Verwaltungsgericht Trier Urteil, 06. Juli 2015 - 6 K 153/15.TR

ECLI:ECLI:DE:VGTRIER:2015:0706.6K153.15.TR.0A
bei uns veröffentlicht am06.07.2015

Tenor

Es wird festgestellt, dass die im Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2014 ausgesprochene Untersagung der Verwendung von Fackeln rechtswidrig gewesen ist.

Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der andere Teil zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Untersagung der Verwendung von Fackeln während eines Aufzugs am 19. Dezember 2014.

2

Am 9. Dezember 2014 meldete der Vorsitzende des Klägers bei dem Ordnungsamt der Beklagten einen „Fackelzug gegen Asylbetrug“ für den Abend des 19. Dezember 2014 in Trier-Euren an. Die Anzahl der teilnehmenden Personen wurde mit etwa 40 angegeben. Als verantwortlicher Leiter wurde der Vorsitzende des Klägers benannt. Der Fackelzug sollte am Sportplatz in Euren beginnen und enden. Es war geplant, während des Aufzuges immer wieder Zwischenkundgebungen abzuhalten, unter anderem im Bereich des Kreisverkehrs „Vor Plein“ und am Kriegerdenkmal. Der Kreisverkehr „Vor Plein“ befindet sich etwa 320 m Luftlinie von der General-von-Seidel-Kaserne entfernt (Bl. 12 der Verwaltungsakte), welche als Asylbewerberunterkunft genutzt wird. Zwischen beiden Orten befinden sich Felder und das Gelände ist ebenerdig. Neben einem Lautsprecherwagen, Fahnen, Spruchbändern und Plakaten sollten auch Fackeln zum Einsatz kommen.

3

Im Rahmen eines am 11. Dezember 2014 geführten Kooperationsgespräches wurde der Beginn der Veranstaltung auf 17.00 Uhr festgelegt. Die angemeldete Strecke sollte im Wesentlichen unverändert beibehalten werden. Der Vorsitzende des Klägers legte sich in diesem Rahmen noch nicht auf eine genaue Gesamtzahl der zum Einsatz kommenden Fackeln fest. Als Schwerpunkte, an welchen in jedem Fall beabsichtigt sei Fackeln einzusetzen, wurden von ihm der Kreisel „Vor Plein“ und das Kriegerdenkmal bezeichnet. Mit E-Mail vom 15. Dezember 2014 teilte er mit, dass man die Anzahl der Fackeln auf maximal 20 und die der Fackelträger auf höchstens 10 festlege.

4

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 untersagte die Beklagte dem Kläger die Verwendung von Fackeln während des Aufzuges und der einzelnen Kundgebungen. Zur Begründung führte sie aus, dass der Zwischenkundgebungsort am Kreisverkehr „Vor Plein“ als äußerster Punkt des Aufzuges lediglich etwa 300 m Luftlinie von der General-von-Seidel-Kaserne entfernt sei. Mit der Wahl dieses Standortes werde entsprechend dem Motto beabsichtigt, dass die Bewohner der Asylbewerberunterkunft den Schein brennender Fackeln in der Dunkelheit wahrnähmen und dadurch eingeschüchtert und geängstigt würden. Die Beklagte verwies in diesem Zusammenhang auf eine Internetseite des Klägers, in der die Menschen, die in der Asylbewerberunterkunft lebten, als Scheinasylanten, dreiste Sozialtouristen und in manchen Fällen sogar schwerkriminelle Gewaltverbrecher bezeichnet würden. Die menschenverachtende Forderung: „Alle Aufnahmeeinrichtungen sind umgehend zu schließen und Scheinasylanten ohne Verzug auszuweisen!“ sowie die Aussage: „Die unkontrollierte Flut kulturfremder Scheinasylanten, ist grundsätzlich eine Gefahr für die ethno-kulturelle Identität der deutschen Nation, aber zunehmend auch für die innere Sicherheit.“ sollten sowohl auf Seiten der in der Asylbewerberunterkunft untergebrachten Menschen als auch bei den ortsansässigen Bürgerinnen und Bürgern Ängste und Vorbehalte hervorrufen, Vorurteile begründen oder bestärken sowie Fremdenfeindlichkeit rechtfertigen. Der beabsichtigte Einschüchterungseffekt, der durch den Einsatz von Fackeln noch verstärkt werde, stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Die Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung des Verbotes an.

5

Mit Schreiben seines damaligen Prozessbevollmächtigten vom 18. Dezember 2014 stellte der Kläger den Antrag, die aufschiebende Wirkung des am selben Tag eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2014 wiederherzustellen. Der Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 19. Dezember 2014 – 1 L 2248/14.TR – mit der Maßgabe abgelehnt, dass dem Kläger gestattet wurde, insgesamt vier Fackeln zu verwenden. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Klägers wies das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 19. Dezember 2014 – 7 B 11149/14.OVG – zurück.

6

Am 19. Januar 2015 hat der Kläger Klage erhoben, mit welcher er zunächst die Feststellung begehrt hat, das städtische Verbot von Fackeln und die Begrenzung auf vier Fackeln im gerichtlichen Eilverfahren hätten gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 und der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz verstoßen.

7

Der Kläger trägt vor:

8

Die Begrenzung auf vier Fackeln habe die Wahrnehmung der Kundgebung massiv beeinträchtigt und den Sinn des Umzugs konterkariert. Ein Fackelzug mit nur vier Fackeln könne nicht als richtiger Fackelzug gewertet werden, da die Sichtbarkeit gerade in den Abendstunden eingeschränkt gewesen sei. Auf Grund der Wegstrecke und des zeitlichen Rahmens hätten brennende Fackeln ohnehin nicht durchgehend eingesetzt werden können. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung habe nicht vorgelegen. Die durch Asylbewerber selbst verursachten Brände in den Asylunterkünften in Trier hätten gezeigt, dass diese eher sorglos mit Feuer umgingen und nicht durch 10 Fackeln, die in einiger Entfernung der Unterkunft gezeigt würden, eingeschüchtert würden. Im Mai 2014 habe sogar eine Veranstaltung direkt vor der Asylbewerberunterkunft stattgefunden, bei welcher die Bewohner sorglos umhergelaufen seien. Auch die aufgeführten Zitate von seiner Facebook-Seite seien nicht geeignet eine „Drohkulisse“ aufzubauen, da sie alle sachlich richtig seien und eine politische Lösung der Probleme bezweckten. Da er auch in Zukunft Fackelzüge in Trier plane, bestehe auch Wiederholungsgefahr und damit ein Feststellungsinteresse.

9

Der Kläger hat seinen Antrag, festzustellen, dass auch die im gerichtlichen Eilverfahren ausgesprochene Begrenzung auf vier Fackeln gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit verstoßen habe, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

10

Der Kläger beantragt nunmehr,

11

festzustellen, dass die im Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2014 ausgesprochene Untersagung der Verwendung von Fackeln rechtswidrig gewesen ist.

12

Die Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung verweist sie auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus:

15

Zwar rechtfertige das Mitführen von Fackeln kein generelles Demonstrationsverbot, jedoch sei unter bestimmten Voraussetzungen eine dahingehende Auflage angezeigt, insbesondere wenn das Motto der geplanten Demonstration eine bestimmte Zielrichtung verfolge, die ein partielles Feindbild suggeriere.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung sowie die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsakten und sonstigen Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

17

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer seine Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen.

II.

18

Im Übrigen ist die Klage, über die trotz des in der mündlichen Verhandlung gestellten Ablehnungsgesuchs des Klägers unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterin ... verhandelt und entschieden werden konnte, zulässig und begründet.

19

1. Das gegen die ehrenamtliche Richterin gerichtete Ablehnungsgesuch war gemäß § 54 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. §§ 41 ff. der Zivilprozessordnung - ZPO - abzulehnen, da in ihrer Person keine Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 2 VwGO bzw. § 41 ZPO vorliegen - solche hat der Kläger auch nicht geltend gemacht - und entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht die begründete Besorgnis der Befangenheit besteht.

20

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob er tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist vielmehr, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2014 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 -, BVerfGE 135, 248 [zur entsprechenden Regelung in § 19 BVerfGG]). Anders als der Kläger meint, folgt aus der Tatsache, dass die abgelehnte Richterin als Ratsmitglied an dem Beschluss zum Ausschluss des Vorsitzenden des Klägers aus dem Stadtrat der Beklagten mitgewirkt hat, keine begründete Besorgnis der Voreingenommenheit. Die Entscheidung des Stadtrates hielt nämlich zunächst der Überprüfung durch das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht stand (vgl. VG Trier, Urteil vom 08. Mai 2012 - 1 K 1302/11.TR -, LKRZ 2012, 331; OVG RP, Urteil vom 15. März 2013 - 10 A 10573/12 -, DVBl 2013, 736, LKRZ 2013, 255). Erst das Bundesverwaltungsgericht hat die vorinstanzlichen Urteile abgeändert und die Rechtswidrigkeit des Ausschlusses des Vorsitzenden des Klägers aus dem Stadtrat der Beklagten festgestellt. Dieses Ergebnis hat es mit damit begründet, § 31 Abs. 1 GemO sei aufgrund des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl verfassungskonform auszulegen, auch wenn hierdurch von der Intention des historischen Gesetzgebers abgewichen werde (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2015 – 10 C 11/14 –, juris). Das zeigt, dass der Beschluss des Stadtrates nicht als offenkundig rechtswidrig bzw. rechtsmissbräuchlich anzusehen war, sondern auf einer sachlich begründeten, wenn auch letztlich vom Bundesverwaltungsgericht als rechtswidrig erkannten Rechtsauffassung beruhte. Somit begründet die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterin an diesem Beschluss kein begründetes Misstrauen gegen ihre Unvoreingenommenheit im vorliegenden Verfahren.

21

Nach § 54 Abs. 3 VwGO ist die Besorgnis der Befangenheit jedoch stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden. Die abgelehnte ehrenamtliche Richterin gehörte zwar in der Vergangenheit dem Stadtrat der Beklagten an. Das genügt aber nicht für die begründete Besorgnis der Befangenheit nach § 54 Abs. 3 VwGO, da diese Vorschrift ersichtlich darauf abstellt, dass sich aus einer aktuellen Mitgliedschaft in der Vertretung einer Körperschaft ein Loyalitätskonflikt ergeben kann (vergleiche Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 28. Ergänzungslieferung 2015, § 54 Rn. 31a).

22

2. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist es geklärt, dass § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in den Fällen der Erledigung eines Verwaltungsaktes vor Klageerhebung – im vorliegenden Fall bereits am 19. Dezember 2014 mit dem Abschluss des Aufzugs - entsprechende Anwendung findet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.06.2008 - 6 C 21/07 -, BVerwGE 131, 216).

23

Der Durchführung des Vorverfahrens bedurfte es nicht mehr, da dieses seine Aufgabe, nämlich insbesondere die Selbstkontrolle der Verwaltung, nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Februar 1967 - I C 49.64 -, BVerwGE 26, 161).

24

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, weil angesichts seines Vorbringens ein Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - geschützten Versammlungsfreiheit durch die streitige Verfügung nicht von vorneherein ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der die Kammer folgt, gebietet das in Art. 19 Abs. 4 gewährleistete Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen „tiefgreifender“ oder „gewichtiger“ Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensverlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache kaum erlangen kann. Solche Eingriffe können auch bei Beeinträchtigungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gegeben sein, gegen die Rechtschutz im Hauptsacheverfahren in dem dafür verfügbaren Zeitraum typischerweise nicht erreichbar ist (BVerfG, Beschluss vom 03. März 2014 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2014 - 6 C 1/13 -, NVwZ 2014, 883). Danach ist hier ein Feststellungsinteresse zu bejahen, da ein schwerwiegender Grundrechtseingriff in die Versammlungsfreiheit durch die Untersagung des Mitführens von Fackeln nicht auszuschließen ist und das Fackelverbot sich bereits am Tag nach seinem Erlass erledigt hat.

25

Darüber hinaus hat der Kläger ein berechtigtes Feststellungsinteresse wegen einer bestehenden Wiederholungsgefahr, da er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung die Durchführung weiterer Fackelzüge beabsichtigt und bereits einen weiteren Fackelzug bei der Beklagten angemeldet hat. Dieser könnte angesichts der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsauffassung der Beklagten, die ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung erneut bekräftigt hat, zu denselben Rechtsproblemen und damit zu derselben Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines erneuten Fackelverbotes führen (vergleiche BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2014, a.a.O.).

26

3. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2014 war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).

27

Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung war § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG -. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

28

a) Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit war nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht zu erwarten und wurde von der Beklagten in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens auch nicht zur Begründung ihrer Verfügung herangezogen.

29

b) Gestützt war die Verfügung vielmehr auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Es gibt einerseits Gründe für die Annahme, dass eine solche Gefahr nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bestand. Andererseits sind aber durchaus auch Umstände zu erkennen, die gegen eine solche Annahme sprechen. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die ausgesprochene Untersagung der Verwendung von Fackeln während des Aufzugs und während der einzelnen Kundgebungen jedenfalls unverhältnismäßig war.

30

aa) Unter den Begriff der öffentlichen Ordnung wird auch im Versammlungsrecht die Gesamtheit der Regeln gefasst, deren Befolgung durch die jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzungen eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2014, a.a.O.). Dabei muss sich die Gefährdung grundsätzlich aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergeben und darf nicht isoliert aus dem Inhalt der kundgegebenen Äußerungen gefolgert werden. Sie kann insbesondere aufgrund eines aggressiven und provokativen Verhaltens bestehen, welches geeignet ist, einschüchternde Wirkung zu entfalten und ein Klima potenzieller Gewaltbereitschaft zu erzeugen (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -, BVerfGE 111, 147; BVerfG, Beschluss vom 5. September 2003 – 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90; OVG RP, Beschluss vom 19. Dezember 2014 - 7 B 11149/14.OVG -). Entscheidend ist die Sicht ex ante, wobei bloße Verdachtsmomente und Vermutungen nicht ausreichen, sondern konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sein müssen (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, NVwZ 2013, 570; OVG RP, Beschluss vom 19. Dezember 2014, a.a.O.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit auch die Entscheidung umfasst, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will, also auch die Wahl der Mittel zur Verstärkung der „Appell- und Signalwirkungen“ einschließt (BVerfG, Beschluss vom 05. September 2003 – 1 BvQ 32/03 -, a.a.O.; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage, 2011, § 15 Rn. 162).

31

bb) Die Beklagte hat in der angegriffenen Verfügung ebenso wie das Verwaltungsgericht in seinem Eilbeschluss vom 19. Dezember 2014 - 1 L 2248/14.TR - darauf abgestellt, dass die im Internet zuvor veröffentlichen Meinungsäußerungen des Klägers in Verbindung mit dem Einsatz brennender Fackeln sowie weiteren Hilfsmitteln wie Mikrofonen, Fahnen, Transparenten, Spruchbändern und Plakaten auf dem gesamten Aufzug und während der Kundgebungen wegen des Einschüchterungseffektes hinsichtlich der in der Asylbewerberunterkunft untergebrachten Menschen einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstelle. Das Verwaltungsgericht hat eine solche Gefahr ebenfalls hinsichtlich solcher Asylbewerber angenommen, die sich während des Aufzugs im Stadtteil Euren auf den Straßen aufhielten.

32

Im Rahmen der erforderlichen Gefahrenprognose ist aber ebenfalls zu berücksichtigen, dass keine Anhaltspunkte für die Annahme vorlagen, der geplante Demonstrationszug werde den Charakter einer militant-einschüchternden Inszenierung annehmen, wie dies etwa bei dem Mitführen von Landknechtstrommeln, Marschtritt und/oder einheitlicher Kleidung der Fall sein kann (vgl. VGH München, Beschluss vom 16.02.1994 - 21 CS 94.461- , BeckRS 1994, 16504). Auch kann Fackeln nicht per se ein aggressiver oder Gewaltbereitschaft suggerierender Symbolgehalt zugeordnet werden, da sie in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart für ganz unterschiedliche politische, religiöse oder andere kultische Anlässe genutzt worden sind und werden (Sächsisches OVG, Urteil vom 04. Juni 2009 - 3 B 59/06 -, juris). Zudem waren Versammlungen des Klägers in dem Gebiet der Beklagten in der Vergangenheit ohnehin nicht durch eine große Anzahl von Teilnehmern gekennzeichnet, was ebenfalls für den Grad der einschüchternden Wirkung von Bedeutung ist. Hinsichtlich der Asylbewerber in der Aufnahmeeinrichtung kommt hinzu, dass der Streckenverlauf des Aufzuges nicht unmittelbar an der Asylbewerberunterkunft vorbeiführen sollte, der Kreisverkehr im Straßenbereich „Vor Plein“, an dem neben dem Kriegerdenkmal in jedem Fall Fackeln entzündet werden sollten, etwa 320 m Luftlinie von der Unterkunft entfernt ist und die Strecke nicht in ihrer Gesamtheit von der Unterkunft aus einsehbar ist. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass die in das Internet eingestellten Meinungsäußerungen des Klägers im Vorfeld der Versammlung durchaus einen einseitigen, provokanten und nahezu hetzerischen Charakter hatten, aber nicht zu Gewalt aufriefen und zudem nicht viel dafür spricht, dass Asylbewerber oder ein erheblicher Teil der Bevölkerung diese Internetseiten überhaupt aufsuchen. Schließlich ist auch in den Blick zu nehmen, dass der Kläger bereits zuvor Versammlungen bzw. Aufzüge unter freiem Himmel unter Mitführung brennender Fackeln abgehalten hat, einmal sogar unmittelbar vor der Asylbewerberunterkunft in Trier-Nord, ohne dass sich die Beklagte veranlasst gesehen hat, ein entsprechendes Verbot auszusprechen. Den diese Versammlungen betreffenden polizeilichen Einsatztagebüchern und Berichte, die von der Kammer beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, lässt sich nicht entnehmen, dass bei diesen Versammlungen eine Atmosphäre herrschte, die zu einer Verängstigung oder Einschüchterung der in der Aufnahmeeinrichtung lebenden Asylbewerber oder Bürger geführt hat. All diese Aspekte sind durchaus geeignet, die Prognose einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung infrage zu stellen.

33

c) Die generelle Untersagung der Verwendung von Fackeln, zudem während des gesamten Umzuges, hält aber jedenfalls der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. hierzu z.B. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315; BVerfG, Beschluss vom 06. Juni 1989 - 1 BvR 921/85 -, BVerfGE 80, 137) nicht stand.

34

aa) Selbst wenn man aufgrund einer Gesamtwürdigung der unter II.3.b dargelegten Aspekte zu dem Ergebnis gelangen würde, zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Auflage habe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung bestanden, so wäre das Verbot jedweder Verwendung von Fackeln nicht erforderlich gewesen, um eine solche Gefahr zu beseitigen. Vielmehr hätte die insoweit bestehende Gefahr durch eine weniger einschneidende Auflage, nämlich die Begrenzung der Zahl der gleichzeitig brennenden Fackeln, zuverlässig beseitigt werden können. Wie bereits im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2014 (a.a.O.) dargelegt worden ist, hätte das gleichzeitige Abbrennen von bis zu 4 Fackeln jedenfalls nicht mehr den Eindruck eines aggressiven und provokativen Verhalten hervorgerufen, welches geeignet wäre, einschüchternde Wirkung zu entfalten und ein Klima potenzieller Gewaltbereitschaft zu erzeugen. Dies gilt erst recht bei einer noch weiterreichenden zahlenmäßigen Begrenzung der verwendeten Fackeln.

35

bb) Nimmt man hingegen an, selbst bei einer erheblichen Reduzierung der Zahl der verwendeten Fackeln habe gleichwohl eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung bestanden, so hätte eine solche zahlenmäßige Begrenzung - oder das Verbot des Abbrennens der Fackeln in als besonders problematisch erachteten Bereichen wie dem Kreisverkehr „Vor Plein“- jedenfalls eine weitgehende Reduzierung dieser Gefahr zur Folge gehabt, so dass das vollständige Verbot der Verwendung von Fackeln jedenfalls unverhältnismäßig im engeren Sinne wäre. Der mit diesem Verbot verbundene Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit stünde nämlich außer Verhältnis zu dem öffentlichen Interesse an der Beseitigung der auch bei der zahlenmäßigen Begrenzung der verwendeten Fackeln oder der örtliche Beschränkung ihrer Verwendung noch verbleibenden Gefahr für die öffentliche Ordnung.

36

Bei Einschränkungen der Versammlungsfreiheit ist wegen der grundlegenden Bedeutung der Grundrechte im demokratischen Gemeinwesen die Proportionalität von Eingriffszweck und Eingriffsfolgen besonders sensibel zu betrachten und es hat eine sorgfältige Abwägung zu erfolgen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Versammlungen und Demonstrationen Mittel im politischen Meinungskampf sind, der ein Lebenselement der freiheitlichen und demokratischen Staatsordnung ist.

37

Auch aus diesem Grunde kommt der Versammlungsfreiheit im Rahmen des Abwägungsprozesses erhebliches Gewicht zu. Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Versammlungsfreiheit ebenfalls geschützte Art und Weise der Durchführung einer Versammlung einschließlich der zur Meinungskundgabe verwendeten Mittel. Der Kläger hat einen Aufzug unter dem Motto „Fackelzug gegen Asylbetrug“ angemeldet. Diesem Motto ist das Mitführen von Fackeln immanent, weswegen der Kläger auch mehrfach betont hat, dass es ihm gerade auf den Einsatz von Fackeln ankomme. Von daher handelt es sich bei der Untersagung der Verwendung von Fackeln während des gesamten Umzuges durchaus um einen nicht unerheblichen substantiellen Eingriff in das Versammlungsrecht.

38

Hinter diesem schutzwürdigen Interesse des Klägers, seinen Aufzug sowie die Kundgebungen als Fackelzug durchzuführen, müsste das öffentliche Interesse an der Beseitigung einer Gefahr für die öffentliche Ordnung, sofern eine solche auch bei einer Begrenzung der Anzahl der verwendeten Fackeln überhaupt noch bestünde, zurücktreten. Die trotz einer solchen Begrenzung verbleibende einschüchternde Wirkung aufgrund einer Atmosphäre latenter Gewaltbereitschaft wiese jedenfalls eine äußerst geringe Intensität auf. Die Untersagung der Verwendung jeglicher Fackeln, die zudem dem gesamten Aufzug betraf, war somit unverhältnismäßig.

39

Der Klage war daher stattzugeben.

III.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 155 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.

41

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZivilprozessordnungZPO –.

42

Die Berufung ist nicht zu zulassen, da Zulassungsgründe nach § 124 a Abs. 1 S. 1 VwGO nicht vorliegen.

43

Beschluss

44

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 45.4 des von Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalogs, NVwZ-Beilage 2013, S. 58).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Trier Urteil, 06. Juli 2015 - 6 K 153/15.TR

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Trier Urteil, 06. Juli 2015 - 6 K 153/15.TR

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Trier Urteil, 06. Juli 2015 - 6 K 153/15.TR zitiert 14 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Zivilprozessordnung - ZPO | § 42 Ablehnung eines Richters


(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 54


(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend. (2) Von der Ausübung des Amtes als Richter oder ehrenamtlicher Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwal

Zivilprozessordnung - ZPO | § 41 Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes


Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen: 1. in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht;2.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 19


(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. (2) Die Ablehnung ist zu

Versammlungsgesetz - VersammlG | § 15


(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung d

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Trier Urteil, 06. Juli 2015 - 6 K 153/15.TR zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Trier Urteil, 06. Juli 2015 - 6 K 153/15.TR zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 21. Jan. 2015 - 10 C 11/14

bei uns veröffentlicht am 21.01.2015

Tatbestand 1 Der Kläger wurde bei der Kommunalwahl am 7. Juni 2009 in den Rat der beklagten Stadt gewählt. Mit Beschluss vom 22. September 2011 schloss der Rat ihn aus.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 26. Feb. 2014 - 6 C 1/13

bei uns veröffentlicht am 26.02.2014

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die von der Beklagten angeordnete Verlegung einer für den 27. Januar 2012 - dem jährlichen Tag des Gedenkens an

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 15. März 2013 - 10 A 10573/12

bei uns veröffentlicht am 15.03.2013

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 8. Mai 2012 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Revision w

Verwaltungsgericht Trier Urteil, 08. Mai 2012 - 1 K 1302/11.TR

bei uns veröffentlicht am 08.05.2012

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abw

Referenzen

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter oder ehrenamtlicher Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen:

1.
in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht;
2.
in Sachen seines Ehegatten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
in Sachen seines Lebenspartners, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;
4.
in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist;
5.
in Sachen, in denen er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist;
6.
in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt;
7.
in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird;
8.
in Sachen, in denen er an einem Mediationsverfahren oder einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung mitgewirkt hat.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Ausschluss des Klägers aus dem Trierer Stadtrat.

2

Der Kläger ist Kreisvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) für den Kreis Trier. Als deren Vertreter wurde er bei der Kommunalwahl am 7. Juni 2009 in den Stadtrat der Stadt Trier gewählt.

3

Mit Urteil vom 22. Dezember 2010 verurteilte das Landgericht Trier den Kläger wegen Mittäterschaft an einer gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 3, 25 Abs. 2 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof am 3. August 2011 als unbegründet. Die daraufhin vom Kläger am 22. September 2011 erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2012 - 2 BvR 2417/11 - ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.

4

Der Verurteilung des Klägers legte das Landgericht Trier - verkürzt - folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde: der Kläger habe zu einer etwa acht- bis neunköpfigen Gruppe gehört, die am 18. Mai 2009 drei Personen auf deren Weg von der Polizeiinspektion in die Trierer Innenstadt abgepasst habe, um sich an diesen dafür zu revanchieren, dass sie zuvor Wahlplakate der NPD abgerissen hätten. Dabei sei der Gruppe um den Kläger bekannt gewesen, dass die betreffenden Personen bereits von der Polizei festgenommen und zur Sache vernommen worden seien. Eine der drei Personen sei sodann durch Faustschläge und Tritte verletzt worden. Der Kläger sei bei den Verletzungshandlungen zwar zugegen gewesen, habe sich aber nicht aktiv daran beteiligt. Das Landgericht sah die Voraussetzungen der Mittäterschaft als erfüllt an, da die Gruppe einen gemeinsamen Tatplan gehabt habe und der Kläger als "Hauptinitiator des gesamten Geschehens" - so das Landgericht wörtlich - einen wesentlichen Tatbeitrag geleistet habe.

5

Der Stadtrat der Beklagten fasste aufgrund besagter Verurteilung des Klägers am 22. September 2011 in nichtöffentlicher Sitzung einstimmig den Beschluss, den Kläger auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 Gemeindeordnung - GemO - aus seinen Reihen auszuschließen. Zusätzlich ordnete er die sofortige Vollziehung der Ausschlussentscheidung an. Über die unter Ziffer 1. den Ausschluss und unter Ziffer 2. die Anordnung des Sofortvollzugs umfassende Beschlussvorlage wurde im Gesamten in geheimer Abstimmung entschieden, nachdem der Oberbürgermeister zuvor festgestellt hatte, dass ein Antrag auf getrennte Abstimmung zu den Punkten 1 und 2 der Vorlage nicht gestellt worden war.

6

Die Einladung zu der Stadtratssitzung vom 22. September 2011 mit der ausschließlich den Tagesordnungspunkt "Ausschluss des Ratsmitgliedes ... aus dem Stadtrat gem. § 31 der Gemeindeordnung" enthaltenden Tagesordnung wurde den Mitgliedern des Stadtrates unter dem 13. September 2011 übermittelt. Zugleich erhielt der Kläger Gelegenheit, sich zu der der Einladung anliegenden Beratungs- und Entscheidungsvorlage Nr. 382/2011 vom 12. September 2011 schriftlich zu äußern. Hiervon machte er mit Schreiben vom 22. September 2011 Gebrauch, das er der Beklagten am selben Tag per Email um 13:09 Uhr mit der Bitte um umgehende Weiterleitung an alle Ratsmitglieder übersandte. Zu Beginn der Stadtratssitzung äußerte der Kläger, dass ihm im Hinblick auf seinen zu erwartenden Ausschluss von der Sitzung wegen Befangenheit nach § 22 GemO zumindest das Recht gewährt werden müsse, mündlich seine Position darzulegen. Nach Annahme der Tagesordnung durch den Stadtrat räumte der Oberbürgermeister dem Kläger sodann Gelegenheit ein, sich mündlich zur Vorlage zu äußern, wobei er betonte, dass dies rechtlich nicht notwendig sei, da eine schriftliche Anhörung des Klägers zu seinem geplanten Ausschluss bereits stattgefunden habe. Der Kläger nahm umfassend zur Beschlussvorlage Stellung. Anschließend schloss der Stadtrat ihn durch einstimmigen Beschluss wegen Befangenheit von der Beratung und Entscheidung über die Vorlage aus. Nachdem er den Sitzungssaal verlassen hatte, signalisierten die sechs Fraktionsvorsitzenden für ihre jeweilige Fraktion, die Verwaltungsvorlage uneingeschränkt mitzutragen. Dem schloss sich der Abstimmungsvorgang an.

7

Die Stadtratsvorlage 382/2011, auf deren Grundlage der Beschluss über den Ausschluss des Klägers erging, wurde - versehen mit einem Beschlussvermerk des Sitzungsdienstes sowie einer Rechtsmittelbelehrung - dem Kläger am 26. September 2011 übermittelt.

8

Darin begründete die Beklagte die getroffene Entscheidung damit, dass der Kläger durch die Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt habe. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger als Volksvertreter und den von ihm Vertretenen sei aufgrund der Verurteilung und der ihr zugrunde liegenden Straftat in ganz besonderem Maße gestört. Der Kläger habe sich durch die Tat über das Recht und das Gewaltmonopol des Staates hinweggesetzt. Dabei habe er eine Strafe gewählt, die selbst dem Staat bei schwersten Delikten nicht zur Verfügung stehe. In dem ungleichen Verhältnis von acht zu eins sei das schon wehrlos am Boden liegende Opfer in menschenverachtender Weise mit Fußtritten und Schlägen gegen Kopf und Rumpf so erheblich verletzt worden, dass es ins Krankenhaus habe eingeliefert werden müssen. Der ihm entgegengebrachten öffentlichen Achtung habe sich der Kläger hiermit als unwürdig erwiesen. Der Wähler könne ihm aber erst nach Ablauf der Wahlperiode das Vertrauen verweigern, so dass bis dahin der Stadtrat selbst die Integrität der politischen Willensbildung sicherzustellen habe. Das Interesse des Klägers, weiterhin an der demokratischen und rechtsstaatlichen Willensbildung im Stadtrat teilzunehmen, sei in Anbetracht der begangenen Tat nicht schutzwürdig. Die sofortige Vollziehung des Ausschlusses sei erforderlich um sicherzustellen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Lauterkeit der Stadtratsmitglieder und damit der politischen Willensbildung in den Gemeindeorganen keinen Schaden nehme. Es sei geradezu unerträglich, wenn der Kläger, der sich mit Gewalt über das Recht und den Achtungsanspruch des Menschen hinweggesetzt habe, weiterhin an Entscheidungen im Stadtrat mitwirke, die ihrerseits für den Bürger verbindlich seien.

9

Der Kläger hat am 29. September 2011 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, § 31 GemO sei verfassungswidrig. Die Norm verletze den in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz - GG - garantierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Die in Streit stehende Bestimmung gebe der Gemeindevertretung das Recht, sich nach der Wahl zwischen Wähler und Wahlbewerber zu schieben und den Wählerwillen zu verfälschen. Damit hätten nicht mehr die Wähler das letzte Wort, sondern die Mitglieder des Gemeinderates. Ferner sei § 31 GemO vom unzuständigen Gesetzgeber erlassen worden. Die Bestimmung knüpfe die Sanktion des Ausschlusses aus dem Gemeinderat an das Vorliegen einer Straftat. Das Strafrecht aber sei nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung und der Bund habe die Materie abschließend geregelt. Insbesondere sehe § 45 StGB bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr den zwingenden Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit für fünf Jahre und in weiteren gesetzlich bestimmten Fällen die Möglichkeit der Aberkennung derselben durch den Strafrichter vor. Hierbei handle es sich um Nebenstrafen. Dem Landesgesetzgeber stehe es daher nicht zu, weitergehende Strafen einzuführen. Erst recht dürfe er nicht dem Gemeinderat die Möglichkeit eröffnen, neben der durch ein Gericht verhängten Strafe und über diese hinaus eine weitere, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende Strafe zu verhängen. Hierin liege zugleich ein Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 3 GG normierten Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden dürfe. Auch der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl werde insofern, als von ihm das passive Wahlrecht umfasst sei, durch die angegriffene Bestimmung verletzt. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht Einschränkungen des Allgemeinheitsprinzips aus zwingenden Gründen für zulässig erachtet. Auch habe es die bürgerlichen Ehrenrechte als Wählbarkeitsvoraussetzung anerkannt. Es sei im Fall einer strafrechtlichen Verurteilung aber nicht erkennbar und vom Bundesverfassungsgericht auch bisher nicht dargetan, inwiefern daraus ein zwingender Grund für die Einschränkung der Allgemeinheit der Wahl resultiere.

10

Weiter führt der Kläger aus, dass § 31 GemO, verstehe man ihn nicht als Strafgesetz, jedenfalls eine unverhältnismäßige Disziplinarmaßnahme vorsehe. Die Bestimmung sei auch darüber hinaus unverhältnismäßig. Dies zeige sich schon darin, dass sie die Aberkennung des Mandats auch dann zulasse, wenn der Strafrichter sie abgelehnt habe, sowie unter Voraussetzungen, die für eine strafrichterliche Aberkennung nicht genügten. Statt eines neutralen Richters entschieden dann politische Konkurrenten. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspreche auch, dass der Ausschluss mit einfacher Mehrheit beschlossen werden könne. Dies zeige ein Vergleich mit der Abwahl des Bürgermeisters, für welche die Gemeindeordnung ein mehrstufiges Verfahren vorschreibe, bei dem mehrere Sicherungsmaßnahmen Missbrauch vorbeugten. Auch habe der Gesetzgeber im Hinblick auf ehrenamtliche Bürgermeister und Beigeordnete von einer Abwahlmöglichkeit gerade abgesehen, um die Bereitschaft zur Übernahme eines solchen Amtes nicht unnötig zu erschweren.

11

Die Voraussetzung, dass der Verurteilte "die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit" verloren haben müsse, sei kaum definierbar und liefe auf Verurteilungs- und Vorstrafenfreiheit hinaus. Es gebe keine spezifischen Standesregeln und Sitten, durch deren Beachtung sich Gemeinderatsmitglieder von der übrigen Bevölkerung unterschieden. Demgemäß gebe es auch keine gemeinderatsspezifische Unbescholtenheit. Andere Bundesländer kämen daher auch ohne eine solche Regelung aus.

12

Schließlich verletze es das Demokratieprinzip, dass die Klage eines ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglieds keine aufschiebende Wirkung habe und somit das Ratsmitglied bis zum Abschluss des Verfahrens seine Mitgliedsrechte nicht ausüben könne. Eine Verletzung der in Art. 20 Abs. 2 GG garantierten Volkssouveränität sei ferner darin zu sehen, dass einem gewählten Volksvertreter in Rheinland-Pfalz aus Gründen das Mandat entzogen werde, die in keinem anderen Bundesland eine vergleichbare Folge nach sich zögen. Auch für rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete existiere eine solche Regelung nicht.

13

Im Hinblick auf die konkrete Entscheidung vom 22. September 2012 erweise sich bereits das Verfahren seines Ausschlusses aus dem Trierer Stadtrat als fehlerhaft. Die Beschlussfassung in nicht-öffentlicher Sitzung verstoße gegen das Gesetz, die getroffene Entscheidung sei daher ungültig. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO setze der Ausschluss der Öffentlichkeit das Vorliegen besonderer Gründe voraus, welche schwerer wögen als das demokratische Interesse an der Sitzungsöffentlichkeit. An solchen Gründen fehle es hier. § 6 Abs. 2 Nr. 5 der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Trier, der einen generellen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Beratung und Entscheidung nach § 31 GemO vorsehe, sei daher rechtswidrig und nichtig. Des Weiteren habe die Beklagte ihn nach § 22 Abs. 3 GemO nicht wegen Befangenheit von der Beratung und Entscheidung ausschließen dürfen, da sein Ausschluss eine Abwahl darstelle und die Befangenheitsregeln auf Wahlen keine Anwendung fänden. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen Vortag dahingehend ergänzt, dass jedenfalls, sollte er zu Recht ausgeschlossen worden sein, die Beschlussfassung nach § 22 Abs. 6 Satz 1 GemO unwirksam sei, da er durch seine mündliche Stellungnahme an der Beratung mitgewirkt habe. Dies habe der Oberbürgermeister selbst zu erkennen gegeben, indem er ihm nach der Abstimmung über seine Befangenheit mitgeteilt habe, dass er "von der weiteren Beratung ausgeschlossen" sei.

14

Sein Ausschluss aus dem Stadtrat sei schließlich auch deshalb rechtswidrig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO nicht erfüllt seien. Dies folge zum einen daraus, dass nur die von einem Ratsmitglied in gerade dieser Eigenschaft begangenen Taten überhaupt geeignet seien, die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit zu verwirken. Im seinem Fall weise die Tat, wegen derer er verurteilt worden sei, jedoch keinen Bezug zu seiner Amtsführung auf. Zum anderen mache das Gesetz deutlich, dass die Unbescholtenheit nicht durch die Verurteilung, sondern durch die Straftat verwirkt worden sein müsse. Da man nicht verwirken könne, was man nicht besitze, setze § 31 Abs. 1 GemO voraus, dass die Tatbegehung zeitlich nach der Wahl liege. Der ihm zur Last gelegte Sachverhalt habe sich aber vor der Wahl ereignet. Soweit die Vorschrift ferner verlange, dass das Ratsmitglied seine Unbescholtenheit durch die Straftat verwirkt habe, müsse der zur Verurteilung führende Sachverhalt im Ausschlussverfahren nach § 31 Abs. 1 GemO unabhängig aufgeklärt werden. Das Strafurteil gegen ihn sei zu Unrecht, insbesondere unter fehlerhafter Beweiswürdigung ergangen. Darüber hinaus müsse in seinem Fall berücksichtigt werden, dass der Wähler im Zeitpunkt der Wahl von der Tat gewusst habe. Die Presse habe umfassend und in einer die Unschuldsvermutung ignorierenden Art und Weise über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe berichtet. Insofern sei die Mehrheit der Bevölkerung schon im Zeitpunkt der Wahl davon ausgegangen, dass er sich wegen Körperverletzung strafbar gemacht habe. Dass er dennoch gewählt worden sei, zeige, dass die Wähler ihm vertrauten. Dieser Wählerwille dürfe nicht ignoriert werden.

15

Der Kläger beantragt,

16

den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2011 über seinen Ausschluss aus dem Stadtrat der Stadt Trier aufzuheben.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

In Ergänzung zu ihren bereits im Verwaltungsverfahren getätigten Ausführungen legt sie insbesondere dar, dass § 31 GemO mit verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang stehe. Insofern als er den Ausschluss eines gewählten Gemeinderatsmitglieds unter bestimmten Voraussetzungen ermögliche, beeinflusse § 31 Abs. 1 GemO die Unmittelbarkeit der Wahl nicht. Die Wahl selbst sei im Zeitpunkt eines Ausschlusses bereits erfolgt. Außerdem habe die Norm keinen strafenden oder erzieherischen Charakter, sondern ziele darauf ab, die Unbescholtenheit des Gemeinderats als Organ zu schützen. Dies zeige sich schon daran, dass der Gemeinderatsausschluss nicht mit einem Verlust der Wählbarkeit oder Amtsfähigkeit verbunden sei, sondern nur den Entzug des konkreten Mandats für die Dauer der Wahlperiode zum Gegenstand habe. Insofern verletze § 31 GemO weder die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Gesetzgebung, noch das Verbot der Doppelbestrafung gem. Art. 103 Abs. 3 GG. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip trage die Bestimmung dadurch Rechnung, dass sie hohe materielle Anforderungen an einen Ausschluss stelle. Einem Missbrauch der Ausschlussmöglichkeit zu politischen Zwecken werde hierdurch vorgebeugt. Bei der Abwahl hauptamtlicher Bürgermeister und Beigeordneter hingegen bestehe lediglich ein Verbot der Willkür und der Verfolgung zweckwidriger Erwägungen. Überdies sei die Entscheidung nach § 31 Abs. 1 GemO in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar, auch Eilrechtsschutz könne gewährt werden.

20

Die Voraussetzungen für den Ausschluss des Klägers nach § 31 Abs. 1 GemO seien auch erfüllt. Insbesondere habe der Kläger die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt. Hierfür sei nicht erforderlich, dass die Verurteilung auf einer gerade in der Eigenschaft als Ratsmitglied begangenen Tat beruhe. Vielmehr gehe es um die Wirkung des strafbaren Verhaltens auf den Bürger und darum, dass dieser nach der Wahl keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Gemeinderates mehr nehmen könne. Vorliegend habe der Kläger die Grenze des für einen Mandatsträger noch hinnehmbaren Verhaltens überschritten, indem er sich über wesentliche Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats hinweggesetzt habe. Trotz der breiten Berichterstattung an den Medien könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Wähler sich des vollen Umfangs der Tat und des Ausmaßes der Beteiligung des Klägers hieran bewusst gewesen sei. Da die Grundlagen, auf denen die Wähler ihre Wahlentscheidung getroffen hätten, nachträglich ohnehin nicht mehr ermittelt werden könnten, müsse praktisch auf das durchschnittliche Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Mandatsträger abgestellt und davon ausgegangen werden, dass der Wähler erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung und Offenlegung des gerichtlich festgestellten Sachverhalts eine endgültige Entscheidung treffe. Vorliegend sei aufgrund der Verurteilung des Klägers das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Wähler nachhaltig gestört, was sich auf das Ansehen des gesamten Rates negativ auswirke, so dass auch das Vertrauen des Bürgers in die Kommunalvertretung als solche beeinträchtigt sei. Es liege somit hier einer der besonderen Ausnahmefälle vor, in denen die Wählerentscheidung auf Grundlage unzureichender Informationen getroffen worden sei. Ferner dürfe der Rat bei der Prüfung, ob ein Ratsmitglied seine Unbescholtenheit verwirkt habe, von den Feststellungen des Strafrichters und dem von diesem gesprochenen Unwerturteil ausgehen, ohne selbst eine erneute Strafbarkeitsprüfung vornehmen zu müssen. Die Entscheidung, den Kläger auszuschließen, sei ermessenfehlerfrei ergangen, insbesondere habe dieser vor der Beratung und Abstimmung ausführlich Stellung nehmen können.

21

In formeller Hinsicht habe der Beschluss ebenfalls Bestand. Der Ausschluss der Öffentlichkeit sei aufgrund von § 6 Abs. 2 Nr. 5 der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Trier erfolgt und im Hinblick auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO nicht zu beanstanden. Der besondere Grund für die Behandlung von Entscheidungen nach § 31 Abs. 1 GemO in nicht-öffentlicher Sitzung bestehe darin, dass die Umstände der Verurteilung und die Gründe für die Verwirkung der Unbescholtenheit des Ratsmitglieds - also auch dessen Charakterzüge und Wesensmerkmale - in der Sitzung erörtert würden, so dass Persönlichkeitsrechte besonders betroffen seien. Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit überwiege nicht das Interesse des Betroffenen an der Vertraulichkeit im Hinblick auf die gegenüber seiner Person geäußerten Bedenken. Eine öffentliche Erörterung könne für das Ratsmitglied negative Auswirkungen bis in den Bereich privater Lebensführung hinein haben. Daher rechtfertige auch die Natur des Beratungsgegenstands nach § 35 Abs. 1 2. Alt. GemO den Ausschluss der Öffentlichkeit. Schließlich liege Sinn und Zweck des Ausschlusses der Öffentlichkeit auch darin, eine objektive und unbeeinflusste Amtsausübung der Ratsmitglieder zu gewährleisten. Im Fall des Klägers sei aber mit einer massiven Einflussnahme von außen und mit Störungen des Sitzungsablaufs bei Zulassung der Öffentlichkeit zu rechnen gewesen. Der Ausschluss des Klägers selbst von der Entscheidung habe seine Grundlage in § 22 Abs. 1 Nr. 1 GemO, denn der Verlust des Mandats habe ihm einen unmittelbaren Nachteil gebracht. Der Ausschluss aus dem Gemeinderat sei keine Wahl im Sinne von § 22 Abs. 3 GemO. Hierunter fielen nur personenbezogene Auswahlentscheidungen. Der Kläger habe auch nicht trotz Befangenheit an der Entscheidung mitgewirkt. Er sei lediglich zu seinem Ausschluss angehört worden.

22

Den Antrag des Klägers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Stadtratsausschluss wiederherzustellen, hat das erkennende Gericht mit Beschluss vom 29. September 2011 (1 L 1304/11.TR) abgelehnt Die hiergegen beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz eingelegte Beschwerde (2 B 11158/11.OVG) wurde zurückgewiesen.

23

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten, den Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände, 1 Heftung) sowie den Gerichtsakten 1 L 1304/11.TR und 1 L 454/12.TR. Diese lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

24

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Beschluss der Beklagten vom 22. September 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.

25

Die Klage ist zulässig. Die Entscheidung des Stadtrats nach § 31 Gemeindeordnung - GemO - in der Fassung vom 31. Januar 1994 (GVBI. S. 153) über den Ausschluss eines Ratsmitglieds ist ein im Wege der Anfechtungsklage angreifbarer Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - i. V. m. § 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz. Der dahingehende Beschluss des Gemeinderats ergeht gegenüber dem ausgeschlossenen Mitglied als hoheitliche Maßnahme mit Regelungscharakter. Der Betroffene verliert damit seine Stellung als Gemeinderatsmitglied. Statthafte Klageart gegen den Ausschluss ist mithin die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO und nicht das zur Klärung von Rechtsstreitigkeiten betreffend die Innenbeziehungen einzelner Organe, Organvertreter oder Organteile einer Körperschaft zur Verfügung stehende Kommunalverfassungsstreitverfahren. Dies indizieren auch die in § 31 Abs. 3 Satz 3 GemO verwandte Terminologie der Unanfechtbarkeit des Ausschlusses und die Bestimmung des § 31 Abs. 4 Satz 2 GemO, wonach das Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung entfällt.

26

Der vom Kläger angegriffene Beschluss des Trierer Stadtrats vom 22. September 2011 hält rechtlicher Überprüfung Stand. Die Klage ist daher unbegründet.

27

Die Beklagte durfte von der Ausschlussmöglichkeit des § 31 Abs. 1 GemO Gebrauch machen. Danach kann ein Ratsmitglied, das nach seiner Wahl durch Urteil eines deutschen Strafgerichts rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wird, durch Beschluss des Gemeinderats aus dem Gemeinderat ausgeschlossen werden, wenn es durch die Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt hat. Die Norm steht mit verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang (1.) und ihre Voraussetzungen sind im Fall des Klägers formell (2.) und materiell (3.) erfüllt.

28

1. § 31 Abs. 1 GemO ist verfassungskonform und durfte daher von der Beklagten als Rechtsgrundlage für den Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat herangezogen werden.

29

Dies gilt zunächst in formeller Hinsicht. Der Landesgesetzgeber war nach den Regeln föderaler Kompetenzverteilung zur Schaffung des § 31 GemO befugt. Der Kläger zieht dies in Zweifel, da § 45 Abs. 1 und 4 Strafgesetzbuch - StGB - bereits vorsehen, dass die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr für die Dauer von fünf Jahren zum Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, führt. Dies gilt auch, wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird (Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 28. Aufl. 2010, § 45 Rn. 3). Ferner bestimmt § 45 Abs. 2 StGB, dass das Strafgericht dem Verurteilten die Amtsfähigkeit und das passive Wahlrecht für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren aberkennen kann, soweit das Gesetz dies besonders vorsieht. Diese Möglichkeit eröffnen beispielsweise §§ 92 a, 101, 102 Abs. 2, 109 i, 129 a Abs. 8, 264 Abs. 6 Satz 1 StGB im Hinblick auf u. a. staatsgefährdende Straftaten sowie Subventionsbetrug jeweils neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten, teilweise auch einem Jahr. Bei bestimmten Amtsdelikten kann der Strafrichter nach § 358 StGB neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten die Amtsfähigkeit, jedoch nicht das passive Wahlrecht aberkennen. Bei Wahlfälschung, Wahlbehinderung, Wählernötigung und Wähler- oder Abgeordnetenbestechung können nach §§ 108 c, 108 e Abs. 2 StGB - ebenfalls neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten - das aktive und das passive Wahlrecht aberkannt werden.

30

Wie der Kläger zutreffend ausführt, hat der Bundesgesetzgeber bei Schaffung der genannten Bestimmungen seine Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ausgeübt. Danach ist das Strafrecht Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung mit der Folge, dass die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nicht zur Regelung befugt sind, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit in diesem Bereich Gebrauch gemacht hat. Dabei umfasst eine zugewiesene Kompetenzmaterie auch nicht ausdrücklich hierunter zu fassende Regelungsgegenstände, wenn diese zur Hauptmaterie in einer funktionalen, deren Vorbereitung und Durchführung dienenden Beziehung stehen (Annexkompetenz) oder wenn ein Übergreifen unerlässlich ist, weil die Hauptmaterie andernfalls verständigerweise nicht geregelt werden kann (Kompetenz kraft Sachzusammenhangs; siehe zum Ganzen Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007). Die oben genannten Vorschriften sehen die zwingende oder fakultative Aberkennung der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung vor. Nebenfolgen sind zwar nicht Teil der Strafe, haben jedoch - jedenfalls überwiegend - strafähnlichen Charakter. Hierfür spricht die systematische Stellung der Nebenfolgen innerhalb des Strafgesetzbuchs im Titel "Strafen" und vor dem Titel "Strafbemessung". Die Dauer der Aberkennung hat sich daher nach überwiegender Ansicht nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln des § 46 StGB zu bestimmen (für die h. M.: Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 28. Aufl. 2010, § 45 Rn. 4; von Heintschel-Heinegg, in: von Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, Stand: 15.03.2012, § 45 Rn. 4).

31

§ 31 Abs. 1 GemO hat hingegen keinen pönalen, sondern einen auf Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung gerichteten Charakter. Daher stand dem Land die Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht auch in Ansehung dieser Bestimmung zu. Ehe sie 1954 als § 28 Eingang in das damalige Selbstverwaltungsgesetz für Rheinland-Pfalz fand, war eine im Wesentlichen gleichlautende Regelung in § 39 a des Gemeindewahlgesetzes vom 13. September 1952 enthalten Dessen Schaffung diente ausweislich der Begründung der Regierungsvorlage (LT-Drucks. II-343 v. 7. Juli 1952) dazu, die Achtung vor der Gemeindevertretung und ihr Ansehen zu stärken. Die Aufnahme der Regelung in das Selbstverwaltungsgesetz erfolgte wegen des näheren Sachbezugs, da Bestimmungen über den Ausschluss von Ratsmitgliedern dogmatisch nicht dem Wahlrecht zuzuordnen sind (Protokoll über die 63. Sitzung des Hauptausschusses am 19. Mai 1954, S. 9). § 31 GemO verfolgt somit weder repressive und jedenfalls nicht in erster Linie strafpräventive Ziele, sondern will das Organ Gemeinderat und damit im weitesten Sinne die Funktionsfähigkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung schützen. Er dient dem Schutz der Lauterkeit und des Ansehens des Gemeinderats als Organ kommunaler politischer Willensbildung (Gabler/Höhlein/Klöckner u. a., PdK Rheinland-Pfalz, GemO § 31, Ziffer 2).

32

Die Gesetzgebung betreffend die Selbstverwaltung der Kommunen und das kommunale Wahlrecht war zur Zeit der Schaffung der Vorgängerbestimmungen des § 31 GemO insgesamt von dem Bestreben getragen, demokratische Strukturen zu schaffen und zu stärken, deren Ansehen und Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen und Verfassungsfeinden den Missbrauch und die Diskreditierung demokratischer Institutionen und Organe zu erschweren. Dies wird in den Gesetzesmaterialien an verschiedenen Stellen erkennbar (siehe beispielsweise LT-Prot. vom 9. September 1952, S. 833 ff., 858 ff.; LT-Prot. vom 12. Juli 1954, S. 2112 ff.; 2119 ff.). Diese Zielsetzung wirkt unverändert fort.

33

Dementsprechend ist auch entgegen dem klägerischen Vorbringen der in Art. 103 Abs. 3 GG normierte Rechtsgrundsatz "ne bis in idem", dass niemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden darf, nicht berührt. Das Verbot der Doppelbestrafung bezieht sich, wie aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die allgemeinen Strafgesetze folgt, allein auf Sanktionen nach dem Kriminalstrafrecht (Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 103 Rn. 80) und nicht auf solche des Ordnungswidrigkeitenrechts, des Berufsstrafrechts und des Disziplinarrechts. Erst recht sind hiervon nicht präventive oder sonstige neben der Strafe von der Verwaltung aus Anlass einer strafrechtlichen Verurteilung verhängte Maßnahmen umfasst (Radtke/Hagemeier, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 1.4.2012, Art. 103 Rn. 47).

34

Eine Verletzung von Wahlgrundsätzen, wie vom Kläger gerügt, liegt ebenfalls nicht vor. Die Beachtung der Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl wird, u. a. für die Wahl der Gemeindevertretungen, durch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 50 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 76 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV - verfassungsrechtlich garantiert.

35

Dies gilt zunächst mit Blick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Ihm ist genüge getan, wenn "von Beginn der Stimmabgabe an das Wahlergebnis nur noch von einer einzigen Willensentscheidung, nämlich derjenigen der Wähler selbst abhängt, abgesehen allein von Nichtannahme, späterem Rücktritt oder ähnlichen Handlungen der Gewählten selbst" (BVerfG, Beschluss vom 11. November 1953 - 1 BvL 67/52 -, BVerfGE 3, 45). Das Wahlverfahren muss also so gestaltet sein, dass jede abgegebene Stimme automatisch bestimmten oder bestimmbaren Wahlbewerbern zugerechnet werden kann, ohne dass erst nach der Stimmabgabe eine Zwischeninstanz nach ihrem Ermessen die Abgeordneten endgültig auswählt (BVerfG, Entscheidung vom 3. Juli 1957 - 2 BvR 9/56 -, BVerfGE 7, 63; Beschluss vom 9. Juli 1957-2 BvL 30/56 BVerfGE 7, 77; Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76, 2 BvR 268/76 BVerfGE 47, 253). Der Unmittelbarkeitsgrundsatz hat folglich die Art und Weise der Zuteilung der Mandate zum Gegenstand.

36

Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz durch § 31 Abs. 1 GemO nicht. Die Mitgliedschaft des ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglieds ist bis zum Zeitpunkt seines Ausschlusses wirksam und rechtmäßig. Entscheidungen, an denen der Betroffene mitgewirkt hat, haben Bestand. Seine eigene Legitimation ist - ebenso wie die der nach § 31 Abs. 3 GemO zu bestimmenden Ersatzperson - unmittelbar auf den Wählerwillen zurückzuführen. Der Gemeinderat schiebt sich also nicht als Auswahlinstanz zwischen Wähler und Gewählten. Freilich liegt im Fall des Ausschlusses auch kein autonomer Rücktritt oder Verzicht im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung vor, sondern vielmehr ein erzwungenes Ausscheiden. Die vom Strafgericht festgestellten Tatsachen, die hierzu geführt haben, hat der Betroffene aber eigenverantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen geschaffen.

37

Die angegriffene Regelung bewirkt jedoch einen Eingriff in die Allgemeinheit der Wahl und die Wahlrechtsgleichheit. Beide Grundsätze beinhalten gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG spezielle Gleichheitsgewährleistungen (BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1998 - 2 BvR 1953/95 -, BVerfGE 99, 1).

38

Das verfassungsrechtliche Prinzip der allgemeinen Wahl erfordert grundsätzlich, dass jedermann an Wahlen teilnehmen kann. Es schützt damit das aktive und passive Wahlrecht als das Recht zu wählen und gewählt zu werden. Mithin verbietet es dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen (BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1973 - 2 BvC 3/73 -, BVerfGE 36, 139; Beschluss vom 7. Oktober 1981 - 2 BvC 2/81 -, BVerfGE 58, 202). Im Bereich des Wahlrechts verbleibt dem Gesetzgeber daher nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen. So ist anerkannt, dass bestimmte Einschränkungen wie Mindestalter, Wohnsitzerfordernis usw. sachlich begründet und daher zulässig sind (BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1973 - 2 BvC 3/73 -, BVerGE 36, 139; Beschluss vom 7. Oktober 1981 - 2 BvC 2/81 BVerfGE 58, 202). Dies gilt in erhöhtem Maße für Beschränkungen des passiven Wahlrechts, da an die Persönlichkeit der Mitglieder der Vertretungsorgane qualitativ höhere Anforderungen gestellt werden können als an die Wahlberechtigten (Schuck/Unglaub/Lehmler, PdK Rheinland-Pfalz, Kommunalwahlrecht, Stand: Mai 2009, Ziffer 1.1.1; vgl. auch EGMR, Urteil vom 11. Juni 2009 - 77568/01, 178/02 u. 505/02 Petkov u.a./Bulgarien, NVwZ 2010, 1479: danach darf das vom Schutz des Art. 3 ZP I EMRK umfasste passive Wahlrecht auch ohne ausdrückliche Regelung eingeschränkt, aber nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden und nicht seine Wirksamkeit verlieren. Einschränkungen müssen mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit vereinbar und mit ausreichenden Sicherungen gegen Willkür versehen sein). Demzufolge bestimmen Art. 76 Abs. 1 und 2 LV, §§ 2 und 4 Kommunalwahlgesetz - KWG -, dass zum Gemeinderat jeder Volljährige gewählt werden kann, der seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde eine Wohnung bzw. seine Hauptwohnung hat und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist oder infolge Richterspruchs oder nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt. Vergleichbare Regelungen enthalten § 15 Bundeswahlgesetz und § 32 Landeswahlgesetz.

39

Der Ausschluss aus dem Gemeinderat nach § 31 GemO bewirkt zwar nicht den Verlust der Wählbarkeit im Sinne von §§ 2, 4 Abs. 2 KWG. Der Betroffene kann ungeachtet seines Ausschlusses weiterhin für Ämter kandidieren und an der nächsten Gemeinderatswahl erneut teilnehmen (Gabler/Höhlein/Klöckner u. a., PdK Rheinland-Pfalz, GemO § 31, Ziffer 4). Vom Recht eines jeden Gemeindebürgers, der die o. g. Grundvoraussetzungen der Wählbarkeit erfüllt, sich in die kommunalen Vertretungskörperschaften wählen zu lassen, ist jedoch, damit dieses Recht keine leere Hülle bleibt, auch das Recht umfasst, ein einmal erworbenes Mandat bis zum Ende der Wahlperiode innezuhaben und auszuüben (vgl. zur Beschränkung der Wählbarkeit von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes gem. Art. 137 GG: BVerfG, Beschluss vom 21. Januar 1975 - 2 BvR 193/74 -, BVerfGE 38, 326). Dieses Recht schränkt die angegriffene Regelung ein, indem sie es ermöglicht, einem gewählten Gemeindevertreter aus den in § 31 Abs. 1 GemO genannten Gründen sein Mandat zu entziehen.

40

Nach dem Grundsatz der gleichen Wahl muss darüber hinaus jedermann sein passives und aktives Wahlrecht in formal gleicherweise ausüben können (Magiera, in: Sachs: Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 38 Rn. 90; BVerfG, Entscheidung vom 11. Oktober 1972 -2 BvR 912/71 - BVerfGE 34, 81). Die Ausgestaltung des passiven Wahlrechts wird daher maßgeblich durch diesen Grundsatz geprägt (BVerfG, Beschluss vom 4. April 1978 - 2 BvR 1108/77 -, BVerfGE 48, 64). Er verleiht dem gewählten Bewerber insbesondere das Recht, ein errungenes Mandat anzunehmen und auszuüben (BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1996 - 2 BvL 4/95 -, BVerfGE 93, 373). Im Fall eines Ausschlusses aus dem Gemeinderat wird dieses Recht beschnitten.

41

Von der Garantie formaler Wahlgleichheit ist außerdem umfasst, dass jeder abgegebenen Stimme der gleiche Zähl- und bei der Verhältniswahl oder gemischten Wahlsystemen - zumindest grundsätzlich - auch der gleiche Erfolgswert zukommt (BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u. a. BVerfGE 123, 267; siehe auch zu Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK -: EGMR, Urteil vom 2. März 1987 - Nr. 9267/81, Mathieu-Mohin und Clerfayt/Belgien -, EGMRE 3, 376). Letzteres ist beim Ausschluss eines rechtmäßig gewählten Gemeinderatsmitglieds nicht in letzter Konsequenz der Fall. Zwar bleibt der nach den Grundsätzen der Verhältniswahl errungene Sitz, welcher auf die Liste des Ausgeschlossenen entfallen ist, erhalten. Das Kommunalwahlrecht enthält jedoch mit der Möglichkeit des Kumulierens (Stimmenhäufung auf einen Bewerber) und des Panaschierens (Auswahl von Bewerbern verschiedener Listen) ein stark personalisiertes Element. Das ausscheidende Mitglied wird daher in aller Regel mehr Stimmen auf sich vereint haben als die nachrückende Ersatzperson. Insofern ist der Erfolgswert der Wählerstimmen, die auf ihn entfallen sind, nach seinem Ausscheiden geringer als der Erfolgswert anderer abgegebener Stimmen. Es ist aber gerade Sinn und Zweck der - personalisierten - Verhältniswahl, den politischen Willen der Wählerschaft im Parlament möglichst wirklichkeitsnah abzubilden.

42

Die Wahlrechtsgrundsätze sind Ausfluss des in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 74 Abs. 1 und 2 LV verfassungsrechtlich verankerten Demokratieprinzips und durch dieses geprägt (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 373/60, 2 BvR 442/60 - BVerfGE 47, 253; Urteil vom 26. Oktober 2004 - 2 BvE 1/02, 2 BvE 2/02 -, BVerfGE 111, 382). Der Kern dieses Prinzips besteht darin, dass alle staatliche Gewalt vom Volke ausgeht. Es ist Träger der Staatsgewalt und übt diese selbst in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung aus (Sachs, in: Sachs: Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 20 Rn. 12). Dies gilt gem. Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG auch für die Organe und Vertretungen der Gemeinden (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76, 2 BvR 268/76 -, BVerfGE 47, 253). Fordert das demokratische Prinzip der Volkssouveränität mithin die Legitimation aller staatlichen Gewalt durch das Volk, so verlangt es im Umkehrschluss die Repräsentanz der gewählten Volksvertreter in den Vertretungsgremien (Gern, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 8. Aufl. 2011, Rn. 181). Es verbietet also grundsätzlich Behinderungen im Zugang zum Mandat und in der Ausübung des Mandats (BVerfG, Beschluss vom 21. September 1976 - 2 BvR 350/75 -, BVerfGE 42, 312). Die demokratische Legitimation der Gemeinderäte ist dabei, soweit das Verfahren der personalisierten Verhältniswahl Anwendung findet, besonders groß, da - wie oben bereits erwähnt - das Kommunalwahlrecht durch die in § 32 Abs. 1 KWG vorgesehenen Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens gegenüber Landtags- oder Bundestagswahlen eine stärkere Personalisierung der Wahlentscheidung ermöglicht. Es trägt damit dem Gedanken Rechnung, dass auf kommunaler Ebene Parteizugehörigkeit und Parteipolitik unter Umständen eine geringere Rolle spielen als persönliches Ansehen, ggf. auch persönliche Bekanntschaft und gleiche Interessenlage im Hinblick auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Diese im Kommunalwahlrecht angelegte Personalisierung verstärkt mithin den durch den Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds bewirkten Eingriff in die im Wahlakt zum Ausdruck kommende Ausübung der Volkssouveränität.

43

Dieser Eingriff erweist sich jedoch im Hinblick auf die mit § 31 Abs. 1 GemO verfolgten - legitimen - Ziele als gerechtfertigt. Begrenzungen des Demokratieprinzips und der aus ihm fließenden Prinzipien der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl sind verfassungsrechtlich zulässig, sofern für sie ein zwingender Grund besteht (BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 BVerfGE 1, 208; Beschluss vom 6. Mai 1970 - 2 BvR 158/70 -, BVerfGE 28, 220; Entscheidung vom 11. Oktober 1972 -2 BvR 912/71 -, BVerfGE 34, 81; Beschluss vom 9. März 1976 - 2 BvR 89/74, BVerfGE 41, 399; Beschluss vom 21. September 1976 - 2 BvR 350/75 -, BVerfGE 42, 312). Zu verlangen ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht, dass sich die vom Gesetzgeber vorgenommenen Differenzierungen von Verfassungs wegen als zwangsläufig oder notwendig darstellen, wie dies etwa in Fällen der Kollision der Wahlrechtsgleichheit mit den übrigen Wahlrechtsgrundsätzen oder anderen Grundrechten der Fall sein kann. Vielmehr bedürfen die Wahlrechtsgleichheit und -allgemeinheit einschränkende Regelungen verfassungsrechtlicher Legitimation, sie müssen ein den Wahlrechtsgrundsätzen jedenfalls entsprechendes Gewicht aufweisen und zur Erreichung ihrer Ziele geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig sein (BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408; BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1979 - 2 BvR 193/79, 2 BvR 197/79 - BVerfGE 51, 222). Dabei ist auch nicht erforderlich, dass die Verfassung diese Zwecke zu verwirklichen gebietet (BVerfG, a. a. O.). Es genügen vielmehr zureichende, aus der Natur der Sache sich ergebende Gründe (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208; Urteil vom 23. Januar 1975 - 2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84). Hierzu zählen insbesondere die Verwirklichung der mit der Parlamentswahl verfolgten Ziele, die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408, m. w. N.). Dies beruht auf der Überlegung, dass die Wahl nicht nur das Ziel hat, eine Volksrepräsentation zu schaffen, die ein Spiegelbild der im Volk vorhandenen politischen Meinungen darstellt, sondern auch ein Parlament als funktionsfähiges Staatsorgan hervorzubringen (BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1975 -2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84).

44

Ferner hat das Bundesverfassungsgericht die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments sowie dessen Integrität und politische Vertrauenswürdigkeit als Rechtsgüter von Verfassungsrang und legitime Zwecke im Hinblick auf Eingriffe in den verfassungsrechtlich geschützten Abgeordnetenstatus anerkannt (BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1996 -2 BvE 1/95 -, BVerfGE 94, 351; Beschluss vom 20. Juli 1998 -2 BvE 2/98 -, BVerfGE 99, 19).

45

Mit Blick auf die Wahl der Kommunalvertretungen hat das Bundesverfassungsgericht zur Definition dessen, was ein zwingender Grund für eine die wahlrechtlichen Gleichheitssätze durchbrechende Regelung sein kann, insbesondere auf deren Aufgabe, als Selbstverwaltungsorgan und alleiniger Träger der öffentlichen Verwaltung in ihrem Gebiet eigenverantwortlich über Gemeindeangelegenheiten Beschluss zu fassen und die notwendigen Wahlen ( beispielsweise des Bürgermeisters, Gemeindedirektors, der Ausschüsse) vorzunehmen, sowie auf die Funktionsfähigkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung abgestellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1957 - 2 BvF 3/56 -, BVerfGE 6, 104; Entscheidung vom 12. Juli 1960 - 2 BvR 373/60, 2 BvR 442/60 -, BVerfGE 11, 266; Beschluss vom 6. Dezember 1961 -2 BvR 399/61 -, BVerfGE 13, 243).

46

Der Gesetzgeber verfolgt danach mit § 31 GemO einen verfassungsrechtlich geschützten Zweck. Die Norm dient, wie oben dargelegt, dem Schutz von Ansehen und Akzeptanz des Organs Gemeinderat und damit im weitesten Sinne der Funktionsfähigkeit der in Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 49 Abs. 1 bis 3 LV gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung. Dieses Schutzgut kann verfassungsimmanente Schranke der Wahlgrundsätze sein. Die kommunale Selbstverwaltung ist ein tragender Pfeiler des demokratischen Rechtsstaats, da der Bürger hier der politischen Willensbildung am nächsten ist. Er nimmt an den Entscheidungen der kommunalen Organe besonderen Anteil, so dass sein Vertrauen in diese und die darin tätigen Persönlichkeiten besonderen Schutz genießt (VG Leipzig, Urteil vom 1. Dezember 1995 - 1 K 437/95 -, juris).

47

Dabei muss dahingestellt bleiben, ob kommunale Selbstverwaltung auch ohne eine solche Regelung funktionsfähig wäre, was in Anbetracht des Umstands, dass andere Gemeindeordnungen ohne vergleichbare Bestimmungen auskommen, nahe liegt. Der Gesetzgeber verfügt nämlich über einen weiten Gestaltungsspielraum dahingehend, welche gesellschaftspolitischen Ziele er verfolgt und welcher Mittel zu deren Erreichung er sich bedient, solange Verfassungsgrundsätze dabei nicht verletzt werden (BVerfG, Entscheidung vom 25. Februar 1960 - 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354).

48

Dies vorangestellt, erweist sich die Möglichkeit, ein Gemeinderatsmitglied unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO auszuschließen, auch im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums als verhältnismäßig. Der Gesetzgeber ging vorliegend erkennbar von der weder willkürlichen, noch offensichtlich unzutreffenden Prämisse aus, dass das Ansehen des gewählten Gremiums Gemeinderat Einbußen erleidet, wenn ihm ein Mitglied angehört, das rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wurde und an dessen Eignung zur Repräsentation des Wahlvolks aufgrund der Tatbegehung erhebliche Zweifel angebracht sind. Um das Ansehen des Gemeinderats in seiner konkreten Zusammensetzung und das Vertrauen der Wahlbevölkerung in ebenjenen zu schützen, ist der Ausschluss eines strafrechtlich verurteilten Gemeinderatsmitglieds geeignet. Ein milderes und in gleichem Umfang Erfolg versprechendes Mittel - etwa ein Ausschluss auf Zeit - steht nicht zur Verfügung. Nur ein Ausschluss für den Rest der Amtszeit ermöglicht es, eine Ersatzperson nachrücken zu lassen und auf diese Weise die Weiterführung des Mandats zu gewährleisten sowie das Ansehen des Gemeinderats wieder herzustellen.

49

Schließlich ist die Bestimmung auch im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ziele angemessen. Ein Überwiegen der oben genannten Schutzgüter des § 31 Abs. 1 GemO ist in den im Gesetz genannten Fällen und unter sorgfältiger Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im Einzelfall denkbar. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gemeinderat trotz des Bestehens gewisser parlamentstypischer Merkmale kein Parlament im Sinne der Gewaltenteilungslehre, sondern - wie sich aus § 28 Abs. 1 Satz 2 GemO ergibt - ein Verwaltungsorgan ist. Aus diesem Grund steht seinen Mitgliedern weder Immunität noch Indemnität zu, noch finden sonstige Grundsätze des Parlamentsrechts auf den Gemeinderat Anwendung (OVG Koblenz, DÖV 1996, 479; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, Rn. 314).

50

Zwar steht die Regelung der zur Zeit ihrer Schaffung noch existierenden Vorstellung vom Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte inhaltlich nahe. So hatten die Vorgängernormen des § 45 StGB, welche als §§ 32 ff. bereits in der Ursprungsfassung des Strafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 (RGBl. S. 127) enthalten waren, noch den Verlust oder die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte bei Verurteilung zur Zuchthaus- oder mindestens dreimonatigen Freiheitsstrafe zum Gegenstand. Sie wurden mit Art. 8 des Ersten Strafrechtsreformgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) außer Kraft gesetzt. Nach dem BGH setzte deren Anwendung stets voraus, dass die Tat aus ehrloser Gesinnung heraus begangen wurde (Urteil vom 5. Januar 1954 - 2 StR 462/53 -, NJW 1954, 359). Auch ist nicht zu verkennen, dass für die strafrichterliche Aberkennung der Amtsfähigkeit nach § 45 Abs. 2 StGB, insbesondere bei Wahl- und Amtsdelikten (§§ 358 und 108c, 108 e StGB), stets eine Verurteilung zu mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe Voraussetzung ist.

51

Dem steht aber gegenüber, dass § 31 Abs. 1 GemO im Gegensatz zu den genannten strafrechtlichen Bestimmungen nicht zum allgemeinen Verlust der Amtsfähigkeit und bzw. oder der Wählbarkeit für eine bestimmte Zeitdauer führt, sondern ausschließlich zum Verlust des im Zeitpunkt der Verurteilung innegehabten Gemeinderatsmandats. Ferner zielt die Norm auch nicht darauf ab, begangenes Unrecht zu sühnen oder dem ausgeschlossenen Ratsmitglied wegen eines unterstellten Ehrverlusts auf Dauer demokratische Mitwirkungsrechte abzuerkennen. Vielmehr setzt sie erkennbar gerade auch einen Ansehens- und Vertrauensverlust der Kommunalvertretung voraus, dessen Auslöser die Straftat des ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglieds war. Diese allein kann nicht losgelöst von ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit und das kommunale Gemeinwesen zum Anlass genommen werden, ein Ratsmitglied auszuschließen. Insofern ist auch nicht die - in § 31 Abs. 1 GemO relativ niedrig angesetzte Mindestdauer der Freiheitsstrafe - maßgebend, sondern die unabhängig davon zu bewertenden Folgen der Tat für die Arbeit der Gemeindevertretung. Indem ferner tatbestandlich kumulativ zur Verurteilung zu einer mindestens dreimonatigen Freiheitsstrafe die Verwirkung der für ein Ratsmitglied erforderlichen Unbescholtenheit durch die Straftat gefordert wird und dem Gemeinderat ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, gewährleistet § 31 Abs. 1 GemO, dass im Einzelfall ein Ausschluss nur beschlossen werden kann, wenn dem Gemeinderat ein Ansehens- und Vertrauensverlust erheblichen Ausmaßes droht, mithin das in der Selbstverwaltungsgarantie und im Demokratieprinzip wurzelnde Interesse an der Funktionsfähigkeit des Organs Gemeinderat eine Einschränkung des in der Wahlentscheidung zum Ausdruck gekommenen Wählerwillens überwiegt.

52

Die Angemessenheit der Bestimmung ist auch im Hinblick auf ihre verfahrensmäßige Ausgestaltung gegeben.

53

Soweit der Kläger rügt, § 31 Abs. 1 GemO sei unverhältnismäßig, da die Ausschlussentscheidung von politischen Konkurrenten des auszuschließenden Mitglieds und überdies mit einfacher Mehrheit getroffen werden könne, vermag er damit nicht durchzudringen. Insofern verweist der Kläger auch darauf, dass das Verfahren der Abwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und Beigeordneten nach § 55 GemO wesentlich höhere Hürden aufstelle, indem dort ein von mindestens der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Gemeinderats gestellter Antrag und ein mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Mitglieder gefasster Beschluss nach namentlicher Abstimmung verlangt werde, § 55 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GemO. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Abwahl nach § 55 GemO in der Regel aus politischen Gründen erfolgen wird. Sie setzt keine Verfehlungen des Bürgermeisters voraus und ist auch im Übrigen - im Gegensatz zur Ausschlussentscheidung nach § 31 Abs. 1 GemO - materiell nicht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft (Gabler/Höhlein/Klöckner u. a., PdK Rheinland-Pfalz, Stand: April 2005, GemO § 55, Ziffer 1). Allein die Frage, ob die Abberufung eines Bürgermeisters auf einem "offenkundigen eklatanten Missbrauch" beruht, der Rat also im Rahmen der Einleitung des Abwahlverfahrens die äußerste Grenze der Ermessensausübung überschritten hat, kann von den Gerichten überprüft werden (OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 10 L 231/89 -, DVBl. 1992, 982).

54

Im Rahmen des § 31 GemO ist demgegenüber politischem Missbrauch bereits dadurch vorgebeugt, dass der Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds an gesetzliche Anforderungen geknüpft ist, die objektiv vorliegen müssen und nicht von Dritten, beispielsweise politischen Widersachern, herbeigeführt werden können. Mit der Forderung einer durch ein deutsches Strafgericht verhängten mindestens dreimonatigen Freiheitsstrafe und der Verwirkung der für ein Ratsmitglied erforderlichen Unbescholtenheit durch die Straftat stellt das Gesetz bereits eine hohe Hürde auf, ehe überhaupt ein Ausschluss in Frage kommt. Überdies muss die Tat in einer Weise negativ auf das Ansehen des Rates insgesamt reflektieren, dass dessen Schutz im Einzelfall die Einschränkung der betroffenen Rechte rechtfertigt. Die Entscheidung des Gemeinderats in dieser Frage ist schließlich in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Ein willkürlicher Ausschluss aus politischen Gründen ist mithin aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung ausgeschlossen.

55

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass alle anderen Bestimmungen, welche eine dauerhafte oder vorübergehende Entziehung des aktiven oder passiven Wahlrechts ermöglichen, einen Richterspruch voraussetzen. Auch der von der "European Commission for Democracy through Law (Venice Commission)" der Parlamentarischen Versammlung des Europarats am 6. November 2002 vorgelegte "Code of Good Practice in Electoral Matters" verlangt, dass die Entziehung des aktiven oder passiven Wahlrechts nur durch ausdrückliche gerichtliche Entscheidung erfolgen darf ("the withdrawal of political rights or finding of mental incapacity may only be imposed by express decision of a court of law.").

56

Ungeachtet seines etwas anders gelagerten Anwendungsbereichs entspricht § 31 Abs. 1 GemO dem insofern, als dem von einem Ausschluss Betroffenen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist und er insbesondere im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes eine sofortige Überprüfung der vom Gemeinderat getroffenen Entscheidung erreichen kann. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wird angesichts der Bedeutung der betroffenen Rechte bei geringsten Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit der Ausschlussentscheidung die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen sein.

57

§ 31 GemO erweist sich auch nicht mit Blick auf das Demokratieprinzip wegen der nach seinem Abs. 3 eintretenden Folge einer Ausschlussentscheidung als unverhältnismäßig. Nach dessen Satz 1 scheidet das ausgeschlossene Gemeinderatsmitglied mit dem Beschluss nach Abs. 1 vorläufig aus. Die nach dem Kommunalwahlgesetz zu bestimmende Ersatzperson tritt nach § 31 Abs. 3 Satz 3 GemO ihr Amt erst an, wenn der Ausschluss unanfechtbar geworden ist. Schließt sich der Ausschlussentscheidung ein langwieriger Rechtsstreit durch mehrere Instanzen an, kann der Ausschluss eines Ratsmitglieds danach zur Konsequenz haben, dass dessen Position für den Rest der Wahlperiode unbesetzt bleibt. Damit verbleibt aber ein Teil der Wählerschaft für einen beachtlichen Zeitraum ohne die ihm nach dem Kommunalwahlrecht an sich zustehende Vertretung in der kommunalen Volksvertretung. Dass im Fall nachträglicher Veränderungen der Zusammensetzung eines demokratisch gewählten Gremiums ein Sitz unbesetzt bleibt, ist zwar kein dem Recht grundsätzlich unbekanntes Phänomen. So sieht beispielsweise § 46 Abs. 4 Satz 3 Bundeswahlgesetz - BWG - vor, dass die Sitze von Abgeordneten einer nach der Wahl gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 GG für verfassungswidrig erklärten Partei, die nach einer Landesliste der für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teilorganisation der Partei gewählt waren, unbesetzt bleiben. Ferner bestimmt § 48 Abs. 1 BWG, dass der Sitz eines Abgeordneten, der stirbt oder sonst nachträglich aus dem Deutschen Bundestag ausscheidet, unbesetzt bleibt, wenn die Landesliste seiner Partei erschöpft ist. Unter ähnlichen Prämissen nehmen auch §§ 22 Abs. 4 GemO und 46 Abs. 3 KWG grundsätzlich in Kauf, dass aufgrund des Ausscheidens von Mitgliedern Sitze im Gemeinderat unbesetzt bleiben. All diese Bestimmungen beziehen sich jedoch auf Konstellationen, in denen ein Nachrücken unter Beachtung wahlrechtlicher Grundsätze nicht möglich wäre, so dass als Alternative zu der Nichtbesetzung nur Neuwahlen in Betracht kämen. Vorliegend wäre aber eine Nachbesetzung aus der Wahlliste der Partei des Klägers möglich. Diese könnte hier allerdings nur vorläufig erfolgen, da im Fall der gerichtlichen Aufhebung des Ausschlusses das ausgeschlossene Mitglied sein Mandat wieder wahrnehmen dürfte. Eine vorläufige Mitgliedschaft ist dem Recht der Gemeindevertretung jedoch unbekannt. Sie scheidet daher aus. Somit ist die vorübergehende Vakanz quasi zwingend, wenn der für sofort vollziehbar erklärte Ausschluss angefochten wird. Diese Folge ist hinzunehmen, da sie nur eintreten wird, wenn um vorläufigen Rechtsschutz entweder nicht ersucht wird oder das Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung nicht wiederherstellt, was nur dann der Fall ist, wenn der Ausschluss offensichtlich rechtmäßig ist. In diesen Fällen hat der Ausgeschlossene es in der Hand, durch Verzicht auf sein Mandat den Weg für die Ersatzperson frei zu machen.

58

Zwar ergibt sich aus Vorstehendem vordergründig ein Wertungswiderspruch zu § 46 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KWG. Die genannte Bestimmung sieht für den Fall, dass die Verwaltungsbehörde feststellt, dass eine Partei oder ein Verein oder jeweils ein Teil davon eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei im Sinne von § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes ist, vor, dass die Ratsmitglieder und Ersatzleute, die dieser Ersatzorganisation zu irgendeiner Zeit zwischen der Zustellung des Verwaltungsakts und dem Eintritt der Unanfechtbarkeit desselben angehört haben, mit dem zuletzt genannten Zeitpunkt - also erst mit der Unanfechtbarkeit der Feststellung nach § 8 Abs. 2 Vereinsgesetz - ihre Mitgliedschaft oder Anwartschaft verlieren. Dasselbe gilt im Fall eines Vereinsverbots, sofern die Mitgliedschaft im Gemeinderat oder Anwartschaft hierauf auf einem Wahlvorschlag des betroffenen Vereins oder Teilvereins beruht. Partei- und Vereinsverbote setzen verfassungswidrige Bestrebungen im Sinne von Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG voraus.

59

Es besteht jedoch ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung beider Sachverhalte. Dieser liegt im Kern darin begründet, dass der von einem Ausschluss nach § 31 Abs. 1 GemO Betroffene, gegen den Ausschluss ein Rechtsmittel einlegen und damit - grundsätzlich - dessen Wirksamkeit hemmen kann. Gegen ein Vereinsverbot hingegen kann der Einzelne nicht um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen, sondern nur der Verein selbst (HambOVG, Beschluss vom 6. Oktober 2000 - 4 Bs 269/00 -, NordÖR 2001, 108). Der Mandatsverlust nach § 46 Abs. 1 KWG tritt aber eo ipso mit dem Partei- oder Vereinsverbot ein, die Aufsichtsbehörde stellt diesen Verlust lediglich fest, § 46 Abs. 2 KWG. Dementsprechend hat der Einzelne hier keine Möglichkeit, den Verlust seines Mandats durch Einlegen eines Rechtsmittels zu hemmen. Ferner tritt in den Fällen eines Partei- oder Vereinsverbots der Mandatsverlust ggf. unabhängig von individuell vorwerfbarem Verhalten aufgrund des Verhaltens einer organisierten Personengesamtheit ein, dessen Nachweis die Behörde zu erbringen hat, wohingegen in den Fällen des § 31 GemO der Nachweis eines Fehlverhaltens schon durch das Strafurteil und die dem zugrunde liegenden strafrichterlichen Feststellungen erbracht ist. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass § 31 Abs. 1 GemO leer liefe, wenn das ausgeschlossene Ratsmitglied bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Ausschluss trotz dessen offensichtlicher Rechtmäßigkeit sein Mandat weiter ausüben könnte, da bis zum Ergehen einer letztinstanzlichen Entscheidung mehrere Jahre vergehen können, so dass die jeweilige Wahlperiode bis dahin möglicherweise endet.

60

Schließlich handelt es sich bei dem Ausschluss aus dem Gemeinderat auch nicht, wie vom Kläger behauptet, um eine unverhältnismäßige Disziplinarmaßnahme. Dies folgt schon daraus, dass die Mitgliedschaft im Gemeinderat ehrenamtlich erfolgt, so dass das beamtenrechtliche Instrumentarium des Disziplinarrechts auf Gemeinderäte keine Anwendung finden kann. Darüber hinaus verfolgt § 31 Abs. 1 GemO aber auch nicht denselben Zweck wie das Disziplinarrecht. Die Ausschlussmöglichkeit dient nicht dem Ziel, das einzelne Gemeinderatsmitglied zu zukünftig ordnungsgemäßer Amtsausübung anzuhalten. Im Rahmen des § 31 Abs. 1 GemO kommt es auf die Amtsausübung des ausgeschlossenen Ratsmitglieds ebenso wenig an wie darauf, erzieherisch auf dieses einzuwirken. Vielmehr sollen, wie bereits mehrfach erwähnt, insbesondere das Ansehen des Rates und das Vertrauen des Wahlvolks in seine kommunale Vertretung geschützt werden.

61

Gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG fließende Bestimmtheitsgebot verstößt § 31 Abs. 1 GemO ebenfalls nicht. Zwar handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal der Verwirkung "der für ein Ratsmitglied erforderlichen Unbescholtenheit" um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Dies entzieht ihn jedoch nicht rechtlicher Beurteilung. Vielmehr handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung gerichtlicher Überprüfung zugänglich ist. Dass eine Norm auslegungsbedürftig ist, schließt nämlich ihre Bestimmtheit nicht aus (Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 103 Rn. 68). Der unbestimmte Rechtsbegriff muss allein mit herkömmlichen Methoden - der literarischen, teleologischen, systematischen und historischen Auslegung - präzisiert werden können (BVerfG, Beschluss vom 9. November 1988 - 1 BvR 243/86 -, BVerfGE 79, 106).

62

Dies ist vorliegend der Fall. Nach dem allgemeinen Begriffsverständnis ist etwas verwirkt, wenn es durch eigene Schuld eingebüßt wurde (www.duden.de). Im Gegensatz zum bloßen Verlust, ist hier die Einbuße also auf ein eigenes Verhalten des Betroffenen zurückzuführen, das dieser hätte steuern können. In rechtlichem Kontext spielt der Begriff beispielsweise betr. der Verwirkung von Grundrechten gemäß Art. 18 GG eine Rolle. Hier setzt die Verwirkung ebenfalls ein aktives Tun des Betroffenen in Form des Missbrauchs der verwirkten Rechte voraus. Verschiedentlich hat das Bundesverfassungsgericht die Wurzel des Instituts der Verwirkung im Rechtsgedanken von Treu und Glauben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 1984/06 u. a. -, FamRZ 2008, 853) bzw. im Vertrauensgrundsatz (Beschluss vom 19. Juli 1967 - 1 BvR 99/67 -, juris) verankert.

63

Verwirkung tritt folglich zum einen nicht ohne eigenes Zutun ein. Hieraus ist abzuleiten, dass § 31 Abs. 1 GemO nur Anwendung finden kann, wenn die Anlass zum Ausschluss gebende Straftat vorsätzlich begangen wurde (a. A. Gabler/Höhlein/Klöckner u. a., PdK Rheinland-Pfalz, GemO § 31, Ziffer 2.).

64

Zum anderen setzt die Verwirkung eine Vertrauensverletzung gegenüber dem Wähler voraus. Dabei ist bedeutsam, dass § 31 Abs. 1 GemO gerade die Verwirkung der für ein Ratsmitglied erforderlichen Unbescholtenheit verlangt. Auf die Unbescholtenheit muss das verspielte Vertrauen also gerichtet sein.

65

Bei rein literarischer Betrachtung reicht der Begriff der Unbescholtenheit sehr weit. Danach ist eine Person unbescholten, die "aufgrund eines einwandfreien Lebenswandels frei von öffentlichem, herabsetzendem Tadel", also "integer" ist (www.duden.de) ist. So wird auch in der Rechtsprechung der Begriff teilweise mit Vorstrafen- oder Beanstandungsfreiheit gleichgesetzt (siehe z. B. BayVGH, Urteil vom 17. November 2011 - 16a D 10.2504 -, Juris; BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 WD 5/07 , DokBer 2008, 21).

66

Unbescholtenheit wird auch im Staatsangehörigkeitsrecht verlangt als Voraussetzung für einen Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - (vgl. VG Saarland, Urteil vom 14. Dezember 2010 - 2 K 495/09 -; InfAusIR 2011, 211; Urteil vom 26. Februar 2008 - 2 K 369/07 -, juris). Nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG setzt die Einbürgerung nämlich voraus, dass der Antragsteller weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt, noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Nach § 12a Abs. 1 StAG haben dabei Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz, Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist, außer Betracht zu bleiben. Auch hier wird also die Grenze zum Bagatellbereich bei der dreimonatigen Freiheitsstrafe gezogen.

67

Darüber hinaus aber ist der Unbescholtenheitsbegriff des § 31 Abs. 1 GemO enger zu verstehen als im vorgenannten Kontext, da er gerade auf die Ratsmitgliedschaft abhebt. Einen solch hohen Integritätsmaßstab anzusetzen, ginge über die berechtigte Erwartung hinaus, die an ein durchschnittliches Ratsmitglied zu stellen ist. Ein Gemeinderatsmitglied übt zwar eine gewisse Vorbildfunktion aus, muss sich zugleich aber als Repräsentant des Volkes nicht an wesentlich höheren Moralanforderungen messen lassen als die Durchschnittsbevölkerung.

68

Anhaltspunkte dafür, wodurch ein gewählter Volksvertreter seine Unbescholtenheit verlieren kann, liefern die Fälle der richterlichen Aberkennung des passiven Wahlrechts und der Amtsfähigkeit, welche stets zugleich mit dem Verlust eines innegehabten Mandats einhergehen. Eine solche Aberkennung ist möglich beispielsweise durch das Bundesverfassungsgericht im Fall der Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG; ferner durch den Strafrichter im Fall der Verurteilung zu einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe sowie den weiteren, im StGB besonders vorgesehenen, bereits zuvor genannten Fällen. Die genannten Vorschriften setzen im Kern ganz überwiegend gegen das Gemeinwesen gerichtete oder dieses zumindest erheblich schädigende Aktivitäten voraus. In dieser Hinsicht muss im Rahmen des § 31 Abs. 1 GemO also eine gewisse Vergleichbarkeit, wegen der unterschiedlichen Zielsetzung und geringfügigeren Rechtsfolge aber keine Identität der Voraussetzungen gegeben sein.

69

Nach alldem ist im Rahmen des § 31 Abs. 1 GemO daher zu fragen, ob das Strafurteil und die ihm zugrunde liegenden tatrichterlichen Feststellungen Anlass zu der Annahme bieten, dass ein durchschnittlicher Bürger dem Betroffenen sein Vertrauen entziehen würde, weil er sich objektiv durch seine Tat als ungeeignet erwiesen hat, für das Gemeinwesen einzutreten und dieses glaubhaft zu vertreten. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Betroffene durch die Tat als solche oder die Art und Weise ihrer Begehung gezeigt hat, dass er Grundwerte staatlichen Zusammenlebens im demokratisch verfassten Gemeinwesen missachtet. Zu diesen Grundwerten zählen die von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Grundsätze der Art. 1 und 20 GG.

70

Freilich kann nicht im Einzelfall gemessen werden, in welchem Maß dem Betroffenen tatsächlich Vertrauen entgegen gebracht und inwieweit dieses durch die Verurteilung erschüttert wurde. Es kann jedoch vernünftigerweise im Rahmen der Anwendung des § 31 GemO die Annahme zugrunde gelegt werden, dass der Wähler sein Vertrauen nur einer Person schenken wird, die die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens im demokratischen Rechtsstaat achtet und würdigt.

71

2. Der vorliegend angegriffene Beschluss ist formell rechtmäßig.

72

Beratung und Entscheidung über den Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat durften in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen. Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 5 der Geschäftsordnung des Stadtrats der Stadt Trier vom 1. März 2011 ist die Öffentlichkeit bei der Beratung und Entscheidung über den Ausschluss aus dem Rat (§ 31 GemO) ausgeschlossen. Diese Geschäftsordnungsbestimmung und ihre Anwendung im vorliegenden Fall stehen mit den Vorgaben des § 35 GemO über die Sitzungsöffentlichkeit im Einklang. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 sind Sitzungen des Gemeinderats öffentlich, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt oder die Beratung in nichtöffentlicher Sitzung der Natur des Beratungsgegenstandes nach erforderlich ist. § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO sieht vor, dass die Geschäftsordnung allgemein bestimmen kann, dass aus besonderen Gründen auch andere Angelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden, sofern es sich nicht um die in § 32 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 und 14 bis 16 GemO bezeichneten Gegenstände handelt. Damit hat der Gesetzgeber bereits dafür Sorge getragen, dass ein Großteil wichtiger Angelegenheiten im Regelfall nicht ohne Öffentlichkeitsbeteiligung abschließend entschieden werden kann (OVG RP, Urteil vom 13. Juni 1995 - 7 A 12186/94 -, NVwZ-RR 1996, 685). Um einen dieser ausnahmslos öffentlich zu behandelnden Gegenstände handelt es sich beim Ausschluss aus dem Gemeinderat nicht. Vielmehr liegen hier besondere Gründe vor, die eine Beratung und Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung erforderlich machen.

73

Bei der Beurteilung, ob ein besonderer Grund vorliegt, ist dem Gemeinderat grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zuzugestehen. Es muss dabei aber im Einzelfall stets gewährleistet sein, dass diese Gründe schwerer wiegen als der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit. Dieser dient in erster Linie dazu, die Tätigkeit des Gemeinderats der Kontrolle, Kritik und Beurteilung der Öffentlichkeit zu unterwerfen. Hierdurch soll zugleich der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung vorgebeugt und bereits der böse Schein unsachlicher Motive für die getroffenen Entscheidungen vermieden werden (Gabler/Höhlein/Klöckner u. a., PdK Rheinland-Pfalz, Stand: Dezember 2010, GemO § 35, Ziffer 2.1 m. w. N.).

74

Solche besonderen Gründe, die ausnahmsweise den Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit rechtfertigen, sind bei einer Entscheidung nach § 31 GemO gegeben.

75

Sie sind zugleich der Natur des Beratungsgegenstandes geschuldet. So sind vor einer Beschlussfassung über den Ausschluss eines Ratsmitglieds der Inhalt des gegen dieses Mitglied ergangenen Strafurteils und dessen Folgen für die Beurteilung seiner politischen Unbescholtenheit zu erörtern. Thema sind also persönlichkeitsbezogene Umstände und Wertungen, die dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG unterliegen. Zwar wird ein Strafurteil öffentlich verkündet, so dass auch unabhängig von der betreffenden Gemeinderatssitzung jedermann Kenntnis von dessen Inhalt erlangen kann. Ferner gab es im vorliegenden Fall auch eine umfassende Presseberichterstattung. Gleichwohl genießt der Verurteilte nach der Urteilsverkündung zumindest in gewissem Umfang im Hinblick auf seine Resozialisierungschancen Persönlichkeitsschutz, der im Einzelfall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegen kann. Dies gilt umso mehr, je länger die Verurteilung zurückliegt. So ist § 475 StPO, wonach Privatpersonen nur bei berechtigtem Interesse Auskünfte aus oder Einsicht in Akten des Strafgerichts zu gewähren ist, der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass nach Abschluss der Hauptverhandlung der Inhalt eines Strafurteils nicht mehr öffentlich zugänglich sein, sondern nur noch Personen mit berechtigtem Interesse zugänglich gemacht werden soll (siehe beispielsweise LG Bochum, Beschluss vom 10. November 2004, NJW 2005, 999).

76

Darüber hinaus besteht der besondere Grund im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO darin, dass der Gemeinderat bei der Beschlussfassung nach § 31 Abs. 1 GemO eine im Hinblick auf die oben genannten verfassungsrechtlichen Probleme weitreichende Entscheidung zu treffen hat, die er möglichst unabhängig und ohne Störungen und Einflussnahme von außen treffen können soll. Wegen der politischen Dimension einer solchen Entscheidung sind Störungen im Sitzungsablauf durch Unterstützer wie Gegner des Gemeinderatsmitglieds, über dessen Ausschluss zu befinden ist, zu befürchten. Derlei Störungen werden durch den Ausschluss der Öffentlichkeit verhindert. Außerdem unterliegen Meinungsäußerungen und Abstimmungsverhalten der Gemeinderatsmitglieder in nichtöffentlichen Sitzungen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 4 GemO der Geheimhaltung. Durch den Ausschluss der Öffentlichkeit wird also in besonderer Weise gewährleistet, dass das einzelne Gemeinderatsmitglied die Entscheidung nach § 31 Abs. 1 GemO allein aufgrund seiner inneren Überzeugung und frei von äußerem Druck und eventueller Furcht vor Repressalien treffen kann.

77

Ferner durfte der Stadtrat vorliegend den Kläger nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO von der Mitwirkung an Beratung und Entscheidung über seinen Ausschluss aus dem Gemeinderat ausschließen. Danach dürfen Bürger und Einwohner, die ein Ehrenamt oder eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, sowie Bürgermeister und Beigeordnete nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn eine Entscheidung ihnen einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann. Für den Kläger konnte die zu treffende Entscheidung den Ausschluss aus dem Stadtrat und damit verbunden einen Verlust von Einfluss und Ansehen unmittelbar, d. h. ohne dass weitere Entscheidungen oder Umsetzungsakte erforderlich waren, bewirken.

78

Da die Beschlussfassung nach § 31 Abs. 1 GemO auch keine Wahl darstellt, greift § 22 Abs. 3 GemO nicht, der die Anwendung der Befangenheitsregeln für Wahlen ausschließt. Eine Wahl ist eine Abstimmung, durch die eine oder mehrere Personen aus einem größeren Personenkreis ausgelesen werden (Butzer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 38 Rn. 38; vgl. auch Verwaltungsvorschrift zu § 40 GemO, Ziffer 2). Selbst eine Abwahl fiele also schon hierunter nicht, da es an der Auswahl zwischen mehreren Personen fehlte. Vorliegend handelt es sich aber auch nicht um eine solche, da nicht - wie für eine Wahl typisch - Momente des Dafürhaltens und der subjektiven Einschätzung ausschlaggebend sind, sondern die Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO in der Person des Klägers erfüllt sind, ob also die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausschluss vorliegen.

79

Anhaltspunkte dafür, dass weitere Mitglieder nach § 22 GemO hätten ausgeschlossen werden müssen, liegen nicht vor. Insbesondere brachte der Ausschluss des Klägers den übrigen Gemeinderäten keinen unmittelbaren Vorteil, da Sitz- und Kräfteverhältnis im Rat sich hierdurch nicht ändern. Dies gilt jedenfalls, sobald gem. § 31 Abs. 3 Satz 2 GemO eine Ersatzperson für das ausgeschlossene Mitglied bestimmt ist. Auch steht dem Ansehensverlust des Klägers kein relevanter Ansehensgewinn der übrigen Gemeinderatsmitglieder gegenüber.

80

Schließlich steht der Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses auch nicht entgegen, dass der Kläger im Rahmen der Stadtratssitzung vom 22. September 2011 zu der Beschlussvorlage Nr. 382/2011 angehört wurde. Die ausführliche, vom Kläger abgegebene Stellungnahme führt nicht etwa, wie er vorgetragen hat, zu seiner Mitwirkung an der getroffenen Entscheidung, so dass letztere nach § 22 Abs. 6 Satz 1 GemO unwirksam wäre. Der Kläger war vielmehr gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG vor seinem Ausschluss anzuhören, da die nach § 31 Abs. 1 GemO zu treffende Entscheidung einen ihn belastenden Verwaltungsakt darstellt. Zwar war er bereits schriftlich angehört worden. Seine - erst wenige Stunden vor der Sitzung abgegebene - schriftliche Stellungnahme hätte aber auf jeden Fall im Rahmen der Sitzung verlesen werden müssen. Dieser Vorgang wurde dadurch substituiert, dass dem Kläger Gelegenheit gegeben wurde, seine Auffassung mündlich vorzutragen. Im Hinblick auf die unter rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten hohe Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren gravierenden Folgen für den Kläger begegnet die überobligatorische Einräumung einer zusätzlichen Gehörsmöglichkeit für den Kläger keinerlei Bedenken. Zu seinen Gunsten wurde ihm dadurch die Möglichkeit eröffnet, Einfluss auf die zu treffende Ermessensentscheidung der Gemeindevertreter zu nehmen, beispielsweise sein Bedauern über die Tat zum Ausdruck zu bringen oder sich zu entschuldigen. Da er diese Möglichkeit zuvor auch selbst eingefordert hatte, stellt seine - im Übrigen erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragene - Einlassung, der Beschluss sei hierdurch unwirksam geworden, auch ein rechtsmissbräuchliches, widersprüchliches Verhalten (venire contra factum prorium) dar. Darüber hinaus kann denknotwendig die Abgabe einer Stellungnahme in eigener Sache vor dem zu erwartenden Ausschluss wegen Befangenheit nicht mit einer Mitwirkung im Sinne des § 22 Abs. 6 Satz 1 GemO gleichgesetzt werden. Aus dem Sitzungsprotokoll geht vielmehr hinreichend klar hervor, dass erst nachdem dieser den Sitzungssaal verlassen hatte, die eigentliche Beratung begann, auch wenn diese wegen der bestehenden Einigkeit der Beteiligten wesentlich weniger Zeit in Anspruch nahm als die vorherige Anhörung des Klägers.

81

Die Frist des § 31 Abs. 1 Satz 2 GemO wurde gewahrt. Danach kann der Gemeinderat den Beschluss nur innerhalb eines Monats treffen, nachdem er von der Verurteilung Kenntnis erhalten hat. Hierbei kommt es auf die Kenntnis des Organs Gemeinderat an. Diese erlangt der Rat im Wege der Unterrichtung durch den Bürgermeister gemäß § 31 Abs. 1 Satz 3 GemO, die im Rahmen einer Gemeinderatssitzung zu erfolgen hat (Gabler/Höhlein/Klöckner u. a., PdK Rheinland-Pfalz, GemO § 31, Ziffer 2). Da ferner § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, kann es auch im Rahmen des Satzes 3 nur auf die Kenntnis von der Rechtskraft und nicht der erstinstanzlichen Verurteilung ankommen. Das gegen den Kläger ergangene Strafurteil erlangte Rechtskraft mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. August 2011, da hiergegen keine weiteren Rechtsmittel gegeben waren. Die Bescheinigung über die Rechtskraft ging der Beklagten am 25. August 2011 zu. Hierüber setzte der Oberbürgermeister den Stadtrat am 1. September 2011 in Kenntnis.

82

3. Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO sind vorliegend erfüllt. Der Kläger wurde nach seiner Wahl in den Stadtrat vom Landgericht Trier rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Rechtskraft dieses Urteils trat bereits mit seiner Bestätigung durch den BGH am 3. August 2011 und unabhängig davon ein, dass der Kläger Verfassungsbeschwerde dagegen erhoben hatte. Die Verfassungsbeschwerde ist kein Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf. Dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an ihrem Charakter als Freiheitsstrafe und am Strafmaß nichts, sondern bezieht sich allein auf die Art und Weise ihrer Vollstreckung.

83

Dass der Kläger die in Rede stehende Straftat nicht in seiner Eigenschaft als Ratsmitglied begangen hat, ist unbeachtlich. Für eine dahingehende Einschränkung enthält § 31 GemO keinerlei Anhaltspunkte. Sie wäre auch mit seinem Sinn und Zweck nicht vereinbar, da der Gemeinderat aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung eines seiner Mitglieder einen Ansehens- und Vertrauensverlust unabhängig davon erleiden kann, ob die Straftat einen unmittelbaren Bezug zur ehrenamtlichen Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied aufweist oder nicht. Dadurch, dass, wie oben dargelegt, im Rahmen des § 31 Abs. 1 GemO zu verlangen ist, dass die Tat eine Missachtung rechtsstaatlicher Grundwerte zum Ausdruck bringen muss, ist jedenfalls ein abstrakter Bezug zur Amtsausübung stets gegeben.

84

§ 31 Abs. 1 GemO verlangt außerdem nicht, dass die den Ausschluss begründende Straftat nach der Wahl in den Gemeinderat begangen worden sein muss. Dies legt bereits der Wortlaut der genannten Bestimmung nahe, wonach das Ratsmitglied "nach seiner Wahl (...) verurteilt" worden sein muss. Darüber hinaus folgt aus Sinn und Zweck der Vorschrift in Verbindung mit der aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Unschuldsvermutung (BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987 - 2 BvR 589/79 u. a. -, BVerfGE 74, 358), dass es für die Ausschlussentscheidung allein auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung und nicht der Tatbegehung ankommen kann. Das gegen den Kläger gesprochene Strafurteil erging zeitlich nach der Kommunalwahl vom 7. Juni 2009. Dass er die Tat bereits vor der Wahl begangen hat, hindert nach Vorstehendem seinem Ausschluss nicht. Zwar ist dem Kläger darin zuzustimmen, dass im Fall der Tatbegehung vor der Wahl das später ausgeschlossene Ratsmitglied die erforderliche Unbescholtenheit möglicherweise von vornherein nicht besaß. Jedoch schafft erst die Aufklärung eines Geschehens und dessen Einordnung als Straftat durch das Strafgericht eine verlässliche Beurteilungsgrundlage für die nach § 31 Abs. 1 GemO vorzunehmende Bewertung. Die Vermutung der Unschuld endet nämlich erst mit der Rechtskraft der Verurteilung (BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 - 1 BvR 536/72 -, BVerfGE 35, 202). Ferner kann auch das Verhalten nach der Tat, namentlich im Strafverfahren selbst, Einfluss darauf üben, ob es zu einer Verurteilung kommt und wie hoch das Strafmaß ausfällt. Ein Geständnis, tätige Reue, Wiedergutmachung und andere bei der Strafzumessung zu berücksichtigende Umstände beeinflussen das Strafmaß und im Rahmen der nach § 31 Abs. 1 GemO zu treffenden Ermessensentscheidung auch die Frage, wie groß der drohende Ansehens- und Vertrauensverlust für den Gemeinderat tatsächlich ist.

85

Wie die erkennende Kammer und das Oberverwaltungsgericht Koblenz im Eilverfahren (VG Trier, Beschluss vom 29. September 2011 - 1 L 1304/11.TR; OVG Koblenz, Beschluss vom 29. September 2011 - 2 B 11158/11.OVG) bereits dargelegt haben, hat der Kläger auch durch die Tat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt. Die Auslegung und Anwendung der in § 31 Abs. 1 GemO enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden.

86

Der Kläger hat, das Gewaltmonopol des Staates und die Strafverfolgungszuständigkeit der staatlichen Behörden negierend, zum Mittel der Gewalt gegen den politischen Gegner gegriffen. Anlass der Tat war, dass das spätere Opfer vor der Tat Wahlplakate der NPD abgerissen hatte. Ausweislich der strafrichterlichen Feststellungen war dem Kläger und den übrigen Angehörigen der von ihm geführten Gruppe auch bekannt, dass das Opfer und zwei weitere Plakatabreißer bereits von der Polizei festgenommen und in der Polizeiinspektion … zur Tat vernommen worden waren. Der Kläger hat folglich Selbstjustiz geübt und dadurch seine Missbilligung gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsorganen zum Ausdruck gebracht. Ferner hat er - als Mittäter - körperliche Gewalt gegen einen politischen Opponenten angewandt und damit das Feld des zulässigen politischen Meinungskampfes verlassen.

87

In der Tat manifestiert sich somit eine staatlichen Ermittlungs- und Sanktionsmechanismen zumindest gleichgültig gegenüber stehende Grundhaltung. Die Anwendung körperlicher Gewalt im ungleichen Verhältnis von mehreren Tätern gegenüber einem Opfer zeigt überdies, dass der Kläger den Achtungsanspruch des Einzelnen und dessen Recht auf körperliche Integrität in der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Situation negiert hat. Durch die Tat hat der Kläger folglich Grundwerte staatlichen Zusammenlebens verletzt. Unter objektiven Gesichtspunkten hat er sich damit als ungeeignet erwiesen, als Volksvertreter die Interessen der kommunalen Gemeinschaft zu vertreten und für diese verbindliche Beschlüsse zu fassen. Das ihm von seinen Wählern entgegen gebrachte Vertrauen hat er somit verwirkt und zugleich das Ansehen des Rates als Organ beschädigt. "Als Ratsmitglied ist er damit untragbar geworden", so bereits das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Beschluss vom 29. September 2011 - 2 B 11158/11.OVG -).

88

Die Prüfung dieser Frage bedurfte keiner eigenständigen, neben die strafrichterlichen Feststellungen tretenden Aufklärung des Tathergangs und der Strafbarkeit des Betroffenen. Vielmehr erlangt der durch das Strafgericht nach umfassender Beweiserhebung und -Würdigung festgestellte Sachverhalt mit Rechtskraft des Strafurteils Verbindlichkeit auch im Hinblick auf ein verwaltungsrechtliches Verfahren, das an diese Straftat tatbestandlich anknüpft, jedenfalls insoweit, als die tatrichterlichen Feststellungen den Tenorausspruch im Hinblick auf die Täterschaft des Klägers tragen. Zwar enthält die Verwaltungsgerichtsordnung hierzu keine explizite Regelung (anders zum Beispiel § 16 Abs. 1 Landesdisziplinargesetz - LDG -, wonach die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren oder im Bußgeldverfahren für ein Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, bindend sind, es sei denn deren Richtigkeit wird von einer Mehrheit der zur Entscheidung berufenen Richter bezweifelt; siehe ferner §§ 3 Abs. 4 und 4 Abs. 3 StVG).

89

Vorliegend ergibt sich die Bindung an die tatrichterlichen Feststellungen aber daraus, dass § 31 Abs. 1 GemO die Verurteilung durch ein Strafgericht als solche voraussetzt. In solchen Fällen ist das Verwaltungsgericht, wie etwa im Ausländerrecht, an die Feststellungen des Strafgerichts gebunden (BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 1998 - 1 B 21/98 -, InfAusIR 1998, 221; Beschluss vom 16. Oktober 1986 - 3 B 11/86 -, NJW 1987, 1501). Es wäre in sich widersprüchlich, einerseits die Verurteilung zum Anlass der Ausschlussentscheidung nach § 31 Abs. 1 GemO zu nehmen, andererseits die tatrichterlichen Feststellungen, die der Verurteilung zugrunde liegen, in Frage zu stellen.

90

Das gleiche Ergebnis folgt aus der Überlegung, dass der materiellen Rechtskraft im Strafprozess gerade auch die Funktion zukommt, nachträgliche Sachverhaltsermittlungen auszuschließen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem im Strafprozess Angeklagten umfassende Verteidigungsmöglichkeiten, der Amtsaufklärungsgrundsatz und die Unschuldsvermutung zu Gute kommen. Wenn also selbst unter diesen Verfahrensbedingungen ein den Schuldspruch tragender Sachverhalt festgestellt werden kann, steht seiner Zugrundelegung im Rahmen einer Verwaltungs(gerichts)entscheidung grundsätzlich nichts entgegen (VGH BW, Beschluss vom 16. Juni 2010- 9 S 2530/09 -, VBIBW 2010, 480, m. w. N.).

91

Überdies entspricht es höchstrichterlicher Rechtsprechung zu Approbations-Widerrufen, dass die in einem rechtskräftigen Strafurteil und sogar in einem - ohne Hauptverhandlung ergehenden - Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen und bzw. oder gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Person gemacht werden dürfen, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben (BVerwG, Beschluss vom 6. März 2003 - 3 B 10/03 -, juris; Urteil vom 26. September 2002 - 3 C 37/01 -, NJW 2003, 913; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 86 Rn. 6a).

92

Solcherlei gewichtige Anhaltspunkte hat der Kläger weder substantiiert vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich. Zwar trägt der Kläger in seiner Klageschrift vom 2. Dezember 2011 umfassend dazu vor, aus welchen Gründen er das gegen ihn ergangene Strafurteil des Landgerichts Trier vom 22. Dezember 2010 für unrichtig hält. Dabei bezieht er sich jedoch im Wesentlichen auf die seiner Ansicht nach unrichtige Beweiswürdigung durch das Strafgericht. Objektiv erkennbare Fehler oder offen zutage tretende Widersprüche des Urteils macht er nicht geltend. Ohne letztlich einen förmlichen Beweisantrag zu stellen, hat der Kläger in der Klageschrift Zeugen dafür benannt, dass am Tatabend politische Gegner der NPD zahlreiche Wahlplakate derselben zerstört hätten und er am gleichen Abend Wahlkamphelfer der NPD kontaktiert habe, um sich zum gemeinsamen Plakatieren zu verabreden, ohne dass von der Verfolgung der "Plakatzerstörer" oder deren Bestrafung die Rede gewesen sei. Den Beweisanregungen war nicht nachzugehen. Die angegebenen Zeugen wurden sämtlich bereits im Strafverfahren vernommen. Ausweislich der Urteilsbegründung stellte das Landgericht den Umstand, dass am Tatabend Plakate der NPD - auch durch das spätere Opfer - abgerissen wurden, nicht in Frage. Ferner legte es der Verurteilung des Klägers wegen Mittäterschaft an einer gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung die Annahme eines jedenfalls konkludent vereinbarten gemeinsamen Tatplans zugrunde. Auf die Frage, wann dieser zwischen den Beteiligten verabredet wurde und ob dies ausdrücklich oder stillschweigend geschah, kam es nicht an, da er jedenfalls im Zeitpunkt der Tatbegehung vorlag. Beide Tatsachen waren mithin im Hinblick auf die Verurteilung des Klägers nicht erheblich.

93

Schließlich ist die von der Beklagten getroffene Entscheidung, den Kläger auszuschließen, angesichts der Umstände des vorliegenden Falles auch verhältnismäßig. Die Wahlperiode hatte, als das gegen den Kläger gefällte Strafurteil rechtskräftig wurde, noch eine Restdauer von über zwei Jahren. Eine weitere Mitwirkung des Klägers im Stadtrat über diesen beachtlichen Zeitraum hinweg wären Ansehen und Funktionsfähigkeit des Rates folglich abträglich gewesen. Der Beschluss erweist sich auch nicht vor dem Hintergrund als unverhältnismäßig, dass über den gegen den Kläger bestehenden Verdacht schon vor der Kommunalwahl 2009 umfassend berichtet wurde und davon ausgegangen werden kann, dass ein Teil der Wähler aufgrund dieser Berichterstattung über den Vorfall vom 18. Mai 2009 und die mögliche Beteiligung des Klägers hieran informiert war. Dies hat nicht zur Folge, dass vorliegend der Eingriff in die in der Wahlentscheidung zum Ausdruck gekommene Volkssouveränität schwerer wiegt als der dem Stadtrat drohende Ansehens- und Vertrauensverlust.

94

Zwischen Tatbegehung und Kommunalwahl lagen nämlich nur knapp drei Wochen. Die den lokalen Medien zu entnehmenden ungesicherten Informationen boten kein hinreichendes Bild, um sich als Wähler ein abschließendes und verlässliches Bild über Art und Umfang der Tatbeteiligung des Klägers zu machen (so auch OVG RP, Beschluss vom 29. September 2011 - 2 B 11158/11.OVG -). Dieser hat die Tat auch nicht eingeräumt, sondern beruft sich bis heute darauf, er habe von einem ihm vermeintlich zustehenden Festnahmerecht Gebrauch machen wollen. Demgegenüber drohten das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Stadtrats sowie die Überzeugungs- und Bindekraft seiner Entscheidungen im Falle der weiteren Mitwirkung des Klägers Schaden zu nehmen.

95

Auch den Beweisanregungen des Klägers bezüglich Inhalt und Reichweite der vor der Kommunalwahl erfolgten Presseberichterstattung über die Tat vom 18. Mai 2009 war folglich mangels Entscheidungserheblichkeit nicht weiter nachzugehen.

96

Die Ermessensausübung durch die Beklagte weist, soweit sie gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlicher Überprüfung zugänglich ist, keine Fehler auf. Insbesondere hat sie alle objektiv zugänglichen Tatsachen ermittelt und in ihre Erwägungen eingestellt.

97

Bleibt die Klage nach alldem ohne Erfolg, hat der Kläger als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

98

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

99

Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO, denn die Auslegung des § 31 Abs. 1 GemO hat grundsätzliche Bedeutung.

100

Beschluss

101

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,- € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -).

102

Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit derBeschwerde angefochten werden.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 8. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, der Kreisvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ist und bei der Kommunalwahl am 7. Juni 2009 in den Stadtrat der Stadt Trier gewählt wurde, wendet sich mit seiner Klage gegen seinen Ausschluss aus dem Trierer Stadtrat.

2

Mit rechtskräftigem Urteil vom 22. Dezember 2010 verurteilte das Landgericht Trier den Kläger wegen in Mittäterschaft begangener gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 Strafgesetzbuch - StGB - zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die vom Kläger hiergegen eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 3. August 2011 als unbegründet. Die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.

3

Der Verurteilung des Klägers lagen im Wesentlichen folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde: Am Abend des 18. Mai 2009 wurden von einer Gruppe aus dem linksgerichteten Spektrum Wahlplakate der NPD abgerissen. Nachdem der Kläger hierüber informiert worden war, organisierte er mehrere Personen, die sich auf die Suche nach den „Plakatabreißern“ begaben. Dem Kläger und einem Teil seiner Begleiter gelang es, einen bei der Verfolgung gestrauchelten und zu Fall gekommenen „Plakatabreißer“ zu stellen. Dieser erhielt von den Begleitern des Klägers etwa fünf Faustschläge gegen den Kopf und fünf Tritte gegen den Rumpf, während der Kläger selbst das Geschehen beobachtete. Das Landgericht sah die Voraussetzung der Mittäterschaft als erfüllt an, weil die Gruppe einen gemeinsamen Tatplan gehabt und der Kläger als „Hauptinitiator des gesamten Geschehens“ einen wesentlichen Tatbeitrag geleistet habe.

4

In nicht öffentlicher Sitzung vom 22. September 2011 schloss der Stadtrat den Kläger - nachdem dieser sich schriftlich und in der Sitzung mündlich hierzu geäußert hatte - gemäß § 31 Abs. 1 der Gemeindeordnung - GemO - durch einstimmigen Beschluss aus der Gemeindevertretung aus und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung an. Zuvor hatte der Stadtrat das Vorliegen von Ausschließungsgründen im Sinne des § 22 GemO einstimmig festgestellt, worauf der Kläger den Sitzungssaal verließ.

5

Seine hiergegen erhobene Klage hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass § 31 GemO verfassungswidrig sei. Insbesondere greife der Ausschluss aus dem Stadtrat unzulässig in Wahlgrundsätze ein, die von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz – GG – verfassungsrechtlich garantiert seien. Es sei unverhältnismäßig, dass die politische Konkurrenz bereits mit einfacher Mehrheit den Ausschluss eines Ratsmitgliedes beschließen könne. Der in § 31 GemO verwandte Begriff der Unbescholtenheit sei kaum zu definieren, zumal es keine gemeinderatsspezifische Unbescholtenheit gebe. Andere Bundesländer kämen daher auch ohne eine mit § 31 GemO vergleichbare Ausschlussregelung aus.

6

Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 31 GemO nicht erfüllt, weil das ihm zu Unrecht vorgeworfene Körperverletzungsdelikt vor der Wahl begangen worden sei und deshalb nicht im Zusammenhang mit der Ratstätigkeit stehe. Außerdem habe der Wähler vor der Wahl von den Vorwürfen Kenntnis gehabt. Schließlich leide die Beschlussfassung an formellen Fehlern. Die Öffentlichkeit habe nicht aufgrund der Geschäftsordnung des Rates generell ausgeschlossen werden dürfen. Des Weiteren sei er gemäß § 22 Abs. 1 GemO von der Beratung und Entscheidung ausgeschlossen worden, obwohl diese Vorschrift für Wahlen nicht gelte. Sollte der Ausschluss nach § 22 Abs. 1 GemO rechtmäßig gewesen sein, sei der angefochtene Beschluss fehlerhaft, weil er durch seine mündliche Stellungnahme an der Beratung tatsächlich mitgewirkt habe.

7

Der Kläger hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2011 über seinen Ausschluss aus dem Stadtrat der Stadt Trier aufzuheben.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Sie hat geltend gemacht, § 31 GemO sei verfassungsgemäß. Die Vorschrift verletze nicht die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und verstoße weder gegen die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze noch gegen das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG. Die Möglichkeit, den Ausschluss mit einfacher Mehrheit beschließen zu können, sei ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich, weil § 31 GemO hohe materielle Anforderungen beinhalte.

12

Die Voraussetzung des § 31 Abs. 1 GemO für den Ausschluss des Klägers, der verfahrensfehlerfrei erfolgt sei, lägen vor. Er sei zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt worden und habe hierdurch die Unbescholtenheit als Ratsmitglied verwirkt. Denn der Kläger habe in der politischen Auseinandersetzung Selbstjustiz geübt und dabei zu Mitteln körperlicher Gewalt gegriffen. Maßgeblich sei insoweit allein, dass das Strafurteil nach erfolgter Wahl Rechtskraft erlangt habe, auch wenn zuvor über den Vorfall ausführlich in den Medien berichtet worden sei. Eine erneute Überprüfung der Strafbarkeit des Verhaltens des Klägers durch das Verwaltungsgericht habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Im Übrigen habe der Stadtrat das Ermessen bei der Ausschlussentscheidung fehlerfrei ausgeübt.

13

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass § 31 Abs. 1 GemO verfassungskonform sei. Für den Erlass der Vorschrift sei der Landesgesetzgeber befugt gewesen, da es sich nicht um eine strafrechtliche Norm handele. Vielmehr sei sie nach ihrem Sinn und Zweck auf die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung gerichtet. Deshalb verstoße sie auch nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG.

14

Eine Verletzung der Wahlgrundsätze der Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 50 Abs. 1 i.V.m. Art. 76 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV – liege nicht vor. In den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl werde durch § 31 Abs. 1 GemO bereits nicht eingegriffen. Allerdings bewirke die angegriffene Regelung einen Eingriff in die Allgemeinheit der Wahl und die Wahlrechtsgleichheit. Beide Grundsätze umfassten auch das Recht, ein einmal erworbenes Mandat bis zum Ende der Wahlperiode inne zu haben und auszuüben. Darüber hinaus fordere die Garantie formaler Wahlgleichheit, dass jeder abgegebenen Stimme der gleiche Zähl- und bei der Verhältniswahl oder gemischten Wahlsystemen zumindest grundsätzlich auch der gleiche Erfolgswert zukomme. Letzteres sei beim Ausschluss eines rechtmäßig gewählten Gemeinderatsmitglieds, insbesondere wegen des stark personalisierten Elements des Kommunalwahlrechts, nicht mehr in letzter Konsequenz der Fall.

15

Jedoch erweise sich dieser Eingriff wegen der mit § 31 Abs. 1 GemO verfolgten legitimen Zwecke als gerechtfertigt. § 31 GemO diene dem Schutz des Ansehens sowie der Akzeptanz des Organs Gemeinderat und damit im weitesten Sinne der Funktionsfähigkeit der in Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 49 Abs. 1 bis 3 LV gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung. Wegen des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums könne offen bleiben, ob die kommunale Selbstverwaltung auch ohne eine solche Regelung funktionsfähig wäre. Hiervon ausgehend sei § 31 Abs. 1 GemO auch verhältnismäßig. Das Abstellen auf die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit und die Einräumung eines Ermessensspielraums führe dazu, dass im Einzelfall ein Ausschluss nur beschlossen werden könne, wenn dem Gemeinderat ein Ansehens- und Vertrauensverlust erheblichen Ausmaßes drohe, welcher eine Einschränkung des in der Wahlentscheidung zum Ausdruck gekommenen Wählerwillens rechtfertige.

16

Die Angemessenheit des § 31 GemO sei auch im Hinblick auf seine verfahrensmäßige Ausgestaltung gegeben. Dies gelte zunächst insoweit, als die Ausschlussentscheidung von der politischen Konkurrenz des auszuschließenden Mitglieds und überdies mit einfacher Mehrheit getroffen werden könne. Denn die Entscheidung des Gemeinderats sei in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Wegen der Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz erlangen zu können, sei es des Weiteren hinzunehmen, dass die Ersatzperson nach dem Kommunalwahlgesetz ihr Amt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 3 GemO erst antrete, wenn der Ausschluss unanfechtbar geworden sei.

17

Auch sei das Tatbestandsmerkmal der „Verwirkung der für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit“ hinreichend bestimmt. Bei der Auslegung sei zu fragen, ob die der Verurteilung zugrunde liegenden tatrichterlichen Feststellungen Anlass zu der Annahme böten, dass ein durchschnittlicher Bürger dem Betroffenen sein Vertrauen entziehe, weil er sich objektiv durch seine Tat als ungeeignet erwiesen habe, für das Gemeinwesen einzutreten und dieses glaubhaft zu vertreten. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Betroffene durch die Tat gezeigt habe, dass er Grundwerte staatlichen Zusammenlebens im demokratisch verfassten Gemeinwesen missachte.

18

Von der Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs. 1 GemO ausgehend, sei der angegriffene Bescheid formell rechtmäßig. Die Beratung und Entscheidung über den Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat habe in nicht öffentlicher Sitzung erfolgen dürfen, weil persönlichkeitsbezogene Umstände aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung zu erörtern gewesen seien. Ferner habe der Stadtrat den Kläger nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO von der Mitwirkung an der Beratung und Entscheidung ausschließen dürfen. Die Abwahl stelle keine Wahl im Sinne des § 22 Abs. 3 GemO dar. Durch die Anhörung des Klägers habe dieser auch nicht an der Beratung über den angegriffenen Beschluss mitgewirkt.

19

Des Weiteren lägen die materiellen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO vor. Der Kläger sei nach seiner Wahl in den Stadtrat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Er habe die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt, da er das Gewaltmonopol des Staates und die Zuständigkeit der staatlichen Behörden für die Strafverfolgung negiert und zum Mittel der Gewalt gegen den politischen Gegner gegriffen habe. Einer eigenständigen Aufklärung des Tathergangs und der Strafbarkeit im verwaltungsrechtlichen Verfahren habe es nicht mehr bedurft, weil sich aus § 31 Abs. 1 GemO eine Bindung an die tatrichterlichen Feststellungen des Strafgerichts ergebe. Schließlich sei die von der Beklagten getroffene Entscheidung auch verhältnismäßig.

20

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung begründet der Kläger im Wesentlichen damit, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht lediglich die Zuteilung des Mandats zum Gegenstand habe. Er werde auch noch nach der Wahl und dem Erwerb des Mandats durch den Ausschluss eines Ratsmitgliedes verletzt, weil sich der Rat zwischen Wähler und Wahlbewerber als Instanz schiebe und den vom Wähler geäußerten Willen nachträglich abändere.

21

Soweit das Verwaltungsgericht zu Recht von einem Eingriff in die Grundsätze der Allgemeinheit der Wahl und der Wahlrechtsgleichheit ausgehe, sei diese nicht durch die mit § 31 Abs. 1 GemO verfolgten Ziele gerechtfertigt. Die Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses eines Gemeinderatsmitgliedes sei bereits deshalb zweifelhaft, weil er auch in Fällen zulässig sei, in denen der Verlust des Gemeinderatsmandats nach § 45 Abs. 1 und 4 StGB als Nebenfolge einer Verurteilung nicht eintrete. Außerdem könne der Ausschluss aus dem Gemeinderat – anders als die Abwahl eines hauptamtlichen Bürgermeisters gemäß § 55 Abs. 1 GemO – bereits mit einfacher Mehrheit durch die politische Konkurrenz beschlossen werden. Zudem lasse sich die für ein Ratsmitglied nach § 31 Abs. 1 GemO erforderliche Unbescholtenheit kaum definieren. An der Unverhältnismäßigkeit des § 31 Abs. 1 GemO ändere auch die gerichtliche Überprüfbarkeit des Ausschlusses nichts.

22

Das Verwaltungsgericht verkenne des Weiteren, dass der Landesgesetzgeber für die Regelung des § 31 GemO nicht zuständig gewesen sei, weil der Ausschluss aus dem Gemeinderat ebenso wie der Verlust des Mandats gemäß § 45 Abs. 1 und 4 StGB eine Strafe sei. Außerdem verstoße § 31 GemO gegen Art. 103 Abs. 3 GG und missachte die in Art. 20 Abs. 2 GG garantierten Volkssouveränität, da der einzige Akt der unmittelbaren Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk, nämlich die Wahl der Volksvertreter, aufgehoben werde.

23

Unterstelle man die Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs. 1 GemO hätten im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen Ausschluss aus dem Stadtrat nicht vorgelegen. Die Unbescholtenheit könne er nicht verwirkt haben, weil die angebliche Körperverletzung vor der Wahl stattgefunden habe. Angesichts der umfangreichen Medienberichterstattung über die Vorwürfe gegen ihn sei es unzulässig, den Wählerwillen zu ignorieren und zu ersetzen.

24

Im Übrigen sei der Ausschluss aus dem Stadtrat aus formalen Gründen rechtswidrig. Der Beschluss des Stadtrates habe schon nicht in nicht öffentlicher Sitzung gefasst werden dürfen. Des Weiteren sei die angefochtene Ausschlussentscheidung nach § 22 Abs. 6 Satz 1 GemO rechtswidrig, weil er als ausgeschlossene Person in der maßgeblichen Stadtratssitzung eine ausführliche Stellungnahme mündlich abgegeben und dadurch an der Beratung mitgewirkt habe. Hierauf könne er sich berufen, auch wenn er der Ansicht sei, er hätte über die Entscheidung nach § 31 Abs. 1 GemO mit beraten und entscheiden dürfen, weil es sich hierbei um eine Wahl im Sinne des § 22 Abs. 3 GemO gehandelt habe.

25

Schließlich sei die Erwägung des Verwaltungsgerichts falsch, der materiellen Rechtskraft des Strafurteils komme die Funktion zu, nachträgliche Sachverhaltsermittlungen auch in anderen Gerichtszweigen auszuschließen, zumal er gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen des Landgerichts vorgetragen habe.

26

Der Kläger beantragt,

27

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem in erster Instanz gestellten Klageantrag zu erkennen.

28

Die Beklagte beantragt,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Zur Begründung verweist sie auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung sowie ihr gesamtes erstinstanzliches Vorbringen.

31

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

32

Die Berufung hat keinen Erfolg.

33

Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen seinen Ausschluss aus dem Stadtrat der Beklagten vom 22. September 2011 zu Recht abgewiesen. Der Beschluss des Stadtrates findet seine Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 1 Gemeindeordnung - GemO -. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß (A.) und ihre Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt (B.).

A.

34

§ 31 Abs. 1 GemO ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Landesgesetzgeber war für den Erlass der Vorschrift zuständig (I.), sie verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz - GG - (II.) und ihre tatbestandlichen Voraussetzungen sind hinreichend bestimmt (III.). Des Weiteren werden durch den Ausschluss aus dem Gemeinderat bei verfassungskonformer Auslegung des § 31 Abs. 1 GemO weder die verfassungsrechtlich gewährleisteten Wahlgrundsätze verletzt (IV.) noch wird gegen den Grundsatz der Volkssouveränität des Art. 20 Abs. 2 GG verstoßen (V.).

I.

35

Der Landesgesetzgeber war kompetenzrechtlich befugt, eine Regelung über den Ausschluss eines Mitgliedes aus dem Gemeinderat zu schaffen. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungskompetenz verleiht. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bemisst sich des Weiteren gemäß Art. 70 Abs. 2 GG nach den Vorschriften des Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung. Hieraus folgt, dass die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers zum einen für solche Materien nicht besteht, für welche Art. 73 Abs. 1 GG dem Bundesgesetzgeber die ausschließliche Gesetzgebung zugewiesen hat. Die Befugnis der Länder zur Gesetzgebung ist zum anderen für die in Art. 74 Abs. 1 GG genannten Gebiete der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes ausgeschlossen, sofern der Bund von dieser Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Von diesen grundsätzlichen Kompetenzregelungen des Grundgesetzes ausgehend, ist der Landesgesetzgeber für den Erlass des § 31 Abs. 1 GemO zuständig, weil diese Vorschrift nicht nur formell, sondern auch materiell-rechtlich dem Kommunalverfassungsrecht angehört und dieses Sachgebiet vom Grundgesetz weder der ausschließlichen noch der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zugewiesen ist.

36

Die Regelung über den Ausschluss eines Ratsmitgliedes durch den Rat, welche ursprünglich in § 39a des Gemeindewahlgesetzes vom 27. September 1948 (GVBl. S. 348) in der Fassung vom 13. September 1952 (GVBl. S. 127) enthalten war, „soll die Achtung vor der Gemeindevertretung und ihr Ansehen stärken, indem sie die Möglichkeit gibt, Ratsmitglieder, die sich durch ihr Verhalten als unwürdig erwiesen haben, auszuschließen“ (vgl. LT-Drucks. Abt. II, 2/343, S. 986) Damit verfolgt die Vorschrift materiell-rechtlich den Zweck, das Gemeindeorgan Rat vor einem Ansehensverlust zu schützen, welcher ihm durch die Zugehörigkeit eines im gesetzlich umschriebenen Maß vorbestraften Mitgliedes drohen kann. § 31 Abs. 1 GemO zielt damit unmittelbar auf die Zusammensetzung des Gemeinderates und damit auf die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung ab. Die Vorschrift hat auch keinen strafrechtlichen Charakter. Anders als § 45 Abs. 1 und 4 Strafgesetzbuch - StGB -, der als strafrechtliche Nebenfolge einer Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr den Verlust der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit und gegebenenfalls auch von Ämtern vorsieht, soll § 31 Abs. 1 GemO nicht wie eine Sanktion auf die Person des Straftäters einwirken. Deshalb scheidet auch eine disziplinierende Wirkung des Ausschlusses aus dem Gemeinderat aus. Selbst wenn Letzteres anders zu sehen wäre, würde dies nichts daran ändern, dass § 31 Abs. 1 GemO ebenso wie § 38 GemO, der die Ordnungsbefugnis des Vorsitzenden des Gemeinderates gegenüber Ratsmitgliedern regelt, dem Sachgebiet Kommunalverfassungsrechts zuzurechnen ist, das nicht zu den in den Art. 73 Abs. 1 und 74 Abs. 1 GG genannten Sachmaterien gehört (ebenso Barrot, LKRZ 2012, 320 [321]).

II.

37

Da es Ziel des § 31 Abs. 1 GemO ist, das Ansehen des Rates zu gewährleisten und die Vorschrift deshalb keinen strafrechtliche Zweck verfolgt, verstößt sie auch nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG, der es verfassungsrechtlich verbietet, dass jemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft wird.

III.

38

Das Tatbestandsmerkmal „Verwirkung der für ein Ratsmitglied erforderlichen Unbescholtenheit“ ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend bestimmt. Das aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, einen Tatbestand mit genau erfassbaren Merkmalen zu umschreiben. Gesetzliche Vorschriften brauchen nur so bestimmt zu sein, wie dies nach der Eigenart der zu regelnden Sachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Es genügt, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 78, 205 [212]; 84, 133 [149]). Will der Gesetzgeber eine typische Erscheinung des sozialen Lebens zum Gegenstand rechtlicher Regelungen machen, ist er deshalb nicht gezwungen, sie im Gesetzestext mit Tatbestandsmerkmalen zu definieren. Es genügt vielmehr, wenn er sie mit einem unbestimmten Rechtsbegriff kennzeichnet. Die Konkretisierung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist nämlich Aufgabe der Verwaltungsbehörden und der Fachgerichte (vgl. BVerfGE 31, 255 [264]; 56, 1 [12]; 79, 174 [195]; 87, 234 [263f]).

39

Diesen Maßstäben wird § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO gerecht. Der Begriff der „Verwirkung der für ein Ratsmitglied erforderlichen Unbescholtenheit“ ist mit den üblichen juristischen Auslegungsmethoden auslegungsfähig. Er umschreibt nach seinem Wortsinn und dem Gesetzeszweck die für die Gemeinderatstätigkeit nötige persönliche Integrität, welche ein Ratsmitglied durch eigenes Verhalten verloren hat, wenn es rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wurde und die zugrunde liegende Straftat erhebliche Auswirkungen auf das Vertrauen der Wähler in den Gemeinderat hat. Diese Auslegung folgt insbesondere aus dem in § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO hergestellten Zusammenhang zwischen der Straftat und der Ratstätigkeit.

IV.

40

§ 31 Abs. 1 GemO verletzt nicht die Wahlgrundsätze der Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 76 Abs. 1 LV. Zwar wirken die Wahlgrundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl bis zum Abschluss der Wahlperiode (1.). Auch stellt der Ausschluss aus dem Gemeinderat einen Eingriff in die Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl dar (2.). Jedoch ist dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt (3.).

41

1. Die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 50 i.V.m. Art. 76 Abs. 1 LV umschriebenen Wahlgrundsätze gelten als allgemeine Rechtsprinzipien für Wahlen zu allen Volksvertretungen im staatlichen und kommunalen Bereich (BVerfGE 47, 253 [276f]). Sie umschreiben die Grundsätze, welche nicht nur für das aktive, sondern auch für das passive Wahlrecht gelten (vgl. BVerfGE 36, 139 [141]; 58, 202 [205]). Ihre Wirksamkeit endet nicht schon mit dem Abschluss der Wahl und Feststellung des Wahlergebnisses, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Zeit bis zum Abschluss der Wahlperiode. Sie gewährleisten das Recht, die Wahl anzunehmen und das errungene Mandat auszuüben (vgl. BVerfGE 93. 373 [377]). Deshalb kann ein Eingriff in die Wahlgrundsätze grundsätzlich auch dann vorliegen, wenn in die Zusammensetzung eines gewählten Organs nach Abschluss des eigentlichen Wahlvorganges eingegriffen wird.

42

2. Vom Vorstehenden ausgehend stellt der Ausschluss aus dem Gemeinderat gemäß § 31 Abs. 1 GemO einen Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit (a), der Gleichheit (b) und der Unmittelbarkeit (c) der Wahl dar. Einen Eingriff in die Grundsätze der geheimen und freien Wahl bewirkt § 31 Abs. 1 GemO hingegen nicht (d).

43

a) Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl untersagt den unberechtigten Ausschluss von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl (BVerfGE 36, 139 [141]; 58, 202 [205]). Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen und fordert, dass grundsätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise soll ausüben können (BVerfGE 28, 220 (225); 36, 139 (141); 58, [202]). Dieser Grundsatz ist beeinträchtigt, wenn Personen, die zu einer bestimmten Strafe verurteilt wurden, von der Ausübung des aktiven und Wahrnehmung des passiven Wahlrechts ausgeschlossen sind. Deshalb liegt ein Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl vor, wenn einem Gewählten nach der Wahl sein Mandat aberkannt und ihm dadurch die Möglichkeit genommen wird, sein Wahlamt bis zum Ende der Wahlperiode auszuüben.

44

b) Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl, der sich als Gebot formaler Wahlgleichheit ergibt (vgl. BVerfGE 51, 222 [234f.]), sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Bürger (vgl. BVerfGE 41, 399 [413]; 51, 222 [234]; 85, 148 [157 f.]; 99, 1 [13]) und ist eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung (vgl. BVerfGE 6, 84 [91]; 11, 351 [360]). Er gebietet, dass alle Wahlberechtigten das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können und ist im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen (vgl. BVerfGE 51, 222 [234]; 78, 350 [357f.]; 82, 322 [337]; 85, 264 [315]). Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.

45

Wendet man diese Grundsätze auf das rheinland-pfälzische Kommunalwahlrecht an, ist zu berücksichtigen, dass der Gemeinderat nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt wird, wenn zwei oder mehr gültige Wahlvorschläge eingereicht wurden. Bei diesem Wahlsystem ist die Stimmabgabe gemäß § 32 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz - KWG - nicht auf eine bloße Kennzeichnung einer Liste beschränkt (sog. reine Listenwahl). Der Wähler kann stattdessen insgesamt so viele Stimmen vergeben, wie Ratsmitglieder zu wählen sind. Dabei ist es möglich, auf einzelne Bewerber bis zu drei Stimmen zu verteilen (Kumulieren) und hierbei Bewerber aus verschiedenen Wahlvorschlägen zu berücksichtigen (Panaschieren).

46

Diese Ausgestaltung der Verhältniswahl im rheinland-pfälzischen Kommunalwahlrecht, nach der auch der Stadtrat der Beklagten im Jahre 2009 gewählt wurde, enthält somit Elemente der direkten Persönlichkeitswahl. Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Wahlrechtsgleichheit bei einer solchen sog. personalisierten Verhältniswahl ist nicht nur der Erfolgswert der Stimme mit Blick auf die Zuteilung der Sitze nach dem Verhältnis der auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Stimmenzahlen (vgl. BVerfGE 1, 208 [246f.]; 16, 130 [139]; BVerfGE 95, 335 [353f]). Vielmehr kommt hinzu, dass die auf die einzelnen Bewerber entfallenden Stimmen für die Zugehörigkeit zur Gemeindevertretung den gleichen Zählwert haben müssen (vgl. BVerfGE 95, 335 [353]). Er ist gewährleistet, wenn die Zuteilung der auf einen Wahlvorschlag entfallenden Sitze gemäß § 41 Abs. 3 Satz 1 KWG in der Reihenfolge der auf die einzelnen Bewerber entfallenden Stimmenzahlen erfolgt. Der so zu verstehende Zählwert der Stimmen, welche auf die nach dem Recht der personalisierten Verhältniswahl in den Gemeinderat gewählten Ratsmitglieder entfallen sind, wird durch den Ausschluss aus dem Gemeinderat beseitigt.

47

Als weiterer Eingriff in den Zähl- und Erfolgswert der auf die Liste des ausgeschlossenen Ratsmitgliedes und auf ihn persönlich entfallenden Stimmen kann sich daraus ergeben, dass gemäß § 31 Abs. 3 Satz 3 GemO die Ersatzperson ihr Amt erst antritt, wenn der Ausschluss unanfechtbar geworden ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Gemeinderat - wie im vorliegenden Fall der Stadtrat der Beklagten - die sofortige Vollziehung des Ausschlusses anordnet. Denn dies führt dazu, dass der Sitz des ausgeschlossenen Ratsmitgliedes zeitweise unbesetzt bleibt.

48

c) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verlangt, dass die Mitglieder einer Volksvertretung direkt - ohne Einschaltung von Wahlpersonen - gewählt werden. Er schließt jedes Wahlverfahren aus, bei dem zwischen Wähler und Wahlbewerber nach der Wahlhandlung eine Instanz eingeschaltet ist, die den Abgeordneten nach ihrem Ermessen auswählt. Für die Vergabe eines Abgeordnetensitzes muss der Wähler das letzte und damit entscheidende Wort haben. Ihm darf daher nicht die Möglichkeit genommen werden, die Mitglieder der Volksvertretung durch die Stimmabgabe selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 3, 45 [49f.]; 7, 63 [68f.]; 21, 355f.; 47, 253 [279ff.]; 95, 335 [350]). Um den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl zu gewährleisten, ist es also zumindest erforderlich, dass von Beginn der Stimmabgabe an das Wahlergebnis nur noch von einer einzigen Willensentscheidung, nämlich derjenigen der Wähler selbst abhängt, abgesehen allein von Nichtannahme, späterem Rücktritt oder ähnlichen Handlungen der Gewählten selbst (vgl. BVerfGE 3, 45 [50]). Damit wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl auch durch Willensentscheidungen Dritter berührt, welche sich nach der Wahl, d.h. im Laufe der Wahlperiode auf die Zusammensetzung des Rates auswirken (vgl. HessStGH, NJW 1977, 2065 zur Unzulässigkeit eines ruhenden Mandates). Um eine solche Entscheidung handelt es sich auch bei dem Ausschluss eines Mitgliedes durch den Gemeinderat i. S. d. § 31 Abs. 1 GemO. Denn hierdurch bestimmt der Rat und nicht der Wähler die Zusammensetzung der Gemeindevertretung. Demnach stellt der Ausschluss eines Ratsmitgliedes aus dem Gemeinderat auch einen Eingriff in den Wahlgrundsatz der Unmittelbarkeit dar (a. A. Barrot, LKRZ 2012, 320 [321]).

49

d) Der Grundsatz der geheimen Wahl wird durch den Ausschluss eines Mitgliedes aus dem Gemeinderat gemäß § 31 Abs. 1 GemO nicht berührt. Dies gilt auch für den Grundsatz der Freiheit der Wahl. Er sichert eine Ausübung des Wahlrechts ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen (vgl. BVerfGE 7, 63 [69]; 47, 253 [282]). In diesem Sinne betrifft der Ausschluss aus dem Gemeinderat die Wahlfreiheit nicht.

50

3. Der von § 31 Abs.1 GemO ermöglichte Eingriff in die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dies ist der Fall, wenn sachliche Gründe vorliegen, welche von der Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Wahlgrundsätze sind (a). Hiervon ausgehend dient § 31 Abs. 1 GemO dem Schutz des Ansehens der Gemeindevertretung, sofern dadurch die verfassungsrechtlich gewährleistete Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung betroffen ist (b). Dieser Zweck ist bei verfassungskonformer Auslegung des § 31 Abs. 1 GemO von gleichem Gewicht wie die verfassungsrechtlich garantierten Wahlgrundsätze (c). Auch aus sonstigen Gründen bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit des Eingriffs in die Wahlgrundsätze (d).

51

a) Die Wahlgrundsätze der Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 76 Abs. 1 LV sind grundsätzlich vorbehaltlos gewährleistet. Deshalb kann eine Einschränkung nur durch die Verfassung selbst oder zu Gunsten anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen auch durch einfaches Gesetz erfolgen.

52

Eine ausdrückliche Einschränkung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl enthalten Art. 38 Abs. 2 GG und Art. 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 76 Abs. 2 LV hinsichtlich des Mindestalters für die Ausübung des aktiven und die Wahrnehmung des passiven Wahlrechts. Soweit Art. 50 Abs. 1 Satz 1 i. V.m. Art. 76 Abs. 2 LV die „Teilnahmeberechtigung“ an Wahlen von Personen ausschließt, welche vom Stimmrecht ausgeschlossen sind, nimmt die Landesverfassung zwar Bezug auf einfachrechtliche Bestimmungen, ohne jedoch insoweit verfassungsrechtliche Maßstäbe ausdrücklich vorzugeben. Darüber hinaus ermächtigt Art. 76 Abs. 3 LV den Gesetzgeber, die „Teilnahmeberechtigung“ von einer bestimmten Dauer des Aufenthaltes im Lande und, wenn der Staatsbürger mehrere Wohnungen innehat, auch davon abhängig zu machen, dass seine Hauptwohnung im Lande liegt. Weitere ausdrückliche Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl enthalten weder das Grundgesetz noch die Landesverfassung.

53

Aus dem Fehlen sonstiger die Allgemeinheit der Wahl einschränkender Verfassungsbestimmungen folgt aber nicht, dass es sich hierbei um abschließende Regelungen handelt und deshalb einfachrechtliche Wahlrechtsbestimmungen ausgeschlossen sind. Vielmehr sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Durchbrechungen des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl nicht nur durch ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelungen, sondern auch durch einfache Gesetze zulässig. Denn die Allgemeinheit der Wahl unterliegt keinem absoluten Differenzierungsverbot. Allerdings ergibt sich aus dem formalen Charakter des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der aktiven und passiven Wahlberechtigung nur ein eng bemessener Spielraum für Beschränkungen verbleibt. Bei der Prüfung, ob ein Eingriff gerechtfertigt ist, ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. zur Gleichheit der Wahl BVerfGE 120, 82 [106]; BVerfGE 129, 300 [320f]). Differenzierungen hinsichtlich der aktiven oder passiven Wahlberechtigung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines durch die Verfassung legitimierten besonderen sachlichen Grund (vgl. BVerfGE 28, 220 [225]; 36, 139 [141]; 42, 312 [340f.]), welcher von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl ist (vgl. BVerfGE 42, 312 [340f.]; BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1997 - 2 BvR 1088/97 -, NVwZ 1997, S. 1207; ebenso zur Gleichheit der Wahl BVerfGE 95, 408 [418]; 120, 82 [107]; BVerfGE 129, 300 [320]; BVerfGE 130, 212 [227f]).

54

Auch mit Blick auf Einschränkungen des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass dem Gesetzgeber für Differenzierungen des Erfolgswerts der Wählerstimmen nur ein eng bemessener Spielraum verbleibt (vgl. BVerfGE, 82, 322 [338]). Differenzierungen sind nur unter Voraussetzungen gerechtfertigt, die das Bundesverfassungsgericht seit seiner Entscheidung im Jahre 1952 (BVerfGE 1, 208 [248f.]) in der Formel eines "zwingenden Grundes" zusammenfasst. Danach verlangt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht, dass sich die Differenzierungen von Verfassungs wegen als zwangsläufig oder notwendig darstellen, wie dies etwa in Fällen der Kollision der Wahlrechtsgleichheit mit den übrigen Wahlgrundsätzen oder anderen Grundrechten der Fall sein kann (vgl. BVerfGE 14, 121 [133, 136f.]; 59, 119 [125]). Es werden auch Gründe zugelassen, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann (vgl. BVerfGE 71, 81 [96]). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Verfassung diese Zwecke zu verwirklichen gebietet (vgl. BVerfGE 4, 31 [41]; 51, 222 [237f., 249]). In diesem Zusammenhang rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht Differenzierungen auch durch "zureichende", "aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung sich ergebende Gründe" (vgl. BVerfGE 1, 208 [248]; 6, 84 [92]). Hierzu zählt insbesondere die Verwirklichung der mit der Parlamentswahl verfolgten Ziele (vgl. BVerfGE 13, 243 [247]; 51, 222 [236]), nämlich die Sicherung des Charakters der Wahl als einen Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 6, 84 [92f.]; 71, 81 [97]) und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (vgl. BVerfGE 4, 31 [40]; 51, 222 [236]; 82, 322 [338]).

55

Differenzierende Regelungen müssen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein (vgl. BVerfGE 6, 84 [94]; 51, 222 [238]; 71, 81 [96]). Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich daher auch danach, mit welcher Intensität in das - gleiche - Wahlrecht eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 71, 81 [96]). Ebenso können gefestigte Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis Beachtung finden (vgl. BVerfGE 1, 208 [249]; 82, 322 [338]; 93, 373 [376f.]). Der Gesetzgeber muss sich bei seiner Einschätzung und Bewertung nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen, sondern an der politischen Wirklichkeit orientieren (vgl. BVerfGE 1, 208 [259]; 7, 63 [75]; 82, 322 [344]).

56

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl ist ebenfalls nur zugunsten anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter Einschränkungen zugänglich (vgl. Trute in v. Münch/Kunig, GGK I, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 34). Auch insoweit sind die gleichen Maßstäbe anzuwenden, die für Eingriffe in die Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl gelten.

57

Fasst man die dargestellten Maßstäbe für die verfassungsmäßige Zulässigkeit von Einschränkungen der Wahlgrundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl zusammen, muss der Eingriff durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, welche von der Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Wahlgrundsätze sind. Diese Anforderungen gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere für die Regelungen des Wahlverfahrens. Sie sind aber auch auf den Ausschluss aus dem Gemeinderat nach § 31 Abs. 1 GemO zu übertragen, durch den nach verfassungsgemäß durchgeführter Wahl das ordnungsgemäß festgestellte Wahlergebnis nachträglich durch einen Eingriff in die Zusammensetzung des Gemeinderates korrigiert werden kann.

58

b) Von den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben ausgehend handelt es sich bei dem Zweck des § 31 Abs. 1 GemO, nämlich durch den Ausschluss von „Ratsmitgliedern, die sich durch ihr Verhalten als unwürdig erwiesen haben, die Achtung vor der Gemeindevertretung und ihr Ansehen zu stärken“, um einen von der Verfassung legitimierten Grund. Zwar ist dieses Ziel weder durch das Grundgesetz noch durch die Landesverfassung ausdrücklich erwähnt. Insbesondere durch die Verfassungsbestimmungen, wonach Wahlen zu Volksvertretungen allgemein, gleich, unmittelbar, geheim und frei sein müssen, werden keine ausdrücklichen Anforderungen an die persönlichen Eigenschaften der gewählten Ratsmitglieder gestellt, welche sich auf das Ansehen des Gemeinderates auswirken können. Jedoch umfassen die verfassungsrechtlichen Regelungen über das kommunale Wahlrecht ihrem Sinn und Zweck nach auch die Stärkung der Achtung vor der Gemeindevertretung und ihres Ansehens. Diese Gesichtspunkte sind nicht isoliert geschützt und auch kein Selbstzweck, sondern von dem verfassungsrechtlich legitimierten Ziel umfasst, durch die Wahlen der Gemeindevertretung die Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung zu sichern (vgl. BVerfGE 6, 104 [118]; 11, 266 [277], 13,243 [247]). Darüber hinaus sind die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum Parlamentsrecht auch auf die kommunalen Vertretungsorgane zu übertragen. Danach dienen die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG der Schaffung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Parlamente. Diese hängt auch von der Akzeptanz der parlamentarischen Entscheidungen und damit von der Repräsentationsfähigkeit sowie Integrität und Vertrauenswürdigkeit der Parlamente ab. Deshalb sind Integrität und politische Vertrauenswürdigkeit der Volksvertretungen als verfassungsrechtliche Rechtsgüter anerkannt, welche geeignet sind, Eingriffe in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Wahlgrundsätze zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 77, 1 [44]; 80, 188 [219, 222]; 84, 304 [321]; 94, 351 [367]: 99, 19 [32]).

59

c) Die im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Gemeinderates als verfassungsimmanente Gründe für den Eingriff in die Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl geschützte Achtung sowie das Ansehen der Gemeindevertretung sind bei verfassungskonformer Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO mindestens von gleichem Gewicht wie die genannten Wahlgrundsätze. Bei den Wahlgrundsätzen handelt es sich um verfassungsrechtliche Vorgaben von hohem Gewicht. Denn das aktive und passive Wahlrecht sind die wichtigsten von der Verfassung gewährleisteten Rechte der Bürger auf demokratische Teilhabe und damit elementare Bestandteile des Demokratieprinzips (vgl. BVerfGE 123, 267 [340f]). Wegen dieser hohen Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Wahlgrundsätze kann nicht jede Straftat eines einzelnen Ratsmitgliedes, welche zu einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten und zu einem Ansehensverlust des Gemeinderates führt, den Ausschluss des betroffenen Mitgliedes rechtfertigen. Eine solche Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO wäre verfassungswidrig. Jedoch ist die Vorschrift einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung zulässig, die immer dann geboten ist, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt (vgl. BVerfGE 2, 266 [282]; 68, 337 [344]; 88, 203 [331], 112, 164 [182f]). Denn § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO verlangt für den Ausschluss aus dem Gemeinderat zusätzlich zu der bloßen Verurteilung, dass das Ratsmitglied durch die von ihm begangene Straftat „die Unbescholtenheit als Ratsmitglied verwirkt hat“. Außerdem räumt die Vorschrift dem Rat für seine Entscheidung über den Ausschluss Ermessen ein, wodurch er die Umstände des Einzelfalls und damit insbesondere auch das Ausmaß des Ansehensverlustes des Rates berücksichtigen kann und muss.

60

Nach der somit gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO muss die Straftat, welche dem Ausschluss aus dem Gemeinderat zugrunde liegt, von beträchtlichem Gewicht sein und sich zudem in besonderem Maß negativ auf das Ansehen des Gemeinderates auswirken. Erst dann ist die Akzeptanz seiner Entscheidungen, seine Repräsentationsfähigkeit und demnach seine Funktionsfähigkeit in einem solchen Maße beeinträchtigt, dass der mit dem Ausschluss aus dem Gemeinderat verbundene Eingriff in die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

61

Solche schwerwiegenden Straftaten können - bereits unterhalb der Schwelle des § 45 StGB - zunächst im Rahmen der Ratstätigkeit begangen werden. Zu denken ist dabei zum Beispiel an den „Stimmenkauf“ im Sinne des § 108 e StGB. Des Weiteren können die Voraussetzungen für den Ausschluss aus dem Rat wegen der Verwirkung der Unbescholtenheit auch bei erheblichen Straftaten vorliegen, welche außerhalb der eigentlichen Ratstätigkeit begangen wurden. Dies kann eine Gewalttat von beträchtlichem Gewicht sein, die - wie im Fall des Klägers - im Rahmen der politischen Auseinandersetzung im Vorfeld einer Kommunalwahl begangen wurde und deshalb in einem hinreichend engen sachlichen Zusammenhang zur Ratszugehörigkeit steht. Denn durch den Griff zur Gewalt im politischen Meinungsstreit missachtet ein Bewerber um ein Ratsmandat die grundlegenden Anforderungen an die politische Auseinandersetzung im demokratischen Rechtsstaat auf eklatante Weise. Schließlich ist es möglich, dass eine Straftat von erheblichem Gewicht, die in keinerlei Zusammenhang mit der Ratstätigkeit steht, aber die charakterliche Eignung des Ratsmitgliedes für die Repräsentanz der Wähler ausschließt, die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO erfüllt.

62

Straftaten im beschriebenen Sinn schädigen - auch wenn sie zunächst nur das Ansehen des straffällig gewordenen Ratsmitgliedes beinträchtigen - auch das Ansehen der Gemeindevertretung als Ganzes. Denn das Ansehen des Gemeinderates ist eng verknüpft mit dem seiner Mitglieder. Deshalb schlägt der durch die Straftat eingetretene erhebliche Ansehensverlust des Einzelnen bei seiner weiteren Zugehörigkeit zum Rat in beachtlichem Umfang auf das Ansehen des Rates als Organ durch. Dadurch ist die Akzeptanz der Entscheidungen des Rates, seine Fähigkeit die Bürger zu repräsentieren und folglich seine Funktionsfähigkeit in einem Maße beschränkt, dass der im Ausschluss aus dem Gemeinderat liegenden Eingriff in die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl gerechtfertigt ist (a. A. Barrot, LKRZ 2012, 320 [322]; kritisch bis ablehnend zum Ausschluss vom Wahlrecht infolge Richterspruchs: Trute in v. Münch/Kunig, GGK I, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 24; Morlok in Dreier GG Kommentar, 2. Aufl. 2006, Art. 38 Rn. 72; Meyer Handbuch des Staatsrechts III, 2005, § 46 Rn. 4;).

63

Die zur Rechtfertigung des § 31 Abs. 1 GemO herangezogene Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretung kann nicht mit Erfolg dadurch in Frage gestellt werden, dass der Bundesgesetzgeber erst unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 und 4 StGB einen den Verlust öffentlicher Ämter rechtfertigenden Ansehensverlust von Straftätern annimmt und in den Kommunalverfassungen der anderen Bundesländer vergleichbare Regelungen über den Ausschluss von Mitgliedern aus dem Gemeinderat fehlen. Denn bei Beachtung des dem rheinland-pfälzischen Gesetzgeber bei der Regelung des Kommunalverfassungsrechts zustehenden Gestaltungsspielraums ist allein die vom ihm vorgenommene Einschätzung der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit einer Gemeindevertretung maßgeblich, sofern sie - wie im Einzelnen dargelegt - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Des Weiteren bewegt sich der Landesgesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraums, indem er von der Möglichkeit des Ausschlusses von Abgeordneten aus dem Landtag wegen der Verwirkung der auch insoweit wünschenswerten Unbescholtenheit abgesehen hat. Dabei durfte er die Mitglieder des Gemeinderats, der gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 GemO ein Verwaltungsorgan ist, anderen Regelungen unterwerfen als die Angehörigen eines Parlaments im staatsrechtlichen Sinne, welches zugleich Verfassungsorgan ist.

64

d) Auch aus sonstigen Gründen bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit des Eingriffs in die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheiten und Unmittelbarkeit der Wahl.

65

Der Gesetzgeber konnte den Ausschluss aus dem Gemeinderat auf die Fälle beschränken, in denen die Rechtskraft der Verurteilung erst nach der Wahl eintritt. Damit lässt er es zwar zu, dass vor der Wahl rechtskräftig verurteilte Straftäter in den Gemeinderat gewählt werden und ihr Mandat auch ausüben können, obwohl beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO auch in diesem Fall eine Beeinträchtigung des Ansehens und damit der Funktionsfähigkeit des Gemeinderates eintritt. Jedoch durfte der Gesetzgeber diese Folge in Kauf nehmen, weil im Falle der vor der Wahl eingetretenen Rechtskraft der Verurteilung der Wähler diesen Umstand bei seiner Wahlentscheidung berücksichtigen konnte. Insofern hat der Wähler selbst durch die Wahl eines vorbestraften Ratsmitgliedes den Ansehensverlustes des Rates herbeigeführt. War demgegenüber die Verurteilung vor der Wahl noch nicht rechtskräftig geworden, war noch offen, ob der Wahlbewerber tatsächlich eine Straftat begangen hat. Stellt sich nach der Wahl durch Eintritt der Rechtskraft heraus, dass dies der Fall war, kann der Wähler seine Entscheidung nicht mehr ändern. Deshalb ist es vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt und somit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dem Gemeinderat die Möglichkeit einzuräumen, die vom Wähler vor Rechtskraft der Verurteilung getroffene Wahlentscheidung nach deren Eintritt unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO durch den Ausschluss des vorbestraften Ratsmitgliedes zu korrigieren.

66

§ 31 Abs. 1 GemO ist auch nicht in Verbindung mit § 31 Abs. 3 Satz 2 GemO verfassungsrechtlich zu beanstanden. Danach tritt die Ersatzperson ihr Amt erst an, wenn der Ausschluss unanfechtbar geworden ist. Der darin im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Ausschlusses liegende Eingriff insbesondere in die Gleichheit der Wahl ist sachlich gerechtfertigt, weil das ausgeschlossene Ratsmitglied gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorläufigen Rechtsschutz beantragen kann. In diesem Verfahren muss das Verwaltungsgericht prüfen, ob der Sofortvollzug des Ausschlusses unter Berücksichtigung der strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerechtfertigt ist. Sollte dies nicht der Fall sein, kann das ausgeschlossene Ratsmitglied sein Mandat bis zu einer Klärung der Rechtmäßigkeit der Ausschlussentscheidung in einem Hauptsacheverfahren weiter wahrnehmen. Hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hingegen keinen Erfolg, führt dies gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 GemO dazu, dass das Mandat des ausgeschlossenen Ratsmitglieds bis zu einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung nicht besetzt ist. Dies ist verfassungsrechtlich hinzunehmen, weil ein vorläufiges Mandat gegen den Wahlgrundsatz der Unmittelbarkeit verstoßen würde (vgl. HessStGH, NJW 1977, 2066) und der den Sofortvollzug allein rechtfertigende hohe Ansehensverlust des Rates und damit die Beeinträchtigung seiner Funktionsfähigkeit von mindestens dem gleichen Gewicht wie die Allgemeinheit, Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl wäre.

67

Auch im Übrigen ist § 31 Abs. 1 GemO verhältnismäßig. Der Ausschluss aus dem Gemeinderat ist geeignet, das durch das betreffende Mitglied geschädigte Ansehen des Rates und damit seine Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Ein milderes Mittel zur Erreichung des gleichen Zwecks ist nicht ersichtlich. Des Weiteren ist der Ausschluss im engeren Sinn verhältnismäßig. Denn bei der gebotenen verfassungskonformer Auslegung des § 31 Abs. 1 GemO muss der Ansehensverlust des Rates so erheblich sein, dass der Ausschluss aus dem Gemeinderat auch angemessen ist.

V.

68

Entgegen der Auffassung des Klägers greift der Ausschluss aus dem Gemeinderat nicht in den Schutzbereich des Art. 20 Abs. 2 GG ein. Danach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus (Satz 1). Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Satz 2). Diese Verfassungsbestimmung beinhaltet den tragenden Grundsatz des demokratischen Prinzips, wonach alle staatliche Gewalt auf die Legitimation durch den Volkswillen zurückführbar sein muss (vgl. Schnapp in v. Münch/Kunig, GGK I, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 23). Dies ist der Fall, wenn staatliche Entscheidungen eine - zumindest mittelbare - ununterbrochene demokratische Legitimationskette aufweisen (vgl. BVerfGE 83, 60 [72f]). Sie besteht bei der Entscheidung des Gemeinderates über den Ausschluss eines Ratsmitgliedes, weil der Rat durch die verfassungsmäßig erfolgte Kommunalwahl ausreichend legitimiert ist.

VI.

69

Auch die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Ausschlusses aus dem Gemeinderat ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass § 31 Abs. 1 GemO keine qualifizierte Mehrheit für den Ausschluss verlangt, sondern die einfache Mehrheit genügen lässt, ist von Verfassungs wegen hinnehmbar, weil der Ausschluss nicht voraussetzungslos erfolgen kann, sondern davon abhängt, dass das betroffene Ratsmitglied wegen einer Straftat, durch welche es seine Unbescholtenheit als Ratsmitglied verwirkt hat, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten rechtskräftig verurteilt wurde. Hinzu kommt, dass der Ausschluss gerichtlich überprüfbar ist. Angesichts dieser rechtlichen Bindung der Ausschlussentscheidung sowie ihrer gerichtlichen Überprüfbarkeit kann auch das Argument nicht verfangen, dem Ausschluss aus dem Gemeinderat liege keine richterliche Entscheidung zugrunde, sondern er werde vom politischen Gegnern beschlossen.

70

Des Weiteren ergeben sich aus den Regelungen über die Abwahl hauptamtlicher Bürgermeister und Beigeordneter in § 55 GemO keine Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs. 1 GemO. Die Abwahl hauptamtlicher Bürgermeister und Beigeordneter ist mit dem Ausschluss eines ehrenamtlichen Gemeinderatsmitgliedes, welches zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wurde und durch die Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt hat, nicht vergleichbar. So sieht das Gesetz für die Abwahl hauptamtlicher Bürgermeister und Beigeordneter keine besonderen Voraussetzungen vor. Außerdem betrifft die Abwahl die berufliche Existenz des hauptamtlichen Bürgermeisters und Beigeordneten. Deshalb ist es von der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umfasst, die beiden Fälle insbesondere auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht unterschiedlich zu regeln.

B.

71

Der Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat der Beklagten ist sowohl formell (I.) als auch materiell (II.) rechtmäßig.

I.

72

Der Stadtrat musste über den Ausschluss des Klägers nicht in öffentliche Sitzung entscheiden (1.). Der Beschluss über den Ausschluss steht mit § 22 GemO in Einklang (2.). Über den Ausschluss und die Anordnung seine sofortige Vollziehung konnte gleichzeitig abgestimmt werden (3.). Schließlich hat der Stadtrat die Frist des § 31 Abs. 1 Satz 2 GemO beachtet (4.).

73

1. Der Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat ist zu Recht in nicht öffentlicher Sitzung erfolgt. Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 5 der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Trier vom 1. März 2011 - GO - ist die Öffentlichkeit bei der Beratung und Entscheidung über den Ausschluss aus dem Rat (§ 31 GemO) ausgeschlossen. Diese Geschäftsordnungsbestimmung findet ihre Rechtsgrundlage in § 35 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. GemO. Danach kann die Geschäftsordnung allgemein bestimmen, dass auch andere, d. h. nicht in Satz 1 vorgesehene, Angelegenheiten aus besonderen Gründen in nicht öffentlicher Sitzung behandelt werden. Solche besonderen Gründe liegen bei der Beratung und Beschlussfassung über den Ausschluss aus dem Gemeinderat vor.

74

An die Gründe, welche den Ausschluss der Öffentlichkeit bei Gemeinderatssitzungen rechtfertigen, sind hohe Anforderungen zu stellen. Denn Ratssitzungen haben gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO grundsätzlich öffentlich stattzufinden. Dieser Grundsatz ermöglicht es dem Bürger, aber auch der die Öffentlichkeit repräsentierenden Presse, die Tätigkeit des Gemeinderates unmittelbar zu beobachten und sie einer öffentlichen sowie demokratischen Kontrolle und Teilhabe der Bürger zu unterwerfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 1995 - 4 B 33/95 -, NVwZ 1995, 897, OVG RP, AS 25, 168 [173]). Soweit das Gesetz Ausnahmegründe für einen Ausschluss der Öffentlichkeit zulässt, müssen diese von gleich hohem Gewicht sein wie der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn die Beratung der betreffenden Angelegenheit mit der Erörterung persönlicher und privater Verhältnisse verbunden ist und deshalb schutzwürdige Belange Einzelner betroffen sind. Neben dem Schutz privater Belange dient der Ausschluss der Öffentlichkeit auch der Sicherung einer objektiven und unbeeinflussbaren Amtsausübung der Ratsmitglieder in Fällen, in denen persönliche Umstände von maßgeblicher Bedeutung sind (vgl. OVG RP, AS 21, 23 [27]). Dabei kann der generelle Ausschluss der Öffentlichkeit in der Geschäftsordnung hinsichtlich solcher Angelegenheiten festgelegt werden, die im Allgemeinen und nicht nur im Einzelfall persönliche sowie private Verhältnisse betreffen. So liegen die Dinge bei der Entscheidung des Rates über einen Ausschluss aus dem Gemeinderat. Denn sie erfordert gemäß § 31 Abs. 1 GemO die Bewertung einer strafrechtlichen Verurteilung sowie der Auswirkungen der begangenen Straftat auf die Unbescholtenheit als Ratsmitgliedes. Hierbei handelt es sich in starkem Maße um persönliche Umstände des betroffenen Ratsmitgliedes. Dies gilt besonders für die Beurteilung der Verwirkung der Unbescholtenheit, weil insoweit die charakterliche Eignung des Ratsmitgliedes für die Wahrnehmung des Mandates von entscheidender Bedeutung ist.

75

Selbst wenn die Öffentlichkeit von der Beratung und Beschlussfassung über den Ausschluss aus dem Gemeinderat nicht bereits generell durch die Geschäftsordnung hätte ausgeschlossen werden dürfen, hätte die Angelegenheit im vorliegenden Fall auch gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GemO in nicht öffentlicher Sitzung behandelt werden müssen. Denn wegen der zu erörternden Fragen nach der Verwirkung der Unbescholtenheit des Klägers durch die von ihm begangene Straftat war die Beratung und Entscheidung über den Ausschluss aus dem Gemeinderat in nicht öffentlicher Sitzung der Natur des Beratungsgegenstandes nach erforderlich. Liegen die Voraussetzungen für den Ausschluss der Öffentlichkeit generell oder nur im Einzelfall vor, besteht nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Behandlung in nicht öffentlicher Sitzung. Deshalb ist es unerheblich, dass der Kläger mit der Behandlung in öffentlicher Sitzung einverstanden gewesen wäre (vgl. OVG RP; AS 21, 23 [27]); Höhlein in Gabler, Höhlein u.a. GemO RP, Erl. 3.2 zu § 35).

76

2. Des Weiteren war der Kläger zu Recht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO von der Beratung und Beschlussfassung über seinen Ausschluss aus dem Stadtrat ausgeschlossen. Die Vorschrift ist auf den Ausschluss aus dem Gemeinderat im Sinne des § 31 Abs. 1 GemO anwendbar, weil es sich bei dieser Entscheidung nicht um eine Wahl im Sinne des § 31 Abs. 3 GemO handelt. Wahlen sind alle Beschlüsse des Gemeinderates, welche die Auswahl oder Bestimmung einer oder mehrerer Personen zum Gegenstand haben (vgl. OVG RP, AS 8, 307 [308]; VV Nr. 2 zu § 40) und - wie § 40 Abs. 2 GemO, wonach bei Wahlen nur Personen gewählt werden können, die dem Gemeinderat vorgeschlagen wurden, zeigt - zur Besetzung einer freien Position führen. Kennzeichnend für eine Wahl ist darüber hinaus, dass die Entscheidung über die Stimmabgabe grundsätzlich von keinen rechtlichen Voraussetzungen abhängt. Beide Umstände liegen beim Ausschluss aus dem Gemeinderat nicht vor. Er dient nicht der Besetzung einer freien Position, sondern der Aberkennung eines Mandats, die nur dann zulässig ist, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO erfüllt sind.

77

Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 GemO dürfen Bürger und Einwohner, die ein Ehrenamt oder eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung ihnen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Der Kläger gehörte als Gemeinderatsmitglied und damit - wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 18 Abs. 1 2. HS. GemO ergibt - als Inhaber eines Ehrenamtes zu dem von § 22 Abs. 1 GemO betroffenen Personenkreis. Er war auch von der Entscheidung des Stadtrates über seinen Ausschluss persönlich betroffen und es bestand die Möglichkeit, dass er durch den Ausschluss aus dem Stadtrat und dem damit verbundenen Verlust des Status als Ratsmitglied einen unmittelbaren Nachteil erleidet.

78

Über das Vorliegen von Ausschließungsgründen durfte der Stadtrat gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 GO offen abstimmen, da insoweit eine geheime Abstimmung in § 23 Abs. 5 Satz 2 GO nicht vorgesehen ist und der Rat eine solche Abstimmung auch nicht nach § 23 Abs. 5 Satz 3 GO beschlossen hatte.

79

Die Entscheidung der Beklagten über den Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat ist nicht deshalb gemäß § 22 Abs. 6 Satz 1 GemO unwirksam, weil der Stadtrat den Kläger zuvor mündlich angehört hat. Zwar dürfen diejenigen Ratsmitglieder, bei denen Ausschließungsgründe im Sinne des § 22 Abs. 1 GemO vorliegen, nicht nur an der entsprechenden Entscheidung, sondern auch an der vorangegangenen Beratung nicht mitwirken. Unter Beratung in diesem Sinne ist aber nur der aktive Austausch von Meinungen und Argumenten zum Entscheidungsgegenstand zu verstehen (vgl. Schaaf in Gabler, Höhlein u.a. GemO RP, Erl. 5.4 zu § 22). Hiervon zu unterscheiden ist die bloße Anhörung eines Ratsmitgliedes nach § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz im Vorfeld der Beratung über einen gegen ihn als Adressaten möglicherweise ergehenden belastenden Verwaltungsakt. Eine solche Anhörung fällt nach Sinn und Zweck nicht unter das Mitwirkungsverbot des § 22 Abs. 1 GemO, auch wenn sie formal nach dem Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes erfolgt ist. Die Bezeichnung des Fortgangs der Sitzung als „weitere Beratung“ in der Niederschrift über die Sitzung des Stadtrates vom 22. September 2011 ist rechtlich ohne Bedeutung.

80

3. Es ist weiterhin nicht zu beanstanden, dass über den Ausschluss des Klägers aus dem Gemeinderat und über die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses gleichzeitig abgestimmt wurde. Weder die Gemeindeordnung noch die Geschäftsordnung des Stadtrates der Beklagten oder sonstige Rechtsvorschrift stehen dieser Verfahrensweise entgegen.

81

4. Schließlich hat die Beklagte auch die Frist des § 31 Abs. 1 Satz. 2 GemO eingehalten. Danach kann der Gemeinderat den Beschluss über den Ausschluss eines Ratsmitgliedes nur innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verurteilung - gemeint ist deren Rechtskraft - Kenntnis erhalten hat, fassen. Die Beklagte hatte von der am 4. August 2011 eingetretenen Rechtskraft des gegen den Kläger ergangenen landgerichtlichen Urteils am 25. August 2011 erfahren. Dementsprechend ist der Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat am 22. September 2011 rechtzeitig beschlossen worden.

II.

82

Schließlich sind auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO für den Ausschluss des Klägers aus dem Stadtrat erfüllt. Der Kläger ist rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei, nämlich von sieben Monaten, verurteilt worden. Die Rechtskraft des entsprechenden Strafurteils ist nach seiner Wahl in den Stadtrat eingetreten. Da das Abstellen auf die Rechtskraft des Strafurteils – wie dargelegt – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht darauf an, dass bereits vor der Kommunalwahl in den Medien ausführlich über die der Verurteilung zugrunde liegenden Vorwürfe gegen den Kläger berichtet wurde.

83

Außerdem hat der Kläger durch die von ihm am 18. Mai 2009 begangene Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt. Bei der Prüfung, ob dieses Tatbestandsmerkmales vorliegt, ist der Senat verpflichtet, das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Trier vom 22. Dezember 2010 zugrunde zu legen. Denn § 31 Abs. 1 Satz 1 GemO knüpft für die dort vorgesehene Rechtsfolge an diese Entscheidung an. Damit ordnet das Gesetz mit Blick auf die Beurteilung der Unbescholtenheit des Klägers als Ratsmitglied sowohl für die Existenz des rechtskräftigen Urteils als auch für die vom Landgericht festgestellten Tatsachen eine Feststellungswirkung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, Rn. 6 zu § 121) an. Gründe, welche dieser Feststellungswirkung entgegenstehen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 17 zu § 121), liegen nicht vor. Insbesondere das Vorbringen des Klägers zu der vom Landgericht vorgenommenen Beweiswürdigung zeigt keine Fehler auf, welche die Unwirksamkeit des landgerichtlichen Urteils, z. B. wegen krasser Widersprüchlichkeit oder Unverständlichkeit, zur Folge haben könnten. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof die Revision des Klägers gemäß § 349 Abs. 2 Strafprozessordnung als offensichtlich unbegründet verworfen (vgl. Beschluss vom 3. August 2011 - 2 StR 207/11 -). Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die vom Kläger eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 9. Februar 2012 - 2 BvR 2471/11 -).

84

Vom Vorstehenden ausgehend hat sich der Kläger durch die am 18. Mai 2009 mittäterschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung, bei der er nach den Feststellungen des Landgerichts der „Hauptinitiator des gesamten Geschehens“ war, einer im Sinne des § 31 Abs. 1 GemO schwerwiegenden Straftat schuldig gemacht. Durch diese Straftat hat er die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt. Von einem Ratsmitglied als Repräsentant der Wähler ist noch mehr als von jedem anderen Bürger zu erwarten, dass er das Gewaltmonopol des Staates sowie die Zuständigkeiten der Strafverfolgungsbehörden achtet und deshalb gerade auch die politische Auseinandersetzung ohne Gewaltanwendung führt. Dieser Verpflichtung hat der Kläger zuwider gehandelt, indem er als Mittäter zusammen mit anderen Personen einen politischen Gegner nicht unerheblich körperlich verletzt hat. Damit hat er grundlegende Anforderungen an die politische Auseinandersetzung im demokratischen Rechtsstaat auf eklatante Weise missachtet. Die Straftat steht auch im erforderlichen Zusammenhang mit der Ratstätigkeit des Klägers, obwohl er im Zeitpunkt der Straftat noch nicht Ratsmitglied war.

85

Hat der Kläger demnach wegen der Schwere der Straftat und ihres engen Zusammenhangs mit der politischen Auseinandersetzung im Vorfeld der Kommunalwahl am 7. Juni 2009 die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt, so ist zugleich das Ansehen des Stadtrates in besonders starkem Maße beschädigt. Denn die Zugehörigkeit eines Mitgliedes zum Stadtrat, das wegen einer im Rahmen der politischen Auseinandersetzung begangenen schweren Körperverletzung zu sieben Monaten Haft verurteilten wurde, führt, auch wenn die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, bei der überwiegenden Mehrheit der Wähler zu einem erheblichen Verlust des Vertrauens in die Integrität des gesamten Stadtrats. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretung als Entscheidungs- und Repräsentationsorgan der Bürgerschaft wiegt so schwer, dass sie den Ausschluss des Klägers aus dem Rat rechtfertigt. Hiervon ausgehend war die vom Kläger angegriffene Entscheidung auch ermessensgerecht.

86

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

87

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

88

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.

89

Beschluss

90

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 20.000,00 € festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz).

Tatbestand

1

Der Kläger wurde bei der Kommunalwahl am 7. Juni 2009 in den Rat der beklagten Stadt gewählt. Mit Beschluss vom 22. September 2011 schloss der Rat ihn aus. Der Kläger hat den Ausschließungsbescheid angefochten; nach Ablauf der Wahlperiode begehrt er noch die gerichtliche Feststellung, dass dieser Ausschluss rechtswidrig war.

2

Mit Urteil vom 22. Dezember 2010 verurteilte das Landgericht Trier den Kläger wegen in Mittäterschaft begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger auf die Nachricht hin, eine Gruppe politischer Gegner habe Wahlplakate seiner Partei abgerissen, mehrere Gleichgesinnte organisiert und sich auf die Suche nach den "Plakatabreißern" begeben habe. Ihm und einem Teil seiner Begleiter sei es gelungen, einen bei der Verfolgung gestrauchelten "Plakatabreißer" zu stellen. Dieser habe von den Begleitern des Klägers etwa fünf Faustschläge gegen den Kopf und fünf Tritte gegen den Rumpf erhalten. Der Kläger habe das Geschehen selbst zwar lediglich beobachtet, sei aber dessen Hauptinitiator gewesen; zudem habe die Gruppe einen gemeinsamen Tatplan verfolgt. Die Revision des Klägers gegen dieses Urteil verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 3. August 2011, seine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

3

§ 31 Abs. 1 der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung (GemO) sieht vor, dass ein Ratsmitglied durch Beschluss des Gemeinderates aus diesem ausgeschlossen werden kann, wenn es nach seiner Wahl durch Urteil eines deutschen Strafgerichts rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wird und durch die Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt hat. Gestützt hierauf schloss der Rat der Beklagten den Kläger - ohne dessen Mitwirkung - mit einstimmigem Beschluss vom 22. September 2011 aus dem Stadtrat aus. Die genannte Vorschrift schütze die Lauterkeit und Sauberkeit der Verwaltung. Die Tätigkeit als Ratsmitglied und damit als Vertreter der Bevölkerung setze ein Vertrauensverhältnis zwischen den Vertretenen und den Vertretern voraus. Dieses sei hier in ganz besonderem Maße gestört, nachdem der Kläger sich über das Recht und das staatliche Gewaltmonopol hinweggesetzt, sich selbst zum Richter einer Sachbeschädigung aufgeworfen und dabei in menschenverachtender Weise körperliche Gewalt gegen einen Wehrlosen eingesetzt habe. Damit habe sich der Kläger der ihm durch die Wahl entgegengebrachten öffentlichen Achtung als unwürdig erwiesen. Der Wähler könne dem Kläger erst bei der nächsten Kommunalwahl das Vertrauen verweigern. Während der Wahlperiode obliege es dem Stadtrat sicherzustellen, dass die politische Willensbildung im Rat nur durch integre Mitglieder erfolge.

4

Seine hiergegen erhobene Klage hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass § 31 GemO verfassungswidrig sei. Durch das Grundgesetz und die Landesverfassung von Rheinland-Pfalz würden auch für Kommunalwahlen die Wahlrechtsgrundsätze garantiert. Besonders die Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl würden aber durch den Ausschluss aus dem Stadtrat verletzt, weil sich die Mehrheit des Rates eines politischen Gegners unter Berufung auf ein so unklares Merkmal wie die Unbescholtenheit entledigen könne.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, § 31 Abs. 1 GemO lasse sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Die Vorschrift habe keinen strafrechtlichen Charakter, weshalb die Gesetzgebungsbefugnis des Landes nicht durch das Strafgesetzbuch des Bundes verdrängt sei. Sie sei auch hinlänglich bestimmt gefasst. Schließlich verletze sie keinen der verfassungsrechtlich verbürgten Wahlrechtsgrundsätze. Zwar stelle der Ausschluss aus dem Gemeinderat einen Eingriff in die Allgemeinheit, die Gleichheit und die Unmittelbarkeit der Wahl dar; diese Grundsätze beschränkten sich nicht auf die Erlangung des Mandats, sondern umfassten auch das Recht des Gewählten, das Mandat während der gesamten Wahlperiode auszuüben. Der Eingriff sei aber gerechtfertigt, weil § 31 Abs. 1 GemO bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dem Schutz von Rechtsgütern diene, die ihrerseits von der Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Wahlrechtsgrundsätze seien. Die Vorschrift diene dem Schutz des Ansehens der Gemeindevertretung. Dieses Schutzgut genieße zwar nicht generell und als solches, wohl aber dann wenigstens gleichen verfassungsrechtlichen Rang, wenn es dazu diene, die Funktionsfähigkeit des gewählten Organs zu sichern. Das sei hier der Fall, weil dem Stadtrat die Funktion zukomme, das Gemeindevolk zu repräsentieren, und weil seine Repräsentationsfähigkeit die Akzeptanz seiner Entscheidungen im Gemeindevolk und diese wiederum dessen Vertrauen in die Integrität des Rates voraussetze. Die gebotene Verhältnismäßigkeit sei dadurch herzustellen, dass der Ausschluss nur in Anknüpfung an eine schwerwiegende Straftat verhängt werden dürfe, sei es dass diese im Rahmen der Ratstätigkeit begangen worden sei oder doch in einem hinreichend engen sachlichen Zusammenhang mit ihr stehe - wie hier im Vorfeld einer Ratswahl -, sei es dass sie die charakterliche Eignung als Ratsmitglied ausschließe. Außerdem müsse die Straftat sich in besonderem Maß negativ auf das Ansehen des Gemeinderates auswirken. Die umschriebenen Voraussetzungen lägen hier vor; der Ausschluss sei auch in einem fehlerfreien Verfahren beschlossen worden.

6

Mit seiner Revision wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen. Gegen das Berufungsurteil wendet er ein, der Ausschluss sei zur Erreichung des behaupteten Zieles, das Ansehen des Rates zu schützen, von vornherein ungeeignet, weil er dessen Ansehen eher beschädige. Einen Ausschluss auf Zeit als milderes Mittel habe der Gesetzgeber nicht erwogen. Das Verhältnis des § 31 GemO zu § 45 StGB sei unklar. Schon die strafrechtliche Vorschrift verletze den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Das gelte erst recht für die kommunalrechtliche Bestimmung, zumal die Wählbarkeit nur durch Richterspruch aberkannt werden dürfe.

7

Bei der turnusmäßigen Kommunalwahl vom 25. Mai 2014 ist der Kläger nicht mehr in den Stadtrat der Beklagten gewählt worden. Er beantragt seitdem,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 8. Mai 2012 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. März 2013 zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2011 rechtswidrig war.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses hält den nach dem Ende der Wahlperiode gestellten Feststellungsantrag für unzulässig, äußert freilich verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 31 Abs. 1 GemO.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Abänderung der klagabweisenden Urteile des Verwaltungs- wie des Oberverwaltungsgerichts zu der Feststellung, dass der Ausschluss des Klägers aus dem Rat der Beklagten rechtswidrig war.

12

1. Mit dem Ablauf der Wahlperiode, für die der Kläger in den Rat der Beklagten gewählt war, hat sich dessen ursprüngliches Begehren, den Ratsbeschluss über den Ausschluss aufzuheben, erledigt. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der Fortsetzungsfeststellungsklage weiter. Das ist zulässig. Namentlich verfügt er über das hierfür nötige Interesse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

13

Allerdings behauptet der Kläger zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr; auf dieselbe Verurteilung dürfte ein erneuter Ausschluss nach einer der Verurteilung erst nachfolgenden Kommunalwahl nicht gestützt werden. Auch ein Präjudizinteresse besteht nicht, denn mögliche Schadensersatzansprüche des Klägers sind nicht ersichtlich; sein Hinweis auf entgangene Sitzungsgelder ist schon deshalb verfehlt, weil diese Zahlungen nur einen sitzungsbedingten Nachteil ausgleichen sollen, zu dem es mangels Sitzungsteilnahme nicht gekommen ist. Ein objektives Rechtsklärungsinteresse ist ebenfalls nicht zu erkennen. Es setzt einen sich typischerweise kurzfristig - vor der Möglichkeit gerichtlicher Klärung - erledigenden Hoheitsakt voraus (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 29 ff., 32 m.w.N.). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil immerhin zwei Instanzen noch vor Erledigung des Ausschließungsaktes über dessen Rechtmäßigkeit haben befinden können.

14

Entgegen der Ansicht des Vertreters des Bundesinteresses hat der Kläger aber ein anzuerkennendes Rehabilitierungsinteresse in Bezug auf den hier umstrittenen Stadtratsbeschluss der Beklagten. Die vom Kläger in den Vorinstanzen erhobenen Einwände gegen die tatsächliche Richtigkeit des Strafurteils können allerdings kein solches Interesse begründen, weil das Strafurteil rechtskräftig und nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Jedoch hat der Stadtrat der Beklagten mit dem umstrittenen Ausschließungsbeschluss aufgrund eines eigenständigen Unwerturteils eine zusätzliche Rechtsfolge gesetzt, die eine über das Strafurteil hinausgehende Herabwürdigung des Klägers darstellt. Die angestrebte Feststellung, dass dieser Beschluss rechtswidrig war, kann zu der erwünschten Rehabilitierung führen, selbst wenn der Kläger den Beschluss nicht wegen des in ihm gelegenen Unwerturteils, sondern wegen der verhängten Rechtsfolge angreift. Ein Klageerfolg ist jedenfalls geeignet, den Ansehensverlust des Klägers in den Augen der Öffentlichkeit zumindest teilweise wieder auszugleichen.

15

2. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

16

a) Ohne Erfolg rügt der Kläger allerdings eine Verletzung von Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass § 31 Abs. 1 der Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz (GemO) i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (GVBl. S. 153, m.sp.Änd.) nicht deshalb mit Bundesrecht unvereinbar und nichtig ist, weil dem Landesgesetzgeber zu seinem Erlass die Kompetenz gefehlt hätte. Das wäre nur der Fall, wenn § 31 Abs. 1 GemO eine Strafnorm wäre; denn der Bund hat insoweit von seiner eigenen Gesetzgebungszuständigkeit für das Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) durch den Erlass des Strafgesetzbuches und diverser strafrechtlicher Nebengesetze abschließend Gebrauch gemacht (allg. Meinung; vgl. nur Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 14; Stettner, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2006, Art. 74 Rn. 23; Niedobitek, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand 2007, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 59). § 31 Abs. 1 GemO stellt jedoch keine Strafnorm dar. Gegenstand einer Strafnorm ist die Pönalisierung strafwürdigen Unrechts (BVerfG, Urteil vom 6. Juni 1967 - 2 BvR 375/60 u.a. - BVerfGE 22, 49 <79 ff.>; vgl. Urteil vom 10. Februar 2004 ‌- 2 BvR 834, 1588/02 - BVerfGE 109, 190 <211 ff.>). Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass § 31 Abs. 1 GemO keinen solchen Zweck verfolgt. Auch wenn sie an eine Kriminalstrafe anknüpft, so dient sie doch nicht ihrerseits einem Strafzweck, bezieht also ihre sachliche Rechtfertigung nicht aus der Anlasstat (BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834, 1588/02 - BVerfGE 109, 190 <215 ff.>).

17

Damit verfängt auch der Hinweis des Klägers auf §§ 45 ff. StGB nicht. Richtig ist, dass diese Vorschriften den Verlust der Wählbarkeit vorsehen, was ebenfalls zum Mandatsverlust führt. Es handelt sich jedoch um eine spezifisch strafrechtliche Nebenfolge, die in der Rechtsprechung und Literatur deshalb ganz überwiegend als Nebenstrafe bezeichnet wird. Hierfür ist ausschlaggebend, dass sie nach Grund, Art und Höhe allein an den Unrechtsgehalt der abgeurteilten Tat anknüpft und demzufolge die Wählbarkeit (und die Amtsträgerfähigkeit) des Täters für bestimmte Zeit in jedweder Hinsicht, also für jedwedes Mandat (und für jedwedes Amt) ausschließt. Demgegenüber ist für § 31 Abs. 1 GemO nicht der Unrechts- oder Schuldgehalt der vom Strafgericht abgeurteilten Tat, sondern die Auswirkung der Verurteilung auf die künftige Verwaltungstätigkeit des Gemeinderates ausschlaggebend. Bezugspunkt dieser Beurteilung ist nicht der Täter, sondern der Gemeinderat selbst. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich das Landesgesetz derart mit §§ 45 ff. StGB in Widerspruch setzt, dass den Normadressaten widersprüchliche Normbefehle erreichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Mai 1998 - 2 BvR 1991/95 u.a. - BVerfGE 98, 106 <118 ff.>).

18

Stellt § 31 Abs. 1 GemO keine Strafnorm dar, so liegt auch der vom Kläger gerügte Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) nicht vor.

19

b) Das Berufungsurteil beruht jedoch auf einer unzutreffenden Auslegung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese Bestimmung des Bundesverfassungsrechts schreibt die so genannten Wahlrechtsgrundsätze auch für Gemeinderatswahlen verbindlich vor (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76 u.a. -‌ BVerfGE 47, 253 <276 f.>). Hiernach müssen Gemeinderatswahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein. Daraus erwachsen den Wahlbürgern subjektiv-öffentliche Rechte nicht nur für das aktive, sondern auch für das passive Wahlrecht (BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1996 - 2 BvL 4/95 - BVerfGE 93, 373 <376> m.w.N.), das hier in Rede steht.

20

aa) Ohne Erfolg rügt der Kläger allerdings, dass das Berufungsgericht in seinem Ausschluss aus dem Gemeinderat keine Verletzung des Grundsatzes der Freiheit der Wahl gesehen hat. Die Freiheit des Klägers, sich als Kandidat aufstellen und wählen zu lassen, ist nicht berührt. Um die Freiheit seiner Mandatsausübung geht es ebenfalls nicht; die Ausschließung aus dem Stadtrat betrifft nicht das "Wie" der Mandatsausübung, sondern das "Ob" der Mandatsinnehabung überhaupt.

21

bb) Dass das Berufungsgericht die Grundsätze der Allgemeinheit und der Unmittelbarkeit nicht als verletzt erachtet hat, ist jedenfalls im Ergebnis richtig. Beide Grundsätze sind nicht berührt.

22

(1) Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl soll den Ausschluss bestimmter Teile der Bevölkerung - auch Einzelner - vom aktiven und passiven Wahlrecht verhindern. Er dient damit der Gewährleistung des allgemeinen demokratischen Prinzips (Trute, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 19 m.w.N.). Die Allgemeinheit des passiven Wahlrechts wird durch gesetzliche Beschränkungen der Wählbarkeit berührt, etwa durch ein bestimmtes Mindestalter, durch eine Mindestaufenthaltsdauer in der Gemeinde oder durch Inkompatibilitätsregelungen (vgl. Art. 137 Abs. 1 GG), aber auch durch Beschränkungen der Wählbarkeit Einzelner, wozu § 45 StGB ermächtigt (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 23. Oktober 1973 - 2 BvC 3/73 - BVerfGE 36, 139 <141 f.> und vom 21. September 1976 - 2 BvR 350/75 - BVerfGE 42, 312 <340 f.>; kritisch Meyer, in: Handbuch des Staatsrechts, Hrsg. Isensee/Kirchhof Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 4; Trute, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 24). Eine derartige Entziehung der Wählbarkeit steht hier jedoch nicht in Rede. Der Kläger darf unverändert bei politischen Wahlen - auch bei Kommunalwahlen der Beklagten - kandidieren und sich wählen lassen. Deshalb bedarf keiner Entscheidung, ob ihm darin beizupflichten wäre, dass die Aberkennung der Wählbarkeit nur durch Richterspruch erfolgen dürfte (vgl. in diesem Sinne die Venedig-Kommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Code of Good Practice in Electoral Matters, 2002, sowie allgemein zur Verpflichtungskraft von völkerrechtlichen Grundsätzen BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. - BVerfGE 128, 326 m.w.N.).

23

(2) Auch der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl greift nicht ein. Er gebietet, dass die Innehabung des Mandats unmittelbar, das heißt ohne Dazwischentreten (oder Mitwirken) eines dritten Willens auf die Wahlentscheidung des Wählers zurückzuführen sein muss. Der Grundsatz verbietet mit anderen Worten, dass das Mandat statt vom Wähler von einem Dritten erteilt wird (vgl. Trute, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 27 m.w.N.).

24

Allerdings ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, dass die Geltung des Grundsatzes nicht zeitlich auf die Dauer des Wahlverfahrens beschränkt werden kann. Auch nach der ersten Zuteilung der Mandate und nach dem Beginn der Amtsperiode der Vertretungskörperschaft kann die Rückführbarkeit des Mandats allein auf die Entscheidung des Wählers noch in Frage gestellt werden. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl gebietet etwa, dass nachträgliche Veränderungen der Sitzzuteilung im Zuge von Wahlprüfungsverfahren sich allein nach dem Wahlergebnis richten oder dass im Falle des späteren Rücktritts eines Gewählten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. November 1953 - 1 BvL 67/52 - BVerfGE 3, 45) das Nachrücken eines Ersatzbewerbers sich allein auf die Wählerentscheidung zurückführen lässt. Die Unmittelbarkeit der Wahl wird deshalb während der laufenden Amtsperiode der gewählten Vertretungskörperschaft berührt, wenn die Wirkung der Wählerentscheidung, das Mandat für die gesamte (restliche) Amtsperiode zu verleihen, von Dritten als solche bestritten wird, sei es dass ein Nachrücker dem ursprünglich Gewählten nachträglich wieder weichen soll (HessStGH, Urteil vom 7. Juli 1977 - P.St. 783 - NJW 1997, 2065), sei es dass die Partei, welche den Wahlbewerber aufgestellt hat, dessen vorzeitigen Mandatsverzicht verlangt (sog. Rotation).

25

Dagegen wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit durch den vorliegenden Ausschluss aus der Vertretungskörperschaft noch nicht berührt. Es ist verfehlt, jeden von Dritten verfügten Mandatsverlust als Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Wahl anzusehen. Der Grundsatz stellt schon nach seinem Wortlaut - "unmittelbar" - auf eine kausale Relation ab. Er ist nur betroffen, wenn das Gewähltsein als solches durch eine Willensentscheidung Dritter negiert wird.

26

Das bestätigt ein Blick auf den historischen Zweck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Ursprünglich richtete er sich auf den Ausschluss der mittelbaren Wahl durch Wahlmänner; insofern ist der Grundsatz in Deutschland weitgehend obsolet, weil erfüllt. Eine neue Bedeutung erhält der Grundsatz durch die Gefahr einer Mediatisierung der Wahlentscheidung durch die politischen Parteien (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. November 1953 - 1 BvL 67/52 - BVerfGE 3, 45 <50>, vom 3. Juli 1957 - 2 BvR 9/56 - BVerfGE 7, 63 <68 f.>, vom 9. Juli 1957 ‌- 2 BvL 30/56 - BVerfGE 7, 77 <84 f.> und vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76 u.a. - BVerfGE 47, 253 <279 f.>; vgl. auch Urteil vom 10. April 1997 ‌- 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 <350>). Beides betrifft zwar das Wahlverfahren, hierbei aber gerade diejenigen Vorschriften, welche das Mandat des Gewählten auf die Wahlentscheidung des Wählers zurückführen. Das schließt nicht aus, dass der Grundsatz künftig noch zusätzliche Bedeutung erlangt; auch dann aber steht der Kausalzusammenhang zwischen der Wahlentscheidung und dem Gewähltsein des Wahlbewerbers inmitten. Insofern sichert der Grundsatz die Verantwortlichkeit des Gewählten allein gegenüber den Wählern; er soll Legitimation und Auftrag seines Mandats allein von seinen Wählern erhalten und nicht auf Dritte zurückführen müssen oder dürfen.

27

Dann aber stellt nicht jede Entscheidung Dritter über den Fortbestand des Mandats eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Wahl dar, sondern nur eine solche, welche den Erfolg des Wählervotums - das Gewähltsein - als solches negiert. Unbenommen ist demgegenüber eine Entscheidung, welche einen Mandatsverlust an wahlfremde Umstände knüpft. So wird durch einen Mandatsverlust als Folge des Verlusts der Wählbarkeit - etwa der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes in der Gemeinde - das Gewähltsein als solches nicht in Zweifel gezogen. Auch ein Mandatsverlust aus strafrechtlichen Gründen (§ 45 StGB) oder - wie hier - aus Gründen der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Rates stellt die Wahlentscheidung selbst nicht in Frage. Deshalb wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl durch § 31 Abs. 1 GemO nicht berührt. Die Vorschrift ermächtigt den Rat - und damit einen anderen als den Wähler - zwar, über den Fortbestand eines Mandats zu entscheiden. Jedoch zieht diese Entscheidung des Rates nicht das Gewähltsein des Mandatsträgers in Zweifel, sondern knüpft an wahlfremde Umstände an.

28

cc) Das Berufungsurteil beruht jedoch auf einer unzutreffenden Handhabung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl.

29

(1) Ebenso wie der Grundsatz der Allgemeinheit ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl eng mit dem Demokratieprinzip verbunden. Deshalb garantiert er die Gleichheit des Wahlrechts in formal-egalitärer Weise, so dass grundsätzlich die eine Stimme auf das Wahlergebnis rechtlich denselben Einfluss ausüben muss wie die andere (BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 - BVerfGE 6, 84 <91>; stRspr). Auch dieser Grundsatz beherrscht nicht nur die Erlangung des Mandats und damit die erste Zusammensetzung des gewählten Organs, sondern ebenso den Fortbestand des Mandats und damit die Zusammensetzung des Organs während der gesamten Wahlperiode (BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1996 - 2 BvL 4/95 - BVerfGE 93, 373 <377> m.w.N.).

30

Dass § 31 Abs. 1 GemO den Gemeinderat zu einer Ungleichbehandlung bestimmter Gemeinderatsmitglieder ermächtigt, steht außer Zweifel. Der Betroffene wird gegenüber den übrigen Gewählten ungleich behandelt, weil er sein Mandat nicht länger ausüben darf. Anders als das Berufungsgericht meint, ist hierfür unerheblich, ob die Wahl selbst eine Persönlichkeitswahl ist oder doch ‌- durch die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens - jedenfalls Elemente einer Persönlichkeitswahl enthält. Selbst im Falle einer reinen Listenwahl ohne derartige Variationsmöglichkeiten beruht das Mandat eines jeden Ratsmitgliedes auf einem für sämtliche (Listen-)Bewerber grundsätzlich gleichen Wahlsystem (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. November 1953 - 1 BvL 67/52 - BVerfGE 3, 45 <50 f.>), dessen Ergebnis durch den späteren Ausschluss eines Gewählten verändert wird. Auf die Besonderheiten des rheinland-pfälzischen Kommunalwahlsystems kommt es daher nicht an.

31

(2) Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG schließt eine Ungleichbehandlung der Gewählten zwar nicht schlechterdings aus, knüpft sie aber an zwingende Gründe des gemeinen Wohls, welche die Durchbrechung des demokratischen Prinzips der formalen Stimmengleichheit rechtfertigen (BVerfG, Beschlüsse vom 9. März 1976 - 2 BvR 89/74 - BVerfGE 41, 399 <413> und vom 16. Januar 1996 - 2 BvL 4/95 - BVerfGE 93, 373 <377> m.w.N.). Das setzt voraus, dass die Gründe des gemeinen Wohls ihrerseits von verfassungsrechtlichem Rang sind und ein dem Wahlrechtsgrundsatz wenigstens entsprechendes Gewicht aufweisen (BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - BVerfGE 95, 408 <418>), sei es dass sie sich aus der Natur des Wahlvorgangs zwingend ergeben, sei es dass sie im Konfliktfalle einem anderen Wahlrechtsgrundsatz zur Geltung verhelfen sollen, sei es schließlich dass sie der Verwirklichung der mit der Wahl verfolgten Ziele dienen (vgl. BVerfG, Urteile vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. - BVerfGE 82, 322 <338>, vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - BVerfGE 95, 408 <409> und vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 <106 f.>; jeweils m.w.N.).

32

Ausweislich Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG zielt die Wahl des Gemeinderates darauf, den Gemeinderat als Hauptvertretungsorgan des Gemeindevolkes zu bilden, dem neben dem Bürgermeister die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben der Gemeinde obliegt. Die Wahl verfehlte diesen ihren Zweck, wenn das gewählte Vertretungsorgan seine Aufgaben nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen könnte. Es ist deshalb anerkannt, dass die Wahrung oder Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Rates einen Grund des gemeinen Wohls darstellen kann, der nach Rang und Gewicht eine Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit zu legitimieren vermag. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit typischerweise vorliegt oder hinlänglich konkret zu erwarten ist und dass die Ungleichbehandlung eine Beseitigung dieser Störung mit hinreichender Sicherheit verspricht (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 <114>).

33

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die durch § 31 Abs. 1 GemO ermöglichte Ungleichbehandlung gewählter Gemeinderatsmitglieder durch den Zweck der Wahrung oder Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Rates gerechtfertigt werden könne. Allerdings hat es insofern nicht auf die Fähigkeit des Rates abgestellt, seine Verwaltungsaufgaben zu erfüllen, sondern darauf, ob der Rat imstande ist, das Gemeindevolk "richtig" zu repräsentieren, sowie im Gegenzuge darauf, ob sich das Gemeindevolk durch den Rat angemessen repräsentiert sehe. Nur dann genieße der Rat das nötige Ansehen in der Bevölkerung, auf welches die Vorgängerregelung zu § 31 Abs. 1 GemO abgehoben habe (LT-Drs. II 2/343 S. 986) und welches allein die Akzeptanz des Rates und seiner Entscheidungen in der Bevölkerung gewährleisten könne (vgl. Barrot, LKRZ 2012, 320 <322>). Damit kann eine Abweichung von der strengen Mandatsgleichheit nicht gerechtfertigt werden. Zwar dient die Gemeindevertretung der Vertretung des Gemeindevolkes und ist es Aufgabe der Wahl und des sie ordnenden Wahlrechts, diese Vertretung zu bewerkstelligen. Jedoch gebietet der Gesichtspunkt der Repräsentationsfähigkeit des gewählten Organs in erster Linie eine Repräsentationsgenauigkeit und spricht damit gerade gegen eine Veränderung des Wahlergebnisses, weshalb das Bundesverfassungsgericht Benachteiligungen einzelner Abgeordneter bei der Ausübung ihres Mandats gerade für unzulässig erklärte (BVerfG, Urteile vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88, Wüppesahl - BVerfGE 80, 188 <219, 222> und vom 16. Juli 1991 - 2 BvE 1/91 - BVerfGE 84, 304 <321 f.>).

34

Andere Ungleichbehandlungen hat das Bundesverfassungsgericht nur in besonderen Ausnahmelagen - und begrenzt auf diese - zugelassen. So hat es eine parlamentarische Untersuchung des "Vorlebens" einzelner Abgeordneter zu Zwecken der Aufklärung der Öffentlichkeit nur für die historische und politische Sonderlage der deutschen Wiedervereinigung gebilligt (BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1996 - 2 BvE 1/95 - BVerfGE 94, 351 <367 ff.>; Urteil vom 20. Juli 1998 - 2 BvE 2/98 - BVerfGE 99, 19 <32>). Es ist nicht ersichtlich, dass die nicht nur in Sonderlagen situativ anwendbare, sondern generelle Vorschrift des § 31 Abs. 1 GemO durch diese Judikatur gestützt werden könnte. Daran vermag auch der Vortrag der Beklagten nichts zu ändern, ihr Stadtrat habe im vorliegenden Fall lediglich einen irrtumsbelasteten Wählerwillen korrigieren wollen ("Hätte der Wähler um die Strafverurteilung gewusst, hätte er den Kläger nicht gewählt."). Das vermag die gesetzliche Vorschrift als solche nicht zu rechtfertigen (und trifft im Übrigen auch tatsächlich nicht zu, weil jedenfalls die - dann später abgeurteilte - Straftat am Wahltag allgemein bekannt war).

35

3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Zwar lässt sich § 31 Abs. 1 GemO - enger als vom Berufungsgericht angenommen - verfassungskonform auslegen. Einer solchen Auslegung der irrevisiblen Norm durch das Revisionsgericht steht auch deren weitere berufungsgerichtliche Auslegung nicht entgegen, wenn diese ‌- wie hier - revisibles Recht verletzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1986 - 7 C 79.85 - BVerwGE 75, 67 <72> m.w.N.). Bei zutreffender verfassungskonformer Auslegung deckt § 31 Abs. 1 GemO aber nicht die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung. Das ergibt sich aus den revisionsrechtlich bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (§ 137 Abs. 2 VwGO), ohne dass weitere Feststellungen erforderlich wären. Das Bundesverwaltungsgericht kann daher in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Dies führt zur Änderung der Urteile der Vorinstanzen und zu der vom Kläger begehrten Feststellung, dass sein Ausschluss aus dem Rat der Beklagten rechtswidrig war.

36

a) Allerdings ist § 31 Abs. 1 GemO gültiges Recht. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Vorschrift einer Auslegung zugänglich, die mit den Anforderungen des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl vereinbar ist. Wie erwähnt, setzt dies voraus, dass die Vorschrift dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Rates im Sinne seiner Fähigkeit, seine gesetzlichen Aufgaben wahrzunehmen, dient, dass eine solche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit in den vom Gesetz erfassten Fällen typischerweise vorliegen oder eintreten kann und dass die vom Gesetz vorgesehene Ungleichbehandlung eine Beseitigung dieser Störung mit hinreichender Sicherheit verspricht (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 <114>). Das kann angenommen werden, wenn ein Ratsmitglied wegen einer Straftat verurteilt wurde, die in sachlichem Zusammenhang mit der Ratsarbeit steht und die die Arbeitsfähigkeit des Rates so nachhaltig stört, dass deren Sicherstellung oder Wiederherstellung den Ausschluss des Ratsmitgliedes erfordert.

37

Richtig ist, dass sich eine solche Auslegung von der Vorstellung des historischen Gesetzgebers, wie sie das Berufungsgericht ermittelt hat, entfernt. Dem historischen Gesetzgeber ging es nicht um die Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Rates, sondern um die Sicherung seines Ansehens in der Bevölkerung. Damit allein ließe sich die Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit nicht rechtfertigen. Das zwingt indes nicht dazu, § 31 Abs. 1 GemO für verfassungswidrig zu erklären. Der Wortlaut der Vorschrift lässt zu, die Vorschrift zum Schutz der Arbeitsfähigkeit des Rates und damit zu einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck einzusetzen. Auch das Berufungsgericht hat ihren Schutzzweck abweichend von der Vorstellung des historischen Gesetzgebers definiert, auch wenn es insofern noch nicht weit genug gegangen ist. Ist eine gesetzliche Vorschrift hinsichtlich eines Teils ihres Anwendungsbereichs verfassungskonform und kann sie derartig einschränkend ausgelegt werden, verbietet es sich, sie auch insoweit und damit gänzlich als verfassungswidrig und nichtig anzusehen.

38

§ 31 Abs. 1 GemO erlaubt den Ausschluss eines Ratsmitgliedes aus dem Rat, wenn das Ratsmitglied - erstens - nach der Wahl zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wurde und es - zweitens - durch die Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt hat. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist, wer vorbestraft ist, nicht mehr unbescholten. Die zweite Voraussetzung für den Ausschluss erlangt demzufolge gegenüber der ersten nur dadurch selbstständige Bedeutung, dass Art und Maß der "Bescholtenheit" danach bestimmt werden muss, was "für ein Ratsmitglied erforderlich" ist. Dies erlaubt und gebietet es, die Möglichkeit des Ausschlusses aus dem Rat wegen einer Straftat in sachliche Beziehung zur Ratsarbeit sowie nach Art und Gewicht zugleich in Beziehung zu dem demokratischen Prinzip zu setzen, dessen Wahrung das Gebot der Wahlrechtsgleichheit in erster Linie dient und welches der Ausschluss relativiert.

39

Daraus ergibt sich zum einen, dass die Straftat in sachlichem Zusammenhang mit der Ratsarbeit stehen muss. Dieser Zusammenhang besteht nicht nur bei einer Straftat in der Ratssitzung oder in sonstiger Ausübung des Mandats, sondern etwa auch bei einer Straftat im Zuge des Kommunalwahlkampfs wie im vorliegenden Falle oder eines sonstigen politischen Wahlkampfs. Insofern ist dem Berufungsgericht beizupflichten. Ihm kann lediglich darin nicht gefolgt werden, dass es auch Straftaten ohne jegliche politische Konnotation als mögliche Anknüpfungstaten ansieht, wenn diese nur hinlänglich schwer wiegen; solchen Taten fehlt der nötige sachliche Bezug zur Ratsarbeit.

40

Aus dem Vorstehenden ergibt sich des Weiteren, dass die Straftat die Sorge begründen muss, von dem Ratsmitglied gehe auch künftig eine Gefährdung der Arbeitsfähigkeit des Rates aus. Im Kommunalrecht ist weithin anerkannt, dass der Zweck, die Funktionsfähigkeit der Ratstätigkeit zu schützen, den zeitweiligen Ausschluss eines Ratsmitgliedes aus der laufenden Sitzung oder zusätzlich für die folgende oder mehrere folgende Sitzungen in Anknüpfung an eine Störung der Sitzung erlaubt. Es ist möglich, dass das Verhalten eines Ratsmitgliedes im Rat oder im sachlichen Zusammenhang mit der Ratsarbeit die Funktionsfähigkeit des Rates derart gravierend beeinträchtigt, dass deren Schutz den Ausschluss dieses Mitgliedes für den verbleibenden Rest der Wahlperiode erforderlich macht. Das kommt namentlich in Betracht, wenn das Ratsmitglied organisierte Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung eingesetzt hat. Ein solches Verhalten stellt die freie demokratische Willensbildung im Rat in Frage. Die Willensbildung im Rat setzt voraus, dass alle Ratsmitglieder ihr Mandat frei von unzulässiger Einflussnahme, Druck und Einschüchterung wahrnehmen und ihre Überzeugung und ihre politischen Anliegen in der Ratsarbeit uneingeschränkt zum Ausdruck bringen können. Daran fehlt es, wenn sie infolge des Verhaltens eines Ratskollegen damit rechnen müssen, dass dieser auch künftig organisierte körperliche Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung einsetzt. Solche Handlungen führen typischerweise zur Einschüchterung und sind geeignet, das eigene Verhalten im Rat in einer Weise zu beeinflussen, die Konflikte mit diesem Ratskollegen zu vermeiden, zu mindern oder zu verdecken sucht. All diese Reaktionen beeinträchtigen die freie politische Auseinandersetzung im Rat und stellen damit die demokratische Grundlage der gemeindlichen Aufgabenerfüllung in Frage.

41

b) Ob hiernach die gesetzlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GemO in der gebotenen verfassungskonformen Auslegung vorlagen, ist nicht festgestellt. Der Rat der beklagten Stadt hat jedenfalls von dem durch die Vorschrift eröffneten Ermessen keinen dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Gebrauch gemacht, obwohl dies geboten gewesen wäre (§ 1 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 40 VwVfG). Der Stadtrat der Beklagten hat angenommen, dass § 31 Abs. 1 GemO dem Schutz der Lauterkeit und Sauberkeit der Verwaltung und damit dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Gemeindevolk und dem Rat als seiner Vertretung diene; dieses Vertrauensverhältnis hat er als gestört erachtet, zu seiner Wiederherstellung hat er den Ausschluss des Klägers verfügt. Das entspricht zwar - wie gezeigt - der Vorstellung des historischen Gesetzgebers, wird indes den Anforderungen des Grundgesetzes nicht gerecht. Auf den Schutz seiner Arbeits- und Funktionsfähigkeit, auch auf das hierzu nötige Vertrauen in die allseitige Friedfertigkeit der Ratsmitglieder untereinander, hat der Rat den Ausschlussbeschluss hingegen nicht gestützt. Zudem hat er nicht geprüft, ob die Gefahr für seine Arbeitsfähigkeit noch gegenwärtig fortbestand und ob ihr mit dem Ausschluss des Klägers hinlänglich sicher begegnet werden konnte. Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es daran allerdings nicht schon, weil auch ein ausgeschlossenes Ratsmitglied versuchen könnte, gewaltsam gegen politische Gegner vorzugehen. Im Rat wäre die Gefahr entsprechender Störungen mit dem Ausschluss beseitigt. Gewaltsamen Störungen durch Nichtmitglieder wäre nicht mit kommunalrechtlichen, sondern mit polizei- und strafrechtlichen Maßnahmen zu begegnen.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter oder ehrenamtlicher Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die von der Beklagten angeordnete Verlegung einer für den 27. Januar 2012 - dem jährlichen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ("Holocaust-Gedenktag") - angemeldeten Versammlung auf den Folgetag rechtswidrig war.

2

Der Vorsitzende des Kreisverbands Trier der Klägerin meldete am 25. Januar 2012 für den 27. Januar 2012 eine Versammlung in Form einer Mahnwache unter dem Motto "Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise" an. Die Versammlung sollte in der Trierer Innenstadt stattfinden. Als Anlass der Veranstaltung wurde ein für den 27. Januar 2012 angekündigter Vortrag von Prof. Max O. im Bischöflichen Priesterseminar Trier mit dem Thema "Von der Finanz- zur Eurokrise" angegeben. Es sollten als Hilfsmittel Megafon, Fahnen und Spruchbänder verwendet werden. 15 Versammlungsteilnehmer würden erwartet werden.

3

Auf Nachfrage der Beklagten erklärte sich der Anmelder mit einem alternativen Versammlungsort in der Trierer Innenstadt einverstanden, nicht aber mit einer Verlegung auf einen anderen Tag.

4

Unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte die Beklagte am 26. Januar 2012 die Verlegung der Versammlung auf den 28. Januar 2012. Die Verfügung stelle eine Auflage dar, die zum Schutz der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sei. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, diene seit 1996 in Deutschland offiziell dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen habe ihn 2005 zum Internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt. Die Durchführung einer Versammlung an diesem Tag durch die Klägerin sei als eine Provokation zu bewerten, durch die grundlegende soziale und ethische Anschauungen und Empfindungen verletzt würden. Die Klägerin sei eine Partei, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis dem rechtsextremen politischen Spektrum zuzuordnen sei. Sie lasse in der öffentlichen Wahrnehmung die notwendige Distanz zu dem menschenverachtenden Unrechtsregime vermissen, das die Opfer zu verantworten habe, derer am 27. Januar gedacht werde. Nicht entscheidend sei, dass sich das Motto der Versammlung nicht mit den Opfern des Nationalsozialismus auseinandersetze.

5

Die Klägerin legte Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht, dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht blieb ohne Erfolg. Den weiteren Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht lehnte dieses mit Kammerbeschluss vom 27. Januar 2012 ab: Eine Verfassungsbeschwerde wäre vorliegend weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die somit erforderliche Folgenabwägung führe zur Ablehnung des Antrags. Die Kammer könne sich unter den gegebenen zeitlichen Bedingungen kein zuverlässiges Bild über etwaige Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit machen.

6

Mit ihrer vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2012 rechtswidrig war. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen: Die Verlegung der Versammlung um einen Tag stelle eine Auflage, kein Verbot dar. § 15 Abs. 1 VersG erlaube Auflagen auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung, sofern diese nicht aus dem Inhalt von Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung hergeleitet würden. Die öffentliche Ordnung könne verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem Tag, welcher der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust diene, so durchführten, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgingen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigten. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt. Die Versammlung wäre hier nicht lediglich in irgendeinem Sinn dem Gedenken am 27. Januar entgegen gelaufen. Von ihr wäre eine besondere, für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürger hinreichende Provokationswirkung ausgegangen. Die Klägerin habe das Thema der Versammlung lediglich als Aufhänger gewählt, während die dahinter stehende Motivation von der Bevölkerung darin gesehen werde, an einem zentralen Ort in der Innenstadt Präsenz zu zeigen und nach außen zu dokumentieren, dass man als rechtsextreme Partei trotz des Gedenktags "Flagge zeigen" könne. Für diese Einschätzung würden mehrere Umstände sprechen. Der von der Klägerin benannte Bezug zum Vortrag von Prof. O. wirke gesucht. Die Finanz- und Eurokrise stehe seit längerem im Fokus der politischen Diskussion. Es sei nicht erkennbar, wieso eine Veranstaltung der Klägerin zu diesem Thema nicht mit gleicher Wirkung am Folgetag hätte durchgeführt werden können, zumal ein spezifischer Bezug zwischen den Thesen von Prof. O. und dem wirtschaftspolitischen Programm der Klägerin weder dargetan noch ersichtlich sei. Dies dränge den Eindruck auf, die Klägerin habe nur nach einem beliebigen Anlass gesucht, um am Gedenktag des 27. Januar Präsenz zeigen zu können. Hierfür spreche zudem, dass die Klägerin bereits am 22. Januar 2012 eine Versammlung zum gleichen Thema durchgeführt habe. Es sei ungewöhnlich und nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb eine Partei wie die Klägerin innerhalb von nur fünf Tagen in der gleichen Stadt ihr wirtschaftspolitisches Programm ein zweites Mal der Öffentlichkeit durch eine Versammlung vorstellen wolle. Schließlich habe die Klägerin auch nach dem 26. Januar 2012 auffällig oft Versammlungen an Tagen durchgeführt, die einen Bezug zur Herrschaft der Nationalsozialisten aufwiesen. Es sei unwahrscheinlich, dass es sich hier um einen Zufall handle. Vielmehr bestärke dies die Einschätzung, dass die Klägerin sich einen beliebigen Anlass gesucht habe, um an diesen Tagen in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen.

7

Zur Begründung ihrer Revision bringt die Klägerin vor: Die Verlegung der Versammlung stelle ein Verbot im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG dar, das nur bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hätte ausgesprochen werden dürfen. Selbst wenn man der Verlegung Auflagenqualität beimäße, fehle es jedenfalls an einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Klägerin habe nicht am Gedenktag provokativ "Flagge zeigen", sondern ihren Thesen zur Euro- bzw. Finanzkrise Aufmerksamkeit verschaffen wollen. Selbst wenn die Unterstellung des Oberverwaltungsgerichts richtig wäre, ihr sei es auf Präsenz gerade am Gedenktag angekommen, wäre die Verlegung als rechtswidrig einzustufen. Der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der vorliegenden Sache sei zu entnehmen, dass Beschränkungen einer für den 27. Januar vorgesehenen Veranstaltung nur zulässig seien, wenn in der Nähe eine Gedenkveranstaltung stattfinde oder die Veranstaltung einen Bezug zum Holocaust bzw. zur nationalsozialistischen Herrschaft aufweise.

8

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vortrag von Prof. O. habe für die Klägerin keinen hinreichenden Anlass darstellen können, die Versammlung gerade am 27. Januar 2012 durchzuführen. Der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der vorliegenden Sache sei zwar zu entnehmen, dass neben dem Umstand, wonach eine Versammlung an einem Tag mit gewichtiger Symbolkraft stattfinde, weitere Umstände hinzutreten müssten, um eine Verlegung zu rechtfertigen. Solche Umstände hätten hier jedoch vorgelegen. Die Klägerin, deren Ablehnung des Holocaust-Gedenktages ausweislich des Berichts des Verfassungsschutzes des Landes für das Jahr 2011 bekannt sei, habe dadurch Provokationen hervorrufen wollen, dass sie eine Versammlung gerade für diesen Tag anmelde.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Bescheid vom 26. Januar 2012 verstößt gegen die bundesrechtliche (vgl. Art. 125a Abs. 1 GG) Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG. Die Gründe, auf die er sich stützt, genügen nicht den Anforderungen dieser Vorschrift. Aus dem vorinstanzlich abschließend geklärten Sachverhalt ergeben sich keine sonstigen Gründe, die den Bescheid rechtlich tragen könnten. Der Senat kann mithin ausschließen, dass sich das angefochtene Urteil im Ergebnis als richtig darstellt, und in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 und 4 VwGO). Dies führt zum Ausspruch der begehrten Feststellung.

10

1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage ohne Verstoß gegen Bundesprozessrecht für zulässig erachtet. Statthafte Klageart zur Erlangung der begehrten Feststellung ist in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Fortsetzungsfeststellungsklage. Eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts ist auch dann zulässig, wenn - wie hier - die Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist (Urteil vom 14. Juli 1999 - BVerwG 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <207> = Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 12 S. 4; stRspr). Die Klägerin hat das von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung. Ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern (Urteil vom 16. Mai 2013 - BVerwG 8 C 15.12 - juris Rn. 25; stRspr). Im vorliegenden Fall ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Das Merkmal der Wiederholungsgefahr setzt im Hinblick auf Versammlungsbeschränkungen zum einen die Möglichkeit einer erneuten Versammlung durch den Betroffenen voraus, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen könnte. Zum anderen ist erforderlich, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <90>). Der Senat geht mit dem Oberverwaltungsgericht davon aus, dass die Klägerin auch in Zukunft an historisch sensiblen Daten unter Bezugnahme auf aktuelle politische Themen Versammlungen durchführen könnte. Ferner geht er mit dem Oberverwaltungsgericht davon aus, dass in solchen Fällen die Beklagte voraussichtlich erneut mit vergleichbarer Begründung wie im vorliegenden Fall eine zeitliche Verlegung von Versammlungen der Klägerin anordnen würde. Das auf eine Wiederholungsgefahr gegründete Rechtsschutzinteresse entfällt nicht deshalb, weil der Betroffene in zukünftigen Fällen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 a.a.O. S. 91).

11

Dadurch, dass der streitgegenständliche Bescheid erst einen Tag vor der geplanten Versammlung ergangen ist, war eine gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren für die Klägerin nicht rechtzeitig zu erlangen. Das vorläufige Rechtsschutzverfahren, dessen Gegenstand die Vollziehbarkeit des Bescheids war, genügt insoweit nicht. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt nach Maßgabe der Sachentscheidungsvoraussetzungen einen Anspruch auf Rechtsschutz in der Hauptsache, nicht nur in einem Eilverfahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 a.a.O. S. 86 ff.; BVerwG, Urteil vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 12 S. 4).

12

2. Unter den gegebenen Umständen war die Beklagte durch die - allein in Frage kommende - Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG nicht befugt, die Verlegung der Versammlung vom 27. auf den 28. Januar 2012 anzuordnen. Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Für eine mögliche unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit lagen - wovon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist - schon im Ansatz keine Anhaltspunkte vor. Auch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung durfte bei der vorliegenden Sachlage im Ergebnis nicht angenommen werden:

13

a. Ob es sich bei der Anordnung der Beklagten um ein Versammlungsverbot oder um eine Auflage handelt, bedarf keiner Vertiefung. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass auch Gründe der öffentlichen Ordnung zum Erlass eines Versammlungsverbots berechtigen, wenn Gefahren nicht aus dem Inhalt von Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung drohen, sofern Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 - BVerfGE 111, 147 <156 f.>). Im vorliegenden Fall drohten keine meinungsinhaltlich begründeten Gefahren. Im Raum stand lediglich die Möglichkeit einer Gefahr aufgrund der Art und Weise der vorgesehenen Versammlungsdurchführung, nämlich aufgrund des Umstands, dass die Versammlung gerade am Holocaust-Gedenktag stattfinden sollte. Um der hierdurch nach Einschätzung der Beklagten drohenden Gefahr für die öffentliche Ordnung entgegenzuwirken, stand kein milderes Mittel als die Verlegung auf einen anderen Tag zur Verfügung. Der Rückgriff auf Gründe der öffentlichen Ordnung wäre der Beklagten folglich auch dann nicht versperrt gewesen, wenn man die zeitliche Verlegung als Versammlungsverbot qualifizieren müsste.

14

b. Der Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung steht nicht entgegen, dass die Klägerin eine politische Partei ist. Die zugunsten politischer Parteien durch Art. 21 GG begründeten Gewährleistungen schließen nicht das Recht ein, weitgehender als andere Rechtssubjekte von Versammlungsbeschränkungen verschont zu bleiben, wenn eine vorgesehene Versammlung die öffentliche Ordnung zu verletzen droht. Verfügt eine Behörde mit dieser Begründung eine versammlungsrechtliche Beschränkung gegenüber einer politischen Partei, stützt sie ihr Einschreiten nicht auf eine vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit des Verhaltens oder der Programmatik dieser Partei (vgl. Urteil vom 23. März 1999 a.a.O. S. 8).

15

c. Unter öffentlicher Ordnung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln zu verstehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets anzusehen ist. Kommt einem bestimmten Tag in der Gesellschaft ein eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zu, darf dieser Sinngehalt bei einer Versammlung an diesem Tag nicht in einer Weise angegriffen werden, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Beim Holocaust-Gedenktag am 27. Januar (vgl. Proklamation des Bundespräsidenten vom 3. Januar 1996, BGBl I S. 17) handelt es sich um einen solchen Tag (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - juris Rn. 15 und vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 - juris Rn. 24; Beschluss vom 23. Juni 2004 a.a.O. S. 157; Kammerbeschlüsse vom 26. Januar 2006 - 1 BvQ 3/06 - juris Rn. 12, vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 - juris Rn. 31 und vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 - juris Rn. 18).

16

aa. Für eine Versammlungsbeschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung im vorbezeichneten Sinne reicht nicht aus, dass die Durchführung der Versammlung am Holocaust-Gedenktag in irgendeinem, beliebigen Sinne als dem Gedenken zuwiderlaufend zu beurteilen ist. Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Januar 2012 - 1 BvQ 4/12 - juris Rn. 7 m.w.N.). Liegt diese Voraussetzung nicht vor und sind wie hier Schutzgüter der öffentlichen Ordnung unter keinem anderen Gesichtspunkt bedroht, überschreitet eine Versammlungsbeschränkung nicht nur die einfachgesetzliche Ermächtigung in § 15 Abs. 1 VersG, sondern verstößt sie zugleich gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Diesem Grundrecht gebührt in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <343>). Die Ausübung der Versammlungsfreiheit darf nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begrenzt werden (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 a.a.O. S. 348 f.). Störungen des sittlichen Empfindens der Bürger ohne Provokationscharakter oder Störungen, die, obgleich provokativen Charakters, kein erhebliches Gewicht aufweisen, ergeben als solche keinen verhältnismäßigen Anlass für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Der Umstand alleine, dass eine rechtsextremistische Gruppierung am Holocaust-Gedenktag eine Versammlung durchführt, kann daher nicht in grundrechtlich tragfähiger Weise für eine Versammlungsbeschränkung gemäß § 15 Abs. 1 VersG herangezogen werden, auch wenn die Wahl gerade dieses Tages als Versammlungstermin einer solchen Gruppierung von vielen Bürgern in tatsächlicher Hinsicht als unpassend und mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus nicht im Einklang stehend wahrgenommen werden mag. Sähe der Gesetzgeber weitergehend ein Bedürfnis, mit Blick auf die besondere staatspolitische Bedeutung des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus Versammlungsbeschränkungen an diesem Tag - losgelöst von der Frage einer Gefährdung des sittlichen Empfindens der Bürger im Einzelfall - zuzulassen, müsste er hierzu eigens nicht auf bestimmte Veranstalter beschränkte Regelungen treffen. Dem Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG liegt kein solchermaßen begründetes Schutzkonzept zugrunde.

17

bb. Die Feststellung, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung einer Versammlung am Holocaust-Gedenktag Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen, setzt voraus, dass die Versammlung eine den Umständen nach eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken erkennen lässt. Die Versammlungsfreiheit wird nicht in unverhältnismäßiger Weise beschränkt, wenn dem Grundrechtsträger auf Grundlage von § 15 Abs. 1 VersG etwa angesonnen wird, eine Versammlung am Holocaust-Gedenktag nur in einer Weise durchzuführen, die dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus den ihm aus Sicht der Mitbürger gebührenden Stellenwert belässt, insbesondere dessen Sinn und ethisch-moralischen Wert nicht negiert, und die auch nicht in anderer Weise dem Anspruch der Mitbürger entgegenwirkt, sich ungestört dem Gedenken zuwenden zu können, ohne hierbei erheblichen Provokationen ausgesetzt zu sein. Bringt der Grundrechtsträger die Bereitschaft hierzu nicht auf, muss die Versammlung von seinen Mitbürgern zwangsläufig als erhebliche provokative Beeinträchtigung ihres sittlichen Empfindens wahrgenommen werden und offenbart er damit ein Maß an Indifferenz gegenüber ihren berechtigten Belangen, das seinerseits keinen grundrechtlichen Vorrang beanspruchen kann.

18

cc. Im vorliegenden Fall wäre nach den Umständen, wie sie zur Zeit des Erlasses der streitbefangenen Anordnung erkennbar waren, durch die beabsichtigte Versammlung die vorbezeichnete Schwelle nicht erreicht worden. Die Versammlung sollte in Anknüpfung an eine andere Veranstaltung mit der Euro- und Finanzkrise ein aktuelles allgemein-politisches Thema aufgreifen und die hierzu entwickelten, bereits bei früheren Gelegenheiten vorgetragenen programmatischen Vorstellungen der Klägerin kundtun. Eine Stoßrichtung gegen das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus geht von diesem Thema nicht aus. Eine unmittelbare Störung von Gedenkveranstaltungen stand nicht zu befürchten oder hätte jedenfalls, wie das Oberverwaltungsgericht überzeugend festgestellt hat, durch das mildere Mittel einer geringfügigen zeitlichen Verlegung um eine halbe Stunde abgewendet werden können. Dass die Versammlung ihrem vorgesehenen äußeren Gepräge nach eine Stoßrichtung gegen das Gedenken hätte gewinnen können, ist ebenso nicht ersichtlich. Sonstige Umstände, die im Rahmen einer Gesamtschau Anlass zu einer abweichenden Beurteilung geben könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen.

19

dd. Das Oberverwaltungsgericht ist zu der Einschätzung gelangt, es sei der Klägerin in Wahrheit nicht auf die Kundgabe ihrer wirtschafts- und währungspolitischen Positionen, sondern ausschließlich um eine - von ihr dem Gedenkanliegen demonstrativ entgegen gesetzte - öffentliche Präsenz am Holocaust-Gedenktag gegangen ("Flagge zeigen"), die von den übrigen Bürgern vor dem besonderen Hintergrund dieses Tages als erhebliche Provokation empfunden worden wäre und so seitens der Klägerin auch gemeint gewesen sei. Selbst wenn diese Einschätzung der Motivlage der Klägerin zutreffend wäre, muss sich dieser Ansatz dem Einwand ausgesetzt sehen, dass er dem Grundrechtsträger letzten Endes abverlangt, die Plausibilität der von ihm getroffenen Wahl des Versammlungsdatums zu rechtfertigen, nämlich Gründe vorzuweisen, welche die Sinnhaftigkeit der Kundgebung zum ausgewählten Versammlungsthema gerade am vorgesehenen Tag belegen. Eine solche Maßgabe würde die Versammlungsfreiheit, die auch die freie Selbstbestimmung über den Versammlungszeitpunkt einschließt (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 a.a.O. S. 343; stRspr), in unverhältnismäßiger Weise beschränken. Für den Grundrechtsträger besteht keine Obliegenheit, für die Bestimmung des Versammlungszeitpunkts Gründe zu liefern. Sind solche Gründe für die Versammlungsbehörde oder nach deren Einschätzung aus Sicht der Mitbürger nicht erkennbar bzw. nicht nachvollziehbar, reicht die hieraus hergeleitete Wahrnehmung, der Grundrechtsträger suche die Präsenz lediglich um ihrer selbst willen, grundsätzlich nicht für die Anordnung einer Versammlungsbeschränkung am Holocaust-Gedenktag mit der Begründung aus, von der Versammlung würden Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen. Die öffentliche Präsenz einer bestimmten Gruppierung am 27. Januar verleiht für sich genommen ihrer Versammlung noch keine eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken, dem dieser Tag gewidmet ist. Die gegenteilige Sichtweise läuft darauf hinaus, die Anforderung einer personen- bzw. gruppenneutralen Begründung für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zu verfehlen.

20

Der Senat vermag zwar nicht auszuschließen, dass ausnahmsweise Konstellationen vorkommen mögen, in denen die spezifische Kombination von Versammlungszeitpunkt, Zuschnitt des Versammlungsthemas und gegebenenfalls weiteren Faktoren nichts anderes als den Schluss zulässt, die Versammlung weise - zwar in unterschwelliger, nichtsdestotrotz aber eindeutiger Weise - eine Stoßrichtung gegen das Gedenken auf (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - juris und den dort zugrunde liegenden Sachverhalt). Im vorliegenden Fall jedoch erübrigen sich weitere Überlegungen in diese Richtung schon deshalb, weil die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, das von der Klägerin angegebene Versammlungsthema sei nur vorgeschoben gewesen, bereits nicht auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte gestützt ist:

21

Mit der genannten Einschätzung wird der Klägerin der Wille abgesprochen, das vorgebrachte Artikulationsanliegen überhaupt ernsthaft verfolgt zu haben. Das durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht über den Inhalt der Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 a.a.O. S. 343; stRspr) schließt aber - vorgelagert - den Anspruch ein, dass der Staat das vom Grundrechtsträger proklamierte Artikulationsanliegen grundsätzlich als tatsächlich gegeben hinnimmt und nicht ohne Weiteres gegen seine inneren Motive abgleicht. Ein Durchgriff auf eine vermeintlich bestehende innere Motivlage zur Rechtfertigung einer Versammlungsbeschränkung darf nur ausnahmsweise und mit besonderer Zurückhaltung erfolgen (vgl. in anderem Zusammenhang Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 <47 f.> = Buchholz 402.44 VersG Nr. 13). Hierfür müssen konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte und nicht nur bloße Vermutungen und Verdachtsmomente vorliegen (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 - juris Rn. 14, vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 - juris Rn. 28, vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 - juris Rn. 11 und vom 9. Juni 2006 - 1 BvR 1429/06 - juris Rn. 14). Erforderlich ist darüber hinaus, dass eine Auseinandersetzung mit Gegenindizien vorgenommen wird (vgl. Kammerbeschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 8/01 - juris Rn. 12). Diese Vorgaben leiten sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ab und setzen insofern der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung materiell-rechtliche, revisionsgerichtlich überprüfbare Grenzen. Den Vorgaben genügt das angefochtene Urteil nicht. Weder der Umstand, dass die Finanz- und Eurokrise schon seit längerem im Augenmerk der öffentlichen Wahrnehmung stand, noch der Umstand, dass keine konkreteren inhaltlichen Bezüge der vorgesehenen Versammlung oder des wirtschaftspolitischen Programms der Klägerin zu den wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Prof. O. erkennbar geworden sind, belegen in hinreichender Weise, dass die Klägerin dessen Vortrag lediglich als "Aufhänger" gewählt hätte, um an dem fraglichen Tag in plausibler Weise überhaupt eine Versammlung durchführen zu können. Auch im Hinblick auf politische Themen mit dauerhafter Aktualität entspricht es verbreiteter politischer Übung, für die Darstellung eigener Positionen einen Termin zu wählen, an dem das Thema von anderen Meinungsbildnern öffentlich angesprochen wird und daher spezifisch in das Augenmerk der Öffentlichkeit rückt; dabei ist es wiederum keineswegs unüblich, im Rahmen der eigenen Darstellung nicht unmittelbar auf die Inhalte und Thesen der Referenzveranstaltung einzugehen, sondern sich mit der Kundgabe eigener Positionen zu begnügen. Unverfänglich ist darüber hinaus auch der Umstand, dass die Klägerin eine Versammlung zu Währungs- und Finanzfragen bereits fünf Tage vorher durchgeführt hatte. Diese Veranstaltungsfrequenz kann ebenso gut als Ausdruck eines besonders ausgeprägten Artikulationsinteresses gewertet werden, wie es gerade für eine politische Partei nicht ungewöhnlich ist. Soweit das Oberverwaltungsgericht schließlich Muster der Versammlungspraxis der Klägerin nach dem Erlass der streitigen Anordnung angeführt hat, steht ihrer Einbeziehung in die rechtliche Würdigung schon die gesetzliche Vorgabe aus § 15 VersG entgegen, dass nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet sein muss. Das Prozessrecht bietet keine Handhabe, im Rahmen der nachträglichen rechtlichen Beurteilung einen anderen Blickwinkel auf den betroffenen Sachverhalt anzulegen.

22

Nach alledem erweist sich die Einschätzung, der Klägerin sei es in Wahrheit darauf angekommen, am Holocaust-Gedenktag demonstrative öffentliche Präsenz zu zeigen, als bloße Vermutung. Auf bloße Vermutungen darf eine versammlungsrechtliche Beschränkung aber von vornherein nicht gegründet werden. Die Beweislast dafür, dass die tatsächliche Sachlage der Vermutung entspricht, liegt bei der Versammlungsbehörde. Für den Grundrechtsträger besteht keine Obliegenheit, sich insoweit zu entlasten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Juni 2006 - 1 BvR 1429/06 - juris Rn. 15).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn

1.
die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
2.
nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Landesgesetz bestimmt.

(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.

(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.