an das Verwaltungsgericht Köln zurückzuverweisen (vgl. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

85

2. Demgegenüber haben die allein zur Förderungshöchstdauer ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen Bestand, da die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig ist (vgl. B. I.). Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen.

III.

86

Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die volle Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers ist angemessen, weil dieser sein wesentliches Verfahrensziel erreicht hat (vgl. BVerfGE 79, 372 <378>; 104, 220 <238>). Die Auslagen sind dem Beschwerdeführer zu gleichen Teilen vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Bund zu erstatten, weil die aufgehobenen Entscheidungen von Gerichten des Landes Nordrhein-Westfalen getroffen worden sind, der Grund der Aufhebung aber in der Verfassungswidrigkeit einer bundesrechtlichen Vorschrift liegt (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Bauleitpläne sind von der Gemeinde in eigener Verantwortung aufzustellen. Der Beschluss, einen Bauleitplan aufzustellen, ist ortsüblich bekannt zu machen.

(2) Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind aufeinander abzustimmen. Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.

(3) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten.

(4) Für die Belange des Umweltschutzes nach § 1 Absatz 6 Nummer 7 und § 1a wird eine Umweltprüfung durchgeführt, in der die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen ermittelt werden und in einem Umweltbericht beschrieben und bewertet werden; die Anlage 1 zu diesem Gesetzbuch ist anzuwenden. Die Gemeinde legt dazu für jeden Bauleitplan fest, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad die Ermittlung der Belange für die Abwägung erforderlich ist. Die Umweltprüfung bezieht sich auf das, was nach gegenwärtigem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Bauleitplans angemessenerweise verlangt werden kann. Das Ergebnis der Umweltprüfung ist in der Abwägung zu berücksichtigen. Wird eine Umweltprüfung für das Plangebiet oder für Teile davon in einem Raumordnungs-, Flächennutzungs- oder Bebauungsplanverfahren durchgeführt, soll die Umweltprüfung in einem zeitlich nachfolgend oder gleichzeitig durchgeführten Bauleitplanverfahren auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden. Liegen Landschaftspläne oder sonstige Pläne nach § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe g vor, sind deren Bestandsaufnahmen und Bewertungen in der Umweltprüfung heranzuziehen.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzbuchs ist für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach diesem Gesetzbuch nur beachtlich, wenn

1.
entgegen § 2 Absatz 3 die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist;
2.
die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 Absatz 2, § 4a Absatz 3, Absatz 4 Satz 2, nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3, auch in Verbindung mit § 13a Absatz 2 Nummer 1 und § 13b, nach § 22 Absatz 9 Satz 2, § 34 Absatz 6 Satz 1 sowie § 35 Absatz 6 Satz 5 verletzt worden sind; dabei ist unbeachtlich, wenn
a)
bei Anwendung der Vorschriften einzelne Personen, Behörden oder sonstige Träger öffentlicher Belange nicht beteiligt worden sind, die entsprechenden Belange jedoch unerheblich waren oder in der Entscheidung berücksichtigt worden sind,
b)
einzelne Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, gefehlt haben,
c)
(weggefallen)
d)
bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 3 Absatz 2 Satz 1 nicht für die Dauer einer angemessenen längeren Frist im Internet veröffentlicht worden ist und die Begründung für die Annahme des Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes nachvollziehbar ist,
e)
bei Anwendung des § 3 Absatz 2 Satz 5 der Inhalt der Bekanntmachung zwar in das Internet eingestellt wurde, aber die Bekanntmachung und die nach § 3 Absatz 2 Satz 1 zu veröffentlichenden Unterlagen nicht über das zentrale Internetportal des Landes zugänglich gemacht wurden,
f)
bei Anwendung des § 13 Absatz 3 Satz 2 die Angabe darüber, dass von einer Umweltprüfung abgesehen wird, unterlassen wurde oder
g)
bei Anwendung des § 4a Absatz 3 Satz 4 oder des § 13, auch in Verbindung mit § 13a Absatz 2 Nummer 1 und § 13b, die Voraussetzungen für die Durchführung der Beteiligung nach diesen Vorschriften verkannt worden sind;
3.
die Vorschriften über die Begründung des Flächennutzungsplans und der Satzungen sowie ihrer Entwürfe nach §§ 2a, 3 Absatz 2, § 5 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 und Absatz 5, § 9 Absatz 8 und § 22 Absatz 10 verletzt worden sind; dabei ist unbeachtlich, wenn die Begründung des Flächennutzungsplans oder der Satzung oder ihr Entwurf unvollständig ist; abweichend von Halbsatz 2 ist eine Verletzung von Vorschriften in Bezug auf den Umweltbericht unbeachtlich, wenn die Begründung hierzu nur in unwesentlichen Punkten unvollständig ist;
4.
ein Beschluss der Gemeinde über den Flächennutzungsplan oder die Satzung nicht gefasst, eine Genehmigung nicht erteilt oder der mit der Bekanntmachung des Flächennutzungsplans oder der Satzung verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht worden ist.
Soweit in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 die Begründung in wesentlichen Punkten unvollständig ist, hat die Gemeinde auf Verlangen Auskunft zu erteilen, wenn ein berechtigtes Interesse dargelegt wird.

(2) Für die Rechtswirksamkeit der Bauleitpläne ist auch unbeachtlich, wenn

1.
die Anforderungen an die Aufstellung eines selbständigen Bebauungsplans (§ 8 Absatz 2 Satz 2) oder an die in § 8 Absatz 4 bezeichneten dringenden Gründe für die Aufstellung eines vorzeitigen Bebauungsplans nicht richtig beurteilt worden sind;
2.
§ 8 Absatz 2 Satz 1 hinsichtlich des Entwickelns des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan verletzt worden ist, ohne dass hierbei die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden ist;
3.
der Bebauungsplan aus einem Flächennutzungsplan entwickelt worden ist, dessen Unwirksamkeit sich wegen Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften einschließlich des § 6 nach Bekanntmachung des Bebauungsplans herausstellt;
4.
im Parallelverfahren gegen § 8 Absatz 3 verstoßen worden ist, ohne dass die geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden ist.

(2a) Für Bebauungspläne, die im beschleunigten Verfahren nach § 13a, auch in Verbindung mit § 13b, aufgestellt worden sind, gilt ergänzend zu den Absätzen 1 und 2 Folgendes:

1.
(weggefallen)
2.
Das Unterbleiben der Hinweise nach § 13a Absatz 3 ist für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans unbeachtlich.
3.
Beruht die Feststellung, dass eine Umweltprüfung unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 13a Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, gilt die Vorprüfung als ordnungsgemäß durchgeführt, wenn sie entsprechend den Vorgaben von § 13a Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 durchgeführt worden ist und ihr Ergebnis nachvollziehbar ist; dabei ist unbeachtlich, wenn einzelne Behörden oder sonstige Träger öffentlicher Belange nicht beteiligt worden sind; andernfalls besteht ein für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans beachtlicher Mangel.
4.
Die Beurteilung, dass der Ausschlussgrund nach § 13a Absatz 1 Satz 4 nicht vorliegt, gilt als zutreffend, wenn das Ergebnis nachvollziehbar ist und durch den Bebauungsplan nicht die Zulässigkeit von Vorhaben nach Spalte 1 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung begründet wird; andernfalls besteht ein für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans beachtlicher Mangel.

(3) Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan oder die Satzung maßgebend. Mängel, die Gegenstand der Regelung in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 sind, können nicht als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden; im Übrigen sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.

(4) Der Flächennutzungsplan oder die Satzung können durch ein ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. April 2009 - 2 K 4176/07 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Niederschlagswassergebühren.
Die Beklagte betreibt zur Beseitigung des in ihrem Gebiet anfallenden Abwassers Abwasseranlagen in Form eines Eigenbetriebs (Eigenbetrieb Stadtentwässerung Pforzheim - ESP) geführte öffentliche Einrichtung und erhebt für die Benutzung dieser Anlagen nach Maßgabe ihrer Satzung über die Gebührenerhebung für die Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen (Abwassergebührensatzung - AbwGebS) eine laufende Benutzungsgebühr.
Die Abwassergebühren wurden ursprünglich nach dem (einheitlichen) Frischwassermaßstab berechnet. Am 17.10.2006 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine neue, rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft tretende Abwassergebührensatzung, nach deren § 2 die Abwassergebühren getrennt für die auf den Grundstücken anfallende Schmutzwassermenge (Schmutzwassergebühr) und für die an den Kanal angeschlossenen gebührenrelevanten versiegelten Flächen (Niederschlagswassergebühr) erhoben werden. Die Schmutzwassergebühr beträgt gemäß § 7 Abs. 1 AbwGebS je Kubikmeter Schmutzwasser 1,86 EUR, die Niederschlagswassergebühr gemäß § 7 Abs. 3 AbwGebS je Quadratmeter anrechenbarer versiegelter Grundstücksfläche und Jahr 0,92 EUR. Über die Entstehung und die Fälligkeit der Gebühren trifft § 11 AbwGebS folgende Regelung:
(1) Die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren entsteht mit dem Tag, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt ist.
(2) Die Gebühren werden zwei Wochen nach Bekanntgabe des Gebührenbescheides fällig. …
(3) …
Die Klägerin ist Eigentümerin des im Gebiet der Beklagten gelegenen Grundstücks Flst.Nr. ... (... ...), dessen versiegelte Fläche von der Beklagten mit 934 m 2 angenommen wird. Mit Bescheid vom 11.1.2007 setzte die Beklagte auf dieser Grundlage die für das Grundstück für den Zeitraum 1.1. bis 27.12.2006 zu bezahlenden Niederschlagswassergebühren auf 849,86 EUR fest.
Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid am 15.1.2007 Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend, die Satzung vom 17.10.2006 sei rechtswidrig. Die Anordnung des rückwirkenden Inkrafttretens verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip in Form des Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Des Weiteren habe die Beklagte im Rahmen des Verfahrens zur Aufstellung der Satzung jegliche Transparenz vermissen lassen. Im Rahmen der Flächenermittlung seien erhebliche Versäumnisse unterlaufen. Die der Satzung zugrunde liegende Kalkulation der Abwassergebühren sei nicht transparent und nicht vollständig. Insbesondere dürfe es nicht zum Nachteil der Gebührenschuldner führen, dass der Eigenbetrieb Stadtentwässerung vollständig über Fremdkapital finanziert werde. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, dass die Gebührenkalkulation, die für das Jahr 2007 gefertigt worden sei, maßgebliche Aussagen für das Jahr 2006 treffen könne.
Die Beklagte wies den Widerspruch am 6.11.2007 mit der Begründung zurück, die Abwassergebührensatzung sei rechtmäßig. Die Satzung verstoße insbesondere nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Veranlagungsfläche sei ordnungsgemäß ermittelt worden. Die Stadt habe im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraums entschieden, den Entwässerungsbetrieb nicht mit Eigenkapital auszustatten, sondern ihm zur teilweisen Finanzierung des Anlagevermögens ein verzinsliches Trägerdarlehen zu gewähren. Das Darlehen habe damit Eigenkapital ersetzenden Charakter. Die hierauf entfallenden Zinsen stellten einen Ausgleich für die ansonsten zulässigerweise zu berücksichtigenden Eigenkapitalzinsen dar. Die Zinshöhe von 5,34 % im Jahre 2006 sei angemessen. Es entspreche der Erfahrung, dass sich die gebührenrelevante Abwassermenge gegenüber der Prognose allenfalls noch geringfügig verändere. Deshalb habe für die Jahre 2006 und 2007 von den gleichen Mengen wie für 2005 ausgegangen werden dürfen.
Die Klägerin hat am 7.12.2007 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben mit dem Antrag, die Bescheide der Beklagten vom 11.1. und 6.11.2007 aufzuheben. Zur Begründung hat sie zunächst ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie ausgeführt, es sei bereits fraglich, ob die Beklagte die Aufgabe der Abwasserbeseitigung auf den Eigenbetrieb Stadtentwässerung habe übertragen dürfen. Jedenfalls sei äußerst zweifelhaft sei, ob die Betriebskosten, die durch den Eigenbetrieb selbst verursacht würden, in die Gebührenkalkulation eingestellt werden dürften. Dadurch, dass der Eigenbetrieb Stadtentwässerung ausgegliedert und nicht mit Eigenkapital ausgestattet worden sei, seien Fremdfinanzierungskosten künstlich geschaffen worden, um den Gebührensatz höher ausgestalten zu können. Jedenfalls seien die zusätzlich geschaffenen Fremdfinanzierungskosten nicht erforderlich.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und erwidert: Die Einwohner seien bereits seit langer Zeit durch Informationsschreiben, umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit und begleitende Presseberichterstattung darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, eine gesplittete Abwassergebühr einzuführen. Sie hätten somit spätestens zum 1.1.2006 mit deren Einführung rechnen müssen. Die Gesamtheit der Gebührenpflichtigen werde durch die neue Satzung nicht ungünstiger gestellt. Ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot liege somit nicht vor. Ein neu zu gründendes Unternehmen könne durch Kapital finanziert werden, das der Eigentümer dem Unternehmen zur Verfügung stelle oder das von Dritten als Kredit oder Zuschuss gegeben werde. Der Eigentümer könne dem Unternehmen neben dem Eigenkapital auch Darlehen gewähren. Dies gelte als Kreditaufnahme durch den Eigenbetrieb. Der Gebührenkalkulation liege ein durchschnittlicher kalkulatorischer Zins in Höhe von 5,4 % zugrunde, der aus den Echtzinsaufwendungen für Fremddarlehen, Kassenkrediten und Trägerdarlehen abzüglich nicht gebührenfähiger Bauzeitzinsen im Verhältnis zum Anlagevermögen ermittelt worden sei. Für die Berechnung des Straßenentwässerungskostenanteils sei auf die Globalberechnung zur Ermittlung des Abwasserbeitrags vom März 2002 zurückgegriffen worden. Für die Beschlussfassung über den Gebührensatz 2006 habe sie auf eine Gebührenkalkulation zurückgreifen dürfen, die für das Wirtschaftsjahr 2007 erstellt worden sei. § 11 Abs. 1 AbwGebS sei rechtmäßig. Da eine Gebühr erst mit der Inanspruchnahme, also der Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen entstehen könne, sei diese Vorschrift dahin zu verstehen, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Stadtentwässerung und - kumulativ - mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe.
10 
Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Gemeinderat der Beklagten am 16.12.2008 eine rückwirkend zum 1.1.2008 in Kraft tretende Änderung des § 11 AbwGebS beschlossen. § 11 Abs. 1 AbwGebS lautet in der neuen Fassung nunmehr wie folgt:
11 
Die Gebührenschuld entsteht jeweils mit dem Ende des Abrechnungszeitraums. Abrechnungszeitraum ist für die Erhebung der Gebühren der Zeitraum, für den der Wasserverbrauch zur Berechnung des Entgelts für die Wasserlieferung festgestellt wird. Für die Erhebung der Niederschlagswassergebühr gilt dies mit der Maßgabe, dass der erste Abrechnungszeitraum jedoch frühestens mit dem Tag beginnt, an dem befestigte Flächen an die Stadtentwässerungsanlagen angeschlossen sind.
12 
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23.4.2009 die Bescheide der Beklagten vom 11.1. und 6.11.2007 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, die Abwassergebührensatzung der Beklagten sei für den von dem angefochtenen Bescheid betroffenen Zeitraum mangels einer gültigen Regelung über die Entstehung der Gebühr ungültig. Die Regelung über die Entstehung der Abgabenschuld gehöre nach § 2 Abs. 1 S. 2 KAG zum unverzichtbaren Mindestinhalt einer Satzung, soweit sie sich - wie im Falle von Abwassergebühren - nicht schon aus dem Gesetz ergebe. Bei Gebühren, die für die laufende Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben würden, sei eine eindeutige satzungsmäßige Bestimmung des Zeitintervalls, für welches die Gebühren jeweils anfallen sollten, erforderlich. Eine derartige Bestimmung enthalte die Abwassergebührensatzung für den hier betroffenen Zeitraum nicht. Hinsichtlich der Niederschlagswassergebühren könne man zwar möglicherweise aus dem Maßstab Quadratmeter anrechenbarerer versiegelter Fläche/Jahr schließen, dass Erhebungszeitraum das Kalenderjahr sein solle. Eine "eindeutige" Bestimmung enthalte die Satzung jedoch auch bei einer solchen Auslegung nicht. Hinsichtlich der Schmutzwassergebühr fehle es sogar an jeglichem Anhaltspunkt für den Erhebungszeitraum. Bei der Schmutzwassergebühr komme hinzu, dass die Höhe der Gebührenschuld zu dem nach der Abwassergebührensatzung maßgeblichen Entstehungszeitpunkt nicht berechenbar sei, da in diesem Zeitpunkt nicht feststehe, welche Wassermenge dem Grundstück aus der öffentlichen Wasserversorgung zugeführt werde. Der von der Beklagten für das Jahr 2006 beschlossene Gebührensatz sei außerdem unwirksam, da die dem Gemeinderat bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz vorliegende Gebührenkalkulation sich auf das Wirtschaftsjahr 2007 bezogen habe. Die Beklagte habe nicht darzulegen vermocht, dass die Kalkulation auch uneingeschränkt aussagekräftige Aussagen für das Jahr 2006 treffe. Ohnehin habe sich das Jahr 2006 bei der Beschlussfassung bereits dem Ende zugeneigt, so dass für dieses Jahr erhebliche Teile der Ausgaben bereits festgestanden und daher nicht mehr hätten prognostiziert werden müssen. Es liege zwar nahe, dass die Abwassermengen in den Jahren 2006 und 2007 nicht erheblich voneinander abwichen. Für die in der Gebührenkalkulation zu berücksichtigenden Ausgaben und Einnahmen lasse sich das jedoch nicht ohne weiteres annehmen. Ein Vergleich der ursprünglichen Gebührenkalkulation für das Jahr 2006 und der Gebührenkalkulation für das Jahr 2007 bestätige dies. Die Kosten der Abwasserbeseitigung in der Kalkulation für das Jahr 2007 von 23.722.400 EUR dürften der Sache nach den "bereinigten Aufwendungen aus 1.9." in der Kalkulation für das Jahr 2007 von 23.355.400 EUR entsprechen. Der Unterschied zwischen den beiden Beträgen von knapp 400.000 EUR könne kaum mehr als unerheblich bezeichnet werden. Zu derselben Gebührenobergrenze im Jahr 2007 sei die Beklagte des Weiteren nur gelangt, weil sie bei der Festsetzung des Gebührensatzes eine Unterdeckung in Höhe von 782.900 EUR einkalkuliert habe. Aus § 14 Abs. 2 Satz 2 KAG ergeb sich entgegen der Ansicht der Beklagten nichts anderes. Der Bestimmung lasse sich nicht entnehmen, dass für die Kalkulation eines Gebührensatzes für ein Jahr auf die Gebührenkalkulation für das nachfolgende Jahr zurückgegriffen werden dürfe. Es sei ferner zweifelhaft, ob die Gebührenkalkulation für das Jahr 2007 den Anforderungen genüge, die an eine ordnungsgemäße Gebührenkalkulation zu stellen seien. Eine Kalkulation nach Kostenstellen biete dem Gemeinderat möglicherweise kein ausreichendes Bild von der Ermittlung des Gebührenbedarfs. So seien bei dieser Art der Kalkulation weder die Höhe der Abschreibungen noch die Zinsbelastung aufgrund des von der Beklagten ihrem Eigenbetrieb gewährten Trägerdarlehens ausgewiesen. Würde es darauf ankommen, so wäre auch der Frage nachzugehen, ob es sich bei den aufgrund des Trägerdarlehens anfallenden Zinsen um auf die Gebührenzahler abwälzbare Kosten handele.
13 
Gegen das Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Die Beklagte macht geltend, die Satzung vom 17.10.2006 enthalte entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eine gültige Entstehensregelung. Da die Gebührenhöhe vorab festgelegt worden sei, könne der Gebührenschuldner bereits bei der Inanspruchnahme der öffentlichen Leistung die damit verbundene Gebühr erkennen. Die Bestimmung eines Erhebungszeitraums sei dafür nicht erforderlich. Von der Festlegung eines konkreten Zeitintervalls sei abgesehen worden, da die Gebühren nach einem "rollierenden System" erhoben würden, bei dem laufend Ablesungen vorgenommen und Gebührenbescheide erstellt würden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Satzung werde deutlich, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Entwässerung und (kumulativ) mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe. Der für das Jahr 2006 beschlossene Gebührensatz sei wirksam. Die für das Jahr 2007 erstellte Gebührenkalkulation sei nur herangezogen worden, um die Aufteilung der Gebühren in Schmutzwasser- und Niederschlagswassergebühren vornehmen zu können. Der Gemeinderat habe zuvor für das Jahr 2006 unter Berücksichtigung der restlichen Überdeckung aus dem Jahr 2002 und einem Anteil der Unterdeckung aus 2004 einen Gebührensatz von 2,72 EUR/m 3 festgesetzt. Er sei dabei von einer Abwassermenge von 6,1 Mio. m 3 und gebührenfähigen Gesamtkosten von 17.067.100 EUR ausgegangen, woraus sich eine zulässige Gebührenobergrenze von 2,79 EUR/m 3 ergeben habe. Bei der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr sei das sich aus dem beschlossenen Gebührensatz ergebende Gebührenaufkommen auf eine Schmutzwassergebühr von 1,86 EUR/m³ und eine Regenwassergebühr von 0,92 EUR/m² aufgeteilt worden. Aus welchen Gründen die von dem Verwaltungsgericht geforderte getrennte Ausweisung der Abschreibungen in der Gebührenkalkulation erforderlich sei, sei nicht ersichtlich. Die Gebührenkalkulation wähle einen anderen Ansatz, indem sie an einzelne "Kostenverursacher" anknüpfe. Dem Gemeinderat sei bewusst gewesen, dass in den einzelnen Beträgen Abschreibungen enthalten seien. Eine darüber hinausgehende Ausweisung sei nicht erforderlich. Im Übrigen hätten die auf S. 4 der Gebührenkalkulation genannten Anlagen dem Gemeinderat zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung gestanden. Der vereinbarte Zinssatz für das Trägerdarlehen von 6 % orientiere sich an der Zinsbelastung des städtischen Haushalts seit 1986 und bilde die durchschnittliche Zinsbelastung ab.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. April 2009 - 2 K 4176/07 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
16 
Die Klägerin beantragt,
17 
die Berufung zurückzuweisen.
18 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
19 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten der Beklagten sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Gebührenbescheid zu Recht aufgehoben. Die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende und diesen stützenden Abwassergebührensatzung der Beklagten ist für den von dem Bescheid betroffenen Zeitraum mangels einer gültigen Regelung über die Entstehung der Gebühr unwirksam (unten 1). Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt (unten 2).
21 
1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die - rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft getretene - Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, enthält diese Satzung keine ausreichende Regelung über die Entstehung der Gebühr und ist daher nichtig. Die am 16.12.2008 beschlossene Änderung der Satzung bleibt dabei außer Betracht, da die Änderung nach dem Willen der Beklagten erst am 1.1.2008 in Kraft treten soll und sich deshalb für den von dem angefochtenen Bescheid erfassten Zeitraum (1.1. bis 27.12.2006) keine Gültigkeit beimisst.
22 
a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen Gebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen ebenso wie andere Kommunalabgaben nur auf Grund einer (wirksamen) Satzung erhoben werden. Zum unverzichtbaren Mindestinhalt einer solchen Satzung gehört gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 KAG eine Regelung über die Entstehung der Abgabenschuld, soweit sich diese Rechtsfolge - wie im Falle von Abwassergebühren - nicht schon aus dem Gesetz herleiten lässt. Mit der Entstehung der Abgabenschuld kann die Abgabenforderung beim Abgabenpflichtigen geltend gemacht werden, sofern gesetzlich kein späterer Zeitpunkt für die Fälligkeit festgesetzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG in Verbindung mit § 220 Abs. 2 AO). Mit der Entstehung der Abgabenschuld beginnt außerdem die Festsetzungsverjährungsfrist zu laufen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG in Verbindung mit § 170 AO). Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 30.11.2000 - 2 S 2061/98 - BWGZ 2001, 269) muss sich deshalb beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung aus der Abgabensatzung mit hinreichender Klarheit ergeben, zu welchem Zeitpunkt die Abgabenschuld nach dem Willen des Satzungsgebers entstehen soll.
23 
An dieser Auffassung ist auch nach der Neufassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG durch das Gesetz zur Neuregelung des kommunalen Abgabenrechts und zur Änderung des Naturschutzgesetzes vom 17.3.2005 festzuhalten. Die Vorschrift legt auch in ihrer Neufassung den unverzichtbaren Mindestinhalt einer Abgabensatzung fest. Der Umstand, dass der Gesetzgeber das von der Vorschrift bisher verwendete Wort "muss" durch ein "soll" ersetzt hat, ändert daran nichts. Die Änderung hat ihren Grund in der Einbeziehung des Erschließungsbeitragsrechts in das Kommunalabgabengesetz (vgl. LT-Drs. 13/3966, S. 40) und erklärt sich dadurch, dass in der auch für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen erforderlichen Satzung wegen der völlig unterschiedlichen Kosten der einzelnen Erschließungsanlagen ein Abgabensatz nicht bestimmt werden kann. Für den Erlass von Benutzungsgebührensatzungen ergeben sich aus der geänderten Fassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG keine Konsequenzen. Das "soll" in dieser Vorschrift ist vielmehr in diesen Fällen in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage weiterhin wie ein "muss" zu lesen.
24 
b) Den sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 KAG ergebenden Anforderungen wird mit der Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006 nicht entsprochen.
25 
Entstehung und Fälligkeit der Gebührenschuld werden in § 11 AbwGebS geregelt. In seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung bestimmte Abs. 1 dieser Vorschrift, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren mit dem Tag entsteht, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt ist. Diese Regelung ist, wie auch die Beklagte einräumt, unvollständig. Nach § 13 Abs. 1 S. 1 KAG können Benutzungsgebühren nur für die (tatsächliche) Benutzung der öffentlichen Einrichtung erhoben werden, da erst dadurch das für eine solche Gebühr eigentümliche Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung begründet wird. Die bloße Möglichkeit der Benutzung einer öffentlichen Einrichtung oder der Umstand, dass durch die Einrichtung Vorteile geboten werden, reichen danach zur Gebührenerhebung nicht aus. Von der Beklagten wird dementsprechend vorgebracht, § 11 Abs. 1 AbwGebS bestimme, dass die Gebührenschuld frühestens mit dem Tag entstehe, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt sei. Da eine Gebühr aber erst mit der Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen entstehen könne, sei § 11 Abs. 1 AbwGebS dahin zu verstehen, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Stadtentwässerung und - kumulativ - mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe.
26 
Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 11 Abs. 1 AbwGebS wird von dem Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Anhaltspunkte dafür, dass mit der in der Vorschrift allein genannten betriebsfähigen Herstellung des Anschlusses an die Entwässerung nur der frühestens mögliche Zeitpunkt für das Entstehen der Gebührenpflicht beschrieben wird und es im Übrigen für das Entstehen der Gebührenpflicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen ankommen soll, sind weder der Vorschrift selbst noch anderen Bestimmungen der Satzung zu entnehmen. Davon abgesehen bliebe auch bei einem solchen Verständnis der Vorschrift offen, für welchen Zeitraum durch die Benutzung der öffentlichen Einrichtung die Gebührenpflicht entstehen soll. Bei Gebühren, die - wie Abwassergebühren - nicht für eine nur einmalige Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben werden, ist die Festlegung des Zeitintervalls erforderlich, für welches die Gebühren jeweils anfallen sollen, da nur so die Bestimmungen über die Festsetzungsverjährung exakt angewendet werden können. Werden Gebühren für die laufende Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben, muss deshalb die Satzung festlegen, zu welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum die Gebühr als entstanden gelten soll (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.11.1996 - 4 K 11/96 - KStZ 2000, 12; HessVGH, Beschl. v. 28.8.1986 - 5 TH 1870/86 - Juris; Lohmann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 661; Driehaus, aaO, § 2 Rn. 92).
27 
Eine solche Festlegung lässt sich der Satzung der Beklagten weder für die Schmutzwasser- noch für die Niederschlagswassergebühr entnehmen. Zwar heißt es in § 7 Abs. 3 AbwGebS, dass die Niederschlagswassergebühr 0,92 EUR je Quadratmeter anrechenbarer versiegelter Grundstücksfläche und Jahr betrage. In § 4 Abs. 1 S. 4 AbwGebS ist ferner von einer "jährlichen" Niederschlagswassergebühr die Rede. Die Satzung könnte im Hinblick hierauf dahin verstanden werden, dass Erhebungszeitraum für die Niederschlagswassergebühr das Kalenderjahr sein und die Pflicht zur Bezahlung dieser Gebühr mit dem Ende des jeweiligen Kalenderjahrs entstehen soll, worauf auch das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zu sprechen gekommen ist. Gegen ein solches Verständnis der Satzung spricht jedoch zum einen die Regelung in § 11 Abs. 2 S. 2 AbwGebS, wonach "die Gebühren" - also sowohl die Schmutzwasser- als auch die Niederschlagswassergebühr - in der Regel zusammen mit den Frischwasserentgelten, berechnet und erhoben werden, und zum anderen die Regelung in § 10 Abs. 1 S. 1 AbwGebS, nach der Abschlagszahlungen (auch) auf die Niederschlagswassergebühr verlangt werden können, wenn "die Gebühr für mehrere Monate abgerechnet" wird. Die Höhe der Abschlagszahlungen wird nach § 10 Abs. 1 S. 2 AbwGebS anteilig berechnet entsprechend den anrechenbaren versiegelten Grundstücksflächen "im zuletzt abgerechneten Zeitraum". Diese Regelungen deuten darauf hin, dass die Beklagte sich auch bei der Erhebung der Niederschlagswassergebühren vorbehalten will, den Abrechnungszeitraum von Fall zu Fall zu bestimmen, was sich mit einer Regelung, die das Entstehen der Gebührenpflicht an das Ende des jeweiligen Kalenderjahrs knüpft, nicht verträgt.
28 
Wie die Berufungsbegründung zeigt, ist auch die Beklagte selbst der Meinung, dass in ihrer Satzung kein Erhebungszeitraum festgelegt sei. Nach den dazu gegebenen Erklärungen ist von der Festlegung eines konkreten Zeitintervalls vielmehr bewusst abgesehen worden, da die Gebühren nach einem "rollierenden System" erhoben werden sollten, bei dem laufend Ablesungen vorgenommen und Gebührenbescheide erstellt würden. Die Beklagte hat dementsprechend die Klägerin nicht zu einer Niederschlagswassergebühr für das gesamte Jahr 2006, sondern nur für den Zeitraum 1.1. bis 27.12.2006 herangezogen.
29 
2. Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den sich aus § 14 Abs. 3 KAG ergebenden Anforderungen genügt.
30 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urt. v. 4.7.1996 - 2 S 1478/94 - BWGZ 1997, 540; NK-Beschl. v. 27.2.1996 - 2 S 1407/94 - NVwZ-RR 1996, 593) hat der Gemeinderat als zuständiges Rechtssetzungsorgan die Höhe des Gebührensatzes innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Gebührenkalkulation zu beschließen, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze der öffentlichen Einrichtung hervorgehen muss. Da weder § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch § 78 Abs. 2 GemO die Gemeinde verpflichten, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten durch Gebühren anzustreben, hat der Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz im Wege einer Ermessensentscheidung darüber zu befinden, welche gebührenfähigen Kosten in die Gebührenkalkulation eingestellt werden sollen. Außerdem ist ihm bei der Ermittlung der in den Gebührensatz einzustellenden Kostenfaktoren überall dort ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wo sich diese Kosten nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen oder finanzpolitischen Bewertungen ermitteln lassen. Die Gebührenkalkulation dient somit nicht nur als Kontrollinstrument zur Überprüfung des letztlich beschlossenen Gebührensatzes, sondern auch dem Nachweis dafür, dass der Ortsgesetzgeber als Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Kostenermittlung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ist dem Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies - vorbehaltlich des § 2 Abs. 2 S. 1 KAG - die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge.
31 
a) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht angenommen, der vom Gemeinderat der Beklagten beschlossene Gebührensatz für das Jahr 2006 sei ungültig, da sich die der Beschlussfassung am 17.10.2006 zugrunde liegende Gebührenkalkulation auf das Wirtschaftsjahr 2007 bezogen habe und nicht ersichtlich sei, dass diese Kalkulation auch uneingeschränkt verwertbare Aussagen für das Jahr 2006 treffe. Dem vermag der Senat auf der Grundlage der ihm zugänglichen Informationen nicht zu folgen.
32 
Der Vorlage zu der Sitzung des Gemeinderats vom 17.10.2006 lag eine von dem Büro ... ... gefertigte Gebührenkalkulation für das "Wirtschaftsjahr 2007" bei. Die Gebührenkalkulation geht von einer im Jahr 2007 zu erwartenden Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ aus. Die "ansatzfähigen Kosten der Abwasserbeseitigung" werden für das gleiche Jahr - ohne die auf die Straßenflächen entfallenden Kosten - mit 17.374.902,03 EUR veranschlagt, von denen 11.794.509,49 EUR der Schmutzwasserbeseitigung und 5.580.392,54 EUR der Niederschlagswasserbeseitigung zugeordnet werden. Die Beklagte ist der Meinung, dass diese Zahlen wegen der hinreichend gleichen abwassertechnischen Verhältnisse nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könnten. Das ist nicht zu beanstanden. Die Prognose einer Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ auch für das Jahr 2006 steht in Übereinstimmung mit der für das gleiche Jahr vorgenommenen Prognose in der früheren Kalkulation, die der Satzung vom 13.12.2005 zugrunde lag, und bewegt sich im Rahmen der im Wirtschaftsplan des ESP für das Jahr 2006 genannten tatsächlichen Verbrauchsmengen, die in den Jahren 2002 bis 2005 zu verzeichnen waren. Die Prognose ist danach nicht zu bemängeln. Die in der Gebührenkalkulation ferner vorgenommene Kostenschätzung beruht auf einem "Kostenstellenbericht" vom 27.7.2006, der auf der Grundlage der bis dahin bekannten Zahlen eine Zusammenstellung der in der Zeit vom 1.1. bis 31.12.2007 zu erwartenden Kosten enthält. Gegen die Annahme der Beklagten, dass auch diese Schätzung nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könne, bestehen im Hinblick auf diese Grundlage der Schätzung ebenfalls keine Bedenken. Ihre Richtigkeit wird zudem dadurch bestätigt, dass nach der Darstellung der Beklagten die in den Jahren 2006 und 2007 tatsächlich entstandenen Kosten einander nahezu entsprochen haben. Dieser Darstellung ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
33 
b) Die dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegende Gebührenkalkulation ist jedoch deshalb als mangelhaft zu erachten, weil sie keinen Aufschluss über die Höhe der einzelnen Kostenarten gibt, aus denen sich die in die Kalkulation eingestellten Gesamtkosten zusammensetzen.
34 
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen die Gebühren höchstens so bemessen werden, dass die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen insgesamt ansatzfähigen Kosten (Gesamtkosten) der Einrichtung gedeckt werden. Die Betriebswirtschaftslehre kennt als Unterfall der Kostenrechnung die Kostenartenrechnung, die der systematischen Erfassung aller bei der Leistungserstellung entstehenden Kosten dient. Nach der Art der verbrauchten Produktionsfaktoren wird dabei zwischen Personalkosten, Materialkosten, Abschreibungen, Zinsen, Kosten für Dienstleistungen Dritter sowie Kosten für Steuern, Gebühren und Beiträge unterschieden (Wöhe, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 19. Aufl., S. 1254 ff). Eine derartige Aufschlüsselung hat auch in der Gebührenkalkulation zu erfolgen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 42).
35 
Die Gebührenkalkulation hat die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen für die rechtssatzmäßige Festsetzung des Gebührensatzes zur Verfügung zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie für den kundigen, mit dem Sachverhalt vertrauten kommunalen Mandatsträger transparent, verständlich, nachvollziehbar und in sich schlüssig sein (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.2.2004 - 12 A 10826/03.OVG - Juris). Auf eine Aufschlüsselung der in die Kalkulation eingestellten Kosten nach den einzelnen Kostenarten kann danach nicht verzichtet werden. Das hat jedenfalls für die gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 KAG zu den Kosten nach Absatz 1 Satz 1 gehörenden kalkulatorischen Kosten in Form einer angemessenen Verzinsung des Anlagekapitals sowie angemessener Abschreibungen zu gelten, über deren Höhe der Gemeinderat in den mit dem Begriff der Angemessenheit gezogenen rechtlichen Grenzen nach seinem Ermessen zu entscheiden hat.
36 
Dieser Forderung wird mit der dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegenden Gebührenkalkulation nicht genügt. Die in der Kalkulation genannten ansatzfähigen Gesamtkosten ergeben sich aus einer Addition der zuvor unter der Überschrift "eigentlicher Betriebsaufwand" aufgeführten Beträge, die einzelnen "Kostenstellen" der von der Beklagten betriebenen öffentlichen Einrichtung zugeordnet werden. Nach den von den Vertretern der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erläuterungen setzen sich diese Beträge aus den verschiedenen Kosten in Form von Personalkosten, Materialkosten, Kapitalkosten etc. zusammen, von denen den einzelnen Kostenstellen jeweils ein bestimmter Anteil zugewiesen wird. Wie diese Beträge sich im Einzelnen errechnen, geht jedoch aus der Kalkulation selbst nicht hervor. Über die Höhe der einzelnen Kostenarten, aus denen sich die angenommenen Gesamtkosten zusammensetzen, gibt die Kalkulation dementsprechend keinen Aufschluss.
37 
3. Ob die Satzung der Beklagten darüber hinaus an weiteren zu ihrer Nichtigkeit führenden Mängeln leidet, bedarf im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Im Hinblick auf die von der Beklagten genannte große Zahl weiterer Verfahren, in denen über die Rechtmäßigkeit der Satzung gestritten wird, sowie die Möglichkeit, die aufgezeigten Fehler durch den Erlass einer neuen Gebührensatzung zu beheben, sieht sich der Senat jedoch zu den folgenden Hinweisen veranlasst:
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat es als zweifelhaft bezeichnet, ob es sich bei den Zinsen, die der Eigenbetrieb aufgrund des ihm von der Beklagten gewährten Trägerdarlehens zu bezahlen hat, um betriebsbedingte Kosten handelt. Diese Bedenken dürften jedenfalls im Grundsatz unbegründet sein.
39 
Die Beklagte hat bei der im Jahre 2004 erfolgten Gründung des Eigenbetriebs Stadtentwässerung beschlossen, den Eigenbetrieb nicht mit Eigenkapital auszustatten, sondern ihm stattdessen ein - mit 6 % zu verzinsendes - Trägerdarlehen zu gewähren. Dieses Vorgehen dürfte nur bilanztechnische Gründe haben, aber keine Auswirkungen auf die Höhe der ansatzfähigen Gesamtkosten haben. Nach der bereits erwähnten Regelung in § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 KAG gehört zu den ansatzfähigen Gesamtkosten die "angemessene Verzinsung des Anlagekapitals", d. h. eine angemessene Verzinsung der um Beiträge, Zuweisungen und Zuschüsse Dritter gekürzten Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Abschreibungen (vgl. § 14 Abs. 3 S. 2 KAG). Zinsbasis ist damit das in der Anlage noch gebundene Kapital, ohne dass es darauf ankommt, ob die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit Eigen- oder Fremdmitteln finanziert worden sind. Die Gewährung eines Eigenkapital ersetzenden Trägerdarlehens hat daher nicht, wie die Klägerin argwöhnt, das Produzieren "künstlicher" Kosten zur Folge.
40 
b) In der Gebührenkalkulation werden auf der Grundlage einer zu erwartenden Abwassermenge von jeweils 6,1 Mio. m³ und zu erwartenden Kosten von jeweils 17.374.902 EUR sowohl für das Jahr 2006 als auch für das Jahr 2007 kostendeckende Gebührensätze von 1,93 EUR/m 3 (Schmutzwassergebühr) und 0,99 EUR/m 2 (Niederschlagswassergebühr) errechnet (S.10). Im Hinblick auf das vorgegebene Ziel, dass die Einführung der gesplitteten Abwassergebühr nicht zu einer Ausweitung des sich aus dem zuvor beschlossenen Gebührensatz ergebenden Gebühreneinnahmenvolumens führen solle, hat der Gemeinderat der Beklagten jedoch um 0,07 EUR/m 3 bzw. 0,07 EUR/m 2 niedrigere Gebührensätze beschlossen und damit - sowohl für 2006 als auch für 2007 - eine Unterdeckung von jeweils 782.900 EUR in Kauf genommen.
41 
Diese Entscheidung ist für sich genommen nicht zu beanstanden, da sich - wie bereits angesprochen - weder aus § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch aus § 78 Abs. 2 GemO eine Verpflichtung der Gemeinde ergibt, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten anzustreben. Nach Ziff. 2 des Beschlussvorschlags in der Sitzungsvorlage hatte der Gemeinderat der Beklagten jedoch die Vorstellung, dass die einkalkulierte Unterdeckung "mit künftigen Überdeckungen zu verrechnen oder in (künftige) Gebührenkalkulationen einzustellen sein" werde, d.h. in den folgenden Jahren ausgeglichen werden könne und auch tatsächlich ausgeglichen werden solle. Diese Vorstellung ist irrig, da Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat, in den Folgejahren nicht ausgeglichen werden können.
42 
Nach dem Grundsatz der Periodengerechtigkeit dürfen die Gebührenpflichtigen nur mit Kosten belastet werden, die den Nutzungen der jeweiligen Rechnungsperiode entsprechen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 92 ff). § 14 Abs. 2 S. 2 KAG enthält eine Durchbrechung dieses Grundsatzes. In Fällen, in denen am Ende eines Kalkulationszeitraums das Gebührenaufkommen hinter den ansatzfähigen Gesamtkosten zurückbleibt, ist es den Gemeinden danach gestattet, die auf diese Weise entstandene Kostenunterdeckung innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen. Diesem Recht steht die sich ebenfalls aus § 14 Abs. 2 S. 2 Halbsatz KAG ergebende Verpflichtung gegenüber, Kostenüberdeckungen innerhalb des gleichen Zeitraums auszugleichen. Die Regelung berücksichtigt, dass die tatsächlichen Kosten, Erlöse und Mengen von den prognostisch ermittelten und der Kalkulation zugrunde gelegten Werten abweichen können und in aller Regel auch tatsächlich abweichen. § 14 Abs. 2 S. 2 KAG soll deshalb gewährleisten, dass das zunächst auf den jeweiligen Kalkulations- oder Bemessungszeitraum begrenzte Kostendeckungsprinzip auf mittlere Frist gesehen tatsächlich realisiert wird bzw. - soweit es um den Ausgleich von Kostenunterdeckungen geht - realisiert werden kann (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.2.2008 - 2 S 2559/05 - VBlBW 2008, 350). Ausgeglichen werden können danach aber nur Kostenunterdeckungen, die sich erst am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, nicht aber Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.10.1998 - 2 S 399/97 - VBlBW 1999, 219; Quaas, NVwZ 2007, 757; Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 104)
43 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
44 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
45 
Beschluss
46 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 849,86 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
47 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
20 
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Gebührenbescheid zu Recht aufgehoben. Die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende und diesen stützenden Abwassergebührensatzung der Beklagten ist für den von dem Bescheid betroffenen Zeitraum mangels einer gültigen Regelung über die Entstehung der Gebühr unwirksam (unten 1). Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt (unten 2).
21 
1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die - rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft getretene - Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, enthält diese Satzung keine ausreichende Regelung über die Entstehung der Gebühr und ist daher nichtig. Die am 16.12.2008 beschlossene Änderung der Satzung bleibt dabei außer Betracht, da die Änderung nach dem Willen der Beklagten erst am 1.1.2008 in Kraft treten soll und sich deshalb für den von dem angefochtenen Bescheid erfassten Zeitraum (1.1. bis 27.12.2006) keine Gültigkeit beimisst.
22 
a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen Gebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen ebenso wie andere Kommunalabgaben nur auf Grund einer (wirksamen) Satzung erhoben werden. Zum unverzichtbaren Mindestinhalt einer solchen Satzung gehört gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 KAG eine Regelung über die Entstehung der Abgabenschuld, soweit sich diese Rechtsfolge - wie im Falle von Abwassergebühren - nicht schon aus dem Gesetz herleiten lässt. Mit der Entstehung der Abgabenschuld kann die Abgabenforderung beim Abgabenpflichtigen geltend gemacht werden, sofern gesetzlich kein späterer Zeitpunkt für die Fälligkeit festgesetzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG in Verbindung mit § 220 Abs. 2 AO). Mit der Entstehung der Abgabenschuld beginnt außerdem die Festsetzungsverjährungsfrist zu laufen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG in Verbindung mit § 170 AO). Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 30.11.2000 - 2 S 2061/98 - BWGZ 2001, 269) muss sich deshalb beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung aus der Abgabensatzung mit hinreichender Klarheit ergeben, zu welchem Zeitpunkt die Abgabenschuld nach dem Willen des Satzungsgebers entstehen soll.
23 
An dieser Auffassung ist auch nach der Neufassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG durch das Gesetz zur Neuregelung des kommunalen Abgabenrechts und zur Änderung des Naturschutzgesetzes vom 17.3.2005 festzuhalten. Die Vorschrift legt auch in ihrer Neufassung den unverzichtbaren Mindestinhalt einer Abgabensatzung fest. Der Umstand, dass der Gesetzgeber das von der Vorschrift bisher verwendete Wort "muss" durch ein "soll" ersetzt hat, ändert daran nichts. Die Änderung hat ihren Grund in der Einbeziehung des Erschließungsbeitragsrechts in das Kommunalabgabengesetz (vgl. LT-Drs. 13/3966, S. 40) und erklärt sich dadurch, dass in der auch für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen erforderlichen Satzung wegen der völlig unterschiedlichen Kosten der einzelnen Erschließungsanlagen ein Abgabensatz nicht bestimmt werden kann. Für den Erlass von Benutzungsgebührensatzungen ergeben sich aus der geänderten Fassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG keine Konsequenzen. Das "soll" in dieser Vorschrift ist vielmehr in diesen Fällen in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage weiterhin wie ein "muss" zu lesen.
24 
b) Den sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 KAG ergebenden Anforderungen wird mit der Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006 nicht entsprochen.
25 
Entstehung und Fälligkeit der Gebührenschuld werden in § 11 AbwGebS geregelt. In seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung bestimmte Abs. 1 dieser Vorschrift, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren mit dem Tag entsteht, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt ist. Diese Regelung ist, wie auch die Beklagte einräumt, unvollständig. Nach § 13 Abs. 1 S. 1 KAG können Benutzungsgebühren nur für die (tatsächliche) Benutzung der öffentlichen Einrichtung erhoben werden, da erst dadurch das für eine solche Gebühr eigentümliche Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung begründet wird. Die bloße Möglichkeit der Benutzung einer öffentlichen Einrichtung oder der Umstand, dass durch die Einrichtung Vorteile geboten werden, reichen danach zur Gebührenerhebung nicht aus. Von der Beklagten wird dementsprechend vorgebracht, § 11 Abs. 1 AbwGebS bestimme, dass die Gebührenschuld frühestens mit dem Tag entstehe, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt sei. Da eine Gebühr aber erst mit der Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen entstehen könne, sei § 11 Abs. 1 AbwGebS dahin zu verstehen, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Stadtentwässerung und - kumulativ - mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe.
26 
Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 11 Abs. 1 AbwGebS wird von dem Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Anhaltspunkte dafür, dass mit der in der Vorschrift allein genannten betriebsfähigen Herstellung des Anschlusses an die Entwässerung nur der frühestens mögliche Zeitpunkt für das Entstehen der Gebührenpflicht beschrieben wird und es im Übrigen für das Entstehen der Gebührenpflicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen ankommen soll, sind weder der Vorschrift selbst noch anderen Bestimmungen der Satzung zu entnehmen. Davon abgesehen bliebe auch bei einem solchen Verständnis der Vorschrift offen, für welchen Zeitraum durch die Benutzung der öffentlichen Einrichtung die Gebührenpflicht entstehen soll. Bei Gebühren, die - wie Abwassergebühren - nicht für eine nur einmalige Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben werden, ist die Festlegung des Zeitintervalls erforderlich, für welches die Gebühren jeweils anfallen sollen, da nur so die Bestimmungen über die Festsetzungsverjährung exakt angewendet werden können. Werden Gebühren für die laufende Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben, muss deshalb die Satzung festlegen, zu welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum die Gebühr als entstanden gelten soll (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.11.1996 - 4 K 11/96 - KStZ 2000, 12; HessVGH, Beschl. v. 28.8.1986 - 5 TH 1870/86 - Juris; Lohmann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 661; Driehaus, aaO, § 2 Rn. 92).
27 
Eine solche Festlegung lässt sich der Satzung der Beklagten weder für die Schmutzwasser- noch für die Niederschlagswassergebühr entnehmen. Zwar heißt es in § 7 Abs. 3 AbwGebS, dass die Niederschlagswassergebühr 0,92 EUR je Quadratmeter anrechenbarer versiegelter Grundstücksfläche und Jahr betrage. In § 4 Abs. 1 S. 4 AbwGebS ist ferner von einer "jährlichen" Niederschlagswassergebühr die Rede. Die Satzung könnte im Hinblick hierauf dahin verstanden werden, dass Erhebungszeitraum für die Niederschlagswassergebühr das Kalenderjahr sein und die Pflicht zur Bezahlung dieser Gebühr mit dem Ende des jeweiligen Kalenderjahrs entstehen soll, worauf auch das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zu sprechen gekommen ist. Gegen ein solches Verständnis der Satzung spricht jedoch zum einen die Regelung in § 11 Abs. 2 S. 2 AbwGebS, wonach "die Gebühren" - also sowohl die Schmutzwasser- als auch die Niederschlagswassergebühr - in der Regel zusammen mit den Frischwasserentgelten, berechnet und erhoben werden, und zum anderen die Regelung in § 10 Abs. 1 S. 1 AbwGebS, nach der Abschlagszahlungen (auch) auf die Niederschlagswassergebühr verlangt werden können, wenn "die Gebühr für mehrere Monate abgerechnet" wird. Die Höhe der Abschlagszahlungen wird nach § 10 Abs. 1 S. 2 AbwGebS anteilig berechnet entsprechend den anrechenbaren versiegelten Grundstücksflächen "im zuletzt abgerechneten Zeitraum". Diese Regelungen deuten darauf hin, dass die Beklagte sich auch bei der Erhebung der Niederschlagswassergebühren vorbehalten will, den Abrechnungszeitraum von Fall zu Fall zu bestimmen, was sich mit einer Regelung, die das Entstehen der Gebührenpflicht an das Ende des jeweiligen Kalenderjahrs knüpft, nicht verträgt.
28 
Wie die Berufungsbegründung zeigt, ist auch die Beklagte selbst der Meinung, dass in ihrer Satzung kein Erhebungszeitraum festgelegt sei. Nach den dazu gegebenen Erklärungen ist von der Festlegung eines konkreten Zeitintervalls vielmehr bewusst abgesehen worden, da die Gebühren nach einem "rollierenden System" erhoben werden sollten, bei dem laufend Ablesungen vorgenommen und Gebührenbescheide erstellt würden. Die Beklagte hat dementsprechend die Klägerin nicht zu einer Niederschlagswassergebühr für das gesamte Jahr 2006, sondern nur für den Zeitraum 1.1. bis 27.12.2006 herangezogen.
29 
2. Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den sich aus § 14 Abs. 3 KAG ergebenden Anforderungen genügt.
30 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urt. v. 4.7.1996 - 2 S 1478/94 - BWGZ 1997, 540; NK-Beschl. v. 27.2.1996 - 2 S 1407/94 - NVwZ-RR 1996, 593) hat der Gemeinderat als zuständiges Rechtssetzungsorgan die Höhe des Gebührensatzes innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Gebührenkalkulation zu beschließen, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze der öffentlichen Einrichtung hervorgehen muss. Da weder § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch § 78 Abs. 2 GemO die Gemeinde verpflichten, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten durch Gebühren anzustreben, hat der Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz im Wege einer Ermessensentscheidung darüber zu befinden, welche gebührenfähigen Kosten in die Gebührenkalkulation eingestellt werden sollen. Außerdem ist ihm bei der Ermittlung der in den Gebührensatz einzustellenden Kostenfaktoren überall dort ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wo sich diese Kosten nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen oder finanzpolitischen Bewertungen ermitteln lassen. Die Gebührenkalkulation dient somit nicht nur als Kontrollinstrument zur Überprüfung des letztlich beschlossenen Gebührensatzes, sondern auch dem Nachweis dafür, dass der Ortsgesetzgeber als Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Kostenermittlung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ist dem Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies - vorbehaltlich des § 2 Abs. 2 S. 1 KAG - die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge.
31 
a) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht angenommen, der vom Gemeinderat der Beklagten beschlossene Gebührensatz für das Jahr 2006 sei ungültig, da sich die der Beschlussfassung am 17.10.2006 zugrunde liegende Gebührenkalkulation auf das Wirtschaftsjahr 2007 bezogen habe und nicht ersichtlich sei, dass diese Kalkulation auch uneingeschränkt verwertbare Aussagen für das Jahr 2006 treffe. Dem vermag der Senat auf der Grundlage der ihm zugänglichen Informationen nicht zu folgen.
32 
Der Vorlage zu der Sitzung des Gemeinderats vom 17.10.2006 lag eine von dem Büro ... ... gefertigte Gebührenkalkulation für das "Wirtschaftsjahr 2007" bei. Die Gebührenkalkulation geht von einer im Jahr 2007 zu erwartenden Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ aus. Die "ansatzfähigen Kosten der Abwasserbeseitigung" werden für das gleiche Jahr - ohne die auf die Straßenflächen entfallenden Kosten - mit 17.374.902,03 EUR veranschlagt, von denen 11.794.509,49 EUR der Schmutzwasserbeseitigung und 5.580.392,54 EUR der Niederschlagswasserbeseitigung zugeordnet werden. Die Beklagte ist der Meinung, dass diese Zahlen wegen der hinreichend gleichen abwassertechnischen Verhältnisse nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könnten. Das ist nicht zu beanstanden. Die Prognose einer Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ auch für das Jahr 2006 steht in Übereinstimmung mit der für das gleiche Jahr vorgenommenen Prognose in der früheren Kalkulation, die der Satzung vom 13.12.2005 zugrunde lag, und bewegt sich im Rahmen der im Wirtschaftsplan des ESP für das Jahr 2006 genannten tatsächlichen Verbrauchsmengen, die in den Jahren 2002 bis 2005 zu verzeichnen waren. Die Prognose ist danach nicht zu bemängeln. Die in der Gebührenkalkulation ferner vorgenommene Kostenschätzung beruht auf einem "Kostenstellenbericht" vom 27.7.2006, der auf der Grundlage der bis dahin bekannten Zahlen eine Zusammenstellung der in der Zeit vom 1.1. bis 31.12.2007 zu erwartenden Kosten enthält. Gegen die Annahme der Beklagten, dass auch diese Schätzung nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könne, bestehen im Hinblick auf diese Grundlage der Schätzung ebenfalls keine Bedenken. Ihre Richtigkeit wird zudem dadurch bestätigt, dass nach der Darstellung der Beklagten die in den Jahren 2006 und 2007 tatsächlich entstandenen Kosten einander nahezu entsprochen haben. Dieser Darstellung ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
33 
b) Die dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegende Gebührenkalkulation ist jedoch deshalb als mangelhaft zu erachten, weil sie keinen Aufschluss über die Höhe der einzelnen Kostenarten gibt, aus denen sich die in die Kalkulation eingestellten Gesamtkosten zusammensetzen.
34 
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen die Gebühren höchstens so bemessen werden, dass die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen insgesamt ansatzfähigen Kosten (Gesamtkosten) der Einrichtung gedeckt werden. Die Betriebswirtschaftslehre kennt als Unterfall der Kostenrechnung die Kostenartenrechnung, die der systematischen Erfassung aller bei der Leistungserstellung entstehenden Kosten dient. Nach der Art der verbrauchten Produktionsfaktoren wird dabei zwischen Personalkosten, Materialkosten, Abschreibungen, Zinsen, Kosten für Dienstleistungen Dritter sowie Kosten für Steuern, Gebühren und Beiträge unterschieden (Wöhe, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 19. Aufl., S. 1254 ff). Eine derartige Aufschlüsselung hat auch in der Gebührenkalkulation zu erfolgen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 42).
35 
Die Gebührenkalkulation hat die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen für die rechtssatzmäßige Festsetzung des Gebührensatzes zur Verfügung zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie für den kundigen, mit dem Sachverhalt vertrauten kommunalen Mandatsträger transparent, verständlich, nachvollziehbar und in sich schlüssig sein (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.2.2004 - 12 A 10826/03.OVG - Juris). Auf eine Aufschlüsselung der in die Kalkulation eingestellten Kosten nach den einzelnen Kostenarten kann danach nicht verzichtet werden. Das hat jedenfalls für die gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 KAG zu den Kosten nach Absatz 1 Satz 1 gehörenden kalkulatorischen Kosten in Form einer angemessenen Verzinsung des Anlagekapitals sowie angemessener Abschreibungen zu gelten, über deren Höhe der Gemeinderat in den mit dem Begriff der Angemessenheit gezogenen rechtlichen Grenzen nach seinem Ermessen zu entscheiden hat.
36 
Dieser Forderung wird mit der dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegenden Gebührenkalkulation nicht genügt. Die in der Kalkulation genannten ansatzfähigen Gesamtkosten ergeben sich aus einer Addition der zuvor unter der Überschrift "eigentlicher Betriebsaufwand" aufgeführten Beträge, die einzelnen "Kostenstellen" der von der Beklagten betriebenen öffentlichen Einrichtung zugeordnet werden. Nach den von den Vertretern der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erläuterungen setzen sich diese Beträge aus den verschiedenen Kosten in Form von Personalkosten, Materialkosten, Kapitalkosten etc. zusammen, von denen den einzelnen Kostenstellen jeweils ein bestimmter Anteil zugewiesen wird. Wie diese Beträge sich im Einzelnen errechnen, geht jedoch aus der Kalkulation selbst nicht hervor. Über die Höhe der einzelnen Kostenarten, aus denen sich die angenommenen Gesamtkosten zusammensetzen, gibt die Kalkulation dementsprechend keinen Aufschluss.
37 
3. Ob die Satzung der Beklagten darüber hinaus an weiteren zu ihrer Nichtigkeit führenden Mängeln leidet, bedarf im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Im Hinblick auf die von der Beklagten genannte große Zahl weiterer Verfahren, in denen über die Rechtmäßigkeit der Satzung gestritten wird, sowie die Möglichkeit, die aufgezeigten Fehler durch den Erlass einer neuen Gebührensatzung zu beheben, sieht sich der Senat jedoch zu den folgenden Hinweisen veranlasst:
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat es als zweifelhaft bezeichnet, ob es sich bei den Zinsen, die der Eigenbetrieb aufgrund des ihm von der Beklagten gewährten Trägerdarlehens zu bezahlen hat, um betriebsbedingte Kosten handelt. Diese Bedenken dürften jedenfalls im Grundsatz unbegründet sein.
39 
Die Beklagte hat bei der im Jahre 2004 erfolgten Gründung des Eigenbetriebs Stadtentwässerung beschlossen, den Eigenbetrieb nicht mit Eigenkapital auszustatten, sondern ihm stattdessen ein - mit 6 % zu verzinsendes - Trägerdarlehen zu gewähren. Dieses Vorgehen dürfte nur bilanztechnische Gründe haben, aber keine Auswirkungen auf die Höhe der ansatzfähigen Gesamtkosten haben. Nach der bereits erwähnten Regelung in § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 KAG gehört zu den ansatzfähigen Gesamtkosten die "angemessene Verzinsung des Anlagekapitals", d. h. eine angemessene Verzinsung der um Beiträge, Zuweisungen und Zuschüsse Dritter gekürzten Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Abschreibungen (vgl. § 14 Abs. 3 S. 2 KAG). Zinsbasis ist damit das in der Anlage noch gebundene Kapital, ohne dass es darauf ankommt, ob die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit Eigen- oder Fremdmitteln finanziert worden sind. Die Gewährung eines Eigenkapital ersetzenden Trägerdarlehens hat daher nicht, wie die Klägerin argwöhnt, das Produzieren "künstlicher" Kosten zur Folge.
40 
b) In der Gebührenkalkulation werden auf der Grundlage einer zu erwartenden Abwassermenge von jeweils 6,1 Mio. m³ und zu erwartenden Kosten von jeweils 17.374.902 EUR sowohl für das Jahr 2006 als auch für das Jahr 2007 kostendeckende Gebührensätze von 1,93 EUR/m 3 (Schmutzwassergebühr) und 0,99 EUR/m 2 (Niederschlagswassergebühr) errechnet (S.10). Im Hinblick auf das vorgegebene Ziel, dass die Einführung der gesplitteten Abwassergebühr nicht zu einer Ausweitung des sich aus dem zuvor beschlossenen Gebührensatz ergebenden Gebühreneinnahmenvolumens führen solle, hat der Gemeinderat der Beklagten jedoch um 0,07 EUR/m 3 bzw. 0,07 EUR/m 2 niedrigere Gebührensätze beschlossen und damit - sowohl für 2006 als auch für 2007 - eine Unterdeckung von jeweils 782.900 EUR in Kauf genommen.
41 
Diese Entscheidung ist für sich genommen nicht zu beanstanden, da sich - wie bereits angesprochen - weder aus § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch aus § 78 Abs. 2 GemO eine Verpflichtung der Gemeinde ergibt, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten anzustreben. Nach Ziff. 2 des Beschlussvorschlags in der Sitzungsvorlage hatte der Gemeinderat der Beklagten jedoch die Vorstellung, dass die einkalkulierte Unterdeckung "mit künftigen Überdeckungen zu verrechnen oder in (künftige) Gebührenkalkulationen einzustellen sein" werde, d.h. in den folgenden Jahren ausgeglichen werden könne und auch tatsächlich ausgeglichen werden solle. Diese Vorstellung ist irrig, da Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat, in den Folgejahren nicht ausgeglichen werden können.
42 
Nach dem Grundsatz der Periodengerechtigkeit dürfen die Gebührenpflichtigen nur mit Kosten belastet werden, die den Nutzungen der jeweiligen Rechnungsperiode entsprechen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 92 ff). § 14 Abs. 2 S. 2 KAG enthält eine Durchbrechung dieses Grundsatzes. In Fällen, in denen am Ende eines Kalkulationszeitraums das Gebührenaufkommen hinter den ansatzfähigen Gesamtkosten zurückbleibt, ist es den Gemeinden danach gestattet, die auf diese Weise entstandene Kostenunterdeckung innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen. Diesem Recht steht die sich ebenfalls aus § 14 Abs. 2 S. 2 Halbsatz KAG ergebende Verpflichtung gegenüber, Kostenüberdeckungen innerhalb des gleichen Zeitraums auszugleichen. Die Regelung berücksichtigt, dass die tatsächlichen Kosten, Erlöse und Mengen von den prognostisch ermittelten und der Kalkulation zugrunde gelegten Werten abweichen können und in aller Regel auch tatsächlich abweichen. § 14 Abs. 2 S. 2 KAG soll deshalb gewährleisten, dass das zunächst auf den jeweiligen Kalkulations- oder Bemessungszeitraum begrenzte Kostendeckungsprinzip auf mittlere Frist gesehen tatsächlich realisiert wird bzw. - soweit es um den Ausgleich von Kostenunterdeckungen geht - realisiert werden kann (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.2.2008 - 2 S 2559/05 - VBlBW 2008, 350). Ausgeglichen werden können danach aber nur Kostenunterdeckungen, die sich erst am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, nicht aber Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.10.1998 - 2 S 399/97 - VBlBW 1999, 219; Quaas, NVwZ 2007, 757; Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 104)
43 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
44 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
45 
Beschluss
46 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 849,86 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
47 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 14. Dezember 2005 - 2 K 2338/04 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser auf sich behält.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streitigen über die baurechtliche Zulässigkeit einer Grenzmauer auf dem Grundstück der Kläger.
Die Kläger sind Eigentümer des Wohngrundstücks Flst.-Nr. .../12 (...) in ... Der Beigeladene ist Eigentümer des im Osten angrenzenden Grundstücks Flst.-Nr. .../9 (... ...). Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Schwarzgrund“, der in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1973 stammt und für beide Grundstücke ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Mit Satzungsbeschluss vom 13.05.1996, öffentlich bekannt gemacht am 27.09.1996, änderte der Gemeinderat der Beklagten die dem Bebauungsplan beigefügten Bebauungsvorschriften und beschloss - gestützt auf § 74 Abs. 7 LBO i.d.F. vom 18.08.1995 - folgende örtliche Bauvorschrift:
㤠9 Einfriedigungen und Bepflanzung
1. Gestattet sind offene Einfriedigungen mit Sockel bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton mit Heckenhinterpflanzungen.
2. Die Verwendung von Stacheldraht als Einfriedigung ist nicht gestattet.“
Die Kläger planten bereits seit längerem, ihr Grundstück mit einer geschlossenen Einfriedigung in Form einer Gartenmauer zu umbauen. Zu diesem Zweck entfernten sie Anfang 2002 die vorhandene Grenzbepflanzung und zeigten der Beklagten mit Schreiben vom 14.05.2002 an, dass sie entlang der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen die Errichtung einer 1,60 m hohen Mauer mit einem 20 bis 30 cm hohen Glasaufsatz an der Innenseite beabsichtigen. Mit Schreiben vom 24.06.2002 wies die Beklagte die Kläger darauf hin, dass dies § 9 der örtlichen Bauvorschriften widerspreche und eine Befreiung im Interesse der Angrenzer nicht zugelassen werden könne.
Nachdem am 05.09.2002 anlässlich einer Besichtigung festgestellt wurde, dass die Mauer entlang der Straße bereits vollständig und zum Grundstück des Beigeladenen in ihren Fundamenten erstellt worden ist, ordnete die Beklagte mit Verfügung vom 09.09.2002 die sofortige Einstellung der Bauarbeiten an. Mit Schreiben vom 12.09.2002 wandten sich die Kläger an den Bürgermeister der Beklagten mit der Bitte, sich der Angelegenheit anzunehmen. Zugleich reichten sie einen Grundriss/Ansichtsplan ein, wonach die Einfriedigung zur Grenze des Beigeladenen aus einzelnen, teilweise durch Holzkonstruktionen verbundenen und mit einem Holzaufbau versehenen Mauerstücken bestehen soll. Dieses Schreiben wertete die Beklagte als Widerspruch und entschied im Februar 2003, den zur Straße bereits errichteten Teil der Mauer zu dulden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2004 wies das Regierungspräsidium Freiburg die Widersprüche der Kläger gegen die Ablehnung einer Befreiung und die Baueinstellung zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, nachdem die Beklagte die Einfriedigung an der Straße dulde, beschränkten sich die angegriffenen Verfügungen auf die Einfriedigung zum Nachbargrundstück. Insoweit lägen die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vor und sei die Baueinstellung nach § 64 LBO zu Recht erfolgt. Soweit geltend gemacht werde, dass die örtlichen Bauvorschriften nicht wirksam seien, bestehe keine Verwerfungskompetenz des Regierungspräsidiums.
Am 28.10.2004 haben die Kläger gegen die Einstellungsverfügung Klage erhoben und hilfsweise die Erteilung einer Befreiung von den örtlichen Bauvorschriften begehrt. Mit Urteil vom 14.12.2005 - 2 K 2338/04 - hat das Verwaltungsgericht Freiburg die Verfügung vom 09.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.09.2004 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt, die Baueinstellung sei rechtswidrig. Die im Streit stehende Grenzmauer widerspreche zwar § 9 der Bebauungsvorschriften zum Bebauungsplan Schwarzgrund. Diese Vorschrift sei jedoch unwirksam, da sie für sämtliche Einfriedigungen gelte, § 74 LBO aber nur zum Erlass von Gestaltungsregelungen für vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Maßnahmen ermächtige. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Nicht sichtbare Einfriedigungen tangierten nicht das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild. Einschränkungen auf das vom öffentlichen Verkehrsraum Sichtbare fänden sich in der LBO auch an anderer Stelle. Sie seien Folge des Grundrechtsschutzes der privaten Eigentümer. Eine Befugnis, gestalterische Anforderungen ohne Bezug zum Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild aufzustellen, würde mangels sachlicher Rechtfertigung das Übermaßverbot verletzen. § 74 LBO sei Ausfluss des Selbstverwaltungsrechts. Die Gestaltung einzelner baulicher Anlagen ohne Bezug zum Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild sei keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Regelung in § 9 der Bebauungsvorschriften und ihrer Entstehungsgeschichte komme eine einschränkende Auslegung nicht in Betracht. Aus den verfassungsrechtlichen Bezügen folge im Übrigen, dass örtlichen Bauvorschriften eine angemessene Abwägung zwischen dem öffentlichen Anliegen der Gestaltung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbilds und den privaten Eigentümerbefugnissen zugrunde liegen müsse, wobei die gestalterischen Absichten möglichst konkret, im Allgemeinen durch die Satzung selbst, festgelegt werden müssten. Auch hieran fehle es. Den Verfahrensakten sei keine Begründung für die Änderung der Bebauungsvorschrift zu entnehmen. Die Auffassung der Beklagten, schon die frühere Fassung habe alle Einfriedigungen erfasst, sei mit deren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Gestaltungsabsichten der Beklagten ließen sich auch nicht ohne weiteres aus dem Inhalt der Bebauungsvorschrift selbst ablesen. Dieser seien konkrete gestalterische Vorstellungen in Bezug auf das Straßen- und Ortsbild - soweit nicht der Bereich zum öffentlichen Verkehrsraum betroffen sei - nicht zu entnehmen. Gegen eine Gestaltungsabsicht der Beklagten spreche zudem, dass sie die Mauer zur Straße hin dulde.
10 
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 03.02.2006 hat die Beklagte gegen das ihr am 04.01.2006 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
11 
Sie beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 14.12.2005 - 2 K 2338/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung trägt sie vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Standort der geplanten Mauer von der auf dem Grundstück Flst.-Nr. .../13 vorhandenen befahrbaren Erschließungsstraße, die im Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche ausgewiesen sei, einsehbar sei. Es komme daher nicht darauf an, ob § 74 LBO nur zum Erlass von Gestaltungsregelungen für vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Maßnahmen ermächtige. Dies sei im Übrigen zu verneinen. Die Vorschrift enthalte nach ihrem Wortlaut keinen Hinweis auf eine derartige Beschränkung. Auch aus der systematischen Auslegung ergebe sich keine Beschränkung. Soweit die LBO in einzelnen Vorschriften auf den öffentlichen Verkehrsraum als einschränkendes Tatbestandsmerkmal verweise, spreche dies gegen die Auffassung, die Einsehbarkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in sämtliche Vorschriften hineinzulesen. Andernfalls wäre es überflüssig und systemwidrig, dieses Merkmal in einzelnen Vorschriften ausdrücklich aufzuführen. Die Bestimmungen des § 11 LBO könnten nicht ohne Berücksichtigung des jeweiligen Regelungszwecks auf § 74 LBO übertragen werden. Während § 11 LBO ein (negatives) Verunstaltungs- und Beeinträchtigungsverbot enthalte, ermögliche § 74 LBO eine positive Bau- und Gestaltungspflege. Hierbei könnten strengere Maßstäbe angelegt werden als bei der Verunstaltungsabwehr. Der Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 74 LBO überzeuge ebenfalls nicht. Der Formulierung „im Rahmen dieses Gesetzes“ komme keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu. Außerdem umfasse diese Bezugnahme die gesamte LBO und nicht nur vereinzelte Vorschriften. Auch Sinn und Zweck des gemeindlichen Rechts zur positiven Bau- und Gestaltungspflege spreche gegen eine einschränkende Auslegung. In vielen Fällen bestehe ein Bedürfnis nach gestalterischen Regelungen ungeachtet der Frage, ob der Bereich vom öffentlichen Straßenraum aus erkennbar sei. Zudem sei der öffentliche Verkehrsraum kein hinreichend bestimmbares und praktisch anwendbares Abgrenzungskriterium. Wenn man auf die Erkennbarkeit durch die Öffentlichkeit abstelle, müssten auch sonstige Einsichtsmöglichkeiten einbezogen werden und wären die Bereiche, für die Gestaltungsregelungen getroffen werden dürften, praktisch nicht mehr abgrenzbar. Im Übrigen könne sich die Einsehbarkeit jederzeit ändern. Für das Verunstaltungsverbot sei anerkannt, dass es nicht nur bei Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum aus gelte. Auch der Schutz des Orts- und Landschaftsbilds durch bundesrechtliche Vorschriften sei nicht in diesem Sinne beschränkt. § 74 LBO enthalte keine Aussage darüber, von welchem Standort aus die Sichtbarkeit gegeben sein müsse. Die Einsehbarkeit sei im Rahmen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Die sachliche Rechtfertigung ergebe sich vorliegend daraus, dass die Mauer vom öffentlichen Verkehrsraum aus einsehbar sei. Auch bei einer Sichtbarkeit nur von den Nachbargrundstücken aus sei das Ziel, durch den Ausschluss geschlossener Einfriedigungen innerorts in gestalterischer Hinsicht keine Missstände zu schaffen, offensichtlich. Geschlossene Einfriedigungen führten zu einer Zerstückelung der städtebaulichen Struktur, abgeschlossenen Grundstücken, Beeinträchtigungen der Sicht von Nachbargrundstücken und dem öffentlichen Verkehrsraum aus sowie zu nachteiligen Auswirkungen auf Belichtung und Belüftung. Vor allem die Wohnsituation der Nachbargrundstücke werde erheblich beeinträchtigt. Demgegenüber würden die Eigentümerbelange nur geringfügig betroffen. Einfriedigungen seien weiterhin zulässig. Die Einschränkung beziehe sich nur auf deren Form und beeinträchtige die Nutzungsmöglichkeiten allenfalls geringfügig. Vor diesem Hintergrund sei von einer angemessenen Abwägung auszugehen. Die Gestaltungsabsichten der Beklagten ließen sich unmittelbar aus dem Inhalt der Bauvorschrift entnehmen. Eine erhöhte Begründungspflicht habe auch deshalb nicht bestanden, weil trotz Offenlegung von den Grundstückseigentümern keinerlei Anregungen oder Bedenken vorgebracht worden seien. Da die geplante Mauer gegen die Bebauungsvorschrift verstoße, sei die Baueinstellung rechtmäßig verfügt worden. Eine Befreiung scheide bereits auf Grund der betroffenen nachbarlichen Belange aus.
14 
Die Kläger beantragen,
15 
die Berufung zurückzuweisen
16 
Zur Begründung ist ausgeführt, sie hätten auf ihrem Grundstück einen Schwimmteich errichtet und seien aus Gründen der Verkehrssicherheit dringend auf die Einfriedigung angewiesen. Die entlang der Straße errichtete Mauer werde von der Beklagte geduldet, da sie „optisch schön gestaltet“ sei. Die geplante Mauer solle genauso konstruiert werden und sich optisch unmittelbar anschließen. Aufgrund der bereits vorhandenen Mauer sei sie vom öffentlichen Straßenraum aus nicht sichtbar. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass § 9 der Bebauungsvorschriften materiell rechtswidrig sei. § 74 Abs. 1 LBO ermächtige nur zum Erlass von Gestaltungsregelungen für bauliche Maßnahmen, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar seien. Aus der Formulierung „zur Durchführung baugestalterischer Absichten“ ergebe sich, dass die Gemeinde befugt sei, Regelungen zu schaffen, um in einem bestimmten Gebiet eine einheitliche Baugestaltung zu gewährleisten. Die Gemeinde dürfe sich davor schützen, dass das Gesamtbild der gemeindlichen Umgebung gestört werde. Weitergehende Gestaltungsbefugnisse ohne Bezug zum Straßen-, Orts- und Landschaftsbild sehe § 74 Abs. 1 LBO nicht vor. Die Norm enthalte daher einen eindeutigen Hinweis auf den Standort des Betrachters. Dies werde auch durch die Formulierung „im Rahmen dieses Gesetzes“ deutlich. Danach müssten örtliche Bauvorschriften bauordnungsrechtlichen Zielen dienen. Das Verunstaltungsverbot ermögliche der Gemeinde, auf bauliche Anlagen Einfluss zu nehmen, wenn eine Beeinträchtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds drohe. Regelungen, die nicht zur Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds bzw. zur Gefahrenabwehr beitrügen, seien unzulässig. Dies folge auch aus der Systematik der LBO. Dem Verunstaltungsverbot des § 11 LBO sei die Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum aus immanent. Die Vorschrift sei als Generalklausel zu verstehen, die für das gesamte Gemeindegebiet gelte. Die Satzungskompetenz des § 74 Abs. 1 LBO sei dagegen auf bestimmte Gebiete beschränkt. Es handle sich um zwei eigenständige Rechtsnormen mit unterschiedlichen Regelungsgehalten. Dies verbiete es, bei der Auslegung einer Norm den Umkehrschluss der anderen heranzuziehen. § 11 LBO enthalte ein negatives Verunstaltungsverbot, § 74 LBO ermögliche eine positive Bau- und Gestaltungspflege. Dennoch strebten beide Normen den gleichen Regelungszweck an, nämlich die einheitliche Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds. Insoweit könnten nur vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung führen. Dies zeige auch die Entstehungsgeschichte des § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO. Bis zur LBO-Änderung 1972 sei auf das Verunstaltungsverbot Bezug genommen worden. Hierdurch sei deutlich gemacht worden, dass sich die Satzungskompetenz auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Maßnahmen beschränke. Mit der Novellierung sei die Formulierung „im Rahmen dieses Gesetzes“ aufgenommen worden. Dies stelle klar, dass Ortsbausatzungen bauordnungsrechtlichen Zielen dienen müssten. Eine Regelungsbefugnis für Maßnahmen ohne Bezug zur Gebietsgestaltung sehe die LBO nicht vor. Auch Sinn und Zweck der Regelungsbefugnis führten zu keinem anderen Ergebnis. Das Kriterium der Erkennbarkeit vom öffentlichen Straßenraum aus sei von entscheidender Bedeutung, da die gestalterischen Absichten der Gemeinde lediglich das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild betreffen dürften. Vom öffentlichen Verkehrsraum nicht erkennbare Maßnahmen könnten das äußere Bild der Gemeinde nicht beeinträchtigen. § 74 Abs. 1 LBO ermächtige nicht zu Grundrechtseingriffen, die keinen Bezug zu den Gestaltungsabsichten der Gemeinde hätten. Eine unbeschränkte Regelungskompetenz würde die Baufreiheit der Grundstückseigentümer praktisch aushöhlen und widerspräche Sinn und Zweck der Planungshoheit. Ein gerechter Interessenausgleich sei nur möglich, wenn man der Gemeinde das Recht zubillige, ihr Straßen-, Orts- und Landschaftsbild selbst gestalten zu dürfen, den Grundstückseigentümern aber eine im Wesentlichen unbeschränkte Gestaltungsbefugnis für die nicht einsehbaren Bereiche verbleibe. § 74 Abs. 1 LBO müsse somit auch aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend ausgelegt werden. § 9 der örtlichen Bauvorschriften widerspreche im Übrigen den Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts. Beim Erlass örtlicher Bebauungsvorschriften müsse die Gemeinde alle Belange gegeneinander abwägen und einen gerechten Ausgleich schaffen. Dabei sei sie gehalten, ihre gestalterischen Absichten möglichst konkret in der Satzung festzulegen. Aus den Bebauungsvorschriften müsse hervorgehen, welche gestalterischen Ziele sie verfolge und welche Anforderungen für die Verwirklichung dieser Ziele an den Bauherrn gestellt würden. Die Eigentümerbefugnisse dürften nur eingeschränkt werden, wenn dem eine angemessene Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer einheitlichen Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds und den privaten Interessen der betroffenen Bauherrn vorangegangen sei. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen. Den Verfahrensakten sei keine Begründung für die Änderung der Bebauungsvorschriften über Einfriedigungen zu entnehmen, obgleich hierdurch die Eigentümerbefugnisse erheblich eingeschränkt worden seien. Auch aus dem Inhalt der Bebauungsvorschrift ergebe sich keine konkrete Festlegung der gestalterischen Ziele. Da die Vorschrift auch nicht einsehbare Grundstücksbereiche betreffe, hätten die gestalterischen Vorstellungen eindeutig festgelegt werden müssen. Insoweit spreche vieles für einen Abwägungsausfall. Nachdem die Beklagte selbst davon ausgehe, dass die bereits errichtete Einfriedigung „optisch gut gestaltet“ sei, widerspreche diese ersichtlich nicht den gestalterischen Absichten. Dies lasse nur den Schluss zu, dass die Beklagte bislang entweder keine bestimmten gestalterischen Ziele ins Auge gefasst habe oder die Gestaltung der Einfriedigung ihren Absichten entspreche. Es sei daher nicht verständlich, weshalb die Mauer entlang der Grundstücksgrenze zum Beigeladenen unzulässig sein sollte. In vielen Neubaugebieten seien gleich hohe Mauern vorhanden. An verschiedenen Orten gebe es sogar bis zu 3 m hohe Hecken an der Straße.
17 
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten, des Regierungspräsidiums Freiburg sowie des Verwaltungsgerichts Freiburg - 2 K 2338/04 - vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird hierauf sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere genügt der innerhalb der Monatsfrist des § 124 Abs. 6 S. 1 VwGO eingegangene Schriftsatz der Beklagten den Formerfordernissen des § 124 a Abs. 6 S. 3 i.V.m. Abs. 3 S. 4 VwGO.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Kläger zu Unrecht stattgegeben hat. Nachdem die Kläger den von ihnen erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag nicht aufrechterhalten haben, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Einstellungsverfügung der Beklagten vom 09.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.09.2004. Diese ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21 
Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder abgebrochen, kann die Baurechtsbehörde nach § 64 Abs. 1 Satz 1 LBO die Einstellung der Bauarbeiten anordnen. Hierdurch kann die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden, die später nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass bei allen Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften die Baurechtsbehörde ermächtigt ist, den Fortgang der Bauarbeiten anzuhalten, damit zunächst geprüft werden kann, ob zu einem späteren Zeitpunkt (etwa nach Erteilung einer Baugenehmigung oder der Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung) ein Weiterbau möglich ist.
22 
Dabei kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, da es sich bei der Baueinstellung um einen belastenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Dieser enthält das fortlaufende (vollstreckungsfähige und bußgeldbewehrte) Verbot, die Bauarbeiten an der Mauer fortzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anlage gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Ob und wie lange dies der Fall ist, muss die Baurechtsbehörde von sich aus prüfen. Entsprechend muss sie eine Baueinstellungsverfügung verfahrensmäßig unter Kontrolle halten. Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage. Hinsichtlich der „Prüfungsdichte“ sind hierbei allerdings verschiedene Zeiträume zu unterscheiden. Wegen des präventiv-polizeilichen Zwecks (Gefahrenabwehr, Verhinderung vollendeter Tatsachen) reicht für den Erlass der Baueinstellung schon ein durch Tatsachen belegter „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes aus. Hierfür genügt, dass objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Zustand geschaffen wird. Im nachfolgenden Zeitraum muss die Behörde jedoch prüfen, ob der Anfangsverdacht berechtigt war, d.h. ob die in Rede stehende Anlage tatsächlich gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Diese Prüfung hat von Amts wegen und nicht etwa nur auf Antrag des betroffenen „Bauherrn“ zu erfolgen. Dabei ist der maßgebliche Sachverhalt im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes mit den erforderlichen Beweismitteln und unter Mitwirkung des Bauherrn aufzuklären. Hierbei muss sich die Behörde an der jeweils aktuellen Sach- und Rechtslage orientieren und darf sich nicht mit dem Hinweis auf frühere Verhältnisse begnügen. Vom Ausgang dieser Prüfung hängt es ab, ob die Baueinstellung aufrechterhalten werden darf oder aufzuheben ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1993 - 3 S 507/93 -, VBlBW 1994, 196 zu § 63 LBO a.F.).
23 
In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass die nach § 50 Abs. 1 LBO i.V.m. Nr. 45 des Anhangs zu § 50 Abs. 1 LBO verfahrensfreie Errichtung der von den Klägern beabsichtigten Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan „Schwarzgrund“ verstößt.
24 
Danach sind nur offene Einfriedigungen mit Sockel bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton mit Heckenhinterpflanzungen zulässig. Der Begriff der Einfriedigung ist funktional zu bestimmen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind Einfriedigungen bauliche oder sonstige Anlagen, die nach ihrem wesentlichen Zweck der Sicherung des Grundstücks gegen unbefugtes Betreten oder Verlassen, gegen Witterungseinflüsse oder Immissionseinflüsse sowie gegen Einsicht dienen, um eine ungestörte Nutzung des Grundstücks zu gewährleisten, und die das Grundstück von der öffentlichen Verkehrsfläche oder von Nachbargrundstücken abgrenzen (vgl. Senatsurteil vom 18.12.1995 - 3 S 1298/94 -, BWGZ 1996, 410). Dabei unterscheidet man zwischen offenen und geschlossenen Einfriedigungen. Offene Einfriedigungen sind - wie beispielsweise Weidezäune oder Maschendrahtzäune - durchsichtig, wirken also nicht als geschlossene Wand. Geschlossene Einfriedigungen sind solche ohne Zwischenraum, sie bestehen also - wie Mauern und durchgehende Bretterwände - aus zusammenhängenden Wänden (vgl. Sauter, LBO, 3. Auflage, Stand September 2005, § 50 RdNr. 135ff). Vorliegend beabsichtigen die Kläger nach den von ihnen zuletzt vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung erläuterten Plänen die Errichtung einer geschlossenen Einfriedigung. Dies widerspricht ersichtlich den Vorgaben des § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften.
25 
Von der Wirksamkeit dieser Bauvorschrift ist auszugehen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, leidet sie nicht an einem beachtlichen Form- oder Verfahrensfehler. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, nachdem die Kläger ihre diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsverfahren nicht aufrechterhalten haben. Die in § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften getroffene Regelung ist aber auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich insbesondere im Rahmen der Ermächtigung des § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO und genügt dem Abwägungsgebot.
26 
Nach § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO können Gemeinden u.a. zur Durchführung baugestalterischer Absichten im Rahmen der Landesbauordnung in bestimmten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über Notwendigkeit, Zulässigkeit, Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedigungen. Diese Ermächtigung bezieht sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur auf Einfriedigungen, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind (im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2002 - 8 S 1046/02 -, BRS 65 Nr. 145 zu § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO). Soweit der Senat - zu § 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972 - in seinem Beschluss vom 29.11.1979 - III 2380/77 - eine andere Auffassung vertreten hat, wird diese nicht aufrechterhalten.
27 
§ 74 Abs. 1 LBO enthält vom Wortlaut her keine Einschränkung auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen. Durch die Formulierung „zur Durchführung baugestalterischer Absichten“ wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschrift nicht nur - wie die frühere Regelung in § 111 Abs. 1 LBO 1964 - zur Abwehr von Verunstaltungen, sondern auch zur positiven Gestaltungspflege ermächtigt. Durch die Bezugnahme „im Rahmen dieses Gesetzes“ wird weiter klargestellt, dass sich Gestaltungsvorschriften im Rahmen der von der Landesbauordnung verfolgten Ziele halten müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Landesgesetzgeber die Regelung des Bauordnungsrechtes vorbehalten ist. Hierzu zählt nicht mehr nur die bloße Abwehr von Gefahren, die der Allgemeinheit oder Einzelnen von baulichen Anlagen drohen. Das Bauordnungsrecht darf, soweit dies im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig ist, auch zur Wahrung ästhetischer Belange nutzbar gemacht werden. Dies schließt neben der Abwehr von Verunstaltungen eine positive Gestaltungspflege ein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - 5 S 858/82 - , VBlBW 1983, 180 zu § 111 Abs. 1 LBO 1972). Den Gemeinden ist es auf landesrechtlicher Grundlage unbenommen, über die äußere Gestaltung einzelner baulicher Anlagen auf das örtliche Erscheinungsbild Einfluss zu nehmen. Hierzu gehören Vorschriften, die dazu bestimmt sind, das Orts- oder Straßenbild, je nach ihren gestalterischen Vorstellungen zu erhalten oder umzugestalten. Gegenstand örtlicher Bauvorschriften können dagegen nicht Regelungen sein, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder entzogen sind, so im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, soweit der Bund von seiner Kompetenz verfassungsgemäßen Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 72 GG). Hierzu gehört das Bodenrecht i.S.d. Art 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, das der Bundesgesetzgeber insbesondere im Baugesetzbuch kodifiziert hat. Dieses Gesetz regelt die rechtlichen Beziehungen zum Grund und Boden und trifft Bestimmungen darüber, in welcher Weise der Eigentümer sein Grundstück nutzen darf. Nicht zuletzt über die Vorschriften, die das Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche betreffen, leistet auch das Städtebaurecht einen Beitrag zur Gestaltung des Ortsbildes (vgl. §§ 1 Abs. 5 Satz 2, 34 Abs. 1 Satz 2 und 35 Abs. 3 BauGB). Das städtebauliche Instrumentarium reicht unter diesem Blickwinkel indes nur soweit, wie das Baugesetzbuch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Zur bodenrechtlichen Ortsbildgestaltung steht der Gemeinde der in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend umschriebene Festsetzungskatalog zur Verfügung. Gestaltungsvorschriften, die hierüber hinaus gehen, ohne den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung zu haben, stehen dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht offen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.07.1997 - 4 NB 15.97 -, BauR 1997, 999). Hiervon hat der baden-württembergische Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht. Dabei kann auch der Systematik der Landesbauordnung nicht entnommen werden, dass gestalterische Vorgaben sich nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Anlagen beziehen dürfen. Der Umstand, dass die Landesbauordnung eine derartige Einschränkung bei der Definition der Werbeanlagen (vgl. § 2 Abs. 9 Satz 1 LBO) und bei der Verunstaltung durch Automaten (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 2 LBO) vorsieht, spricht im Umkehrschluss dafür, dass der Anwendungsbereich der Landesbauordnung im Übrigen nicht per se auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen beschränkt ist. Andernfalls wäre die ausdrückliche Einschränkung bei Werbeanlagen und Automaten überflüssig. Eine derartige Einschränkung der Ermächtigung erscheint nach Sinn und Zweck auch nicht sachgerecht. Eine bauliche Anlage kann Auswirkungen auf das Orts-, Straßen- oder Landschaftsbild einer Gemeinde auch dann haben, wenn sie zwar nicht vom öffentlichen Verkehrsraum, aber von anderen Standorten aus einsehbar ist und sich aus diesen Blickwinkeln auf das örtliche Erscheinungsbild auswirkt. Das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild stellt zwar das Schutzobjekt bauordnungsrechtlicher Regelungen dar, sagt aber nichts darüber aus, von welchem Standpunkt aus die Beurteilung zu erfolgen hat. Ein umfassender Schutz des örtlichen Erscheinungsbildes wird aber nur dann erreicht, wenn man in die Beurteilung alle baulichen Anlagen mit einbezieht, die für einen Betrachter - unabhängig von einem bestimmten Standort und Blickwinkel - das Umgebungsbild (mit-) prägen. Damit können sich grundsätzlich auch vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbare bauliche Anlagen auf das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild auswirken. Im Übrigen ist das Kriterium der Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum wenig praktikabel für den mit der Ermächtigung verfolgten Zweck, da es häufig von - jederzeit änderbaren und sich ständig ändernden - Zufälligkeiten abhängt, ob eine bauliche Anlage vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar ist oder nicht. Würden nicht sichtbare bauliche Anlagen von der Ermächtigung von vornherein ausgenommen, könnte die Gemeinde ihre gestalterischen Absichten wegen entgegenstehenden Bestandsschutzes nicht durchsetzen, wenn eine bauliche Anlage irgendwann einmal vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbar war. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sind. Dies hat nicht zur Folge, dass der Geltungsbereich der Landesbauordnung hinsichtlich gestalterischer Anforderungen an bauliche Anlagen von vornherein auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Maßnahmen zu beschränken ist, sondern führt nur dazu, dass regelmäßig zu prüfen ist, ob die Einschränkung der Baufreiheit im konkreten Fall den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügt.
28 
Erstreckt sich die Ermächtigung in § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO mithin nicht nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen, so ist § 9 Nr. 1 der einschlägigen Bebauungsvorschriften von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Dass die Gemeinde mit der Beschränkung andere als gestalterische Absichten verfolgt hat, ist nicht ersichtlich.
29 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verstößt § 9 Nr. 1 der Bebauungsvorschriften auch nicht gegen das Abwägungsgebot. Ebenso wie bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hat die Gemeinde beim Erlass örtlicher Bauvorschriften die von der beabsichtigten Regelung berührten öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen. Zwar findet das für Bebauungspläne geltende Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB a.F./§ 1 Abs. 7 BauGB n.F. auf örtliche Bauvorschriften auch dann keine (unmittelbare) Anwendung, wenn diese - wie vorliegend - zusammen mit einem Bebauungsplan beschlossen oder geändert werden, da § 74 Abs. 7 LBO nur für das Verfahren zum Erlass dieser Vorschriften auf das Baugesetzbuch verweist, es sich beim planungsrechtlichen Abwägungsgebot aber nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine materiell-rechtliche Regelung handelt. Die Verpflichtung der Gemeinde zu einer Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123).
30 
Wie bereits oben dargelegt sind Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gezielte Gestaltung einzelner baulicher Anlagen und des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes ein bedeutsames öffentliches Anliegen ist, das prinzipiell zu einer Einschränkung privater Eigentümerbefugnisse führen kann. Je gewichtiger die konkrete Gestaltungsaufgabe und je schutzwürdiger das vorhandene bzw. beabsichtigte Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild ist, umso eingehender dürfen gestalterische Festsetzungen und Anforderungen sein, ohne das Übermaßverbot zu verletzen. Daraus folgt umgekehrt, dass das Ziel einer einheitlichen Gestaltung allein um der Einheitlichkeit oder gar Uniformität willen nicht ausreicht. Vielmehr muss im Regelfall entsprechend den örtlichen Bauvorschriften eine gewisse historische, künstlerische oder sonst die Eigenart des Ortsbildes ausmachende Homogenität gegeben sein oder angestrebt werden, die allein es rechtfertigt, den Freiheitsraum des Bauherrn einzuengen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
31 
Im Rahmen der dabei erforderlichen Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ist der Gemeinde bei der Bestimmung der gestalterischen Absichten und Wertmaßstäbe ein Ermessensspielraum einzuräumen, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.09.2002 - a.a.O. -). Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, nämlich um dem Erfordernis der Bestimmtheit belastender Regelungen und damit deren Erkennbarkeit für den betroffenen Bürger zu genügen, ferner um sicherzustellen, dass die gestalterischen Vorstellungen auch wirklich dem zuständigen Gemeindeorgan zugerechnet werden können, ist eine möglichst konkrete Festlegung der gestalterischen Absichten zu fordern. Dies wird, jedenfalls bei generellen Regelungen im allgemeinen durch die Satzung selbst geschehen müssen. Eine satzungsmäßige Festschreibung ist allerdings entbehrlich, wenn die beabsichtigte Gestaltung des Straßen- oder Ortsbildes aus dem vorhandenen Baubestand ohne weiteres für den gebildeten Durchschnittsbetrachter ablesbar ist oder wenn sich das gestalterische Ziel unmittelbar aus dem Inhalt der gestalterischen Anforderungen ergibt (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
32 
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen vorliegend nicht ohne Weiteres, dass bei der Änderung der Bebauungsvorschriften im Jahre 1996 hinsichtlich der Vorgaben für Einfriedigungen eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Gemeinde einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits stattgefunden hat. Den Gemeinderäten lag ausweislich der vorgelegten Tischvorlage vom 04.05.1994 eine synoptische Gegenüberstellung der Bebauungsvorschriften in ihrem damaligen Wortlaut und in der beabsichtigten Änderungsfassung vor. Des Weiteren wurden sie in der Gemeinderatssitzung vom 31.08.1994 ausweislich der Sitzungsniederschrift darüber informiert, dass die unter Ziff. 2.7 der bisherigen Bebauungsvorschriften geforderte einheitliche Gestaltung der Einfriedigungen entlang der öffentlichen Flächen nicht haltbar sei und diese Vorschrift deshalb ersatzlos gestrichen werde. Welche Erwägungen indessen der anstelle der bisherigen Regelung gewählten neuen Regelung letztlich zugrunde lagen, wurde nicht schriftlich festgehalten. Dieser Umstand lässt jedoch für sich allein nicht darauf schließen, dass sich der Gemeinderat bei der Beschlussfassung über die Änderung der Bebauungsvorschriften nicht mit den jeweiligen Belangen abwägend befasst hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - a.a.O. -). Dies gilt umso mehr, als es sich bei § 9 der örtlichen Bauvorschriften um eine Regelung von eher untergeordneter Bedeutung handelt. Durch sie werden im Plangebiet Einfriedigungen weder gänzlich ausgeschlossen noch in ihrer funktionalen Zweckbestimmung beschränkt, sondern nur gewissen Anforderungen an ihre äußere Gestaltung unterworfen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit Sockeln bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton und Heckenhinterpflanzungen sowie der generelle Ausschluss von Stacheldraht die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nicht nennenswert einschränkt. Auch werden hierdurch die Gestaltungswünsche der Grundstückseigentümer nicht übermäßig beschnitten und verursacht die Einhaltung der Gestaltungsvorschriften keine unverhältnismäßigen Kosten. Dementsprechend sind während des Auslegungsverfahrens auch weder von den Klägern noch von anderen betroffenen Grundstückseigentümern Einwendungen gegen die beabsichtigte Regelung erhoben worden. Die insoweit berührten Interessen liegen im Übrigen auch ohne ausdrückliche Niederlegung in den Planunterlagen offen zu Tage. Einfriedigungen können - wie die Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend ausgeführt hat - zu einer Zerstückelung der städtebaulichen Struktur, abgeschlossenen Grundstücken, Beeinträchtigungen der Sicht von Nachbargrundstücken und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sowie zu nachteiligen Auswirkungen auf Belichtung und Besonnung führen. Diese Auswirkungen werden durch die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit einem Sockel von max. 30 cm und Heckenhinterpflanzungen zumindest abgeschwächt, ohne dass hiermit eine Funktionseinbuße verbunden ist. Eine derartige Beschränkung stellt daher jedenfalls in einem einheitlich geplanten, durch aufgelockerte Bebauung mit entsprechenden Garten- und Vorgartenflächen geprägten Wohngebiet eine zulässige und sachlich vertretbare Zielvorstellung für das Straßen- und Ortsbild dar, die die Grenze des ortsgesetzgeberischen Ermessens nicht überschreitet (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Bei dem Baugebiet „Schwarzgrund“ handelt es sich um ein einheitlich geplantes allgemeines Wohngebiet. Dieses ist durch die Festsetzung einer ein- bis zweigeschossigen Bebauung in offener Bauweise mit einer GRZ von 0,4 und entsprechenden (Vor-) Gartenflächen gekennzeichnet. Damit handelt es sich nach der planerischen Konzeption der Beklagten um ein gehobenes Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung. Bei dieser Sachlage sind die gestalterischen Absichten der Gemeinde bei einer Gesamtschau der satzungsmäßigen Regelungen auch ohne ausdrückliche Festschreibung hinreichend erkennbar.
33 
Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch das Ergebnis der Abwägung nicht zu beanstanden. In einem gehobenen Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung dürfen grundsätzlich auch die Grundstücksrandzonen einheitlichen gestalterischen Anforderungen unterworfen werden (vgl. VGH Bad.-Württ., NK-Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Dies gilt nicht nur für die vom öffentlichen Verkehrsraum aus einsehbaren Randbereiche, da auch nicht einsehbare Einfriedigungen, - wie oben dargelegt - sich auf das Ortsbild auszuwirken können und deshalb ihre Einbeziehung grundsätzlich von einem sachgerechten öffentlichen Interesse an der Gestaltung des örtlichen Erscheinungsbildes getragen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Regelung den Grundstückseigentümern genügend Spielraum belässt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer von ihnen gewünschten Einfriedigung. Stellt man den von der Beklagten verfolgten gestalterischen Absichten das Maß der damit verbundenen Einschränkung in der Grundstücksnutzung gegenüber, hält sich die gewählte Regelung daher in den Grenzen einer angemessenen Abwägung zwischen den Belangen der Allgemeinheit einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits.
34 
Der Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift steht entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht entgegen, dass auf dem Gemeindegebiet an anderen Stellen geschlossene Einfriedigungen vorhanden sind. Denn die streitgegenständliche Bauvorschrift gilt nur für das Baugebiet „Schwarzgrund“. Dass innerhalb dieses Baugebietes - außer der von der Beklagten geduldeten Einfriedigung auf dem Grundstück des Klägers - weitere Einfriedigungen gegen § 9 Nr. 1 der örtlichen Bauvorschriften verstoßen, haben die Kläger nicht dargelegt. Ob und inwieweit inhaltsgleiche örtliche Bauvorschriften möglicherweise in anderen Baugebieten nicht eingehalten werden, ist für die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Bauvorschrift nicht erheblich.
35 
Damit verstößt die von den Klägern geplante Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und lag der Erlass der Baueinstellungsverfügung im Ermessen der Baurechtsbehörde. Diese hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 LVwVfG). Entsprechend kann das Gericht nur prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ermessensausübung durch die der Baurechtsbehörde nach § 47 Abs. 1 LBO obliegende Überwachungspflicht und durch den Gleichheitsgrundsatz verhältnismäßig enge Grenzen gezogen sind und die fehlerfreie Ermessensausübung im Regelfall die Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten verlangt, da hierdurch sichergestellt werden soll, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später nur schwer rückgängig zu machen sind. Das öffentliche Interesse gebietet daher grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Ermessensentscheidung vorliegend nicht zu beanstanden.
36 
Insoweit kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der streitgegenständlichen örtlichen Bauvorschrift haben und damit der oben festgestellte Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften beseitigt werden könnte. Denn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung liegen ersichtlich nicht vor. Da die streitgegenständliche Regelung ihre Rechtsgrundlage in § 74 Abs. 1 LBO findet, käme eine Befreiung nur nach § 56 Abs. 6 LBO in Betracht. Danach kann von einer örtlichen Bauvorschrift Befreiung erteilt werden, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern oder die Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend ersichtlich nicht erfüllt. Weder erfordern Gründe des Allgemeinwohls eine Befreiung noch liegt eine nicht beabsichtigte Härte vor. Letztere ist nur dann zu bejahen, wenn das Grundstück bei Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften nicht oder nur schwer bebaut werden kann und diese Beschränkung nicht durch die Zielsetzung oder den Schutzzweck dieser Vorschriften gefordert wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.09.1979 - V 995/79 -, BRS 36 Nr. 182), wenn also die schematische Anwendung der Vorschrift zu Ungerechtigkeiten führen würde, namentlich ein ganz unbilliges Ergebnis zur Folge hätte und der Normzweck eine Abweichung erlaubt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.04.1965 - I 493/64 -, ESVGH 15, 180). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Kläger in ihrem Garten unmittelbar an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen einen Schwimmteich errichtet haben und aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht einer Grundstückseinfriedigung bedürfen, genügt hierfür nicht, da dies keinen in der Grundstückssituation bedingten Sonderfall darstellt. Im Übrigen können die Kläger ihrer Verkehrssicherungspflicht durch die Errichtung einer Einfriedigung nachkommen, die den örtlichen Gestaltungsvorschriften entspricht.
37 
Die Einstellungsverfügung ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die von den Klägern zur Straße hin errichtete Einfriedigung, die gleichermaßen gegen § 9 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften verstößt, von der Beklagten geduldet wird. Die Duldung einer bereits errichteten baurechtswidrigen Anlage führt nicht dazu, dass die Behörde gegen einen beabsichtigten weiteren Verstoß nicht (mehr) im Wege einer Baueinstellungsverfügung vorgehen darf. Aus diesem Grund kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob und inwieweit in anderen Baugebieten möglicherweise inhaltsgleiche Bauvorschriften existieren und die Beklagte dort gegen baurechtswidrig errichtete Einfriedigungen nicht eingeschritten ist.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
39 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
40 
Beschluss
vom 11. Oktober 2006
41 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
42 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
19 
Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere genügt der innerhalb der Monatsfrist des § 124 Abs. 6 S. 1 VwGO eingegangene Schriftsatz der Beklagten den Formerfordernissen des § 124 a Abs. 6 S. 3 i.V.m. Abs. 3 S. 4 VwGO.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Kläger zu Unrecht stattgegeben hat. Nachdem die Kläger den von ihnen erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag nicht aufrechterhalten haben, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Einstellungsverfügung der Beklagten vom 09.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.09.2004. Diese ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21 
Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder abgebrochen, kann die Baurechtsbehörde nach § 64 Abs. 1 Satz 1 LBO die Einstellung der Bauarbeiten anordnen. Hierdurch kann die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden, die später nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass bei allen Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften die Baurechtsbehörde ermächtigt ist, den Fortgang der Bauarbeiten anzuhalten, damit zunächst geprüft werden kann, ob zu einem späteren Zeitpunkt (etwa nach Erteilung einer Baugenehmigung oder der Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung) ein Weiterbau möglich ist.
22 
Dabei kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, da es sich bei der Baueinstellung um einen belastenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Dieser enthält das fortlaufende (vollstreckungsfähige und bußgeldbewehrte) Verbot, die Bauarbeiten an der Mauer fortzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anlage gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Ob und wie lange dies der Fall ist, muss die Baurechtsbehörde von sich aus prüfen. Entsprechend muss sie eine Baueinstellungsverfügung verfahrensmäßig unter Kontrolle halten. Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage. Hinsichtlich der „Prüfungsdichte“ sind hierbei allerdings verschiedene Zeiträume zu unterscheiden. Wegen des präventiv-polizeilichen Zwecks (Gefahrenabwehr, Verhinderung vollendeter Tatsachen) reicht für den Erlass der Baueinstellung schon ein durch Tatsachen belegter „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes aus. Hierfür genügt, dass objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Zustand geschaffen wird. Im nachfolgenden Zeitraum muss die Behörde jedoch prüfen, ob der Anfangsverdacht berechtigt war, d.h. ob die in Rede stehende Anlage tatsächlich gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Diese Prüfung hat von Amts wegen und nicht etwa nur auf Antrag des betroffenen „Bauherrn“ zu erfolgen. Dabei ist der maßgebliche Sachverhalt im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes mit den erforderlichen Beweismitteln und unter Mitwirkung des Bauherrn aufzuklären. Hierbei muss sich die Behörde an der jeweils aktuellen Sach- und Rechtslage orientieren und darf sich nicht mit dem Hinweis auf frühere Verhältnisse begnügen. Vom Ausgang dieser Prüfung hängt es ab, ob die Baueinstellung aufrechterhalten werden darf oder aufzuheben ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1993 - 3 S 507/93 -, VBlBW 1994, 196 zu § 63 LBO a.F.).
23 
In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass die nach § 50 Abs. 1 LBO i.V.m. Nr. 45 des Anhangs zu § 50 Abs. 1 LBO verfahrensfreie Errichtung der von den Klägern beabsichtigten Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan „Schwarzgrund“ verstößt.
24 
Danach sind nur offene Einfriedigungen mit Sockel bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton mit Heckenhinterpflanzungen zulässig. Der Begriff der Einfriedigung ist funktional zu bestimmen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind Einfriedigungen bauliche oder sonstige Anlagen, die nach ihrem wesentlichen Zweck der Sicherung des Grundstücks gegen unbefugtes Betreten oder Verlassen, gegen Witterungseinflüsse oder Immissionseinflüsse sowie gegen Einsicht dienen, um eine ungestörte Nutzung des Grundstücks zu gewährleisten, und die das Grundstück von der öffentlichen Verkehrsfläche oder von Nachbargrundstücken abgrenzen (vgl. Senatsurteil vom 18.12.1995 - 3 S 1298/94 -, BWGZ 1996, 410). Dabei unterscheidet man zwischen offenen und geschlossenen Einfriedigungen. Offene Einfriedigungen sind - wie beispielsweise Weidezäune oder Maschendrahtzäune - durchsichtig, wirken also nicht als geschlossene Wand. Geschlossene Einfriedigungen sind solche ohne Zwischenraum, sie bestehen also - wie Mauern und durchgehende Bretterwände - aus zusammenhängenden Wänden (vgl. Sauter, LBO, 3. Auflage, Stand September 2005, § 50 RdNr. 135ff). Vorliegend beabsichtigen die Kläger nach den von ihnen zuletzt vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung erläuterten Plänen die Errichtung einer geschlossenen Einfriedigung. Dies widerspricht ersichtlich den Vorgaben des § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften.
25 
Von der Wirksamkeit dieser Bauvorschrift ist auszugehen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, leidet sie nicht an einem beachtlichen Form- oder Verfahrensfehler. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, nachdem die Kläger ihre diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsverfahren nicht aufrechterhalten haben. Die in § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften getroffene Regelung ist aber auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich insbesondere im Rahmen der Ermächtigung des § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO und genügt dem Abwägungsgebot.
26 
Nach § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO können Gemeinden u.a. zur Durchführung baugestalterischer Absichten im Rahmen der Landesbauordnung in bestimmten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über Notwendigkeit, Zulässigkeit, Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedigungen. Diese Ermächtigung bezieht sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur auf Einfriedigungen, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind (im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2002 - 8 S 1046/02 -, BRS 65 Nr. 145 zu § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO). Soweit der Senat - zu § 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972 - in seinem Beschluss vom 29.11.1979 - III 2380/77 - eine andere Auffassung vertreten hat, wird diese nicht aufrechterhalten.
27 
§ 74 Abs. 1 LBO enthält vom Wortlaut her keine Einschränkung auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen. Durch die Formulierung „zur Durchführung baugestalterischer Absichten“ wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschrift nicht nur - wie die frühere Regelung in § 111 Abs. 1 LBO 1964 - zur Abwehr von Verunstaltungen, sondern auch zur positiven Gestaltungspflege ermächtigt. Durch die Bezugnahme „im Rahmen dieses Gesetzes“ wird weiter klargestellt, dass sich Gestaltungsvorschriften im Rahmen der von der Landesbauordnung verfolgten Ziele halten müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Landesgesetzgeber die Regelung des Bauordnungsrechtes vorbehalten ist. Hierzu zählt nicht mehr nur die bloße Abwehr von Gefahren, die der Allgemeinheit oder Einzelnen von baulichen Anlagen drohen. Das Bauordnungsrecht darf, soweit dies im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig ist, auch zur Wahrung ästhetischer Belange nutzbar gemacht werden. Dies schließt neben der Abwehr von Verunstaltungen eine positive Gestaltungspflege ein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - 5 S 858/82 - , VBlBW 1983, 180 zu § 111 Abs. 1 LBO 1972). Den Gemeinden ist es auf landesrechtlicher Grundlage unbenommen, über die äußere Gestaltung einzelner baulicher Anlagen auf das örtliche Erscheinungsbild Einfluss zu nehmen. Hierzu gehören Vorschriften, die dazu bestimmt sind, das Orts- oder Straßenbild, je nach ihren gestalterischen Vorstellungen zu erhalten oder umzugestalten. Gegenstand örtlicher Bauvorschriften können dagegen nicht Regelungen sein, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder entzogen sind, so im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, soweit der Bund von seiner Kompetenz verfassungsgemäßen Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 72 GG). Hierzu gehört das Bodenrecht i.S.d. Art 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, das der Bundesgesetzgeber insbesondere im Baugesetzbuch kodifiziert hat. Dieses Gesetz regelt die rechtlichen Beziehungen zum Grund und Boden und trifft Bestimmungen darüber, in welcher Weise der Eigentümer sein Grundstück nutzen darf. Nicht zuletzt über die Vorschriften, die das Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche betreffen, leistet auch das Städtebaurecht einen Beitrag zur Gestaltung des Ortsbildes (vgl. §§ 1 Abs. 5 Satz 2, 34 Abs. 1 Satz 2 und 35 Abs. 3 BauGB). Das städtebauliche Instrumentarium reicht unter diesem Blickwinkel indes nur soweit, wie das Baugesetzbuch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Zur bodenrechtlichen Ortsbildgestaltung steht der Gemeinde der in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend umschriebene Festsetzungskatalog zur Verfügung. Gestaltungsvorschriften, die hierüber hinaus gehen, ohne den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung zu haben, stehen dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht offen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.07.1997 - 4 NB 15.97 -, BauR 1997, 999). Hiervon hat der baden-württembergische Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht. Dabei kann auch der Systematik der Landesbauordnung nicht entnommen werden, dass gestalterische Vorgaben sich nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Anlagen beziehen dürfen. Der Umstand, dass die Landesbauordnung eine derartige Einschränkung bei der Definition der Werbeanlagen (vgl. § 2 Abs. 9 Satz 1 LBO) und bei der Verunstaltung durch Automaten (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 2 LBO) vorsieht, spricht im Umkehrschluss dafür, dass der Anwendungsbereich der Landesbauordnung im Übrigen nicht per se auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen beschränkt ist. Andernfalls wäre die ausdrückliche Einschränkung bei Werbeanlagen und Automaten überflüssig. Eine derartige Einschränkung der Ermächtigung erscheint nach Sinn und Zweck auch nicht sachgerecht. Eine bauliche Anlage kann Auswirkungen auf das Orts-, Straßen- oder Landschaftsbild einer Gemeinde auch dann haben, wenn sie zwar nicht vom öffentlichen Verkehrsraum, aber von anderen Standorten aus einsehbar ist und sich aus diesen Blickwinkeln auf das örtliche Erscheinungsbild auswirkt. Das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild stellt zwar das Schutzobjekt bauordnungsrechtlicher Regelungen dar, sagt aber nichts darüber aus, von welchem Standpunkt aus die Beurteilung zu erfolgen hat. Ein umfassender Schutz des örtlichen Erscheinungsbildes wird aber nur dann erreicht, wenn man in die Beurteilung alle baulichen Anlagen mit einbezieht, die für einen Betrachter - unabhängig von einem bestimmten Standort und Blickwinkel - das Umgebungsbild (mit-) prägen. Damit können sich grundsätzlich auch vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbare bauliche Anlagen auf das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild auswirken. Im Übrigen ist das Kriterium der Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum wenig praktikabel für den mit der Ermächtigung verfolgten Zweck, da es häufig von - jederzeit änderbaren und sich ständig ändernden - Zufälligkeiten abhängt, ob eine bauliche Anlage vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar ist oder nicht. Würden nicht sichtbare bauliche Anlagen von der Ermächtigung von vornherein ausgenommen, könnte die Gemeinde ihre gestalterischen Absichten wegen entgegenstehenden Bestandsschutzes nicht durchsetzen, wenn eine bauliche Anlage irgendwann einmal vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbar war. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sind. Dies hat nicht zur Folge, dass der Geltungsbereich der Landesbauordnung hinsichtlich gestalterischer Anforderungen an bauliche Anlagen von vornherein auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Maßnahmen zu beschränken ist, sondern führt nur dazu, dass regelmäßig zu prüfen ist, ob die Einschränkung der Baufreiheit im konkreten Fall den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügt.
28 
Erstreckt sich die Ermächtigung in § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO mithin nicht nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen, so ist § 9 Nr. 1 der einschlägigen Bebauungsvorschriften von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Dass die Gemeinde mit der Beschränkung andere als gestalterische Absichten verfolgt hat, ist nicht ersichtlich.
29 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verstößt § 9 Nr. 1 der Bebauungsvorschriften auch nicht gegen das Abwägungsgebot. Ebenso wie bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hat die Gemeinde beim Erlass örtlicher Bauvorschriften die von der beabsichtigten Regelung berührten öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen. Zwar findet das für Bebauungspläne geltende Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB a.F./§ 1 Abs. 7 BauGB n.F. auf örtliche Bauvorschriften auch dann keine (unmittelbare) Anwendung, wenn diese - wie vorliegend - zusammen mit einem Bebauungsplan beschlossen oder geändert werden, da § 74 Abs. 7 LBO nur für das Verfahren zum Erlass dieser Vorschriften auf das Baugesetzbuch verweist, es sich beim planungsrechtlichen Abwägungsgebot aber nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine materiell-rechtliche Regelung handelt. Die Verpflichtung der Gemeinde zu einer Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123).
30 
Wie bereits oben dargelegt sind Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gezielte Gestaltung einzelner baulicher Anlagen und des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes ein bedeutsames öffentliches Anliegen ist, das prinzipiell zu einer Einschränkung privater Eigentümerbefugnisse führen kann. Je gewichtiger die konkrete Gestaltungsaufgabe und je schutzwürdiger das vorhandene bzw. beabsichtigte Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild ist, umso eingehender dürfen gestalterische Festsetzungen und Anforderungen sein, ohne das Übermaßverbot zu verletzen. Daraus folgt umgekehrt, dass das Ziel einer einheitlichen Gestaltung allein um der Einheitlichkeit oder gar Uniformität willen nicht ausreicht. Vielmehr muss im Regelfall entsprechend den örtlichen Bauvorschriften eine gewisse historische, künstlerische oder sonst die Eigenart des Ortsbildes ausmachende Homogenität gegeben sein oder angestrebt werden, die allein es rechtfertigt, den Freiheitsraum des Bauherrn einzuengen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
31 
Im Rahmen der dabei erforderlichen Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ist der Gemeinde bei der Bestimmung der gestalterischen Absichten und Wertmaßstäbe ein Ermessensspielraum einzuräumen, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.09.2002 - a.a.O. -). Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, nämlich um dem Erfordernis der Bestimmtheit belastender Regelungen und damit deren Erkennbarkeit für den betroffenen Bürger zu genügen, ferner um sicherzustellen, dass die gestalterischen Vorstellungen auch wirklich dem zuständigen Gemeindeorgan zugerechnet werden können, ist eine möglichst konkrete Festlegung der gestalterischen Absichten zu fordern. Dies wird, jedenfalls bei generellen Regelungen im allgemeinen durch die Satzung selbst geschehen müssen. Eine satzungsmäßige Festschreibung ist allerdings entbehrlich, wenn die beabsichtigte Gestaltung des Straßen- oder Ortsbildes aus dem vorhandenen Baubestand ohne weiteres für den gebildeten Durchschnittsbetrachter ablesbar ist oder wenn sich das gestalterische Ziel unmittelbar aus dem Inhalt der gestalterischen Anforderungen ergibt (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
32 
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen vorliegend nicht ohne Weiteres, dass bei der Änderung der Bebauungsvorschriften im Jahre 1996 hinsichtlich der Vorgaben für Einfriedigungen eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Gemeinde einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits stattgefunden hat. Den Gemeinderäten lag ausweislich der vorgelegten Tischvorlage vom 04.05.1994 eine synoptische Gegenüberstellung der Bebauungsvorschriften in ihrem damaligen Wortlaut und in der beabsichtigten Änderungsfassung vor. Des Weiteren wurden sie in der Gemeinderatssitzung vom 31.08.1994 ausweislich der Sitzungsniederschrift darüber informiert, dass die unter Ziff. 2.7 der bisherigen Bebauungsvorschriften geforderte einheitliche Gestaltung der Einfriedigungen entlang der öffentlichen Flächen nicht haltbar sei und diese Vorschrift deshalb ersatzlos gestrichen werde. Welche Erwägungen indessen der anstelle der bisherigen Regelung gewählten neuen Regelung letztlich zugrunde lagen, wurde nicht schriftlich festgehalten. Dieser Umstand lässt jedoch für sich allein nicht darauf schließen, dass sich der Gemeinderat bei der Beschlussfassung über die Änderung der Bebauungsvorschriften nicht mit den jeweiligen Belangen abwägend befasst hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - a.a.O. -). Dies gilt umso mehr, als es sich bei § 9 der örtlichen Bauvorschriften um eine Regelung von eher untergeordneter Bedeutung handelt. Durch sie werden im Plangebiet Einfriedigungen weder gänzlich ausgeschlossen noch in ihrer funktionalen Zweckbestimmung beschränkt, sondern nur gewissen Anforderungen an ihre äußere Gestaltung unterworfen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit Sockeln bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton und Heckenhinterpflanzungen sowie der generelle Ausschluss von Stacheldraht die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nicht nennenswert einschränkt. Auch werden hierdurch die Gestaltungswünsche der Grundstückseigentümer nicht übermäßig beschnitten und verursacht die Einhaltung der Gestaltungsvorschriften keine unverhältnismäßigen Kosten. Dementsprechend sind während des Auslegungsverfahrens auch weder von den Klägern noch von anderen betroffenen Grundstückseigentümern Einwendungen gegen die beabsichtigte Regelung erhoben worden. Die insoweit berührten Interessen liegen im Übrigen auch ohne ausdrückliche Niederlegung in den Planunterlagen offen zu Tage. Einfriedigungen können - wie die Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend ausgeführt hat - zu einer Zerstückelung der städtebaulichen Struktur, abgeschlossenen Grundstücken, Beeinträchtigungen der Sicht von Nachbargrundstücken und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sowie zu nachteiligen Auswirkungen auf Belichtung und Besonnung führen. Diese Auswirkungen werden durch die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit einem Sockel von max. 30 cm und Heckenhinterpflanzungen zumindest abgeschwächt, ohne dass hiermit eine Funktionseinbuße verbunden ist. Eine derartige Beschränkung stellt daher jedenfalls in einem einheitlich geplanten, durch aufgelockerte Bebauung mit entsprechenden Garten- und Vorgartenflächen geprägten Wohngebiet eine zulässige und sachlich vertretbare Zielvorstellung für das Straßen- und Ortsbild dar, die die Grenze des ortsgesetzgeberischen Ermessens nicht überschreitet (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Bei dem Baugebiet „Schwarzgrund“ handelt es sich um ein einheitlich geplantes allgemeines Wohngebiet. Dieses ist durch die Festsetzung einer ein- bis zweigeschossigen Bebauung in offener Bauweise mit einer GRZ von 0,4 und entsprechenden (Vor-) Gartenflächen gekennzeichnet. Damit handelt es sich nach der planerischen Konzeption der Beklagten um ein gehobenes Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung. Bei dieser Sachlage sind die gestalterischen Absichten der Gemeinde bei einer Gesamtschau der satzungsmäßigen Regelungen auch ohne ausdrückliche Festschreibung hinreichend erkennbar.
33 
Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch das Ergebnis der Abwägung nicht zu beanstanden. In einem gehobenen Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung dürfen grundsätzlich auch die Grundstücksrandzonen einheitlichen gestalterischen Anforderungen unterworfen werden (vgl. VGH Bad.-Württ., NK-Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Dies gilt nicht nur für die vom öffentlichen Verkehrsraum aus einsehbaren Randbereiche, da auch nicht einsehbare Einfriedigungen, - wie oben dargelegt - sich auf das Ortsbild auszuwirken können und deshalb ihre Einbeziehung grundsätzlich von einem sachgerechten öffentlichen Interesse an der Gestaltung des örtlichen Erscheinungsbildes getragen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Regelung den Grundstückseigentümern genügend Spielraum belässt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer von ihnen gewünschten Einfriedigung. Stellt man den von der Beklagten verfolgten gestalterischen Absichten das Maß der damit verbundenen Einschränkung in der Grundstücksnutzung gegenüber, hält sich die gewählte Regelung daher in den Grenzen einer angemessenen Abwägung zwischen den Belangen der Allgemeinheit einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits.
34 
Der Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift steht entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht entgegen, dass auf dem Gemeindegebiet an anderen Stellen geschlossene Einfriedigungen vorhanden sind. Denn die streitgegenständliche Bauvorschrift gilt nur für das Baugebiet „Schwarzgrund“. Dass innerhalb dieses Baugebietes - außer der von der Beklagten geduldeten Einfriedigung auf dem Grundstück des Klägers - weitere Einfriedigungen gegen § 9 Nr. 1 der örtlichen Bauvorschriften verstoßen, haben die Kläger nicht dargelegt. Ob und inwieweit inhaltsgleiche örtliche Bauvorschriften möglicherweise in anderen Baugebieten nicht eingehalten werden, ist für die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Bauvorschrift nicht erheblich.
35 
Damit verstößt die von den Klägern geplante Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und lag der Erlass der Baueinstellungsverfügung im Ermessen der Baurechtsbehörde. Diese hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 LVwVfG). Entsprechend kann das Gericht nur prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ermessensausübung durch die der Baurechtsbehörde nach § 47 Abs. 1 LBO obliegende Überwachungspflicht und durch den Gleichheitsgrundsatz verhältnismäßig enge Grenzen gezogen sind und die fehlerfreie Ermessensausübung im Regelfall die Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten verlangt, da hierdurch sichergestellt werden soll, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später nur schwer rückgängig zu machen sind. Das öffentliche Interesse gebietet daher grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Ermessensentscheidung vorliegend nicht zu beanstanden.
36 
Insoweit kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der streitgegenständlichen örtlichen Bauvorschrift haben und damit der oben festgestellte Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften beseitigt werden könnte. Denn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung liegen ersichtlich nicht vor. Da die streitgegenständliche Regelung ihre Rechtsgrundlage in § 74 Abs. 1 LBO findet, käme eine Befreiung nur nach § 56 Abs. 6 LBO in Betracht. Danach kann von einer örtlichen Bauvorschrift Befreiung erteilt werden, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern oder die Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend ersichtlich nicht erfüllt. Weder erfordern Gründe des Allgemeinwohls eine Befreiung noch liegt eine nicht beabsichtigte Härte vor. Letztere ist nur dann zu bejahen, wenn das Grundstück bei Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften nicht oder nur schwer bebaut werden kann und diese Beschränkung nicht durch die Zielsetzung oder den Schutzzweck dieser Vorschriften gefordert wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.09.1979 - V 995/79 -, BRS 36 Nr. 182), wenn also die schematische Anwendung der Vorschrift zu Ungerechtigkeiten führen würde, namentlich ein ganz unbilliges Ergebnis zur Folge hätte und der Normzweck eine Abweichung erlaubt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.04.1965 - I 493/64 -, ESVGH 15, 180). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Kläger in ihrem Garten unmittelbar an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen einen Schwimmteich errichtet haben und aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht einer Grundstückseinfriedigung bedürfen, genügt hierfür nicht, da dies keinen in der Grundstückssituation bedingten Sonderfall darstellt. Im Übrigen können die Kläger ihrer Verkehrssicherungspflicht durch die Errichtung einer Einfriedigung nachkommen, die den örtlichen Gestaltungsvorschriften entspricht.
37 
Die Einstellungsverfügung ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die von den Klägern zur Straße hin errichtete Einfriedigung, die gleichermaßen gegen § 9 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften verstößt, von der Beklagten geduldet wird. Die Duldung einer bereits errichteten baurechtswidrigen Anlage führt nicht dazu, dass die Behörde gegen einen beabsichtigten weiteren Verstoß nicht (mehr) im Wege einer Baueinstellungsverfügung vorgehen darf. Aus diesem Grund kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob und inwieweit in anderen Baugebieten möglicherweise inhaltsgleiche Bauvorschriften existieren und die Beklagte dort gegen baurechtswidrig errichtete Einfriedigungen nicht eingeschritten ist.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
39 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
40 
Beschluss
vom 11. Oktober 2006
41 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
42 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Tenor

1. § 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 211), zuletzt geändert am 15. Dezember 2009 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 506), ist mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Vorschrift Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246 <2257>), verfügen, von der Möglichkeit ausnimmt, abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist.

2. Bis zu einer Neuregelung gilt die Vorschrift mit der Maßgabe fort, dass sie auch auf Gaststätten anzuwenden ist, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246 <2257>), verfügen.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz als Ausnahme von dem generell in Gaststätten geltenden Rauchverbot die Einrichtung von Raucherräumen für Schankwirtschaften erlaubt, diese Begünstigung jedoch Speisewirtschaften vorenthält.

I.

2

1. a) Durch § 2 Abs. 1 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (GVBl S. 211), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes vom 15. Dezember 2009 (GVBl S. 506), wird das Rauchen in Gaststätten sowie in zahlreichen anderen öffentlich zugänglichen Einrichtungen verboten. Die Vorschrift lautet auszugsweise:

3

§ 2

4

Rauchverbot

5

(1) Das Rauchen ist nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 verboten in

6

1. bis 8 ...

7

9. Einrichtungen, in denen Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden (Gaststätten), einschließlich Gaststätten, die in der Betriebsart Diskothek geführt werden.

8

10. bis 12. ...

9

(2) bis (8) ...

10

Vom Rauchverbot ausgenommen sind Gaststätten mit nur einem Gastraum und einer Gastfläche von weniger als 75 m 2 , die keine zubereiteten Speisen anbieten und nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen (§ 2 Abs. 5 HmbPSchG).

11

§ 2 Abs. 4 HmbPSchG erlaubt für Gaststätten, in denen keine zubereiteten Speisen angeboten werden und die nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen, die Einrichtung von Raucherräumen. Die Vorschrift lautet:

12

(4) In Gaststätten gemäß Absatz 1 Nummer 9, die keine zubereiteten Speisen anbieten und nicht über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3419), zuletzt geändert am 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246, 2257), verfügen, können abgeschlossene Räume eingerichtet werden, in denen das Rauchen gestattet ist. Voraussetzung hierfür ist, dass

13

1. diese Räume baulich so wirksam abgetrennt werden, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen wird und die Raucherräume belüftet werden,

14

2. der Zutritt Personen unter 18 Jahren verwehrt ist und

15

3. diese Räume nicht größer sind als die übrige Gastfläche.

16

In ähnlicher Weise wie § 2 Abs. 4 HmbPSchG erlaubt § 2 Abs. 3 HmbPSchG, dass in anderen Einrichtungen, für die grundsätzlich das Rauchverbot gilt (z.B. Behörden, Krankenhäusern, Wohneinrichtungen, Hochschulen, Sporthallen und Justizvollzugsanstalten), Raucherräume eingerichtet werden. Zu den Voraussetzungen gehört auch hier, dass "in diesen Räumen keine zubereiteten Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden" (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 HmbPSchG).

17

Die Betreibenden von Gaststätten sind verantwortlich für die Einhaltung des Verbots und müssen, wenn ihnen ein Verstoß bekannt wird, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um weitere Verstöße zu verhindern (§ 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HmbPSchG). Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, handelt ordnungswidrig (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 HmbPSchG).

18

b) Eine vergleichbare Regelung zur Zulassung von Raucherräumen in Gaststätten findet sich in anderen Ländern nicht. Während in Bayern und im Saarland ein striktes Rauchverbot in Gaststätten gilt und damit die Einrichtung von Raucherräumen dort ohnehin unzulässig ist, lassen alle anderen Länder das Rauchen in gesonderten Räumen unter besonderen Voraussetzungen zu, ohne danach zu unterscheiden, ob in den jeweiligen Gaststätten zubereitete Speisen angeboten werden oder nicht.

19

2. Bereits in seiner ursprünglichen Fassung vom 11. Juli 2007 (GVBl S. 211) sah das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz als Ausnahme vom geltenden Rauchverbot die Möglichkeit vor, in Gaststätten und verschiedenen anderen Einrichtungen Raucherräume zu schaffen. Voraussetzung war, dass diese Räume baulich so wirksam abgetrennt wurden, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen war und dass die Raucherräume belüftet und ausdrücklich gekennzeichnet waren (§ 2 Abs. 3 HmbPSchG a.F.). Zwischen Speise- und Schankwirtschaften wurde dabei nicht differenziert. Eine Ausnahmeregelung für getränkegeprägte Kleingastronomie enthielt das Gesetz damals noch nicht.

20

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) Regelungen der Länder Baden-Württemberg und Berlin über Rauchverbote in Gaststätten für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hatte, weil sie die getränkegeprägte Kleingastronomie unverhältnismäßig belasteten, befasste sich der Landesgesetzgeber mit hiernach gebotenen Anpassungen des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes. Zwischen den damaligen Regierungsfraktionen bestanden zunächst unterschiedliche Vorstellungen über eine Neuregelung: Während in der CDU-Fraktion mehrheitlich weitgehende Ausnahmetatbestände vom Rauchverbot in Gaststätten befürwortet wurden, trat die Grün-Alternative Liste (GAL) für ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahmen ein. Unter dem 25. November 2009 legten die Regierungsfraktionen der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg schließlich den gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes vor (Drucks 19/4713), der in der Folgezeit zu der hier gegenständlichen Gesetzesfassung führte. Zur Begründung des Gesetzantrags wird knapp auf die Notwendigkeit einer Anpassung des Gesetzes an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Weiter heißt es, dem generellen Ziel des Schutzes vor den Gefahren des Passivrauchens solle unverändert Rechnung getragen werden, es sollten aber auch die Interessen der Gastronomie Berücksichtigung finden.

II.

21

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: die Klägerin) betreibt eine Gaststätte auf einem in Hamburg an der Autobahn A 7 gelegenen Autohof. Neben einer Gaststube mit einer Fläche von 70 m 2 umfasst die Gaststätte noch einen 33 m 2 großen "Clubraum". Für diese Gaststätte ist die Klägerin im Besitz einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit dem Ausschank von Getränken aller Art und der Abgabe von Speisen.

22

Im Juni 2010 beantragte sie beim zuständigen Bezirksamt eine Ausnahmegenehmigung vom Rauchverbot, um den Clubraum als Raucherraum auszuweisen. 80 % ihrer Gäste seien Lkw-Fahrer; diese seien fast alle Raucher. Schon bei Einführung der ursprünglichen Fassung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes sei es für ihre Gaststätte zu Umsatzeinbußen von bis zu 20 % gekommen. Das nun eingeführte komplette Rauchverbot in Speisewirtschaften bedrohe ihre wirtschaftliche Existenz. Es seien Umsatzeinbußen von etwa 60 % zu erwarten. Die Kundschaft der Lkw-Fahrer würde fast komplett wegbrechen. Dies werde dadurch begünstigt, dass die umliegenden Länder die Einrichtung von Raucherräumen erlaubten und die Lkw-Fahrer sehr mobil seien.

23

Das Bezirksamt lehnte den Erlass einer Ausnahmegenehmigung ab; die gesetzliche Regelung gelte ausnahmslos, eine Ausnahme für Speisewirtschaften sei nicht vorgesehen. Nachdem auch der Widerspruch der Klägerin ohne Erfolg blieb, begehrt die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht festzustellen, dass sie berechtigt sei, einen bestimmten näher bezeichneten Raum ihrer Gaststätte als Raucherraum auszuweisen und zu betreiben.

24

2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 2 Abs. 4 HmbPSchG mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit nach dieser Regelung Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes (GastG) verfügen, anders als Schankwirtschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG) keine abgeschlossenen Räume einrichten dürfen, in denen das Rauchen gestattet ist.

25

Die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG sei entscheidungserheblich. Wenn die Vorschrift verfassungsgemäß sei, sei die Klage abzuweisen; denn in der Gaststätte der Klägerin würde dann das Rauchverbot absolut gelten, und die Klägerin dürfte keinen Raucherraum betreiben. Wenn die Vorschrift verfassungswidrig sei, bestehe für sie dagegen zumindest die Chance, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber und damit einen Erfolg der Feststellungsklage zu erreichen. Die Feststellungsklage sei zulässig und bis auf die Tatsache, dass die Klägerin eine Speise- und keine Schankwirtschaft betreibe, begründet. Es bestehe keine Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift schließe eine Interpretation dahingehend aus, dass auch in Speisewirtschaften abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden dürften. Zwar würde die Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG nicht unmittelbar dazu führen, dass die Klägerin einen abgeschlossenen Raucherraum einrichten dürfte. Für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage genüge in den Fällen eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses jedoch bereits die Chance, eine günstigere Regelung zu erreichen.

26

Seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG begründet das Verwaltungsgericht unter Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317). Das Rauchverbot in Gaststätten greife in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin ein. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt; denn die Ausgestaltung der Ausnahme vom Rauchverbot gemäß § 2 Abs. 4 HmbPSchG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil im Hinblick auf diese Ausnahme Speisewirtschaften ohne sachliche Rechtfertigung anders als Schankwirtschaften behandelt würden.

III.

27

Zu der Vorlage haben das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, das Statistische Bundesamt, das Deutsche Krebsforschungszentrum und namens des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA Bundesverband) dessen Landesverband Hamburg Stellung genommen. Der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Bürgerschaft und der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben von Stellungnahmen abgesehen.

28

1. Der Präsident des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts teilt mit, dass das Gericht mit den im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss aufgeworfenen Fragen zur Verfassungswidrigkeit des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes bisher nicht befasst gewesen sei.

29

2. Das Statistische Bundesamt teilt mit, dass sich seit 2007 die Umsätze in der getränkegeprägten Gastronomie (Schankwirtschaften, Diskotheken und Tanzlokale, Bars, Vergnügungslokale, sonstige getränkegeprägte Gastronomie) deutlich schlechter als in der speisengeprägten Gastronomie (Restaurants mit herkömmlicher Bedienung, Restaurants mit Selbstbedienung, Imbissstuben, Cafés, Eissalons) entwickelt hätten. Die Umsätze in beiden Wirtschaftszweigen seien bezogen auf das Basisjahr 2005 gesunken, und zwar verstärkt seit Januar 2007. Zu diesem Zeitpunkt sei der Mehrwertsteuersatz erhöht worden. In der getränkegeprägten Gastronomie seien die Umsätze seit Januar 2007 stärker zurückgegangen als in der speisengeprägten Gastronomie; so seien etwa im August 2010 bei den realen Umsatzmesszahlen im Vergleich zu 2005 für die getränkegeprägte Gastronomie nur noch 76,0 % gegenüber 85,6 % für die speisengeprägte Gastronomie erreicht worden. Erst im Laufe des Jahres 2009 habe sich der Trend in beiden Bereichen mit zuletzt 77,1 % beziehungsweise 86,6 % im September 2011 stabilisiert.

30

Zu der Frage, ob es bei der Umsatzentwicklung Unterschiede zwischen kleinen Einraumgaststätten und größeren Gaststätten gebe, konnte das Statistische Bundesamt keine Aussagen treffen. Wegen der verschiedenen Regelungen in den einzelnen Ländern und der unterschiedlichen Zeitpunkte deren In- und Außerkrafttretens sah sich das Statistische Bundesamt zudem nicht in der Lage abzuschätzen, inwieweit landesspezifische Regelungen zum Rauchverbot für die beschriebene Entwicklung ursächlich waren. Damit unterscheide sich die Lage von derjenigen zum Zeitpunkt der Anfrage des Bundesverfassungsgerichts in dem der Entscheidung des Senats vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) zugrunde liegenden Verfahren. Bei der für dieses Verfahren abgegebenen Stellungnahme sei es für einen bestimmten Zeitraum im Jahr 2007 möglich gewesen, die Länder eindeutig in solche mit gleichartigen Passivraucherschutzgesetzen und solche gänzlich ohne entsprechende Regelungen einzuteilen.

31

3. Das Deutsche Krebsforschungszentrum teilt mit, dass es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Unterschied mache, ob die Schadstoffe, die im Tabakrauch enthalten seien, in einer Schankwirtschaft oder in einem Speiserestaurant eingeatmet würden. Sie seien in jedem Fall gesundheitsschädlich und krebserregend, insbesondere für die Beschäftigten. Der "Kompromiss", in Speisegaststätten das Rauchen zu verbieten und es in Getränkegaststätten zuzulassen, gehe auf ein Positionspapier der Tabakindustrie aus dem Jahr 2005 zurück. Er widerspreche den Erkenntnissen der Krebsforschung und dem Vorrang des Gesundheitsschutzes vor wirtschaftlichen Erwägungen.

32

4. Für den DEHOGA Bundesverband hat sich dessen Landesverband Hamburg geäußert. Er differenziert in seiner Stellungnahme zwischen drei Typen von Gaststätten: (1.) reinen Schankwirtschaften, (2.) Speisewirtschaften, die getränkeorientiert seien, aber auch einfache Speisen oder eine kleine Speisekarte anböten, und (3.) Restaurants, bei denen das Speisenangebot deutlich im Vordergrund stehe.

33

Es gebe in Hamburg nur relativ wenige Gaststätten, die völlig auf die Abgabe von Speisen verzichteten; allenfalls handele es sich um 60 bis 80 Betriebe. Solche Betriebe, die schon immer auf die Abgabe von Speisen verzichtet hätten, dürften nur in geringem Umfang von der gesetzlichen Neuregelung betroffen sein. Etwas anders stelle sich die Situation für solche Gaststätten dar, bei denen erst in Reaktion auf die gesetzliche Neuregelung die Abgabe von Speisen eingestellt worden sei. Hier sei der Speisenumsatz ersatzlos weggefallen, ohne dass in nennenswertem Umfang neue Gäste, nämlich rauchende Gäste und deren Begleitung, hätten gewonnen werden können.

34

Die Betreibenden getränkeorientierter Speisewirtschaften klagten regelmäßig darüber, dass ihr Umsatz nach der Novellierung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes drastisch zurückgegangen sei. Teils werde über Umsatzrückgänge von 30 % bis 50 % berichtet. Dies werde in erster Linie auf das Rauchverbot zurückgeführt. Für Gruppen mit rauchenden Gästen sei es unattraktiver geworden, solche Gaststätten aufzusuchen; denn die Notwendigkeit, zum Rauchen die Gaststätte zu verlassen, werde als Störung des kommunikativen Miteinanders empfunden. Die Verweildauer der Gäste habe sich erheblich verkürzt. Außerdem wichen Gäste in den Außenbezirken Hamburgs auf Gaststätten in den benachbarten Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen aus.

35

Bei "klassischen" Restaurants seien die Klagen über Umsatzrückgänge weniger ausgeprägt. Zwar werde auch dort immer wieder mitgeteilt, dass sich die Aufenthaltsdauer der Gäste gerade in der kälteren Jahreszeit verkürzt habe, vereinzelt werde allerdings auch berichtet, dass es einen Zuwachs an Gästen gebe, die den rauchfreien Essensgenuss zu schätzen wüssten.

B.

36

Die Vorlage ist zulässig. Insbesondere hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 4 HmbPSchG unter Hinweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 zu einem gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss bei der Zulassung von Raucherräumen (dort für Diskotheken; vgl. BVerfGE 121, 317 <368 ff.>) hinreichend dargelegt. Auf dieser Grundlage sind dem Vorlagebeschluss auch die - gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erforderlichen - hinreichenden Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu entnehmen. Ist das vorlegende Gericht - wie hier - der Überzeugung, dass die zur Prüfung gestellte Norm das in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht oder einen speziellen Gleichheitssatz verletzt, reicht es für die Feststellung der Entscheidungserheblichkeit aus, dass die Verfassungswidrigerklärung der Norm der im Ausgangsverfahren klagenden Partei die Chance offen hält, eine für sie günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl. BVerfGE 121, 108 <115> m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall; denn der Gesetzgeber kann den vom vorlegenden Gericht angenommenen Gleichheitsverstoß zwar auf verschiedenen Wegen heilen, sich hierbei aber auch für die Möglichkeit entscheiden, die Begünstigung in Gestalt der Zulassung von Raucherräumen auf Speisegaststätten zu erstrecken. In diesem Fall hätte die Klägerin nach der hier maßgeblichen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts im Ausgangsverfahren Erfolg.

C.

37

§ 2 Abs. 4 HmbPSchG ist mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar, als die Norm solche Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis verfügen, von der Möglichkeit ausnimmt, abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist.

I.

38

Die maßgebliche Vorschrift (§ 2 Abs. 4 HmbPSchG) ist nicht umfassend, sondern nur im Rahmen der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage (§ 81 BVerfGG) auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (vgl. BVerfGE 126, 331 <354>). Dies betrifft die Frage, ob Betreibende von Speisewirtschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG) anders als Betreibende von Schankwirtschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG) von der Möglichkeit ausgeschlossen werden dürfen, in entsprechend der gesetzlichen Regelung ausgestatteten Nebenräumen ihrer Gaststätten das Rauchen zu gestatten. Es wird also weder die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Rauchverbots in Gaststätten aufgeworfen (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <344, 356>), noch ist mit Blick auf eine etwa übermäßige Belastung einer bestimmten Gastronomiesparte über die Notwendigkeit eines weiteren Ausnahmetatbestandes vom gesetzlichen Rauchverbot zu befinden (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <359 ff.>). Ausweislich der Vorlagefrage geht es vielmehr allein darum, ob der Klägerin ein gesetzlich geregelter Ausnahmetatbestand - nämlich die Möglichkeit, einen Raucherraum einzurichten - in verfassungswidriger Weise vorenthalten wird. Diese Konstellation entspricht im Ansatz derjenigen, über die der Senat bereits hinsichtlich des Ausschlusses von Diskotheken von der ansonsten erlaubten Einrichtung von Raucherräumen durch die ursprüngliche Fassung von § 7 Abs. 2 Satz 2 des Landesnichtraucherschutzgesetzes Baden-Württemberg entschieden hat (BVerfGE 121, 317<368 ff.>). Auch im vorliegenden Fall liegt eine Beschränkung der freien Berufsausübung durch ein Rauchverbot vor, von dem eine Ausnahme vorgesehen ist, deren Ausschluss für bestimmte Gastronomiebetriebe den Anforderungen aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG standhalten muss (vgl. BVerfGE 25, 236 <251>; 121, 317 <369>).

39

1. a) Da für eine Speisewirtschaft, wie sie von der Klägerin betrieben wird, die Einrichtung eines Raucherraums durch § 2 Abs. 4 HmbPSchG nicht zugelassen ist, gibt es für solche Gaststätten keine Ausnahme von dem in § 2 Abs. 1 Nr. 9 HmbPSchG normierten Rauchverbot. Ungeachtet seiner vornehmlichen Adressierung an die Besucher einer Gaststätte greift dieses Rauchverbot in die Berufsausübungsfreiheit der Gaststättenbetreibenden ein (vgl. BVerfGE 121, 317 <344 ff.>). Die Freiheit der Berufsausübung wird durch Art. 12 Abs. 1 GG umfassend geschützt (vgl. BVerfGE 85, 248 <256>) und erstreckt sich auch auf das Recht, Art und Qualität der am Markt angebotenen Güter und Leistungen selbst festzulegen (vgl. BVerfGE 106, 275 <299>) und damit den Kreis der angesprochenen Interessenten selbst auszuwählen. Unter diesem Gesichtspunkt beeinträchtigt das Rauchverbot die freie Berufsausübung derjenigen, die Gaststätten betreiben; denn ihnen wird die Möglichkeit genommen, selbst darüber zu bestimmen, ob in ihren Lokalen den Gästen das Rauchen gestattet oder untersagt ist. Damit können sie nur noch in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen darüber entscheiden, ob die Leistungen und Dienste ihres Gaststättenbetriebs auch solchen Gästen angeboten werden sollen, die diese zusammen mit dem Rauchen von Tabak in Anspruch nehmen möchten. Den Gaststättenbetreibenden wird es nicht nur erheblich erschwert, rauchende Gäste mit ihren Angeboten zu erreichen, sondern sie werden regelmäßig daran gehindert, ihre Leistungen an Gäste zu erbringen, die auf das Rauchen in der Gaststätte nicht verzichten wollen (so BVerfGE 121, 317 <345>).

40

b) Berufsausübungsregelungen müssen nicht nur den Anforderungen genügen, die sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 GG ergeben, sie müssen vielmehr auch sonst in jeder Hinsicht verfassungsgemäß sein und insbesondere den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (vgl. BVerfGE 25, 236 <251>; 121, 317 <369>).

41

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 126, 400 <416>; 127, 263 <280>; stRspr). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, NVwZ 2011, S. 1316 <1317> m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011, a.a.O.); denn dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten, zu denen auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Berufsausübung zählt, nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 121, 317 <370> m.w.N.).

42

2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf die verfassungsrechtliche Prüfung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG ist diese Norm mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

43

a) Für die vorliegend zu beurteilende Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften ist bei der Prüfung anhand des Gleichheitssatzes von einer strengeren Bindung des Gesetzgebers auszugehen, weil sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten - hier in Gestalt der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten freien Berufsausübung - nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 121, 317 <370>). Aufgrund der differenzierenden Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG sind die Betreibenden von Speisewirtschaften im Unterschied zu denjenigen, die Schankwirtschaften betreiben, daran gehindert, gesonderte Nebenräume einzurichten, um dort ihren Gästen das Rauchen zu gestatten und damit eine Ausnahme vom ansonsten geltenden Rauchverbot in Gaststätten für sich zu nutzen. Dies hat zur Folge, dass Betreibende von Speisewirtschaften nicht in freier Ausübung ihres Berufs das Angebot ihrer Gaststätten auch für rauchende Gäste attraktiv gestalten können. Es liegt nahe, dass dies erhebliche wirtschaftliche Nachteile insbesondere für eher getränkegeprägte Speisegaststätten nach sich zieht, bei denen die Gäste auf Speisen zwar nicht verzichten wollen, solche Lokale aber vorrangig aus anderen Gründen - wie etwa auf der Suche nach Geselligkeit und zur Kommunikation - aufsuchen.

44

b) Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Es fehlt an einem hinreichend gewichtigen Grund für die Differenzierung.

45

aa) Als Differenzierungsgrund genügt es nicht bereits, dass die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG vorgenommene Unterscheidung das Ergebnis eines politischen Kompromisses zwischen den damaligen Regierungsfraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft ist. Die Notwendigkeit, sich durch einen politischen Kompromiss eine parlamentarische Mehrheit zu sichern, prägt Politik. Sie kann für sich allein genommen die mit schwerwiegenden Nachteilen für die Ausübung eines Freiheitsrechts verbundene Ungleichbehandlung verschiedener Normadressaten freilich nicht rechtfertigen. Auch wenn der Gesetzgeber im demokratischen Staat regelmäßig auf politische Kompromisse angewiesen ist, gilt doch auch für ihn gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Bindung an die Grundrechte. Dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist mithin nicht allein schon wegen des Vorliegens eines politischen Kompromisses Genüge getan, er setzt vielmehr seinerseits der Möglichkeit eines Kompromisses inhaltliche Grenzen.

46

bb) Sachliche Gesichtspunkte, mit denen sich die Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften bei der Zulassung von Raucherräumen rechtfertigen lässt, sind nicht erkennbar  . 

47

Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist allerdings nicht ausschlaggebend, ob die maßgeblichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Nicht die subjektive Willkür des Gesetzgebers führt zur Feststellung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern die objektive Unangemessenheit der Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll (vgl. BVerfGE 51, 1 <26 f.>; 93, 386 <400> m.w.N.). Auf dieser Grundlage ist kein hinreichend gewichtiger Grund für die Differenzierung auszumachen.

48

(1) So lässt sich die unterschiedliche Behandlung nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes rechtfertigen.

49

(a) Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals, ungeachtet der Frage, ob und inwieweit ein Landesgesetzgeber dieses Ziel zum Gegenstand eines Nichtraucherschutzgesetzes machen kann, ohne dadurch gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu verstoßen (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <347 f.>). Insoweit fehlt es bereits an dem erforderlichen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Regelungsziel und den vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungsmerkmalen (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011, a.a.O., S. 1316 f. m.w.N.). Im vorliegenden Fall lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen dem Schutz des Gaststättenpersonals und der Differenzierung zwischen Speise- und Schankgaststätten nicht erkennen, denn nicht nur in Speise-, sondern auch in Schankwirtschaften sind Angestellte beschäftigt, die die Gäste in dort zulässigen Raucherräumen bedienen und hierbei den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt werden. Weder in den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens noch anderweitig lassen sich Nachweise dafür finden, dass das Gaststättenpersonal in Raucherräumen von Speisewirtschaften regelmäßig in stärkerem Maße dem Tabakrauch ausgesetzt sein könnte als in Raucherräumen von Schankwirtschaften. Nicht von der Hand zu weisen ist zudem die Überlegung des vorlegenden Gerichts, dass ein etwa beabsichtigter Schutz des Gaststättenpersonals effektiver und zugleich für die Betreibenden von Gaststätten weniger belastend zu erreichen ist, wenn die Zulassung von Raucherräumen davon abhängig gemacht wird, dass sich die Gäste dort selbst bedienen.

50

(b) Die Differenzierung kann ferner nicht mit dem Schutz der Gesundheit der Gäste gerechtfertigt werden. Gäste sind in den Schutz der gesetzlichen Regelung schon nicht einbezogen, soweit sie ihre eigene Gesundheit dadurch gefährden können, dass sie selbst rauchen. Ihnen wird kein Schutz vor Selbstgefährdung aufgedrängt (vgl. BVerfGE 59, 275 <278 f.>; 121, 317 <359>). Vielmehr wird nach § 1 Abs. 1 HmbPSchG mit dem Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz ausdrücklich nur das Ziel verfolgt, die Bevölkerung vor den gesundheitlichen Gefahren durch Passivrauchen in öffentlichen Einrichtungen zu schützen. Dieses begrenzte Schutzziel rechtfertigt indessen die Ungleichbehandlung von Schank- und Speisewirtschaften nicht.

51

(aa) Die Erwägung eines erhöhten Schutzbedürfnisses für Gäste in Speisewirtschaften wegen einer angenommenen zusätzlichen Belastung der Nahrung durch Tabakrauch wurde zwar bei einer Anhörung im Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz der Hamburgischen Bürgerschaft von einer Auskunftsperson vorgebracht (vgl. Ausschuss-Drucks 19/8, S. 17), im Gesetzgebungsverfahren spielte dieses Schutzziel als Grund für die hier zu beurteilende Differenzierung jedoch ersichtlich keine Rolle. So erklärte der Präses der damaligen Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz in einer späteren Ausschusssitzung, es sei "aus gesundheitspolitischer Sicht völlig irrelevant ..., ob man beim Rauchen was isst oder nicht". Dies sei "eine Geschmacksfrage, aber keine gesundheitspolitische Frage". Beim Essen zu rauchen sei nicht mehr oder weniger schädlich als beim Trinken zu rauchen (vgl. Ausschuss-Drucks 19/9, S. 12). Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Annahme eines erhöhten Schutzbedürfnisses auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen würde. So hat das Deutsche Krebsforschungszentrum in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Verfahren ausgeführt, es ergebe aus wissenschaftlicher Sicht keinen Unterschied, ob die Aufnahme der Schadstoffe, die im Tabakrauch enthalten seien, in einer Schankwirtschaft oder in einem Speiserestaurant erfolge.

52

Aber selbst wenn unterstellt wird, dass die Verbindung von Essen und Passivrauchen zu einer besonderen Schadstoffbelastung der nichtrauchenden Gäste führt, ergibt sich daraus keine Rechtfertigung, den Betreibenden von Speisewirtschaften die für andere Gaststätten bestehende Möglichkeit vorzuenthalten, Raucherräume einzurichten. Ist das Rauchen nur noch in vollständig abgetrennten Nebenräumen erlaubt, so entfällt das an die besondere Betriebsart anknüpfende Argument der gesteigerten Gefährdung durch Passivrauchen, weil sich die Gäste zum Essen in Nichtraucherbereichen aufhalten können. Eine Gefährdung der Gäste in den Nichtraucherbereichen kann durch strikte Einhaltung der Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 2 HmbPSchG verhindert werden. Danach sind Raucherräume baulich so wirksam abzutrennen, dass eine Gefährdung anderer durch Passivrauchen ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 121, 317 <371 f.>).

53

(bb) Schließlich lässt sich die unterschiedliche Behandlung von Schank- und Speisegaststätten nicht damit rechtfertigen, dass durch den Ausschluss von Raucherräumen in der letztgenannten Gastronomiesparte eine größere Anzahl von Menschen den Gefahren des Passivrauchens entzogen wird. Zwar geht mit jeder Verringerung der Möglichkeiten zu rauchen zwangsläufig auch die Zahl der durch Passivrauchen gesundheitlich Gefährdeten zurück. Auch darf der Gesetzgeber der Prävention dieser Gesundheitsgefahr durchaus Raum geben  . Diese Erwägung kann hier jedoch keinen hinreichend gewichtigen, sachlich vertretbaren Differenzierungsgrund liefern; denn es fehlt insoweit wiederum an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung. Anhaltspunkte dafür, dass das in Speisewirtschaften offerierte gastronomische Angebot im Vergleich zu Schankwirtschaften zu einer weiteren Erhöhung der mit dem Passivrauchen verbundenen Gesundheitsgefahren führt, liegen nicht vor (vgl. oben ). Wenn der Ausschluss der Speisewirtschaften von der gesetzlichen Begünstigung dazu dienen sollte, die Anzahl der Gelegenheiten zum Rauchen gering zu halten, erschiene die Differenzierung daher geradezu willkürlich; denn es würde an ein Unterscheidungsmerkmal angeknüpft, das in keinerlei Zusammenhang mit einem solchen Regelungsziel des Gesetzgebers steht.

54

(2) Eine etwaige unterschiedliche wirtschaftliche Betroffenheit von Speise- und Schankwirtschaften durch ein Rauchverbot scheidet ebenfalls als tauglicher Differenzierungsgrund aus.

55

Aus Sicht des Gesetzgebers spielten die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbots offenkundig bei der Formulierung der Vorschrift keine Rolle. Im Gesetzgebungsverfahren wurde ersichtlich davon ausgegangen, dass keine ausreichenden "belastbaren Zahlen … über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbotes in der Gastronomie in Deutschland" vorliegen (Abg. Harald Krüger, PlProt 19/42, S. 2622). Eine Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften wegen unterschiedlicher wirtschaftlicher Belastung durch das Rauchverbot scheitert bereits an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Für den - allein von der Regelung betroffenen - Bereich derjenigen Gaststätten, die über die baulichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Nebenraums für rauchende Gäste verfügen, lässt sich nicht feststellen, dass reine Schankwirtschaften typischerweise in erheblichem Umfang wirtschaftlich stärker durch ein Rauchverbot belastet würden als Gaststätten, in denen auch zubereitete Speisen angeboten werden oder angeboten werden dürfen.

56

Zwar hatte das Statistische Bundesamt in seiner Stellungnahme zu dem durch Urteil vom 30. Juli 2008 abgeschlossenen Verfahren ausgeführt, dass die landesgesetzlichen Rauchverbote wahrscheinlich zu stärkeren Umsatzrückgängen im Bereich der getränkegeprägten Gastronomie geführt hätten (vgl. BVerfGE 121, 317 <339>). Für das vorliegende Verfahren konnte es seine damalige - ohnehin als bloße "Momentaufnahme" bezeichnete - Feststellung jedoch nicht bestätigen. So führt das Statistische Bundesamt zwar aus, dass die Umsätze der getränke- und der speisengeprägten Gastronomie seit Januar 2007 zurückgegangen seien und die Umsatzentwicklung der getränkegeprägten Gastronomie schlechter sei als die der speisengeprägten. Es konnte aber keine Aussage darüber treffen, inwieweit dies durch landesgesetzliche Regelungen zum Rauchverbot verursacht worden sei. Zudem war der im Jahr 2008 getroffenen Einschätzung nicht zu entnehmen, ob die vermutete besondere wirtschaftliche Betroffenheit der getränkegeprägten Gastronomie nicht im Wesentlichen durch die Besonderheiten und spezifischen Belastungen der getränkegeprägten Kleingastronomie verursacht war. Dafür spricht, dass die Nichtraucherschutzgesetze der seinerzeit bei der Auswertung berücksichtigten Bundesländer (Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen) bereits damals die Einrichtung von Raucherräumen für Schank- und Speisewirtschaften erlaubten, aber noch keine Ausnahmeregelung für Einraumgaststätten enthielten, bei denen solche Nebenräume nicht geschaffen werden konnten. Deshalb erscheint es nicht fernliegend, dass die damals für Schankwirtschaften erfassten Umsatzrückgänge vor allem auf solche Gaststätten zurückgehen, die von vornherein nicht die Möglichkeit hatten, Raucherräume einzurichten und mithin vom Rauchverbot wirtschaftlich besonders nachteilig betroffen waren. Dementsprechend findet sich im Urteil des Senats vom 30. Juli 2008 auch nicht die Feststellung einer generell stärkeren Belastung der Schankwirtschaften im Vergleich zu den Speisewirtschaften. Vielmehr hat der Senat spezifische Auswirkungen nur für eine bestimmte Gruppe von Schankwirtschaften zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und besondere wirtschaftliche Nachteile allein für die getränkegeprägte Kleingastronomie bejaht (BVerfGE 121, 317 <363>), die namentlich durch "Eckkneipen" (BVerfG, a.a.O., S. 358) oder "Einraumkneipen" (BVerfG, a.a.O., S. 364) repräsentiert wird. Maßgebend für die vom Senat getroffene Unterscheidung war ausdrücklich nicht allein die Ausrichtung solcher Gaststätten als Schankwirtschaften, sondern - neben der geringeren Zahl von Sitzplätzen - die besondere Gästestruktur, die gegenüber anderen Gastronomiesparten durch eine vergleichsweise hohe Zahl von rauchenden Gästen gekennzeichnet ist (BVerfG, a.a.O., S. 363) und mithin bei einem Rauchverbot existenzbedrohliche Umsatzrückgänge befürchten lässt (BVerfG, a.a.O., S. 365). Es war bereits damals nicht und ist heute noch weniger zu erkennen, dass über diesen speziellen Gaststättentypus hinaus, der in besonderer Weise durch rauchende Stammgäste geprägt wird, Schankwirtschaften im Vergleich mit Speisewirtschaften allgemein von einem Rauchverbot in einem solchen Maße wirtschaftlich stärker betroffen wären, dass dies den völligen Begünstigungsausschluss aller Speisewirtschaften rechtfertigen könnte.

57

In den Materialien zum Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetzes finden sich zwar Hinweise, die darauf hindeuten, dass sich der Gesetzgeber bei der von ihm vorgenommenen Differenzierung zwischen Schank- und Speisewirtschaften an dem Urteil des Senats vom 30. Juli 2008 (BVerfGE 121, 317) orientieren wollte. So berief sich der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion vor der Hamburgischen Bürgerschaft darauf, dass das Bundesverfassungsgericht "Unterscheidungen der Gastronomiearten in Speisegaststätten und getränkegeprägt" für zulässig gehalten habe, dass "innerhalb der Gruppe jedoch keine Ungleichbehandlungen passieren" dürften (Abg. Harald Krüger, PlProt. 19/42, S. 2622 <2623>). Ähnlich äußerten sich Abgeordnete des Koalitionspartners GAL im Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz (vgl. Drucks. 19/4768, S. 3). Hieraus kann sich jedoch ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung beider Gastronomiesparten in § 2 Abs. 4 HmbPSchG schon deshalb nicht ergeben, weil in dem zitierten Urteil das gastronomische Angebot keineswegs generell als geeignetes Differenzierungskriterium bei der Zulassung von Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten genannt wird. Der Senat hatte vielmehr das Merkmal des "vorwiegend an Getränken und weniger an Speisen ausgerichtete(n) Angebot(s)" lediglich als eines von mehreren Merkmalen herangezogen, um mit der getränkegeprägten Kleingastronomie den vom Rauchverbot besonders belasteten Typus von Gaststätten zu kennzeichnen (vgl. BVerfGE 121, 317 <363 f.>; oben <2>). Allein in diesem Zusammenhang wurde das unterschiedliche gastronomische Angebot im Folgenden bei der Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 375) und der Formulierung der Zwischenregelung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 377) wieder aufgenommen.

II.

58

Die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG bestimmte Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften ist eine Berufsausübungsregelung, die als gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungswidrigkeit der Norm führt hier jedoch nicht zu ihrer Nichtigkeit. Es ist lediglich die Unvereinbarkeit der gegenwärtigen Regelung mit dem Grundgesetz festzustellen, weil dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten für die Neuregelung zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 121, 317 <373 f.> m.w.N.). Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, ob er den festgestellten Gleichheitsverstoß durch eine Ausdehnung der Begünstigung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG auf Speisewirtschaften, durch eine nach sachgerechten Kriterien differenzierende Vorschrift oder durch eine grundlegend anders konzipierte Verbotsregelung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 374) ausräumen will.

III.

59

Mit Blick auf die Berufsfreiheit der Betreibenden von Speisewirtschaften besteht für den Zeitraum bis zu einer gesetzlichen Neuregelung zur Vermeidung weiterer erheblicher wirtschaftlicher Nachteile ein Bedürfnis nach einer Zwischenregelung durch das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des § 35 BVerfGG (vgl. BVerfGE 48, 127 <184>; 84, 9 <21>; 121, 317 <376>). Hierzu wird in Anlehnung an das bisherige Regelungskonzept des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 121, 317 <376>) die geltende Ausnahme vom Rauchverbot durch die Zulassung von Raucherräumen auf solche Gaststätten erstreckt, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach dem Gaststättengesetz verfügen. Auch für Speisewirtschaften können hiernach unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Satz 2 HmbPSchG abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden.

Tenor

1. § 18b Absatz 3 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföGÄndG) vom 22. Mai 1990 (Bundesgesetzblatt I Seite 936) ist in dieser und den nachfolgenden Fassungen mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit er den großen Teilerlass der Rückforderung von Förderungsdarlehen davon abhängig macht, dass Auszubildende die Ausbildung vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer mit Bestehen der Abschlussprüfung beenden, obwohl in dem betreffenden Studiengang die gesetzlich festgelegte Mindeststudienzeit weniger als vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer endet.

2. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 28. Juni 2002 - IV 11 - 02 9 97 883 1/58 - in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Bundesverwaltungsamts vom 5. November 2002 - IV 11 - 02 9 97 883 1/58 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Oktober 2004 - 25 K 10483/02 - und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2007 - 4 A 4838/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

4. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich zum einen dagegen, dass Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern für eine geringere Förderungshöchstdauer Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) erhalten konnten als Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern. Zum anderen betrifft sie die Voraussetzungen für einen sogenannten "großen Teilerlass" der als Darlehen gewährten Ausbildungsförderung nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG, die infolge der unterschiedlichen Förderungshöchstdauer in den neuen Ländern anders als in den alten nicht zu erfüllen waren. Die Regelung wurde später mit einer Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2012 abgeschafft.

I.

2

1. Die bedürftigkeitsabhängige Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz wird grundsätzlich für die Dauer der Ausbildung geleistet. Bei Studiengängen, d.h. bei der Ausbildung an Hochschulen (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG), wird die Förderung allerdings grundsätzlich begrenzt durch die normativ vorgegebene Förderungshöchstdauer (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Die Studienförderung wird zur Hälfte als unverzinsliches Darlehen erbracht, wobei die zurückzuzahlende Darlehenssumme für Ausbildungsabschnitte, die nach dem 28. Februar 2001 beginnen, auf 10.000 Euro begrenzt ist (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Die erste Darlehensrate ist fünf Jahre nach dem Ende der Förderungshöchstdauer zu leisten (vgl. § 18 Abs. 3 Satz 3 BAföG).

3

2. § 18b BAföG sieht Möglichkeiten vor, das Darlehen bei erfolgreichem Studienabschluss teilweise zu erlassen. Neben einem leistungsabhängigen Teilerlass (vgl. § 18b Abs. 2 BAföG) kommt nach § 18b Abs. 3 BAföG ein studiendauerabhängiger Teilerlass bei Beendigung des Studiums vor Ablauf der Förderungshöchstdauer in Betracht. Das Gesetz unterscheidet hier zwischen einem großen (Satz 1) und einem kleinen Teilerlass (Satz 2).

4

a) In der hier maßgeblichen Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföGÄndG) vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) lautet § 18b Abs. 3 BAföG:

5

§ 18b

6

Teilerlass des Darlehens

7

8

(3) Beendet der Auszubildende die Ausbildung vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer mit dem Bestehen der Abschlußprüfung oder, wenn eine solche nicht vorgesehen ist, nach den Ausbildungsvorschriften planmäßig, so werden auf seinen Antrag 5.000 DM des Darlehens erlassen. Beträgt der in Satz 1 genannte Zeitraum nur zwei Monate, werden 2.000 DM erlassen. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides nach § 18 Abs. 5a zu stellen.

...

9

Mit Wirkung zum 1. Oktober 2002 sind durch das Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) vom 19. März 2001 (BGBl I S. 390) an die Stelle der Beträge von 5.000 DM und 2.000 DM Beträge von 2.560 Euro und 1.025 Euro getreten. Durch das Dreiundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (23. BAföGÄndG) vom 24. Oktober 2010 (BGBl I S. 1422) sind die Regelungen über den Darlehensteilerlass mit einer Übergangszeit für bereits im Studium stehende BAföG-Empfänger abgeschafft worden. Einen Teilerlass können nunmehr nur noch solche Auszubildenden erhalten, die ihre Abschlussprüfung bis zum 31. Dezember 2012 bestehen oder ihre Ausbildung bis zu diesem Zeitpunkt planmäßig beenden.

10

b) Der Teilerlass des Darlehens bei vorzeitiger Beendigung des Studiums ist seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (2. BAföGÄndG) vom 31. Juli 1974 (BGBl I S. 1649) im Bundesausbildungsförderungsgesetz geregelt. Ursprünglich war ein Teilerlass von 2.000 DM für jedes Semester vorgesehen, um das ein Auszubildender seine Ausbildung vor dem Ende der Förderungshöchstdauer abschloss. Nach der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs sollte damit ein Anreiz geschaffen werden, dass der Auszubildende seine Ausbildung in der Mindeststudienzeit, also vor Ablauf der Förderungshöchstdauer beendete (vgl. BTDrucks 7/2098, S. 20 zu Nr. 16). Dies war möglich, weil die Förderungshöchstdauer damals die Mindeststudienzeit um ein bis zwei Semester überstieg, um mindestens ein Semester zur freieren Studiengestaltung bereitzustellen (siehe dazu unten 3. a). Bei einem Abschluss des Studiums innerhalb der Mindeststudienzeit wurde das Studium mithin in der Regel mindestens ein Semester vor dem Ablauf der Förderungshöchstdauer beendet.

11

Durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (6. BAföGÄndG) vom 16. Juli 1979 (BGBl I S. 1037) wurden die Möglichkeiten, einen Teilerlass des Darlehens zu erreichen, dahingehend erweitert, dass hierfür schon ein Abschluss der Ausbildung vier Monate vor dem Ablauf der Förderungshöchstdauer genügte. Dadurch sollten ungerechtfertigte Härten vermieden werden, gleichzeitig aber ein Anreiz zur vorzeitigen Beendigung des Studiums erhalten bleiben (vgl. BTDrucks 8/2868, S. 23). Zur Milderung von Härten bei Verfehlung des Stichtags, insbesondere wegen nicht vom Auszubildenden zu vertretender Verzögerungen im Prüfungsablauf (vgl. BTDrucks 11/1315, S. 12 zu Nr. 9 Buchtstabe b), führte das Elfte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (11. BAföGÄndG) vom 21. Juni 1988 (BGBl I S. 829) schließlich den kleinen Teilerlass ein, der auf einen Abschluss der Ausbildung zwei Monate vor Ablauf der Förderungshöchstdauer abstellte.

12

3. a) Die Förderungshöchstdauer wurde zunächst in einer vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft beziehungsweise Bildung und Forschung erlassenen Rechtsverordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen (FörderungshöchstdauerV) geregelt. In ihrer ursprünglichen Fassung vom 9. November 1972 (BGBl I S. 2076) setzte sie für die einzelnen Ausbildungs- und Studiengänge jeweils eine bestimmte Anzahl an vollen Semestern als Förderungshöchstdauer fest. Dabei orientierte sie sich an den landesrechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen, die damals noch überwiegend eine Mindestausbildungsdauer vorschrieben. Die Förderungshöchstdauer wurde dabei grundsätzlich so bemessen, dass dem Auszubildenden über die Mindestausbildungsdauer hinaus noch ein Semester zur Ablegung des Examens, soweit dies nach den Ausbildungsbestimmungen erforderlich war, und ein weiteres Semester zur freieren Studiengestaltung zur Verfügung stand (vgl. BRDrucks 483/72, S. 2 der Begründung zu §§ 4 und 5).

13

Als die landesrechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen aufgrund der Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes (HRG) vom 26. Januar 1976 (BGBl I S. 185) dazu übergingen, anstelle von Mindeststudienzeiten Regelstudienzeiten festzusetzen, änderten sich seit Mitte der 1980er Jahre auch die Prinzipien der Bemessung der Förderungshöchstdauer. Die Förderungshöchstdauerverordnung glich zunächst bei neuen Studiengängen, nach und nach aber auch bei herkömmlichen Studiengängen die Förderungshöchstdauer an die Regelstudienzeit an (vgl. im Einzelnen hierzu BRDrucks 238/85, S. 9 f., BRDrucks 249/88, S. 11 f., BRDrucks 610/92, S. 22 und BRDrucks 236/94, S. 13).

14

Auch die durch das Achtzehnte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (18. BAföGÄndG) vom 17. Juli 1996 (BGBl I S. 1006) mit Wirkung zum 1. August 1996 eingeführte bundesgesetzliche Regelung der Förderungshöchstdauer in § 15a BAföG orientierte sich nach der Begründung des Gesetzentwurfs an den Regelstudienzeiten (vgl. BRDrucks 886/95, S. 35). Seit dem 1. April 2001 (Fassung des Ausbildungsförderungsreformgesetzes , vgl. oben 2. a) ordnet § 15a Abs. 1 Satz 1 BAföG ausdrücklich an, dass die Förderungshöchstdauer der Regelstudienzeit im Sinne von § 10 Abs. 2 HRG oder einer vergleichbaren Festsetzung entspricht.

15

b) Für Studiengänge in den neuen Ländern galt das Prinzip der Bemessung der Förderungshöchstdauer nach der Regelstudienzeit bereits seit der Wiedervereinigung uneingeschränkt. Der durch Anlage I Kapitel XVI Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 3 Buchstabe b und Nr. 5 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Verbindung mit Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885, 1132) zum 1. Januar 1991 eingeführte § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV sah vor:

16

§ 9

17

Vorläufige Förderungshöchstdauer bei nicht genannten Ausbildungen

18

19

(2) Die Förderungshöchstdauer für die Ausbildung an Hochschulen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und in dem Teil des Landes Berlin, in dem die Verordnung bisher nicht galt, bestimmt sich nach der vom zuständigen Fachministerium in den Studienplänen für die jeweilige Fachrichtung festgelegten Regelstudienzeit.

20

c) Im Studiengang Humanmedizin wurde die Förderungshöchstdauer ausgehend von den unter a) dargestellten Bemessungsprinzipien unter Berücksichtigung der bundesrechtlichen Vorgaben des ärztlichen Berufsrechts festgesetzt.

21

aa) Das ärztliche Berufsrecht sieht seit den 1970er Jahren eine Mindeststudienzeit von sechs Jahren oder zwölf Semestern vor, die aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Koordinierung auch in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt (vgl. zuletzt Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ). Eine Approbation als Arzt erhält nur, wer nach einem Studium der Humanmedizin an einer wissenschaftlichen Hochschule von mindestens sechs Jahren die Ärztliche Prüfung bestanden hat (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Bundesärzteordnung, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte<ÄApprO>).

22

Die Approbationsordnung für Ärzte normiert seit Ende der 1970er Jahre auch die Regelstudienzeit für das Studium der Humanmedizin. Sie beträgt nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO sechs Jahre und drei Monate, d.h. zwölf Semester und den Prüfungszeitraum, und setzt sich aus der Mindeststudienzeit und der maximal notwendigen Zeit für die Ablegung des letzten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung zusammen, der nach § 16 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO jährlich in den Monaten April bis Juni und Oktober bis Dezember stattfindet (vgl. auch BRDrucks 6/78, S. 34, 41 f.).

23

Diese bundesrechtlichen Vorgaben galten auch für Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern, die sich ab 1992 oder ab 1991 immatrikulierten und das Physikum bis zum 31. Dezember 1994 bestanden (vgl. § 14a Abs. 4 BÄO i.d.F. der Anlage I Kapitel X Sachgebiet D Abschnitt II Nr. 1 Buchstabe h des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 i.V.m. Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 ). Dementsprechend setzte auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena, an der der Beschwerdeführer studiert hat, in § 1 Satz 2 ihrer Studienordnung für den Vorklinischen Studienabschnitt des Studienganges Humanmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 28. September 1993 (Amtsblatt des Thüringer Kultusministeriums und des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Nr. 9/1994, S. 336) die Regelstudienzeit auf sechs Jahre und drei Monate fest.

24

bb) Die Förderungshöchstdauer im Studiengang Humanmedizin wurde im Hinblick auf die im ärztlichen Berufsrecht vorgegebene Mindest- und Regelstudienzeit vor dem Hintergrund der sich wandelnden Bemessungsprinzipien mehrfach geändert.

25

Für Studierende, die ihr Studium der Humanmedizin nach dem 1. Januar 1970 aufgenommen hatten, galt zunächst eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semestern (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 38 und 39 FörderungshöchstdauerV i.d.F. vom 9. November 1972 ). Sie setzte sich aus der Mindeststudienzeit von sechs Jahren und einem weiteren Semester zur Absolvierung von Examina und zur freieren Studiengestaltung zusammen (vgl. BRDrucks 483/72, S. 2 der Begründung zu §§ 4 und 5). Vor dem Hintergrund der Änderung des § 16 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO, wonach der Dritte Abschnitt der Ärztlichen Prüfung erst innerhalb der ersten drei Monate des dreizehnten Fachsemesters abgelegt werden konnte, wurde die Förderungshöchstdauer Mitte 1979 rückwirkend zum 1. August 1974 auf vierzehn Semester erhöht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 38 i.d.F. der Dritten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen <3. FörderungshöchstdauerVÄndV> vom 25. Mai 1979 ). Nach der Begründung des Verordnungsgebers sollte auch Studierenden der Humanmedizin durch die Anhebung der Förderungshöchstdauer ein über die Mindeststudienzeit hinaus gehendes Fachsemester ermöglicht werden (vgl. BRDrucks 17/79, S. 23).

26

§ 5 Abs. 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV in der Fassung der Achten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen (8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV) vom 11. Juli 1988 (BGBl I S. 1029) setzte die Förderungshöchstdauer wieder herab, um sie an die in der Approbationsordnung für Ärzte geregelte Regelstudienzeit "anzugleichen" (vgl. BRDrucks 249/88, S. 15). Die Vorschrift, die für alle Studierenden der Humanmedizin galt, die ihr Studium nach dem 1. Oktober 1986 aufgenommen hatten (vgl. § 11b Abs. 3 FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV), lautet:

27

§ 5

28

Förderungshöchstdauer an wissenschaftlichen Hochschulen

29

(1) Die Förderungshöchstdauer für die Ausbildung an wissenschaftlichen Hochschulen beträgt für den

30

Studiengang

Semester

63. Medizin

13

31

32

Die Zehnte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen (10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV) vom 13. Juni 1994 (BGBl I S. 1257) änderte § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV erneut und setzte die Förderungshöchstdauer nunmehr auf die Regelstudienzeit von zwölf Semestern und drei Monaten herab. Zugleich führte sie eine Übergangsregelung in § 11d FörderungshöchstdauerV ein. Diese Vorschrift lautet:

33

§ 11d

34

Übergangsvorschrift 1994

35

In einem Studiengang, dessen Förderungshöchstdauer durch die Zehnte Verordnung zur Änderung dieser Verordnung vom 13. Juni 1994 (BGBl. I S. 1257) gekürzt wird, gilt für Auszubildende, die vor dem 1. Oktober 1994 das vierte Fachsemester vollendet haben, die bisherige Förderungshöchstdauer weiter.

36

In den neuen Ländern war die vollständige Anpassung der Förderungshöchstdauer an die bundesrechtlich vorgegebene Regelstudienzeit allerdings durch § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV schon früher erfolgt (siehe oben b).

37

Die der Regelstudienzeit entsprechende Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten wurde auch als besondere Regelung in § 15a Abs. 2 Nr. 3 BAföG in der seit dem 1. August 1996 geltenden Fassung des 18. BAföGÄndG (siehe dazu oben a) aufgenommen. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

38

§ 15a

39

Förderungshöchstdauer

40

41

(2) Abweichend von Absatz 1 beträgt die Förderungshöchstdauer für die Universitätsstudiengänge

42

3. Medizin, mit Ausnahme von Zahn- und Tiermedizin,

12 Semester

und 3 Monate.

43

Nach Maßgabe von § 15a Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 4 Satz 2 BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG galt allerdings die FörderungshöchstdauerV für solche Studierenden weiter, die vor dem 1. Oktober 1996 das vierte Fachsemester beendet hatten.

44

Die allgemeine Verweisung auf die Regelstudienstudienzeit in § 15a Abs. 1 Satz 1 BAföG in der seit dem 1. April 2001 geltenden Fassung des Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) (vgl. oben 2. a) machte diese Regelung schließlich entbehrlich.

45

4. Was die Möglichkeiten anbetrifft, einen großen Teilerlass nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG zu erhalten, stellt sich die Rechtslage für Studierende der Humanmedizin damit wie folgt dar: Studierenden, die ihr Studium in den neuen Ländern nach den Vorschriften der Approbationsordnung für Ärzte durchführten und abschlossen (siehe dazu 3. c) aa), war es von vornherein objektiv unmöglich, einen großen Teilerlass nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG zu erreichen. Sie konnten ihr Studium nicht vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer abschließen, da die Förderungshöchstdauer gemäß § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung entsprechend der Regelstudienzeit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO zwölf Semester und drei Monate betrug und eine Mindeststudienzeit von zwölf Semestern zu absolvieren war. Für Studierende der Humanmedizin, die ab dem Sommersemester 1993 ihr Studium in den alten Ländern aufgenommen hatten, gilt das gleiche (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV). Wer allerdings, wie bei einem Studienbeginn im Wintersemester 1992/1993 oder früher, am 1. Oktober 1994 sein viertes Fachsemester in den alten Ländern vollendet hatte, konnte bei einem Abschluss des Studiums vor Ablauf des zweiten Monats nach dem Ende des zwölften Semesters einen großen Teilerlass erhalten, da für ihn eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semestern galt (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV i.V.m. § 11d FörderungshöchstdauerV i.d.F. der 10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV).

II.

46

Der Beschwerdeführer begann im Wintersemester 1991/1992 ein Medizinstudium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und schloss es am 27. Oktober 1997 erfolgreich mit dem Bestehen des Dritten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung ab. Während des Studiums erhielt er Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die ihm zur Hälfte als unverzinsliches Darlehen gewährt wurde.

47

Bereits Ende 1994 erließ das Studentenwerk Erfurt einen Leistungs- und Rückforderungsbescheid, der als Ende der Förderungshöchstdauer September 1997 nannte. Auf den Widerspruch des Beschwerdeführers erging Anfang 1995 zunächst ein korrigierter Leistungsbescheid, in dem als Ende der Förderungshöchstdauer nunmehr der Dezember 1997 genannt war. Im April 1995 wurde sodann ein Abhilfebescheid hinsichtlich der angefochtenen Rückzahlungsverpflichtung erlassen, der zugleich die Förderungshöchstdauer auf sechs Jahre und drei Monate festlegte. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Beschwerdeführer hiergegen Klage und begehrte die Festsetzung des Endes der Förderungshöchstdauer auf März 1998, d.h. auf das Ende des dreizehnten Fachsemesters. Das Verwaltungsgericht Weimar wies die Klage als unzulässig ab, weil die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Förderungshöchstdauer keine Regelung im Sinne eines Verwaltungsakts enthielten. Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg, wenngleich das Thüringer Oberverwaltungsgericht der Auffassung des Verwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines Verwaltungsaktes widersprach.

48

Am 17. Juni 2002 erließ das Bundesverwaltungsamt einen Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid nach § 18 Abs. 5a BAföG, in dem es das Ende der Förderungshöchstdauer auf den letzten Tag des Monats Dezember 1997 festlegte und die Höhe der Darlehensschuld festsetzte. Mit zwei weiteren Bescheiden vom 28. Juni 2002 gewährte das Bundesverwaltungsamt dem Beschwerdeführer einen leistungsabhängigen Teilerlass sowie einen kleinen Teilerlass (1022,58 Euro = 2.000 DM), weil der Beschwerdeführer das Studium zwei Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer abgeschlossen habe. Der Beschwerdeführer hatte danach noch insgesamt 4.904,13 Euro zurückzuzahlen. Diese Summe würde sich bei vorzeitiger Rückzahlung auf 3.996,87 Euro reduzieren.

49

Mit seinem gegen den Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid einerseits und den Bescheid über die Gewährung eines kleinen Teilerlasses andererseits gerichteten Widerspruch machte der Beschwerdeführer geltend, das Ende der Förderungshöchstdauer müsse auf den letzten Tag des Monats März 1998 festgesetzt werden. Darüber hinaus sei ihm anstelle des kleinen Teilerlasses ein großer Teilerlass (2.556,46 Euro = 5.000 DM) zu gewähren. Seine nach Zurückweisung des Widerspruchs durch zwei separate Widerspruchsbescheide erhobenen Klagen auf die Festsetzung des Endes der Förderungshöchstdauer auf März 1998 einerseits und auf die Gewährung eines großen Teilerlasses nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG andererseits wies das Verwaltungsgericht Köln als unbegründet ab. Es könne offen bleiben, ob das Bundesverwaltungsamt an die zuvor vom Studentenwerk Erfurt verfügte Festsetzung der Förderungshöchstdauer gebunden sei. Auch wenn man dies zugunsten des Beschwerdeführers nicht annähme, habe es die Förderungshöchstdauer nach § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV zutreffend festgesetzt. § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es sei ein sachlicher Gesichtspunkt, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung des § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV den besonderen Verhältnissen an den Hochschulen in den neuen Ländern habe Rechnung tragen wollen. Unterschiede bei der Förderung in den alten und neuen Ländern seien für eine Übergangszeit hinzunehmen. Aufgrund des Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers bei der Regelung sozialer Vergünstigungen verstoße es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Bemessung der Förderungshöchstdauer nach § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV dazu führe, dass ein großer Teilerlass nicht erreichbar sei. Die normative Bestimmung einer Förderungshöchstdauer, die auf studienorganisatorische Besonderheiten keine Rücksicht nehme, verstoße nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht dadurch gegen den Gleichheitssatz, dass für Absolventen bestimmter Studiengänge ein Teilerlass nicht erreichbar sei. Entscheidend sei, dass die Förderungshöchstdauer so festgelegt werde, dass ein Abschluss der geförderten Ausbildung regelmäßig möglich sei. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete hingegen nicht, für die Rückzahlung Regelungen vorzusehen, die es in jedem Studiengang ermöglichten, grundsätzlich alle denkbaren Vergünstigungen - wie alle Varianten des leistungsabhängigen Teilerlasses oder des studiendauerabhängigen Teilerlasses - ausschöpfen zu können.

50

Die Anträge auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen als unbegründet ab. Zur Begründung führte es unter anderem aus, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV verstoße auch nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil - abweichend vom Regelungssystem in den alten Ländern - nicht gewährleistet gewesen sei, dass jedem Auszubildenden beim Besuch einer wissenschaftlichen Hochschule im Beitrittsgebiet über die Mindestausbildungsdauer hinaus generell ein weiteres Semester zur freien Verfügung gestanden habe. Die insoweit gegebene unterschiedliche Behandlung der Auszubildenden im Beitrittsgebiet und in den alten Ländern rechtfertige sich mit Blick auf die besondere Situation, die bei Abschluss des Einigungsvertrages für das Inkraftsetzen der Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes im Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 in Rechnung zu stellen gewesen sei. Die Anwendung dieser Vorschriften einschließlich der Normen über die Förderungshöchstdauer sei nämlich zunächst im Rahmen eines andersartigen, noch maßgeblich durch die ehemalige Deutsche Demokratische Republik geprägten Bildungssystems erfolgt, dessen Angleichung an die Bedingungen in den alten Ländern nur im Laufe eines längerwährenden Prozesses zu erwarten gewesen sei. Diese besondere Lage habe es ausgeschlossen, die Regelungen der Förderungshöchstdauerverordnung für die alten Länder auf das Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 zu übertragen. Mit der Anknüpfung an die Regelstudienzeit in § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV sei eine Bestimmung getroffen worden, die diese Besonderheiten berücksichtigte und deren im Einzelfall nachteiligen Folgen die Auszubildenden für eine Übergangszeit hinzunehmen hätten.

III.

51

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unmittelbar gegen den Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid und den Bescheid über die Gewährung eines kleinen Teilerlasses sowie die hierzu ergangenen Widerspruchsbescheide und gerichtlichen Entscheidungen. Mittelbar richtet er sich gegen § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV sowie § 15a Abs. 2 Nr. 3 BAföG in der seit dem 1. August 1996 geltenden Fassung. Er rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Studierende der Humanmedizin würden im Verhältnis zu Studierenden anderer Studienrichtungen, zum Beispiel Jurastudenten, in nicht gerechtfertigter Weise dadurch ungleich behandelt, dass bei ihnen ein großer Teilerlass von vornherein nicht möglich sei. Zudem dürfe die Förderungshöchstdauer nicht unterschiedlich in den neuen und alten Ländern geregelt werden, da das Medizinstudium in Detailfragen bundeseinheitlich geregelt sei. Die vom Verwaltungsgericht und vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Gründe studienorganisatorischer Art und die angeführten Besonderheiten an den Hochschulen in den neuen Ländern hätten mit der Frage der Förderungshöchstdauer und der Möglichkeit eines großen Teilerlasses nichts zu tun. Es liege deshalb auch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern vor, für die bei einem Studienbeginn zum Wintersemester 1991/1992 eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semestern gegolten habe und für die ein großer Teilerlass objektiv möglich gewesen sei.

IV.

52

Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der für das Ausbildungsförderungsrecht zuständige 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der Marburger Bund, der NAV Virchow-Bund, das Deutsche Studentenwerk und der Wissenschaftsrat geäußert.

53

1. Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der nach eigenen Angaben bislang nicht mit der durch die Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Problematik befasst war, ist der Auffassung, dass der Beschwerdeführer durch die Versagung des großen Teilerlasses in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sei. Er verweist auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts  , wonach bei der Festlegung der Förderungshöchstdauer zu gewährleisten sei, dass regelmäßig ein Semester zur freieren Verfügung des Auszubildenden stehe (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1983 - BVerwG 5 C 50.81 -, juris Rn. 8; BVerwGE 88, 151 <155 f.>; BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 11 C 26.94 -, juris Rn. 22). Es liege nahe, dass es dann grundsätzlich auch möglich sein müsse, zumindest in diesem Verfügungssemester eine Ausbildung vier Monate vor Ablauf der Förderungshöchstdauer zu beenden. Es liege in jedem Fall auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung, eine Förderungshöchstdauer zu verlangen, die den Auszubildenden so viel zeitlichen Spielraum für die Ausbildung lasse, dass sie objektiv in allen Studiengängen die Voraussetzungen für den großen Teilerlass erreichen könnten. Hierfür spreche neben dem Wortlaut der Regelung auch ihr für alle Studiengänge gleichermaßen geltender Sinn, einen finanziellen Anreiz für eine zügige Durchführung der Ausbildung zu setzen. Im Ergebnis sei auch die unterschiedliche Behandlung von Studierenden nach dem Standort der Hochschule mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Für Studiengänge, für die bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Ausbildungsförderungsrechts im Beitrittsgebiet kraft Bundesrechts an ostdeutschen und westdeutschen Hochschulen dieselben Ausbildungs- und Prüfungsregelungen galten, habe kein tragfähiger Grund für die ungleiche Behandlung in Bezug auf die Förderungshöchstdauer bestanden.

54

2. Der Marburger Bund hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für begründet. Es liege ein zweifacher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowohl im Hinblick auf die Ungleichbehandlung zwischen den Studierenden der Humanmedizin der alten und der neuen Länder durch § 9 FörderungshöchstdauerV als auch zwischen den Studierenden der Humanmedizin und denen anderer Studiengänge vor. Etwaige organisatorische Besonderheiten in den neuen Ländern hätten eher zu einer Verlängerung der Förderungshöchstdauer führen müssen. Nach einer Mitgliederbefragung habe es zwischen den Studienbedingungen im Beitrittsgebiet und in den alten Ländern keine Unterschiede gegeben, so dass ein Studienabschluss jeweils grundsätzlich in derselben Zeit erreichbar gewesen sei. Der Ausschluss von der Möglichkeit, einen großen Teilerlass zu erhalten, sei nicht mit dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu rechtfertigen. Die Grenzen zulässiger Typisierung und Pauschalierung seien überschritten, zumal mit dem Kreis der Studierenden der Humanmedizin an den ostdeutschen Universitäten keine zahlenmäßig kleine Gruppe betroffen sei. Der NAV Virchow-Bund folgt in der Sache gleichfalls der Argumentation des Beschwerdeführers.

55

3. Das Deutsche Studentenwerk und der Wissenschaftsrat nehmen in ihren Äußerungen Bezug auf die vom Wissenschaftsrat veröffentlichten Studien zur "Entwicklung der Fachstudiendauer an Universitäten von 1990 bis 1998" (Drs. 4770-01 vom 15. Februar 2001, S. 80 ff. und Anhang I, S. 118 f.) beziehungsweise "von 1999 bis 2003" (Drs. 6825/05 vom 29. August 2005, S. 100 und Anhang I, S. 170). Aus ihnen geht hervor, dass die mittlere Fachstudiendauer im Studienfach Humanmedizin an den meisten Universitäten in den neuen Ländern im Jahre 1998 deutlich und im Jahre 2003 geringfügig niedriger war als an den Universitäten in den alten Ländern. Als Gründe gälten die völlige Neukonzeption der Studiengänge in den neuen Ländern nach der Wende, in denen die Studien- und Prüfungsordnungen realitätsnäher gewesen seien als die über Jahre hinweg nicht evaluierten Ordnungen in den alten Ländern. Letztlich sei auch die Betreuungsrelation besser gewesen als in den alten Ländern.

B.

56

Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig.

I.

57

Die Verfassungsbeschwerde ist allerdings unzulässig, soweit der Beschwerdeführer als selbstständigen Beschwerdegegenstand die Festsetzung der Förderungshöchstdauer und die hierzu ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen sowie mittelbar die Vorschriften des § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV und des § 15a Abs. 2 Nr. 3 BAföG in der vom 1. August 1996 bis zum 31. März 2001 geltenden Fassung angreift, aus denen sich die für den Beschwerdeführer festgesetzte Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten ergibt.

58

Es kann dahinstehen, ob dem Beschwerdeführer insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, als die Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten und ihr Ende im Dezember 1997 bereits durch die Bescheide des Studentenwerkes Erfurt von Ende 1994 bzw. Anfang 1995 bestandskräftig festgestellt worden und das Bundesverwaltungsamt bei Erlass des hier angefochtenen Feststellungs- und Rückzahlungsbescheides vom 17. Juni 2002 an diese Festsetzungen mit der Folge gebunden gewesen wäre, dass die in den Ausgangsverfahren begehrte Festsetzung des Endes der Förderungshöchstdauer auf März 1998 nicht in Betracht käme.

59

Jedenfalls ist der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt, weil er durch die Förderungshöchstdauer als solche nicht in seinen Grundrechten verletzt sein kann. Für den Beschwerdeführer galt zwar eine niedrigere Förderungshöchstdauer als für Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern. Hinsichtlich der primären Rechtswirkung der Förderungshöchstdauer, die Gewährung von Ausbildungsförderung zeitlich zu begrenzen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 BAföG), ist dem Beschwerdeführer selbst jedoch kein Nachteil entstanden. Er hat sein Studium innerhalb der für ihn maßgeblichen Förderungshöchstdauer abgeschlossen und für dessen gesamte Dauer Ausbildungsförderung erhalten. § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV und die darauf gestützten Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen enthalten damit keine unmittelbare verfassungsrechtliche Beschwer für den Beschwerdeführer.

60

Allerdings wirken sich die Vorschriften zur Förderungshöchstdauer indirekt nachteilig für den Beschwerdeführer aus, weil die Gewährung eines großen Teilerlasses nach § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG auch von der für ihn geltenden Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten abhängt. Doch ist eine Verfassungsbeschwerde nur gegen denjenigen Akt öffentlicher Gewalt zulässig, der die geltend gemachte Grundrechtsverletzung bewirkt (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. August 2010 - 1 BvR 2393/08 u.a. -, juris Rn. 19, 30). Das ist hier die Versagung des Teilerlasses.

II.

61

Zulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Versagung eines großen Teilerlasses und die hierzu ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen richtet. Er hat insoweit den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend hinreichend substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG aufgezeigt. Sinngemäß richtet sich seine Verfassungsbeschwerde ausweislich ihrer Begründung mittelbar gegen § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG in Verbindung mit den für den Beschwerdeführer einschlägigen Vorschriften zur Förderungs-höchstdauer einerseits und zur Mindeststudienzeit andererseits. Der Beschwer-deführer hat diese Vorschrift zwar nicht ausdrücklich als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde bezeichnet. Doch sind seine Ausführungen entsprechend auszulegen (vgl. BVerfGE 68, 1 <68 f.>).

C.

62

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Der Beschwerdeführer wird durch § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften zur Förderungshöchstdauer (§ 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO) einerseits und zur Mindeststudienzeit (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO) andererseits und durch die daraus folgende Versagung eines großen Teilerlasses in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil es ihm als Studierendem der Humanmedizin in den neuen Ländern von vornherein objektiv unmöglich war, in den Genuss eines großen Teilerlasses zu kommen.

I.

63

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416> m.w.N.). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Ausschluss (vgl. BVerfGE 93, 386 <396>; 105, 73 <110 ff., 133>), bei dem eine Begünstigung dem einem Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 <431>; 112, 164 <174>; 126, 400 <416> m.w.N.).

64

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 122, 1 <23>; 126, 400 <416> m.w.N.). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 88, 87 <97>; 93, 386 <397>; 99, 367 <389>; 105, 73 <110>; 107, 27 <46>; 110, 412 <432>).

65

Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416> m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>). Im Übrigen hängt das Maß der Bindung unter anderem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 14/09 -, juris Rn. 45).

II.

66

§ 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften zur Förderungshöchstdauer (hier § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO) einerseits und zur Mindeststudienzeit (hier § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO) andererseits und die darauf beruhende Versagung eines großen Teilerlasses für den Beschwerdeführer sind selbst bei Anlegung eines großzügigen Prüfungsmaßstabes mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

67

1. Der Beschwerdeführer wird als Student der Humanmedizin in den neuen Ländern zum einen gegenüber Studierenden der Humanmedizin, die im Wintersemester 1992/1993 oder früher ihr Studium in den alten Ländern aufgenommen und im Sommersemester 1994 ihr viertes Fachsemester vollendet haben, ungleich behandelt. Während für letztere nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV in der Fassung der 8. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV in Verbindung mit § 11d FörderungshöchstdauerV in der Fassung der 10. BAföG- FörderungshöchstdauerVÄndV eine Förderungshöchstdauer von dreizehn Semester galt und sie damit bei einem Abschluss des Studiums vor Ablauf des zweiten Monats nach dem Ablauf der Mindeststudienzeit von zwölf Semestern einen großen Teilerlass erhalten konnten, war dies dem Beschwerdeführer nicht möglich. Denn er konnte sein Studium wegen der bundesrechtlich vorgegebenen Mindeststudienzeit von zwölf Semestern einerseits und der für Studierende in den neuen Ländern geltenden, der Regelstudienzeit entsprechenden Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten andererseits nicht vier Monate vor dem Ablauf der Förderungshöchstdauer beenden. Zum anderen liegt eine Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden anderer Studiengänge vor, in denen entweder gar keine Mindeststudienzeit gilt oder Mindeststudienzeit und Förderungshöchstdauer so bemessen sind, dass ein Abschluss des Studiums vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer möglich bleibt.

68

2. Tragfähige Gründe für die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlungen sind nicht erkennbar. Sie ergeben sich weder aus den Materialien zum Bundesausbildungsförderungsgesetz noch aus der Begründung der Förderungshöchstdauerverordnung. Auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist hierzu nichts vorgetragen worden.

69

a) Für die Ungleichbehandlung gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern bestehen keine tragfähigen Sachgründe. Zwar durfte der Gesetzgeber bei der Gewährung von Leistungen einen Spielraum in Anspruch nehmen. Doch erlaubt ihm dieser nicht, Studierende in den neuen Ländern ohne sachangemessene Gründe von einer Begünstigung auszuschließen. Dabei kann dahinstehen, ob im Studiengang Humanmedizin in den neuen Ländern in den 1990er Jahren Studienbedingungen geherrscht haben, die einen schnelleren Studienabschluss als an Universitäten in den alten Ländern ermöglich haben, und es deshalb ungeachtet der bundeseinheitlich vorgegebenen Studieninhalte verfassungsrechtlich zulässig war, die Förderungshöchstdauer in den neuen Ländern übergangsweise niedriger festzusetzen als in den alten Ländern. Zwar darf der Gesetzgeber insbesondere auch zur Bewältigung der Folgen der Deutschen Einheit Regeln treffen, mit denen auch Härten einhergehen können. Doch ließe sich damit allenfalls rechtfertigen, Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern für eine kürzere Dauer zu fördern, weil sie ihr Studium früher abschließen konnten als Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern. Nicht zu rechtfertigen wäre es jedoch, deshalb keinen großen Teilerlass für den Darlehensteil bereits ausgezahlter Förderung zu gewähren. Der Sinn und Zweck des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG, Anreize für einen möglichst raschen Studienabschluss vor dem Ende der Förderungshöchstdauer zu setzen (vgl. oben A. I. 2. b), besteht gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern ebenso wie in den alten Ländern. Die Mindeststudienzeit von zwölf Semestern, die einem schnellen Studienabschluss Grenzen setzt, gilt kraft bundesgesetzlicher Anordnung für alle Studierenden der Humanmedizin. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, warum Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern die Begünstigung eines großen Teilerlasses von vornherein versagt blieb, während sie Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern nach der Wiedervereinigung noch übergangsweise offen stand.

70

b) Die Ungleichbehandlung sowohl gegenüber Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern als auch gegenüber Studierenden anderer Fachrichtungen lässt sich nicht mit der Befugnis des Gesetzgebers rechtfertigen, bei der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen. Die Voraussetzungen dafür liegen hier nicht vor.

71

aa) Der Gesetzgeber ist zwar von Verfassungs wegen nicht gehalten, sämtliche studienorganisatorischen Besonderheiten zu berücksichtigen und zu überprüfen, ob es nach den individuellen Studienbedingungen eines jeden Studierenden in jedem Studiengang und an jeder Universität möglich ist, das Studium vier Monate vor Ablauf der Förderungshöchstdauer zu beenden. Er muss die Verwaltung auch nicht zu einer entsprechenden umfangreichen Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung individueller Härten verpflichten. Generelle Hinderungsgründe, die sich wie hier die bindenden Mindeststudienzeiten aus Rechtsvorschriften ergeben, müssen aber in einer Regelung über die Gewährung eines studiendauerabhängigen Teilerlasses berücksichtigt werden.

72

Die unzureichende Berücksichtigung gesetzlicher Mindeststudienzeiten und ihres Verhältnisses zur Förderungshöchstdauer kann gesamte Studiengänge und damit eine große Anzahl von Studierenden von der Möglichkeit eines großen Teilerlasses ausschließen. Gerade die hier betroffene Gruppe der Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern ist zahlenmäßig nicht unbedeutend. So schlossen beispielsweise im Jahre 1998 insgesamt 1088 deutsche Erstabsolventen ihr Medizinstudium an Universitäten in den neuen Ländern ab (vgl. Wissenschaftsrat, Entwicklung der Fachstudiendauer an Universitäten von 1990 bis 1998, Drs. 4770-01 vom 15. Februar 2001, Anhang I, S. 118). Geht man entsprechend der Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks für das Jahr 1997 davon aus, dass 17 % der Studierenden der Humanmedizin Leistungen nach dem BAföG erhalten haben, waren allein im Jahre 1998 ca. 185 Studierende von dem Begünstigungsausschluss betroffen. Seit Inkrafttreten von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 63 FörderungshöchstdauerV in der Fassung der 10. BAföG-FörderungshöchstdauerVÄndV gilt im Übrigen für alle Studierenden der Humanmedizin im gesamten Bundesgebiet eine Förderungshöchstdauer von zwölf Semestern und drei Monaten, so dass seitdem kein Studierender der Humanmedizin mehr von einem großen Teilerlass profitieren kann.

73

bb) Der Ausschluss größerer Gruppen von Studierenden von der Chance eines großen Teilerlasses wegen studiengangsbezogener Mindeststudienzeiten ist ohne unzumutbaren Aufwand vermeidbar, indem die Regeln über Teilerlass, Förderungshöchstdauer und Mindeststudienzeit aufeinander abgestimmt werden. Es sind keine verwaltungspraktischen Hindernisse oder sonstige Gründe ersichtlich, die diesen Ausschluss geböten. Er hat seine Ursache vielmehr in der fehlenden Abstimmung derjenigen Regeln, die für den großen Teilerlass von Bedeutung sind. Dies lässt sich nicht mit Typisierungs- und Pauschalierungserwägungen rechtfertigen. So gewährleistete die ursprüngliche Konzeption des studiendauerabhängigen Teilerlasses unter Berücksichtigung der früheren Bemessungsprinzipien der Förderungshöchstdauer, dass Mindeststudienzeiten einem Teilerlass nicht entgegenstanden. Da die Förderungshöchstdauer bis Mitte der 1980er Jahre die Mindeststudienzeit immer um mindestens ein Semester überstieg (vgl. oben A. I. 3. a), war ein Teilerlass, der in Höhe von 2.000 DM für jedes Semester gewährt wurde, um das ein Auszubildender seine Ausbildung vor dem Ende der Förderungshöchstdauer beendete (vgl. oben A. I. 2. b), in jedem Studiengang objektiv möglich. Dies hat sich jedoch geändert, weil sich die Förderungshöchstdauer mehr und mehr an der Regelstudienzeit orientierte. In Studiengängen, in denen die Förderungshöchstdauer nunmehr der Regelstudienzeit entsprach und diese sich aus der bisherigen Mindeststudienzeit und der notwendigen Examenszeit zusammensetzte, wie dies im Studium der Humanmedizin der Fall ist (vgl. BRDrucks 6/78, S. 34, 41 f., und oben A. I. 3. c) aa), war damit ein Abschluss des Studiums ein volles Semester vor dem Ende der Förderungshöchstdauer nicht mehr möglich. Die Verkürzung des für einen großen Teilerlass notwendigen Zeitraums zwischen dem erfolgreichen Abschluss des Studiums und dem Ende der Förderungshöchstdauer von einem Semester, d.h. sechs Monaten, auf vier Monate war nicht auf die gewandelte Förderungshöchstdauer abgestimmt und hat, wie der vorliegende Fall zeigt, die Problematik, dass Mindeststudienzeiten einem Studienabschluss vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer entgegenstehen können, nicht beseitigt.

74

c) Die Benachteiligung gegenüber Studierenden anderer Studiengänge ist nicht durch andere Sachgründe gerechtfertigt. Zwar zeichnet sich der Studiengang Humanmedizin durch die höchste Förderungshöchstdauer von allen universitären Studiengängen aus. Dies ist jedoch dem außergewöhnlichen Umfang des Studiums und der gesetzlich bestimmten und auch europarechtlich vorgegebenen Mindeststudienzeit geschuldet. Die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dienen primär dazu, einen erfolgreichen Studienabschluss zu gewährleisten und werden deshalb für die gesamte erforderliche Dauer des Studiums gezahlt. Die Studienwahl selbst ist frei. Es ist damit nicht durch einen tragfähigen Sachgrund gerechtfertigt, wenn Studierenden ein großer Teilerlass deshalb versagt wird, weil sie sich in gesetzlich gebilligter Weise für ein umfangreiches Studium entschieden haben.

75

Im Übrigen besteht aus Sicht der Geförderten bei langer Studien- und Förderungsdauer ein größeres Bedürfnis für einen großen Teilerlass, da die zurückzuzahlende Darlehenssumme in der Regel höher ausfällt als bei kürzeren Studiengängen. Dies gilt in besonderem Maße für solche Studierenden, die, wie der Beschwerdeführer, ihr Studium vor dem 28. Februar 2001 abgeschlossen haben und für die deshalb die Begrenzung der zurückzuzahlenden Darlehenssumme auf 10.000 Euro nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht eingreift. Der große Teilerlass, der anders als der leistungsabhängige Teilerlass nach § 18b Abs. 2 BAföG nicht in Form eines prozentualen Anteils der gesamten Darlehenssumme, sondern in Ge-stalt eines fixen Betrages gewährt wird, wirkt sich zudem bei langer Förderungsdauer und damit hoher Darlehenssumme im Verhältnis geringfügiger aus als bei kürzerer Förderungsdauer.

76

Aufgrund der langen Studien- und Förderungsdauer im Studiengang Humanmedizin entsprechen Anreize zur zügigen Beendigung des Studiums auch in besonderem Maße dem Sinn und Zweck des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Zweck für Studierende der Humanmedizin in den neuen Ländern und ab Sommersemester 1993 auch für Studierende der Humanmedizin in den alten Ländern als verfehlt anzusehen wäre und sie deshalb gegenüber Studierenden anderer Fachrichtungen schlechter gestellt werden dürften.

77

d) Die Gewährung eines kleinen Teilerlasses nach § 18b Abs. 3 Satz 2 BAföG, den der Beschwerdeführer erhalten hat, kompensiert nicht die Versagung eines großen Teilerlasses. Dass Studierende der Humanmedizin wie andere Studierende in den Genuss eines kleinen Teilerlasses kommen können, rechtfertigt es nicht, ihnen die Begünstigung eines großen Teilerlasses vorzuenthalten, dessen Voraussetzungen andere Studierende erfüllen können.

D.

I.

78

1. a) § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in der Fassung des 12. BAföGÄndG ist für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Eine verfassungskonforme Auslegung scheidet wegen der strikten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen großen Teilerlass aus. In entsprechender Anwendung von § 78 Satz 2 BVerfGG ist die Rechtsfolge der Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG auch für die späteren Fassungen des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG (Fassungen des Ausbildungsförderungsreformgesetzes und des 23. BAföGÄndG, vgl. oben A. I. 2. a) auszusprechen, weil dies im Interesse der Rechtsklarheit geboten ist.

79

b) Der festgestellte Verfassungsverstoß beschränkt sich auf die Fälle, in denen § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG in Verbindung mit den Vorschriften zur Mindeststudienzeit einerseits und zur Förderungshöchstdauer andererseits dazu führt, dass Studierenden in ihrem Studiengang ein großer Teilerlass von vornherein objektiv unmöglich ist, weil sie ihr Studium nicht mindestens vier Monate vor dem Ende der Förderungshöchstdauer beenden können. In entsprechender Anwendung von § 78 Satz 2 BVerfGG wird die Unvereinbarkeit auch über die der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende Fallkonstellation eines Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern hinaus erklärt, weil dies im Interesse der Rechtsklarheit geboten ist (vgl. BVerfGE 19, 206 <225 f.>; 40, 296 <328 f.>; 45, 104 <119, 139>). Sie führt nicht nur im konkreten Fall in Verbindung mit der sich aus § 9 Abs. 2 FörderungshöchstdauerV und § 1 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO ergebenden Förderungshöchstdauer einerseits und der sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO und § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO ergebenden Mindeststudienzeit andererseits zu einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG bei Studierenden der Humanmedizin in den neuen Ländern. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt darüber hinaus bei Studierenden der Humanmedizin in den alten Ländern ab Sommersemester 1993 gegenüber Studierenden in solchen Studiengängen vor, die die Voraussetzungen des großen Teilerlasses nach Maßgabe der für sie geltenden Mindeststudienzeiten und Förderungshöchstdauer grundsätzlich erfüllen können. Ein entsprechender Gleichheitsverstoß gilt auch für alle anderen Studiengänge, in denen Mindeststudienzeiten vorgeschrieben sind und eine Förderungshöchstdauer gilt, die um weniger als vier Monate über der Mindeststudienzeit liegt.

80

2. a) Als Folge der Unvereinbarkeitserklärung dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden; laufende Verfahren sind auszusetzen (vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>; 126, 400 <431>).

81

b) Die Unvereinbarkeitserklärung hat weiterhin zur Folge, dass der Gesetzgeber zur rückwirkenden, gleichheitsgerechten Neuregelung für den gesamten Zeitraum verpflichtet ist, auf den sich die Unvereinbarkeitserklärung bezieht (vgl. BVerfGE 87, 153 <178>; 99, 280 <298>; 105, 73 <134>; 107, 27 <58>; 110, 94 <138>). Dies bedeutet, dass die Neuregelung unabhängig vom Zeitpunkt des Studienabschlusses alle noch nicht bestands- oder rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erfassen muss, die die Gewährung eines großen Teilerlasses zum Gegenstand haben und einen Studiengang betreffen, in dem wegen Rechtsvorschriften zu Mindeststudienzeiten und zur Förderungshöchstdauer die Voraussetzungen des § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG von vornherein nicht erfüllbar waren. Wie der Gesetzgeber den festgestellten Gleichheitsverstoß beseitigt, steht in seinem Ermessen. Die vollständige Abschaffung des Teilerlasses für Studierende, die ihr Studium nach dem 31. Dezember 2012 abschließen, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung und bleibt hiervon unberührt.

82

Bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Verfahren können demgegenüber von der rückwirkenden Neuregelung ausgenommen werden (vgl. BVerfGE 87, 153 <178>; 99, 280 <298>; 107, 27 <58>; 120, 125 <167>). Es bleibt dem Gesetzgeber zwar unbenommen, die Wirkung der vorliegenden Entscheidung auch auf bestandskräftige Bescheide zu erstrecken; von Verfassungs wegen verpflichtet ist er hierzu jedoch nicht (vgl. BVerfGE 104, 126 <150>; 115, 259 <276>).

83

c) Die Neuregelung hat bis zum 31. Dezember 2011 zu erfolgen. Es besteht keine Veranlassung, dem Gesetzgeber eine längere Frist zur Nachbesserung einzuräumen und während dieses Zeitraums die Fortgeltung der verfassungswidrigen Rechtslage anzuordnen. Seit Ende der 1970er Jahre wird über die Angemessenheit der Teilerlassregelung bei frühzeitiger Beendigung der Ausbildung diskutiert (vgl. BTDrucks 8/2868, S. 23; BTDrucks 11/1315, S. 12 zu Nr. 9 Buchtstabe b). Wie die Begründung des Gesetzentwurfs zum 23. BAföGÄndG zeigt, hatte der Gesetzgeber die Unstimmigkeiten von § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG auch bereits erkannt (vgl. BTDrucks 17/1551, S. 28 f. zu Nummer 13). Eine geordnete Finanz- und Haushaltsplanung ist durch die erforderliche Neuregelung ebenfalls nicht gefährdet.

II.

84

1. Die zur Versagung eines großen Teilerlasses ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsamtes, des Verwaltungsgerichts Köln und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sie beruhen auf der mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Rechtslage in Verbindung mit § 18b Abs. 3 Satz 1 BAföG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen sind aufzuheben; die Sache ist an das Verwaltungsgericht Köln zurückzuverweisen (vgl. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

85

2. Demgegenüber haben die allein zur Förderungshöchstdauer ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen Bestand, da die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig ist (vgl. B. I.). Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen.

III.

86

Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die volle Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers ist angemessen, weil dieser sein wesentliches Verfahrensziel erreicht hat (vgl. BVerfGE 79, 372 <378>; 104, 220 <238>). Die Auslagen sind dem Beschwerdeführer zu gleichen Teilen vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Bund zu erstatten, weil die aufgehobenen Entscheidungen von Gerichten des Landes Nordrhein-Westfalen getroffen worden sind, der Grund der Aufhebung aber in der Verfassungswidrigkeit einer bundesrechtlichen Vorschrift liegt (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Bauleitpläne sind von der Gemeinde in eigener Verantwortung aufzustellen. Der Beschluss, einen Bauleitplan aufzustellen, ist ortsüblich bekannt zu machen.

(2) Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind aufeinander abzustimmen. Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.

(3) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten.

(4) Für die Belange des Umweltschutzes nach § 1 Absatz 6 Nummer 7 und § 1a wird eine Umweltprüfung durchgeführt, in der die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen ermittelt werden und in einem Umweltbericht beschrieben und bewertet werden; die Anlage 1 zu diesem Gesetzbuch ist anzuwenden. Die Gemeinde legt dazu für jeden Bauleitplan fest, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad die Ermittlung der Belange für die Abwägung erforderlich ist. Die Umweltprüfung bezieht sich auf das, was nach gegenwärtigem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Bauleitplans angemessenerweise verlangt werden kann. Das Ergebnis der Umweltprüfung ist in der Abwägung zu berücksichtigen. Wird eine Umweltprüfung für das Plangebiet oder für Teile davon in einem Raumordnungs-, Flächennutzungs- oder Bebauungsplanverfahren durchgeführt, soll die Umweltprüfung in einem zeitlich nachfolgend oder gleichzeitig durchgeführten Bauleitplanverfahren auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden. Liegen Landschaftspläne oder sonstige Pläne nach § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe g vor, sind deren Bestandsaufnahmen und Bewertungen in der Umweltprüfung heranzuziehen.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzbuchs ist für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach diesem Gesetzbuch nur beachtlich, wenn

1.
entgegen § 2 Absatz 3 die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist;
2.
die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 Absatz 2, § 4a Absatz 3, Absatz 4 Satz 2, nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3, auch in Verbindung mit § 13a Absatz 2 Nummer 1 und § 13b, nach § 22 Absatz 9 Satz 2, § 34 Absatz 6 Satz 1 sowie § 35 Absatz 6 Satz 5 verletzt worden sind; dabei ist unbeachtlich, wenn
a)
bei Anwendung der Vorschriften einzelne Personen, Behörden oder sonstige Träger öffentlicher Belange nicht beteiligt worden sind, die entsprechenden Belange jedoch unerheblich waren oder in der Entscheidung berücksichtigt worden sind,
b)
einzelne Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, gefehlt haben,
c)
(weggefallen)
d)
bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 3 Absatz 2 Satz 1 nicht für die Dauer einer angemessenen längeren Frist im Internet veröffentlicht worden ist und die Begründung für die Annahme des Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes nachvollziehbar ist,
e)
bei Anwendung des § 3 Absatz 2 Satz 5 der Inhalt der Bekanntmachung zwar in das Internet eingestellt wurde, aber die Bekanntmachung und die nach § 3 Absatz 2 Satz 1 zu veröffentlichenden Unterlagen nicht über das zentrale Internetportal des Landes zugänglich gemacht wurden,
f)
bei Anwendung des § 13 Absatz 3 Satz 2 die Angabe darüber, dass von einer Umweltprüfung abgesehen wird, unterlassen wurde oder
g)
bei Anwendung des § 4a Absatz 3 Satz 4 oder des § 13, auch in Verbindung mit § 13a Absatz 2 Nummer 1 und § 13b, die Voraussetzungen für die Durchführung der Beteiligung nach diesen Vorschriften verkannt worden sind;
3.
die Vorschriften über die Begründung des Flächennutzungsplans und der Satzungen sowie ihrer Entwürfe nach §§ 2a, 3 Absatz 2, § 5 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 und Absatz 5, § 9 Absatz 8 und § 22 Absatz 10 verletzt worden sind; dabei ist unbeachtlich, wenn die Begründung des Flächennutzungsplans oder der Satzung oder ihr Entwurf unvollständig ist; abweichend von Halbsatz 2 ist eine Verletzung von Vorschriften in Bezug auf den Umweltbericht unbeachtlich, wenn die Begründung hierzu nur in unwesentlichen Punkten unvollständig ist;
4.
ein Beschluss der Gemeinde über den Flächennutzungsplan oder die Satzung nicht gefasst, eine Genehmigung nicht erteilt oder der mit der Bekanntmachung des Flächennutzungsplans oder der Satzung verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht worden ist.
Soweit in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 die Begründung in wesentlichen Punkten unvollständig ist, hat die Gemeinde auf Verlangen Auskunft zu erteilen, wenn ein berechtigtes Interesse dargelegt wird.

(2) Für die Rechtswirksamkeit der Bauleitpläne ist auch unbeachtlich, wenn

1.
die Anforderungen an die Aufstellung eines selbständigen Bebauungsplans (§ 8 Absatz 2 Satz 2) oder an die in § 8 Absatz 4 bezeichneten dringenden Gründe für die Aufstellung eines vorzeitigen Bebauungsplans nicht richtig beurteilt worden sind;
2.
§ 8 Absatz 2 Satz 1 hinsichtlich des Entwickelns des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan verletzt worden ist, ohne dass hierbei die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden ist;
3.
der Bebauungsplan aus einem Flächennutzungsplan entwickelt worden ist, dessen Unwirksamkeit sich wegen Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften einschließlich des § 6 nach Bekanntmachung des Bebauungsplans herausstellt;
4.
im Parallelverfahren gegen § 8 Absatz 3 verstoßen worden ist, ohne dass die geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden ist.

(2a) Für Bebauungspläne, die im beschleunigten Verfahren nach § 13a, auch in Verbindung mit § 13b, aufgestellt worden sind, gilt ergänzend zu den Absätzen 1 und 2 Folgendes:

1.
(weggefallen)
2.
Das Unterbleiben der Hinweise nach § 13a Absatz 3 ist für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans unbeachtlich.
3.
Beruht die Feststellung, dass eine Umweltprüfung unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 13a Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, gilt die Vorprüfung als ordnungsgemäß durchgeführt, wenn sie entsprechend den Vorgaben von § 13a Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 durchgeführt worden ist und ihr Ergebnis nachvollziehbar ist; dabei ist unbeachtlich, wenn einzelne Behörden oder sonstige Träger öffentlicher Belange nicht beteiligt worden sind; andernfalls besteht ein für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans beachtlicher Mangel.
4.
Die Beurteilung, dass der Ausschlussgrund nach § 13a Absatz 1 Satz 4 nicht vorliegt, gilt als zutreffend, wenn das Ergebnis nachvollziehbar ist und durch den Bebauungsplan nicht die Zulässigkeit von Vorhaben nach Spalte 1 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung begründet wird; andernfalls besteht ein für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans beachtlicher Mangel.

(3) Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan oder die Satzung maßgebend. Mängel, die Gegenstand der Regelung in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 sind, können nicht als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden; im Übrigen sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.

(4) Der Flächennutzungsplan oder die Satzung können durch ein ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. April 2009 - 2 K 4176/07 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Niederschlagswassergebühren.
Die Beklagte betreibt zur Beseitigung des in ihrem Gebiet anfallenden Abwassers Abwasseranlagen in Form eines Eigenbetriebs (Eigenbetrieb Stadtentwässerung Pforzheim - ESP) geführte öffentliche Einrichtung und erhebt für die Benutzung dieser Anlagen nach Maßgabe ihrer Satzung über die Gebührenerhebung für die Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen (Abwassergebührensatzung - AbwGebS) eine laufende Benutzungsgebühr.
Die Abwassergebühren wurden ursprünglich nach dem (einheitlichen) Frischwassermaßstab berechnet. Am 17.10.2006 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine neue, rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft tretende Abwassergebührensatzung, nach deren § 2 die Abwassergebühren getrennt für die auf den Grundstücken anfallende Schmutzwassermenge (Schmutzwassergebühr) und für die an den Kanal angeschlossenen gebührenrelevanten versiegelten Flächen (Niederschlagswassergebühr) erhoben werden. Die Schmutzwassergebühr beträgt gemäß § 7 Abs. 1 AbwGebS je Kubikmeter Schmutzwasser 1,86 EUR, die Niederschlagswassergebühr gemäß § 7 Abs. 3 AbwGebS je Quadratmeter anrechenbarer versiegelter Grundstücksfläche und Jahr 0,92 EUR. Über die Entstehung und die Fälligkeit der Gebühren trifft § 11 AbwGebS folgende Regelung:
(1) Die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren entsteht mit dem Tag, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt ist.
(2) Die Gebühren werden zwei Wochen nach Bekanntgabe des Gebührenbescheides fällig. …
(3) …
Die Klägerin ist Eigentümerin des im Gebiet der Beklagten gelegenen Grundstücks Flst.Nr. ... (... ...), dessen versiegelte Fläche von der Beklagten mit 934 m 2 angenommen wird. Mit Bescheid vom 11.1.2007 setzte die Beklagte auf dieser Grundlage die für das Grundstück für den Zeitraum 1.1. bis 27.12.2006 zu bezahlenden Niederschlagswassergebühren auf 849,86 EUR fest.
Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid am 15.1.2007 Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend, die Satzung vom 17.10.2006 sei rechtswidrig. Die Anordnung des rückwirkenden Inkrafttretens verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip in Form des Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Des Weiteren habe die Beklagte im Rahmen des Verfahrens zur Aufstellung der Satzung jegliche Transparenz vermissen lassen. Im Rahmen der Flächenermittlung seien erhebliche Versäumnisse unterlaufen. Die der Satzung zugrunde liegende Kalkulation der Abwassergebühren sei nicht transparent und nicht vollständig. Insbesondere dürfe es nicht zum Nachteil der Gebührenschuldner führen, dass der Eigenbetrieb Stadtentwässerung vollständig über Fremdkapital finanziert werde. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, dass die Gebührenkalkulation, die für das Jahr 2007 gefertigt worden sei, maßgebliche Aussagen für das Jahr 2006 treffen könne.
Die Beklagte wies den Widerspruch am 6.11.2007 mit der Begründung zurück, die Abwassergebührensatzung sei rechtmäßig. Die Satzung verstoße insbesondere nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Veranlagungsfläche sei ordnungsgemäß ermittelt worden. Die Stadt habe im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraums entschieden, den Entwässerungsbetrieb nicht mit Eigenkapital auszustatten, sondern ihm zur teilweisen Finanzierung des Anlagevermögens ein verzinsliches Trägerdarlehen zu gewähren. Das Darlehen habe damit Eigenkapital ersetzenden Charakter. Die hierauf entfallenden Zinsen stellten einen Ausgleich für die ansonsten zulässigerweise zu berücksichtigenden Eigenkapitalzinsen dar. Die Zinshöhe von 5,34 % im Jahre 2006 sei angemessen. Es entspreche der Erfahrung, dass sich die gebührenrelevante Abwassermenge gegenüber der Prognose allenfalls noch geringfügig verändere. Deshalb habe für die Jahre 2006 und 2007 von den gleichen Mengen wie für 2005 ausgegangen werden dürfen.
Die Klägerin hat am 7.12.2007 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben mit dem Antrag, die Bescheide der Beklagten vom 11.1. und 6.11.2007 aufzuheben. Zur Begründung hat sie zunächst ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie ausgeführt, es sei bereits fraglich, ob die Beklagte die Aufgabe der Abwasserbeseitigung auf den Eigenbetrieb Stadtentwässerung habe übertragen dürfen. Jedenfalls sei äußerst zweifelhaft sei, ob die Betriebskosten, die durch den Eigenbetrieb selbst verursacht würden, in die Gebührenkalkulation eingestellt werden dürften. Dadurch, dass der Eigenbetrieb Stadtentwässerung ausgegliedert und nicht mit Eigenkapital ausgestattet worden sei, seien Fremdfinanzierungskosten künstlich geschaffen worden, um den Gebührensatz höher ausgestalten zu können. Jedenfalls seien die zusätzlich geschaffenen Fremdfinanzierungskosten nicht erforderlich.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und erwidert: Die Einwohner seien bereits seit langer Zeit durch Informationsschreiben, umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit und begleitende Presseberichterstattung darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, eine gesplittete Abwassergebühr einzuführen. Sie hätten somit spätestens zum 1.1.2006 mit deren Einführung rechnen müssen. Die Gesamtheit der Gebührenpflichtigen werde durch die neue Satzung nicht ungünstiger gestellt. Ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot liege somit nicht vor. Ein neu zu gründendes Unternehmen könne durch Kapital finanziert werden, das der Eigentümer dem Unternehmen zur Verfügung stelle oder das von Dritten als Kredit oder Zuschuss gegeben werde. Der Eigentümer könne dem Unternehmen neben dem Eigenkapital auch Darlehen gewähren. Dies gelte als Kreditaufnahme durch den Eigenbetrieb. Der Gebührenkalkulation liege ein durchschnittlicher kalkulatorischer Zins in Höhe von 5,4 % zugrunde, der aus den Echtzinsaufwendungen für Fremddarlehen, Kassenkrediten und Trägerdarlehen abzüglich nicht gebührenfähiger Bauzeitzinsen im Verhältnis zum Anlagevermögen ermittelt worden sei. Für die Berechnung des Straßenentwässerungskostenanteils sei auf die Globalberechnung zur Ermittlung des Abwasserbeitrags vom März 2002 zurückgegriffen worden. Für die Beschlussfassung über den Gebührensatz 2006 habe sie auf eine Gebührenkalkulation zurückgreifen dürfen, die für das Wirtschaftsjahr 2007 erstellt worden sei. § 11 Abs. 1 AbwGebS sei rechtmäßig. Da eine Gebühr erst mit der Inanspruchnahme, also der Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen entstehen könne, sei diese Vorschrift dahin zu verstehen, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Stadtentwässerung und - kumulativ - mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe.
10 
Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Gemeinderat der Beklagten am 16.12.2008 eine rückwirkend zum 1.1.2008 in Kraft tretende Änderung des § 11 AbwGebS beschlossen. § 11 Abs. 1 AbwGebS lautet in der neuen Fassung nunmehr wie folgt:
11 
Die Gebührenschuld entsteht jeweils mit dem Ende des Abrechnungszeitraums. Abrechnungszeitraum ist für die Erhebung der Gebühren der Zeitraum, für den der Wasserverbrauch zur Berechnung des Entgelts für die Wasserlieferung festgestellt wird. Für die Erhebung der Niederschlagswassergebühr gilt dies mit der Maßgabe, dass der erste Abrechnungszeitraum jedoch frühestens mit dem Tag beginnt, an dem befestigte Flächen an die Stadtentwässerungsanlagen angeschlossen sind.
12 
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23.4.2009 die Bescheide der Beklagten vom 11.1. und 6.11.2007 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, die Abwassergebührensatzung der Beklagten sei für den von dem angefochtenen Bescheid betroffenen Zeitraum mangels einer gültigen Regelung über die Entstehung der Gebühr ungültig. Die Regelung über die Entstehung der Abgabenschuld gehöre nach § 2 Abs. 1 S. 2 KAG zum unverzichtbaren Mindestinhalt einer Satzung, soweit sie sich - wie im Falle von Abwassergebühren - nicht schon aus dem Gesetz ergebe. Bei Gebühren, die für die laufende Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben würden, sei eine eindeutige satzungsmäßige Bestimmung des Zeitintervalls, für welches die Gebühren jeweils anfallen sollten, erforderlich. Eine derartige Bestimmung enthalte die Abwassergebührensatzung für den hier betroffenen Zeitraum nicht. Hinsichtlich der Niederschlagswassergebühren könne man zwar möglicherweise aus dem Maßstab Quadratmeter anrechenbarerer versiegelter Fläche/Jahr schließen, dass Erhebungszeitraum das Kalenderjahr sein solle. Eine "eindeutige" Bestimmung enthalte die Satzung jedoch auch bei einer solchen Auslegung nicht. Hinsichtlich der Schmutzwassergebühr fehle es sogar an jeglichem Anhaltspunkt für den Erhebungszeitraum. Bei der Schmutzwassergebühr komme hinzu, dass die Höhe der Gebührenschuld zu dem nach der Abwassergebührensatzung maßgeblichen Entstehungszeitpunkt nicht berechenbar sei, da in diesem Zeitpunkt nicht feststehe, welche Wassermenge dem Grundstück aus der öffentlichen Wasserversorgung zugeführt werde. Der von der Beklagten für das Jahr 2006 beschlossene Gebührensatz sei außerdem unwirksam, da die dem Gemeinderat bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz vorliegende Gebührenkalkulation sich auf das Wirtschaftsjahr 2007 bezogen habe. Die Beklagte habe nicht darzulegen vermocht, dass die Kalkulation auch uneingeschränkt aussagekräftige Aussagen für das Jahr 2006 treffe. Ohnehin habe sich das Jahr 2006 bei der Beschlussfassung bereits dem Ende zugeneigt, so dass für dieses Jahr erhebliche Teile der Ausgaben bereits festgestanden und daher nicht mehr hätten prognostiziert werden müssen. Es liege zwar nahe, dass die Abwassermengen in den Jahren 2006 und 2007 nicht erheblich voneinander abwichen. Für die in der Gebührenkalkulation zu berücksichtigenden Ausgaben und Einnahmen lasse sich das jedoch nicht ohne weiteres annehmen. Ein Vergleich der ursprünglichen Gebührenkalkulation für das Jahr 2006 und der Gebührenkalkulation für das Jahr 2007 bestätige dies. Die Kosten der Abwasserbeseitigung in der Kalkulation für das Jahr 2007 von 23.722.400 EUR dürften der Sache nach den "bereinigten Aufwendungen aus 1.9." in der Kalkulation für das Jahr 2007 von 23.355.400 EUR entsprechen. Der Unterschied zwischen den beiden Beträgen von knapp 400.000 EUR könne kaum mehr als unerheblich bezeichnet werden. Zu derselben Gebührenobergrenze im Jahr 2007 sei die Beklagte des Weiteren nur gelangt, weil sie bei der Festsetzung des Gebührensatzes eine Unterdeckung in Höhe von 782.900 EUR einkalkuliert habe. Aus § 14 Abs. 2 Satz 2 KAG ergeb sich entgegen der Ansicht der Beklagten nichts anderes. Der Bestimmung lasse sich nicht entnehmen, dass für die Kalkulation eines Gebührensatzes für ein Jahr auf die Gebührenkalkulation für das nachfolgende Jahr zurückgegriffen werden dürfe. Es sei ferner zweifelhaft, ob die Gebührenkalkulation für das Jahr 2007 den Anforderungen genüge, die an eine ordnungsgemäße Gebührenkalkulation zu stellen seien. Eine Kalkulation nach Kostenstellen biete dem Gemeinderat möglicherweise kein ausreichendes Bild von der Ermittlung des Gebührenbedarfs. So seien bei dieser Art der Kalkulation weder die Höhe der Abschreibungen noch die Zinsbelastung aufgrund des von der Beklagten ihrem Eigenbetrieb gewährten Trägerdarlehens ausgewiesen. Würde es darauf ankommen, so wäre auch der Frage nachzugehen, ob es sich bei den aufgrund des Trägerdarlehens anfallenden Zinsen um auf die Gebührenzahler abwälzbare Kosten handele.
13 
Gegen das Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Die Beklagte macht geltend, die Satzung vom 17.10.2006 enthalte entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eine gültige Entstehensregelung. Da die Gebührenhöhe vorab festgelegt worden sei, könne der Gebührenschuldner bereits bei der Inanspruchnahme der öffentlichen Leistung die damit verbundene Gebühr erkennen. Die Bestimmung eines Erhebungszeitraums sei dafür nicht erforderlich. Von der Festlegung eines konkreten Zeitintervalls sei abgesehen worden, da die Gebühren nach einem "rollierenden System" erhoben würden, bei dem laufend Ablesungen vorgenommen und Gebührenbescheide erstellt würden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Satzung werde deutlich, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Entwässerung und (kumulativ) mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe. Der für das Jahr 2006 beschlossene Gebührensatz sei wirksam. Die für das Jahr 2007 erstellte Gebührenkalkulation sei nur herangezogen worden, um die Aufteilung der Gebühren in Schmutzwasser- und Niederschlagswassergebühren vornehmen zu können. Der Gemeinderat habe zuvor für das Jahr 2006 unter Berücksichtigung der restlichen Überdeckung aus dem Jahr 2002 und einem Anteil der Unterdeckung aus 2004 einen Gebührensatz von 2,72 EUR/m 3 festgesetzt. Er sei dabei von einer Abwassermenge von 6,1 Mio. m 3 und gebührenfähigen Gesamtkosten von 17.067.100 EUR ausgegangen, woraus sich eine zulässige Gebührenobergrenze von 2,79 EUR/m 3 ergeben habe. Bei der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr sei das sich aus dem beschlossenen Gebührensatz ergebende Gebührenaufkommen auf eine Schmutzwassergebühr von 1,86 EUR/m³ und eine Regenwassergebühr von 0,92 EUR/m² aufgeteilt worden. Aus welchen Gründen die von dem Verwaltungsgericht geforderte getrennte Ausweisung der Abschreibungen in der Gebührenkalkulation erforderlich sei, sei nicht ersichtlich. Die Gebührenkalkulation wähle einen anderen Ansatz, indem sie an einzelne "Kostenverursacher" anknüpfe. Dem Gemeinderat sei bewusst gewesen, dass in den einzelnen Beträgen Abschreibungen enthalten seien. Eine darüber hinausgehende Ausweisung sei nicht erforderlich. Im Übrigen hätten die auf S. 4 der Gebührenkalkulation genannten Anlagen dem Gemeinderat zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung gestanden. Der vereinbarte Zinssatz für das Trägerdarlehen von 6 % orientiere sich an der Zinsbelastung des städtischen Haushalts seit 1986 und bilde die durchschnittliche Zinsbelastung ab.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. April 2009 - 2 K 4176/07 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
16 
Die Klägerin beantragt,
17 
die Berufung zurückzuweisen.
18 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
19 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten der Beklagten sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Gebührenbescheid zu Recht aufgehoben. Die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende und diesen stützenden Abwassergebührensatzung der Beklagten ist für den von dem Bescheid betroffenen Zeitraum mangels einer gültigen Regelung über die Entstehung der Gebühr unwirksam (unten 1). Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt (unten 2).
21 
1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die - rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft getretene - Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, enthält diese Satzung keine ausreichende Regelung über die Entstehung der Gebühr und ist daher nichtig. Die am 16.12.2008 beschlossene Änderung der Satzung bleibt dabei außer Betracht, da die Änderung nach dem Willen der Beklagten erst am 1.1.2008 in Kraft treten soll und sich deshalb für den von dem angefochtenen Bescheid erfassten Zeitraum (1.1. bis 27.12.2006) keine Gültigkeit beimisst.
22 
a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen Gebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen ebenso wie andere Kommunalabgaben nur auf Grund einer (wirksamen) Satzung erhoben werden. Zum unverzichtbaren Mindestinhalt einer solchen Satzung gehört gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 KAG eine Regelung über die Entstehung der Abgabenschuld, soweit sich diese Rechtsfolge - wie im Falle von Abwassergebühren - nicht schon aus dem Gesetz herleiten lässt. Mit der Entstehung der Abgabenschuld kann die Abgabenforderung beim Abgabenpflichtigen geltend gemacht werden, sofern gesetzlich kein späterer Zeitpunkt für die Fälligkeit festgesetzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG in Verbindung mit § 220 Abs. 2 AO). Mit der Entstehung der Abgabenschuld beginnt außerdem die Festsetzungsverjährungsfrist zu laufen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG in Verbindung mit § 170 AO). Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 30.11.2000 - 2 S 2061/98 - BWGZ 2001, 269) muss sich deshalb beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung aus der Abgabensatzung mit hinreichender Klarheit ergeben, zu welchem Zeitpunkt die Abgabenschuld nach dem Willen des Satzungsgebers entstehen soll.
23 
An dieser Auffassung ist auch nach der Neufassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG durch das Gesetz zur Neuregelung des kommunalen Abgabenrechts und zur Änderung des Naturschutzgesetzes vom 17.3.2005 festzuhalten. Die Vorschrift legt auch in ihrer Neufassung den unverzichtbaren Mindestinhalt einer Abgabensatzung fest. Der Umstand, dass der Gesetzgeber das von der Vorschrift bisher verwendete Wort "muss" durch ein "soll" ersetzt hat, ändert daran nichts. Die Änderung hat ihren Grund in der Einbeziehung des Erschließungsbeitragsrechts in das Kommunalabgabengesetz (vgl. LT-Drs. 13/3966, S. 40) und erklärt sich dadurch, dass in der auch für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen erforderlichen Satzung wegen der völlig unterschiedlichen Kosten der einzelnen Erschließungsanlagen ein Abgabensatz nicht bestimmt werden kann. Für den Erlass von Benutzungsgebührensatzungen ergeben sich aus der geänderten Fassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG keine Konsequenzen. Das "soll" in dieser Vorschrift ist vielmehr in diesen Fällen in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage weiterhin wie ein "muss" zu lesen.
24 
b) Den sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 KAG ergebenden Anforderungen wird mit der Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006 nicht entsprochen.
25 
Entstehung und Fälligkeit der Gebührenschuld werden in § 11 AbwGebS geregelt. In seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung bestimmte Abs. 1 dieser Vorschrift, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren mit dem Tag entsteht, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt ist. Diese Regelung ist, wie auch die Beklagte einräumt, unvollständig. Nach § 13 Abs. 1 S. 1 KAG können Benutzungsgebühren nur für die (tatsächliche) Benutzung der öffentlichen Einrichtung erhoben werden, da erst dadurch das für eine solche Gebühr eigentümliche Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung begründet wird. Die bloße Möglichkeit der Benutzung einer öffentlichen Einrichtung oder der Umstand, dass durch die Einrichtung Vorteile geboten werden, reichen danach zur Gebührenerhebung nicht aus. Von der Beklagten wird dementsprechend vorgebracht, § 11 Abs. 1 AbwGebS bestimme, dass die Gebührenschuld frühestens mit dem Tag entstehe, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt sei. Da eine Gebühr aber erst mit der Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen entstehen könne, sei § 11 Abs. 1 AbwGebS dahin zu verstehen, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Stadtentwässerung und - kumulativ - mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe.
26 
Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 11 Abs. 1 AbwGebS wird von dem Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Anhaltspunkte dafür, dass mit der in der Vorschrift allein genannten betriebsfähigen Herstellung des Anschlusses an die Entwässerung nur der frühestens mögliche Zeitpunkt für das Entstehen der Gebührenpflicht beschrieben wird und es im Übrigen für das Entstehen der Gebührenpflicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen ankommen soll, sind weder der Vorschrift selbst noch anderen Bestimmungen der Satzung zu entnehmen. Davon abgesehen bliebe auch bei einem solchen Verständnis der Vorschrift offen, für welchen Zeitraum durch die Benutzung der öffentlichen Einrichtung die Gebührenpflicht entstehen soll. Bei Gebühren, die - wie Abwassergebühren - nicht für eine nur einmalige Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben werden, ist die Festlegung des Zeitintervalls erforderlich, für welches die Gebühren jeweils anfallen sollen, da nur so die Bestimmungen über die Festsetzungsverjährung exakt angewendet werden können. Werden Gebühren für die laufende Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben, muss deshalb die Satzung festlegen, zu welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum die Gebühr als entstanden gelten soll (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.11.1996 - 4 K 11/96 - KStZ 2000, 12; HessVGH, Beschl. v. 28.8.1986 - 5 TH 1870/86 - Juris; Lohmann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 661; Driehaus, aaO, § 2 Rn. 92).
27 
Eine solche Festlegung lässt sich der Satzung der Beklagten weder für die Schmutzwasser- noch für die Niederschlagswassergebühr entnehmen. Zwar heißt es in § 7 Abs. 3 AbwGebS, dass die Niederschlagswassergebühr 0,92 EUR je Quadratmeter anrechenbarer versiegelter Grundstücksfläche und Jahr betrage. In § 4 Abs. 1 S. 4 AbwGebS ist ferner von einer "jährlichen" Niederschlagswassergebühr die Rede. Die Satzung könnte im Hinblick hierauf dahin verstanden werden, dass Erhebungszeitraum für die Niederschlagswassergebühr das Kalenderjahr sein und die Pflicht zur Bezahlung dieser Gebühr mit dem Ende des jeweiligen Kalenderjahrs entstehen soll, worauf auch das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zu sprechen gekommen ist. Gegen ein solches Verständnis der Satzung spricht jedoch zum einen die Regelung in § 11 Abs. 2 S. 2 AbwGebS, wonach "die Gebühren" - also sowohl die Schmutzwasser- als auch die Niederschlagswassergebühr - in der Regel zusammen mit den Frischwasserentgelten, berechnet und erhoben werden, und zum anderen die Regelung in § 10 Abs. 1 S. 1 AbwGebS, nach der Abschlagszahlungen (auch) auf die Niederschlagswassergebühr verlangt werden können, wenn "die Gebühr für mehrere Monate abgerechnet" wird. Die Höhe der Abschlagszahlungen wird nach § 10 Abs. 1 S. 2 AbwGebS anteilig berechnet entsprechend den anrechenbaren versiegelten Grundstücksflächen "im zuletzt abgerechneten Zeitraum". Diese Regelungen deuten darauf hin, dass die Beklagte sich auch bei der Erhebung der Niederschlagswassergebühren vorbehalten will, den Abrechnungszeitraum von Fall zu Fall zu bestimmen, was sich mit einer Regelung, die das Entstehen der Gebührenpflicht an das Ende des jeweiligen Kalenderjahrs knüpft, nicht verträgt.
28 
Wie die Berufungsbegründung zeigt, ist auch die Beklagte selbst der Meinung, dass in ihrer Satzung kein Erhebungszeitraum festgelegt sei. Nach den dazu gegebenen Erklärungen ist von der Festlegung eines konkreten Zeitintervalls vielmehr bewusst abgesehen worden, da die Gebühren nach einem "rollierenden System" erhoben werden sollten, bei dem laufend Ablesungen vorgenommen und Gebührenbescheide erstellt würden. Die Beklagte hat dementsprechend die Klägerin nicht zu einer Niederschlagswassergebühr für das gesamte Jahr 2006, sondern nur für den Zeitraum 1.1. bis 27.12.2006 herangezogen.
29 
2. Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den sich aus § 14 Abs. 3 KAG ergebenden Anforderungen genügt.
30 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urt. v. 4.7.1996 - 2 S 1478/94 - BWGZ 1997, 540; NK-Beschl. v. 27.2.1996 - 2 S 1407/94 - NVwZ-RR 1996, 593) hat der Gemeinderat als zuständiges Rechtssetzungsorgan die Höhe des Gebührensatzes innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Gebührenkalkulation zu beschließen, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze der öffentlichen Einrichtung hervorgehen muss. Da weder § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch § 78 Abs. 2 GemO die Gemeinde verpflichten, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten durch Gebühren anzustreben, hat der Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz im Wege einer Ermessensentscheidung darüber zu befinden, welche gebührenfähigen Kosten in die Gebührenkalkulation eingestellt werden sollen. Außerdem ist ihm bei der Ermittlung der in den Gebührensatz einzustellenden Kostenfaktoren überall dort ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wo sich diese Kosten nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen oder finanzpolitischen Bewertungen ermitteln lassen. Die Gebührenkalkulation dient somit nicht nur als Kontrollinstrument zur Überprüfung des letztlich beschlossenen Gebührensatzes, sondern auch dem Nachweis dafür, dass der Ortsgesetzgeber als Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Kostenermittlung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ist dem Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies - vorbehaltlich des § 2 Abs. 2 S. 1 KAG - die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge.
31 
a) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht angenommen, der vom Gemeinderat der Beklagten beschlossene Gebührensatz für das Jahr 2006 sei ungültig, da sich die der Beschlussfassung am 17.10.2006 zugrunde liegende Gebührenkalkulation auf das Wirtschaftsjahr 2007 bezogen habe und nicht ersichtlich sei, dass diese Kalkulation auch uneingeschränkt verwertbare Aussagen für das Jahr 2006 treffe. Dem vermag der Senat auf der Grundlage der ihm zugänglichen Informationen nicht zu folgen.
32 
Der Vorlage zu der Sitzung des Gemeinderats vom 17.10.2006 lag eine von dem Büro ... ... gefertigte Gebührenkalkulation für das "Wirtschaftsjahr 2007" bei. Die Gebührenkalkulation geht von einer im Jahr 2007 zu erwartenden Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ aus. Die "ansatzfähigen Kosten der Abwasserbeseitigung" werden für das gleiche Jahr - ohne die auf die Straßenflächen entfallenden Kosten - mit 17.374.902,03 EUR veranschlagt, von denen 11.794.509,49 EUR der Schmutzwasserbeseitigung und 5.580.392,54 EUR der Niederschlagswasserbeseitigung zugeordnet werden. Die Beklagte ist der Meinung, dass diese Zahlen wegen der hinreichend gleichen abwassertechnischen Verhältnisse nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könnten. Das ist nicht zu beanstanden. Die Prognose einer Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ auch für das Jahr 2006 steht in Übereinstimmung mit der für das gleiche Jahr vorgenommenen Prognose in der früheren Kalkulation, die der Satzung vom 13.12.2005 zugrunde lag, und bewegt sich im Rahmen der im Wirtschaftsplan des ESP für das Jahr 2006 genannten tatsächlichen Verbrauchsmengen, die in den Jahren 2002 bis 2005 zu verzeichnen waren. Die Prognose ist danach nicht zu bemängeln. Die in der Gebührenkalkulation ferner vorgenommene Kostenschätzung beruht auf einem "Kostenstellenbericht" vom 27.7.2006, der auf der Grundlage der bis dahin bekannten Zahlen eine Zusammenstellung der in der Zeit vom 1.1. bis 31.12.2007 zu erwartenden Kosten enthält. Gegen die Annahme der Beklagten, dass auch diese Schätzung nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könne, bestehen im Hinblick auf diese Grundlage der Schätzung ebenfalls keine Bedenken. Ihre Richtigkeit wird zudem dadurch bestätigt, dass nach der Darstellung der Beklagten die in den Jahren 2006 und 2007 tatsächlich entstandenen Kosten einander nahezu entsprochen haben. Dieser Darstellung ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
33 
b) Die dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegende Gebührenkalkulation ist jedoch deshalb als mangelhaft zu erachten, weil sie keinen Aufschluss über die Höhe der einzelnen Kostenarten gibt, aus denen sich die in die Kalkulation eingestellten Gesamtkosten zusammensetzen.
34 
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen die Gebühren höchstens so bemessen werden, dass die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen insgesamt ansatzfähigen Kosten (Gesamtkosten) der Einrichtung gedeckt werden. Die Betriebswirtschaftslehre kennt als Unterfall der Kostenrechnung die Kostenartenrechnung, die der systematischen Erfassung aller bei der Leistungserstellung entstehenden Kosten dient. Nach der Art der verbrauchten Produktionsfaktoren wird dabei zwischen Personalkosten, Materialkosten, Abschreibungen, Zinsen, Kosten für Dienstleistungen Dritter sowie Kosten für Steuern, Gebühren und Beiträge unterschieden (Wöhe, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 19. Aufl., S. 1254 ff). Eine derartige Aufschlüsselung hat auch in der Gebührenkalkulation zu erfolgen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 42).
35 
Die Gebührenkalkulation hat die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen für die rechtssatzmäßige Festsetzung des Gebührensatzes zur Verfügung zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie für den kundigen, mit dem Sachverhalt vertrauten kommunalen Mandatsträger transparent, verständlich, nachvollziehbar und in sich schlüssig sein (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.2.2004 - 12 A 10826/03.OVG - Juris). Auf eine Aufschlüsselung der in die Kalkulation eingestellten Kosten nach den einzelnen Kostenarten kann danach nicht verzichtet werden. Das hat jedenfalls für die gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 KAG zu den Kosten nach Absatz 1 Satz 1 gehörenden kalkulatorischen Kosten in Form einer angemessenen Verzinsung des Anlagekapitals sowie angemessener Abschreibungen zu gelten, über deren Höhe der Gemeinderat in den mit dem Begriff der Angemessenheit gezogenen rechtlichen Grenzen nach seinem Ermessen zu entscheiden hat.
36 
Dieser Forderung wird mit der dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegenden Gebührenkalkulation nicht genügt. Die in der Kalkulation genannten ansatzfähigen Gesamtkosten ergeben sich aus einer Addition der zuvor unter der Überschrift "eigentlicher Betriebsaufwand" aufgeführten Beträge, die einzelnen "Kostenstellen" der von der Beklagten betriebenen öffentlichen Einrichtung zugeordnet werden. Nach den von den Vertretern der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erläuterungen setzen sich diese Beträge aus den verschiedenen Kosten in Form von Personalkosten, Materialkosten, Kapitalkosten etc. zusammen, von denen den einzelnen Kostenstellen jeweils ein bestimmter Anteil zugewiesen wird. Wie diese Beträge sich im Einzelnen errechnen, geht jedoch aus der Kalkulation selbst nicht hervor. Über die Höhe der einzelnen Kostenarten, aus denen sich die angenommenen Gesamtkosten zusammensetzen, gibt die Kalkulation dementsprechend keinen Aufschluss.
37 
3. Ob die Satzung der Beklagten darüber hinaus an weiteren zu ihrer Nichtigkeit führenden Mängeln leidet, bedarf im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Im Hinblick auf die von der Beklagten genannte große Zahl weiterer Verfahren, in denen über die Rechtmäßigkeit der Satzung gestritten wird, sowie die Möglichkeit, die aufgezeigten Fehler durch den Erlass einer neuen Gebührensatzung zu beheben, sieht sich der Senat jedoch zu den folgenden Hinweisen veranlasst:
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat es als zweifelhaft bezeichnet, ob es sich bei den Zinsen, die der Eigenbetrieb aufgrund des ihm von der Beklagten gewährten Trägerdarlehens zu bezahlen hat, um betriebsbedingte Kosten handelt. Diese Bedenken dürften jedenfalls im Grundsatz unbegründet sein.
39 
Die Beklagte hat bei der im Jahre 2004 erfolgten Gründung des Eigenbetriebs Stadtentwässerung beschlossen, den Eigenbetrieb nicht mit Eigenkapital auszustatten, sondern ihm stattdessen ein - mit 6 % zu verzinsendes - Trägerdarlehen zu gewähren. Dieses Vorgehen dürfte nur bilanztechnische Gründe haben, aber keine Auswirkungen auf die Höhe der ansatzfähigen Gesamtkosten haben. Nach der bereits erwähnten Regelung in § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 KAG gehört zu den ansatzfähigen Gesamtkosten die "angemessene Verzinsung des Anlagekapitals", d. h. eine angemessene Verzinsung der um Beiträge, Zuweisungen und Zuschüsse Dritter gekürzten Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Abschreibungen (vgl. § 14 Abs. 3 S. 2 KAG). Zinsbasis ist damit das in der Anlage noch gebundene Kapital, ohne dass es darauf ankommt, ob die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit Eigen- oder Fremdmitteln finanziert worden sind. Die Gewährung eines Eigenkapital ersetzenden Trägerdarlehens hat daher nicht, wie die Klägerin argwöhnt, das Produzieren "künstlicher" Kosten zur Folge.
40 
b) In der Gebührenkalkulation werden auf der Grundlage einer zu erwartenden Abwassermenge von jeweils 6,1 Mio. m³ und zu erwartenden Kosten von jeweils 17.374.902 EUR sowohl für das Jahr 2006 als auch für das Jahr 2007 kostendeckende Gebührensätze von 1,93 EUR/m 3 (Schmutzwassergebühr) und 0,99 EUR/m 2 (Niederschlagswassergebühr) errechnet (S.10). Im Hinblick auf das vorgegebene Ziel, dass die Einführung der gesplitteten Abwassergebühr nicht zu einer Ausweitung des sich aus dem zuvor beschlossenen Gebührensatz ergebenden Gebühreneinnahmenvolumens führen solle, hat der Gemeinderat der Beklagten jedoch um 0,07 EUR/m 3 bzw. 0,07 EUR/m 2 niedrigere Gebührensätze beschlossen und damit - sowohl für 2006 als auch für 2007 - eine Unterdeckung von jeweils 782.900 EUR in Kauf genommen.
41 
Diese Entscheidung ist für sich genommen nicht zu beanstanden, da sich - wie bereits angesprochen - weder aus § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch aus § 78 Abs. 2 GemO eine Verpflichtung der Gemeinde ergibt, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten anzustreben. Nach Ziff. 2 des Beschlussvorschlags in der Sitzungsvorlage hatte der Gemeinderat der Beklagten jedoch die Vorstellung, dass die einkalkulierte Unterdeckung "mit künftigen Überdeckungen zu verrechnen oder in (künftige) Gebührenkalkulationen einzustellen sein" werde, d.h. in den folgenden Jahren ausgeglichen werden könne und auch tatsächlich ausgeglichen werden solle. Diese Vorstellung ist irrig, da Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat, in den Folgejahren nicht ausgeglichen werden können.
42 
Nach dem Grundsatz der Periodengerechtigkeit dürfen die Gebührenpflichtigen nur mit Kosten belastet werden, die den Nutzungen der jeweiligen Rechnungsperiode entsprechen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 92 ff). § 14 Abs. 2 S. 2 KAG enthält eine Durchbrechung dieses Grundsatzes. In Fällen, in denen am Ende eines Kalkulationszeitraums das Gebührenaufkommen hinter den ansatzfähigen Gesamtkosten zurückbleibt, ist es den Gemeinden danach gestattet, die auf diese Weise entstandene Kostenunterdeckung innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen. Diesem Recht steht die sich ebenfalls aus § 14 Abs. 2 S. 2 Halbsatz KAG ergebende Verpflichtung gegenüber, Kostenüberdeckungen innerhalb des gleichen Zeitraums auszugleichen. Die Regelung berücksichtigt, dass die tatsächlichen Kosten, Erlöse und Mengen von den prognostisch ermittelten und der Kalkulation zugrunde gelegten Werten abweichen können und in aller Regel auch tatsächlich abweichen. § 14 Abs. 2 S. 2 KAG soll deshalb gewährleisten, dass das zunächst auf den jeweiligen Kalkulations- oder Bemessungszeitraum begrenzte Kostendeckungsprinzip auf mittlere Frist gesehen tatsächlich realisiert wird bzw. - soweit es um den Ausgleich von Kostenunterdeckungen geht - realisiert werden kann (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.2.2008 - 2 S 2559/05 - VBlBW 2008, 350). Ausgeglichen werden können danach aber nur Kostenunterdeckungen, die sich erst am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, nicht aber Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.10.1998 - 2 S 399/97 - VBlBW 1999, 219; Quaas, NVwZ 2007, 757; Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 104)
43 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
44 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
45 
Beschluss
46 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 849,86 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
47 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
20 
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Gebührenbescheid zu Recht aufgehoben. Die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende und diesen stützenden Abwassergebührensatzung der Beklagten ist für den von dem Bescheid betroffenen Zeitraum mangels einer gültigen Regelung über die Entstehung der Gebühr unwirksam (unten 1). Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt (unten 2).
21 
1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die - rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft getretene - Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, enthält diese Satzung keine ausreichende Regelung über die Entstehung der Gebühr und ist daher nichtig. Die am 16.12.2008 beschlossene Änderung der Satzung bleibt dabei außer Betracht, da die Änderung nach dem Willen der Beklagten erst am 1.1.2008 in Kraft treten soll und sich deshalb für den von dem angefochtenen Bescheid erfassten Zeitraum (1.1. bis 27.12.2006) keine Gültigkeit beimisst.
22 
a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen Gebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen ebenso wie andere Kommunalabgaben nur auf Grund einer (wirksamen) Satzung erhoben werden. Zum unverzichtbaren Mindestinhalt einer solchen Satzung gehört gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 KAG eine Regelung über die Entstehung der Abgabenschuld, soweit sich diese Rechtsfolge - wie im Falle von Abwassergebühren - nicht schon aus dem Gesetz herleiten lässt. Mit der Entstehung der Abgabenschuld kann die Abgabenforderung beim Abgabenpflichtigen geltend gemacht werden, sofern gesetzlich kein späterer Zeitpunkt für die Fälligkeit festgesetzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG in Verbindung mit § 220 Abs. 2 AO). Mit der Entstehung der Abgabenschuld beginnt außerdem die Festsetzungsverjährungsfrist zu laufen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c KAG in Verbindung mit § 170 AO). Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 30.11.2000 - 2 S 2061/98 - BWGZ 2001, 269) muss sich deshalb beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung aus der Abgabensatzung mit hinreichender Klarheit ergeben, zu welchem Zeitpunkt die Abgabenschuld nach dem Willen des Satzungsgebers entstehen soll.
23 
An dieser Auffassung ist auch nach der Neufassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG durch das Gesetz zur Neuregelung des kommunalen Abgabenrechts und zur Änderung des Naturschutzgesetzes vom 17.3.2005 festzuhalten. Die Vorschrift legt auch in ihrer Neufassung den unverzichtbaren Mindestinhalt einer Abgabensatzung fest. Der Umstand, dass der Gesetzgeber das von der Vorschrift bisher verwendete Wort "muss" durch ein "soll" ersetzt hat, ändert daran nichts. Die Änderung hat ihren Grund in der Einbeziehung des Erschließungsbeitragsrechts in das Kommunalabgabengesetz (vgl. LT-Drs. 13/3966, S. 40) und erklärt sich dadurch, dass in der auch für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen erforderlichen Satzung wegen der völlig unterschiedlichen Kosten der einzelnen Erschließungsanlagen ein Abgabensatz nicht bestimmt werden kann. Für den Erlass von Benutzungsgebührensatzungen ergeben sich aus der geänderten Fassung des § 2 Abs. 1 S. 2 KAG keine Konsequenzen. Das "soll" in dieser Vorschrift ist vielmehr in diesen Fällen in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage weiterhin wie ein "muss" zu lesen.
24 
b) Den sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 KAG ergebenden Anforderungen wird mit der Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17.10.2006 nicht entsprochen.
25 
Entstehung und Fälligkeit der Gebührenschuld werden in § 11 AbwGebS geregelt. In seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung bestimmte Abs. 1 dieser Vorschrift, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren mit dem Tag entsteht, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt ist. Diese Regelung ist, wie auch die Beklagte einräumt, unvollständig. Nach § 13 Abs. 1 S. 1 KAG können Benutzungsgebühren nur für die (tatsächliche) Benutzung der öffentlichen Einrichtung erhoben werden, da erst dadurch das für eine solche Gebühr eigentümliche Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung begründet wird. Die bloße Möglichkeit der Benutzung einer öffentlichen Einrichtung oder der Umstand, dass durch die Einrichtung Vorteile geboten werden, reichen danach zur Gebührenerhebung nicht aus. Von der Beklagten wird dementsprechend vorgebracht, § 11 Abs. 1 AbwGebS bestimme, dass die Gebührenschuld frühestens mit dem Tag entstehe, an dem der Anschluss an die Stadtentwässerung betriebsfähig hergestellt sei. Da eine Gebühr aber erst mit der Benutzung der öffentlichen Abwasseranlagen entstehen könne, sei § 11 Abs. 1 AbwGebS dahin zu verstehen, dass die Gebührenschuld mit dem Anschluss an die Stadtentwässerung und - kumulativ - mit der Benutzung der Abwasseranlage entstehe.
26 
Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 11 Abs. 1 AbwGebS wird von dem Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Anhaltspunkte dafür, dass mit der in der Vorschrift allein genannten betriebsfähigen Herstellung des Anschlusses an die Entwässerung nur der frühestens mögliche Zeitpunkt für das Entstehen der Gebührenpflicht beschrieben wird und es im Übrigen für das Entstehen der Gebührenpflicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen ankommen soll, sind weder der Vorschrift selbst noch anderen Bestimmungen der Satzung zu entnehmen. Davon abgesehen bliebe auch bei einem solchen Verständnis der Vorschrift offen, für welchen Zeitraum durch die Benutzung der öffentlichen Einrichtung die Gebührenpflicht entstehen soll. Bei Gebühren, die - wie Abwassergebühren - nicht für eine nur einmalige Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben werden, ist die Festlegung des Zeitintervalls erforderlich, für welches die Gebühren jeweils anfallen sollen, da nur so die Bestimmungen über die Festsetzungsverjährung exakt angewendet werden können. Werden Gebühren für die laufende Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben, muss deshalb die Satzung festlegen, zu welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum die Gebühr als entstanden gelten soll (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.11.1996 - 4 K 11/96 - KStZ 2000, 12; HessVGH, Beschl. v. 28.8.1986 - 5 TH 1870/86 - Juris; Lohmann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 661; Driehaus, aaO, § 2 Rn. 92).
27 
Eine solche Festlegung lässt sich der Satzung der Beklagten weder für die Schmutzwasser- noch für die Niederschlagswassergebühr entnehmen. Zwar heißt es in § 7 Abs. 3 AbwGebS, dass die Niederschlagswassergebühr 0,92 EUR je Quadratmeter anrechenbarer versiegelter Grundstücksfläche und Jahr betrage. In § 4 Abs. 1 S. 4 AbwGebS ist ferner von einer "jährlichen" Niederschlagswassergebühr die Rede. Die Satzung könnte im Hinblick hierauf dahin verstanden werden, dass Erhebungszeitraum für die Niederschlagswassergebühr das Kalenderjahr sein und die Pflicht zur Bezahlung dieser Gebühr mit dem Ende des jeweiligen Kalenderjahrs entstehen soll, worauf auch das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zu sprechen gekommen ist. Gegen ein solches Verständnis der Satzung spricht jedoch zum einen die Regelung in § 11 Abs. 2 S. 2 AbwGebS, wonach "die Gebühren" - also sowohl die Schmutzwasser- als auch die Niederschlagswassergebühr - in der Regel zusammen mit den Frischwasserentgelten, berechnet und erhoben werden, und zum anderen die Regelung in § 10 Abs. 1 S. 1 AbwGebS, nach der Abschlagszahlungen (auch) auf die Niederschlagswassergebühr verlangt werden können, wenn "die Gebühr für mehrere Monate abgerechnet" wird. Die Höhe der Abschlagszahlungen wird nach § 10 Abs. 1 S. 2 AbwGebS anteilig berechnet entsprechend den anrechenbaren versiegelten Grundstücksflächen "im zuletzt abgerechneten Zeitraum". Diese Regelungen deuten darauf hin, dass die Beklagte sich auch bei der Erhebung der Niederschlagswassergebühren vorbehalten will, den Abrechnungszeitraum von Fall zu Fall zu bestimmen, was sich mit einer Regelung, die das Entstehen der Gebührenpflicht an das Ende des jeweiligen Kalenderjahrs knüpft, nicht verträgt.
28 
Wie die Berufungsbegründung zeigt, ist auch die Beklagte selbst der Meinung, dass in ihrer Satzung kein Erhebungszeitraum festgelegt sei. Nach den dazu gegebenen Erklärungen ist von der Festlegung eines konkreten Zeitintervalls vielmehr bewusst abgesehen worden, da die Gebühren nach einem "rollierenden System" erhoben werden sollten, bei dem laufend Ablesungen vorgenommen und Gebührenbescheide erstellt würden. Die Beklagte hat dementsprechend die Klägerin nicht zu einer Niederschlagswassergebühr für das gesamte Jahr 2006, sondern nur für den Zeitraum 1.1. bis 27.12.2006 herangezogen.
29 
2. Die Satzung der Beklagten ist unabhängig davon auch deshalb nichtig, weil die ihr zugrunde liegende Gebührenkalkulation nicht den sich aus § 14 Abs. 3 KAG ergebenden Anforderungen genügt.
30 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urt. v. 4.7.1996 - 2 S 1478/94 - BWGZ 1997, 540; NK-Beschl. v. 27.2.1996 - 2 S 1407/94 - NVwZ-RR 1996, 593) hat der Gemeinderat als zuständiges Rechtssetzungsorgan die Höhe des Gebührensatzes innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Gebührenkalkulation zu beschließen, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze der öffentlichen Einrichtung hervorgehen muss. Da weder § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch § 78 Abs. 2 GemO die Gemeinde verpflichten, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten durch Gebühren anzustreben, hat der Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz im Wege einer Ermessensentscheidung darüber zu befinden, welche gebührenfähigen Kosten in die Gebührenkalkulation eingestellt werden sollen. Außerdem ist ihm bei der Ermittlung der in den Gebührensatz einzustellenden Kostenfaktoren überall dort ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wo sich diese Kosten nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen oder finanzpolitischen Bewertungen ermitteln lassen. Die Gebührenkalkulation dient somit nicht nur als Kontrollinstrument zur Überprüfung des letztlich beschlossenen Gebührensatzes, sondern auch dem Nachweis dafür, dass der Ortsgesetzgeber als Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Kostenermittlung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ist dem Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies - vorbehaltlich des § 2 Abs. 2 S. 1 KAG - die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge.
31 
a) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht angenommen, der vom Gemeinderat der Beklagten beschlossene Gebührensatz für das Jahr 2006 sei ungültig, da sich die der Beschlussfassung am 17.10.2006 zugrunde liegende Gebührenkalkulation auf das Wirtschaftsjahr 2007 bezogen habe und nicht ersichtlich sei, dass diese Kalkulation auch uneingeschränkt verwertbare Aussagen für das Jahr 2006 treffe. Dem vermag der Senat auf der Grundlage der ihm zugänglichen Informationen nicht zu folgen.
32 
Der Vorlage zu der Sitzung des Gemeinderats vom 17.10.2006 lag eine von dem Büro ... ... gefertigte Gebührenkalkulation für das "Wirtschaftsjahr 2007" bei. Die Gebührenkalkulation geht von einer im Jahr 2007 zu erwartenden Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ aus. Die "ansatzfähigen Kosten der Abwasserbeseitigung" werden für das gleiche Jahr - ohne die auf die Straßenflächen entfallenden Kosten - mit 17.374.902,03 EUR veranschlagt, von denen 11.794.509,49 EUR der Schmutzwasserbeseitigung und 5.580.392,54 EUR der Niederschlagswasserbeseitigung zugeordnet werden. Die Beklagte ist der Meinung, dass diese Zahlen wegen der hinreichend gleichen abwassertechnischen Verhältnisse nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könnten. Das ist nicht zu beanstanden. Die Prognose einer Abwassermenge von 6,1 Mio. m³ auch für das Jahr 2006 steht in Übereinstimmung mit der für das gleiche Jahr vorgenommenen Prognose in der früheren Kalkulation, die der Satzung vom 13.12.2005 zugrunde lag, und bewegt sich im Rahmen der im Wirtschaftsplan des ESP für das Jahr 2006 genannten tatsächlichen Verbrauchsmengen, die in den Jahren 2002 bis 2005 zu verzeichnen waren. Die Prognose ist danach nicht zu bemängeln. Die in der Gebührenkalkulation ferner vorgenommene Kostenschätzung beruht auf einem "Kostenstellenbericht" vom 27.7.2006, der auf der Grundlage der bis dahin bekannten Zahlen eine Zusammenstellung der in der Zeit vom 1.1. bis 31.12.2007 zu erwartenden Kosten enthält. Gegen die Annahme der Beklagten, dass auch diese Schätzung nicht nur für 2007, sondern auch für 2006 Gültigkeit beanspruchen könne, bestehen im Hinblick auf diese Grundlage der Schätzung ebenfalls keine Bedenken. Ihre Richtigkeit wird zudem dadurch bestätigt, dass nach der Darstellung der Beklagten die in den Jahren 2006 und 2007 tatsächlich entstandenen Kosten einander nahezu entsprochen haben. Dieser Darstellung ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
33 
b) Die dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegende Gebührenkalkulation ist jedoch deshalb als mangelhaft zu erachten, weil sie keinen Aufschluss über die Höhe der einzelnen Kostenarten gibt, aus denen sich die in die Kalkulation eingestellten Gesamtkosten zusammensetzen.
34 
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 KAG dürfen die Gebühren höchstens so bemessen werden, dass die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen insgesamt ansatzfähigen Kosten (Gesamtkosten) der Einrichtung gedeckt werden. Die Betriebswirtschaftslehre kennt als Unterfall der Kostenrechnung die Kostenartenrechnung, die der systematischen Erfassung aller bei der Leistungserstellung entstehenden Kosten dient. Nach der Art der verbrauchten Produktionsfaktoren wird dabei zwischen Personalkosten, Materialkosten, Abschreibungen, Zinsen, Kosten für Dienstleistungen Dritter sowie Kosten für Steuern, Gebühren und Beiträge unterschieden (Wöhe, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 19. Aufl., S. 1254 ff). Eine derartige Aufschlüsselung hat auch in der Gebührenkalkulation zu erfolgen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 42).
35 
Die Gebührenkalkulation hat die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen für die rechtssatzmäßige Festsetzung des Gebührensatzes zur Verfügung zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie für den kundigen, mit dem Sachverhalt vertrauten kommunalen Mandatsträger transparent, verständlich, nachvollziehbar und in sich schlüssig sein (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.2.2004 - 12 A 10826/03.OVG - Juris). Auf eine Aufschlüsselung der in die Kalkulation eingestellten Kosten nach den einzelnen Kostenarten kann danach nicht verzichtet werden. Das hat jedenfalls für die gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 KAG zu den Kosten nach Absatz 1 Satz 1 gehörenden kalkulatorischen Kosten in Form einer angemessenen Verzinsung des Anlagekapitals sowie angemessener Abschreibungen zu gelten, über deren Höhe der Gemeinderat in den mit dem Begriff der Angemessenheit gezogenen rechtlichen Grenzen nach seinem Ermessen zu entscheiden hat.
36 
Dieser Forderung wird mit der dem am 17.10.2006 gefassten Satzungsbeschluss zugrunde liegenden Gebührenkalkulation nicht genügt. Die in der Kalkulation genannten ansatzfähigen Gesamtkosten ergeben sich aus einer Addition der zuvor unter der Überschrift "eigentlicher Betriebsaufwand" aufgeführten Beträge, die einzelnen "Kostenstellen" der von der Beklagten betriebenen öffentlichen Einrichtung zugeordnet werden. Nach den von den Vertretern der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erläuterungen setzen sich diese Beträge aus den verschiedenen Kosten in Form von Personalkosten, Materialkosten, Kapitalkosten etc. zusammen, von denen den einzelnen Kostenstellen jeweils ein bestimmter Anteil zugewiesen wird. Wie diese Beträge sich im Einzelnen errechnen, geht jedoch aus der Kalkulation selbst nicht hervor. Über die Höhe der einzelnen Kostenarten, aus denen sich die angenommenen Gesamtkosten zusammensetzen, gibt die Kalkulation dementsprechend keinen Aufschluss.
37 
3. Ob die Satzung der Beklagten darüber hinaus an weiteren zu ihrer Nichtigkeit führenden Mängeln leidet, bedarf im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Im Hinblick auf die von der Beklagten genannte große Zahl weiterer Verfahren, in denen über die Rechtmäßigkeit der Satzung gestritten wird, sowie die Möglichkeit, die aufgezeigten Fehler durch den Erlass einer neuen Gebührensatzung zu beheben, sieht sich der Senat jedoch zu den folgenden Hinweisen veranlasst:
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat es als zweifelhaft bezeichnet, ob es sich bei den Zinsen, die der Eigenbetrieb aufgrund des ihm von der Beklagten gewährten Trägerdarlehens zu bezahlen hat, um betriebsbedingte Kosten handelt. Diese Bedenken dürften jedenfalls im Grundsatz unbegründet sein.
39 
Die Beklagte hat bei der im Jahre 2004 erfolgten Gründung des Eigenbetriebs Stadtentwässerung beschlossen, den Eigenbetrieb nicht mit Eigenkapital auszustatten, sondern ihm stattdessen ein - mit 6 % zu verzinsendes - Trägerdarlehen zu gewähren. Dieses Vorgehen dürfte nur bilanztechnische Gründe haben, aber keine Auswirkungen auf die Höhe der ansatzfähigen Gesamtkosten haben. Nach der bereits erwähnten Regelung in § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 KAG gehört zu den ansatzfähigen Gesamtkosten die "angemessene Verzinsung des Anlagekapitals", d. h. eine angemessene Verzinsung der um Beiträge, Zuweisungen und Zuschüsse Dritter gekürzten Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Abschreibungen (vgl. § 14 Abs. 3 S. 2 KAG). Zinsbasis ist damit das in der Anlage noch gebundene Kapital, ohne dass es darauf ankommt, ob die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit Eigen- oder Fremdmitteln finanziert worden sind. Die Gewährung eines Eigenkapital ersetzenden Trägerdarlehens hat daher nicht, wie die Klägerin argwöhnt, das Produzieren "künstlicher" Kosten zur Folge.
40 
b) In der Gebührenkalkulation werden auf der Grundlage einer zu erwartenden Abwassermenge von jeweils 6,1 Mio. m³ und zu erwartenden Kosten von jeweils 17.374.902 EUR sowohl für das Jahr 2006 als auch für das Jahr 2007 kostendeckende Gebührensätze von 1,93 EUR/m 3 (Schmutzwassergebühr) und 0,99 EUR/m 2 (Niederschlagswassergebühr) errechnet (S.10). Im Hinblick auf das vorgegebene Ziel, dass die Einführung der gesplitteten Abwassergebühr nicht zu einer Ausweitung des sich aus dem zuvor beschlossenen Gebührensatz ergebenden Gebühreneinnahmenvolumens führen solle, hat der Gemeinderat der Beklagten jedoch um 0,07 EUR/m 3 bzw. 0,07 EUR/m 2 niedrigere Gebührensätze beschlossen und damit - sowohl für 2006 als auch für 2007 - eine Unterdeckung von jeweils 782.900 EUR in Kauf genommen.
41 
Diese Entscheidung ist für sich genommen nicht zu beanstanden, da sich - wie bereits angesprochen - weder aus § 14 Abs. 1 S. 1 KAG noch aus § 78 Abs. 2 GemO eine Verpflichtung der Gemeinde ergibt, bei ihren öffentlichen Einrichtungen eine vollständige Deckung der Kosten anzustreben. Nach Ziff. 2 des Beschlussvorschlags in der Sitzungsvorlage hatte der Gemeinderat der Beklagten jedoch die Vorstellung, dass die einkalkulierte Unterdeckung "mit künftigen Überdeckungen zu verrechnen oder in (künftige) Gebührenkalkulationen einzustellen sein" werde, d.h. in den folgenden Jahren ausgeglichen werden könne und auch tatsächlich ausgeglichen werden solle. Diese Vorstellung ist irrig, da Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat, in den Folgejahren nicht ausgeglichen werden können.
42 
Nach dem Grundsatz der Periodengerechtigkeit dürfen die Gebührenpflichtigen nur mit Kosten belastet werden, die den Nutzungen der jeweiligen Rechnungsperiode entsprechen (Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 92 ff). § 14 Abs. 2 S. 2 KAG enthält eine Durchbrechung dieses Grundsatzes. In Fällen, in denen am Ende eines Kalkulationszeitraums das Gebührenaufkommen hinter den ansatzfähigen Gesamtkosten zurückbleibt, ist es den Gemeinden danach gestattet, die auf diese Weise entstandene Kostenunterdeckung innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen. Diesem Recht steht die sich ebenfalls aus § 14 Abs. 2 S. 2 Halbsatz KAG ergebende Verpflichtung gegenüber, Kostenüberdeckungen innerhalb des gleichen Zeitraums auszugleichen. Die Regelung berücksichtigt, dass die tatsächlichen Kosten, Erlöse und Mengen von den prognostisch ermittelten und der Kalkulation zugrunde gelegten Werten abweichen können und in aller Regel auch tatsächlich abweichen. § 14 Abs. 2 S. 2 KAG soll deshalb gewährleisten, dass das zunächst auf den jeweiligen Kalkulations- oder Bemessungszeitraum begrenzte Kostendeckungsprinzip auf mittlere Frist gesehen tatsächlich realisiert wird bzw. - soweit es um den Ausgleich von Kostenunterdeckungen geht - realisiert werden kann (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.2.2008 - 2 S 2559/05 - VBlBW 2008, 350). Ausgeglichen werden können danach aber nur Kostenunterdeckungen, die sich erst am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, nicht aber Kostenunterdeckungen, die der Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.10.1998 - 2 S 399/97 - VBlBW 1999, 219; Quaas, NVwZ 2007, 757; Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2009, § 6 Rn. 104)
43 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
44 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
45 
Beschluss
46 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 849,86 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
47 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 14. Dezember 2005 - 2 K 2338/04 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser auf sich behält.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streitigen über die baurechtliche Zulässigkeit einer Grenzmauer auf dem Grundstück der Kläger.
Die Kläger sind Eigentümer des Wohngrundstücks Flst.-Nr. .../12 (...) in ... Der Beigeladene ist Eigentümer des im Osten angrenzenden Grundstücks Flst.-Nr. .../9 (... ...). Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Schwarzgrund“, der in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1973 stammt und für beide Grundstücke ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Mit Satzungsbeschluss vom 13.05.1996, öffentlich bekannt gemacht am 27.09.1996, änderte der Gemeinderat der Beklagten die dem Bebauungsplan beigefügten Bebauungsvorschriften und beschloss - gestützt auf § 74 Abs. 7 LBO i.d.F. vom 18.08.1995 - folgende örtliche Bauvorschrift:
㤠9 Einfriedigungen und Bepflanzung
1. Gestattet sind offene Einfriedigungen mit Sockel bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton mit Heckenhinterpflanzungen.
2. Die Verwendung von Stacheldraht als Einfriedigung ist nicht gestattet.“
Die Kläger planten bereits seit längerem, ihr Grundstück mit einer geschlossenen Einfriedigung in Form einer Gartenmauer zu umbauen. Zu diesem Zweck entfernten sie Anfang 2002 die vorhandene Grenzbepflanzung und zeigten der Beklagten mit Schreiben vom 14.05.2002 an, dass sie entlang der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen die Errichtung einer 1,60 m hohen Mauer mit einem 20 bis 30 cm hohen Glasaufsatz an der Innenseite beabsichtigen. Mit Schreiben vom 24.06.2002 wies die Beklagte die Kläger darauf hin, dass dies § 9 der örtlichen Bauvorschriften widerspreche und eine Befreiung im Interesse der Angrenzer nicht zugelassen werden könne.
Nachdem am 05.09.2002 anlässlich einer Besichtigung festgestellt wurde, dass die Mauer entlang der Straße bereits vollständig und zum Grundstück des Beigeladenen in ihren Fundamenten erstellt worden ist, ordnete die Beklagte mit Verfügung vom 09.09.2002 die sofortige Einstellung der Bauarbeiten an. Mit Schreiben vom 12.09.2002 wandten sich die Kläger an den Bürgermeister der Beklagten mit der Bitte, sich der Angelegenheit anzunehmen. Zugleich reichten sie einen Grundriss/Ansichtsplan ein, wonach die Einfriedigung zur Grenze des Beigeladenen aus einzelnen, teilweise durch Holzkonstruktionen verbundenen und mit einem Holzaufbau versehenen Mauerstücken bestehen soll. Dieses Schreiben wertete die Beklagte als Widerspruch und entschied im Februar 2003, den zur Straße bereits errichteten Teil der Mauer zu dulden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2004 wies das Regierungspräsidium Freiburg die Widersprüche der Kläger gegen die Ablehnung einer Befreiung und die Baueinstellung zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, nachdem die Beklagte die Einfriedigung an der Straße dulde, beschränkten sich die angegriffenen Verfügungen auf die Einfriedigung zum Nachbargrundstück. Insoweit lägen die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vor und sei die Baueinstellung nach § 64 LBO zu Recht erfolgt. Soweit geltend gemacht werde, dass die örtlichen Bauvorschriften nicht wirksam seien, bestehe keine Verwerfungskompetenz des Regierungspräsidiums.
Am 28.10.2004 haben die Kläger gegen die Einstellungsverfügung Klage erhoben und hilfsweise die Erteilung einer Befreiung von den örtlichen Bauvorschriften begehrt. Mit Urteil vom 14.12.2005 - 2 K 2338/04 - hat das Verwaltungsgericht Freiburg die Verfügung vom 09.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.09.2004 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt, die Baueinstellung sei rechtswidrig. Die im Streit stehende Grenzmauer widerspreche zwar § 9 der Bebauungsvorschriften zum Bebauungsplan Schwarzgrund. Diese Vorschrift sei jedoch unwirksam, da sie für sämtliche Einfriedigungen gelte, § 74 LBO aber nur zum Erlass von Gestaltungsregelungen für vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Maßnahmen ermächtige. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Nicht sichtbare Einfriedigungen tangierten nicht das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild. Einschränkungen auf das vom öffentlichen Verkehrsraum Sichtbare fänden sich in der LBO auch an anderer Stelle. Sie seien Folge des Grundrechtsschutzes der privaten Eigentümer. Eine Befugnis, gestalterische Anforderungen ohne Bezug zum Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild aufzustellen, würde mangels sachlicher Rechtfertigung das Übermaßverbot verletzen. § 74 LBO sei Ausfluss des Selbstverwaltungsrechts. Die Gestaltung einzelner baulicher Anlagen ohne Bezug zum Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild sei keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Regelung in § 9 der Bebauungsvorschriften und ihrer Entstehungsgeschichte komme eine einschränkende Auslegung nicht in Betracht. Aus den verfassungsrechtlichen Bezügen folge im Übrigen, dass örtlichen Bauvorschriften eine angemessene Abwägung zwischen dem öffentlichen Anliegen der Gestaltung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbilds und den privaten Eigentümerbefugnissen zugrunde liegen müsse, wobei die gestalterischen Absichten möglichst konkret, im Allgemeinen durch die Satzung selbst, festgelegt werden müssten. Auch hieran fehle es. Den Verfahrensakten sei keine Begründung für die Änderung der Bebauungsvorschrift zu entnehmen. Die Auffassung der Beklagten, schon die frühere Fassung habe alle Einfriedigungen erfasst, sei mit deren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Gestaltungsabsichten der Beklagten ließen sich auch nicht ohne weiteres aus dem Inhalt der Bebauungsvorschrift selbst ablesen. Dieser seien konkrete gestalterische Vorstellungen in Bezug auf das Straßen- und Ortsbild - soweit nicht der Bereich zum öffentlichen Verkehrsraum betroffen sei - nicht zu entnehmen. Gegen eine Gestaltungsabsicht der Beklagten spreche zudem, dass sie die Mauer zur Straße hin dulde.
10 
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 03.02.2006 hat die Beklagte gegen das ihr am 04.01.2006 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
11 
Sie beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 14.12.2005 - 2 K 2338/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung trägt sie vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Standort der geplanten Mauer von der auf dem Grundstück Flst.-Nr. .../13 vorhandenen befahrbaren Erschließungsstraße, die im Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche ausgewiesen sei, einsehbar sei. Es komme daher nicht darauf an, ob § 74 LBO nur zum Erlass von Gestaltungsregelungen für vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Maßnahmen ermächtige. Dies sei im Übrigen zu verneinen. Die Vorschrift enthalte nach ihrem Wortlaut keinen Hinweis auf eine derartige Beschränkung. Auch aus der systematischen Auslegung ergebe sich keine Beschränkung. Soweit die LBO in einzelnen Vorschriften auf den öffentlichen Verkehrsraum als einschränkendes Tatbestandsmerkmal verweise, spreche dies gegen die Auffassung, die Einsehbarkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in sämtliche Vorschriften hineinzulesen. Andernfalls wäre es überflüssig und systemwidrig, dieses Merkmal in einzelnen Vorschriften ausdrücklich aufzuführen. Die Bestimmungen des § 11 LBO könnten nicht ohne Berücksichtigung des jeweiligen Regelungszwecks auf § 74 LBO übertragen werden. Während § 11 LBO ein (negatives) Verunstaltungs- und Beeinträchtigungsverbot enthalte, ermögliche § 74 LBO eine positive Bau- und Gestaltungspflege. Hierbei könnten strengere Maßstäbe angelegt werden als bei der Verunstaltungsabwehr. Der Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 74 LBO überzeuge ebenfalls nicht. Der Formulierung „im Rahmen dieses Gesetzes“ komme keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu. Außerdem umfasse diese Bezugnahme die gesamte LBO und nicht nur vereinzelte Vorschriften. Auch Sinn und Zweck des gemeindlichen Rechts zur positiven Bau- und Gestaltungspflege spreche gegen eine einschränkende Auslegung. In vielen Fällen bestehe ein Bedürfnis nach gestalterischen Regelungen ungeachtet der Frage, ob der Bereich vom öffentlichen Straßenraum aus erkennbar sei. Zudem sei der öffentliche Verkehrsraum kein hinreichend bestimmbares und praktisch anwendbares Abgrenzungskriterium. Wenn man auf die Erkennbarkeit durch die Öffentlichkeit abstelle, müssten auch sonstige Einsichtsmöglichkeiten einbezogen werden und wären die Bereiche, für die Gestaltungsregelungen getroffen werden dürften, praktisch nicht mehr abgrenzbar. Im Übrigen könne sich die Einsehbarkeit jederzeit ändern. Für das Verunstaltungsverbot sei anerkannt, dass es nicht nur bei Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum aus gelte. Auch der Schutz des Orts- und Landschaftsbilds durch bundesrechtliche Vorschriften sei nicht in diesem Sinne beschränkt. § 74 LBO enthalte keine Aussage darüber, von welchem Standort aus die Sichtbarkeit gegeben sein müsse. Die Einsehbarkeit sei im Rahmen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Die sachliche Rechtfertigung ergebe sich vorliegend daraus, dass die Mauer vom öffentlichen Verkehrsraum aus einsehbar sei. Auch bei einer Sichtbarkeit nur von den Nachbargrundstücken aus sei das Ziel, durch den Ausschluss geschlossener Einfriedigungen innerorts in gestalterischer Hinsicht keine Missstände zu schaffen, offensichtlich. Geschlossene Einfriedigungen führten zu einer Zerstückelung der städtebaulichen Struktur, abgeschlossenen Grundstücken, Beeinträchtigungen der Sicht von Nachbargrundstücken und dem öffentlichen Verkehrsraum aus sowie zu nachteiligen Auswirkungen auf Belichtung und Belüftung. Vor allem die Wohnsituation der Nachbargrundstücke werde erheblich beeinträchtigt. Demgegenüber würden die Eigentümerbelange nur geringfügig betroffen. Einfriedigungen seien weiterhin zulässig. Die Einschränkung beziehe sich nur auf deren Form und beeinträchtige die Nutzungsmöglichkeiten allenfalls geringfügig. Vor diesem Hintergrund sei von einer angemessenen Abwägung auszugehen. Die Gestaltungsabsichten der Beklagten ließen sich unmittelbar aus dem Inhalt der Bauvorschrift entnehmen. Eine erhöhte Begründungspflicht habe auch deshalb nicht bestanden, weil trotz Offenlegung von den Grundstückseigentümern keinerlei Anregungen oder Bedenken vorgebracht worden seien. Da die geplante Mauer gegen die Bebauungsvorschrift verstoße, sei die Baueinstellung rechtmäßig verfügt worden. Eine Befreiung scheide bereits auf Grund der betroffenen nachbarlichen Belange aus.
14 
Die Kläger beantragen,
15 
die Berufung zurückzuweisen
16 
Zur Begründung ist ausgeführt, sie hätten auf ihrem Grundstück einen Schwimmteich errichtet und seien aus Gründen der Verkehrssicherheit dringend auf die Einfriedigung angewiesen. Die entlang der Straße errichtete Mauer werde von der Beklagte geduldet, da sie „optisch schön gestaltet“ sei. Die geplante Mauer solle genauso konstruiert werden und sich optisch unmittelbar anschließen. Aufgrund der bereits vorhandenen Mauer sei sie vom öffentlichen Straßenraum aus nicht sichtbar. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass § 9 der Bebauungsvorschriften materiell rechtswidrig sei. § 74 Abs. 1 LBO ermächtige nur zum Erlass von Gestaltungsregelungen für bauliche Maßnahmen, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar seien. Aus der Formulierung „zur Durchführung baugestalterischer Absichten“ ergebe sich, dass die Gemeinde befugt sei, Regelungen zu schaffen, um in einem bestimmten Gebiet eine einheitliche Baugestaltung zu gewährleisten. Die Gemeinde dürfe sich davor schützen, dass das Gesamtbild der gemeindlichen Umgebung gestört werde. Weitergehende Gestaltungsbefugnisse ohne Bezug zum Straßen-, Orts- und Landschaftsbild sehe § 74 Abs. 1 LBO nicht vor. Die Norm enthalte daher einen eindeutigen Hinweis auf den Standort des Betrachters. Dies werde auch durch die Formulierung „im Rahmen dieses Gesetzes“ deutlich. Danach müssten örtliche Bauvorschriften bauordnungsrechtlichen Zielen dienen. Das Verunstaltungsverbot ermögliche der Gemeinde, auf bauliche Anlagen Einfluss zu nehmen, wenn eine Beeinträchtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds drohe. Regelungen, die nicht zur Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds bzw. zur Gefahrenabwehr beitrügen, seien unzulässig. Dies folge auch aus der Systematik der LBO. Dem Verunstaltungsverbot des § 11 LBO sei die Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum aus immanent. Die Vorschrift sei als Generalklausel zu verstehen, die für das gesamte Gemeindegebiet gelte. Die Satzungskompetenz des § 74 Abs. 1 LBO sei dagegen auf bestimmte Gebiete beschränkt. Es handle sich um zwei eigenständige Rechtsnormen mit unterschiedlichen Regelungsgehalten. Dies verbiete es, bei der Auslegung einer Norm den Umkehrschluss der anderen heranzuziehen. § 11 LBO enthalte ein negatives Verunstaltungsverbot, § 74 LBO ermögliche eine positive Bau- und Gestaltungspflege. Dennoch strebten beide Normen den gleichen Regelungszweck an, nämlich die einheitliche Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds. Insoweit könnten nur vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung führen. Dies zeige auch die Entstehungsgeschichte des § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO. Bis zur LBO-Änderung 1972 sei auf das Verunstaltungsverbot Bezug genommen worden. Hierdurch sei deutlich gemacht worden, dass sich die Satzungskompetenz auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Maßnahmen beschränke. Mit der Novellierung sei die Formulierung „im Rahmen dieses Gesetzes“ aufgenommen worden. Dies stelle klar, dass Ortsbausatzungen bauordnungsrechtlichen Zielen dienen müssten. Eine Regelungsbefugnis für Maßnahmen ohne Bezug zur Gebietsgestaltung sehe die LBO nicht vor. Auch Sinn und Zweck der Regelungsbefugnis führten zu keinem anderen Ergebnis. Das Kriterium der Erkennbarkeit vom öffentlichen Straßenraum aus sei von entscheidender Bedeutung, da die gestalterischen Absichten der Gemeinde lediglich das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild betreffen dürften. Vom öffentlichen Verkehrsraum nicht erkennbare Maßnahmen könnten das äußere Bild der Gemeinde nicht beeinträchtigen. § 74 Abs. 1 LBO ermächtige nicht zu Grundrechtseingriffen, die keinen Bezug zu den Gestaltungsabsichten der Gemeinde hätten. Eine unbeschränkte Regelungskompetenz würde die Baufreiheit der Grundstückseigentümer praktisch aushöhlen und widerspräche Sinn und Zweck der Planungshoheit. Ein gerechter Interessenausgleich sei nur möglich, wenn man der Gemeinde das Recht zubillige, ihr Straßen-, Orts- und Landschaftsbild selbst gestalten zu dürfen, den Grundstückseigentümern aber eine im Wesentlichen unbeschränkte Gestaltungsbefugnis für die nicht einsehbaren Bereiche verbleibe. § 74 Abs. 1 LBO müsse somit auch aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend ausgelegt werden. § 9 der örtlichen Bauvorschriften widerspreche im Übrigen den Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts. Beim Erlass örtlicher Bebauungsvorschriften müsse die Gemeinde alle Belange gegeneinander abwägen und einen gerechten Ausgleich schaffen. Dabei sei sie gehalten, ihre gestalterischen Absichten möglichst konkret in der Satzung festzulegen. Aus den Bebauungsvorschriften müsse hervorgehen, welche gestalterischen Ziele sie verfolge und welche Anforderungen für die Verwirklichung dieser Ziele an den Bauherrn gestellt würden. Die Eigentümerbefugnisse dürften nur eingeschränkt werden, wenn dem eine angemessene Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer einheitlichen Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds und den privaten Interessen der betroffenen Bauherrn vorangegangen sei. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen. Den Verfahrensakten sei keine Begründung für die Änderung der Bebauungsvorschriften über Einfriedigungen zu entnehmen, obgleich hierdurch die Eigentümerbefugnisse erheblich eingeschränkt worden seien. Auch aus dem Inhalt der Bebauungsvorschrift ergebe sich keine konkrete Festlegung der gestalterischen Ziele. Da die Vorschrift auch nicht einsehbare Grundstücksbereiche betreffe, hätten die gestalterischen Vorstellungen eindeutig festgelegt werden müssen. Insoweit spreche vieles für einen Abwägungsausfall. Nachdem die Beklagte selbst davon ausgehe, dass die bereits errichtete Einfriedigung „optisch gut gestaltet“ sei, widerspreche diese ersichtlich nicht den gestalterischen Absichten. Dies lasse nur den Schluss zu, dass die Beklagte bislang entweder keine bestimmten gestalterischen Ziele ins Auge gefasst habe oder die Gestaltung der Einfriedigung ihren Absichten entspreche. Es sei daher nicht verständlich, weshalb die Mauer entlang der Grundstücksgrenze zum Beigeladenen unzulässig sein sollte. In vielen Neubaugebieten seien gleich hohe Mauern vorhanden. An verschiedenen Orten gebe es sogar bis zu 3 m hohe Hecken an der Straße.
17 
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten, des Regierungspräsidiums Freiburg sowie des Verwaltungsgerichts Freiburg - 2 K 2338/04 - vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird hierauf sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere genügt der innerhalb der Monatsfrist des § 124 Abs. 6 S. 1 VwGO eingegangene Schriftsatz der Beklagten den Formerfordernissen des § 124 a Abs. 6 S. 3 i.V.m. Abs. 3 S. 4 VwGO.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Kläger zu Unrecht stattgegeben hat. Nachdem die Kläger den von ihnen erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag nicht aufrechterhalten haben, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Einstellungsverfügung der Beklagten vom 09.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.09.2004. Diese ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21 
Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder abgebrochen, kann die Baurechtsbehörde nach § 64 Abs. 1 Satz 1 LBO die Einstellung der Bauarbeiten anordnen. Hierdurch kann die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden, die später nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass bei allen Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften die Baurechtsbehörde ermächtigt ist, den Fortgang der Bauarbeiten anzuhalten, damit zunächst geprüft werden kann, ob zu einem späteren Zeitpunkt (etwa nach Erteilung einer Baugenehmigung oder der Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung) ein Weiterbau möglich ist.
22 
Dabei kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, da es sich bei der Baueinstellung um einen belastenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Dieser enthält das fortlaufende (vollstreckungsfähige und bußgeldbewehrte) Verbot, die Bauarbeiten an der Mauer fortzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anlage gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Ob und wie lange dies der Fall ist, muss die Baurechtsbehörde von sich aus prüfen. Entsprechend muss sie eine Baueinstellungsverfügung verfahrensmäßig unter Kontrolle halten. Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage. Hinsichtlich der „Prüfungsdichte“ sind hierbei allerdings verschiedene Zeiträume zu unterscheiden. Wegen des präventiv-polizeilichen Zwecks (Gefahrenabwehr, Verhinderung vollendeter Tatsachen) reicht für den Erlass der Baueinstellung schon ein durch Tatsachen belegter „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes aus. Hierfür genügt, dass objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Zustand geschaffen wird. Im nachfolgenden Zeitraum muss die Behörde jedoch prüfen, ob der Anfangsverdacht berechtigt war, d.h. ob die in Rede stehende Anlage tatsächlich gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Diese Prüfung hat von Amts wegen und nicht etwa nur auf Antrag des betroffenen „Bauherrn“ zu erfolgen. Dabei ist der maßgebliche Sachverhalt im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes mit den erforderlichen Beweismitteln und unter Mitwirkung des Bauherrn aufzuklären. Hierbei muss sich die Behörde an der jeweils aktuellen Sach- und Rechtslage orientieren und darf sich nicht mit dem Hinweis auf frühere Verhältnisse begnügen. Vom Ausgang dieser Prüfung hängt es ab, ob die Baueinstellung aufrechterhalten werden darf oder aufzuheben ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1993 - 3 S 507/93 -, VBlBW 1994, 196 zu § 63 LBO a.F.).
23 
In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass die nach § 50 Abs. 1 LBO i.V.m. Nr. 45 des Anhangs zu § 50 Abs. 1 LBO verfahrensfreie Errichtung der von den Klägern beabsichtigten Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan „Schwarzgrund“ verstößt.
24 
Danach sind nur offene Einfriedigungen mit Sockel bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton mit Heckenhinterpflanzungen zulässig. Der Begriff der Einfriedigung ist funktional zu bestimmen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind Einfriedigungen bauliche oder sonstige Anlagen, die nach ihrem wesentlichen Zweck der Sicherung des Grundstücks gegen unbefugtes Betreten oder Verlassen, gegen Witterungseinflüsse oder Immissionseinflüsse sowie gegen Einsicht dienen, um eine ungestörte Nutzung des Grundstücks zu gewährleisten, und die das Grundstück von der öffentlichen Verkehrsfläche oder von Nachbargrundstücken abgrenzen (vgl. Senatsurteil vom 18.12.1995 - 3 S 1298/94 -, BWGZ 1996, 410). Dabei unterscheidet man zwischen offenen und geschlossenen Einfriedigungen. Offene Einfriedigungen sind - wie beispielsweise Weidezäune oder Maschendrahtzäune - durchsichtig, wirken also nicht als geschlossene Wand. Geschlossene Einfriedigungen sind solche ohne Zwischenraum, sie bestehen also - wie Mauern und durchgehende Bretterwände - aus zusammenhängenden Wänden (vgl. Sauter, LBO, 3. Auflage, Stand September 2005, § 50 RdNr. 135ff). Vorliegend beabsichtigen die Kläger nach den von ihnen zuletzt vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung erläuterten Plänen die Errichtung einer geschlossenen Einfriedigung. Dies widerspricht ersichtlich den Vorgaben des § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften.
25 
Von der Wirksamkeit dieser Bauvorschrift ist auszugehen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, leidet sie nicht an einem beachtlichen Form- oder Verfahrensfehler. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, nachdem die Kläger ihre diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsverfahren nicht aufrechterhalten haben. Die in § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften getroffene Regelung ist aber auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich insbesondere im Rahmen der Ermächtigung des § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO und genügt dem Abwägungsgebot.
26 
Nach § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO können Gemeinden u.a. zur Durchführung baugestalterischer Absichten im Rahmen der Landesbauordnung in bestimmten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über Notwendigkeit, Zulässigkeit, Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedigungen. Diese Ermächtigung bezieht sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur auf Einfriedigungen, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind (im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2002 - 8 S 1046/02 -, BRS 65 Nr. 145 zu § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO). Soweit der Senat - zu § 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972 - in seinem Beschluss vom 29.11.1979 - III 2380/77 - eine andere Auffassung vertreten hat, wird diese nicht aufrechterhalten.
27 
§ 74 Abs. 1 LBO enthält vom Wortlaut her keine Einschränkung auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen. Durch die Formulierung „zur Durchführung baugestalterischer Absichten“ wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschrift nicht nur - wie die frühere Regelung in § 111 Abs. 1 LBO 1964 - zur Abwehr von Verunstaltungen, sondern auch zur positiven Gestaltungspflege ermächtigt. Durch die Bezugnahme „im Rahmen dieses Gesetzes“ wird weiter klargestellt, dass sich Gestaltungsvorschriften im Rahmen der von der Landesbauordnung verfolgten Ziele halten müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Landesgesetzgeber die Regelung des Bauordnungsrechtes vorbehalten ist. Hierzu zählt nicht mehr nur die bloße Abwehr von Gefahren, die der Allgemeinheit oder Einzelnen von baulichen Anlagen drohen. Das Bauordnungsrecht darf, soweit dies im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig ist, auch zur Wahrung ästhetischer Belange nutzbar gemacht werden. Dies schließt neben der Abwehr von Verunstaltungen eine positive Gestaltungspflege ein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - 5 S 858/82 - , VBlBW 1983, 180 zu § 111 Abs. 1 LBO 1972). Den Gemeinden ist es auf landesrechtlicher Grundlage unbenommen, über die äußere Gestaltung einzelner baulicher Anlagen auf das örtliche Erscheinungsbild Einfluss zu nehmen. Hierzu gehören Vorschriften, die dazu bestimmt sind, das Orts- oder Straßenbild, je nach ihren gestalterischen Vorstellungen zu erhalten oder umzugestalten. Gegenstand örtlicher Bauvorschriften können dagegen nicht Regelungen sein, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder entzogen sind, so im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, soweit der Bund von seiner Kompetenz verfassungsgemäßen Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 72 GG). Hierzu gehört das Bodenrecht i.S.d. Art 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, das der Bundesgesetzgeber insbesondere im Baugesetzbuch kodifiziert hat. Dieses Gesetz regelt die rechtlichen Beziehungen zum Grund und Boden und trifft Bestimmungen darüber, in welcher Weise der Eigentümer sein Grundstück nutzen darf. Nicht zuletzt über die Vorschriften, die das Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche betreffen, leistet auch das Städtebaurecht einen Beitrag zur Gestaltung des Ortsbildes (vgl. §§ 1 Abs. 5 Satz 2, 34 Abs. 1 Satz 2 und 35 Abs. 3 BauGB). Das städtebauliche Instrumentarium reicht unter diesem Blickwinkel indes nur soweit, wie das Baugesetzbuch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Zur bodenrechtlichen Ortsbildgestaltung steht der Gemeinde der in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend umschriebene Festsetzungskatalog zur Verfügung. Gestaltungsvorschriften, die hierüber hinaus gehen, ohne den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung zu haben, stehen dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht offen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.07.1997 - 4 NB 15.97 -, BauR 1997, 999). Hiervon hat der baden-württembergische Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht. Dabei kann auch der Systematik der Landesbauordnung nicht entnommen werden, dass gestalterische Vorgaben sich nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Anlagen beziehen dürfen. Der Umstand, dass die Landesbauordnung eine derartige Einschränkung bei der Definition der Werbeanlagen (vgl. § 2 Abs. 9 Satz 1 LBO) und bei der Verunstaltung durch Automaten (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 2 LBO) vorsieht, spricht im Umkehrschluss dafür, dass der Anwendungsbereich der Landesbauordnung im Übrigen nicht per se auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen beschränkt ist. Andernfalls wäre die ausdrückliche Einschränkung bei Werbeanlagen und Automaten überflüssig. Eine derartige Einschränkung der Ermächtigung erscheint nach Sinn und Zweck auch nicht sachgerecht. Eine bauliche Anlage kann Auswirkungen auf das Orts-, Straßen- oder Landschaftsbild einer Gemeinde auch dann haben, wenn sie zwar nicht vom öffentlichen Verkehrsraum, aber von anderen Standorten aus einsehbar ist und sich aus diesen Blickwinkeln auf das örtliche Erscheinungsbild auswirkt. Das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild stellt zwar das Schutzobjekt bauordnungsrechtlicher Regelungen dar, sagt aber nichts darüber aus, von welchem Standpunkt aus die Beurteilung zu erfolgen hat. Ein umfassender Schutz des örtlichen Erscheinungsbildes wird aber nur dann erreicht, wenn man in die Beurteilung alle baulichen Anlagen mit einbezieht, die für einen Betrachter - unabhängig von einem bestimmten Standort und Blickwinkel - das Umgebungsbild (mit-) prägen. Damit können sich grundsätzlich auch vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbare bauliche Anlagen auf das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild auswirken. Im Übrigen ist das Kriterium der Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum wenig praktikabel für den mit der Ermächtigung verfolgten Zweck, da es häufig von - jederzeit änderbaren und sich ständig ändernden - Zufälligkeiten abhängt, ob eine bauliche Anlage vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar ist oder nicht. Würden nicht sichtbare bauliche Anlagen von der Ermächtigung von vornherein ausgenommen, könnte die Gemeinde ihre gestalterischen Absichten wegen entgegenstehenden Bestandsschutzes nicht durchsetzen, wenn eine bauliche Anlage irgendwann einmal vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbar war. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sind. Dies hat nicht zur Folge, dass der Geltungsbereich der Landesbauordnung hinsichtlich gestalterischer Anforderungen an bauliche Anlagen von vornherein auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Maßnahmen zu beschränken ist, sondern führt nur dazu, dass regelmäßig zu prüfen ist, ob die Einschränkung der Baufreiheit im konkreten Fall den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügt.
28 
Erstreckt sich die Ermächtigung in § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO mithin nicht nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen, so ist § 9 Nr. 1 der einschlägigen Bebauungsvorschriften von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Dass die Gemeinde mit der Beschränkung andere als gestalterische Absichten verfolgt hat, ist nicht ersichtlich.
29 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verstößt § 9 Nr. 1 der Bebauungsvorschriften auch nicht gegen das Abwägungsgebot. Ebenso wie bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hat die Gemeinde beim Erlass örtlicher Bauvorschriften die von der beabsichtigten Regelung berührten öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen. Zwar findet das für Bebauungspläne geltende Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB a.F./§ 1 Abs. 7 BauGB n.F. auf örtliche Bauvorschriften auch dann keine (unmittelbare) Anwendung, wenn diese - wie vorliegend - zusammen mit einem Bebauungsplan beschlossen oder geändert werden, da § 74 Abs. 7 LBO nur für das Verfahren zum Erlass dieser Vorschriften auf das Baugesetzbuch verweist, es sich beim planungsrechtlichen Abwägungsgebot aber nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine materiell-rechtliche Regelung handelt. Die Verpflichtung der Gemeinde zu einer Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123).
30 
Wie bereits oben dargelegt sind Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gezielte Gestaltung einzelner baulicher Anlagen und des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes ein bedeutsames öffentliches Anliegen ist, das prinzipiell zu einer Einschränkung privater Eigentümerbefugnisse führen kann. Je gewichtiger die konkrete Gestaltungsaufgabe und je schutzwürdiger das vorhandene bzw. beabsichtigte Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild ist, umso eingehender dürfen gestalterische Festsetzungen und Anforderungen sein, ohne das Übermaßverbot zu verletzen. Daraus folgt umgekehrt, dass das Ziel einer einheitlichen Gestaltung allein um der Einheitlichkeit oder gar Uniformität willen nicht ausreicht. Vielmehr muss im Regelfall entsprechend den örtlichen Bauvorschriften eine gewisse historische, künstlerische oder sonst die Eigenart des Ortsbildes ausmachende Homogenität gegeben sein oder angestrebt werden, die allein es rechtfertigt, den Freiheitsraum des Bauherrn einzuengen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
31 
Im Rahmen der dabei erforderlichen Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ist der Gemeinde bei der Bestimmung der gestalterischen Absichten und Wertmaßstäbe ein Ermessensspielraum einzuräumen, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.09.2002 - a.a.O. -). Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, nämlich um dem Erfordernis der Bestimmtheit belastender Regelungen und damit deren Erkennbarkeit für den betroffenen Bürger zu genügen, ferner um sicherzustellen, dass die gestalterischen Vorstellungen auch wirklich dem zuständigen Gemeindeorgan zugerechnet werden können, ist eine möglichst konkrete Festlegung der gestalterischen Absichten zu fordern. Dies wird, jedenfalls bei generellen Regelungen im allgemeinen durch die Satzung selbst geschehen müssen. Eine satzungsmäßige Festschreibung ist allerdings entbehrlich, wenn die beabsichtigte Gestaltung des Straßen- oder Ortsbildes aus dem vorhandenen Baubestand ohne weiteres für den gebildeten Durchschnittsbetrachter ablesbar ist oder wenn sich das gestalterische Ziel unmittelbar aus dem Inhalt der gestalterischen Anforderungen ergibt (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
32 
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen vorliegend nicht ohne Weiteres, dass bei der Änderung der Bebauungsvorschriften im Jahre 1996 hinsichtlich der Vorgaben für Einfriedigungen eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Gemeinde einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits stattgefunden hat. Den Gemeinderäten lag ausweislich der vorgelegten Tischvorlage vom 04.05.1994 eine synoptische Gegenüberstellung der Bebauungsvorschriften in ihrem damaligen Wortlaut und in der beabsichtigten Änderungsfassung vor. Des Weiteren wurden sie in der Gemeinderatssitzung vom 31.08.1994 ausweislich der Sitzungsniederschrift darüber informiert, dass die unter Ziff. 2.7 der bisherigen Bebauungsvorschriften geforderte einheitliche Gestaltung der Einfriedigungen entlang der öffentlichen Flächen nicht haltbar sei und diese Vorschrift deshalb ersatzlos gestrichen werde. Welche Erwägungen indessen der anstelle der bisherigen Regelung gewählten neuen Regelung letztlich zugrunde lagen, wurde nicht schriftlich festgehalten. Dieser Umstand lässt jedoch für sich allein nicht darauf schließen, dass sich der Gemeinderat bei der Beschlussfassung über die Änderung der Bebauungsvorschriften nicht mit den jeweiligen Belangen abwägend befasst hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - a.a.O. -). Dies gilt umso mehr, als es sich bei § 9 der örtlichen Bauvorschriften um eine Regelung von eher untergeordneter Bedeutung handelt. Durch sie werden im Plangebiet Einfriedigungen weder gänzlich ausgeschlossen noch in ihrer funktionalen Zweckbestimmung beschränkt, sondern nur gewissen Anforderungen an ihre äußere Gestaltung unterworfen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit Sockeln bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton und Heckenhinterpflanzungen sowie der generelle Ausschluss von Stacheldraht die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nicht nennenswert einschränkt. Auch werden hierdurch die Gestaltungswünsche der Grundstückseigentümer nicht übermäßig beschnitten und verursacht die Einhaltung der Gestaltungsvorschriften keine unverhältnismäßigen Kosten. Dementsprechend sind während des Auslegungsverfahrens auch weder von den Klägern noch von anderen betroffenen Grundstückseigentümern Einwendungen gegen die beabsichtigte Regelung erhoben worden. Die insoweit berührten Interessen liegen im Übrigen auch ohne ausdrückliche Niederlegung in den Planunterlagen offen zu Tage. Einfriedigungen können - wie die Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend ausgeführt hat - zu einer Zerstückelung der städtebaulichen Struktur, abgeschlossenen Grundstücken, Beeinträchtigungen der Sicht von Nachbargrundstücken und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sowie zu nachteiligen Auswirkungen auf Belichtung und Besonnung führen. Diese Auswirkungen werden durch die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit einem Sockel von max. 30 cm und Heckenhinterpflanzungen zumindest abgeschwächt, ohne dass hiermit eine Funktionseinbuße verbunden ist. Eine derartige Beschränkung stellt daher jedenfalls in einem einheitlich geplanten, durch aufgelockerte Bebauung mit entsprechenden Garten- und Vorgartenflächen geprägten Wohngebiet eine zulässige und sachlich vertretbare Zielvorstellung für das Straßen- und Ortsbild dar, die die Grenze des ortsgesetzgeberischen Ermessens nicht überschreitet (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Bei dem Baugebiet „Schwarzgrund“ handelt es sich um ein einheitlich geplantes allgemeines Wohngebiet. Dieses ist durch die Festsetzung einer ein- bis zweigeschossigen Bebauung in offener Bauweise mit einer GRZ von 0,4 und entsprechenden (Vor-) Gartenflächen gekennzeichnet. Damit handelt es sich nach der planerischen Konzeption der Beklagten um ein gehobenes Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung. Bei dieser Sachlage sind die gestalterischen Absichten der Gemeinde bei einer Gesamtschau der satzungsmäßigen Regelungen auch ohne ausdrückliche Festschreibung hinreichend erkennbar.
33 
Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch das Ergebnis der Abwägung nicht zu beanstanden. In einem gehobenen Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung dürfen grundsätzlich auch die Grundstücksrandzonen einheitlichen gestalterischen Anforderungen unterworfen werden (vgl. VGH Bad.-Württ., NK-Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Dies gilt nicht nur für die vom öffentlichen Verkehrsraum aus einsehbaren Randbereiche, da auch nicht einsehbare Einfriedigungen, - wie oben dargelegt - sich auf das Ortsbild auszuwirken können und deshalb ihre Einbeziehung grundsätzlich von einem sachgerechten öffentlichen Interesse an der Gestaltung des örtlichen Erscheinungsbildes getragen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Regelung den Grundstückseigentümern genügend Spielraum belässt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer von ihnen gewünschten Einfriedigung. Stellt man den von der Beklagten verfolgten gestalterischen Absichten das Maß der damit verbundenen Einschränkung in der Grundstücksnutzung gegenüber, hält sich die gewählte Regelung daher in den Grenzen einer angemessenen Abwägung zwischen den Belangen der Allgemeinheit einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits.
34 
Der Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift steht entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht entgegen, dass auf dem Gemeindegebiet an anderen Stellen geschlossene Einfriedigungen vorhanden sind. Denn die streitgegenständliche Bauvorschrift gilt nur für das Baugebiet „Schwarzgrund“. Dass innerhalb dieses Baugebietes - außer der von der Beklagten geduldeten Einfriedigung auf dem Grundstück des Klägers - weitere Einfriedigungen gegen § 9 Nr. 1 der örtlichen Bauvorschriften verstoßen, haben die Kläger nicht dargelegt. Ob und inwieweit inhaltsgleiche örtliche Bauvorschriften möglicherweise in anderen Baugebieten nicht eingehalten werden, ist für die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Bauvorschrift nicht erheblich.
35 
Damit verstößt die von den Klägern geplante Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und lag der Erlass der Baueinstellungsverfügung im Ermessen der Baurechtsbehörde. Diese hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 LVwVfG). Entsprechend kann das Gericht nur prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ermessensausübung durch die der Baurechtsbehörde nach § 47 Abs. 1 LBO obliegende Überwachungspflicht und durch den Gleichheitsgrundsatz verhältnismäßig enge Grenzen gezogen sind und die fehlerfreie Ermessensausübung im Regelfall die Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten verlangt, da hierdurch sichergestellt werden soll, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später nur schwer rückgängig zu machen sind. Das öffentliche Interesse gebietet daher grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Ermessensentscheidung vorliegend nicht zu beanstanden.
36 
Insoweit kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der streitgegenständlichen örtlichen Bauvorschrift haben und damit der oben festgestellte Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften beseitigt werden könnte. Denn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung liegen ersichtlich nicht vor. Da die streitgegenständliche Regelung ihre Rechtsgrundlage in § 74 Abs. 1 LBO findet, käme eine Befreiung nur nach § 56 Abs. 6 LBO in Betracht. Danach kann von einer örtlichen Bauvorschrift Befreiung erteilt werden, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern oder die Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend ersichtlich nicht erfüllt. Weder erfordern Gründe des Allgemeinwohls eine Befreiung noch liegt eine nicht beabsichtigte Härte vor. Letztere ist nur dann zu bejahen, wenn das Grundstück bei Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften nicht oder nur schwer bebaut werden kann und diese Beschränkung nicht durch die Zielsetzung oder den Schutzzweck dieser Vorschriften gefordert wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.09.1979 - V 995/79 -, BRS 36 Nr. 182), wenn also die schematische Anwendung der Vorschrift zu Ungerechtigkeiten führen würde, namentlich ein ganz unbilliges Ergebnis zur Folge hätte und der Normzweck eine Abweichung erlaubt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.04.1965 - I 493/64 -, ESVGH 15, 180). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Kläger in ihrem Garten unmittelbar an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen einen Schwimmteich errichtet haben und aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht einer Grundstückseinfriedigung bedürfen, genügt hierfür nicht, da dies keinen in der Grundstückssituation bedingten Sonderfall darstellt. Im Übrigen können die Kläger ihrer Verkehrssicherungspflicht durch die Errichtung einer Einfriedigung nachkommen, die den örtlichen Gestaltungsvorschriften entspricht.
37 
Die Einstellungsverfügung ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die von den Klägern zur Straße hin errichtete Einfriedigung, die gleichermaßen gegen § 9 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften verstößt, von der Beklagten geduldet wird. Die Duldung einer bereits errichteten baurechtswidrigen Anlage führt nicht dazu, dass die Behörde gegen einen beabsichtigten weiteren Verstoß nicht (mehr) im Wege einer Baueinstellungsverfügung vorgehen darf. Aus diesem Grund kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob und inwieweit in anderen Baugebieten möglicherweise inhaltsgleiche Bauvorschriften existieren und die Beklagte dort gegen baurechtswidrig errichtete Einfriedigungen nicht eingeschritten ist.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
39 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
40 
Beschluss
vom 11. Oktober 2006
41 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
42 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
19 
Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere genügt der innerhalb der Monatsfrist des § 124 Abs. 6 S. 1 VwGO eingegangene Schriftsatz der Beklagten den Formerfordernissen des § 124 a Abs. 6 S. 3 i.V.m. Abs. 3 S. 4 VwGO.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Kläger zu Unrecht stattgegeben hat. Nachdem die Kläger den von ihnen erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag nicht aufrechterhalten haben, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Einstellungsverfügung der Beklagten vom 09.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.09.2004. Diese ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21 
Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder abgebrochen, kann die Baurechtsbehörde nach § 64 Abs. 1 Satz 1 LBO die Einstellung der Bauarbeiten anordnen. Hierdurch kann die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden, die später nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass bei allen Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften die Baurechtsbehörde ermächtigt ist, den Fortgang der Bauarbeiten anzuhalten, damit zunächst geprüft werden kann, ob zu einem späteren Zeitpunkt (etwa nach Erteilung einer Baugenehmigung oder der Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung) ein Weiterbau möglich ist.
22 
Dabei kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, da es sich bei der Baueinstellung um einen belastenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Dieser enthält das fortlaufende (vollstreckungsfähige und bußgeldbewehrte) Verbot, die Bauarbeiten an der Mauer fortzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anlage gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Ob und wie lange dies der Fall ist, muss die Baurechtsbehörde von sich aus prüfen. Entsprechend muss sie eine Baueinstellungsverfügung verfahrensmäßig unter Kontrolle halten. Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage. Hinsichtlich der „Prüfungsdichte“ sind hierbei allerdings verschiedene Zeiträume zu unterscheiden. Wegen des präventiv-polizeilichen Zwecks (Gefahrenabwehr, Verhinderung vollendeter Tatsachen) reicht für den Erlass der Baueinstellung schon ein durch Tatsachen belegter „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes aus. Hierfür genügt, dass objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Zustand geschaffen wird. Im nachfolgenden Zeitraum muss die Behörde jedoch prüfen, ob der Anfangsverdacht berechtigt war, d.h. ob die in Rede stehende Anlage tatsächlich gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Diese Prüfung hat von Amts wegen und nicht etwa nur auf Antrag des betroffenen „Bauherrn“ zu erfolgen. Dabei ist der maßgebliche Sachverhalt im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes mit den erforderlichen Beweismitteln und unter Mitwirkung des Bauherrn aufzuklären. Hierbei muss sich die Behörde an der jeweils aktuellen Sach- und Rechtslage orientieren und darf sich nicht mit dem Hinweis auf frühere Verhältnisse begnügen. Vom Ausgang dieser Prüfung hängt es ab, ob die Baueinstellung aufrechterhalten werden darf oder aufzuheben ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1993 - 3 S 507/93 -, VBlBW 1994, 196 zu § 63 LBO a.F.).
23 
In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass die nach § 50 Abs. 1 LBO i.V.m. Nr. 45 des Anhangs zu § 50 Abs. 1 LBO verfahrensfreie Errichtung der von den Klägern beabsichtigten Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan „Schwarzgrund“ verstößt.
24 
Danach sind nur offene Einfriedigungen mit Sockel bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton mit Heckenhinterpflanzungen zulässig. Der Begriff der Einfriedigung ist funktional zu bestimmen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind Einfriedigungen bauliche oder sonstige Anlagen, die nach ihrem wesentlichen Zweck der Sicherung des Grundstücks gegen unbefugtes Betreten oder Verlassen, gegen Witterungseinflüsse oder Immissionseinflüsse sowie gegen Einsicht dienen, um eine ungestörte Nutzung des Grundstücks zu gewährleisten, und die das Grundstück von der öffentlichen Verkehrsfläche oder von Nachbargrundstücken abgrenzen (vgl. Senatsurteil vom 18.12.1995 - 3 S 1298/94 -, BWGZ 1996, 410). Dabei unterscheidet man zwischen offenen und geschlossenen Einfriedigungen. Offene Einfriedigungen sind - wie beispielsweise Weidezäune oder Maschendrahtzäune - durchsichtig, wirken also nicht als geschlossene Wand. Geschlossene Einfriedigungen sind solche ohne Zwischenraum, sie bestehen also - wie Mauern und durchgehende Bretterwände - aus zusammenhängenden Wänden (vgl. Sauter, LBO, 3. Auflage, Stand September 2005, § 50 RdNr. 135ff). Vorliegend beabsichtigen die Kläger nach den von ihnen zuletzt vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung erläuterten Plänen die Errichtung einer geschlossenen Einfriedigung. Dies widerspricht ersichtlich den Vorgaben des § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften.
25 
Von der Wirksamkeit dieser Bauvorschrift ist auszugehen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, leidet sie nicht an einem beachtlichen Form- oder Verfahrensfehler. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, nachdem die Kläger ihre diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsverfahren nicht aufrechterhalten haben. Die in § 9 Abs. 1 der örtlichen Bauvorschriften getroffene Regelung ist aber auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich insbesondere im Rahmen der Ermächtigung des § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO und genügt dem Abwägungsgebot.
26 
Nach § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO können Gemeinden u.a. zur Durchführung baugestalterischer Absichten im Rahmen der Landesbauordnung in bestimmten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über Notwendigkeit, Zulässigkeit, Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedigungen. Diese Ermächtigung bezieht sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur auf Einfriedigungen, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind (im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2002 - 8 S 1046/02 -, BRS 65 Nr. 145 zu § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO). Soweit der Senat - zu § 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972 - in seinem Beschluss vom 29.11.1979 - III 2380/77 - eine andere Auffassung vertreten hat, wird diese nicht aufrechterhalten.
27 
§ 74 Abs. 1 LBO enthält vom Wortlaut her keine Einschränkung auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen. Durch die Formulierung „zur Durchführung baugestalterischer Absichten“ wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschrift nicht nur - wie die frühere Regelung in § 111 Abs. 1 LBO 1964 - zur Abwehr von Verunstaltungen, sondern auch zur positiven Gestaltungspflege ermächtigt. Durch die Bezugnahme „im Rahmen dieses Gesetzes“ wird weiter klargestellt, dass sich Gestaltungsvorschriften im Rahmen der von der Landesbauordnung verfolgten Ziele halten müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Landesgesetzgeber die Regelung des Bauordnungsrechtes vorbehalten ist. Hierzu zählt nicht mehr nur die bloße Abwehr von Gefahren, die der Allgemeinheit oder Einzelnen von baulichen Anlagen drohen. Das Bauordnungsrecht darf, soweit dies im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig ist, auch zur Wahrung ästhetischer Belange nutzbar gemacht werden. Dies schließt neben der Abwehr von Verunstaltungen eine positive Gestaltungspflege ein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - 5 S 858/82 - , VBlBW 1983, 180 zu § 111 Abs. 1 LBO 1972). Den Gemeinden ist es auf landesrechtlicher Grundlage unbenommen, über die äußere Gestaltung einzelner baulicher Anlagen auf das örtliche Erscheinungsbild Einfluss zu nehmen. Hierzu gehören Vorschriften, die dazu bestimmt sind, das Orts- oder Straßenbild, je nach ihren gestalterischen Vorstellungen zu erhalten oder umzugestalten. Gegenstand örtlicher Bauvorschriften können dagegen nicht Regelungen sein, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder entzogen sind, so im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, soweit der Bund von seiner Kompetenz verfassungsgemäßen Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 72 GG). Hierzu gehört das Bodenrecht i.S.d. Art 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, das der Bundesgesetzgeber insbesondere im Baugesetzbuch kodifiziert hat. Dieses Gesetz regelt die rechtlichen Beziehungen zum Grund und Boden und trifft Bestimmungen darüber, in welcher Weise der Eigentümer sein Grundstück nutzen darf. Nicht zuletzt über die Vorschriften, die das Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche betreffen, leistet auch das Städtebaurecht einen Beitrag zur Gestaltung des Ortsbildes (vgl. §§ 1 Abs. 5 Satz 2, 34 Abs. 1 Satz 2 und 35 Abs. 3 BauGB). Das städtebauliche Instrumentarium reicht unter diesem Blickwinkel indes nur soweit, wie das Baugesetzbuch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Zur bodenrechtlichen Ortsbildgestaltung steht der Gemeinde der in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend umschriebene Festsetzungskatalog zur Verfügung. Gestaltungsvorschriften, die hierüber hinaus gehen, ohne den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung zu haben, stehen dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht offen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.07.1997 - 4 NB 15.97 -, BauR 1997, 999). Hiervon hat der baden-württembergische Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht. Dabei kann auch der Systematik der Landesbauordnung nicht entnommen werden, dass gestalterische Vorgaben sich nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Anlagen beziehen dürfen. Der Umstand, dass die Landesbauordnung eine derartige Einschränkung bei der Definition der Werbeanlagen (vgl. § 2 Abs. 9 Satz 1 LBO) und bei der Verunstaltung durch Automaten (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 2 LBO) vorsieht, spricht im Umkehrschluss dafür, dass der Anwendungsbereich der Landesbauordnung im Übrigen nicht per se auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen beschränkt ist. Andernfalls wäre die ausdrückliche Einschränkung bei Werbeanlagen und Automaten überflüssig. Eine derartige Einschränkung der Ermächtigung erscheint nach Sinn und Zweck auch nicht sachgerecht. Eine bauliche Anlage kann Auswirkungen auf das Orts-, Straßen- oder Landschaftsbild einer Gemeinde auch dann haben, wenn sie zwar nicht vom öffentlichen Verkehrsraum, aber von anderen Standorten aus einsehbar ist und sich aus diesen Blickwinkeln auf das örtliche Erscheinungsbild auswirkt. Das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild stellt zwar das Schutzobjekt bauordnungsrechtlicher Regelungen dar, sagt aber nichts darüber aus, von welchem Standpunkt aus die Beurteilung zu erfolgen hat. Ein umfassender Schutz des örtlichen Erscheinungsbildes wird aber nur dann erreicht, wenn man in die Beurteilung alle baulichen Anlagen mit einbezieht, die für einen Betrachter - unabhängig von einem bestimmten Standort und Blickwinkel - das Umgebungsbild (mit-) prägen. Damit können sich grundsätzlich auch vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbare bauliche Anlagen auf das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild auswirken. Im Übrigen ist das Kriterium der Sichtbarkeit vom öffentlichen Verkehrsraum wenig praktikabel für den mit der Ermächtigung verfolgten Zweck, da es häufig von - jederzeit änderbaren und sich ständig ändernden - Zufälligkeiten abhängt, ob eine bauliche Anlage vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar ist oder nicht. Würden nicht sichtbare bauliche Anlagen von der Ermächtigung von vornherein ausgenommen, könnte die Gemeinde ihre gestalterischen Absichten wegen entgegenstehenden Bestandsschutzes nicht durchsetzen, wenn eine bauliche Anlage irgendwann einmal vom öffentlichen Verkehrsraum aus nicht sichtbar war. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sind. Dies hat nicht zur Folge, dass der Geltungsbereich der Landesbauordnung hinsichtlich gestalterischer Anforderungen an bauliche Anlagen von vornherein auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare Maßnahmen zu beschränken ist, sondern führt nur dazu, dass regelmäßig zu prüfen ist, ob die Einschränkung der Baufreiheit im konkreten Fall den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügt.
28 
Erstreckt sich die Ermächtigung in § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO mithin nicht nur auf vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbare bauliche Anlagen, so ist § 9 Nr. 1 der einschlägigen Bebauungsvorschriften von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Dass die Gemeinde mit der Beschränkung andere als gestalterische Absichten verfolgt hat, ist nicht ersichtlich.
29 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verstößt § 9 Nr. 1 der Bebauungsvorschriften auch nicht gegen das Abwägungsgebot. Ebenso wie bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hat die Gemeinde beim Erlass örtlicher Bauvorschriften die von der beabsichtigten Regelung berührten öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen. Zwar findet das für Bebauungspläne geltende Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB a.F./§ 1 Abs. 7 BauGB n.F. auf örtliche Bauvorschriften auch dann keine (unmittelbare) Anwendung, wenn diese - wie vorliegend - zusammen mit einem Bebauungsplan beschlossen oder geändert werden, da § 74 Abs. 7 LBO nur für das Verfahren zum Erlass dieser Vorschriften auf das Baugesetzbuch verweist, es sich beim planungsrechtlichen Abwägungsgebot aber nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine materiell-rechtliche Regelung handelt. Die Verpflichtung der Gemeinde zu einer Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123).
30 
Wie bereits oben dargelegt sind Einschränkungen der Baufreiheit nur im Rahmen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gezielte Gestaltung einzelner baulicher Anlagen und des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes ein bedeutsames öffentliches Anliegen ist, das prinzipiell zu einer Einschränkung privater Eigentümerbefugnisse führen kann. Je gewichtiger die konkrete Gestaltungsaufgabe und je schutzwürdiger das vorhandene bzw. beabsichtigte Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild ist, umso eingehender dürfen gestalterische Festsetzungen und Anforderungen sein, ohne das Übermaßverbot zu verletzen. Daraus folgt umgekehrt, dass das Ziel einer einheitlichen Gestaltung allein um der Einheitlichkeit oder gar Uniformität willen nicht ausreicht. Vielmehr muss im Regelfall entsprechend den örtlichen Bauvorschriften eine gewisse historische, künstlerische oder sonst die Eigenart des Ortsbildes ausmachende Homogenität gegeben sein oder angestrebt werden, die allein es rechtfertigt, den Freiheitsraum des Bauherrn einzuengen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
31 
Im Rahmen der dabei erforderlichen Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ist der Gemeinde bei der Bestimmung der gestalterischen Absichten und Wertmaßstäbe ein Ermessensspielraum einzuräumen, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.09.2002 - a.a.O. -). Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, nämlich um dem Erfordernis der Bestimmtheit belastender Regelungen und damit deren Erkennbarkeit für den betroffenen Bürger zu genügen, ferner um sicherzustellen, dass die gestalterischen Vorstellungen auch wirklich dem zuständigen Gemeindeorgan zugerechnet werden können, ist eine möglichst konkrete Festlegung der gestalterischen Absichten zu fordern. Dies wird, jedenfalls bei generellen Regelungen im allgemeinen durch die Satzung selbst geschehen müssen. Eine satzungsmäßige Festschreibung ist allerdings entbehrlich, wenn die beabsichtigte Gestaltung des Straßen- oder Ortsbildes aus dem vorhandenen Baubestand ohne weiteres für den gebildeten Durchschnittsbetrachter ablesbar ist oder wenn sich das gestalterische Ziel unmittelbar aus dem Inhalt der gestalterischen Anforderungen ergibt (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -).
32 
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen vorliegend nicht ohne Weiteres, dass bei der Änderung der Bebauungsvorschriften im Jahre 1996 hinsichtlich der Vorgaben für Einfriedigungen eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Gemeinde einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits stattgefunden hat. Den Gemeinderäten lag ausweislich der vorgelegten Tischvorlage vom 04.05.1994 eine synoptische Gegenüberstellung der Bebauungsvorschriften in ihrem damaligen Wortlaut und in der beabsichtigten Änderungsfassung vor. Des Weiteren wurden sie in der Gemeinderatssitzung vom 31.08.1994 ausweislich der Sitzungsniederschrift darüber informiert, dass die unter Ziff. 2.7 der bisherigen Bebauungsvorschriften geforderte einheitliche Gestaltung der Einfriedigungen entlang der öffentlichen Flächen nicht haltbar sei und diese Vorschrift deshalb ersatzlos gestrichen werde. Welche Erwägungen indessen der anstelle der bisherigen Regelung gewählten neuen Regelung letztlich zugrunde lagen, wurde nicht schriftlich festgehalten. Dieser Umstand lässt jedoch für sich allein nicht darauf schließen, dass sich der Gemeinderat bei der Beschlussfassung über die Änderung der Bebauungsvorschriften nicht mit den jeweiligen Belangen abwägend befasst hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.04.2002 - a.a.O. -). Dies gilt umso mehr, als es sich bei § 9 der örtlichen Bauvorschriften um eine Regelung von eher untergeordneter Bedeutung handelt. Durch sie werden im Plangebiet Einfriedigungen weder gänzlich ausgeschlossen noch in ihrer funktionalen Zweckbestimmung beschränkt, sondern nur gewissen Anforderungen an ihre äußere Gestaltung unterworfen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit Sockeln bis zu 30 cm Höhe aus Naturstein oder Beton und Heckenhinterpflanzungen sowie der generelle Ausschluss von Stacheldraht die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nicht nennenswert einschränkt. Auch werden hierdurch die Gestaltungswünsche der Grundstückseigentümer nicht übermäßig beschnitten und verursacht die Einhaltung der Gestaltungsvorschriften keine unverhältnismäßigen Kosten. Dementsprechend sind während des Auslegungsverfahrens auch weder von den Klägern noch von anderen betroffenen Grundstückseigentümern Einwendungen gegen die beabsichtigte Regelung erhoben worden. Die insoweit berührten Interessen liegen im Übrigen auch ohne ausdrückliche Niederlegung in den Planunterlagen offen zu Tage. Einfriedigungen können - wie die Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend ausgeführt hat - zu einer Zerstückelung der städtebaulichen Struktur, abgeschlossenen Grundstücken, Beeinträchtigungen der Sicht von Nachbargrundstücken und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sowie zu nachteiligen Auswirkungen auf Belichtung und Besonnung führen. Diese Auswirkungen werden durch die Beschränkung auf offene Einfriedigungen mit einem Sockel von max. 30 cm und Heckenhinterpflanzungen zumindest abgeschwächt, ohne dass hiermit eine Funktionseinbuße verbunden ist. Eine derartige Beschränkung stellt daher jedenfalls in einem einheitlich geplanten, durch aufgelockerte Bebauung mit entsprechenden Garten- und Vorgartenflächen geprägten Wohngebiet eine zulässige und sachlich vertretbare Zielvorstellung für das Straßen- und Ortsbild dar, die die Grenze des ortsgesetzgeberischen Ermessens nicht überschreitet (vgl. VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Bei dem Baugebiet „Schwarzgrund“ handelt es sich um ein einheitlich geplantes allgemeines Wohngebiet. Dieses ist durch die Festsetzung einer ein- bis zweigeschossigen Bebauung in offener Bauweise mit einer GRZ von 0,4 und entsprechenden (Vor-) Gartenflächen gekennzeichnet. Damit handelt es sich nach der planerischen Konzeption der Beklagten um ein gehobenes Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung. Bei dieser Sachlage sind die gestalterischen Absichten der Gemeinde bei einer Gesamtschau der satzungsmäßigen Regelungen auch ohne ausdrückliche Festschreibung hinreichend erkennbar.
33 
Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch das Ergebnis der Abwägung nicht zu beanstanden. In einem gehobenen Wohngebiet mit entsprechend aufgelockerter Bebauung dürfen grundsätzlich auch die Grundstücksrandzonen einheitlichen gestalterischen Anforderungen unterworfen werden (vgl. VGH Bad.-Württ., NK-Beschluss vom 26.08.1982 - a.a.O. -). Dies gilt nicht nur für die vom öffentlichen Verkehrsraum aus einsehbaren Randbereiche, da auch nicht einsehbare Einfriedigungen, - wie oben dargelegt - sich auf das Ortsbild auszuwirken können und deshalb ihre Einbeziehung grundsätzlich von einem sachgerechten öffentlichen Interesse an der Gestaltung des örtlichen Erscheinungsbildes getragen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Regelung den Grundstückseigentümern genügend Spielraum belässt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer von ihnen gewünschten Einfriedigung. Stellt man den von der Beklagten verfolgten gestalterischen Absichten das Maß der damit verbundenen Einschränkung in der Grundstücksnutzung gegenüber, hält sich die gewählte Regelung daher in den Grenzen einer angemessenen Abwägung zwischen den Belangen der Allgemeinheit einerseits und denen der betroffenen Grundstückseigentümer andererseits.
34 
Der Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift steht entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht entgegen, dass auf dem Gemeindegebiet an anderen Stellen geschlossene Einfriedigungen vorhanden sind. Denn die streitgegenständliche Bauvorschrift gilt nur für das Baugebiet „Schwarzgrund“. Dass innerhalb dieses Baugebietes - außer der von der Beklagten geduldeten Einfriedigung auf dem Grundstück des Klägers - weitere Einfriedigungen gegen § 9 Nr. 1 der örtlichen Bauvorschriften verstoßen, haben die Kläger nicht dargelegt. Ob und inwieweit inhaltsgleiche örtliche Bauvorschriften möglicherweise in anderen Baugebieten nicht eingehalten werden, ist für die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Bauvorschrift nicht erheblich.
35 
Damit verstößt die von den Klägern geplante Einfriedigung an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und lag der Erlass der Baueinstellungsverfügung im Ermessen der Baurechtsbehörde. Diese hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 LVwVfG). Entsprechend kann das Gericht nur prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ermessensausübung durch die der Baurechtsbehörde nach § 47 Abs. 1 LBO obliegende Überwachungspflicht und durch den Gleichheitsgrundsatz verhältnismäßig enge Grenzen gezogen sind und die fehlerfreie Ermessensausübung im Regelfall die Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten verlangt, da hierdurch sichergestellt werden soll, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später nur schwer rückgängig zu machen sind. Das öffentliche Interesse gebietet daher grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Ermessensentscheidung vorliegend nicht zu beanstanden.
36 
Insoweit kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der streitgegenständlichen örtlichen Bauvorschrift haben und damit der oben festgestellte Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften beseitigt werden könnte. Denn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung liegen ersichtlich nicht vor. Da die streitgegenständliche Regelung ihre Rechtsgrundlage in § 74 Abs. 1 LBO findet, käme eine Befreiung nur nach § 56 Abs. 6 LBO in Betracht. Danach kann von einer örtlichen Bauvorschrift Befreiung erteilt werden, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern oder die Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend ersichtlich nicht erfüllt. Weder erfordern Gründe des Allgemeinwohls eine Befreiung noch liegt eine nicht beabsichtigte Härte vor. Letztere ist nur dann zu bejahen, wenn das Grundstück bei Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften nicht oder nur schwer bebaut werden kann und diese Beschränkung nicht durch die Zielsetzung oder den Schutzzweck dieser Vorschriften gefordert wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.09.1979 - V 995/79 -, BRS 36 Nr. 182), wenn also die schematische Anwendung der Vorschrift zu Ungerechtigkeiten führen würde, namentlich ein ganz unbilliges Ergebnis zur Folge hätte und der Normzweck eine Abweichung erlaubt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.04.1965 - I 493/64 -, ESVGH 15, 180). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Kläger in ihrem Garten unmittelbar an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen einen Schwimmteich errichtet haben und aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht einer Grundstückseinfriedigung bedürfen, genügt hierfür nicht, da dies keinen in der Grundstückssituation bedingten Sonderfall darstellt. Im Übrigen können die Kläger ihrer Verkehrssicherungspflicht durch die Errichtung einer Einfriedigung nachkommen, die den örtlichen Gestaltungsvorschriften entspricht.
37 
Die Einstellungsverfügung ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die von den Klägern zur Straße hin errichtete Einfriedigung, die gleichermaßen gegen § 9 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften verstößt, von der Beklagten geduldet wird. Die Duldung einer bereits errichteten baurechtswidrigen Anlage führt nicht dazu, dass die Behörde gegen einen beabsichtigten weiteren Verstoß nicht (mehr) im Wege einer Baueinstellungsverfügung vorgehen darf. Aus diesem Grund kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob und inwieweit in anderen Baugebieten möglicherweise inhaltsgleiche Bauvorschriften existieren und die Beklagte dort gegen baurechtswidrig errichtete Einfriedigungen nicht eingeschritten ist.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
39 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
40 
Beschluss
vom 11. Oktober 2006
41 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
42 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.