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| Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). |
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| Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise. |
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| Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.). |
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| 1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105). |
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| 2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). |
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| § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen. |
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| b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). |
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| 3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein. |
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| In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts. |
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| 4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO). |
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| a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. |
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| Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik. |
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| Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort. |
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| b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht. |
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| c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist. |
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| aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen. |
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| bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang. |
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| d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es: |
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| „Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“ |
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| Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet. |
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| e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann. |
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| f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null. |
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| Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt. |
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| aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt. |
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| bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595). |
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| Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen: |
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| (1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht. |
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| Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist. |
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| (2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar. |
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| (3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf. |
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| (4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten. |
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| 5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). |
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| a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde. |
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| b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. |
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| aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können. |
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| bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde. |
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| cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat. |
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| c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen. |
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| d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise. |
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| Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht. |
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| Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen. |
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| e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist. |
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| f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443). |
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| Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist. |
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| Beschluss vom 23. Juli 2008 |
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