Verwaltungsgericht Münster Urteil, 26. März 2014 - 7 K 2604/12


Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Das klagende Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
1
T a t b e s t a n d :
2Das klagende Land schloss mit der Stadt Telgte bzw. deren Rechtsvorgänger mehrere Vereinbarungen, zuletzt am 2./3. Dezember 2003. Darin verpflichte sich die Stadt Telgte zur unwiderruflichen und unentgeltlichen Aufnahme des Niederschlagswassers, das in ihrem Gebiet von Landes- und Bundesstraßen in ihre Abwasserkanäle geleitet wird. Im Gegenzug beteiligte sich das klagende Land bzw. der zuvor zuständige Landschaftsverband Westfalen-Lippe an den Herstellungs- bzw. Erneuerungskosten der Abwasseranlagen nach den Grundsätzen der Nr. 14 der Richtlinien über Ortsdurchfahrten (ODR).
3Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) entschied mit Urteil vom 18. Dezember 2007 – 9 A 3648/04 –, dass der so genannte einheitliche Frischwassermaßstab bei der Erhebung von Abwassergebühren hinsichtlich Niederschlagswasser gegen § 6 Abs. 3 S. 2 KAG NRW verstößt.
4Mit Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung und zur Satzung über die Entsorgung von Grundstücks Entwässerungsanlagen vom 1. Dezember 2009 setzte die Stadt Telgte für die Inanspruchnahme der städtischen Abwasseranlage erstmals getrennte Schmutzwassergebühren und Niederschlagswassergebühren fest. Insoweit trat die Satzung rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft.
5Mit Satzung vom 7. August 2012 gründeten die Stadt Telgte sowie die Gemeinden Everswinkel und Ostbevern für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 die interkommunale Anstalt des öffentlichen Rechts „Abwasserbetrieb TEO“ unter Bezugnahme auf § 27 GkG, § 114a GO NRW. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 dieser Satzung ist Aufgabe der Anstalt die Durchführung der öffentlichen Abwasserbeseitigung auf dem Gebiet der Stadt Telgte sowie der Gemeinden Everswinkel und Ostbevern. Gemäß § 12 Abs. 3 der Satzung gelten die bei Satzungsbeschluss geltenden Satzungen der Träger, die für die der Anstalt übertragenen Aufgaben erlassen wurden, mit der Maßgabe, dass an die Stelle des jeweiligen Trägers die Anstalt tritt, solange fort, bis die Anstalt eigene Satzungen in diesen Angelegenheiten erlässt.
6Die Stadt Telgte und der Beklagten erklärten mit Schreiben vom 24. April 2012 gegenüber dem klagenden Land die Kündigung der Vereinbarungen über die gebührenfreie Abwasserbeseitigung. Gegenüber dem letztmaligen Vertragsschluss im Jahr 2003 hätten sich die Verhältnisse wesentlich geändert. Nun werde aufgrund des Urteils des OVG NRW vom 18. Dezember 2007 eine getrennte Niederschlagswassergebühr erhoben. Eine Vertragsanpassung sei gescheitert, so dass die Vertragskündigung alternativlos sei.
7Mit Bescheid vom 16. August 2012 setzte der Beklagte gegenüber dem klagenden Land Niederschlagswassergebühren für das Jahr 2012 in Höhe von 31.599,84 € fest. Zur Begründung gab er an, entlang der Landesstraßen L 585, L 588 und L 811 werde von einer Gesamtfläche mit der Größe von 49.374,75 m² in seine Abwasseranlage Niederschlagswasser eingeleitet. Der Gebührentarif liege bei 0,64 €/m².
8Das klagende Land hat am 11. September 2012 Klage erhoben. Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor, es habe aufgrund der mit der Stadt Telgte bzw. deren Rechtsvorgänger geschlossenen Vereinbarungen bislang 452.672,23 Euro als Beteiligung an den Herstellungskosten der Kanalanlagen gezahlt. Dabei handele es sich nicht um eine Vorauszahlung von Benutzungsgebühren. Die von der Stadt Telgte und dem Beklagten mit Schreiben vom 24. April 2012 erklärte Kündigung der Vereinbarungen sei mangels Kündigungsgrundes unwirksam. Bereits im Jahr 2003 habe die Stadt Telgte eine Gebührenveranlagung des Landes für das abgeleitete Niederschlagswasser erwogen, sei also nicht vor einem „gebührenfreien Raum“ ausgegangen. Daher sei die Geschäftsgrundlage durch die spätere Einführung des Gebührentatbestands für Niederschlagswasser weder weggefallen noch die Vereinbarung unwirksam geworden. Vielmehr sei die vereinbarte Gebührenfreiheit gegen Kostenbeteiligung nach den Grundsätzen der ODR sachgerecht und mit Bundesrecht vereinbar. Die Kostenbeteiligung sei auch nicht aufgezehrt. Zudem erlange das klagende Land durch die Abwasserbeseitigung keinen Sondervorteil. Vielmehr profitiere davon der Beklagte bzw. die Stadt Telgte. Daher liege ein Grund für einen Gebührenerlass nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a) KAG NRW i.V.m. § 227 AO vor. Außerdem sei durch die zuletzt im Dezember 2003 geschlossenen Vereinbarung die Sonderbaulast Straßenentwässerung vom klagenden Land auf die Stadt Telgte übertragen worden.
9Mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 setzte der Beklagte für das Jahr 2008 gegenüber dem klagenden Land für die streitigen Flächen Niederschlagswassergebühren in Höhe von 29.624,85 € fest. Die dagegen am 21. Dezember 2012 erhobene Klage 7 K 3416/12 wurde mit Beschluss vom 3. Februar 2014 ebenso mit dem Ausgangsverfahren verbunden, wie die fristgerecht erhobenen Klagen 7 K 3291/13 und 7 K 3343/13; die Klage 7 K 3291/13 betraf zwei am 31. Oktober 2013 erlassene Gebührenbescheide für das Jahr 2009 über 30.118,59 Euro bzw. für das Jahr 2013 über 30.612,34 Euro. Die Klage 7 K 3343/13 betraf zwei am 13. November 2013 erlassene Gebührenbescheide für das Jahr 2010 über 30.118,14 Euro bzw. für das Jahr 2011 über 32.586,84 Euro. Das klagende Land hat zur Begründung dieser Klagen im Wesentlichen auf die Begründung des Ausgangsverfahrens verwiesen; hinsichtlich des Jahres 2008 liege zudem eine verfassungswidrige Rückwirkung der Gebührenerhebung vor, weil die zu Grunde liegenden Gebührensatzungen erst nachfolgend erlassen worden seien und es, das klagende Land, – anders als private Grundstückseigentümer – zuvor auf die Gebührenfreiheit der Ableitung von Niederschlagswasser habe vertrauen dürfen.
10Das klagende Land beantragt,
11die Gebührenbescheide des Beklagten vom 16. August 2012, vom 19. Dezember 2012, vom 31. Oktober 2013 und vom 13. November 2013 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er ist der Auffassung, die Gebührenbescheide seien rechtmäßig. Insbesondere sei die Kündigung der – ohnehin nichtigen – Vereinbarungen zwischen den Beteiligten wirksam, da das klagende Land sich der begehrten Vertragsanpassung verweigert habe, zuletzt am 7. März 2012. Durch diese Vereinbarungen sei auch nicht die Straßenbaulast bzw. eine Sonderbaulast hinsichtlich der Entwässerung auf ihn übertragen worden. Dem stünden der Wortlaut und der Sinn und Zweck der Vereinbarungen entgegen.
15Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 16. August 2012, vom 19. Dezember 2012, vom 31. Oktober 2013 und vom 13. November 2013 sind rechtmäßig und verletzen das klagende Land nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18Der Beklagte war zum Erlass dieser Gebührenbescheide gesetzlich ermächtigt durch § 1 Abs. 1 Satz 2, §§ 2, 4, 6 und 7 KAG NRW,
19vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 9,
20hinsichtlich des Jahres 2013 in Verbindung mit § 1 Abs. 1, §§ 2, 5 bis 9 seiner Beitrags- und Gebührensatzung vom 13. Dezember 2012 und für die Jahre 2008 bis 2012 in Verbindung mit § 12 Abs. 3 der Satzung vom 7. August 2012 über die Gründung des Beklagten und mit § 1 Abs. 1, §§ 2, 3 und 5 bis 9 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt Telgte vom 1. Dezember 2009 (für 2008 bis 2010) bzw. vom 16. Dezember 2010 (für 2011) bzw. vom 15. Dezember 2011 (für 2012).
21Gemäß § 12 Abs. 3 der Satzung vom 7. August 2012 über die Gründung des Beklagten gelten diese Satzungen der Stadt Telgte fort mit der Maßgabe, dass der Beklagte an die Stelle des jeweiligen Trägers tritt. Das erkennende Gericht legt die satzungsrechtliche Befristung dieser Geltung „bis die Anstalt eigene Satzungen in diesen Angelegenheiten erlässt“ dahingehend aus, dass ein Erlöschen für die Jahre 2008 bis 2012 nicht erfolgt ist, weil der Beklagte zwar für die Jahre 2013 und 2014, aber nicht hinsichtlich der Jahre 2008 bis 2012 eine eigene Beitrags- und Gebührensatzung erlassen hat.
22Vgl. auch VG Münster, Urteil vom 8. März 2011 – 7 K 220/10 –, www.nrwe.de, Rn. 20-23.
23Dass von den in den Bescheiden zu Grunde gelegten, zu den Landesstraßen L 585, L 588 und L 811 gehörenden Flächen Niederschlagswasser in Abwasserkanäle des Beklagten eingeleitet wird, ist unstreitig. Damit ist der Tatbestand der Gebührensatzung verwirklicht, ohne dass es darauf ankäme, ob der Beklagte nach § 53 Abs. 1 LWG NRW abwasserbeseitigungspflichtig ist.
24Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 5-20 (insb. Rn. 16-18).
25Das klagende Land stellt die Größe dieser von dem Beklagten zu Grunde gelegten Flächen nicht in Frage. Mangels erheblicher Einwände des klagenden Landes hat das erkennende Gericht keine Veranlassung, den jeweiligen Gebührentarif bzw. die diesem jeweils zugrunde liegende Kalkulation einer näheren Prüfung zu unterziehen.
26Der Gebührenerhebung steht nicht entgegen, dass die Abwasseranlage des Beklagten nicht nur für die Aufnahme häuslichen Abwassers, sondern auch für die Aufnahme und Reinigung des von Teilen der Landesstraßen L 585, L 588 und L 811 stammenden Niederschlagswassers genutzt wird. Weder aus dieser Tatsache noch aus der notwendigen tatsächlichen Verbindung zwischen diesen Landesstraßen und der Abwasseranlage folgt zur Überzeugung des Gerichts, dass die Abwasseranlage keine öffentliche Einrichtung der Beklagten im Sinne des § 4 Abs. 2 KAG NRW, sondern eine sogenannte gemischte Einrichtung wäre, die nicht nur nach dem tatsächlichen Gebrauch, sondern schon von ihrer Widmung her auch der Entwässerung der Landesstraßen diente.
27Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Juli 2012 – 9 A 980/11 –, www.nrwe.de, Rn. 12-21, und vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 33-38; Urteil vom 7. September 1996 – 9 A 4145/94 –, juris, Rn. 21.
28Auch den zwischen den Beteiligten (bzw. ihren Funktionsvorgängern) geschlossenen Vereinbarungen ist nicht (mit hinreichender Deutlichkeit) zu entnehmen, dass über die vertragliche Absicherung und Teilfinanzierung der Nutzung der Abwasseranlagen der Stadt Telgte zu Gunsten des von Teilen der Landesstraßen abgeleiteten Niederschlagswassers hinaus diese im Sinne einer gemischten Nutzung (um-)gewidmet worden wären. Gegen eine Widmung als gemischte Anlage spricht, dass die Stadt Telgte auf S. 1 der Vereinbarung vom Dezember 2003 gegenüber dem klagenden Land ihre Rechtsauffassung betont hat, sie dürfe insoweit Kanalanschlussgebühren erheben.
29Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 3. Juni 1996 – 9 A 3176/93 –, S. 13 f. UA.
30Im Übrigen erweist sich diese zwischen dem klagenden Land und der Stadt Telgte geschlossene Vereinbarung unter Zugrundelegung der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung als nichtig nach § 59 Abs. 1 VwVfG NRW i. V. m. § 134 BGB.
31Ein vertraglicher Gebührenverzicht der öffentlichen Hand ist danach außerhalb eines Vergleichsvertrags ohne Vorliegen eines gesetzlichen Erlassgrundes nichtig, wenn nicht der Abgabenschuldner eine seiner Benutzung der öffentlichen Einrichtung bzw. Zahlung der Gebühren äquivalente Leistung erbringt. Daher kann ein vertraglicher Gebührenverzicht nur für einen begrenzten, nach dem wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung bemessenen Zeitraum erfolgen. Die Wirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung erfordert neben dem Erfordernis der äquivalenten Gegenleistung, dass der Gebührenverzicht nur zeitlich befristet erfolgt, ohne dass es insoweit darauf ankäme, ob gegenwärtig die Gegenleistung des klagenden Landes die Höhe der bisher angefallenen Gebühren erreicht bzw. überschreitet.
32Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 46 f., 54, und vom 16. November 2009 – 9 A 2045/08 –, www.nrwe.de, Rn. 9 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 28. März 2012 – 5 K 1612/11 –.
33Die erforderliche zeitliche Befristung des Gebührenverzichts enthält weder diese Vereinbarung noch hinsichtlich der abgerechneten Flächen einschlägige, in der Kündigungserklärung vom 24. April 2012 genannte andere Vereinbarungen. Vielmehr regeln die Ziff. 2. und 3. der Vereinbarung vom Dezember 2003 gerade einen zeitlich unbegrenzten Gebührenverzicht der Stadt Telgte (und die Ziff. 4 die Gegenstandslosigkeit abweichender früherer Vereinbarungen).
34Die Kostenbeteiligung des klagenden Landes entsprechend den Grundsätzen nach Nr. 14 ODR bei künftigen Erneuerungen der genutzten Kanäle bzw. Nutzung weiterer Kanäle oder im Falle zusätzlicher Aufwendungen wegen neuer gesetzlicher Vorschriften bzw. technischer Erkenntnisse (Ziff. 2.1-2.3 der Vereinbarung) führt nicht zu einer hinreichenden zeitlichen Begrenzung. Ziff. 2.2 und 2.3 betreffen nur den Fall möglicher künftiger zusätzlicher Aufwendungen des Stadt Telgte. Ziff. 2.1 stellt zwar für den Fall einer Grunderneuerung eine Kostenbeteiligung des klagenden Landes in Aussicht. Eine hinreichend bestimmte Befristung des Gebührenverzichts ist mit der dadurch indirekt in Bezug genommenen „Lebensdauer“ der jeweiligen Kanäle nicht erfolgt. Darüber hinaus erscheint angesichts der typischen Nutzungsdauer solcher Kanäle von ca. 50 Jahren fraglich, ob die erfolgten Einmalzahlungen nach Nr. 14 ODR eine dem Gebührenverzicht adäquate Gegenleistung darstellen.
35Vgl. auch OVG Thüringen, Beschluss vom 18. November 2008 – 4 EO 129/06 –, juris, Rn. 10.
36Das OVG NRW hat bereits darauf hingewiesen, dass angesichts der ungewissen künftigen Kosten- und Gebührenentwicklung die für die Wirksamkeit des vertraglichen Gebührenverzichts nötige Adäquanz zwischen Leistung und Gegenleistung nicht festzustellen ist.
37Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 54 f.
38Der Beklagte musste auch nicht vor Erlass der Gebührenbescheide gegenüber dem beklagten Land die Anpassung der Vereinbarungen an veränderte Verhältnisse verlangen. Die Stadt Telgte bzw. der Beklagte haben in ihrem Kündigungsschreiben nachvollziehbar dargelegt, dass insoweit lediglich eine zeitliche Befristung der gebührenfreien Übernahme des Niederschlagswassers vorstellbar sei, das klagende Land eine solche Vertragsanpassung aber verweigert habe. Dem ist das klagende Land inhaltlich nicht entgegen getreten.
39Die – nichtigen – Vereinbarungen haben auch nicht die Straßenbaulast oder eine Sonderbaulast hinsichtlich der Entwässerung der betroffenen Teile der Landesstraßen von dem klagenden Land (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 StrWG NRW) auf die Stadt Telgte übertragen. Eine solche Baulastübertragung im Sinne des § 45 Abs. 1 StrWG NRW ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Vereinbarungen. Ausweislich ihrer Überschrift handelt es sich um eine Vereinbarung „zur Regelung der Kostenbeteiligung wegen Inanspruchnahme von Kanalisationsanlagen der Stadt Telgte“. Eine (Teil-) Übertragung der Baulast ergibt sich daraus nicht. Im Gegenteil ist das auf S. 1 genannten Ziel der Vereinbarung nur die Regelung der Mitbenutzung von Kanalanlagen der Stadt Telgte durch die Straßenbaulastträger der Bundes- und Landesstraßen. Auch nach Ziff. 3 der Vereinbarung bleiben die Straßenbaulasten des Bundes bzw. des Landes gerade unberührt.
40Daher scheidet auch eine entsprechende Umdeutung der Vereinbarungen nach § 62 Satz 2 VwVfG NRW i.V.m. § 140 BGB,
41vgl. auch BVerwG, Urteil vom 7. April 2005 – 2 C 5.04 –, BVerwGE 123, 175 = juris, Rn. 43; Beschluss vom 3. Mai 1989 – 8 B 44.89 –, juris, Rn. 5; Palandt, BGB, 69. Aufl., § 140 Rn. 8,
42mangels entsprechendem (mutmaßlichen) Willen beider Vertragspartner aus.
43Aus dem Beschluss des OVG Thüringen vom 11. Juni 2009 – 4 EO 109/06 – folgt nichts anderes. Soweit dort (juris, Rn. 31) eine Übertragung der Teilbaulast Straßenentwässerung angenommen wurde, lag dem nicht nur eine andere vertragliche Vereinbarung zu Grunde, sondern mit dem Gebührenausschluss nach § 23 Abs. 5 des Thüringer Straßengesetzes ein abweichendes landesgesetzliches Regelungs- bzw. Finanzierungsmodell, vor dessen Hintergrund die Annahme einer vertraglichen Baulastübertragung deutlich näher liegt als im Rahmen des § 6 KAG NRW und des StrWG NRW.
44Dass § 23 Abs. 5 des Thüringer Straßengesetzes,
45vgl. dazu OVG Thüringen, Beschlüsse vom 18. November 2008 – 4 EO 129/06 – und vom 11. Juni 2009 – 4 EO 109/06 –,
46als in Nordrhein-Westfalen unanwendbares Landesrecht hier zu keinem anderen Ergebnis führt, ist bereits obergerichtlich entschieden.
47Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 56.
48Gründe, hiervon abzuweichen, sind weder aufgezeigt noch ersichtlich. Vielmehr hat das OVG Thüringen in seinem Beschluss vom 18. November 2008 selbst ausgeführt, dass ohne diese landesspezifische Regelung die kommunalen Einrichtungsträger den Träger der Straßenbaulast an der Finanzierung der Entwässerungsanlagen beteiligen könnten (juris, Rn. 7).
49Die Gebührenerhebung ist auch nicht unbillig im Sinne der § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a) KAG NRW, § 227 AO. Danach können Ansprüche aus dem Steuer- bzw. Gebührenschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Rechtsauffassung des klagenden Landes, es habe aus der Niederschlagswasserbeseitigung keinen eine Gebührenerhebung rechtfertigenden Sondervorteil, steht der Erhebung von Niederschlagswassergebühren nicht entgegen.
50Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1997 – 8 B 246.96, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 9 A 1290/12 –, www.nrwe.de, Rn. 29-31.
51Der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, wie er auch in § 242 BGB widergegeben ist, führt ebenso wenig zur Rechtswidrigkeit der Gebührenbescheide. Selbst wenn das Land auf Grund der Unwirksamkeit der Vereinbarungen gegenüber dem Beklagten einen Rückgewähr-/Rückzahlungsanspruch haben sollte, der in seiner Höhe die Gebührenansprüche des Beklagten übersteigt, berührt dies höchstens die Frage der Durchsetzbarkeit der Zahlungspflicht des Landes aus den angefochtenen Bescheiden, nicht aber die Rechtmäßigkeit des Erlasses der die Gebührenforderungen enthaltenden Bescheide.
52Aus dem entscheidungserheblich auf abweichendem, hier unanwendbarem niedersächsischem Landesrecht beruhenden Urteil des OVG Niedersachsen vom 6. April 1993 – 12 L 141/90 – folgt nichts Anderes.
53Schließlich liegt hinsichtlich der Gebührenerhebung für das Jahr 2008 auch keine verfassungswidrige Rückwirkung vor.
54Zwar wirkt insoweit die erst am 1. Dezember 2009 beschlossenen Gebührensatzung der Stadt Telgte zurück. Diese zeitliche Rückwirkung begegnet jedoch keinen (verfassungs-)rechtlichen Bedenken. Solche bestehen, wenn der Normadressat über ein berechtigtes Vertrauen der fehlenden Inanspruchnahme verfügte bzw. auf Grund eines solchen Vertrauens Dispositionen getroffen hat. Dies ist nicht der Fall, wenn mit einer rückwirkenden Rechtsänderung gerechnet werden musste.
55Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08 –, juris, Rn. 64 f.; BVerwG, Urteil vom 15. April 1983 – 8 C 170.81 –, BVerwGE 67, 129 = juris, Rn. 25. s. auch OVG Saarland, Teilurteil vom 5. September 2007 – 1 A 43/07 –, juris, Rn. 43.
56In der Rechtsprechung des OVG NRW und der Kammer ist geklärt, dass nach Ergehen des Urteils des OVG NRW vom 18. Dezember 2007 – 9 A 3648/04 – rückwirkend, auch während eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, belastende Gebührensatzungen und Gebührenbescheide erlassen werden durften, die statt einer einheitlichen Berechnung von Schmutz- und Niederschlagswasser diese jeweils gesondert berechnen und erheben. Hierin liegt trotz belastender Rückwirkung von Rechtsfolgen keine unzulässige Rückwirkung, weil sich bei den Bürgern kein Vertrauen auf einen Fortbestand der bisherigen Rechtslage bilden konnte.
57Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Juli 2009 – 9 E 767/09 – und vom 25. Januar 2010 – 9 B 33/10 –, jeweils www.nrwe.de; Kammer, Urteil vom 13. Dezember 2010 ‑ 7 K 1129/09 –; s. auch BVerfG, Beschluss vom 3. September 2009 – 1 BvR 2384/08 –, www.bverfg.de, Rn. 19-23; BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 9 B 7.06 –, juris, Rn. 15 ff.; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 355.
58Dass die Stadt Telgte gegenüber den Straßenbaulastträgern einschließlich des klagenden Landes für die streitigen Straßenflächen vor dem Jahr 2008 keine Abwassergebühren erhob, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auf Grund des Urteils des OVG NRW vom 18. Dezember 2007 – 9 A 3648/04 – musste das klagende Land im Jahr 2008 damit rechnen, für die Ableitung von Niederschlagswasser von Landesstraßen in gemeindliche Kanalisationen für den Zeitraum ab dem Jahr 2008 (erstmals) Abwassergebühren in Form der Niederschlagswassergebühr entrichten zu müssen, ggf. auch im Rahmen einer rückwirkenden Inkraftsetzung einer Gebührensatzung auf den 1. Januar 2008. Der Erlass entsprechender (rückwirkender) Satzungsregelungen, die nach Schmutzwasser und Niederschlagswasser differenzieren und hinsichtlich letzterem auch Landesstraßen einbeziehen, war aufgrund des obergerichtlich festgestellten Verstoßes des zuvor verbreiteten einheitlichen Frischwassermaßstabs gegen § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW absehbar. Dass die Stadt Telgte zu dieser Gebührenerhebung rechtlich nicht verpflichtet war, steht dem nicht entgegen.
59Dies gilt im konkreten Fall umso mehr, als das klagende Land in seiner Klagebegründung vorgetragen hat, bereits im Jahr 2003 habe die Stadt Telgte eine Gebührenveranlagung des Landes für das abgeleitete Niederschlagswasser erwogen, sei also nicht vor einem „gebührenfreien Raum“ ausgegangen. Daraus erschließt sich nicht, weshalb das Land insoweit noch im Jahr 2008 berechtigt auf eine fortdauernde Gebührenfreiheit vertrauen durfte.
60Ein solch berechtigtes Vertrauen folgt auch nicht aus den zuletzt im Jahr 2003 geschlossenen Vereinbarungen. Dass Land konnte auf deren Wirksamkeit nicht (mehr) vertrauen angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits aus den 1970er Jahren zu den engen Voraussetzungen des vertraglichen Gebührenverzichts.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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Der Betroffene, der im gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zurücknimmt, schuldet die entstandenen Kosten.
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergibt.
(2) Ein Vertrag im Sinne des § 54 Satz 2 ist ferner nichtig, wenn
- 1.
ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre; - 2.
ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers im Sinne des § 46 rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war; - 3.
die Voraussetzungen zum Abschluss eines Vergleichsvertrags nicht vorlagen und ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers im Sinne des § 46 rechtswidrig wäre; - 4.
sich die Behörde eine nach § 56 unzulässige Gegenleistung versprechen lässt.
(3) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Vertrags, so ist er im Ganzen nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre.
Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
Soweit sich aus den §§ 54 bis 61 nichts Abweichendes ergibt, gelten die übrigen Vorschriften dieses Gesetzes. Ergänzend gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend.
Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.