Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 24. Jan. 2007 - 13 S 451/06

bei uns veröffentlicht am24.01.2007

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2005 - 6 K 3901/04 - abgeändert; der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. September 2004 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4. März 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und im Jahr 1973 in Deutschland geboren, wo auch seine italienische Mutter, der italienische Stiefvater und seine Halbschwester leben. Er hat einen Hauptschulabschluss, ist aber ohne Beruf; begonnene Lehren wurden nicht zu Ende geführt. 1993 bezog er mit seiner damaligen deutschen Freundin - die er später heiratete - eine Wohnung; aus der Beziehung sind zwei Kinder hervorgegangen (geboren 1990 und 1995), deren Vaterschaften er anerkannte. Die ihm zuletzt erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz (nicht nach dem AufenthaltsG/EWG), erteilt von der Stadt Stuttgart am 22.4.1996, endete am 22.10.1997; eine Verlängerung wurde nicht beantragt.
Seit 1988 wurde der Kläger im Bundesgebiet mehrfach straffällig und verurteilt. Es handelt sich zunächst u.a. um zahlreiche Diebstahlsdelikte, Urkundenfälschungen, mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung und Betrugsversuche; später (ab 1992) kamen hinzu: gemeinschaftlicher schwerer Raub, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, weitere Diebstähle und Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige und vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und weitere Delikte (zuletzt Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten). Im Juli 1997 wurde der Kläger wegen gemeinschaftlichen Betrugs, gemeinschaftlicher Urkundenfälschung und zweier Diebstähle in besonders schwerem Fall zu einem Jahr und 3 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Oktober 1996 wurde der Kläger festgenommen und war anschließend in Haft; er flüchtete im Juli 1997 aus der Haftanstalt und wurde im Oktober 1997 erneut in Haft genommen.
Im Juni 1998 wurde er aufgrund einer Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 (Regelausweisung aus schwerwiegenden spezial- und generalpräventiven Gründen und Abschiebungsandrohung) nach Italien abgeschoben. Vor Erlass dieser Ausweisungsverfügung hatte der Kläger mit Schreiben vom 15.2.1998 erklärt:
„Im Schreiben vom 12.1.1998 sieht die Staatsanwaltschaft von der weiteren Vollstreckung der Strafe ab dem 13.6.1998 ab, wenn ich von der Grenzpolizei abgeschoben werde. Darum beantrage ich nun selber meine Abschiebung aus der BRD und ziehe hiermit meine Beschwerde vom 2.2.1997 zurück. Ich habe in der BRD nichts mehr zu suchen, da meine Freundin und meine beiden Kinder mit mir nach Italien gehen ...“
In der Begründung der Ausweisungsverfügung, gegen die der Kläger keinen Widerspruch erhob, war das Regierungspräsidium Stuttgart davon ausgegangen, dass der Kläger mangels Arbeitnehmereigenschaft, ausreichender Krankenversicherung und Existenzmitteln sowie aufgrund seiner Erklärung vom Februar 1998 nicht zu den freiheitsberechtigten Unionsbürgern gehöre. Eine atypische Fallgestaltung wurde verneint; Ermessen wurde nicht (auch nicht hilfsweise) ausgeübt.
Im November 1998 kam der Kläger nach Deutschland zurück; am 13.9.1999 wurde er erneut nach Italien abgeschoben. Im November 1999 reiste er wiederum in das Bundesgebiet ein; am 18.3.2000 kam er wieder in Haft. Er war erneut straffällig geworden (Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 4.8.2000: Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in zwei Fällen, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wurde angeordnet. Das Urteil wurde rechtskräftig. Der Maßregelvollzug (ab Juni 2001) in der ... in ... wurde abgebrochen, nachdem der Kläger im November 2001 mit zwei Mitpatienten von dort geflohen war; seit dem 19.12.2001 befindet er sich wieder in Strafhaft in der JVA Heilbronn.
Von 1993 bis ca. 2000 hatte der Kläger mit seinen Kindern und deren Mutter mit den oben genannten Unterbrechungen zusammengelebt; er heiratete die Mutter der Kinder im Jahr 1999 (19.8.1999) in der Strafhaft. Ab März 2000 bewohnte der Kläger mit zwei Mitbewohnern aus dem Drogenmilieu eine Zwei-Zimmer-Wohnung; er selbst war drogenabhängig und konsumierte Drogen aller Art, auch Heroin. Er ist mit HIV und Hepatitis C infiziert.
Der Sohn ... des Klägers (geb 1990) ist wegen Verhaltensauffälligkeit tagsüber in einem Heim untergebracht, die Tochter ... lebt bei der Mutter, zu der der Kläger keinen engen Kontakt mehr hat.
Der Kläger beantragte im April 2001 und erneut im Februar 2004, die Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung zu befristen. Er machte geltend, er sei mit einer Deutschen verheiratet und habe auch zwei deutsche Kinder. Das Befristungsverfahren wurde im Einverständnis mit dem Kläger zunächst nicht betrieben, weil er erklärte, sich in Italien einer Drogentherapie unterziehen zu wollen. Im Mai 2004 beantragte der Kläger, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen mit sofortiger Wirkung zu befristen.
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Mit Verfügung vom 29.9.2004 lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 4.3.1998 und die weiteren Anträge auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 LVwVfG für den Erlass einer die Ausweisungsverfügung betreffenden Rücknahmeverfügung lägen nicht vor. Die Ausweisung sei rechtmäßig erlassen worden. Ihr Widerruf scheide aus, weil die Widerrufsvorschrift durch die Befristungsregelung im Ausländergesetz verdrängt sei. Eine Befristung der Wirkungen komme derzeit nicht in Betracht, weil der von § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG vorausgesetzte Regelfall nicht gegeben sei. Der Fall des Klägers sei atypisch, und es sei gegenwärtig nicht absehbar, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung überhaupt erreicht werden könne. Auch eine Befristung der Wirkungen der Abschiebung komme derzeit nicht in Betracht, zumal der Kläger die angefallenen Kosten noch nicht bezahlt und im übrigen seine früheren Abschiebungen missachtend schon zweimal illegal nach Deutschland gekommen sei.
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Die am 1.10.2004 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,
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die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zu befristen,
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ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abgewiesen worden. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen ausgeführt, die Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 verletze den Kläger nicht in seinen Rechten; eine Rücknahme komme nicht in Betracht, da die frühere Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums vom 4.3.1998 rechtmäßig sei. Die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ändere nichts daran, dass diese Verfügung rechtmäßig erlassen worden sei. Der Kläger sei zwar Unionsbürger, erfülle aber die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 der RL 90/364/EWG vom 28.6.1990 nicht, da das Erfordernis der Krankenversicherung und ausreichender Existenzmittel nicht erfüllt sei. Außerdem habe der Kläger vor Erlass der Ausweisungsverfügung im Anhörungsverfahren wirksam auf ein Freizügigkeitsrecht verzichtet, als er erklärt habe, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen und wolle deshalb mit seiner Freundin und seinen beiden Kindern nach Italien übersiedeln. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg, da auf den Kläger nunmehr aufgrund der Ausweisungsverfügung nicht mehr das Freizügigkeitsgesetz/EU, sondern vielmehr das allgemeine Ausländerrecht anzuwenden sei. Ein Regelfall, der die Befristung nahe legen könne, sei hier nicht gegeben; das Regierungspräsidium habe zu Recht angenommen, hier liege ein Sonderfall vor. Auf die Begründung der Behörde werde Bezug genommen.
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Auf den rechtzeitig gestellten und begründeten Zulassungsantrag des Klägers hin hat der Senat mit Beschluss vom 20.2.2006 (Zustellung am 27.2.2006) die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; mit dem am 2.3.2006 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz, der auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug genommen hat, beantragt der Kläger,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abzuändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen,
hilfsweise:
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung der Verfügung vom 29.9.2004 die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung zu befristen.
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Zur Begründung des Berufungsantrags trägt der Kläger vor, sein Freizügigkeitsrecht könne nicht bestritten werden. Es ergebe sich aus Art. 7 Abs. 2 der RL 68/360/EWG, und das Freizügigkeitsrecht sei auch nicht wegen Fehlens von Unterhaltsgewährung nach Art. 10 der Verordnung 1612/68 untergegangen. Ein Verzicht auf das Freizügigkeitsrecht sei unwirksam und liege auch inhaltlich nicht vor. Das Verwaltungsgericht habe außerdem verkannt, dass auch seine Kinder neben der deutschen Staatsangehörigkeit die italienische Staatsangehörigkeit hätten, so dass er als Vater dieser Kinder ebenfalls ein Aufenthaltsrecht habe. Dass die damalige Ausweisungsverfügung gemeinschaftsrechtswidrig gewesen sei, liege auf der Hand. Einmal habe die Behörde zu Unrecht das Freizügigkeitsrecht verneint und allgemeines Ausländerrecht angewandt. Dies sei bei EU-Bürgern unzulässig. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof inzwischen sogar die entsprechende Regelung des AufenthaltsG/EWG für gemeinschaftswidrig erklärt. Rechtswidrig sei die Ausweisung auch deswegen gewesen, weil sie unbefristet erfolgt sei; dies widerspreche mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Allgemein sei zu bemerken, dass die Europäischen Institutionen die Voraussetzungen der Ausweisung ohnehin enger fassten als die deutschen Behörden und Gerichte. Das der Behörde zustehende Ermessen sei hier wegen der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Ausweisung auf die Rücknahme ex tunc reduziert; eine andere Lösung komme nicht in Betracht. Die Bestandskraft einer Verfügung sei geringer zu werten als die Rechtskraft, und der Europäische Gerichtshof habe mehrfach entschieden, dass bei gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen entweder die Rechtsmittelfrist gehemmt sei oder eine Rücknahmepflicht bestehe. Teilweise werde auch angenommen, solche gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen würden unwirksam. Jedenfalls sei die neuere Rechtsprechung der Europäischen Gerichte auch auf zurückliegende Sachverhalte anzuwenden. Da die Möglichkeit der Befristung einer Rücknahme ex nunc als Spezialregelung entgegenstehe, bleibe die Rücknahme ex tunc. Mindestens sei diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er ist nach wie vor der Auffassung, dass der Kläger die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts im Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr erfüllt habe und daher EU-Recht unbeachtlich sei. Seine Erklärung vom15.2.1998, er wolle mit Freundin und Kindern in Italien leben, belege dies ausreichend. Abgesehen davon seien aber die Voraussetzungen des § 12 AufenthG/EWG und des EU-Rechts für die Ausweisung gegeben gewesen, da der Kläger massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Insofern handle es sich um einen Extremfall im Sinn des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, und von einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die Behörden könne keine Rede sein. Die bestehende Wiederholungsgefahr habe der Kläger selbst nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet nachhaltig bestätigt. Auch der Vollzug der Strafhaft sei nicht beanstandungsfrei. Die vom Kläger zitierten Urteile des EGMR insbesondere zur Befristungsfrage änderten daran nichts; zumutbar und erforderlich sei jedenfalls, dass ein Befristungsantrag gestellt werde. Die Befristungsvorschriften belegten geradezu, dass die Ausweisung nicht gewissermaßen lebenslänglich sei. Die Ausweisung habe auch nicht gegen Art. 9 der RL 64/221/EWG verstoßen, da der Kläger nach Italien habe zurückkehren wollen. Er habe außerdem keine Klage erhoben, habe sich also gerade nicht verteidigen wollen. Ein Rücknahmeermessen sei damit nicht gegeben; erst recht nicht sei es auf die Rücknahme der Ausweisung reduziert. Auf die Bedeutung der Rechts- und Bestandskraft habe der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 16.3.2006 hingewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe außerdem davon aus, dass eine Ermessensentscheidung auch nachgeholt werden könne. Eine Rücknahme sei regelmäßig ausgeschlossen, wenn ein Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt (hier: Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Freizügigkeitsgesetz/EU) neu erlassen werden müsse. Das sei hier der Fall. Neben dem nachhaltigen und massiven kriminellen Fehlverhalten sei darauf hinzuweisen, dass auch die Drogenproblematik nicht gelöst sei. Es sei daher nicht unverhältnismäßig, an der Ausweisung festzuhalten, sie als Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt anzusehen und dem Rücknahmeantrag nicht zu entsprechen. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, den Kläger auf die Möglichkeit der Befristung zu verweisen für den Fall, dass die Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben sei. Mit den Kindern habe der Kläger im übrigen vor seiner Inhaftierung nicht in familiärer Lebensgemeinschaft zusammengewohnt. Möglicherweise werde er von ihnen und von seiner freizügigkeitsberechtigten Mutter noch regelmäßig besucht. Zur Mutter der Kinder habe er aber nur sporadischen und telefonischen Kontakt. Was Art. 8 EMRK angehe, so sei die hohe und konkrete Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen; er sei nicht therapiert. Seine Erkrankung führe nicht dazu, dass sein Interesse an der Rücknahme der Ausweisung überwiege, da er erforderliche Medikamente auch in Italien bekommen könne. Für die ersten Tage nach einer Abschiebung nach Italien könnten ihm auch Medikamente mitgegeben werden. Jedenfalls habe der Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Rücknahme, und eine am Zweck des § 48 LVwVfG orientierte Ermessensausübung ergebe, dass die Ablehnung des Antrags nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Soweit hilfsweise die Befristung beantragt werde, werde auf die angegriffene Verfügung vom 29.9.2004 (Fortbestand der Wiederholungsgefahr) verwiesen.
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Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts und der Behörden (jeweils 1 Heft Akten des RP Stuttgart und der Stadt Fellbach) vor; sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
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Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).
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Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die “Ausweisungsanordnung“ beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur „Rücknahme“ der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.
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Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).
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1. Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).
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Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).
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Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut „Familienleben“ im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).
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Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).
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1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/8Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen „entgegengehalten“ worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.
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Letztlich kann der Senat jedoch offen lassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit „an sich“ an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
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Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als „Stammberechtigte“ nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur „Erstreckung“ des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der „geläuterten“ Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht „entgegengehalten“ worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser „Erstreckung“ des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:
31 
Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein „Familienleben“ im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).
32 
Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.
33 
Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise „zum Sterben in der Heimat“ hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.
34 
1.2. Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung „umgedeutet“ werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).
35 
1.3. Der Senat kann offen lassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.
36 
2. Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein „Ergänzen“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene „Alt-Ausweisung“ kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße „Ergänzung“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.
37 
3. Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).
38 
3.1. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.
39 
Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann „schlechthin unerträglich“ sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung „schlechthin unerträglich“, weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.
40 
Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41 
Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/0C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht „schlechthin unerträglich“ ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer
Rechts verpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

42 
3.2 Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen „Rücknahme“-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.
43 
Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
44 
Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).
45 
Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.
46 
4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.
47 
Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
48 
Beschluss
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
21 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).
22 
Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die “Ausweisungsanordnung“ beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur „Rücknahme“ der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.
23 
Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).
24 
1. Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).
25 
Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).
26 
Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut „Familienleben“ im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).
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Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).
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1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/8Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen „entgegengehalten“ worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.
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Letztlich kann der Senat jedoch offen lassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit „an sich“ an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
30 
Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als „Stammberechtigte“ nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur „Erstreckung“ des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der „geläuterten“ Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht „entgegengehalten“ worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser „Erstreckung“ des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:
31 
Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein „Familienleben“ im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).
32 
Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.
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Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise „zum Sterben in der Heimat“ hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.
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1.2. Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung „umgedeutet“ werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).
35 
1.3. Der Senat kann offen lassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.
36 
2. Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein „Ergänzen“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene „Alt-Ausweisung“ kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße „Ergänzung“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.
37 
3. Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).
38 
3.1. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.
39 
Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann „schlechthin unerträglich“ sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung „schlechthin unerträglich“, weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.
40 
Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41 
Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/0C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht „schlechthin unerträglich“ ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer
Rechts verpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

42 
3.2 Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen „Rücknahme“-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.
43 
Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
44 
Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).
45 
Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.
46 
4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.
47 
Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
48 
Beschluss
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens


(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen g

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 43


(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungskla

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes


(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erhebliche

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 44 Nichtigkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen d

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 43 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 12 Geltungsbereich; Nebenbestimmungen


(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt. (2) Das Visum und die Aufenthalt

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 102 Fortgeltung ausländerrechtlicher Maßnahmen und Anrechnung


(1) Die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungs

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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 21. Okt. 2009 - 11 K 3204/09

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Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpf

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.

(2) Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Insbesondere kann die Aufenthaltserlaubnis mit einer räumlichen Beschränkung versehen werden, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a besteht und dies erforderlich ist, um den Ausländer aus einem Umfeld zu lösen, welches die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten begünstigt.

(3) Ein Ausländer hat den Teil des Bundesgebiets, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.

(4) Der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden.

(5) Die Ausländerbehörde kann dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage dieses Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Ausländer kann Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.

(2) Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Insbesondere kann die Aufenthaltserlaubnis mit einer räumlichen Beschränkung versehen werden, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a besteht und dies erforderlich ist, um den Ausländer aus einem Umfeld zu lösen, welches die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten begünstigt.

(3) Ein Ausländer hat den Teil des Bundesgebiets, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.

(4) Der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden.

(5) Die Ausländerbehörde kann dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage dieses Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Ausländer kann Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. März 2005 - 5 K 132/04 - geändert; die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. Dezember 2003 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.
Der am ....1974 in Leonberg geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, lebte - von einem einjährigen Türkeiaufenthalt im Alter von vier Jahren abgesehen - immer im Bundesgebiet bei seinen Eltern, die zwischenzeitlich eingebürgert sind. Er hat zwei 1980 und 1985 geborene Geschwister. Am 30.10.1990 wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Im Jahre 1992 erwarb er auf einer Privatschule den Realschulabschluss. Den Besuch eines Berufskollegs zur Erlangung der Fachhochschulreife brach er im Jahre 1994 ab. Anschließend war er - unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit - für verschiedene Arbeitgeber tätig. Ende 2000 eröffnete er eine Gastwirtschaft.
Der Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, u.a. wie folgt:
Am 2.11.1995 verurteilte ihn das Landgericht Stuttgart im Berufungsverfahren - 4 Ns 772/5 - wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Im Urteil wird festgestellt, dass der Kläger den Geschlechtsverkehr zielstrebig, rücksichtslos und völlig ohne Bedenken im Hinblick auf die möglichen negativen Folgen für die Geschädigte erzwungen habe. Auch habe er wenig Unrechtseinsicht oder gar Reue erkennen lassen. Das Opfer, ein damals 16 Jahre altes Mädchen, beging wenige Tage nach der Tat einen Selbstmordversuch.
Mit Urteil vom 1.8.2003 - 20 KLs 21 Js 22916/03 - verhängte das Landgericht Stuttgart gegen den Kläger wegen Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall (§ 177 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. Zugunsten des Klägers berücksichtigte das Landgericht u.a., dass es sich um eine Beziehungstat gehandelt habe und das Opfer anfänglich mit dem Austausch von Zärtlichkeiten einverstanden gewesen sei, der Kläger ein Geständnis abgelegt, Schmerzensgeld geleistet und sich schriftlich und mündlich in der Hauptverhandlung bei dem Opfer entschuldigt habe, weshalb auch die fakultative Strafmilderung gemäß §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB zur Anwendung gekommen sei. Zu Lasten des Täters sei jedoch ins Gewicht gefallen, dass er das Opfer zusätzlich geschlagen und erniedrigt und ihm erhebliche Blutergüsse und sonstige Verletzungen zugefügt habe. Auch sei der Kläger bereits einschlägig vorbestraft . Es sei daher auch dringend erforderlich, dass der Kläger aktiv am Vollzugsziel mitarbeite und die entsprechenden Möglichkeiten in der Justizvollzugsanstalt in Anspruch nehme, um sein erhebliches Aggressionspotential zu reduzieren und künftig kontrollieren zu können.
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium daraufhin den Kläger mit Verfügung vom 29.12.2003 unter Anordnung des Sofortvollzuges aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte es aus, dass die Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart vom 1.8.2003 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten den Tatbestand der Regelausweisung gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle; denn schon angesichts der Höhe des Strafmaßes sei die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung nach § 56 StGB nicht mehr in Betracht gekommen. Weil der Kläger jedoch eine Aufenthaltsberechtigung besitze und vor der Inhaftierung mit seinen eingebürgerten Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft zusammengelebt habe, genieße er erhöhten Ausweisungsschutz gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AuslG. Die damit für die Ausweisung in tatbestandlicher Hinsicht erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit (§ 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG) lägen vor. Wie das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 1.8.2003 zeige, habe er in der Nacht vom 17. auf den 18.3.2003 erneut eine Frau vergewaltigt, obwohl das Opfer der vorangegangenen Vergewaltigung einen Selbstmordversuch begangen habe. Damit sei durch die Begehung weiterer Straftaten bestätigt worden, dass bei ihm eine schwerwiegende Aggressionsproblematik vorliege. Trotz des Geständnisses und der Entschuldigung beim Opfer habe ihm daher keine günstige Sozialprognose gestellt werden können. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger erneut schwerwiegende Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut erheblich gefährden werde. Von ihm gehe eine bedeutsame Gefahr für wichtige Schutzgüter aus. Vor diesem Hindergrund sprächen nicht nur spezialpräventive, sondern auch generalpräventive Gründe für seine Ausweisung. Auch die wegen des dem Kläger zustehenden erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu treffende Ermessensentscheidung könne nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Zugunsten des Klägers sei im Rahmen des § 45 Abs. 2 AuslG zwar zu berücksichtigen, dass er hier im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sei. Auch die Bindungen an seine Eltern (die familiäre Lebensgemeinschaft solle nach der Haftentlassung fortgesetzt werden) und in geringerem Maße an seine Geschwister fielen ebenso wie seine wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet und sein freies Zugangsrecht zum deutschen Arbeitsmarkt zu seinen Gunsten ins Gewicht. Umgekehrt zeigten die von ihm begangenen schweren Straftaten jedoch, dass seine Integration in die deutschen Lebensverhältnisse nur unvollständig gelungen sei. Auch die Beziehungen zu seiner Familie hätten ihn von deren Begehung nicht abhalten können. Zudem befinde er sich in einem Alter, in dem mit der Loslösung von den Eltern ohnehin zu rechnen sei. Bei einem Ausländer der zweiten Generation wie ihm sei auch davon auszugehen, dass er noch über Grundkenntnisse der türkischen Sprache verfüge und sich jedenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Türkei auch eine wirtschaftliche Lebensgrundlage werde schaffen können. Auch in Deutschland sei seine wirtschaftliche Grundlage nicht gesichert gewesen, wie die hohen Schulden aus der Eröffnung der Gastwirtschaft zeigten. Angesichts der Schwere der von ihm ausgehenden Gefahr überwiege daher das öffentliche Interesse an seiner Entfernung aus dem Bundesgebiet auch vor dem Hintergrund der Regelungen in Art. 6 GG bzw. 8 EMRK sein privates Interesse daran, weiterhin in Deutschland bleiben zu können. Zwar genieße er nach einem zehnjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet erhöhten Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens; das Bundesverwaltungsgericht habe jedoch bereits entschieden, dass dieser nicht weiterreiche als der bereits durch Art. 48 AuslG gewährte. Auf Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 könne sich der Kläger nicht berufen, denn er habe den Arbeitsmarkt verlassen, um sich selbständig zu machen. Jedenfalls sei eine solche aufenthaltsrechtliche Position auch in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 durch seine Inhaftierung erloschen. Ungeachtet dessen stehe auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 seiner Ausweisung nicht entgegen, denn von ihm gehe die konkrete Gefahr aus, dass er erneut schwerwiegende Straftaten begehen werde.
Am 12.1.2004 hat der Kläger mit dem Antrag, die Verfügung des Beklagten vom 29.12.2003 aufzuheben, vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe das einmal nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 erworbene Aufenthaltsrecht weder durch die nachfolgende Tätigkeit als Selbständiger noch durch seine Inhaftierung oder die Einbürgerung seiner Eltern verloren. Die Ausweisung verstoße damit gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Denn die danach erforderliche Einholung der Stellungnahme einer unabhängigen zweiten Stelle sei unterblieben, obwohl während seiner Inhaftierung dafür ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe. Die deutschen Verwaltungsgerichte könnten die Ausweisungsverfügung nur auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen und daher die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung nicht vornehmen. Auch habe das Regierungspräsidium die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr falsch eingeschätzt. Das Opfer der zweiten Vergewaltigung sei anders als bei der ersten Tat kein wehrloses Kind gewesen, sondern eine grundsätzlich zum Geschlechtsverkehr bereite erwachsene Frau. Aus einer solchen Beziehungstat ergebe sich keine Wiederholungsgefahr, zumal er auch von ihr abgelassen habe, als sie zu weinen begonnen habe. Schließlich habe das Regierungspräsidium auch weder seine Entwicklung in der Strafhaft berücksichtigt noch in die Ermessenserwägungen eingestellt, dass die Ausweisung für einen Ausländer der zweiten Generation eine soziale Hinrichtung bedeute. Die Anforderungen aus Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG vom 29.4.2004 seien ebenfalls nicht erfüllt. Diese Bestimmung, die nicht genuin neues Recht schaffe, sondern lediglich das Gemeinschaftsrecht konkretisiere und daher schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.4.2006 auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden sei, bestimme, dass die Ausweisung nach einem zehnjährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nur noch aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit zulässig sei. Diese lägen bei ihm aber nicht vor. Schließlich seien ihm wegen der verfügten Ausweisung in der Haft auch keine psychologischen Maßnahmen zur Aufarbeitung der begangenen Tat bewilligt worden.
Mit Urteil vom 22.3.2005 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen und dabei zur Begründung ausgeführt: Die gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin wirksame Ausweisung sei rechtmäßig, wobei offen bleiben könne, ob sich der Kläger als selbständiger Gastwirt und Kind ehemals türkischer, jetzt eingebürgerter Eltern überhaupt auf den aufenthaltsrechtlichen Schutz aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 berufen könne; denn Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nicht verletzt, obwohl gegen die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nach § 6a AGVwGO kein Widerspruch stattfinde, sondern sofort die Anfechtungsklage statthaft sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Urteile vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -) genüge der in Deutschland gewährte verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz den Anforderungen an die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung. Abgesehen davon liege auch ein „dringender Fall“ im Sinn dieser Vorschrift vor, weil das Regierungspräsidium den Sofortvollzug angeordnet habe. Am Maßstab des Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG sei die Ausweisung nicht zu prüfen, denn diese Richtlinie sei erst bis zum 30.4.2006 in deutsches Recht umzusetzen und daher gegenwärtig noch nicht unmittelbar anwendbar. Die Ausweisung verstoße auch sonst nicht gegen materielles Recht. Das vom Landgericht Stuttgart abgeurteilte Gewaltdelikt des Klägers, eine Vergewaltigung mit vorsätzlicher Körperverletzung, erfülle den Tatbestand einer Regelausweisung nach § 54 Nr. 1 AufenthG und stelle damit eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, zumal das Opfer erhebliche Verletzungen in Form zahlreicher Blutergüsse erlitten habe, durch die auch beträchtliche Behandlungskosten zu Lasten der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten entstanden seien. Das der Straftat zugrunde liegende Verhalten des Klägers stelle auch eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Er sei hinsichtlich der Vergewaltigung nicht nur Wiederholungstäter, sondern habe im Urteil des Landgerichts Stuttgart auch ein erhebliches Aggressionspotential attestiert bekommen. Entgegen der Annahme des Landgerichts Stuttgart sei es ihm im Strafvollzug nicht gelungen, sein Aggressionspotential zu kontrollieren und zu reduzieren. Deshalb habe es das Landgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 15.3.2005 auch abgelehnt, den Kläger gemäß § 57 Abs. 1 StGB bedingt aus der Strafhaft zu entlassen. Denn ein kriminalprognostisches Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger impulsiv und rücksichtslos egozentrisch sei, ein deutliches Empathiedefizit aufweise und keine echte Einsicht in seine eigenen aggressiven Verhaltensweisen zeige, weshalb die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Das Ergebnis des kriminalprognostischen Gutachtens decke sich dabei mit einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heimsheim. Darauf, dass ihm im Strafvollzug wegen seiner ausländerrechtlichen Situation keine psychologischen Hilfen bewilligt worden seien, könne er sich schon deshalb nicht berufen, weil er nicht die dagegen im Strafvollzugsgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfe eingelegt habe. Die vom Regierungspräsidium Stuttgart getroffene Ermessensentscheidung - deren tatbestandlichen Grundlagen unverändert fortbestünden - sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
10 
Das Urteil ist dem Kläger am 14.6.2005 zugestellt worden; einen Tag später hat er die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 23.1.2006 hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; mit der am 6.2.2006 eingegangenen Berufungsbegründung beantragt der Kläger nunmehr,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22.3.2005 - 5 K 132/04 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.12.2003 aufzuheben.
13 
Der Kläger trägt vor, die einmal erworbene Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 stehe ihm trotz der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit und der Inhaftierung weiterhin zu. Ebenso sei das Schicksal des Stammberechtigten (Einbürgerung der Eltern) unbeachtlich. Der EuGH habe in den Verfahren Cetinkaya und Aydinli entschieden, dass die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nur erlöschen würden, wenn gegen den Betroffenen eine Maßnahme gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 getroffen werde oder dieser den Aufnahmemitgliedstaat während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigten Grund verlassen habe. Art. 7 ARB 1/80 wolle die Familieneinheit fördern. Der EuGH habe in seinem Urteil in der Sache Dörr und Ünal weiter entschieden, dass die Verfahrensgarantie aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar sei. Der dort geforderten Zweckmäßigkeitskontrolle werde nur genügt, wenn der Ausländer die Möglichkeit habe, sich zur bestmöglichen Lösung für seine Resozialisierung zu äußern. Die Überprüfung auf Ermessensfehler im deutschen Verwaltungsprozess bleibe hinter diesen Anforderungen zurück. Dementsprechend habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil im Rahmen der Kontrolle der Ermessensausübung auch nicht geprüft, ob seine Resozialisierung im Bundesgebiet besser möglich sei als in der Türkei. Erst recht habe es verkannt, dass das Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesichts der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet von mittlerweile mehr als einem Vierteljahrhundert hinter seinen privaten Interessen zurücktreten müsse und nur noch im Falle einer hier nicht gegebenen Gefährdung der Sicherheit des Staates Vorrang haben könne. Mittlerweile habe auch das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliege, wenn gegen eine Ausweisung kein Widerspruch stattfinde, denn die Zweckmäßigkeitskontrolle sei in dem dann sofort statthaften verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gewährleistet. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde auch nicht durch die Anordnung des Sofortvollzuges unbeachtlich. Ein dringender Fall liege nicht vor. Er sei am 21.3.2003 in Untersuchungshaft genommen worden. Angesichts der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sei vor September 2004 mit einem Ende der Haft überhaupt nicht zu rechnen gewesen, weshalb ausreichend Zeit für die Einschaltung einer zweiten Stelle zur Verfügung gestanden habe. Aus den schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht genannten Gründen sei die Ausweisung auch wegen Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG rechtswidrig. Nach einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet sei eine Ausweisung nur noch aus Gründen der Staatssicherheit zulässig. Auch könne ihm die mangelnde Resozialisierung im Strafvollzug nicht angelastet werden, weil sie die Folge von Einsparbemühungen der öffentlichen Hand sei und damit in deren Verantwortungsbereich falle.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Er trägt vor, der Kläger könne sich auf die Rechtsposition aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 unabhängig von seiner Inhaftierung schon deshalb nicht mehr berufen, weil er sich selbständig gemacht habe. Auch Unionsbürger könnten sich nur eine begrenzte Zeit - nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Tetik (Urteil vom 23.1.1997 - C 171/95 -, InfAuslR 1997, 146) längstens ein Jahr - auf das Freizügigkeitsrecht berufen, aber nicht mehr, wenn sie - wie der Kläger - den Arbeitsmarkt endgültig verlassen hätten. Wollte man bei assoziationsberechtigten Türken anders entscheiden, so bedeutete dies, dass sie besser stünden als Unionsbürger, was nach Art. 59 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei unzulässig sei. Auch der EuGH habe sich in seinen Urteilen in den Sachen Cetinkaya und Aydinli nicht mit der Konstellation auseinandergesetzt, dass der Betroffene überhaupt nicht mehr arbeiten könne oder wolle. Andernfalls hätte er zu seinem Urteil in der Sache Tetik und dem Schlechterstellungsverbot für Unionsbürger aus Art. 59 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei Stellung nehmen müssen. Der behauptete Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG - so er überhaupt vorliege - sei jedenfalls unbeachtlich. Angesichts der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten und der weiter von ihm ausgehenden Gefahr hätte auch die Einschaltung einer „zweiten Stelle“ nicht zu einem anderen Ergebnis geführt, zumal der Kläger auch die Gelegenheit zur Stellungnahme im Anhörungsverfahren nicht genutzt habe. Auch sei die Richtlinie 64/221/EWG mit Ablauf des 30.04.2006 außer Kraft getreten, und die Nachfolgebestimmung in Art. 31 RL 2004/38/EG verlange einen so weitgehenden Rechtsschutz überhaupt nicht mehr. Ungeachtet dessen liege auch ein dringender Fall vor, weil beabsichtigt gewesen sei, den Kläger aus der Haft abzuschieben. Angesichts seiner Gefährlichkeit wäre die Ausweisung bzw. die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt auch im vergleichbaren Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zulässig. So habe die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe wegen seiner fortdauernden Gefährlichkeit die Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt. Dass der Kläger ausweislich der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverständigenstellungnahmen sein aggressives Verhalten weiterhin leugne, sei auch eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Therapie gegen sein aggressives Verhalten.
17 
Mit Beschluss vom 19.1.2006 - 13 S 1207/05 - hat der Senat unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 6.6.2005 - 5 K 2798/04 - die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt und gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet.
18 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (2 Bände), die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart einschließlich der Akten aus dem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und die Akten über das Beschwerdeverfahren vor dem Senat vor; auf den Inhalt dieser Akten wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere hat sie der Kläger nach Zulassung durch den Senat mit Beschluss vom 23.1.2006 - 13 S 1268/06 - gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen aus § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Sätze 4 und 5 VwGO begründet. Denn die Bezugnahme auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren lässt erkennen, aus welchen Gründen er das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts für unrichtig hält (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., Rn 68 zu § 124a).
20 
Die Berufung hat auch sachlich Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn sie ist zulässig und begründet. Die gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.12.2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 
Die Ausweisung des Klägers, der sich auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann (I.), ist wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221 - die Bestimmung findet nicht nur auf Unionsbürger Anwendung, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 - verfahrensfehlerhaft (II.). Dieser Verstoß ist nicht unbeachtlich (III.), und der Anspruch des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung besteht unabhängig davon, dass die Richtlinie 64/221/EWG gemäß Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Ablauf des 30.4.2006 außer Kraft getreten ist (IV.).
I.
22 
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Kläger der assoziationsrechtliche Status aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 zu, womit er nicht nur ein Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch ein damit korrespondierendes - erhöhten Ausweisungsschutz vermittelndes - Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet besitzt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 -[Cetinkaya], InfAuslR 2005, 13 m.N. aus der früheren Rechtsprechung des EuGH zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht).
23 
Auch der Beklagte stellt nicht in Frage, dass der Kläger mindestens fünf Jahre ordnungsgemäß mit seinen Eltern, die damals noch türkische Staatsangehörige waren, zusammengelebt und dadurch das Recht aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hat (vgl. dazu bereits den Beschluss des Senats vom 19.1.2006 - 13 S 1207/05 -).
24 
Durch die nachfolgende Entwicklung hat der Kläger diese Rechtsposition nicht verloren. Dass er sich Ende des Jahres 2000 als Gastwirt selbständig gemacht hat und damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr als unselbständiger Arbeitnehmer zur Verfügung stand, hat weder unmittelbar (1.) noch mittelbar über einen Erlöschenstatbestand gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (2.) zum Verlust des Rechts aus Art 7 Abs. 1 ARB 1/80 geführt. Ein Verstoß gegen das sogenannte Besserstellungsverbot ist darin nicht zu sehen (3.). Ebensowenig hatten die Strafhaft und die Einbürgerung seiner Eltern Einfluss auf die Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 (4).
25 
1.) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings vertreten worden, dass die auf Dauer angelegte Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit (Eröffnung einer Gaststätte durch den Kläger) das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB entfallen lässt, weil der Ausländer dann dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 1303/04 - (juris) und Mallmann, Neuere Rechtsprechung zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht türkischer Familienangehöriger, ZAR 2006, 50/54, FN 35 m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung des EuGH jedoch keinen Bestand mehr haben. In dem bereits genannten Urteil vom 11.11.2004 [Cetinkaya] hat der EuGH unter Rn 38 ausgeführt, dass das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden könne, nämlich nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit oder weil der Betroffene das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Dem schließt sich der Senat an. In Reaktion auf das Urteil des EuGH in der Sache Cetinkaya hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen allerdings weiterhin die Auffassung vertreten, dass Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht nur zum Zwecke der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung oder zum ernsthaften Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt verleihe (vgl. Beschluss vom 10.12.2004 - 18 B 2599/04 -, InfAuslR 2005, 92). Zur Begründung führte es aus, der EuGH habe sich in der Sache Cetinkaya mit der Frage eines Aufenthaltsrechts, ohne arbeiten zu wollen, gar nicht beschäftigen müssen, da der Kläger in diesem Verfahren vor seiner Inhaftierung stets erwerbstätig gewesen sei. Im übrigen beschreibe der EuGH das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 als ein solches auf Zugang zur Beschäftigung und zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Daraus sei zu folgern, dass der Fortbestand des Rechts die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung oder wenigstens das Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt voraussetze. Mit dieser Argumentation verkennt das OVG Nordrhein-Westfalen jedoch, dass der EuGH in dem Urteil in der Sache Cetinkaya stets nur von einem Recht auf Aufenthalt bzw. auf Zugang zum Arbeitsmarkt gesprochen, das Aufenthaltsrecht aber nicht mit einer Pflicht verknüpft hat, dem Arbeitsmarkt als unselbständig Erwerbstätiger oder Arbeitssuchender zur Verfügung zu stehen. Unter Rn 30 des Urteils führt er im Gegenteil explizit aus, die Mitgliedstaaten seien nach Erwerb des Rechts aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht befugt, das Aufenthaltsrecht noch von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. Zutreffend wird in der Literatur (Gutmann, InfAuslR 2005, 94) darauf hingewiesen, der EuGH habe unter Rn 33 seines Urteils sogar festgestellt, die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 könnten dem türkischen Arbeitnehmer nicht dadurch genommen werden, dass er nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Nach dem Grund des Ausscheidens differenziere der EuGH dabei nicht. Sogar im Aufnahmeland geborene Kinder, die den Arbeitsmarkt nie betreten hätten, sollten im Gegenteil das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB erwerben, ohne dass ein Verlusttatbestand für den Fall normiert worden sei, dass sie später keine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnähmen. In seinem Urteil vom 7.7.2005 (- C- 373/03- [Aydinli], InfAuslR 2005, 352) hat der EuGH seine Entscheidung in der Sache Cetinkaya nicht nur bestätigt, sondern unter Rn 29 ausdrücklich entschieden, anders als bei Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hänge die Entstehung des Beschäftigungsrechts der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht davon ab, dass diese dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Staates angehörten und während einer bestimmten Dauer eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis ausübten. Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 gewähre den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers mithin Zugang zu einer Beschäftigung, lege ihnen jedoch keine Verpflichtung auf, eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wie das in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehen sei (so auch Döring, Erhöhter Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige, DVBl. 2005, 1221/1225).
26 
2.) Auch ein - denkbarer - Erlöschenstatbestand nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hätte die Rechtsstellung des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entfallen lassen.
27 
Der Kläger war nach Abbruch des Berufskollegs im Jahre 1994 bis zur Eröffnung der Gaststätte im Jahre 2000, wenn auch unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, immer wieder als Arbeitnehmer tätig. Ob er in dieser Zeit auch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben hat, ist nicht geklärt, aber auch rechtlich unerheblich. Hätte er den Status nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben, wäre dieser nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt wohl erloschen. Das unabhängig davon erworbene Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 wäre dadurch jedoch nicht untergegangen. Wie der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 („vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7“) zeigt, ist Art. 7 ARB 1/80 eine Spezialvorschrift zu Art. 6 ARB 1/80 (vgl. dazu auch Urteil des EuGH vom 7.7.2005, C-373/03-, [Aydinli], Rn 19, zitiert nach Mallmann, a.a.O., S. 53, Fn 32, dort auch zur teilweise abweichenden Auffassung der Generalanwälte des EuGH; siehe auch Döring a.a.O.). Auch unter Wertungsgesichtspunkten erschiene es im übrigen nicht vertretbar, wenn der zusätzliche Erwerb einer weiteren Rechtsposition (Recht aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80) dazu führen würde, dass das bereits zuvor erworbene Recht (aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80) unter erleichterten Voraussetzungen verloren geht.
28 
3.) Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH, wonach der Fortbestand der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 nicht von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von Bemühungen zur Aufnahme einer solchen Tätigkeit abhängt, führt auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.9.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (vgl. BGBl. II 1992, 385/396) - Zusatzprotokoll -, wonach der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.
29 
Der europäische Gerichtshof hat allerdings bereits entschieden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten nur verpflichtet, Unionsbürgern eine angemessene Zeit einzuräumen, damit sie sich im Aufnahmemitgliedstaat eine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle suchen und sich gegebenenfalls dafür bewerben können; sie gewährt allerdings kein von der Bereitschaft zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit unabhängiges Aufenthaltsrecht (vgl. Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 -, Antonissen, Slg 1991, I-745, Rn 13, 15 und 16 sowie erneut im Zusammenhang mit einem nach Art. 6 ARB 1/80 berechtigten türkischen Staatsangehörigen im Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - [Tetik], InfAuslR 1997, 146, Rn 27).
30 
Ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung türkischer Staatsangehöriger aus Art. 59 Zusatzprotokoll liegt gleichwohl nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, verlieren auch türkische Staatsangehörige, die als Arbeitnehmer ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, ihre Rechtsstellung wieder, wenn sie dem Arbeitmarkt als unselbständige Arbeitnehmer nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. zu den Einzelheiten des Rechtsverlusts insbesondere EuGH, Urteil vom 20.2.2000 - C-340/97 -, [Nazli], InfAuslR 2000, 161, Rn 40 ff.). Die Situation der türkischen Staatsangehörigen, die als Arbeitnehmer ein originäres Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, entspricht damit derjenigen der Unionsbürger, die sich auf ihr Freizügigkeitsrecht berufen: Der Fortbestand des Rechts ist jeweils von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit oder wenigstens dem Willen und der Möglichkeit zur Aufnahme einer solchen abhängig.
31 
Demgegenüber erwerben Familienangehörige eines Unionsbürgers - ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit - das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie sich fünf Jahre rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben (vgl. Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2004/38/EG). Die Entstehung und der Fortbestand des Daueraufenthaltsrechts ist nicht an die Voraussetzungen aus Kap. III der RL 2004/38/EG geknüpft (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG), steht also in keinem Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl. Art. 7 ARB 1/80). Ebenso ist bereits vor Ablauf des Fünfjahreszeitraumes aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie das Aufenthaltsrecht nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig (vgl. Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer mit einem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 werden also nicht besser gestellt als die von Unionsbürgern.
32 
Der Beklagte macht in diesem Zusammenhang ohne Erfolg geltend, ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung resultiere daraus, dass der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 weiter sei als der in Art 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG; insbesondere erfasse Art. 7 ARB 1/80 auch Verwandte in gerader absteigender Linie, die das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben und denen der Stammberechtigte keinen Unterhalt gewährt (vgl. dazu Art. 2 Nr. 2 c RL 2004/38/EG). Dieser Argumentation ist aber nicht zu folgen: Zwar ist der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 anders als in Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG nicht ausdrücklich definiert. Der EuGH hat jedoch bereits entschieden, dass er zur Sicherstellung seiner homogenen Anwendung auf Gemeinschaftsebene in Art. 7 ARB 1/80 ebenso auszulegen ist wie in den Freizügigkeit gewährenden Normen des Gemeinschaftsrechts (vgl. Urteil vom 30.09.2004 - C-275/02 -, [Ayaz], InfAuslR 2004, 416 RN 45). Er hat sich dabei auf den Begriff des Familienangehörigen aus Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 gestützt. Nachdem diese Bestimmung durch Art. 38 Abs. 1 RL 2004/38/EG aufgehoben worden ist, bestehen aus Sicht des Senats keine Bedenken, die im hier maßgeblichen Punkt inhaltlich übereinstimmende Definition in Art 2 RL 2004/38/EG - der Nachfolgebestimmung - heranzuziehen, so dass es aufgrund der einheitlichen Auslegung des Tatbestandsmerkmals auch insoweit nicht zu einem Verstoß gegen das Besserstellungsverbot kommt.
33 
4.) Wie sich aus den zitierten Entscheidungen des EuGH in den Sachen Cetinkaya und Aydinli ergibt, ist das Recht des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 auch weder mit dem Eintritt der Volljährigkeit noch durch die Verbüßung der verhängten Strafhaft erloschen (vgl. zur Verbüßung der Strafhaft auch BVerwG, Urteil vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und DVBl. 2006, 317). Ebenso ist unbeachtlich, dass die Eltern des Klägers als Stammberechtigte, von denen er sein Aufenthaltsrecht ableitet, mit der Einbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben. Denn eine Verstärkung der Rechtsstellung des Stammberechtigten kann keinen Verlusttatbestand für das von ihm abgeleitete Recht des Familienangehörigen darstellen.
II.
34 
Die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger geltenden verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG finden auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 Anwendung (1.). Sie wurden vorliegend nicht beachtet, weshalb die Ausweisung des Klägers rechtswidrig war (2.).
35 
1.) Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -, [Dörr und Ünal, InfAuslR 2005, 289) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar nur für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die - wie der Kläger - über ein Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 verfügen (vgl. Urteile vom 13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 und DVBl. 2006, 372 sowie vom 6.10.2005, a.a.O.). Diesen Ausgangspunkt teilt der Senat (s. etwa Beschluss vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -)
36 
2.) Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sieht vor, dass, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes trifft, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist. Diese Vorgaben wurden nicht beachtet.
37 
2.1) Hinsichtlich des in Art. 9 Abs. 1 ARB 1/80 angesprochenen Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung ist nicht zu bestreiten, dass die Ausweisungsentscheidung nach deutschem Prozessrecht nur auf ihre Rechtmäßigkeit, nicht aber auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft wird. Denn gemäß § 114 Satz 1 VwGO kann Ermessen - darum geht es hier - nur auf Rechtsfehler hin überprüft werden, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Die vom EuGH geforderte erschöpfende Prüfung aller der Ausweisungsverfügung zugrunde liegenden Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit ist danach gemäß Art. 68 Abs. 1 VwGO nur im Widerspruchsverfahren, nicht aber im Verwaltungsprozess möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.9.2006, a.a.O., unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01- und - C-493/01 -, [Orfanopoulos und Oliveri], InfAuslR 2004, 268, Rn 103 ff.). Dieser Auffassung folgt auch der Senat. Der 11. Senat des erkennenden Gerichtshofs hat seinen gegenteiligen Standpunkt, wonach die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte im deutschen Verwaltungsprozess gewährleistet sei, weil beim Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgegangen werden dürfe (vgl. Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481), im Anschluss an die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegeben (vgl. Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Da gegen Ausweisungsverfügungen der Regierungspräsidien gemäß § 6a AGVwGO kein Widerspruch gegeben, sondern sofort die Anfechtungsklage statthaft ist, verstößt eine Ausweisung ohne vorherige Einschaltung einer „zweiten zuständigen Stelle“ nur bei Vorliegen eines dringenden Falles nicht gegen Art. 9 RL 64/221/EWG.
38 
2.2) Ein solcher dringender Fall war (und ist) hier jedoch nicht gegeben. Hinsichtlich der Überprüfung, ob eine Ausweisung dringlich im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist, besteht kein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung, vielmehr unterliegt dieses Tatbestandsmerkmal der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Auch der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren keinen gegenteiligen Standpunkt mehr vertreten.
39 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.9.2005 - BVerwG 1 C7.04 -, a.a.O. ist das Merkmal der Dringlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“; ein dringender Fall könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung nicht zu verantworten sei, etwa weil die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Die Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde sei dann nicht hinnehmbar. Daher genüge für die Annahme eines dringenden Falles nicht, dass die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe. Vielmehr müsse (vergleichbar den Anforderungen aus § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt werden, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Dazu seien die im konkreten Einzelfall einander widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen. Weil die dabei maßgeblich zu berücksichtigende Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr während der Zeit seiner Inhaftierung regelmäßig entfallen werde, könne ein dringender Fall nur dann angenommen werden, wenn er aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Umgekehrt scheide die Annahme eines dringenden Falles aus, wenn die Ausländerbehörde den Fall selbst nicht als dringlich erachte und behandle, das Verfahren selbst nicht zügig betreibe, die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von dieser nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
40 
Vor dem Hintergrund dieser neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Senat seine frühere Auffassung, wonach ein dringender Fall regelmäßig anzunehmen sei, wenn wie vorliegend die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde (vgl. Beschlüsse vom 22.3.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff. und vom 26.8.2005 - 13 S 1482/05 -), aufgegeben (vgl. Beschlüsse vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 - und vom 21.02.2006 - 13 S1953/05 -).
41 
Bei einem Ausländer, der sich - wie der Kläger - während des Ausweisungsverfahrens in Haft befindet, scheidet daher die Annahme eines dringenden Falles in aller Regel aus, wenn vor dem Entlassungszeitpunkt oder der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft ausreichend Zeit zur Einschaltung der in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderten zweiten Stelle besteht; anders ist es, wenn auch in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht (vgl. dazu und auch zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt - Erlass der Ausweisungsverfügung oder Entscheidung des Gerichts - insoweit abzustellen ist VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - ).
42 
Nach diesem Maßstab war ein dringender Fall hier nicht gegeben. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sowie des Beginns der Inhaftierung (März 2003) vor September 2004 weder mit einer Entlassung noch mit einer Abschiebung aus der Haft zu rechnen war. Die Abschiebung aus der Haft nach § 456a StPO kommt im Regefall frühestens nach Vollstreckung der Hälfte der Freiheitsstrafe in Betracht (vgl. dazu die AV des JuM vom 17.10.1996, Die Justiz S. 500, III. 1. c). Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hätte beim Kläger ohnehin erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe erfolgen dürfen, da die verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt und der Kläger außerdem auch bereits wiederholt inhaftiert war (vgl. § 57 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB). Bei der Entscheidung über die Ausweisung am 29.12.2003 stand damit ausreichend Zeit für die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung zur Verfügung. Dies gilt um so mehr, als die Ausländerbehörde auch nach einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft gemäß § 456a StPO den Zeitpunkt der Abschiebung selbst bestimmen kann und damit die Möglichkeit hat, mit dieser bis zum Abschluss des Verfahrens vor der zweiten Stelle zuzuwarten. Dafür, dass auch während der Zeit der Inhaftierung vom Kläger eine schwere Gefahr ausgehen würde, sind Gründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
III.
43 
Der damit vorliegende Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich.
44 
Überwiegend wird vertreten, dass diese Norm ebenso wenig wie auf sog. absolute Verfahrensfehler (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 15.1.1982 -4 C 26.78-, BVerwGE 64, 325 ff.) auf Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationalen Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, anwendbar sei; dies wird aus dem Erfordernis effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) geschlossen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., Rn 20 zu § 46; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., RN 176 ff zu § 45; VG Stuttgart, Urteil vom 7.2.2006 - 5 K 5146/04 -, [Vensa] und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, m.N. auch zur gegenteiligen Auffassung und zum europarechtlichen Verständnis des Verwaltungsverfahrens). Danach würde Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG bereits vom Anwendungsbereich her ausscheiden.
45 
Ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf Verfahrensfehler nach Europarecht ist der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG aber auch deshalb nicht nach dieser Norm unbeachtlich, weil nicht offensichtlich ist, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, dürfen nämlich nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG (jetzt: § 55 AufenthG) ausgewiesen werden. Dabei sind neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Die Verwirklichung eines Ist- oder Regelausweisungstatbestandes darf zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder eines sonstigen Automatismus; maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315/319 ff.). War danach über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Eine sog. Ermessensreduktion auf Null, bei der dies ausnahmsweise anders sein könnte (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 32 und 35 zu § 46 VwVfG), liegt trotz der vom Kläger begangenen schwerwiegenden Straftaten und der weiterhin auch nach Auffassung des Senats konkret gegebenen Wiederholungsgefahr nicht vor. Eine „zweite Stelle“ hätte in eigener Kompetenz und Verantwortung eine Abwägung zu treffen gehabt, deren Ergebnis nicht von vornherein unzweifelhaft feststand. So wäre etwa zu Gunsten des Klägers seine starke Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu berücksichtigen gewesen. Der Argumentation des Beklagten, auch im Falle der Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre der Kläger auf jeden Fall ausgewiesen worden, kann schon aus diesem Grund nicht gefolgt werden. Ein solche „zweite Stelle war zudem zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht geschaffen worden; auch deswegen ist eine Vorhersage über denkbare Ergebnisse ihrer Prüfung nicht möglich. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob die Rechtsfigur der Ermessensreduktion auf Null angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich ihrerseits auf die Rechtsprechung des EuGH stützt (Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 und C -493/01 - [Orfanopoulos und Oliveri], DVBl. 2004, 876), im Falle der Ausweisung von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen überhaupt angewendet werden kann.
46 
Der Kläger hat sein Recht auf Einschaltung einer „zweiten Stelle“ schließlich auch nicht dadurch verloren, dass er im Anhörungsverfahren vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine Stellungnahme abgegeben hat. Denn Art. 9 RL 64/221/EWG bestimmt nicht, dass eine solche Stellungnahme Voraussetzung für die Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre. Auch im Verfahren vor der „zweiten Stelle“ muss sich der Ausländer nicht beteiligen; es genügt, dass er die Möglichkeit dazu hat.
IV.
47 
Der Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führt zur Aufhebung des Ausweisung, obwohl die europarechtlichen Vorgaben für die Ausweisung durch die RL 2004/38/EG sowohl in formeller als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht neu geregelt worden sind und die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben worden ist (Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG).
48 
Welche verfahrensrechtlichen Anforderungen bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (insbesondere Ausweisungen) gegen Unionsbürger zu beachten sind, ist nunmehr in Art. 31 RL 2004/38/EG geregelt. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung müssen im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Ausweisung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen sie beruht, überprüft werden können. Außerdem muss gewährleistet sein, dass sie insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 RL 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Unabhängig von der Frage, inwieweit die RL 2004/38/EG nicht nur auf Unionsbürger, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 anwendbar ist, ist daher europarechtlich mit Wirkung vom 30.4.2006 nicht mehr erforderlich, dass die Ausweisungsentscheidung durch eine unabhängige zweite Stelle auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden kann (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - 11 LC 324/05 -, InfAuslR 2006, 350).
49 
Das ändert aber nichts daran, dass die Verfügung nach wie vor verfahrensfehlerhaft ist. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
50 
1. Maßstab für die Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 29.12.2003 ist nicht das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sondern das zur Zeit des Erlasses der Verfügung geltende Recht. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist daher weiterhin beachtlich.
51 
Der Beklagte argumentiert, dass die RL 2004/38/EG bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.4.2006 (vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38 EG) Vorwirkungen entfaltet habe. Es genüge daher, wenn bei der Ausweisungsentscheidung gegen den Kläger die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus dieser Richtlinie erfüllt seien. Dem ist nicht zu folgen. Die RL 2004/38/EG datiert vom 29.4.2004, wurde im Amtsblatt der Europäischen Union L 158 vom 30.4.2004 veröffentlicht und trat somit an diesem Tag in Kraft (vgl. Art. 41 RL 2004/38/ EG). Die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger wurde aber bereits am 29.12.2003 und somit vor Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erlassen. Ungeachtet der grundsätzlich zu verneinenden Frage, ob Richtlinien bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalten können (vgl. dazu auch Kühling, Vorwirkungen von EG-Richtlinien bei der Anwendung nationalen Rechts - Interpretationsfreiheit für Judikative und Exekutive?, DVBl., 2006, 857 ff.), können die Bestimmungen der RL 2004/38/EG schon deshalb nicht für das bei der Ausweisung zu beachtende Verfahren maßgeblich gewesen sein.
52 
2.) Was den für die Entscheidung in Ausweisungsfällen maßgebenden Zeitpunkt angeht, so ging das Bundesverwaltungsgericht früher in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Ausweisungsverfügungen unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Ausländers sowohl hinsichtlich der formellen als auch der materiellen Rechtmäßigkeit aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen seien (vgl. Urteil vom 15.3.2004 - 1 C 2.04 -, NVwZ 2005, 1074). Danach bliebe es bei dem einmal begangenen Verfahrensverstoß unabhängig von der weiteren Entwicklung.
53 
Diese Rechtsprechung ist allerdings für Unionsbürger und türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 durch neuere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts überholt. In seinen Urteilen vom 3.8.2004 (- 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 - für Unionsbürger - und - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 - für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 -) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Ausweisung aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts zu überprüfen ist. Das Bundesverwaltungsgericht differenziert dabei nicht zwischen der formellen und der materiellen Rechtmäßigkeit; seine Entscheidungen betreffen allerdings nur Fallgestaltungen, bei denen nur die materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisung im Streit stand.
54 
Die Konsequenz dieser neuen Rechtsprechung wäre, dass ein Verfahrensfehler nicht mehr festgestellt werden könnte; die Ausweisung wäre formell rechtmäßig (so unter Bezugnahme auf die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - a.a.O.).
55 
Eine solche Übernahme der Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt hält der Senat - was das Verwaltungsverfahrensrecht angeht - generell jedoch nicht für zutreffend; ihr stehen Prinzipien des sog. intertemporalen Verfahrensrechts entgegen. Diese verlangen, dass die formelle Rechtmäßigkeit von Ausweisungsverfügungen weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen ist (so auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, a.a.O.; und OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006 - OVG 7 B 16.05 -, InfAuslR 2006, 395).
56 
3.) Ein allgemeiner Grundsatz des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts, wie er auch in § 96 VwVfG zum Ausdruck kommt, besagt, dass neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren erfasst, sich aber nicht mehr auf bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren erstreckt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.7.1992 - 2 BvR 1693, 1728/90 -, NVwZ 1992, 1182, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.5.1991 - A 16 S 2357/90 -, NVwZ-RR 1992, S. 107 und Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl., Rn 1 zu § 96 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
57 
Diese Regel des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts beruht wie das intertemporale Recht insgesamt auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die nicht nur im deutschen Recht, sondern auch in anderen Rechtsordnungen und insbesondere auch im EG-Recht Geltung beanspruchen können (vgl. dazu Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, Die Sozialgerichtsbarkeit 1993, 593/595). Ihr liegt letztlich die Überlegung zugrunde, dass die Verwaltung naturgemäß nur das im Zeitpunkt ihres Tätigwerdens geltende Verfahrensrecht beachten kann. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts wird durch die Betrachtung der umgekehrten Konstellation (Erhöhung der verfahrensrechtlichen Anforderungen nach Abschluss des Verfahrens), bestätigt. Hier kann es ersichtlich nicht angehen, der Verwaltung die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorzuhalten, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht gegolten hat, die damals also noch keine rechtliche Wirkung hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, ZAR 2006, 107/110 und OVG Lüneburg, Urteil vom 15.3.2006 - 10 LB 7/06 -, Asylmagazin 2006, 25/26 jeweils zu § 73 Abs. 2a AsylVfG).
58 
Eine Sondersituation, die ein Abweichen von diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz gebieten könnte, liegt hier nicht vor.
59 
Eine ausdrückliche Übergangsvorschrift enthält die RL 2004/38/EG nicht. Auch sonst kann ihr keine Aussage dahingehend entnommen werden, dass die formelle Rechtmäßigkeit von noch unter der Geltung der RL 64/221/EWG erlassenen Ausweisungsverfügungen jetzt am Maßstab der neuen verfahrensrechtlichen Regelungen in Art. 31 RL 2004/38/EG überprüft werden soll (vgl. dazu auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006, a.a.O., S. 396). Denn sie bezweckt eine Verbesserung der Rechtsstellung Freizügigkeitsberechtigter, wie insbesondere die 3., 22., 23. und 24. Begründungserwägung zeigen. Diese Zielrichtung der Richtlinie würde beeinträchtigt, wenn sie dazu führte, dass eine bislang rechtswidrige Ausweisungsentscheidung jetzt als formell rechtmäßig qualifiziert werden müsste.
60 
Auch sonstige Regeln und Grundsätze des Europarechts führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Vielmehr sprechen die allgemeinen Regeln über die europarechtliche Freizügigkeit dafür, die formelle Rechtmäßigkeit weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen.
61 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen vom 3.8.2004 bei Klagen gegen die Ausweisung von Unionsbürgern und von türkischen Staatsangehörigen unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung deshalb auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt, um den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs Rechnung zu tragen, dass bei Klagen von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 auch eine positive Entwicklung des Ausländers nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Dieses Ziel wird aber bereits dann erreicht, wenn hinsichtlich der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abgestellt wird. Die durch die Änderung der Rechtsprechung bezweckte Verbesserung der Rechtsstellung von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 würde - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - in ihr Gegenteil verkehrt, wollte man auch bei der formellen Rechtmäßigkeit auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abstellen. Letztlich wäre dies auch deshalb bedenklich, weil die die Freizügigkeit beschränkende Normen grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. dazu erneut, EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.).
62 
Diesem Ergebnis entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 (a.a.O.) auch entschieden, dass eine Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig ist. Zwar lässt sich diese Aussage dem Wortlaut nach auch dahin deuten, dass der Verfahrensfehler nicht nach § 45 VwVfG geheilt werden können soll und auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist; der Wegfall einer Verfahrensvorschrift wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht ausdrücklich angesprochen. Dann hätte jedoch eine entsprechend eindeutige Aussage nahe gelegen (zum Begriff des unheilbaren Verfahrensfehlers s. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2002, Rn 600).
63 
Damit kann die Ausweisungsverfügung wegen des nach wie vor relevanten Verfahrensfehlers keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, er werde angesichts der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers wieder eine Ausweisungsverfügung erlassen, ändert daran nichts. Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen zu § 46 VwVfG ergibt, steht gerade nicht fest, dass eine neue Ermessensentscheidung, bei der auch die weitere Entwicklung des Klägers nach Entlassung aus der Haft zu berücksichtigen sein wird, zwangsläufig zu seinem Nachteil ausfallen wird. Abgesehen davon wird der Beklagte vor Erlass eine erneuten Ausweisungsverfügung auch zu prüfen haben, inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung aus Art 28 RL 2004/38 EG auch für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 gelten und ggf. erfüllt sind. Das Ergebnis ist offen.
64 
Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtswidrig, denn die Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist nicht erloschen (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), sondern besteht vielmehr als Niederlassungserlaubnis fort (§ 101 Abs. 1 AufenthG), weshalb der Kläger nicht ausreisepflichtig ist.
65 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.4.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Rechtsfrage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; einerseits enthalten die oben genannten Urteile vom 3.8.2004 keine ausdrückliche Aussage dahin, dass auch hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, andererseits können seine Urteile vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 auch dahingehend interpretiert werden, dass der Begriff „unheilbarer Verfahrensfehler“ nur im Hinblick auf die Regelungen in §§ 45, 46 VwVfG von Relevanz ist, aber keine Aussage für die Zeit nach Außerkrafttreten der RL 64/221 treffen soll. Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandskräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie gegebenenfalls noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen haben (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 -, DVBl. 1995, 569 und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712 jeweils m.w.N.).
67 
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
19 
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere hat sie der Kläger nach Zulassung durch den Senat mit Beschluss vom 23.1.2006 - 13 S 1268/06 - gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen aus § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Sätze 4 und 5 VwGO begründet. Denn die Bezugnahme auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren lässt erkennen, aus welchen Gründen er das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts für unrichtig hält (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., Rn 68 zu § 124a).
20 
Die Berufung hat auch sachlich Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn sie ist zulässig und begründet. Die gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.12.2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 
Die Ausweisung des Klägers, der sich auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann (I.), ist wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221 - die Bestimmung findet nicht nur auf Unionsbürger Anwendung, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 - verfahrensfehlerhaft (II.). Dieser Verstoß ist nicht unbeachtlich (III.), und der Anspruch des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung besteht unabhängig davon, dass die Richtlinie 64/221/EWG gemäß Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Ablauf des 30.4.2006 außer Kraft getreten ist (IV.).
I.
22 
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Kläger der assoziationsrechtliche Status aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 zu, womit er nicht nur ein Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch ein damit korrespondierendes - erhöhten Ausweisungsschutz vermittelndes - Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet besitzt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 -[Cetinkaya], InfAuslR 2005, 13 m.N. aus der früheren Rechtsprechung des EuGH zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht).
23 
Auch der Beklagte stellt nicht in Frage, dass der Kläger mindestens fünf Jahre ordnungsgemäß mit seinen Eltern, die damals noch türkische Staatsangehörige waren, zusammengelebt und dadurch das Recht aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hat (vgl. dazu bereits den Beschluss des Senats vom 19.1.2006 - 13 S 1207/05 -).
24 
Durch die nachfolgende Entwicklung hat der Kläger diese Rechtsposition nicht verloren. Dass er sich Ende des Jahres 2000 als Gastwirt selbständig gemacht hat und damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr als unselbständiger Arbeitnehmer zur Verfügung stand, hat weder unmittelbar (1.) noch mittelbar über einen Erlöschenstatbestand gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (2.) zum Verlust des Rechts aus Art 7 Abs. 1 ARB 1/80 geführt. Ein Verstoß gegen das sogenannte Besserstellungsverbot ist darin nicht zu sehen (3.). Ebensowenig hatten die Strafhaft und die Einbürgerung seiner Eltern Einfluss auf die Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 (4).
25 
1.) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings vertreten worden, dass die auf Dauer angelegte Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit (Eröffnung einer Gaststätte durch den Kläger) das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB entfallen lässt, weil der Ausländer dann dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 1303/04 - (juris) und Mallmann, Neuere Rechtsprechung zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht türkischer Familienangehöriger, ZAR 2006, 50/54, FN 35 m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung des EuGH jedoch keinen Bestand mehr haben. In dem bereits genannten Urteil vom 11.11.2004 [Cetinkaya] hat der EuGH unter Rn 38 ausgeführt, dass das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden könne, nämlich nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit oder weil der Betroffene das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Dem schließt sich der Senat an. In Reaktion auf das Urteil des EuGH in der Sache Cetinkaya hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen allerdings weiterhin die Auffassung vertreten, dass Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht nur zum Zwecke der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung oder zum ernsthaften Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt verleihe (vgl. Beschluss vom 10.12.2004 - 18 B 2599/04 -, InfAuslR 2005, 92). Zur Begründung führte es aus, der EuGH habe sich in der Sache Cetinkaya mit der Frage eines Aufenthaltsrechts, ohne arbeiten zu wollen, gar nicht beschäftigen müssen, da der Kläger in diesem Verfahren vor seiner Inhaftierung stets erwerbstätig gewesen sei. Im übrigen beschreibe der EuGH das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 als ein solches auf Zugang zur Beschäftigung und zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Daraus sei zu folgern, dass der Fortbestand des Rechts die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung oder wenigstens das Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt voraussetze. Mit dieser Argumentation verkennt das OVG Nordrhein-Westfalen jedoch, dass der EuGH in dem Urteil in der Sache Cetinkaya stets nur von einem Recht auf Aufenthalt bzw. auf Zugang zum Arbeitsmarkt gesprochen, das Aufenthaltsrecht aber nicht mit einer Pflicht verknüpft hat, dem Arbeitsmarkt als unselbständig Erwerbstätiger oder Arbeitssuchender zur Verfügung zu stehen. Unter Rn 30 des Urteils führt er im Gegenteil explizit aus, die Mitgliedstaaten seien nach Erwerb des Rechts aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht befugt, das Aufenthaltsrecht noch von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. Zutreffend wird in der Literatur (Gutmann, InfAuslR 2005, 94) darauf hingewiesen, der EuGH habe unter Rn 33 seines Urteils sogar festgestellt, die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 könnten dem türkischen Arbeitnehmer nicht dadurch genommen werden, dass er nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Nach dem Grund des Ausscheidens differenziere der EuGH dabei nicht. Sogar im Aufnahmeland geborene Kinder, die den Arbeitsmarkt nie betreten hätten, sollten im Gegenteil das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB erwerben, ohne dass ein Verlusttatbestand für den Fall normiert worden sei, dass sie später keine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnähmen. In seinem Urteil vom 7.7.2005 (- C- 373/03- [Aydinli], InfAuslR 2005, 352) hat der EuGH seine Entscheidung in der Sache Cetinkaya nicht nur bestätigt, sondern unter Rn 29 ausdrücklich entschieden, anders als bei Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hänge die Entstehung des Beschäftigungsrechts der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht davon ab, dass diese dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Staates angehörten und während einer bestimmten Dauer eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis ausübten. Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 gewähre den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers mithin Zugang zu einer Beschäftigung, lege ihnen jedoch keine Verpflichtung auf, eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wie das in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehen sei (so auch Döring, Erhöhter Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige, DVBl. 2005, 1221/1225).
26 
2.) Auch ein - denkbarer - Erlöschenstatbestand nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hätte die Rechtsstellung des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entfallen lassen.
27 
Der Kläger war nach Abbruch des Berufskollegs im Jahre 1994 bis zur Eröffnung der Gaststätte im Jahre 2000, wenn auch unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, immer wieder als Arbeitnehmer tätig. Ob er in dieser Zeit auch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben hat, ist nicht geklärt, aber auch rechtlich unerheblich. Hätte er den Status nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben, wäre dieser nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt wohl erloschen. Das unabhängig davon erworbene Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 wäre dadurch jedoch nicht untergegangen. Wie der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 („vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7“) zeigt, ist Art. 7 ARB 1/80 eine Spezialvorschrift zu Art. 6 ARB 1/80 (vgl. dazu auch Urteil des EuGH vom 7.7.2005, C-373/03-, [Aydinli], Rn 19, zitiert nach Mallmann, a.a.O., S. 53, Fn 32, dort auch zur teilweise abweichenden Auffassung der Generalanwälte des EuGH; siehe auch Döring a.a.O.). Auch unter Wertungsgesichtspunkten erschiene es im übrigen nicht vertretbar, wenn der zusätzliche Erwerb einer weiteren Rechtsposition (Recht aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80) dazu führen würde, dass das bereits zuvor erworbene Recht (aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80) unter erleichterten Voraussetzungen verloren geht.
28 
3.) Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH, wonach der Fortbestand der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 nicht von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von Bemühungen zur Aufnahme einer solchen Tätigkeit abhängt, führt auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.9.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (vgl. BGBl. II 1992, 385/396) - Zusatzprotokoll -, wonach der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.
29 
Der europäische Gerichtshof hat allerdings bereits entschieden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten nur verpflichtet, Unionsbürgern eine angemessene Zeit einzuräumen, damit sie sich im Aufnahmemitgliedstaat eine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle suchen und sich gegebenenfalls dafür bewerben können; sie gewährt allerdings kein von der Bereitschaft zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit unabhängiges Aufenthaltsrecht (vgl. Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 -, Antonissen, Slg 1991, I-745, Rn 13, 15 und 16 sowie erneut im Zusammenhang mit einem nach Art. 6 ARB 1/80 berechtigten türkischen Staatsangehörigen im Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - [Tetik], InfAuslR 1997, 146, Rn 27).
30 
Ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung türkischer Staatsangehöriger aus Art. 59 Zusatzprotokoll liegt gleichwohl nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, verlieren auch türkische Staatsangehörige, die als Arbeitnehmer ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, ihre Rechtsstellung wieder, wenn sie dem Arbeitmarkt als unselbständige Arbeitnehmer nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. zu den Einzelheiten des Rechtsverlusts insbesondere EuGH, Urteil vom 20.2.2000 - C-340/97 -, [Nazli], InfAuslR 2000, 161, Rn 40 ff.). Die Situation der türkischen Staatsangehörigen, die als Arbeitnehmer ein originäres Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, entspricht damit derjenigen der Unionsbürger, die sich auf ihr Freizügigkeitsrecht berufen: Der Fortbestand des Rechts ist jeweils von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit oder wenigstens dem Willen und der Möglichkeit zur Aufnahme einer solchen abhängig.
31 
Demgegenüber erwerben Familienangehörige eines Unionsbürgers - ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit - das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie sich fünf Jahre rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben (vgl. Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2004/38/EG). Die Entstehung und der Fortbestand des Daueraufenthaltsrechts ist nicht an die Voraussetzungen aus Kap. III der RL 2004/38/EG geknüpft (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG), steht also in keinem Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl. Art. 7 ARB 1/80). Ebenso ist bereits vor Ablauf des Fünfjahreszeitraumes aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie das Aufenthaltsrecht nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig (vgl. Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer mit einem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 werden also nicht besser gestellt als die von Unionsbürgern.
32 
Der Beklagte macht in diesem Zusammenhang ohne Erfolg geltend, ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung resultiere daraus, dass der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 weiter sei als der in Art 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG; insbesondere erfasse Art. 7 ARB 1/80 auch Verwandte in gerader absteigender Linie, die das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben und denen der Stammberechtigte keinen Unterhalt gewährt (vgl. dazu Art. 2 Nr. 2 c RL 2004/38/EG). Dieser Argumentation ist aber nicht zu folgen: Zwar ist der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 anders als in Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG nicht ausdrücklich definiert. Der EuGH hat jedoch bereits entschieden, dass er zur Sicherstellung seiner homogenen Anwendung auf Gemeinschaftsebene in Art. 7 ARB 1/80 ebenso auszulegen ist wie in den Freizügigkeit gewährenden Normen des Gemeinschaftsrechts (vgl. Urteil vom 30.09.2004 - C-275/02 -, [Ayaz], InfAuslR 2004, 416 RN 45). Er hat sich dabei auf den Begriff des Familienangehörigen aus Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 gestützt. Nachdem diese Bestimmung durch Art. 38 Abs. 1 RL 2004/38/EG aufgehoben worden ist, bestehen aus Sicht des Senats keine Bedenken, die im hier maßgeblichen Punkt inhaltlich übereinstimmende Definition in Art 2 RL 2004/38/EG - der Nachfolgebestimmung - heranzuziehen, so dass es aufgrund der einheitlichen Auslegung des Tatbestandsmerkmals auch insoweit nicht zu einem Verstoß gegen das Besserstellungsverbot kommt.
33 
4.) Wie sich aus den zitierten Entscheidungen des EuGH in den Sachen Cetinkaya und Aydinli ergibt, ist das Recht des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 auch weder mit dem Eintritt der Volljährigkeit noch durch die Verbüßung der verhängten Strafhaft erloschen (vgl. zur Verbüßung der Strafhaft auch BVerwG, Urteil vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und DVBl. 2006, 317). Ebenso ist unbeachtlich, dass die Eltern des Klägers als Stammberechtigte, von denen er sein Aufenthaltsrecht ableitet, mit der Einbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben. Denn eine Verstärkung der Rechtsstellung des Stammberechtigten kann keinen Verlusttatbestand für das von ihm abgeleitete Recht des Familienangehörigen darstellen.
II.
34 
Die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger geltenden verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG finden auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 Anwendung (1.). Sie wurden vorliegend nicht beachtet, weshalb die Ausweisung des Klägers rechtswidrig war (2.).
35 
1.) Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -, [Dörr und Ünal, InfAuslR 2005, 289) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar nur für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die - wie der Kläger - über ein Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 verfügen (vgl. Urteile vom 13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 und DVBl. 2006, 372 sowie vom 6.10.2005, a.a.O.). Diesen Ausgangspunkt teilt der Senat (s. etwa Beschluss vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -)
36 
2.) Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sieht vor, dass, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes trifft, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist. Diese Vorgaben wurden nicht beachtet.
37 
2.1) Hinsichtlich des in Art. 9 Abs. 1 ARB 1/80 angesprochenen Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung ist nicht zu bestreiten, dass die Ausweisungsentscheidung nach deutschem Prozessrecht nur auf ihre Rechtmäßigkeit, nicht aber auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft wird. Denn gemäß § 114 Satz 1 VwGO kann Ermessen - darum geht es hier - nur auf Rechtsfehler hin überprüft werden, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Die vom EuGH geforderte erschöpfende Prüfung aller der Ausweisungsverfügung zugrunde liegenden Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit ist danach gemäß Art. 68 Abs. 1 VwGO nur im Widerspruchsverfahren, nicht aber im Verwaltungsprozess möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.9.2006, a.a.O., unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01- und - C-493/01 -, [Orfanopoulos und Oliveri], InfAuslR 2004, 268, Rn 103 ff.). Dieser Auffassung folgt auch der Senat. Der 11. Senat des erkennenden Gerichtshofs hat seinen gegenteiligen Standpunkt, wonach die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte im deutschen Verwaltungsprozess gewährleistet sei, weil beim Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgegangen werden dürfe (vgl. Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481), im Anschluss an die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegeben (vgl. Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Da gegen Ausweisungsverfügungen der Regierungspräsidien gemäß § 6a AGVwGO kein Widerspruch gegeben, sondern sofort die Anfechtungsklage statthaft ist, verstößt eine Ausweisung ohne vorherige Einschaltung einer „zweiten zuständigen Stelle“ nur bei Vorliegen eines dringenden Falles nicht gegen Art. 9 RL 64/221/EWG.
38 
2.2) Ein solcher dringender Fall war (und ist) hier jedoch nicht gegeben. Hinsichtlich der Überprüfung, ob eine Ausweisung dringlich im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist, besteht kein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung, vielmehr unterliegt dieses Tatbestandsmerkmal der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Auch der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren keinen gegenteiligen Standpunkt mehr vertreten.
39 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.9.2005 - BVerwG 1 C7.04 -, a.a.O. ist das Merkmal der Dringlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“; ein dringender Fall könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung nicht zu verantworten sei, etwa weil die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Die Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde sei dann nicht hinnehmbar. Daher genüge für die Annahme eines dringenden Falles nicht, dass die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe. Vielmehr müsse (vergleichbar den Anforderungen aus § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt werden, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Dazu seien die im konkreten Einzelfall einander widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen. Weil die dabei maßgeblich zu berücksichtigende Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr während der Zeit seiner Inhaftierung regelmäßig entfallen werde, könne ein dringender Fall nur dann angenommen werden, wenn er aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Umgekehrt scheide die Annahme eines dringenden Falles aus, wenn die Ausländerbehörde den Fall selbst nicht als dringlich erachte und behandle, das Verfahren selbst nicht zügig betreibe, die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von dieser nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
40 
Vor dem Hintergrund dieser neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Senat seine frühere Auffassung, wonach ein dringender Fall regelmäßig anzunehmen sei, wenn wie vorliegend die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde (vgl. Beschlüsse vom 22.3.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff. und vom 26.8.2005 - 13 S 1482/05 -), aufgegeben (vgl. Beschlüsse vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 - und vom 21.02.2006 - 13 S1953/05 -).
41 
Bei einem Ausländer, der sich - wie der Kläger - während des Ausweisungsverfahrens in Haft befindet, scheidet daher die Annahme eines dringenden Falles in aller Regel aus, wenn vor dem Entlassungszeitpunkt oder der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft ausreichend Zeit zur Einschaltung der in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderten zweiten Stelle besteht; anders ist es, wenn auch in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht (vgl. dazu und auch zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt - Erlass der Ausweisungsverfügung oder Entscheidung des Gerichts - insoweit abzustellen ist VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - ).
42 
Nach diesem Maßstab war ein dringender Fall hier nicht gegeben. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sowie des Beginns der Inhaftierung (März 2003) vor September 2004 weder mit einer Entlassung noch mit einer Abschiebung aus der Haft zu rechnen war. Die Abschiebung aus der Haft nach § 456a StPO kommt im Regefall frühestens nach Vollstreckung der Hälfte der Freiheitsstrafe in Betracht (vgl. dazu die AV des JuM vom 17.10.1996, Die Justiz S. 500, III. 1. c). Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hätte beim Kläger ohnehin erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe erfolgen dürfen, da die verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt und der Kläger außerdem auch bereits wiederholt inhaftiert war (vgl. § 57 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB). Bei der Entscheidung über die Ausweisung am 29.12.2003 stand damit ausreichend Zeit für die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung zur Verfügung. Dies gilt um so mehr, als die Ausländerbehörde auch nach einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft gemäß § 456a StPO den Zeitpunkt der Abschiebung selbst bestimmen kann und damit die Möglichkeit hat, mit dieser bis zum Abschluss des Verfahrens vor der zweiten Stelle zuzuwarten. Dafür, dass auch während der Zeit der Inhaftierung vom Kläger eine schwere Gefahr ausgehen würde, sind Gründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
III.
43 
Der damit vorliegende Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich.
44 
Überwiegend wird vertreten, dass diese Norm ebenso wenig wie auf sog. absolute Verfahrensfehler (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 15.1.1982 -4 C 26.78-, BVerwGE 64, 325 ff.) auf Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationalen Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, anwendbar sei; dies wird aus dem Erfordernis effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) geschlossen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., Rn 20 zu § 46; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., RN 176 ff zu § 45; VG Stuttgart, Urteil vom 7.2.2006 - 5 K 5146/04 -, [Vensa] und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, m.N. auch zur gegenteiligen Auffassung und zum europarechtlichen Verständnis des Verwaltungsverfahrens). Danach würde Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG bereits vom Anwendungsbereich her ausscheiden.
45 
Ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf Verfahrensfehler nach Europarecht ist der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG aber auch deshalb nicht nach dieser Norm unbeachtlich, weil nicht offensichtlich ist, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, dürfen nämlich nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG (jetzt: § 55 AufenthG) ausgewiesen werden. Dabei sind neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Die Verwirklichung eines Ist- oder Regelausweisungstatbestandes darf zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder eines sonstigen Automatismus; maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315/319 ff.). War danach über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Eine sog. Ermessensreduktion auf Null, bei der dies ausnahmsweise anders sein könnte (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 32 und 35 zu § 46 VwVfG), liegt trotz der vom Kläger begangenen schwerwiegenden Straftaten und der weiterhin auch nach Auffassung des Senats konkret gegebenen Wiederholungsgefahr nicht vor. Eine „zweite Stelle“ hätte in eigener Kompetenz und Verantwortung eine Abwägung zu treffen gehabt, deren Ergebnis nicht von vornherein unzweifelhaft feststand. So wäre etwa zu Gunsten des Klägers seine starke Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu berücksichtigen gewesen. Der Argumentation des Beklagten, auch im Falle der Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre der Kläger auf jeden Fall ausgewiesen worden, kann schon aus diesem Grund nicht gefolgt werden. Ein solche „zweite Stelle war zudem zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht geschaffen worden; auch deswegen ist eine Vorhersage über denkbare Ergebnisse ihrer Prüfung nicht möglich. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob die Rechtsfigur der Ermessensreduktion auf Null angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich ihrerseits auf die Rechtsprechung des EuGH stützt (Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 und C -493/01 - [Orfanopoulos und Oliveri], DVBl. 2004, 876), im Falle der Ausweisung von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen überhaupt angewendet werden kann.
46 
Der Kläger hat sein Recht auf Einschaltung einer „zweiten Stelle“ schließlich auch nicht dadurch verloren, dass er im Anhörungsverfahren vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine Stellungnahme abgegeben hat. Denn Art. 9 RL 64/221/EWG bestimmt nicht, dass eine solche Stellungnahme Voraussetzung für die Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre. Auch im Verfahren vor der „zweiten Stelle“ muss sich der Ausländer nicht beteiligen; es genügt, dass er die Möglichkeit dazu hat.
IV.
47 
Der Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führt zur Aufhebung des Ausweisung, obwohl die europarechtlichen Vorgaben für die Ausweisung durch die RL 2004/38/EG sowohl in formeller als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht neu geregelt worden sind und die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben worden ist (Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG).
48 
Welche verfahrensrechtlichen Anforderungen bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (insbesondere Ausweisungen) gegen Unionsbürger zu beachten sind, ist nunmehr in Art. 31 RL 2004/38/EG geregelt. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung müssen im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Ausweisung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen sie beruht, überprüft werden können. Außerdem muss gewährleistet sein, dass sie insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 RL 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Unabhängig von der Frage, inwieweit die RL 2004/38/EG nicht nur auf Unionsbürger, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 anwendbar ist, ist daher europarechtlich mit Wirkung vom 30.4.2006 nicht mehr erforderlich, dass die Ausweisungsentscheidung durch eine unabhängige zweite Stelle auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden kann (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - 11 LC 324/05 -, InfAuslR 2006, 350).
49 
Das ändert aber nichts daran, dass die Verfügung nach wie vor verfahrensfehlerhaft ist. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
50 
1. Maßstab für die Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 29.12.2003 ist nicht das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sondern das zur Zeit des Erlasses der Verfügung geltende Recht. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist daher weiterhin beachtlich.
51 
Der Beklagte argumentiert, dass die RL 2004/38/EG bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.4.2006 (vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38 EG) Vorwirkungen entfaltet habe. Es genüge daher, wenn bei der Ausweisungsentscheidung gegen den Kläger die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus dieser Richtlinie erfüllt seien. Dem ist nicht zu folgen. Die RL 2004/38/EG datiert vom 29.4.2004, wurde im Amtsblatt der Europäischen Union L 158 vom 30.4.2004 veröffentlicht und trat somit an diesem Tag in Kraft (vgl. Art. 41 RL 2004/38/ EG). Die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger wurde aber bereits am 29.12.2003 und somit vor Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erlassen. Ungeachtet der grundsätzlich zu verneinenden Frage, ob Richtlinien bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalten können (vgl. dazu auch Kühling, Vorwirkungen von EG-Richtlinien bei der Anwendung nationalen Rechts - Interpretationsfreiheit für Judikative und Exekutive?, DVBl., 2006, 857 ff.), können die Bestimmungen der RL 2004/38/EG schon deshalb nicht für das bei der Ausweisung zu beachtende Verfahren maßgeblich gewesen sein.
52 
2.) Was den für die Entscheidung in Ausweisungsfällen maßgebenden Zeitpunkt angeht, so ging das Bundesverwaltungsgericht früher in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Ausweisungsverfügungen unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Ausländers sowohl hinsichtlich der formellen als auch der materiellen Rechtmäßigkeit aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen seien (vgl. Urteil vom 15.3.2004 - 1 C 2.04 -, NVwZ 2005, 1074). Danach bliebe es bei dem einmal begangenen Verfahrensverstoß unabhängig von der weiteren Entwicklung.
53 
Diese Rechtsprechung ist allerdings für Unionsbürger und türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 durch neuere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts überholt. In seinen Urteilen vom 3.8.2004 (- 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 - für Unionsbürger - und - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 - für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 -) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Ausweisung aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts zu überprüfen ist. Das Bundesverwaltungsgericht differenziert dabei nicht zwischen der formellen und der materiellen Rechtmäßigkeit; seine Entscheidungen betreffen allerdings nur Fallgestaltungen, bei denen nur die materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisung im Streit stand.
54 
Die Konsequenz dieser neuen Rechtsprechung wäre, dass ein Verfahrensfehler nicht mehr festgestellt werden könnte; die Ausweisung wäre formell rechtmäßig (so unter Bezugnahme auf die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - a.a.O.).
55 
Eine solche Übernahme der Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt hält der Senat - was das Verwaltungsverfahrensrecht angeht - generell jedoch nicht für zutreffend; ihr stehen Prinzipien des sog. intertemporalen Verfahrensrechts entgegen. Diese verlangen, dass die formelle Rechtmäßigkeit von Ausweisungsverfügungen weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen ist (so auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, a.a.O.; und OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006 - OVG 7 B 16.05 -, InfAuslR 2006, 395).
56 
3.) Ein allgemeiner Grundsatz des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts, wie er auch in § 96 VwVfG zum Ausdruck kommt, besagt, dass neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren erfasst, sich aber nicht mehr auf bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren erstreckt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.7.1992 - 2 BvR 1693, 1728/90 -, NVwZ 1992, 1182, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.5.1991 - A 16 S 2357/90 -, NVwZ-RR 1992, S. 107 und Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl., Rn 1 zu § 96 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
57 
Diese Regel des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts beruht wie das intertemporale Recht insgesamt auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die nicht nur im deutschen Recht, sondern auch in anderen Rechtsordnungen und insbesondere auch im EG-Recht Geltung beanspruchen können (vgl. dazu Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, Die Sozialgerichtsbarkeit 1993, 593/595). Ihr liegt letztlich die Überlegung zugrunde, dass die Verwaltung naturgemäß nur das im Zeitpunkt ihres Tätigwerdens geltende Verfahrensrecht beachten kann. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts wird durch die Betrachtung der umgekehrten Konstellation (Erhöhung der verfahrensrechtlichen Anforderungen nach Abschluss des Verfahrens), bestätigt. Hier kann es ersichtlich nicht angehen, der Verwaltung die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorzuhalten, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht gegolten hat, die damals also noch keine rechtliche Wirkung hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, ZAR 2006, 107/110 und OVG Lüneburg, Urteil vom 15.3.2006 - 10 LB 7/06 -, Asylmagazin 2006, 25/26 jeweils zu § 73 Abs. 2a AsylVfG).
58 
Eine Sondersituation, die ein Abweichen von diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz gebieten könnte, liegt hier nicht vor.
59 
Eine ausdrückliche Übergangsvorschrift enthält die RL 2004/38/EG nicht. Auch sonst kann ihr keine Aussage dahingehend entnommen werden, dass die formelle Rechtmäßigkeit von noch unter der Geltung der RL 64/221/EWG erlassenen Ausweisungsverfügungen jetzt am Maßstab der neuen verfahrensrechtlichen Regelungen in Art. 31 RL 2004/38/EG überprüft werden soll (vgl. dazu auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006, a.a.O., S. 396). Denn sie bezweckt eine Verbesserung der Rechtsstellung Freizügigkeitsberechtigter, wie insbesondere die 3., 22., 23. und 24. Begründungserwägung zeigen. Diese Zielrichtung der Richtlinie würde beeinträchtigt, wenn sie dazu führte, dass eine bislang rechtswidrige Ausweisungsentscheidung jetzt als formell rechtmäßig qualifiziert werden müsste.
60 
Auch sonstige Regeln und Grundsätze des Europarechts führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Vielmehr sprechen die allgemeinen Regeln über die europarechtliche Freizügigkeit dafür, die formelle Rechtmäßigkeit weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen.
61 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen vom 3.8.2004 bei Klagen gegen die Ausweisung von Unionsbürgern und von türkischen Staatsangehörigen unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung deshalb auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt, um den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs Rechnung zu tragen, dass bei Klagen von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 auch eine positive Entwicklung des Ausländers nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Dieses Ziel wird aber bereits dann erreicht, wenn hinsichtlich der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abgestellt wird. Die durch die Änderung der Rechtsprechung bezweckte Verbesserung der Rechtsstellung von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 würde - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - in ihr Gegenteil verkehrt, wollte man auch bei der formellen Rechtmäßigkeit auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abstellen. Letztlich wäre dies auch deshalb bedenklich, weil die die Freizügigkeit beschränkende Normen grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. dazu erneut, EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.).
62 
Diesem Ergebnis entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 (a.a.O.) auch entschieden, dass eine Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig ist. Zwar lässt sich diese Aussage dem Wortlaut nach auch dahin deuten, dass der Verfahrensfehler nicht nach § 45 VwVfG geheilt werden können soll und auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist; der Wegfall einer Verfahrensvorschrift wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht ausdrücklich angesprochen. Dann hätte jedoch eine entsprechend eindeutige Aussage nahe gelegen (zum Begriff des unheilbaren Verfahrensfehlers s. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2002, Rn 600).
63 
Damit kann die Ausweisungsverfügung wegen des nach wie vor relevanten Verfahrensfehlers keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, er werde angesichts der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers wieder eine Ausweisungsverfügung erlassen, ändert daran nichts. Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen zu § 46 VwVfG ergibt, steht gerade nicht fest, dass eine neue Ermessensentscheidung, bei der auch die weitere Entwicklung des Klägers nach Entlassung aus der Haft zu berücksichtigen sein wird, zwangsläufig zu seinem Nachteil ausfallen wird. Abgesehen davon wird der Beklagte vor Erlass eine erneuten Ausweisungsverfügung auch zu prüfen haben, inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung aus Art 28 RL 2004/38 EG auch für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 gelten und ggf. erfüllt sind. Das Ergebnis ist offen.
64 
Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtswidrig, denn die Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist nicht erloschen (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), sondern besteht vielmehr als Niederlassungserlaubnis fort (§ 101 Abs. 1 AufenthG), weshalb der Kläger nicht ausreisepflichtig ist.
65 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.4.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Rechtsfrage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; einerseits enthalten die oben genannten Urteile vom 3.8.2004 keine ausdrückliche Aussage dahin, dass auch hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, andererseits können seine Urteile vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 auch dahingehend interpretiert werden, dass der Begriff „unheilbarer Verfahrensfehler“ nur im Hinblick auf die Regelungen in §§ 45, 46 VwVfG von Relevanz ist, aber keine Aussage für die Zeit nach Außerkrafttreten der RL 64/221 treffen soll. Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandskräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie gegebenenfalls noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen haben (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 -, DVBl. 1995, 569 und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712 jeweils m.w.N.).
67 
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt;
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt;
3.
den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein;
4.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann;
5.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht;
6.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt;
2.
eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat;
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war;
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungsandrohungen, Aussetzungen der Abschiebung und Abschiebungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen und der Befristung ihrer Wirkungen sowie begünstigende Maßnahmen, die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren und Befreiungen von der Passpflicht, Entscheidungen über Kosten und Gebühren, bleiben wirksam. Ebenso bleiben Maßnahmen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit Sicherheitsleistungen wirksam, auch wenn sie sich ganz oder teilweise auf Zeiträume nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beziehen. Entsprechendes gilt für die kraft Gesetzes eingetretenen Wirkungen der Antragstellung nach § 69 des Ausländergesetzes.

(2) Auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 wird die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.

(2) Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Insbesondere kann die Aufenthaltserlaubnis mit einer räumlichen Beschränkung versehen werden, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a besteht und dies erforderlich ist, um den Ausländer aus einem Umfeld zu lösen, welches die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten begünstigt.

(3) Ein Ausländer hat den Teil des Bundesgebiets, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.

(4) Der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden.

(5) Die Ausländerbehörde kann dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage dieses Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Ausländer kann Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. März 2005 - 5 K 132/04 - geändert; die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. Dezember 2003 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.
Der am ....1974 in Leonberg geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, lebte - von einem einjährigen Türkeiaufenthalt im Alter von vier Jahren abgesehen - immer im Bundesgebiet bei seinen Eltern, die zwischenzeitlich eingebürgert sind. Er hat zwei 1980 und 1985 geborene Geschwister. Am 30.10.1990 wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Im Jahre 1992 erwarb er auf einer Privatschule den Realschulabschluss. Den Besuch eines Berufskollegs zur Erlangung der Fachhochschulreife brach er im Jahre 1994 ab. Anschließend war er - unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit - für verschiedene Arbeitgeber tätig. Ende 2000 eröffnete er eine Gastwirtschaft.
Der Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, u.a. wie folgt:
Am 2.11.1995 verurteilte ihn das Landgericht Stuttgart im Berufungsverfahren - 4 Ns 772/5 - wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Im Urteil wird festgestellt, dass der Kläger den Geschlechtsverkehr zielstrebig, rücksichtslos und völlig ohne Bedenken im Hinblick auf die möglichen negativen Folgen für die Geschädigte erzwungen habe. Auch habe er wenig Unrechtseinsicht oder gar Reue erkennen lassen. Das Opfer, ein damals 16 Jahre altes Mädchen, beging wenige Tage nach der Tat einen Selbstmordversuch.
Mit Urteil vom 1.8.2003 - 20 KLs 21 Js 22916/03 - verhängte das Landgericht Stuttgart gegen den Kläger wegen Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall (§ 177 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. Zugunsten des Klägers berücksichtigte das Landgericht u.a., dass es sich um eine Beziehungstat gehandelt habe und das Opfer anfänglich mit dem Austausch von Zärtlichkeiten einverstanden gewesen sei, der Kläger ein Geständnis abgelegt, Schmerzensgeld geleistet und sich schriftlich und mündlich in der Hauptverhandlung bei dem Opfer entschuldigt habe, weshalb auch die fakultative Strafmilderung gemäß §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB zur Anwendung gekommen sei. Zu Lasten des Täters sei jedoch ins Gewicht gefallen, dass er das Opfer zusätzlich geschlagen und erniedrigt und ihm erhebliche Blutergüsse und sonstige Verletzungen zugefügt habe. Auch sei der Kläger bereits einschlägig vorbestraft . Es sei daher auch dringend erforderlich, dass der Kläger aktiv am Vollzugsziel mitarbeite und die entsprechenden Möglichkeiten in der Justizvollzugsanstalt in Anspruch nehme, um sein erhebliches Aggressionspotential zu reduzieren und künftig kontrollieren zu können.
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium daraufhin den Kläger mit Verfügung vom 29.12.2003 unter Anordnung des Sofortvollzuges aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte es aus, dass die Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart vom 1.8.2003 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten den Tatbestand der Regelausweisung gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle; denn schon angesichts der Höhe des Strafmaßes sei die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung nach § 56 StGB nicht mehr in Betracht gekommen. Weil der Kläger jedoch eine Aufenthaltsberechtigung besitze und vor der Inhaftierung mit seinen eingebürgerten Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft zusammengelebt habe, genieße er erhöhten Ausweisungsschutz gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AuslG. Die damit für die Ausweisung in tatbestandlicher Hinsicht erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit (§ 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG) lägen vor. Wie das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 1.8.2003 zeige, habe er in der Nacht vom 17. auf den 18.3.2003 erneut eine Frau vergewaltigt, obwohl das Opfer der vorangegangenen Vergewaltigung einen Selbstmordversuch begangen habe. Damit sei durch die Begehung weiterer Straftaten bestätigt worden, dass bei ihm eine schwerwiegende Aggressionsproblematik vorliege. Trotz des Geständnisses und der Entschuldigung beim Opfer habe ihm daher keine günstige Sozialprognose gestellt werden können. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger erneut schwerwiegende Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut erheblich gefährden werde. Von ihm gehe eine bedeutsame Gefahr für wichtige Schutzgüter aus. Vor diesem Hindergrund sprächen nicht nur spezialpräventive, sondern auch generalpräventive Gründe für seine Ausweisung. Auch die wegen des dem Kläger zustehenden erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu treffende Ermessensentscheidung könne nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Zugunsten des Klägers sei im Rahmen des § 45 Abs. 2 AuslG zwar zu berücksichtigen, dass er hier im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sei. Auch die Bindungen an seine Eltern (die familiäre Lebensgemeinschaft solle nach der Haftentlassung fortgesetzt werden) und in geringerem Maße an seine Geschwister fielen ebenso wie seine wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet und sein freies Zugangsrecht zum deutschen Arbeitsmarkt zu seinen Gunsten ins Gewicht. Umgekehrt zeigten die von ihm begangenen schweren Straftaten jedoch, dass seine Integration in die deutschen Lebensverhältnisse nur unvollständig gelungen sei. Auch die Beziehungen zu seiner Familie hätten ihn von deren Begehung nicht abhalten können. Zudem befinde er sich in einem Alter, in dem mit der Loslösung von den Eltern ohnehin zu rechnen sei. Bei einem Ausländer der zweiten Generation wie ihm sei auch davon auszugehen, dass er noch über Grundkenntnisse der türkischen Sprache verfüge und sich jedenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Türkei auch eine wirtschaftliche Lebensgrundlage werde schaffen können. Auch in Deutschland sei seine wirtschaftliche Grundlage nicht gesichert gewesen, wie die hohen Schulden aus der Eröffnung der Gastwirtschaft zeigten. Angesichts der Schwere der von ihm ausgehenden Gefahr überwiege daher das öffentliche Interesse an seiner Entfernung aus dem Bundesgebiet auch vor dem Hintergrund der Regelungen in Art. 6 GG bzw. 8 EMRK sein privates Interesse daran, weiterhin in Deutschland bleiben zu können. Zwar genieße er nach einem zehnjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet erhöhten Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens; das Bundesverwaltungsgericht habe jedoch bereits entschieden, dass dieser nicht weiterreiche als der bereits durch Art. 48 AuslG gewährte. Auf Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 könne sich der Kläger nicht berufen, denn er habe den Arbeitsmarkt verlassen, um sich selbständig zu machen. Jedenfalls sei eine solche aufenthaltsrechtliche Position auch in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 durch seine Inhaftierung erloschen. Ungeachtet dessen stehe auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 seiner Ausweisung nicht entgegen, denn von ihm gehe die konkrete Gefahr aus, dass er erneut schwerwiegende Straftaten begehen werde.
Am 12.1.2004 hat der Kläger mit dem Antrag, die Verfügung des Beklagten vom 29.12.2003 aufzuheben, vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe das einmal nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 erworbene Aufenthaltsrecht weder durch die nachfolgende Tätigkeit als Selbständiger noch durch seine Inhaftierung oder die Einbürgerung seiner Eltern verloren. Die Ausweisung verstoße damit gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Denn die danach erforderliche Einholung der Stellungnahme einer unabhängigen zweiten Stelle sei unterblieben, obwohl während seiner Inhaftierung dafür ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe. Die deutschen Verwaltungsgerichte könnten die Ausweisungsverfügung nur auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen und daher die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung nicht vornehmen. Auch habe das Regierungspräsidium die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr falsch eingeschätzt. Das Opfer der zweiten Vergewaltigung sei anders als bei der ersten Tat kein wehrloses Kind gewesen, sondern eine grundsätzlich zum Geschlechtsverkehr bereite erwachsene Frau. Aus einer solchen Beziehungstat ergebe sich keine Wiederholungsgefahr, zumal er auch von ihr abgelassen habe, als sie zu weinen begonnen habe. Schließlich habe das Regierungspräsidium auch weder seine Entwicklung in der Strafhaft berücksichtigt noch in die Ermessenserwägungen eingestellt, dass die Ausweisung für einen Ausländer der zweiten Generation eine soziale Hinrichtung bedeute. Die Anforderungen aus Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG vom 29.4.2004 seien ebenfalls nicht erfüllt. Diese Bestimmung, die nicht genuin neues Recht schaffe, sondern lediglich das Gemeinschaftsrecht konkretisiere und daher schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.4.2006 auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden sei, bestimme, dass die Ausweisung nach einem zehnjährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nur noch aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit zulässig sei. Diese lägen bei ihm aber nicht vor. Schließlich seien ihm wegen der verfügten Ausweisung in der Haft auch keine psychologischen Maßnahmen zur Aufarbeitung der begangenen Tat bewilligt worden.
Mit Urteil vom 22.3.2005 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen und dabei zur Begründung ausgeführt: Die gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin wirksame Ausweisung sei rechtmäßig, wobei offen bleiben könne, ob sich der Kläger als selbständiger Gastwirt und Kind ehemals türkischer, jetzt eingebürgerter Eltern überhaupt auf den aufenthaltsrechtlichen Schutz aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 berufen könne; denn Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nicht verletzt, obwohl gegen die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nach § 6a AGVwGO kein Widerspruch stattfinde, sondern sofort die Anfechtungsklage statthaft sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Urteile vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -) genüge der in Deutschland gewährte verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz den Anforderungen an die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung. Abgesehen davon liege auch ein „dringender Fall“ im Sinn dieser Vorschrift vor, weil das Regierungspräsidium den Sofortvollzug angeordnet habe. Am Maßstab des Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG sei die Ausweisung nicht zu prüfen, denn diese Richtlinie sei erst bis zum 30.4.2006 in deutsches Recht umzusetzen und daher gegenwärtig noch nicht unmittelbar anwendbar. Die Ausweisung verstoße auch sonst nicht gegen materielles Recht. Das vom Landgericht Stuttgart abgeurteilte Gewaltdelikt des Klägers, eine Vergewaltigung mit vorsätzlicher Körperverletzung, erfülle den Tatbestand einer Regelausweisung nach § 54 Nr. 1 AufenthG und stelle damit eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, zumal das Opfer erhebliche Verletzungen in Form zahlreicher Blutergüsse erlitten habe, durch die auch beträchtliche Behandlungskosten zu Lasten der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten entstanden seien. Das der Straftat zugrunde liegende Verhalten des Klägers stelle auch eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Er sei hinsichtlich der Vergewaltigung nicht nur Wiederholungstäter, sondern habe im Urteil des Landgerichts Stuttgart auch ein erhebliches Aggressionspotential attestiert bekommen. Entgegen der Annahme des Landgerichts Stuttgart sei es ihm im Strafvollzug nicht gelungen, sein Aggressionspotential zu kontrollieren und zu reduzieren. Deshalb habe es das Landgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 15.3.2005 auch abgelehnt, den Kläger gemäß § 57 Abs. 1 StGB bedingt aus der Strafhaft zu entlassen. Denn ein kriminalprognostisches Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger impulsiv und rücksichtslos egozentrisch sei, ein deutliches Empathiedefizit aufweise und keine echte Einsicht in seine eigenen aggressiven Verhaltensweisen zeige, weshalb die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Das Ergebnis des kriminalprognostischen Gutachtens decke sich dabei mit einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heimsheim. Darauf, dass ihm im Strafvollzug wegen seiner ausländerrechtlichen Situation keine psychologischen Hilfen bewilligt worden seien, könne er sich schon deshalb nicht berufen, weil er nicht die dagegen im Strafvollzugsgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfe eingelegt habe. Die vom Regierungspräsidium Stuttgart getroffene Ermessensentscheidung - deren tatbestandlichen Grundlagen unverändert fortbestünden - sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
10 
Das Urteil ist dem Kläger am 14.6.2005 zugestellt worden; einen Tag später hat er die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 23.1.2006 hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; mit der am 6.2.2006 eingegangenen Berufungsbegründung beantragt der Kläger nunmehr,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22.3.2005 - 5 K 132/04 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.12.2003 aufzuheben.
13 
Der Kläger trägt vor, die einmal erworbene Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 stehe ihm trotz der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit und der Inhaftierung weiterhin zu. Ebenso sei das Schicksal des Stammberechtigten (Einbürgerung der Eltern) unbeachtlich. Der EuGH habe in den Verfahren Cetinkaya und Aydinli entschieden, dass die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nur erlöschen würden, wenn gegen den Betroffenen eine Maßnahme gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 getroffen werde oder dieser den Aufnahmemitgliedstaat während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigten Grund verlassen habe. Art. 7 ARB 1/80 wolle die Familieneinheit fördern. Der EuGH habe in seinem Urteil in der Sache Dörr und Ünal weiter entschieden, dass die Verfahrensgarantie aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar sei. Der dort geforderten Zweckmäßigkeitskontrolle werde nur genügt, wenn der Ausländer die Möglichkeit habe, sich zur bestmöglichen Lösung für seine Resozialisierung zu äußern. Die Überprüfung auf Ermessensfehler im deutschen Verwaltungsprozess bleibe hinter diesen Anforderungen zurück. Dementsprechend habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil im Rahmen der Kontrolle der Ermessensausübung auch nicht geprüft, ob seine Resozialisierung im Bundesgebiet besser möglich sei als in der Türkei. Erst recht habe es verkannt, dass das Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesichts der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet von mittlerweile mehr als einem Vierteljahrhundert hinter seinen privaten Interessen zurücktreten müsse und nur noch im Falle einer hier nicht gegebenen Gefährdung der Sicherheit des Staates Vorrang haben könne. Mittlerweile habe auch das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliege, wenn gegen eine Ausweisung kein Widerspruch stattfinde, denn die Zweckmäßigkeitskontrolle sei in dem dann sofort statthaften verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gewährleistet. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde auch nicht durch die Anordnung des Sofortvollzuges unbeachtlich. Ein dringender Fall liege nicht vor. Er sei am 21.3.2003 in Untersuchungshaft genommen worden. Angesichts der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sei vor September 2004 mit einem Ende der Haft überhaupt nicht zu rechnen gewesen, weshalb ausreichend Zeit für die Einschaltung einer zweiten Stelle zur Verfügung gestanden habe. Aus den schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht genannten Gründen sei die Ausweisung auch wegen Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG rechtswidrig. Nach einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet sei eine Ausweisung nur noch aus Gründen der Staatssicherheit zulässig. Auch könne ihm die mangelnde Resozialisierung im Strafvollzug nicht angelastet werden, weil sie die Folge von Einsparbemühungen der öffentlichen Hand sei und damit in deren Verantwortungsbereich falle.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Er trägt vor, der Kläger könne sich auf die Rechtsposition aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 unabhängig von seiner Inhaftierung schon deshalb nicht mehr berufen, weil er sich selbständig gemacht habe. Auch Unionsbürger könnten sich nur eine begrenzte Zeit - nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Tetik (Urteil vom 23.1.1997 - C 171/95 -, InfAuslR 1997, 146) längstens ein Jahr - auf das Freizügigkeitsrecht berufen, aber nicht mehr, wenn sie - wie der Kläger - den Arbeitsmarkt endgültig verlassen hätten. Wollte man bei assoziationsberechtigten Türken anders entscheiden, so bedeutete dies, dass sie besser stünden als Unionsbürger, was nach Art. 59 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei unzulässig sei. Auch der EuGH habe sich in seinen Urteilen in den Sachen Cetinkaya und Aydinli nicht mit der Konstellation auseinandergesetzt, dass der Betroffene überhaupt nicht mehr arbeiten könne oder wolle. Andernfalls hätte er zu seinem Urteil in der Sache Tetik und dem Schlechterstellungsverbot für Unionsbürger aus Art. 59 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei Stellung nehmen müssen. Der behauptete Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG - so er überhaupt vorliege - sei jedenfalls unbeachtlich. Angesichts der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten und der weiter von ihm ausgehenden Gefahr hätte auch die Einschaltung einer „zweiten Stelle“ nicht zu einem anderen Ergebnis geführt, zumal der Kläger auch die Gelegenheit zur Stellungnahme im Anhörungsverfahren nicht genutzt habe. Auch sei die Richtlinie 64/221/EWG mit Ablauf des 30.04.2006 außer Kraft getreten, und die Nachfolgebestimmung in Art. 31 RL 2004/38/EG verlange einen so weitgehenden Rechtsschutz überhaupt nicht mehr. Ungeachtet dessen liege auch ein dringender Fall vor, weil beabsichtigt gewesen sei, den Kläger aus der Haft abzuschieben. Angesichts seiner Gefährlichkeit wäre die Ausweisung bzw. die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt auch im vergleichbaren Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zulässig. So habe die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe wegen seiner fortdauernden Gefährlichkeit die Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt. Dass der Kläger ausweislich der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverständigenstellungnahmen sein aggressives Verhalten weiterhin leugne, sei auch eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Therapie gegen sein aggressives Verhalten.
17 
Mit Beschluss vom 19.1.2006 - 13 S 1207/05 - hat der Senat unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 6.6.2005 - 5 K 2798/04 - die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt und gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet.
18 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (2 Bände), die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart einschließlich der Akten aus dem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und die Akten über das Beschwerdeverfahren vor dem Senat vor; auf den Inhalt dieser Akten wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere hat sie der Kläger nach Zulassung durch den Senat mit Beschluss vom 23.1.2006 - 13 S 1268/06 - gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen aus § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Sätze 4 und 5 VwGO begründet. Denn die Bezugnahme auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren lässt erkennen, aus welchen Gründen er das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts für unrichtig hält (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., Rn 68 zu § 124a).
20 
Die Berufung hat auch sachlich Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn sie ist zulässig und begründet. Die gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.12.2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 
Die Ausweisung des Klägers, der sich auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann (I.), ist wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221 - die Bestimmung findet nicht nur auf Unionsbürger Anwendung, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 - verfahrensfehlerhaft (II.). Dieser Verstoß ist nicht unbeachtlich (III.), und der Anspruch des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung besteht unabhängig davon, dass die Richtlinie 64/221/EWG gemäß Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Ablauf des 30.4.2006 außer Kraft getreten ist (IV.).
I.
22 
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Kläger der assoziationsrechtliche Status aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 zu, womit er nicht nur ein Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch ein damit korrespondierendes - erhöhten Ausweisungsschutz vermittelndes - Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet besitzt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 -[Cetinkaya], InfAuslR 2005, 13 m.N. aus der früheren Rechtsprechung des EuGH zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht).
23 
Auch der Beklagte stellt nicht in Frage, dass der Kläger mindestens fünf Jahre ordnungsgemäß mit seinen Eltern, die damals noch türkische Staatsangehörige waren, zusammengelebt und dadurch das Recht aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hat (vgl. dazu bereits den Beschluss des Senats vom 19.1.2006 - 13 S 1207/05 -).
24 
Durch die nachfolgende Entwicklung hat der Kläger diese Rechtsposition nicht verloren. Dass er sich Ende des Jahres 2000 als Gastwirt selbständig gemacht hat und damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr als unselbständiger Arbeitnehmer zur Verfügung stand, hat weder unmittelbar (1.) noch mittelbar über einen Erlöschenstatbestand gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (2.) zum Verlust des Rechts aus Art 7 Abs. 1 ARB 1/80 geführt. Ein Verstoß gegen das sogenannte Besserstellungsverbot ist darin nicht zu sehen (3.). Ebensowenig hatten die Strafhaft und die Einbürgerung seiner Eltern Einfluss auf die Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 (4).
25 
1.) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings vertreten worden, dass die auf Dauer angelegte Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit (Eröffnung einer Gaststätte durch den Kläger) das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB entfallen lässt, weil der Ausländer dann dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 1303/04 - (juris) und Mallmann, Neuere Rechtsprechung zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht türkischer Familienangehöriger, ZAR 2006, 50/54, FN 35 m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung des EuGH jedoch keinen Bestand mehr haben. In dem bereits genannten Urteil vom 11.11.2004 [Cetinkaya] hat der EuGH unter Rn 38 ausgeführt, dass das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden könne, nämlich nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit oder weil der Betroffene das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Dem schließt sich der Senat an. In Reaktion auf das Urteil des EuGH in der Sache Cetinkaya hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen allerdings weiterhin die Auffassung vertreten, dass Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht nur zum Zwecke der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung oder zum ernsthaften Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt verleihe (vgl. Beschluss vom 10.12.2004 - 18 B 2599/04 -, InfAuslR 2005, 92). Zur Begründung führte es aus, der EuGH habe sich in der Sache Cetinkaya mit der Frage eines Aufenthaltsrechts, ohne arbeiten zu wollen, gar nicht beschäftigen müssen, da der Kläger in diesem Verfahren vor seiner Inhaftierung stets erwerbstätig gewesen sei. Im übrigen beschreibe der EuGH das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 als ein solches auf Zugang zur Beschäftigung und zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Daraus sei zu folgern, dass der Fortbestand des Rechts die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung oder wenigstens das Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt voraussetze. Mit dieser Argumentation verkennt das OVG Nordrhein-Westfalen jedoch, dass der EuGH in dem Urteil in der Sache Cetinkaya stets nur von einem Recht auf Aufenthalt bzw. auf Zugang zum Arbeitsmarkt gesprochen, das Aufenthaltsrecht aber nicht mit einer Pflicht verknüpft hat, dem Arbeitsmarkt als unselbständig Erwerbstätiger oder Arbeitssuchender zur Verfügung zu stehen. Unter Rn 30 des Urteils führt er im Gegenteil explizit aus, die Mitgliedstaaten seien nach Erwerb des Rechts aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht befugt, das Aufenthaltsrecht noch von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. Zutreffend wird in der Literatur (Gutmann, InfAuslR 2005, 94) darauf hingewiesen, der EuGH habe unter Rn 33 seines Urteils sogar festgestellt, die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 könnten dem türkischen Arbeitnehmer nicht dadurch genommen werden, dass er nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Nach dem Grund des Ausscheidens differenziere der EuGH dabei nicht. Sogar im Aufnahmeland geborene Kinder, die den Arbeitsmarkt nie betreten hätten, sollten im Gegenteil das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB erwerben, ohne dass ein Verlusttatbestand für den Fall normiert worden sei, dass sie später keine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnähmen. In seinem Urteil vom 7.7.2005 (- C- 373/03- [Aydinli], InfAuslR 2005, 352) hat der EuGH seine Entscheidung in der Sache Cetinkaya nicht nur bestätigt, sondern unter Rn 29 ausdrücklich entschieden, anders als bei Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hänge die Entstehung des Beschäftigungsrechts der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht davon ab, dass diese dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Staates angehörten und während einer bestimmten Dauer eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis ausübten. Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 gewähre den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers mithin Zugang zu einer Beschäftigung, lege ihnen jedoch keine Verpflichtung auf, eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wie das in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehen sei (so auch Döring, Erhöhter Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige, DVBl. 2005, 1221/1225).
26 
2.) Auch ein - denkbarer - Erlöschenstatbestand nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hätte die Rechtsstellung des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entfallen lassen.
27 
Der Kläger war nach Abbruch des Berufskollegs im Jahre 1994 bis zur Eröffnung der Gaststätte im Jahre 2000, wenn auch unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, immer wieder als Arbeitnehmer tätig. Ob er in dieser Zeit auch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben hat, ist nicht geklärt, aber auch rechtlich unerheblich. Hätte er den Status nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben, wäre dieser nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt wohl erloschen. Das unabhängig davon erworbene Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 wäre dadurch jedoch nicht untergegangen. Wie der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 („vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7“) zeigt, ist Art. 7 ARB 1/80 eine Spezialvorschrift zu Art. 6 ARB 1/80 (vgl. dazu auch Urteil des EuGH vom 7.7.2005, C-373/03-, [Aydinli], Rn 19, zitiert nach Mallmann, a.a.O., S. 53, Fn 32, dort auch zur teilweise abweichenden Auffassung der Generalanwälte des EuGH; siehe auch Döring a.a.O.). Auch unter Wertungsgesichtspunkten erschiene es im übrigen nicht vertretbar, wenn der zusätzliche Erwerb einer weiteren Rechtsposition (Recht aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80) dazu führen würde, dass das bereits zuvor erworbene Recht (aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80) unter erleichterten Voraussetzungen verloren geht.
28 
3.) Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH, wonach der Fortbestand der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 nicht von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von Bemühungen zur Aufnahme einer solchen Tätigkeit abhängt, führt auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.9.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (vgl. BGBl. II 1992, 385/396) - Zusatzprotokoll -, wonach der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.
29 
Der europäische Gerichtshof hat allerdings bereits entschieden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten nur verpflichtet, Unionsbürgern eine angemessene Zeit einzuräumen, damit sie sich im Aufnahmemitgliedstaat eine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle suchen und sich gegebenenfalls dafür bewerben können; sie gewährt allerdings kein von der Bereitschaft zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit unabhängiges Aufenthaltsrecht (vgl. Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 -, Antonissen, Slg 1991, I-745, Rn 13, 15 und 16 sowie erneut im Zusammenhang mit einem nach Art. 6 ARB 1/80 berechtigten türkischen Staatsangehörigen im Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - [Tetik], InfAuslR 1997, 146, Rn 27).
30 
Ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung türkischer Staatsangehöriger aus Art. 59 Zusatzprotokoll liegt gleichwohl nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, verlieren auch türkische Staatsangehörige, die als Arbeitnehmer ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, ihre Rechtsstellung wieder, wenn sie dem Arbeitmarkt als unselbständige Arbeitnehmer nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. zu den Einzelheiten des Rechtsverlusts insbesondere EuGH, Urteil vom 20.2.2000 - C-340/97 -, [Nazli], InfAuslR 2000, 161, Rn 40 ff.). Die Situation der türkischen Staatsangehörigen, die als Arbeitnehmer ein originäres Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, entspricht damit derjenigen der Unionsbürger, die sich auf ihr Freizügigkeitsrecht berufen: Der Fortbestand des Rechts ist jeweils von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit oder wenigstens dem Willen und der Möglichkeit zur Aufnahme einer solchen abhängig.
31 
Demgegenüber erwerben Familienangehörige eines Unionsbürgers - ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit - das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie sich fünf Jahre rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben (vgl. Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2004/38/EG). Die Entstehung und der Fortbestand des Daueraufenthaltsrechts ist nicht an die Voraussetzungen aus Kap. III der RL 2004/38/EG geknüpft (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG), steht also in keinem Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl. Art. 7 ARB 1/80). Ebenso ist bereits vor Ablauf des Fünfjahreszeitraumes aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie das Aufenthaltsrecht nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig (vgl. Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer mit einem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 werden also nicht besser gestellt als die von Unionsbürgern.
32 
Der Beklagte macht in diesem Zusammenhang ohne Erfolg geltend, ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung resultiere daraus, dass der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 weiter sei als der in Art 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG; insbesondere erfasse Art. 7 ARB 1/80 auch Verwandte in gerader absteigender Linie, die das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben und denen der Stammberechtigte keinen Unterhalt gewährt (vgl. dazu Art. 2 Nr. 2 c RL 2004/38/EG). Dieser Argumentation ist aber nicht zu folgen: Zwar ist der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 anders als in Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG nicht ausdrücklich definiert. Der EuGH hat jedoch bereits entschieden, dass er zur Sicherstellung seiner homogenen Anwendung auf Gemeinschaftsebene in Art. 7 ARB 1/80 ebenso auszulegen ist wie in den Freizügigkeit gewährenden Normen des Gemeinschaftsrechts (vgl. Urteil vom 30.09.2004 - C-275/02 -, [Ayaz], InfAuslR 2004, 416 RN 45). Er hat sich dabei auf den Begriff des Familienangehörigen aus Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 gestützt. Nachdem diese Bestimmung durch Art. 38 Abs. 1 RL 2004/38/EG aufgehoben worden ist, bestehen aus Sicht des Senats keine Bedenken, die im hier maßgeblichen Punkt inhaltlich übereinstimmende Definition in Art 2 RL 2004/38/EG - der Nachfolgebestimmung - heranzuziehen, so dass es aufgrund der einheitlichen Auslegung des Tatbestandsmerkmals auch insoweit nicht zu einem Verstoß gegen das Besserstellungsverbot kommt.
33 
4.) Wie sich aus den zitierten Entscheidungen des EuGH in den Sachen Cetinkaya und Aydinli ergibt, ist das Recht des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 auch weder mit dem Eintritt der Volljährigkeit noch durch die Verbüßung der verhängten Strafhaft erloschen (vgl. zur Verbüßung der Strafhaft auch BVerwG, Urteil vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und DVBl. 2006, 317). Ebenso ist unbeachtlich, dass die Eltern des Klägers als Stammberechtigte, von denen er sein Aufenthaltsrecht ableitet, mit der Einbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben. Denn eine Verstärkung der Rechtsstellung des Stammberechtigten kann keinen Verlusttatbestand für das von ihm abgeleitete Recht des Familienangehörigen darstellen.
II.
34 
Die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger geltenden verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG finden auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 Anwendung (1.). Sie wurden vorliegend nicht beachtet, weshalb die Ausweisung des Klägers rechtswidrig war (2.).
35 
1.) Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -, [Dörr und Ünal, InfAuslR 2005, 289) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar nur für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die - wie der Kläger - über ein Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 verfügen (vgl. Urteile vom 13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 und DVBl. 2006, 372 sowie vom 6.10.2005, a.a.O.). Diesen Ausgangspunkt teilt der Senat (s. etwa Beschluss vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -)
36 
2.) Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sieht vor, dass, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes trifft, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist. Diese Vorgaben wurden nicht beachtet.
37 
2.1) Hinsichtlich des in Art. 9 Abs. 1 ARB 1/80 angesprochenen Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung ist nicht zu bestreiten, dass die Ausweisungsentscheidung nach deutschem Prozessrecht nur auf ihre Rechtmäßigkeit, nicht aber auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft wird. Denn gemäß § 114 Satz 1 VwGO kann Ermessen - darum geht es hier - nur auf Rechtsfehler hin überprüft werden, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Die vom EuGH geforderte erschöpfende Prüfung aller der Ausweisungsverfügung zugrunde liegenden Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit ist danach gemäß Art. 68 Abs. 1 VwGO nur im Widerspruchsverfahren, nicht aber im Verwaltungsprozess möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.9.2006, a.a.O., unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01- und - C-493/01 -, [Orfanopoulos und Oliveri], InfAuslR 2004, 268, Rn 103 ff.). Dieser Auffassung folgt auch der Senat. Der 11. Senat des erkennenden Gerichtshofs hat seinen gegenteiligen Standpunkt, wonach die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte im deutschen Verwaltungsprozess gewährleistet sei, weil beim Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgegangen werden dürfe (vgl. Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481), im Anschluss an die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegeben (vgl. Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Da gegen Ausweisungsverfügungen der Regierungspräsidien gemäß § 6a AGVwGO kein Widerspruch gegeben, sondern sofort die Anfechtungsklage statthaft ist, verstößt eine Ausweisung ohne vorherige Einschaltung einer „zweiten zuständigen Stelle“ nur bei Vorliegen eines dringenden Falles nicht gegen Art. 9 RL 64/221/EWG.
38 
2.2) Ein solcher dringender Fall war (und ist) hier jedoch nicht gegeben. Hinsichtlich der Überprüfung, ob eine Ausweisung dringlich im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist, besteht kein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung, vielmehr unterliegt dieses Tatbestandsmerkmal der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Auch der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren keinen gegenteiligen Standpunkt mehr vertreten.
39 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.9.2005 - BVerwG 1 C7.04 -, a.a.O. ist das Merkmal der Dringlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“; ein dringender Fall könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung nicht zu verantworten sei, etwa weil die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Die Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde sei dann nicht hinnehmbar. Daher genüge für die Annahme eines dringenden Falles nicht, dass die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe. Vielmehr müsse (vergleichbar den Anforderungen aus § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt werden, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Dazu seien die im konkreten Einzelfall einander widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen. Weil die dabei maßgeblich zu berücksichtigende Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr während der Zeit seiner Inhaftierung regelmäßig entfallen werde, könne ein dringender Fall nur dann angenommen werden, wenn er aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Umgekehrt scheide die Annahme eines dringenden Falles aus, wenn die Ausländerbehörde den Fall selbst nicht als dringlich erachte und behandle, das Verfahren selbst nicht zügig betreibe, die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von dieser nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
40 
Vor dem Hintergrund dieser neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Senat seine frühere Auffassung, wonach ein dringender Fall regelmäßig anzunehmen sei, wenn wie vorliegend die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde (vgl. Beschlüsse vom 22.3.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff. und vom 26.8.2005 - 13 S 1482/05 -), aufgegeben (vgl. Beschlüsse vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 - und vom 21.02.2006 - 13 S1953/05 -).
41 
Bei einem Ausländer, der sich - wie der Kläger - während des Ausweisungsverfahrens in Haft befindet, scheidet daher die Annahme eines dringenden Falles in aller Regel aus, wenn vor dem Entlassungszeitpunkt oder der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft ausreichend Zeit zur Einschaltung der in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderten zweiten Stelle besteht; anders ist es, wenn auch in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht (vgl. dazu und auch zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt - Erlass der Ausweisungsverfügung oder Entscheidung des Gerichts - insoweit abzustellen ist VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - ).
42 
Nach diesem Maßstab war ein dringender Fall hier nicht gegeben. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sowie des Beginns der Inhaftierung (März 2003) vor September 2004 weder mit einer Entlassung noch mit einer Abschiebung aus der Haft zu rechnen war. Die Abschiebung aus der Haft nach § 456a StPO kommt im Regefall frühestens nach Vollstreckung der Hälfte der Freiheitsstrafe in Betracht (vgl. dazu die AV des JuM vom 17.10.1996, Die Justiz S. 500, III. 1. c). Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hätte beim Kläger ohnehin erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe erfolgen dürfen, da die verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt und der Kläger außerdem auch bereits wiederholt inhaftiert war (vgl. § 57 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB). Bei der Entscheidung über die Ausweisung am 29.12.2003 stand damit ausreichend Zeit für die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung zur Verfügung. Dies gilt um so mehr, als die Ausländerbehörde auch nach einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft gemäß § 456a StPO den Zeitpunkt der Abschiebung selbst bestimmen kann und damit die Möglichkeit hat, mit dieser bis zum Abschluss des Verfahrens vor der zweiten Stelle zuzuwarten. Dafür, dass auch während der Zeit der Inhaftierung vom Kläger eine schwere Gefahr ausgehen würde, sind Gründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
III.
43 
Der damit vorliegende Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich.
44 
Überwiegend wird vertreten, dass diese Norm ebenso wenig wie auf sog. absolute Verfahrensfehler (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 15.1.1982 -4 C 26.78-, BVerwGE 64, 325 ff.) auf Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationalen Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, anwendbar sei; dies wird aus dem Erfordernis effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) geschlossen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., Rn 20 zu § 46; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., RN 176 ff zu § 45; VG Stuttgart, Urteil vom 7.2.2006 - 5 K 5146/04 -, [Vensa] und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, m.N. auch zur gegenteiligen Auffassung und zum europarechtlichen Verständnis des Verwaltungsverfahrens). Danach würde Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG bereits vom Anwendungsbereich her ausscheiden.
45 
Ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf Verfahrensfehler nach Europarecht ist der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG aber auch deshalb nicht nach dieser Norm unbeachtlich, weil nicht offensichtlich ist, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, dürfen nämlich nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG (jetzt: § 55 AufenthG) ausgewiesen werden. Dabei sind neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Die Verwirklichung eines Ist- oder Regelausweisungstatbestandes darf zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder eines sonstigen Automatismus; maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315/319 ff.). War danach über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Eine sog. Ermessensreduktion auf Null, bei der dies ausnahmsweise anders sein könnte (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 32 und 35 zu § 46 VwVfG), liegt trotz der vom Kläger begangenen schwerwiegenden Straftaten und der weiterhin auch nach Auffassung des Senats konkret gegebenen Wiederholungsgefahr nicht vor. Eine „zweite Stelle“ hätte in eigener Kompetenz und Verantwortung eine Abwägung zu treffen gehabt, deren Ergebnis nicht von vornherein unzweifelhaft feststand. So wäre etwa zu Gunsten des Klägers seine starke Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu berücksichtigen gewesen. Der Argumentation des Beklagten, auch im Falle der Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre der Kläger auf jeden Fall ausgewiesen worden, kann schon aus diesem Grund nicht gefolgt werden. Ein solche „zweite Stelle war zudem zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht geschaffen worden; auch deswegen ist eine Vorhersage über denkbare Ergebnisse ihrer Prüfung nicht möglich. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob die Rechtsfigur der Ermessensreduktion auf Null angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich ihrerseits auf die Rechtsprechung des EuGH stützt (Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 und C -493/01 - [Orfanopoulos und Oliveri], DVBl. 2004, 876), im Falle der Ausweisung von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen überhaupt angewendet werden kann.
46 
Der Kläger hat sein Recht auf Einschaltung einer „zweiten Stelle“ schließlich auch nicht dadurch verloren, dass er im Anhörungsverfahren vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine Stellungnahme abgegeben hat. Denn Art. 9 RL 64/221/EWG bestimmt nicht, dass eine solche Stellungnahme Voraussetzung für die Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre. Auch im Verfahren vor der „zweiten Stelle“ muss sich der Ausländer nicht beteiligen; es genügt, dass er die Möglichkeit dazu hat.
IV.
47 
Der Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führt zur Aufhebung des Ausweisung, obwohl die europarechtlichen Vorgaben für die Ausweisung durch die RL 2004/38/EG sowohl in formeller als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht neu geregelt worden sind und die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben worden ist (Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG).
48 
Welche verfahrensrechtlichen Anforderungen bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (insbesondere Ausweisungen) gegen Unionsbürger zu beachten sind, ist nunmehr in Art. 31 RL 2004/38/EG geregelt. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung müssen im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Ausweisung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen sie beruht, überprüft werden können. Außerdem muss gewährleistet sein, dass sie insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 RL 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Unabhängig von der Frage, inwieweit die RL 2004/38/EG nicht nur auf Unionsbürger, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 anwendbar ist, ist daher europarechtlich mit Wirkung vom 30.4.2006 nicht mehr erforderlich, dass die Ausweisungsentscheidung durch eine unabhängige zweite Stelle auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden kann (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - 11 LC 324/05 -, InfAuslR 2006, 350).
49 
Das ändert aber nichts daran, dass die Verfügung nach wie vor verfahrensfehlerhaft ist. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
50 
1. Maßstab für die Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 29.12.2003 ist nicht das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sondern das zur Zeit des Erlasses der Verfügung geltende Recht. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist daher weiterhin beachtlich.
51 
Der Beklagte argumentiert, dass die RL 2004/38/EG bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.4.2006 (vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38 EG) Vorwirkungen entfaltet habe. Es genüge daher, wenn bei der Ausweisungsentscheidung gegen den Kläger die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus dieser Richtlinie erfüllt seien. Dem ist nicht zu folgen. Die RL 2004/38/EG datiert vom 29.4.2004, wurde im Amtsblatt der Europäischen Union L 158 vom 30.4.2004 veröffentlicht und trat somit an diesem Tag in Kraft (vgl. Art. 41 RL 2004/38/ EG). Die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger wurde aber bereits am 29.12.2003 und somit vor Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erlassen. Ungeachtet der grundsätzlich zu verneinenden Frage, ob Richtlinien bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalten können (vgl. dazu auch Kühling, Vorwirkungen von EG-Richtlinien bei der Anwendung nationalen Rechts - Interpretationsfreiheit für Judikative und Exekutive?, DVBl., 2006, 857 ff.), können die Bestimmungen der RL 2004/38/EG schon deshalb nicht für das bei der Ausweisung zu beachtende Verfahren maßgeblich gewesen sein.
52 
2.) Was den für die Entscheidung in Ausweisungsfällen maßgebenden Zeitpunkt angeht, so ging das Bundesverwaltungsgericht früher in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Ausweisungsverfügungen unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Ausländers sowohl hinsichtlich der formellen als auch der materiellen Rechtmäßigkeit aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen seien (vgl. Urteil vom 15.3.2004 - 1 C 2.04 -, NVwZ 2005, 1074). Danach bliebe es bei dem einmal begangenen Verfahrensverstoß unabhängig von der weiteren Entwicklung.
53 
Diese Rechtsprechung ist allerdings für Unionsbürger und türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 durch neuere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts überholt. In seinen Urteilen vom 3.8.2004 (- 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 - für Unionsbürger - und - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 - für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 -) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Ausweisung aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts zu überprüfen ist. Das Bundesverwaltungsgericht differenziert dabei nicht zwischen der formellen und der materiellen Rechtmäßigkeit; seine Entscheidungen betreffen allerdings nur Fallgestaltungen, bei denen nur die materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisung im Streit stand.
54 
Die Konsequenz dieser neuen Rechtsprechung wäre, dass ein Verfahrensfehler nicht mehr festgestellt werden könnte; die Ausweisung wäre formell rechtmäßig (so unter Bezugnahme auf die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - a.a.O.).
55 
Eine solche Übernahme der Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt hält der Senat - was das Verwaltungsverfahrensrecht angeht - generell jedoch nicht für zutreffend; ihr stehen Prinzipien des sog. intertemporalen Verfahrensrechts entgegen. Diese verlangen, dass die formelle Rechtmäßigkeit von Ausweisungsverfügungen weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen ist (so auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, a.a.O.; und OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006 - OVG 7 B 16.05 -, InfAuslR 2006, 395).
56 
3.) Ein allgemeiner Grundsatz des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts, wie er auch in § 96 VwVfG zum Ausdruck kommt, besagt, dass neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren erfasst, sich aber nicht mehr auf bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren erstreckt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.7.1992 - 2 BvR 1693, 1728/90 -, NVwZ 1992, 1182, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.5.1991 - A 16 S 2357/90 -, NVwZ-RR 1992, S. 107 und Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl., Rn 1 zu § 96 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
57 
Diese Regel des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts beruht wie das intertemporale Recht insgesamt auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die nicht nur im deutschen Recht, sondern auch in anderen Rechtsordnungen und insbesondere auch im EG-Recht Geltung beanspruchen können (vgl. dazu Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, Die Sozialgerichtsbarkeit 1993, 593/595). Ihr liegt letztlich die Überlegung zugrunde, dass die Verwaltung naturgemäß nur das im Zeitpunkt ihres Tätigwerdens geltende Verfahrensrecht beachten kann. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts wird durch die Betrachtung der umgekehrten Konstellation (Erhöhung der verfahrensrechtlichen Anforderungen nach Abschluss des Verfahrens), bestätigt. Hier kann es ersichtlich nicht angehen, der Verwaltung die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorzuhalten, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht gegolten hat, die damals also noch keine rechtliche Wirkung hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, ZAR 2006, 107/110 und OVG Lüneburg, Urteil vom 15.3.2006 - 10 LB 7/06 -, Asylmagazin 2006, 25/26 jeweils zu § 73 Abs. 2a AsylVfG).
58 
Eine Sondersituation, die ein Abweichen von diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz gebieten könnte, liegt hier nicht vor.
59 
Eine ausdrückliche Übergangsvorschrift enthält die RL 2004/38/EG nicht. Auch sonst kann ihr keine Aussage dahingehend entnommen werden, dass die formelle Rechtmäßigkeit von noch unter der Geltung der RL 64/221/EWG erlassenen Ausweisungsverfügungen jetzt am Maßstab der neuen verfahrensrechtlichen Regelungen in Art. 31 RL 2004/38/EG überprüft werden soll (vgl. dazu auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006, a.a.O., S. 396). Denn sie bezweckt eine Verbesserung der Rechtsstellung Freizügigkeitsberechtigter, wie insbesondere die 3., 22., 23. und 24. Begründungserwägung zeigen. Diese Zielrichtung der Richtlinie würde beeinträchtigt, wenn sie dazu führte, dass eine bislang rechtswidrige Ausweisungsentscheidung jetzt als formell rechtmäßig qualifiziert werden müsste.
60 
Auch sonstige Regeln und Grundsätze des Europarechts führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Vielmehr sprechen die allgemeinen Regeln über die europarechtliche Freizügigkeit dafür, die formelle Rechtmäßigkeit weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen.
61 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen vom 3.8.2004 bei Klagen gegen die Ausweisung von Unionsbürgern und von türkischen Staatsangehörigen unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung deshalb auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt, um den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs Rechnung zu tragen, dass bei Klagen von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 auch eine positive Entwicklung des Ausländers nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Dieses Ziel wird aber bereits dann erreicht, wenn hinsichtlich der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abgestellt wird. Die durch die Änderung der Rechtsprechung bezweckte Verbesserung der Rechtsstellung von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 würde - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - in ihr Gegenteil verkehrt, wollte man auch bei der formellen Rechtmäßigkeit auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abstellen. Letztlich wäre dies auch deshalb bedenklich, weil die die Freizügigkeit beschränkende Normen grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. dazu erneut, EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.).
62 
Diesem Ergebnis entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 (a.a.O.) auch entschieden, dass eine Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig ist. Zwar lässt sich diese Aussage dem Wortlaut nach auch dahin deuten, dass der Verfahrensfehler nicht nach § 45 VwVfG geheilt werden können soll und auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist; der Wegfall einer Verfahrensvorschrift wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht ausdrücklich angesprochen. Dann hätte jedoch eine entsprechend eindeutige Aussage nahe gelegen (zum Begriff des unheilbaren Verfahrensfehlers s. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2002, Rn 600).
63 
Damit kann die Ausweisungsverfügung wegen des nach wie vor relevanten Verfahrensfehlers keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, er werde angesichts der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers wieder eine Ausweisungsverfügung erlassen, ändert daran nichts. Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen zu § 46 VwVfG ergibt, steht gerade nicht fest, dass eine neue Ermessensentscheidung, bei der auch die weitere Entwicklung des Klägers nach Entlassung aus der Haft zu berücksichtigen sein wird, zwangsläufig zu seinem Nachteil ausfallen wird. Abgesehen davon wird der Beklagte vor Erlass eine erneuten Ausweisungsverfügung auch zu prüfen haben, inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung aus Art 28 RL 2004/38 EG auch für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 gelten und ggf. erfüllt sind. Das Ergebnis ist offen.
64 
Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtswidrig, denn die Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist nicht erloschen (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), sondern besteht vielmehr als Niederlassungserlaubnis fort (§ 101 Abs. 1 AufenthG), weshalb der Kläger nicht ausreisepflichtig ist.
65 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.4.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Rechtsfrage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; einerseits enthalten die oben genannten Urteile vom 3.8.2004 keine ausdrückliche Aussage dahin, dass auch hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, andererseits können seine Urteile vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 auch dahingehend interpretiert werden, dass der Begriff „unheilbarer Verfahrensfehler“ nur im Hinblick auf die Regelungen in §§ 45, 46 VwVfG von Relevanz ist, aber keine Aussage für die Zeit nach Außerkrafttreten der RL 64/221 treffen soll. Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandskräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie gegebenenfalls noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen haben (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 -, DVBl. 1995, 569 und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712 jeweils m.w.N.).
67 
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
19 
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere hat sie der Kläger nach Zulassung durch den Senat mit Beschluss vom 23.1.2006 - 13 S 1268/06 - gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen aus § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Sätze 4 und 5 VwGO begründet. Denn die Bezugnahme auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren lässt erkennen, aus welchen Gründen er das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts für unrichtig hält (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., Rn 68 zu § 124a).
20 
Die Berufung hat auch sachlich Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn sie ist zulässig und begründet. Die gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.12.2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 
Die Ausweisung des Klägers, der sich auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann (I.), ist wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221 - die Bestimmung findet nicht nur auf Unionsbürger Anwendung, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 - verfahrensfehlerhaft (II.). Dieser Verstoß ist nicht unbeachtlich (III.), und der Anspruch des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung besteht unabhängig davon, dass die Richtlinie 64/221/EWG gemäß Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Ablauf des 30.4.2006 außer Kraft getreten ist (IV.).
I.
22 
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Kläger der assoziationsrechtliche Status aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 zu, womit er nicht nur ein Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch ein damit korrespondierendes - erhöhten Ausweisungsschutz vermittelndes - Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet besitzt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 -[Cetinkaya], InfAuslR 2005, 13 m.N. aus der früheren Rechtsprechung des EuGH zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht).
23 
Auch der Beklagte stellt nicht in Frage, dass der Kläger mindestens fünf Jahre ordnungsgemäß mit seinen Eltern, die damals noch türkische Staatsangehörige waren, zusammengelebt und dadurch das Recht aus Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hat (vgl. dazu bereits den Beschluss des Senats vom 19.1.2006 - 13 S 1207/05 -).
24 
Durch die nachfolgende Entwicklung hat der Kläger diese Rechtsposition nicht verloren. Dass er sich Ende des Jahres 2000 als Gastwirt selbständig gemacht hat und damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr als unselbständiger Arbeitnehmer zur Verfügung stand, hat weder unmittelbar (1.) noch mittelbar über einen Erlöschenstatbestand gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (2.) zum Verlust des Rechts aus Art 7 Abs. 1 ARB 1/80 geführt. Ein Verstoß gegen das sogenannte Besserstellungsverbot ist darin nicht zu sehen (3.). Ebensowenig hatten die Strafhaft und die Einbürgerung seiner Eltern Einfluss auf die Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 (4).
25 
1.) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings vertreten worden, dass die auf Dauer angelegte Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit (Eröffnung einer Gaststätte durch den Kläger) das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB entfallen lässt, weil der Ausländer dann dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 1303/04 - (juris) und Mallmann, Neuere Rechtsprechung zum assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht türkischer Familienangehöriger, ZAR 2006, 50/54, FN 35 m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung des EuGH jedoch keinen Bestand mehr haben. In dem bereits genannten Urteil vom 11.11.2004 [Cetinkaya] hat der EuGH unter Rn 38 ausgeführt, dass das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden könne, nämlich nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit oder weil der Betroffene das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Dem schließt sich der Senat an. In Reaktion auf das Urteil des EuGH in der Sache Cetinkaya hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen allerdings weiterhin die Auffassung vertreten, dass Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht nur zum Zwecke der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung oder zum ernsthaften Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt verleihe (vgl. Beschluss vom 10.12.2004 - 18 B 2599/04 -, InfAuslR 2005, 92). Zur Begründung führte es aus, der EuGH habe sich in der Sache Cetinkaya mit der Frage eines Aufenthaltsrechts, ohne arbeiten zu wollen, gar nicht beschäftigen müssen, da der Kläger in diesem Verfahren vor seiner Inhaftierung stets erwerbstätig gewesen sei. Im übrigen beschreibe der EuGH das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 als ein solches auf Zugang zur Beschäftigung und zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Daraus sei zu folgern, dass der Fortbestand des Rechts die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung oder wenigstens das Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt voraussetze. Mit dieser Argumentation verkennt das OVG Nordrhein-Westfalen jedoch, dass der EuGH in dem Urteil in der Sache Cetinkaya stets nur von einem Recht auf Aufenthalt bzw. auf Zugang zum Arbeitsmarkt gesprochen, das Aufenthaltsrecht aber nicht mit einer Pflicht verknüpft hat, dem Arbeitsmarkt als unselbständig Erwerbstätiger oder Arbeitssuchender zur Verfügung zu stehen. Unter Rn 30 des Urteils führt er im Gegenteil explizit aus, die Mitgliedstaaten seien nach Erwerb des Rechts aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht befugt, das Aufenthaltsrecht noch von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. Zutreffend wird in der Literatur (Gutmann, InfAuslR 2005, 94) darauf hingewiesen, der EuGH habe unter Rn 33 seines Urteils sogar festgestellt, die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 könnten dem türkischen Arbeitnehmer nicht dadurch genommen werden, dass er nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Nach dem Grund des Ausscheidens differenziere der EuGH dabei nicht. Sogar im Aufnahmeland geborene Kinder, die den Arbeitsmarkt nie betreten hätten, sollten im Gegenteil das Recht aus Art. 7 Abs. 1 ARB erwerben, ohne dass ein Verlusttatbestand für den Fall normiert worden sei, dass sie später keine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnähmen. In seinem Urteil vom 7.7.2005 (- C- 373/03- [Aydinli], InfAuslR 2005, 352) hat der EuGH seine Entscheidung in der Sache Cetinkaya nicht nur bestätigt, sondern unter Rn 29 ausdrücklich entschieden, anders als bei Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hänge die Entstehung des Beschäftigungsrechts der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht davon ab, dass diese dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Staates angehörten und während einer bestimmten Dauer eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis ausübten. Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 gewähre den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers mithin Zugang zu einer Beschäftigung, lege ihnen jedoch keine Verpflichtung auf, eine Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wie das in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehen sei (so auch Döring, Erhöhter Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige, DVBl. 2005, 1221/1225).
26 
2.) Auch ein - denkbarer - Erlöschenstatbestand nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hätte die Rechtsstellung des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entfallen lassen.
27 
Der Kläger war nach Abbruch des Berufskollegs im Jahre 1994 bis zur Eröffnung der Gaststätte im Jahre 2000, wenn auch unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, immer wieder als Arbeitnehmer tätig. Ob er in dieser Zeit auch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben hat, ist nicht geklärt, aber auch rechtlich unerheblich. Hätte er den Status nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben, wäre dieser nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt wohl erloschen. Das unabhängig davon erworbene Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 wäre dadurch jedoch nicht untergegangen. Wie der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 („vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7“) zeigt, ist Art. 7 ARB 1/80 eine Spezialvorschrift zu Art. 6 ARB 1/80 (vgl. dazu auch Urteil des EuGH vom 7.7.2005, C-373/03-, [Aydinli], Rn 19, zitiert nach Mallmann, a.a.O., S. 53, Fn 32, dort auch zur teilweise abweichenden Auffassung der Generalanwälte des EuGH; siehe auch Döring a.a.O.). Auch unter Wertungsgesichtspunkten erschiene es im übrigen nicht vertretbar, wenn der zusätzliche Erwerb einer weiteren Rechtsposition (Recht aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80) dazu führen würde, dass das bereits zuvor erworbene Recht (aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80) unter erleichterten Voraussetzungen verloren geht.
28 
3.) Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH, wonach der Fortbestand der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 nicht von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von Bemühungen zur Aufnahme einer solchen Tätigkeit abhängt, führt auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.9.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (vgl. BGBl. II 1992, 385/396) - Zusatzprotokoll -, wonach der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.
29 
Der europäische Gerichtshof hat allerdings bereits entschieden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten nur verpflichtet, Unionsbürgern eine angemessene Zeit einzuräumen, damit sie sich im Aufnahmemitgliedstaat eine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle suchen und sich gegebenenfalls dafür bewerben können; sie gewährt allerdings kein von der Bereitschaft zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit unabhängiges Aufenthaltsrecht (vgl. Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 -, Antonissen, Slg 1991, I-745, Rn 13, 15 und 16 sowie erneut im Zusammenhang mit einem nach Art. 6 ARB 1/80 berechtigten türkischen Staatsangehörigen im Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - [Tetik], InfAuslR 1997, 146, Rn 27).
30 
Ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung türkischer Staatsangehöriger aus Art. 59 Zusatzprotokoll liegt gleichwohl nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, verlieren auch türkische Staatsangehörige, die als Arbeitnehmer ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, ihre Rechtsstellung wieder, wenn sie dem Arbeitmarkt als unselbständige Arbeitnehmer nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. zu den Einzelheiten des Rechtsverlusts insbesondere EuGH, Urteil vom 20.2.2000 - C-340/97 -, [Nazli], InfAuslR 2000, 161, Rn 40 ff.). Die Situation der türkischen Staatsangehörigen, die als Arbeitnehmer ein originäres Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben haben, entspricht damit derjenigen der Unionsbürger, die sich auf ihr Freizügigkeitsrecht berufen: Der Fortbestand des Rechts ist jeweils von der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit oder wenigstens dem Willen und der Möglichkeit zur Aufnahme einer solchen abhängig.
31 
Demgegenüber erwerben Familienangehörige eines Unionsbürgers - ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit - das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie sich fünf Jahre rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben (vgl. Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2004/38/EG). Die Entstehung und der Fortbestand des Daueraufenthaltsrechts ist nicht an die Voraussetzungen aus Kap. III der RL 2004/38/EG geknüpft (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG), steht also in keinem Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl. Art. 7 ARB 1/80). Ebenso ist bereits vor Ablauf des Fünfjahreszeitraumes aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie das Aufenthaltsrecht nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig (vgl. Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer mit einem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 werden also nicht besser gestellt als die von Unionsbürgern.
32 
Der Beklagte macht in diesem Zusammenhang ohne Erfolg geltend, ein Verstoß gegen das Verbot der Besserstellung resultiere daraus, dass der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 weiter sei als der in Art 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG; insbesondere erfasse Art. 7 ARB 1/80 auch Verwandte in gerader absteigender Linie, die das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben und denen der Stammberechtigte keinen Unterhalt gewährt (vgl. dazu Art. 2 Nr. 2 c RL 2004/38/EG). Dieser Argumentation ist aber nicht zu folgen: Zwar ist der Begriff des „Familienangehörigen“ in Art. 7 ARB 1/80 anders als in Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG nicht ausdrücklich definiert. Der EuGH hat jedoch bereits entschieden, dass er zur Sicherstellung seiner homogenen Anwendung auf Gemeinschaftsebene in Art. 7 ARB 1/80 ebenso auszulegen ist wie in den Freizügigkeit gewährenden Normen des Gemeinschaftsrechts (vgl. Urteil vom 30.09.2004 - C-275/02 -, [Ayaz], InfAuslR 2004, 416 RN 45). Er hat sich dabei auf den Begriff des Familienangehörigen aus Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 gestützt. Nachdem diese Bestimmung durch Art. 38 Abs. 1 RL 2004/38/EG aufgehoben worden ist, bestehen aus Sicht des Senats keine Bedenken, die im hier maßgeblichen Punkt inhaltlich übereinstimmende Definition in Art 2 RL 2004/38/EG - der Nachfolgebestimmung - heranzuziehen, so dass es aufgrund der einheitlichen Auslegung des Tatbestandsmerkmals auch insoweit nicht zu einem Verstoß gegen das Besserstellungsverbot kommt.
33 
4.) Wie sich aus den zitierten Entscheidungen des EuGH in den Sachen Cetinkaya und Aydinli ergibt, ist das Recht des Klägers aus Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 auch weder mit dem Eintritt der Volljährigkeit noch durch die Verbüßung der verhängten Strafhaft erloschen (vgl. zur Verbüßung der Strafhaft auch BVerwG, Urteil vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und DVBl. 2006, 317). Ebenso ist unbeachtlich, dass die Eltern des Klägers als Stammberechtigte, von denen er sein Aufenthaltsrecht ableitet, mit der Einbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben. Denn eine Verstärkung der Rechtsstellung des Stammberechtigten kann keinen Verlusttatbestand für das von ihm abgeleitete Recht des Familienangehörigen darstellen.
II.
34 
Die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger geltenden verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG finden auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 Anwendung (1.). Sie wurden vorliegend nicht beachtet, weshalb die Ausweisung des Klägers rechtswidrig war (2.).
35 
1.) Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -, [Dörr und Ünal, InfAuslR 2005, 289) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar nur für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die - wie der Kläger - über ein Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 verfügen (vgl. Urteile vom 13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 und DVBl. 2006, 372 sowie vom 6.10.2005, a.a.O.). Diesen Ausgangspunkt teilt der Senat (s. etwa Beschluss vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -)
36 
2.) Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sieht vor, dass, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes trifft, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist. Diese Vorgaben wurden nicht beachtet.
37 
2.1) Hinsichtlich des in Art. 9 Abs. 1 ARB 1/80 angesprochenen Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung ist nicht zu bestreiten, dass die Ausweisungsentscheidung nach deutschem Prozessrecht nur auf ihre Rechtmäßigkeit, nicht aber auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft wird. Denn gemäß § 114 Satz 1 VwGO kann Ermessen - darum geht es hier - nur auf Rechtsfehler hin überprüft werden, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Die vom EuGH geforderte erschöpfende Prüfung aller der Ausweisungsverfügung zugrunde liegenden Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit ist danach gemäß Art. 68 Abs. 1 VwGO nur im Widerspruchsverfahren, nicht aber im Verwaltungsprozess möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.9.2006, a.a.O., unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01- und - C-493/01 -, [Orfanopoulos und Oliveri], InfAuslR 2004, 268, Rn 103 ff.). Dieser Auffassung folgt auch der Senat. Der 11. Senat des erkennenden Gerichtshofs hat seinen gegenteiligen Standpunkt, wonach die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte im deutschen Verwaltungsprozess gewährleistet sei, weil beim Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgegangen werden dürfe (vgl. Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481), im Anschluss an die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegeben (vgl. Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Da gegen Ausweisungsverfügungen der Regierungspräsidien gemäß § 6a AGVwGO kein Widerspruch gegeben, sondern sofort die Anfechtungsklage statthaft ist, verstößt eine Ausweisung ohne vorherige Einschaltung einer „zweiten zuständigen Stelle“ nur bei Vorliegen eines dringenden Falles nicht gegen Art. 9 RL 64/221/EWG.
38 
2.2) Ein solcher dringender Fall war (und ist) hier jedoch nicht gegeben. Hinsichtlich der Überprüfung, ob eine Ausweisung dringlich im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist, besteht kein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung, vielmehr unterliegt dieses Tatbestandsmerkmal der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Auch der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren keinen gegenteiligen Standpunkt mehr vertreten.
39 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.9.2005 - BVerwG 1 C7.04 -, a.a.O. ist das Merkmal der Dringlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“; ein dringender Fall könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung nicht zu verantworten sei, etwa weil die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Die Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde sei dann nicht hinnehmbar. Daher genüge für die Annahme eines dringenden Falles nicht, dass die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe. Vielmehr müsse (vergleichbar den Anforderungen aus § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt werden, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Dazu seien die im konkreten Einzelfall einander widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen. Weil die dabei maßgeblich zu berücksichtigende Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr während der Zeit seiner Inhaftierung regelmäßig entfallen werde, könne ein dringender Fall nur dann angenommen werden, wenn er aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Umgekehrt scheide die Annahme eines dringenden Falles aus, wenn die Ausländerbehörde den Fall selbst nicht als dringlich erachte und behandle, das Verfahren selbst nicht zügig betreibe, die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von dieser nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
40 
Vor dem Hintergrund dieser neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Senat seine frühere Auffassung, wonach ein dringender Fall regelmäßig anzunehmen sei, wenn wie vorliegend die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde (vgl. Beschlüsse vom 22.3.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff. und vom 26.8.2005 - 13 S 1482/05 -), aufgegeben (vgl. Beschlüsse vom 19.01.2006 - 13 S 1207/05 - und vom 21.02.2006 - 13 S1953/05 -).
41 
Bei einem Ausländer, der sich - wie der Kläger - während des Ausweisungsverfahrens in Haft befindet, scheidet daher die Annahme eines dringenden Falles in aller Regel aus, wenn vor dem Entlassungszeitpunkt oder der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft ausreichend Zeit zur Einschaltung der in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderten zweiten Stelle besteht; anders ist es, wenn auch in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht (vgl. dazu und auch zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt - Erlass der Ausweisungsverfügung oder Entscheidung des Gerichts - insoweit abzustellen ist VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 - ).
42 
Nach diesem Maßstab war ein dringender Fall hier nicht gegeben. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sowie des Beginns der Inhaftierung (März 2003) vor September 2004 weder mit einer Entlassung noch mit einer Abschiebung aus der Haft zu rechnen war. Die Abschiebung aus der Haft nach § 456a StPO kommt im Regefall frühestens nach Vollstreckung der Hälfte der Freiheitsstrafe in Betracht (vgl. dazu die AV des JuM vom 17.10.1996, Die Justiz S. 500, III. 1. c). Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hätte beim Kläger ohnehin erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe erfolgen dürfen, da die verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt und der Kläger außerdem auch bereits wiederholt inhaftiert war (vgl. § 57 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB). Bei der Entscheidung über die Ausweisung am 29.12.2003 stand damit ausreichend Zeit für die in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Zweckmäßigkeitsprüfung zur Verfügung. Dies gilt um so mehr, als die Ausländerbehörde auch nach einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft gemäß § 456a StPO den Zeitpunkt der Abschiebung selbst bestimmen kann und damit die Möglichkeit hat, mit dieser bis zum Abschluss des Verfahrens vor der zweiten Stelle zuzuwarten. Dafür, dass auch während der Zeit der Inhaftierung vom Kläger eine schwere Gefahr ausgehen würde, sind Gründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
III.
43 
Der damit vorliegende Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich.
44 
Überwiegend wird vertreten, dass diese Norm ebenso wenig wie auf sog. absolute Verfahrensfehler (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 15.1.1982 -4 C 26.78-, BVerwGE 64, 325 ff.) auf Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationalen Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, anwendbar sei; dies wird aus dem Erfordernis effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) geschlossen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., Rn 20 zu § 46; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., RN 176 ff zu § 45; VG Stuttgart, Urteil vom 7.2.2006 - 5 K 5146/04 -, [Vensa] und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, m.N. auch zur gegenteiligen Auffassung und zum europarechtlichen Verständnis des Verwaltungsverfahrens). Danach würde Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG bereits vom Anwendungsbereich her ausscheiden.
45 
Ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf Verfahrensfehler nach Europarecht ist der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG aber auch deshalb nicht nach dieser Norm unbeachtlich, weil nicht offensichtlich ist, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, dürfen nämlich nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG (jetzt: § 55 AufenthG) ausgewiesen werden. Dabei sind neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Die Verwirklichung eines Ist- oder Regelausweisungstatbestandes darf zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder eines sonstigen Automatismus; maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315/319 ff.). War danach über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Eine sog. Ermessensreduktion auf Null, bei der dies ausnahmsweise anders sein könnte (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 32 und 35 zu § 46 VwVfG), liegt trotz der vom Kläger begangenen schwerwiegenden Straftaten und der weiterhin auch nach Auffassung des Senats konkret gegebenen Wiederholungsgefahr nicht vor. Eine „zweite Stelle“ hätte in eigener Kompetenz und Verantwortung eine Abwägung zu treffen gehabt, deren Ergebnis nicht von vornherein unzweifelhaft feststand. So wäre etwa zu Gunsten des Klägers seine starke Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu berücksichtigen gewesen. Der Argumentation des Beklagten, auch im Falle der Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre der Kläger auf jeden Fall ausgewiesen worden, kann schon aus diesem Grund nicht gefolgt werden. Ein solche „zweite Stelle war zudem zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht geschaffen worden; auch deswegen ist eine Vorhersage über denkbare Ergebnisse ihrer Prüfung nicht möglich. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob die Rechtsfigur der Ermessensreduktion auf Null angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich ihrerseits auf die Rechtsprechung des EuGH stützt (Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 und C -493/01 - [Orfanopoulos und Oliveri], DVBl. 2004, 876), im Falle der Ausweisung von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen überhaupt angewendet werden kann.
46 
Der Kläger hat sein Recht auf Einschaltung einer „zweiten Stelle“ schließlich auch nicht dadurch verloren, dass er im Anhörungsverfahren vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine Stellungnahme abgegeben hat. Denn Art. 9 RL 64/221/EWG bestimmt nicht, dass eine solche Stellungnahme Voraussetzung für die Einschaltung einer „zweiten Stelle“ wäre. Auch im Verfahren vor der „zweiten Stelle“ muss sich der Ausländer nicht beteiligen; es genügt, dass er die Möglichkeit dazu hat.
IV.
47 
Der Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führt zur Aufhebung des Ausweisung, obwohl die europarechtlichen Vorgaben für die Ausweisung durch die RL 2004/38/EG sowohl in formeller als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht neu geregelt worden sind und die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben worden ist (Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG).
48 
Welche verfahrensrechtlichen Anforderungen bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (insbesondere Ausweisungen) gegen Unionsbürger zu beachten sind, ist nunmehr in Art. 31 RL 2004/38/EG geregelt. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung müssen im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Ausweisung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen sie beruht, überprüft werden können. Außerdem muss gewährleistet sein, dass sie insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 RL 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Unabhängig von der Frage, inwieweit die RL 2004/38/EG nicht nur auf Unionsbürger, sondern auch auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 anwendbar ist, ist daher europarechtlich mit Wirkung vom 30.4.2006 nicht mehr erforderlich, dass die Ausweisungsentscheidung durch eine unabhängige zweite Stelle auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden kann (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - 11 LC 324/05 -, InfAuslR 2006, 350).
49 
Das ändert aber nichts daran, dass die Verfügung nach wie vor verfahrensfehlerhaft ist. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
50 
1. Maßstab für die Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 29.12.2003 ist nicht das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sondern das zur Zeit des Erlasses der Verfügung geltende Recht. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist daher weiterhin beachtlich.
51 
Der Beklagte argumentiert, dass die RL 2004/38/EG bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.4.2006 (vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38 EG) Vorwirkungen entfaltet habe. Es genüge daher, wenn bei der Ausweisungsentscheidung gegen den Kläger die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus dieser Richtlinie erfüllt seien. Dem ist nicht zu folgen. Die RL 2004/38/EG datiert vom 29.4.2004, wurde im Amtsblatt der Europäischen Union L 158 vom 30.4.2004 veröffentlicht und trat somit an diesem Tag in Kraft (vgl. Art. 41 RL 2004/38/ EG). Die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger wurde aber bereits am 29.12.2003 und somit vor Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erlassen. Ungeachtet der grundsätzlich zu verneinenden Frage, ob Richtlinien bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalten können (vgl. dazu auch Kühling, Vorwirkungen von EG-Richtlinien bei der Anwendung nationalen Rechts - Interpretationsfreiheit für Judikative und Exekutive?, DVBl., 2006, 857 ff.), können die Bestimmungen der RL 2004/38/EG schon deshalb nicht für das bei der Ausweisung zu beachtende Verfahren maßgeblich gewesen sein.
52 
2.) Was den für die Entscheidung in Ausweisungsfällen maßgebenden Zeitpunkt angeht, so ging das Bundesverwaltungsgericht früher in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Ausweisungsverfügungen unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Ausländers sowohl hinsichtlich der formellen als auch der materiellen Rechtmäßigkeit aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen seien (vgl. Urteil vom 15.3.2004 - 1 C 2.04 -, NVwZ 2005, 1074). Danach bliebe es bei dem einmal begangenen Verfahrensverstoß unabhängig von der weiteren Entwicklung.
53 
Diese Rechtsprechung ist allerdings für Unionsbürger und türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 durch neuere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts überholt. In seinen Urteilen vom 3.8.2004 (- 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 - für Unionsbürger - und - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 - für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 -) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Ausweisung aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts zu überprüfen ist. Das Bundesverwaltungsgericht differenziert dabei nicht zwischen der formellen und der materiellen Rechtmäßigkeit; seine Entscheidungen betreffen allerdings nur Fallgestaltungen, bei denen nur die materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisung im Streit stand.
54 
Die Konsequenz dieser neuen Rechtsprechung wäre, dass ein Verfahrensfehler nicht mehr festgestellt werden könnte; die Ausweisung wäre formell rechtmäßig (so unter Bezugnahme auf die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts OVG Lüneburg, Urteil vom 16.5.2006 - a.a.O.).
55 
Eine solche Übernahme der Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt hält der Senat - was das Verwaltungsverfahrensrecht angeht - generell jedoch nicht für zutreffend; ihr stehen Prinzipien des sog. intertemporalen Verfahrensrechts entgegen. Diese verlangen, dass die formelle Rechtmäßigkeit von Ausweisungsverfügungen weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen ist (so auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -, a.a.O.; und OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006 - OVG 7 B 16.05 -, InfAuslR 2006, 395).
56 
3.) Ein allgemeiner Grundsatz des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts, wie er auch in § 96 VwVfG zum Ausdruck kommt, besagt, dass neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren erfasst, sich aber nicht mehr auf bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren erstreckt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.7.1992 - 2 BvR 1693, 1728/90 -, NVwZ 1992, 1182, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.5.1991 - A 16 S 2357/90 -, NVwZ-RR 1992, S. 107 und Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl., Rn 1 zu § 96 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
57 
Diese Regel des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts beruht wie das intertemporale Recht insgesamt auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die nicht nur im deutschen Recht, sondern auch in anderen Rechtsordnungen und insbesondere auch im EG-Recht Geltung beanspruchen können (vgl. dazu Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, Die Sozialgerichtsbarkeit 1993, 593/595). Ihr liegt letztlich die Überlegung zugrunde, dass die Verwaltung naturgemäß nur das im Zeitpunkt ihres Tätigwerdens geltende Verfahrensrecht beachten kann. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts wird durch die Betrachtung der umgekehrten Konstellation (Erhöhung der verfahrensrechtlichen Anforderungen nach Abschluss des Verfahrens), bestätigt. Hier kann es ersichtlich nicht angehen, der Verwaltung die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorzuhalten, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht gegolten hat, die damals also noch keine rechtliche Wirkung hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, ZAR 2006, 107/110 und OVG Lüneburg, Urteil vom 15.3.2006 - 10 LB 7/06 -, Asylmagazin 2006, 25/26 jeweils zu § 73 Abs. 2a AsylVfG).
58 
Eine Sondersituation, die ein Abweichen von diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz gebieten könnte, liegt hier nicht vor.
59 
Eine ausdrückliche Übergangsvorschrift enthält die RL 2004/38/EG nicht. Auch sonst kann ihr keine Aussage dahingehend entnommen werden, dass die formelle Rechtmäßigkeit von noch unter der Geltung der RL 64/221/EWG erlassenen Ausweisungsverfügungen jetzt am Maßstab der neuen verfahrensrechtlichen Regelungen in Art. 31 RL 2004/38/EG überprüft werden soll (vgl. dazu auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006, a.a.O., S. 396). Denn sie bezweckt eine Verbesserung der Rechtsstellung Freizügigkeitsberechtigter, wie insbesondere die 3., 22., 23. und 24. Begründungserwägung zeigen. Diese Zielrichtung der Richtlinie würde beeinträchtigt, wenn sie dazu führte, dass eine bislang rechtswidrige Ausweisungsentscheidung jetzt als formell rechtmäßig qualifiziert werden müsste.
60 
Auch sonstige Regeln und Grundsätze des Europarechts führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Vielmehr sprechen die allgemeinen Regeln über die europarechtliche Freizügigkeit dafür, die formelle Rechtmäßigkeit weiterhin nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen.
61 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen vom 3.8.2004 bei Klagen gegen die Ausweisung von Unionsbürgern und von türkischen Staatsangehörigen unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung deshalb auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt, um den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs Rechnung zu tragen, dass bei Klagen von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 auch eine positive Entwicklung des Ausländers nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Dieses Ziel wird aber bereits dann erreicht, wenn hinsichtlich der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abgestellt wird. Die durch die Änderung der Rechtsprechung bezweckte Verbesserung der Rechtsstellung von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 würde - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - in ihr Gegenteil verkehrt, wollte man auch bei der formellen Rechtmäßigkeit auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abstellen. Letztlich wäre dies auch deshalb bedenklich, weil die die Freizügigkeit beschränkende Normen grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. dazu erneut, EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.).
62 
Diesem Ergebnis entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 (a.a.O.) auch entschieden, dass eine Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig ist. Zwar lässt sich diese Aussage dem Wortlaut nach auch dahin deuten, dass der Verfahrensfehler nicht nach § 45 VwVfG geheilt werden können soll und auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist; der Wegfall einer Verfahrensvorschrift wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht ausdrücklich angesprochen. Dann hätte jedoch eine entsprechend eindeutige Aussage nahe gelegen (zum Begriff des unheilbaren Verfahrensfehlers s. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2002, Rn 600).
63 
Damit kann die Ausweisungsverfügung wegen des nach wie vor relevanten Verfahrensfehlers keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, er werde angesichts der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers wieder eine Ausweisungsverfügung erlassen, ändert daran nichts. Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen zu § 46 VwVfG ergibt, steht gerade nicht fest, dass eine neue Ermessensentscheidung, bei der auch die weitere Entwicklung des Klägers nach Entlassung aus der Haft zu berücksichtigen sein wird, zwangsläufig zu seinem Nachteil ausfallen wird. Abgesehen davon wird der Beklagte vor Erlass eine erneuten Ausweisungsverfügung auch zu prüfen haben, inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung aus Art 28 RL 2004/38 EG auch für türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 gelten und ggf. erfüllt sind. Das Ergebnis ist offen.
64 
Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtswidrig, denn die Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist nicht erloschen (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), sondern besteht vielmehr als Niederlassungserlaubnis fort (§ 101 Abs. 1 AufenthG), weshalb der Kläger nicht ausreisepflichtig ist.
65 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.4.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Rechtsfrage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; einerseits enthalten die oben genannten Urteile vom 3.8.2004 keine ausdrückliche Aussage dahin, dass auch hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, andererseits können seine Urteile vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005 auch dahingehend interpretiert werden, dass der Begriff „unheilbarer Verfahrensfehler“ nur im Hinblick auf die Regelungen in §§ 45, 46 VwVfG von Relevanz ist, aber keine Aussage für die Zeit nach Außerkrafttreten der RL 64/221 treffen soll. Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandskräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie gegebenenfalls noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen haben (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 -, DVBl. 1995, 569 und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712 jeweils m.w.N.).
67 
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt;
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt;
3.
den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein;
4.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann;
5.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht;
6.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt;
2.
eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat;
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war;
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungsandrohungen, Aussetzungen der Abschiebung und Abschiebungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen und der Befristung ihrer Wirkungen sowie begünstigende Maßnahmen, die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren und Befreiungen von der Passpflicht, Entscheidungen über Kosten und Gebühren, bleiben wirksam. Ebenso bleiben Maßnahmen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit Sicherheitsleistungen wirksam, auch wenn sie sich ganz oder teilweise auf Zeiträume nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beziehen. Entsprechendes gilt für die kraft Gesetzes eingetretenen Wirkungen der Antragstellung nach § 69 des Ausländergesetzes.

(2) Auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 wird die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.