Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Ausweisung aus dem Bundesgebiet, das durch den Nachweis der Straf-, Alkohol- und Drogenfreiheit bedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot in Höhe von zuletzt sieben Jahren und das unbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot in Höhe von zuletzt acht Jahren sowie die Abschiebungsandrohung in die Schweizerische... (im Folgenden: Schweiz).

Der am … 1966 geborene Kläger, ein schweizerischer Staatsbürger, lebte bis zum Jahr 1987 in der Schweiz. Danach hielt er sich zuerst in Los Angeles, dann in Mexiko und schließlich in Guatemala auf, wo er einen Handel mit Lederwaren und Textilien betrieb. Dabei lernte er die deutsche Staatsangehörige Isabel M. kennen.

Am … Oktober 1995 brachte Isabel M. die gemeinsame Tochter Gianna M. (im Folgenden: Tochter des Klägers) zur Welt. Am … Januar 1996 kehrte Isabel M. mit der Tochter des Klägers wieder in das Bundesgebiet zurück.

Im Jahr 1997 wurde der Kläger in Guatemala zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt, da in einem seiner Container 13 Kilogramm Kokain gefunden worden waren, und verbüßte sechs Jahre dieser Freiheitsstrafe in einem Gefängnis in Guatemala City. Der Kläger kam frei, nachdem er das strafgerichtliche Urteil - nach Einlegung mehrerer Rechtsmittel - akzeptiert hatte.

Am … Januar 2004 reiste der Kläger in das Bundesgebiet ein und lebte bis zum 1. Januar 2009 zusammen mit Isabel M. und der Tochter in … Am 1. Oktober 2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die ihm befristet bis zum 7. Oktober 2009 erteilt wurde. Ebenfalls zum 1. Oktober 2004 meldete der Kläger in … ein Gewerbe im Groß- und Einzelhandel an. Am 15. Oktober 2009 erhielt der Kläger auf seinen Antrag vom selben Tag hin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Im Zeitraum zwischen 2010 und 2011 trennten sich der Kläger und Isabel M.

Am … März 2013 trat der Kläger aufgrund Haftbefehls die Untersuchungshaft wegen des Verdachts des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln an.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Dezember 2014 sprach das Landgericht … den Kläger in neun tatmehrheitlichen Fällen des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit zwanzig tatmehrheitlichen Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30a Abs. 1, 3 Abs. 1 BtMG und §§ 53, 25 Abs. 2 StGB für schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren. Dazu ordnete es nach einem Vorwegvollzug von drei Jahren gemäß § 64 StGB die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an. Des Weiteren ordnete es einen Wertersatzverfall in Höhe von 600.000 EUR an.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts M … im Zeitraum von 2006 bis 2013 Handel mit circa 250 Kilogramm Cannabis betrieben hatte. Speziell zu dem Alkohol- und Drogenkonsum des Klägers traf das Landgericht M … folgende Feststellungen: Der Kläger konsumierte ab dem Alter von zwanzig Jahren jeden Tag vier bis sechs halbe Bier und zusätzlich Rum, manchmal auch schon morgens. Ab dem Alter von siebenundzwanzig Jahren konsumierte er täglich sechs halbe Bier und - im Mittel - eine halbe Flasche Wodka. Während der Zeit im Gefängnis in Guatemala von 1997 bis 2003 trank der Kläger regelmäßig Fuselschnaps. Nach seiner Entlassung im Jahr 2003 trank er vier halbe Bier am Tag, manchmal auch sechs. Morgendlichem Zittern wirkte er mit einem Bier entgegen. Nach den Feststellungen des Landgerichts M … konsumierte der Kläger zudem ab dem Alter von sechszehn bis siebzehn Jahren gelegentlich Marihuana. Ab dem Alter von einundzwanzig Jahren konsumierte er zwei Jahre lang jeden Abend regelmäßig ein bis zwei Joints. Danach steigerte er den Konsum auf fünf bis sieben Joints täglich. Mit fünfundzwanzig beziehungsweise sechsundzwanzig Jahren schnupfte der Kläger auch gelegentlich Kokain. Ab dem Alter von siebenundzwanzig Jahren schnupfte er drei- bis viermal die Woche Kokain. Diesen Marihuana- und Kokainkonsum behielt er über die Jahre hinweg bei, auch während seiner Inhaftierung in Guatemala, wo er ihn sogar noch steigerte. Gelegentlich konsumierte er dazu auch LSD, Opium und Ecstasy. Dazu verwendete er regelmäßig Diazepam als „Downer“. Im Bundesgebiet konsumierte er als „Downer“ Zolpidem. Von 2006 bis zu seiner Inhaftierung konsumierte der Kläger weiterhin, wie beschrieben, Kokain, Cannabis und dazu Alkohol. Dies war ihm möglich, da er keine geregelten Arbeitszeiten hatte und morgens immer ausschlafen konnte. Lediglich tageweise legte er Konsumpausen ein, um beruflichen und privaten Anforderungen gerecht zu werden und Drogenlieferungen zu organisieren, was ihm auch durchwegs gelang. Der Kläger legte sein Leben gezielt so aus, dass er immer Drogen konsumieren konnte. Das angemeldete Gewerbe diente nur als Fassade zur Verschleierung des Drogenhandels. Bei dem Kläger bestand nach den Feststellungen des Landgerichts M … ein Hang, Alkohol und andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Das Landgericht M … wertete ganz erheblich zu Lasten des Klägers die jeweils sehr große beziehungsweise enorm große Menge an Cannabis (das 55,2-fache beziehungsweise das 1212,66-fache der nicht geringen Menge von 7,5 g reines THC). Das Landgericht m … ordnete die Unterbringung des Klägers in der Entziehungsanstalt trotz der von dem damaligen Sachverständigen festgestellten mangelnden Einsichtsfähigkeit, der passivaggressiven Grundhaltung, der verminderten Frustrationstoleranz und des sekundären Krankheitsgewinns des Klägers an, da es die für die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Therapie vorausgesetzten minimalen Fähigkeiten des Klägers bejahte.

Der Kläger setzte im Anschluss an das vorgenannte Urteil die Haft als Vollstreckungshaft fort.

Am … März 2016 wurde der Kläger in den Maßregelvollzug im …Klinikum zur Therapie untergebracht.

Mit Bescheid vom 20. April 2016 traf die Beklagte - nach Gelegenheit zur Stellungnahme - folgende Regelungen:

„1. Sie werden aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.

2. Unter der Bedingung, dass Straf-, Alkohol- und Drogenfreiheit nachgewiesen werden, befristen wir das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf neun Jahre. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Wird diese Bedingung nicht erfüllt, beträgt die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot zehn Jahre ab Ausreise.

3. Sie werden nach erfülltem Strafanspruch des Staates und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus der Haft bzw. Unterbringung in die Schweiz abgeschoben. Sollten Sie aus der Haft bzw. Unterbringung entlassen werden, bevor Ihre Abschiebung durchgeführt werden kann, sind Sie verpflichtet, das Bundesgebiet bis spätestens vier Wochen nach Entlassung aus der Haft bzw. Unterbringung zu verlassen. Sollten Sie nicht fristgerecht ausreisen, werden Sie in die Schweiz abgeschoben. Die Abschiebung kann auch in einen anderen Staat erfolgen, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Rückübernahme verpflichtet ist.“

Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen Folgendes an: Der weitere Verbleib des Klägers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Sicherheit gemäß § 53 AufenthG. Der Kläger verfüge zwar über ein besonders schweres Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfüge, die einer Niederlassungserlaubnis gleichzusetzen sei, und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Ein weiteres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG scheide jedoch aus, da er ab dem 1. Januar 2009 nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft mit der inzwischen volljährigen deutschen Tochter lebe. Allerdings verwirkliche der Kläger aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht M … vom 12. Dezember 2014 auch ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Bei der Abwägung aller Interessen überwiege das Ausweisungsinteresse (wird ausgeführt).

Mit Telefax vom 19. Mai 2016 erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage mit dem Antrag,

den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 aufzuheben.

Eine Begründung wurde angekündigt.

Mit Schreiben vom 9. August 2016 beantragte der Kläger zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Ab dem 2. Februar 2017 befand sich der Kläger in einer Station der Lockerungsstufe B mit der Möglichkeit zu unbegleiteten Geländeausgängen. Am 26. Juli 2017 wurde er auf eine Station der Lockerungsstufe C verlegt und begann, in einem Garten- und Landschaftsbaubetrieb in I … zu arbeiten, wobei er in den Monaten Januar und Februar 2018 von der Arbeit entbunden war.

Am 2. Februar 2018 erstattete der beauftragte Sachverständige dem Landgericht M … ein nervenärztliches Gutachten über den Kläger (im Folgenden: Gutachten vom 2. Februar 2018). Dabei führte der beauftragte Sachverständige in der Zusammenfassung Folgendes aus: Die statischen Gruppenvariablen für die Beurteilung des Falls des Klägers seien als für ihn ungünstig, die individuellen Entwicklungsvariablen dagegen als etwas günstiger einzuschätzen. Die langjährige Abhängigkeit habe durch geeignete therapeutische Maßnahmen des …Klinikums so weit abgemildert werden können, dass mit weiteren einschlägigen Straftaten bei Suchtmittelkarenz nicht zu rechnen sei. Eine bedingte Entlassung aus dem Maßregelvollzug könne nach Fortschritten in der Bewährung in der Lockerungsstufe D in den nächsten Wochen erfolgen, wobei eine ambulante Betreuung durch die forensische Ambulanz des …Klinikums oder eine gleichwertige Institution dringend erforderlich erscheine. Wegen der lang andauernden schweren Suchtmittelabhängigkeit und der dadurch gegebenen Gefahr für die Öffentlichkeit durch aus der Sucht erwachsende Delinquenz sollten geeignete kontrollierende therapeutische Maßnahmen über den gesamten gesetzlich vorgesehenen Zeitraum aufrechterhalten werden. Der Sachverständige schlug sodann sechs Weisungen und Maßnahmen vor. Unter Ziffer 2) der Vorschläge heißt es: „Das Alkohol-Screening soll helfen, eine nicht gänzlich unwahrscheinliche Suchtverlagerung zu Alkohol frühzeitig zu entdecken.“

Ab dem 26. Februar 2018 übte sich der Kläger im Probewohnen bei seiner Lebensgefährtin Yvonne H. (im Folgenden: Lebensgefährtin).

Am 27. März 2018 nahm das …Klinikum zu dem Gutachten des Sachverständigen vom 2. Februar 2018 Stellung (im Folgenden: Stellungnahme vom 27. März 2018). Darin heißt es unter anderem: In den psychologischen Einzelgesprächen habe sich der Kläger krankheitseinsichtig und abstinenzmotiviert gezeigt. Es bestünde Einsicht in die kriminellen Handlungsweisen. Insbesondere habe er sich Rückfallpräventionsstrategien erarbeitet. Er habe sich nicht problematisch verhalten und auch Lockerungen nicht missbraucht, sämtliche Drogenscreenings und Alkoholkontrollen seien im Ergebnis negativ gewesen. Er werde nach der Entlassung bei seiner langjährigen Lebensgefährtin in h …, in der Nähe von m …, wohnen. Der Arbeitsplatz in der Landschaftsgärtnerei bleibe erhalten und werde vom Wohnort aus fortgeführt. Die Nachsorge werde über die forensische Ambulanz … … … durchgeführt. Das …Klinikum schloss sich der prognostischen Einschätzung des Gutachtens des Sachverständigen vom 2. Februar 2018 an. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Entlassung gemäß § 67d Abs. 2 StGB lägen vor. Es erscheine allerdings erforderlich, dem Kläger folgende Bewährungsauflagen aufzugeben. Erstens das Verbot des missbräuchlichen Konsums von Betäubungsmitteln (keine synthetischen Cannabinoide, keine als Ersatz geeigneten Medikamente wie zum Beispiel Benzodiazepine und Pregabalin), zweitens das Gebot, sich spätestens eine Woche nach der Entlassung regelmäßig in ambulante suchtherapeutische Behandlung bei der forensischen Ambulanz der Klinik für forensische Psychiatrie des …Klinikums zu begeben, drittens das Gebot, sich Haar-, Blut- und Urinanalysen zu unterziehen und viertens das Gebot, einen eventuellen Drogenkonsum sofort dem Bewährungshelfer und der forensischen Ambulanz der Klinik für forensische Psychiatrie des …Klinikums anzuzeigen. Auf die in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 angedachte Weisung, „Alkohol nicht im Übermaß zu trinken“, solle verzichtet werden, da sie nicht hinreichend quantifiziert sei und eine solche aus der Gefährlichkeitsprognose ableitbare Weisung nicht begründbar sei.

Mit Beschluss vom 4. April 2018 setzte das Landgericht m … die angeordnete Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt ab dem 18. April 2018 für eine Bewährungszeit von fünf Jahren samt Führungsaufsicht von ebenfalls fünf Jahren zur Bewährung aus. Dazu traf das Landgericht M … fünf strafbewehrte Weisungen gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB und § 145a StGB sowie fünf nicht strafbewehrten Weisungen gemäß § 68b Abs. 2 StGB. Zur Begründung wurde Folgendes angeführt: Nach dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und der Stellungnahme vom 27. März 2018 sei der Unterbringungszweck erreicht. Der Kläger habe sich im Maßregelvollzug mit seiner Delinquenz und seiner Suchterkrankung kritisch auseinandergesetzt und zeige sich abstinenzmotiviert. Ein geeigneter sozialer Empfangsraum mit Wohnung und Arbeitsplatz sei vorhanden. Das Gericht schließe sich der ärztlichen Stellungnahme an. Aufgrund der Weisungen könne nunmehr gemäß § 67d Abs. 2 StGB erwartet werden, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Im Hinblick auf die günstige Sozialprognose könne auch der Strafrest der noch nicht verbüßten Freiheitsstrafe ausgesetzt werden.

Mit Telefax vom 10. April 2018 legte die Beklagte dem Verwaltungsgericht den Beschluss des Landgerichts M … vom 4. April 2018, das Gutachten vom 2. Februar 2018 sowie die Stellungnahme vom 27. März 2018 vor.

Laut Gesprächsvermerk der Beklagten ebenfalls vom 10. April 2018 hatte der Kläger nach seiner Entlassung inzwischen ein Catering-Gewerbe (ohne Zulässigkeitsprüfung) angemeldet.

Am 11. April 2018 erstattete die Justizvollzugsanstalt S … den Führungsbericht. Danach habe der Kläger, der disziplinarisch nicht in Erscheinung getreten sei, keinerlei Besuch empfangen, jedoch zweimal telefoniert. Mit seinen Angehörigen in der Schweiz habe er in regem Briefverkehr gestanden. Die Suchtmittelproblematik habe im Strafvollzug nicht bearbeitet werden können.

Mit Beschluss vom 24. April 2018 bewilligte das Verwaltungsgericht dem Kläger - unter Beiordnung des Bevollmächtigten - Prozesskostenhilfe.

Am 17. Mai 2018 teilte die Lebensgefährtin gegenüber der Beklagten telefonisch mit, dass sie den Kläger in der Justizvollzugsanstalt B … einmal oder zweimal, in der Justizvollzugsanstalt S … einmal, im Maßregelvollzug in der gesicherten Station einmal und dann in der …Klinik dreimal besucht habe. Im Übrigen habe man zehnmal täglich telefoniert und sich auch geschrieben.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2018 bat das Verwaltungsgericht um die Vorlage einer Reihe von Nachweisen.

Mit Telefax vom 30. Mai 2018 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger seit dem 18. April 2018 in M … wohne. Der Kläger habe im Einverständnis mit dem Wohnungsinhaber ein Untermietverhältnis mit einem italienischen Staatsangehörigen, der bis zum Ende des Jahres 2018 in Italien tätig sein werde. Ein schriftlicher Mietvertrag bestehe nicht. Die Miete betrage 300 EUR monatlich. Das monatliche Nettogehalt habe zuletzt 1.586,99 EUR betragen. Der Kläger übernachte meist zwei Nächte pro Woche bei seiner Tochter, da der Anfahrtsweg von M … nach I … sehr lang sei. Arbeitsbeginn sei bereits um 7:00 Uhr. Zwischen dem Kläger und der Lebensgefährtin bestehe seit dem Jahr 2011 eine enge Beziehung. Er verbringe seine Freizeit weitgehend mit ihr. Er beteilige sich an den gemeinsamen Lebenshaltungskosten, wolle allerdings nicht sofort mit ihr zusammenziehen, so dass er sich eine eigene Wohnung gemietet habe. Der Betrag des vom Landgericht angeordneten Wertersatzverfalls sei mittlerweile vollständig beglichen. Der Kläger habe keine privaten Schulden. Er habe allerdings eine Rechnung über Gerichtskosten erhalten, die er bislang nicht habe begleichen können. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt Leistungen des Jobcenters oder des Sozialamtes erhalten. Der Kläger plane eine teils selbständige Tätigkeit im Raum M … Er habe inzwischen ein Gewerbe zur Erbringung von Hausmeistertätigkeiten angemeldet. Beigefügt waren - unter anderem - Lohn- und Gehaltsabrechnungen, eine Bestätigung des Garten- und Landschaftsbaubetriebs vom 25. Mai 2018, der Arbeitsvertrag vom 19. Juli 2017 sowie eine Gewerbeanmeldung für Hausmeisterdienstleistungen.

Mit Telefax ebenfalls vom 30. Mai 2018 teilte das …Klinikum mit, dass die Tochter des Klägers diesem am 26. Mai 2017 und die Lebensgefährtin ihm am 14. Mai 2017 einen Besuch abgestattet hatten.

Mit E-Mail vom 6. Juni 2018 erwiderte die Beklagte auf die Klage und beantragte,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hielt das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz sowie - auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Ziebell (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - C-371/08 (Ziebell) - juris Rn. 74) zu dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei (vgl. Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (64/733/EWG), ABl. 217, v. 29.12.1964, S. 3687/64) - die Richtlinie 2003/109 für einschlägig. Gleichzeitig stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz nicht dynamisch auszulegen sei (wird ausgeführt). Das Aufenthaltsgesetz, nicht das Freizügigkeitsgesetz/EU sei anwendbar. Die Ausweisungsvoraussetzungen, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 gelten würden beziehungsweise die weiterhin auf der ersten Stufe des Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Richtlinie 2004/38 gelten würden beziehungsweise aufgrund der Richtlinie 2003/109 gelten würden beziehungsweise für assoziierte türkische Staatsbürger gelten würden, seien erfüllt. Insbesondere sei ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt (wird ausgeführt). Es bestehe nach wie vor die konkrete Gefahr weiterer schwerer Straftaten. Der Kläger habe sich nur kurz außerhalb des Maßregelvollzugs bewährt. Die stabilisierenden Wirkungen der Lebensgefährtin und der Tochter, die den Kläger nur selten besucht und mit ihm telefoniert hätten, seien zweifelhaft. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig (wird ausgeführt). Die Beklagte erklärte sich bereit, dem Kläger, insofern der ständigen Verwaltungspraxis folgend, Betretenserlaubnisse zu dem Besuch der Tochter und der Lebensgefährtin zu erteilen.

Am 7. Juni 2018 fand die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht statt. Dabei reduzierte die Beklagte das bedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre, wobei sie die entsprechende Nachweisfrist anpasste, und das unbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf acht Jahre. Der Bevollmächtigte des Klägers stellte daraufhin den Antrag aus der Klageschrift mit der Maßgabe, dass sich dieser auf den Bescheid vom 20. April 2016 in der Fassung der mündlichen Verhandlung bezieht. Die Beklagte wiederholte den Antrag auf Klageabweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die übersandten Behördenakten sowie die beigezogenen Strafakten (385 VRs 130750/11) verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 in der Fassung vom 7. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO in seinen Rechten.

a) Die in Ziffer 1. des angegriffenen Bescheides angeordnete Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig.

aa) Die Beklagte hat das Gebot, das Bundesgebiet zu verlassen, zutreffend auf §§ 53 ff. AufenthG gestützt, die im Einklang mit den Gewährleistungen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen ... andererseits vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit (vgl. Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen ... andererseits über die Freizügigkeit - Schlussakte - Gemeinsame Erklärungen - Mitteilung über das Inkrafttreten der sieben Abkommen mit der Schweizerischen ... in den Bereichen Freizügigkeit, Luftverkehr, Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, öffentliches Beschaffungswesen, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen und Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ABl. Nr. L 114 v. 30.4.2002, S. 6 ff., in Kraft getreten am 30.6.2002, im Folgenden: Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz) stehen beziehungsweise in diesem Sinne konform auszulegen sind.

Im Verhältnis zwischen der Schweiz und deren Staatsangehörigen einerseits und der Europäischen Union sowie deren Mitgliedstaaten und deren Staatsangehörigen andererseits gilt nicht die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (vgl. ABl. 2004, L 158, S. 77 ff., im Folgenden: Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Auch die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (vgl. ABl. 2004, L 16, S. 44 ff., im Folgenden: Richtlinie 2003/109/EG) findet keine Anwendung. Gegenüber schweizerischen Staatsbürgern gilt im Bundesgebiet das Aufenthaltsgesetz entsprechend den Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz (vgl. Breitenmoser, Migrationssteuerung im Mehrebenensystem, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 76, 2017, S. 17; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, FreizügG/EU, § 12 Rn. 12; Hofmann, Ausländerrecht, FreizügG/EU, § 12 Rn. 4).

(1) Dafür spricht zunächst die Auslegung anhand des Wortlauts des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz. Weder in der Präambel noch in dem verfügenden Eingangsteil („I. Grundbestimmungen“) noch in dem einschlägigen Anhang I noch in den übrigen Anhängen und Protokollen wird auf die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (oder die Richtlinie 2003/109/EG) Bezug genommen. Dazu enthält das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz keinen Erwägungsgrund und auch keine Norm, die allgemein eine dynamische Auslegung oder eine implizite Verweistechnik nahelegen, geschweige denn gebieten würde. Im Gegenteil haben die Vertragsparteien nach Art. 16 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz allein die Pflicht, „den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird“, zu einem effet utile zu verhelfen. Insofern wird für die von dem Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz erfassten Bereiche nach schweizerischer höchstgerichtlicher Rechtsprechung eine „parallele Rechtslage“ verwirklicht (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, BGE, 136 II 121, Rn. 3.4). Art. 16 Abs. 2 Satz 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz friert die zu berücksichtigende Rechtsprechung auf den status quo ante der Unterzeichnung am 21. Juni 1999 („die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt“) ein (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, BGE, 139 II 121, Rn. 5.3: „la jurisprudence y relative de la Cour de Justice rendue avant la signature de l'accord le 21 juin 1999). Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz lediglich unterrichtet. Dass der Gemischte Ausschuss mittlerweile die Wirkungen der (späteren) Rechtsprechung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 3 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz festgestellt hätte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Art. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz umschreibt den Umfang des Aufenthaltsrechts dahingehend, dass den Staatsangehörigen das Recht garantiert wird, sich „nach Maßgabe der Kapitel II bis IV“ im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufzuhalten. Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz regelt sodann allgemein die mögliche Beschränkung dieses Aufenthaltsrechts. Danach dürfen die „aufgrund dieses Abkommens eingeräumten Rechte“ nur durch Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz nimmt - ausdrücklich im Einklang mit Art. 16 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz - auf einen enumerativen Katalog von Sekundärrechtsakten Bezug. Das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz wird daher allgemein als rein statisch aufgefasst (vgl. Epiney, Das Freizügigkeitsabkommen Schweiz - EU: Erfahrungen, Herausforderungen und Perspektiven, https://core.ac.uk/download/pdf/43668137.pdf, S. 19; Oesch, Die bilateralen Abkommen Schweiz-EU und die Übernahme von EU-Recht, http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/147749/1/Oesch_AJP_5_2017.pdf, S. 6 f.). Der Anwendungsbefehl des Art. 38 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG, wonach Bezugnahmen auf die in Art. 38 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG genannten aufgehobenen Richtlinien, darunter die in Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz erwähnte Richtlinie 64/221 als Bezugnahmen auf sie selbst gelten, kommt nicht zum Tragen, da sie nicht aus eigener Kraft anwendbar ist.

(2) Für die vorgenannte Sichtweise sprechen auch der historische Wille und die gegenwärtigen Rechtsauffassungen der Vertragsparteien des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz. Dem Inkraftteten des sektoriellen Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz am 1. Juni 2002 gingen Volksabstimmungen in der Schweiz voraus, in denen zunächst der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum und dann auch die Aufnahme von Verhandlungen für einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union abgelehnt wurden. Die Europäische Union hat die Schweiz zwar nach Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz ausdrücklich dazu aufgefordert, die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG in das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz zu überzunehmen. Die Schweiz hat jedoch im Jahr 2011 ausdrücklich darauf verzichtet, Verhandlungen zu der Übernahme der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG aufzunehmen. Die Schweiz hält die Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz bei Abwägung der beiderseitigen Vor- und Nachteile für ausreichend (vgl. Schweiz, Bundesrat, Presseerklärung v. 14.6.2011: „genügend“). Der Gemeinsame Ausschuss hat danach noch mehrfach getagt, ohne diesbezüglich einen anderen Standpunkt einzunehmen. Beide Vertragsparteien nehmen daher derzeit offenkundig in Kauf, dass das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz hinter die Gewährleistungen der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (und auch der Richtlinie 2003/109/EG) zurückfällt, da es diese nicht mit einschließt, und sind sich darüber einig, dass es für eine Änderung dieses Rechtszustandes zunächst Verhandlungen und dann einer förmlichen Revision des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz bedürfte.

(3) Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz anhand von Sinn und Zweck auslegt. Denn die Präambel des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz spricht als Ziel lediglich von einer „harmonischen Entwicklung ihrer Beziehungen“. Das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz steht damit unter dem Vorzeichen einer äußerst bescheidenen Zielsetzung (vgl. Art. 16 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz: „Zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens“). Die Schweiz befindet sich auch nicht auf dem Weg zu einer Mitgliedschaft der Europäischen Union (s.o.).

(4) Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz anhand von systematischen Erwägungen auslegt. Die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union sind in der Regel statischer Natur (vgl. Oesch, Die bilateralen Abkommen Schweiz-EU und die Übernahme von EU-Recht, http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/147749/1/Oesch_AJP_5_2017.pdf, S. 3). Anhaltspunkte, aufgrund derer dies bei dem Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz anders sein sollte, sind weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich. Solche ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Assoziationsabkommen mit der Türkei und dem abgeleiteten Sekundärrecht. Denn bei einem Assoziationsabkommen und einem Freizügigkeitsabkommen handelt es sich um voneinander wesensverschiedene Zweige des Unionsrechts. Die Türkei strebt eine Mitgliedschaft der Europäischen Union an. Dementsprechend sind die Beziehungen zu der Türkei von einer höheren Entwicklungsoffenheit geprägt. Die Schweiz dagegen befindet sich nicht auf dem Weg zu einer Mitgliedschaft der Europäischen Union (s.o.). Schon aus diesem Grund ist die herangeführte assoziationsrechtliche Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Ziebell (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - C-371/08 (Ziebell) - juris Rn. 75 ff.), wonach im Verhältnis zu türkischen Staatsangehörigen Art. 12 der Richtlinie 2003/109 Anwendung findet, auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine nach der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz am 21. Juni 1999 (und auch lange Zeit nach der Veröffentlichung am 30.4.2002 und nach dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz am 1.6.2002) ergangene Rechtsprechung, die gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz nicht berücksichtigungsfähig ist (s.o.). Dass der Gemischte Ausschuss die Wirkungen der Rechtsprechung gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 3 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz festgestellt hätte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Bei einer entgegengesetzten Sichtweise würde der statische Charakter des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz (s.o.) gerade umgangen.

(5) Im Ergebnis können die Stimmen, die eine weitgehende Angleichung, wenn auch nicht im Detail, zwischen dem Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz und der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG proklamieren (vgl. Kurzidem, in BeckOK AuslR, FreizügG/EU § 12 Rn. 2) beziehungsweise von einer praktischen Gleichstellung von Unionsbürgern und schweizerischen Staatsbürgern sprechen (vgl. Brinkmann in: Huber, FreizügG/EU, § 12 Rn. 7), nicht durchdringen. Abgesehen davon, dass hierbei offen bleibt, was mit „weitgehend“ und „nicht im Detail“ gemeint ist, erweist sich bei Anwendung aller Auslegungsmethoden (s.o.), dass es für diese Rechtsauffassung, die sich weder mit den Rechtsquellen auseinandersetzt noch Argumente offeriert, keine Stütze gibt. Im Übrigen steht diese Rechtsauffassung auch im Widerspruch zu der Praxis und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung des Vertragspartners Schweiz (s.o.).

bb) Zur Anwendung kommen §§ 53 ff. AufenthG, die im Einklang mit den Gewährleistungen und Anforderungen des Art. 5 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz stehen beziehungsweise in diesem Sinne konform auszulegen sind.

(1) Gemäß Art. 5 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz können die Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden. Diese Schranke wird ausgestaltet durch die in Art. 5 Abs. 2 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz in Bezug genommenen Richtlinien, namentlich Richtlinie 64/221/EWG (vgl. Richtlinie des Rats vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, ABl. 56, v. 4.4.1964, S. 850), Richtlinie 72/194/EWG (vgl. Richtlinie des Rates v. 18.5.1972 über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinie vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf die Arbeitnehmer, die von dem Recht, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbleiben können, Gebrauch machen, ABl. L 121, v. 26.5.1972, S. 32) sowie Richtlinie 75/35/EWG (vgl. Richtlinie des Rates vom 17.12.1974 zur Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinie 64/221/EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die von dem Recht, nach Beendigung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben, Gebrauch machen, ABl. L 14, v. 20.1.1975, S. 10) in Verbindung mit der hierzu bis zu der Unterzeichnung am 21. Juni 1999 ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.

Daraus ergeben sich zusammengefasst folgende Anforderungen (vgl. ebenso: Schweizerische Eidgenossenschaft, Justizsekretariat, Weisungen und Erläuterungen zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, Stand: November 2017, S. 131 ff.): Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ist nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig (vgl. Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 64/221). Die aufenthaltsbeendende Maßnahme darf nur getroffen werden, wenn das persönliche Verhalten des Täters dazu Anlass gibt und von ihm eine Gefahr ausgeht (vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 - C-348/96 (Calfa) - juris Rn. 27; vgl. Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG). Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung gegeben sein, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 - C-348/96 (Calfa) - juris Rn. 21; U.v. 27.10.1977 - C-30/77 (Bouchereau) - Rn. 35). Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu begründen (vgl. vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 - C-348/96 (Calfa) - juris Rn. 24; vgl. Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 64/221/EWG). Die aufenthaltsbeendende Maßnahme muss verhältnismäßig sein. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme darf insbesondere auch nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden (vgl. Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 64/221/EWG). Die aufenthaltsbeendende Maßnahme ist dem Betroffenen amtlich mitzuteilen (Art. 7 Satz 1 Richtlinie 64/221/EWG), wobei eine Frist anzugeben ist, binnen welcher der Betroffene das Bundesgebiet zu verlassen hat (vgl. Art. 7 Satz 2 Richtlinie 64/221/EWG). Dazu sind die Gründe für die aufenthaltsbeendende Maßnahme dem Betroffenen mitzuteilen (vgl. Art. 6 Richtlinie 64/221/EWG). Schließlich muss der Betroffene Rechtsmittel dagegen einlegen können (vgl. EuGH, U.v. 18.10.1990 - C-297/88 (Dzodzi) - juris 3. Leitsatz; vgl. Art. 8 Richtlinie 64/221/EWG).

(2) Das Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (BGBl. 1980 I, S. 116 ff., i.d.F. v. 27.12.2000, BGBl. I, S. 2042 ff., im Folgenden: AufenthG/EWG), auf welches ursprünglich nationale aufenthaltsbeende Maßnahmen gestützt wurden, die unter anderem anhand der Gewährleistungen und Anforderungen der vorgenannten alten Richtlinien in der Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu messen waren, ist zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getreten und steht damit nicht mehr zur Verfügung.

(3) Zur Anwendung kommen §§ 53 ff. AufenthG. Das Aufenthaltsgesetz stellt sicher, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, hier die Ausweisung, an ein persönliches Verhalten des Betroffenen anknüpft (vgl. § 53 Abs. 1 AufenthG u. § 54 Abs. 1 u. 2 AufenthG). Nach dem Aufenthaltsgesetz genügt auch die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um eine Ausweisung zu begründen, erforderlich ist vielmehr nach § 53 AufenthG eine Gefahrenprognose sowie eine konkretindividuelle Abwägung. Die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ist Teil dieser Prüfung. Wirtschaftliche Zwecke der aufenthaltsbeendenden Maßnahme spielen weder auf der Tatbestands- noch auf der Rechtsfolgenseite eine Rolle. Davon zu unterscheiden ist die zu prüfende wirtschaftliche Integration des Betroffenen. Der Bescheid mit der Ausweisung wird dem Betroffenen nach dem Aufenthaltsgesetz und den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen bekanntgegeben und zugestellt (vgl. Art. 41, 43 BayVwVfG, Art. 5 VZVG). Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist eine Frist für die Abschiebungsandrohung zu festzusetzen. Wie für jeden belastenden Verwaltungsakt gilt nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen eine Begründungspflicht (vgl. Art. 39 BayVwVfG). Das Aufenthaltsgesetz garantiert auch, dass der Betroffene hiergegen Rechtsbehelfe einlegen kann (vgl. § 84 AufenthG).

Dazu ist der Begriff der öffentlichen [Sicherheit und] Ordnung in §§ 53 ff. AufenthG so auszulegen, wie der entsprechende Begriff im Gemeinschaftsbeziehungsweise Unionsrecht, namentlich in der Richtlinie 64/221/EWG, der Richtlinie 72/194/EWG und der Richtlinie 75/35/EWG, ausgefüllt und in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union präzisiert worden ist (s.o.). Dies bedeutet, es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung gegeben sein, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 - C-348/96 (Calfa) - juris Rn. 21; U.v. 27.10.1977 - C-30/77 (Bouchereau) - Rn. 35).

Dafür, dass die §§ 53 ff. AufenthG, insbesondere § 53 Abs. 1 AufenthG und § 54 Abs. 1 AufenthG („besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“), insoweit offen sind für eine Auslegung im Lichte des Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz, spricht, dass es sich bei der Formulierung der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ in § 53 Abs. 1 AufenthG um einen ausfüllungsfähigen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der mit Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz niedergelegten speziellen Schranke „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit [und Gesundheit]“ nahezu wortlautidentisch ist. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, Art. 1 der Richtlinie 72/194/EWG sowie der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 75/35/EWG und damit auch Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz ziehen als Maßstab ebenfalls die Schranke „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit [und Gesundheit]“ heran. Diese wurden noch bis zur Einführung des AufenthG/EWG durch das Ausländergesetz, dem Vorgängergesetz des Aufenthaltsgesetzes, das noch einen gänzlich anderen Wortlaut hatte, umgesetzt.

Hinzuweisen ist zudem auf die schweizerische Verwaltungspraxis und die höchstgerichtliche schweizerische Rechtsprechung. Danach sind die §§ 64 ff. des schweizerischen Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (v. 16.12.2005, abrufbar unter: https://www.admin.ch, im Folgenden: AuG) für aufenthaltsbeende Maßnahmen, die anhand des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz und damit anhand der Gewährleistungen und Anforderungen der vorgenannten alten Richtlinien in der Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu messen sind, heranzuziehen, die ebenfalls den Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ verwenden (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, BGE, 139 II, 121 Rn. 5.3.;).

Im Übrigen schreibt § 53 Abs. 1 AufenthG in seiner gegenwärtigen Form auf der Tatbestandsseite eine Gefahrenprognose und eine konkretindividuelle Güterabwägung vor. Das Verwaltungsgericht nimmt bei seiner Entscheidung eine eigene Überprüfung vor und trifft eigene Feststellungen und eigene Würdigungen.

cc) Im vorliegenden Fall ist ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt.

Der Kläger erfüllt aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht M … vom 12. Dezember 2014 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. In der Sache ist zudem Folgendes festzustellen: Der Kläger hat mit sozialschädlichen Drogen Handel getrieben. Zwar handelt es sich bei Cannabis um eine sogenannte weiche Droge. Dies nimmt der Tat indes nicht ihre Gefährlichkeit, zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg in eine „Drogenkarriere“ ist (vgl. VGH BW, U.v. 15.4.2011 - 11 S 189/11 - juris Rn. 60).

Bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in Bezug auf die Beurteilung der Schwere begangener Straftaten betont, dass es sich bei dem Drogenhandel in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung um eine „Geißel“ [der Menschheit] handele (Vgl. EGMR, U.v. 19.2.1998 - 154/1996/773/974 (Dalia) -, Hudoc, Rn. 54; U.v. 30.11.1999 - 34374/97 - (Baghli), NVwZ 2000, 1401 <1402>). Von der Sucht gehen schwerwiegende Gefahren für die Allgemeinheit aus (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 - juris Rn. 26). Drogenkriminalität indiziert neben der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe die Schwere der Straftat (vgl. BVerfG, B.v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852 <853> m.w.N.; zu einem einmaligen Delikt: BVerfG, B.v. 1.3.2000 - 2 BvR 2120/99 - NVwZ 2001, 67 <68>). Gemäß Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV ist der illegale Drogenhandel als ein Bereich besonders schwerer Kriminalität zu werten. Dem Vorhergesagten entspricht auch, dass in der Schweiz Entfernungs- und Fernhaltemaßnahmen bei schwerwiegenden strafrechtlichen Verbrechen und Vergehen als zulässig angesehen werden, namentlich bei Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz (vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Justizsekretariat, Weisungen und Erläuterungen zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, Stand: November 2017, S. 131 <133>).

Der Kläger hat von 2006 bis 2013 unter Aufwendung beträchtlicher kriminelle Energie professionell und unter Einbindung verschiedener Personen im großen Stil mit Drogen gehandelt, und zwar nach den Feststellungen des Landgerichts m … in einem Umfang, der jeweils das 55,2-fache und bis zu 1212,6-fache der geringen Menge überstieg. Der Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der den Konsum und die Gefahr des Süchtigwerdens einer Vielzahl von Personen ermöglicht beziehungsweise die Sucht einer Vielzahl von Personen ausgenutzt hat, hat eine erhebliche Außenwirkung entfaltet und die Allgemeinheit gefährdet.

dd) Es besteht auch diesbezüglich eine tatsächliche und hinreichend Wiederholungsgefahr in dem vorgenannten Sinne.

(1) Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 1 C 19.11 - juris Rn. 16).

Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr von Straftaten sind unter anderem der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt, das Nachtatverhalten, gegebenenfalls der Verlauf der Haft und auch eine Therapie zu berücksichtigen. Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer und gegebenenfalls den zugrundeliegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind jedoch für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht daran gebunden. Es bedarf allerdings einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21). Vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen deshalb unterschiedlichen Regeln: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB oder § 67d Abs. 2 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko des Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Maßgeblich ist, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann. Das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 10 C 10/12 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.6.2017 - 10 ZB 17.588 - juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 20 f.). Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2016 - 10 ZB 16.1437 - juris Rn. 7; U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Strafbeziehungsweise Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10ZB 17.1469 - juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).

(2) Gemessen an diesen Maßstäben kommt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass von dem Kläger auch gegenwärtig eine solche Gefahr ausgeht.

Das Landgericht M … hat im vorliegenden Fall entschieden, den Vollzug der angeordneten Unterbringung ab dem 18. April 2018 vorzeitig zur Bewährung auszusetzen. Die indizielle Bedeutung dieser Entscheidung ist jedoch in mehrerer Hinsicht maßgeblich herabgemindert:

Das zugrunde liegende Gutachten vom 2. Februar 2018 geht nicht uneingeschränkt von einer positiven Sozialprognose des Klägers aus. Die positive Sozialprognose steht angesichts der langjährigen Suchtmittelabhängigkeit des Klägers vielmehr unter der Bedingung der Abstinenz des Klägers („bei Suchtmittelkarenz“). Die Suchtverlagerung zu Alkohol wird als „nicht gänzlich unwahrscheinlich“ eingestuft. Aus diesem Grund wird eine ambulante Weiterbetreuung des Klägers sogar als „dringend erforderlich“ angesehen. Ausdrücklich wegen der lang dauernden schweren Suchtmittelabhängigkeit und der „dadurch gegebenen Gefahr für die Öffentlichkeit“ empfiehlt das Gutachten vom 2. Februar 2018, dass über den gesamten gesetzlich vorgesehenen Zeitraum geeignete kontrollierende therapeutische Maßnahmen aufrechterhalten werden. Die Stellungnahme vom 27. März 2018, welche das Gutachten vom 2. Februar 2018 zusammenfasst und sich ihm anschließt, verzichtet zwar auf die Weisung, „Alkohol nicht im Übermaß zu trinken“, da - neben dem Problem der nicht hinreichenden Quantifizierbarkeit - eine solche aus der Gefährlichkeitsprognose ableitbare Weisung nicht begründbar sei. Mit dem Gutachten vom 2. Februar 2018 setzt sich die Stellungnahme vom 27. März 2018 allerdings insoweit nicht auseinander. Eine tragfähige Begründung für die Annahme in diesem Punkt fehlt.

Zugleich erweisen sich maßgebliche Annahmen in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und in der Stellungnahme vom 27. März 2018 sowie darauf beruhend auch in der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in Bezug auf die individuellen Variablen des Klägers, namentlich das Vorhandensein eines gut strukturierten und unterstützenden sozialen Empfangsraums in Form von Wohnung und Arbeitsplatz, als nicht tragfähig.

Zwar kann eine Beschäftigung einem Betroffenen durchaus Halt und Stabilität verleihen. Die Annahme in der Stellungnahme vom 27. März 2018, dass der Kläger seine Arbeit in dem genannten Garten- und Landschaftsbaubetrieb fortsetzen wird („wird auch zukünftig das bestehende Arbeitsverhältnis fortsetzen“ u. „bestehender Arbeitsplatz in der Landschaftsgärtnerei bleibt erhalten“) geht jedoch ins Leere. Bereits in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 kommt zum Ausdruck, dass der Kläger nicht mehr plante, in dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb weiterzuarbeiten („Zukunftspläne sind auf eine selbständige Tätigkeit im Lebensmittelgewerbe gerichtet, in dem [der Kläger] mit seiner jetzigen Partnerin im Sinne des Caterings tätig werden möchte“). Dazu hat der Kläger tatsächlich zum 17. Mai 2018 ein Gewerbe für die Erbringung von Hausmeisterdienstleistungen angemeldet. Dass der Kläger die Tätigkeit in dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb gemäß dem Arbeitsvertrag fortsetzt, ist und war auch bei lebensnaher Betrachtung unwahrscheinlich. Dies ergibt sich, wie der Kläger selbst in dem Schriftsatz vom 30. Mai 2018 vortragen ließ, aus der großen Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstätte, dem „sehr langen Anfahrtsweg von M … nach | …g“, dem frühen Arbeitsbeginn dort um 7.00 Uhr sowie aus dem Umstand, dass der Kläger dementsprechend zwei Nächte in der Woche bei der Tochter übernachten muss.

Auch von einer etwaigen selbständigen gewerblichen Tätigkeit sind kein Halt und keine Stabilität zu erwarten. Zwar schien sich der Kläger, wie in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 ausgeführt, zusammen mit der Lebensgefährtin auf das Catering-Gewerbe zu verlegen. Davon hat der Kläger indes wieder Abstand genommen. Dies ergibt sich aus der Gewerbeanmeldung für die Erbringung von Hausmeisterdienstleistungen („Hausmeisterservice“, „nur Büro, kein Kundenverkehr“) vom 17. Mai 2018, der Aussage in dem Schriftsatz vom 30. Mai 2018, der Kläger plane eine teilselbständige Tätigkeit im Raum M …, und der Aussage des Bewährungshelfers gegenüber der Beklagten vom 24. Mai 2018, der Kläger wolle sich parallel selbständig zu machen („Kleingewerbe ohne Meisterzwang“). |n der mündlichen Verhandlung schließlich hat sich der Kläger deutlich von der |dee des Catering distanziert („viel zu stressig“ und „Gefahr (…), wieder in alte Muster zurückzufallen“), die nicht von ihm, sondern von der Lebensgefährtin stamme. Dabei sprach der Kläger erneut davon, dass ihm die Arbeit im Garten und auf dem Feld gut tue. Der Tätigkeit in dem Gartenund Landschaftsbaubetrieb stehen aber die von dem Kläger selbst angeführten Nachteile und auch das widersprüchliche Verhalten des Klägers entgegen. Dazu ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass und wie eine Teilzeitbeschäftigung in Kombination mit einer Teilzeitselbständigkeit funktionieren können soll. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass der bisherige Arbeitgeber hiervon Kenntnis hat und damit einverstanden ist. Die avisierte Tätigkeit im Hausmeisterservice bleibt im Vagen und Ungefähren. Zudem ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass der Kläger Kunden für die |nanspruchnahme von derartigen Hausmeisterdienstleistungen auch nur in Aussicht hat. Eine wie auch immer geartete selbständige Hausmeistertätigkeit ohne geregelte Einsatzzeiten, regelmäßige Einsatzorte, verlässliche Kunden und Ansprechpartner sowie ohne geregeltes Einkommen böte erkennbar nicht die erforderliche Struktur für den Kläger.

Auch die Wohnverhältnisse erscheinen nicht gesichert, sondern sind nach Auffassung der Kammer als unsicher einzustufen. Die Annahme in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 („Er wird zusammen mit einer langjährigen Partnerin wohnen“) und in der Stellungnahme vom 27. März 2018 („wird nach der Entlassung bei seiner langjährigen Lebensgefährtin in H …, Nähe M … wohnen“), dass der Kläger zu seiner Lebensgefährtin ziehen werde, hat sich ebenfalls als nicht tragfähig erwiesen. Dabei kann offenbleiben, ob die Kammer der Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung Glauben schenkt, dass die …Klinik als Entlassungsadresse die Adresse des Probewohnens herangezogen hat, obwohl der Kläger im Vorhinein gesagt haben soll, dass er zur Sicherheit nicht sofort zu seiner Lebensgefährtin ziehen würde. Der Kläger wohnt im Ergebnis nicht mit der Lebensgefährtin zusammen, sondern nach eigenen Angaben derzeit zeitlich bis zum Ende des Jahres 2018 befristet zur Untermiete, ohne hierbei über einen schriftlichen Mietvertrag oder die Aussicht auf eine andere Wohnung zu verfügen.

Damit ist auch die Bedeutung der Lebensgefährtin des Klägers als Stabilität und Halt verleihende Konstante auf den Lebensfeldern „Wohnung“ und „Erwerb des Lebensunterhalts“ deutlich herabgemindert, wobei ohnehin zu berücksichtigen ist, dass deren Belastbarkeit reduziert erscheint, da sie nach eigenen Angaben gegenüber der Beklagten auf 450 EUR-Basis in vier Haushalten tätig ist und seit fünf Jahren nicht mehr im Urlaub war.

Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer fußt im Wesentlichen auf dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und der Stellungnahme vom 27. März 2018 sowie auf den dort angestellten Annahmen. Die Begründung beschränkt sich im Ergebnis auf sehr wenige kurze Sätze, in denen das Gutachten vom 2. Februar 2018 und die Stellungnahme vom 27. März 2018 zusammengefasst sowie der Gesetzeswortlaut wiedergegeben werden. Eine eigene darüber hinausgehende konkrete und individuelle Würdigung - welche den Wegfall der oben genannten Annahmen kompensieren könnte - ist der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht zu entnehmen.

Des Weiteren sind das Gutachten vom 2. Februar 2018, die Stellungnahme vom 27. März 2018 und Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auch vor dem Hintergrund der einschlägigen Normen zu betrachten. Im vorliegenden Fall war die nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB maximal zulässige Dauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt von zwei Jahren abgelaufen. Zudem ist festzustellen, dass eine Führungsaufsicht von fünf Jahren für den Kläger festgesetzt und damit die nach § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB maximal zulässige Höchstdauer voll ausschöpft wurde. Dazu hat sich der Kläger, worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, außerhalb des Strafbeziehungsweise Maßregelvollzugs bislang nicht über einen längeren Zeitraum bewährt.

Schließlich ist zusätzlich - dazu verhalten sich das Gutachten vom 2. Februar 2018, die Stellungnahme vom 27. März 2018 sowie die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht - als ein weiterer destabilisierender Faktor zu werten, dass der Kläger gegenüber der öffentlichen Hand Schulden im sechsstelligen Bereich hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass ein Jahr nach Rechtskraft des Strafurteils der Betrag in Höhe von 600.000 EUR von seinem schweizerischen Konto abgebucht worden ist. Dies ergibt bei einem - nach der von dem Bevollmächtigten des Klägers vorgelegten Rechnung vom 14. April 2016 - ursprünglich zu zahlenden Betrag in Höhe von 745.867,99 EUR eine Differenz und damit Schulden in Höhe von 145.867,99 EUR. Geht man zu Gunsten des Klägers und dem Schreiben der Staatsanwaltschaft m … vom 9. Mai 2017 von einem ursprünglich zu zahlenden Betrag in Höhe von 742.024,33 EUR aus, ergibt dies eine Differenz und damit öffentliche Schulden in Höhe von 142.024,33 EUR. Angesichts dessen und in Anbetracht des bisherigen Werdegangs sowie der geschilderten eingeübten Verhaltensmuster des Klägers, wie sie sich aus den Behördenakten der Beklagten, den beigezogenen Strafakten und den Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts ergeben, ist die Versuchung als groß einzustufen, dass der Kläger in Freiheit außerhalb des geschützten Raumes einer Unterbringung, etwa in einer krisenhaften Situation, in Momenten der Frustration, der Überforderung und damit der Destabilisation, versuchen wird, sich auf illegale Weise schnell Geld zu beschaffen. In diesem Zusammenhang ist der Vergleich zwischen dem Persönlichkeitsbild, welches das Urteil des Landgerichts m … zeichnet, und dem Persönlichkeitsbild, wie es in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und der Stellungnahme vom 27. März 2018 zum Ausdruck kommt, von Bedeutung. Zwar hat der Kläger augenscheinlich inzwischen maßgeblich bei der von dem Sachverständigen damals festgestellten mangelnden Einsichtsfähigkeit Fortschritte erzielt. Insbesondere zu Fortschritten in Bezug auf die von dem Sachverständigen damals festgestellte Frustrationstoleranz des Klägers fehlt es jedoch an tragfähigen Ausführungen.

Angesichts der vorgenannten Umstände sowie auch unter Berücksichtigung der für den Kläger sprechenden Umstände, wie sie in den Gerichts- und Behördenakten sowie nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck kommen, gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die Wiederholungsgefahr zu bejahen ist.

ee) Der Kläger verfügt über ein Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er sich seit dem 15. Oktober 2009 und damit mehr als fünf Jahre mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die einer Niederlassungserlaubnis gleichzusetzen ist, im Bundesgebiet aufhält. Auf ein Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG kann er sich nicht berufen, da die Voraussetzungen hierfür mangels der erforderlichen familiären Lebensgemeinschaft und der Ausübung eines Personensorge- oder Umgangsrechts nicht vorliegen.

ff) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellende Abwägung geht zu Lasten des Klägers aus. Die Ausweisung erweist sich unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten - nicht abschließenden - Belange und mit Blick auf die Anforderungen des Art. 6 GG, des Art. 2 GG und des Art. 8 EMRK und auch unter Berücksichtigung des Art. 5 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz als verhältnismäßig.

Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind neben einem Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG und einem Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

Für den Kläger spricht - unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK -, dass dieser am … Januar 2004 in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seither, mithin seit vierzehn Jahren, hier aufhält und ein Netzwerk an sozialen Beziehungen aufgebaut hat. Er verfügte auch über einen beachtlichen Zeitraum hinweg über einen Aufenthaltstitel. Gleichwohl ist festzustellen, dass der Kläger als siebenunddreißigjähriger und damit erwachsener Mann in das Bundesgebiet eingereist ist und seine prägende Sozialisierung nicht hier, sondern im Herkunftsland (und durch Auslandsaufenthalte in anderen Drittstaaten) erfahren hat.

Für den Kläger spricht des Weiteren - unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK - insbesondere, dass seine mittlerweile erwachsene deutsche Tochter im Bundesgebiet lebt. Die Kammer geht hierbei von einer gelebten Nähebeziehung des Klägers zu seiner erwachsenen Tochter aus. Diese Bindung genießt auch Grundrechtsschutz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich aus den Grundrechten kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass die Behörden grundrechtlich verpflichtet sind, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen den familiären Bindungen des ausgewiesenen Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, U.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - juris 1. u. 2. Leitsatz). Die Ausweisung greift in diese grundrechtlich geschützten Familienbeziehungen ein. In der grundrechtlich gebotenen Abwägung darf dem Verhältnis von Eltern zu erwachsenen Kindern regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als dem Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern, da diese nicht auf den elterlichen Beistand im Bundesgebiet angewiesen sind (vgl. BVerfG, B.v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 - juris Rn. 44). Bei Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die grundrechtlichen Schutzwirkungen daher regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes. Bindungen zwischen erwachsenen Personen genießen nicht unbedingt den Schutz nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, es sei denn, es sind zusätzliche Elemente der Abhängigkeit dargelegt, die über die gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 17.4.2003 - 52853/99 Yilmaz/Deutschland - juris Rn. 44). Hierzu hat der Kläger indes nichts vorgetragen. Derartige Elemente sind auch nicht anderweitig ersichtlich. Jedenfalls kann eine solche Bindung keinen absoluten Vorrang beanspruchen und ist als ein Element bei der Abwägung im Einzelfall zu berücksichtigen (vgl. zu den Elementen der Abwägung: EGMR, U.v. 14.6.2011 - 38058/09 - NVwZ 2012, 947 <948>).

Für den Kläger spricht des Weiteren - unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK -, dass seine nunmehr schon langjährige Lebensgefährtin im Bundesgebiet lebt. Obwohl Kontakte in Form von Telefonaten und Besuchen dieser Person während der Haft und der Unterbringung des Klägers nur spärlich dokumentiert sind und der Kläger mit ihr augenscheinlich absehbar weder zusammenziehen noch gemeinsam ein Catering-Gewerbe betreiben wird, geht die Kammer auch hier zu Gunsten des Klägers von einer gelebten Nähebeziehung aus, die als Abwägungselement in die Abwägung einfließt.

Auf der anderen Seite hat erkennbar keine Entwurzelung des Klägers im Hinblick auf die Schweiz stattgefunden. Neben den Eltern des Klägers lebt noch der Bruder des Klägers in der Schweiz, der als Chefarzt für plastische Chirurgie tätig ist. Das Verhältnis des Klägers zu seinen Eltern ist nach dem Gutachten vom 2. Februar 2018 nach wie vor gut. Dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt s … ist zudem zu entnehmen, dass der Kläger während der Haft mit seinen Angehörigen in der Schweiz in regem Briefverkehr gestanden hat. Gegenüber dem Bewährungshelfer hat der Kläger den Wunsch geäußert, seine Eltern im Alter von 82 und 84 Jahren in der Schweiz besuchen zu wollen.

Zum Nachteil des Klägers ist - unter Berücksichtigung sämtlicher hier einschlägiger grundrechtlicher Schranken, namentlich des Art. 2 Abs. 1 GG, des Art. 8 Abs. 2 EMRK und des kollidierenden Verfassungsrechts in Bezug auf Art. 6 GG - zu werten, dass der Kläger sich wirtschaftlich nicht nachhaltig in die Bundesrepublik Deutschland integriert hat. In seinem Lehrberuf des Hochbauzeichners hat der Kläger nicht gearbeitet. Der Kläger hat zwar im Bundesgebiet ein Gewerbe betrieben. Nach den Feststellungen des Landgerichts m … diente dieses indes nur als Fassade für den Drogenhandel. Der Kläger verliert durch die Ausweisung nicht eine etwaige erreichte berufliche Existenz. Zwar verfügt er derzeit über einen Arbeitsvertrag im Garten- und Landschaftsbaubetrieb und hat nunmehr nach seiner Haftentlassung erneut ein Gewerbe, zum einen für Catering, zum anderen für die Erbringung von Hausmeisterdiensten, angemeldet. Diese Tätigkeiten haben sich jedoch - aus den oben genannten Gründen - nicht so konkretisiert und verstetigt, dass sie maßgeblich ins Gewicht fallen können. Bei dem Kläger ist beruflich derzeit vieles im Fluss. Er steht im Bundesgebiet insgesamt erst am Anfang des Wiederaufbaus einer beruflichen Existenz. Eine berufliche Existenz kann er sich indes auch in der Schweiz aufbauen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, der ein gesunder erwachsener Mann ist, in der Lage sein wird, ein eigenständiges Leben in der Schweiz zu führen, und, wenngleich unter Umständen nach anfänglichen Schwierigkeiten, sein Auskommen zu finden.

Unter diesen Vorzeichen fällt bei der Abwägung weiterhin zu Ungunsten des Klägers ins Gewicht, dass es ihm nicht gelungen ist, sich sozial in die Wertegemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Der Kläger ist strafrechtlich in erheblicher Form in Erscheinung getreten. Er hat mit sozialschädlichen Drogen Handel getrieben. Zwar handelt es sich bei Cannabis um eine sogenannte weiche Droge. Dies nimmt der Tat indes nicht ihre Gefährlichkeit, zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg in eine „Drogenkarriere“ ist. Der Kläger hat von 2006 bis 2013 unter Aufwendung beträchtlicher kriminelle Energie professionell und unter Einbindung verschiedener Personen im großen Stil mit Drogen gehandelt, und zwar nach den Feststellungen des Landgerichts m … in einem Umfang, der das 55,2-fache und bis zu 1212,6-fache der geringen Menge überstieg. Der Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der den Konsum und die Gefahr des Süchtigwerdens einer Vielzahl von Personen ermöglicht beziehungsweise die Sucht einer Vielzahl von Personen ausgenutzt hat, hat eine erhebliche Außenwirkung entfaltet und die Allgemeinheit gefährdet. Diese drogenbezogene Kriminalität liegt auch nicht in der fernen Vergangenheit. Der Verurteilung ist zudem eine Verurteilung zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe im Ausland im Zusammenhang mit harten Drogen vorausgegangen, die der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts m … akzeptiert und für sechs Jahre abgeleistet hat. Der Kläger hat sich dies nicht zur Warnung gereichen lassen.

Es ist nicht zu verhehlen, dass die Rückkehr in die Schweiz nach dem langen Aufenthalt im Bundesgebiet für den Kläger persönlich sowie insbesondere auch für die Tochter und die Lebensgefährtin eine Härte bedeutet. Es erscheint dem Kläger jedoch zumutbar, aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen und den Kontakt durch Briefe und Telefonate sowie über moderne Kommunikationsmittel zu pflegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Schweiz nahegelegenes europäisches Ausland ist, so dass die nahestehenden Personen den Kläger ohne Weiteres jederzeit aufsuchen können. Er kann außerdem nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Wahrung schutzwürdiger Belange oder bei Wegfall des Zwecks des Verbots einen Antrag auf Verkürzung oder sogar Aufhebung der von der Beklagten festgesetzten Frist stellen. Des Weiteren kann er nach § 11 Abs. 8 AufenthG Betretenserlaubnisse erwirken, zu deren Erteilung die Beklagte sogar vorab ihre Bereitschaft erklärt hat.

Bei Abwägung der für den Verbleib sprechenden Belange mit den für die Ausreise sprechenden Belangen erscheinen die privaten Interesse des Klägers (und der Angehörigen) gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse an einer Ausreise insgesamt nachrangig.

b) Keinen Bedenken begegnet gegenwärtig auch das in Ziffer 2. des angegriffenen Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG unter Berücksichtigung des Art. 5 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz.

aa) Über die Dauer der festzusetzenden Frist hat die zuständige Behörde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Sie hat die Dauer allein unter präventiven Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Die Dauer darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes sowie der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das zu der Ausweisung geführt hat, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag - insofern entspricht die für die Bestimmung der Dauer der Sperrfrist prognostische Einschätzung im Wesentlichen der sogenannten Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 - 10 B 14.1854 - juris Rn. 8) - und gegebenenfalls wie lange eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer erforderlich ist. Die Frist muss sich zudem an den Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 GG, des Art. 2 Abs. 1 GG und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. insgesamt zu § 11 AufenthG a.F: BVerwG, U.v. 6.3.2014 - 1 C 2/13 - juris Rn. 12). Sie ist ebenfalls nach § 114 Satz 1 VwGO nachprüfbar (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 - 10 B 14.1854 - juris Rn. 6).

bb) Gemessen an diesen Vorgaben erweisen sich das zuletzt bedingt auf sieben Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot, die hierfür zuletzt auf sechs Jahre und neun Monate festgesetzte Nachweisfrist sowie das zuletzt unbedingt auf acht Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot zum gegenwärtigen Zeitpunkt als rechtmäßig. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich.

Die Beklagte hat den Kläger im vorliegenden Fall ausgewiesen, da das Landgericht M … den Kläger in neun tatmehrheitlichen Fällen des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit zwanzig tatmehrheitlichen Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge für schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt hat. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von mehr als fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sind damit erfüllt. Die Obergrenze der § 11 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AufenthG wird im Fall des bedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots um drei, im Fall des unbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots um zwei Jahre unterschritten.

Der mit der Ausweisung verfolgte Zweck besteht darin, die Wiederholung der Begehung von Straftaten durch den Kläger zu verhindern. Bezüglich des Gewichts des Ausweisungsgrundes wird vollumfänglich auf die Ausführungen zu dem Grundinteresse sowie zu der Wiederholungsgefahr verwiesen. Hierfür erscheint die jeweils bedingt und unbedingt angeordnete Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots - angesichts der geschilderten Umstände und Erwägungen, insbesondere auch gemessen an den Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 2 Abs. 1 GG sowie an den Vorgaben aus Art. 8 EMRK und aus Art. 5 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz - auch verhältnismäßig. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ihre Ermessenserwägungen aktualisiert und ergänzt. Dabei mag die jeweils angeordnete Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Kläger persönlich sowie auch für die ihm nahestehenden Personen im Bundesgebiet eine maßgebliche Härte bedeuten. Allerdings kann der Kläger jederzeit nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Wahrung schutzwürdiger Belange oder bei Wegfall des Zwecks des Verbots einen Antrag auf Verkürzung oder sogar Aufhebung der von der Beklagten festgesetzten Frist stellen. Des Weiteren kann der Kläger nach § 11 Abs. 8 AufenthG auch Betretenserlaubnisse erwirken, zu deren Erteilung die Beklagte sich vorab bereiterklärt hat. Insgesamt erweist sich die Ausgestaltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zum gegenwärtigen Zeitpunkt als verhältnismäßig.

c) Schließlich erweist sich auch die in Ziffer 3. des angegriffenen Bescheides getroffene Abschiebungsandrohung in die Schweiz als rechtmäßig. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 3. des Bescheides angeordneten und auf §§ 58, 59 AufenthG beruhenden Abschiebungsandrohung hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger ist angesichts der gefundenen Ergebnisse zu der Ausweisungsverfügung nach § 50 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar (vgl. 84 Abs. 1 AufenthG) ausreisepflichtig. Die Frist des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist eingehalten. Eine Fristsetzung für die Abschiebung wäre nach § 59 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und Satz 2 Nr. 2 AufenthG (Absehensgründe) in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG (Ausweisung) sogar entbehrlich gewesen. Die Abschiebung ist aufgrund der Ausweisung nach § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse) auch erforderlich. Der Abschiebungsstaat ist ebenfalls ordnungsgemäß nach § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG benannt.

d) Keinen Bedenken begegnet schließlich auch die in Ziffer 4. des angegriffenen Bescheides erhobene Gebühr. Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV a.F. (in der bis zum 31.8.2017 geltenden Fassung) war für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Gebühr in Höhe von 30 EUR zu erheben. Dies hat die Beklagten im vorliegenden Fall getan.

2. Die Klage ist nach alledem insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Juni 2018 - M 27 K 16.2297 zitiert 32 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

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(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 58 Abschiebung


(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Si

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(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. (2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wi

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(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. (2) Der Ausländer hat da

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(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich

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(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 51 Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen


(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: 1. Ablauf seiner Geltungsdauer,2. Eintritt einer auflösenden Bedingung,3. Rücknahme des Aufenthaltstitels,4. Widerruf des Aufenthaltstitels,5. Ausweisung des Ausländers,5a. Bekanntgabe einer Absc

Strafgesetzbuch - StGB | § 68b Weisungen


(1) Das Gericht kann die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, 1. den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen,2. sich nicht an

Strafgesetzbuch - StGB | § 68c Dauer der Führungsaufsicht


(1) Die Führungsaufsicht dauert mindestens zwei und höchstens fünf Jahre. Das Gericht kann die Höchstdauer abkürzen. (2) Das Gericht kann eine die Höchstdauer nach Absatz 1 Satz 1 überschreitende unbefristete Führungsaufsicht anordnen, wenn die v

Strafgesetzbuch - StGB | § 145a Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht


Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf A

Aufenthaltsverordnung - AufenthV | § 47 Gebühren für sonstige aufenthaltsrechtliche Amtshandlungen


(1) An Gebühren sind zu erheben1a.für die nachträgliche Aufhebung oder Verkürzung der Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes169 Euro,1b.für die nachträgliche Verlängerung der Frist für ein

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(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.

(2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt.

(3) § 52 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Das Gericht kann die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen,

1.
den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen,
2.
sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können,
3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen,
4.
bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann,
5.
bestimmte Gegenstände, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen,
6.
Kraftfahrzeuge oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen oder von anderen Fahrzeugen nicht zu halten oder zu führen, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann,
7.
sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu melden,
8.
jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden,
9.
sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden,
10.
keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind,
11.
sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen oder
12.
die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
Das Gericht hat in seiner Weisung das verbotene oder verlangte Verhalten genau zu bestimmen. Eine Weisung nach Satz 1 Nummer 12 ist, unbeschadet des Satzes 5, nur zulässig, wenn
1.
die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist,
2.
die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde,
3.
die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und
4.
die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.
Die Voraussetzungen von Satz 3 Nummer 1 in Verbindung mit Nummer 2 liegen unabhängig davon vor, ob die dort genannte Führungsaufsicht nach § 68e Absatz 1 Satz 1 beendet ist. Abweichend von Satz 3 Nummer 1 genügt eine Freiheits- oder Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, wenn diese wegen einer oder mehrerer Straftaten verhängt worden ist, die unter den Ersten oder Siebenten Abschnitt des Besonderen Teils fallen; zu den in Satz 3 Nummer 2 bis 4 genannten Straftaten gehört auch eine Straftat nach § 129a Absatz 5 Satz 2, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1.

(2) Das Gericht kann der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit weitere Weisungen erteilen, insbesondere solche, die sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen. Das Gericht kann die verurteilte Person insbesondere anweisen, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung). Die Betreuung und Behandlung kann durch eine forensische Ambulanz erfolgen. § 56c Abs. 3 gilt entsprechend, auch für die Weisung, sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind.

(3) Bei den Weisungen dürfen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

(4) Wenn mit Eintritt der Führungsaufsicht eine bereits bestehende Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 endet, muss das Gericht auch die Weisungen in seine Entscheidung einbeziehen, die im Rahmen der früheren Führungsaufsicht erteilt worden sind.

(5) Soweit die Betreuung der verurteilten Person in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 11 oder ihre Behandlung in den Fällen des Absatzes 2 nicht durch eine forensische Ambulanz erfolgt, gilt § 68a Abs. 8 entsprechend.

Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt.

(1) Das Gericht kann die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen,

1.
den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen,
2.
sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können,
3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen,
4.
bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann,
5.
bestimmte Gegenstände, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen,
6.
Kraftfahrzeuge oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen oder von anderen Fahrzeugen nicht zu halten oder zu führen, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann,
7.
sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu melden,
8.
jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden,
9.
sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden,
10.
keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind,
11.
sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen oder
12.
die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
Das Gericht hat in seiner Weisung das verbotene oder verlangte Verhalten genau zu bestimmen. Eine Weisung nach Satz 1 Nummer 12 ist, unbeschadet des Satzes 5, nur zulässig, wenn
1.
die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist,
2.
die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde,
3.
die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und
4.
die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.
Die Voraussetzungen von Satz 3 Nummer 1 in Verbindung mit Nummer 2 liegen unabhängig davon vor, ob die dort genannte Führungsaufsicht nach § 68e Absatz 1 Satz 1 beendet ist. Abweichend von Satz 3 Nummer 1 genügt eine Freiheits- oder Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, wenn diese wegen einer oder mehrerer Straftaten verhängt worden ist, die unter den Ersten oder Siebenten Abschnitt des Besonderen Teils fallen; zu den in Satz 3 Nummer 2 bis 4 genannten Straftaten gehört auch eine Straftat nach § 129a Absatz 5 Satz 2, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1.

(2) Das Gericht kann der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit weitere Weisungen erteilen, insbesondere solche, die sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen. Das Gericht kann die verurteilte Person insbesondere anweisen, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung). Die Betreuung und Behandlung kann durch eine forensische Ambulanz erfolgen. § 56c Abs. 3 gilt entsprechend, auch für die Weisung, sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind.

(3) Bei den Weisungen dürfen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

(4) Wenn mit Eintritt der Führungsaufsicht eine bereits bestehende Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 endet, muss das Gericht auch die Weisungen in seine Entscheidung einbeziehen, die im Rahmen der früheren Führungsaufsicht erteilt worden sind.

(5) Soweit die Betreuung der verurteilten Person in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 11 oder ihre Behandlung in den Fällen des Absatzes 2 nicht durch eine forensische Ambulanz erfolgt, gilt § 68a Abs. 8 entsprechend.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Widerspruch und Klage gegen

1.
die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels,
1a.
Maßnahmen nach § 49,
2.
die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen,
2a.
Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Absatz 1e,
3.
die Änderung oder Aufhebung einer Nebenbestimmung, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft,
4.
den Widerruf des Aufenthaltstitels des Ausländers nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in den Fällen des § 75 Absatz 2 Satz 1 des Asylgesetzes,
5.
den Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung von Forschungseinrichtungen für den Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d,
6.
die Ausreiseuntersagung nach § 46 Absatz 2 Satz 1,
7.
die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11,
8.
die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 6 sowie
9.
die Feststellung nach § 85a Absatz 1 Satz 2
haben keine aufschiebende Wirkung.

Die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt der Aufenthaltstitel als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts tritt nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am 01.10.1981 in ... geboren und dort aufgewachsen. Sein 1947 geborener Vater war im Bundesgebiet seit 1973 erwerbstätig und verstarb 2009 an den Folgen einer 1999 diagnostizierten Krebserkrankung. Seine 1950 geborene Mutter lebt seit 1978 in Deutschland und ist nach einem Hirninfarkt mit Halbseitenlähmung und weiteren Erkrankungen hilfebedürftig. Sie wird durch Familienmitglieder unterstützt und gepflegt. Im Bundesgebiet leben die vier älteren, in den Jahren 1971, 1972, 1973 und 1979 geborenen Brüder des Klägers, die teilweise hier eigene Familien haben. Die drei ältesten Brüder wuchsen zunächst bei ihren Großeltern in der Türkei auf und kamen im Kindesalter nach Deutschland.
Am 02.10.1997 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Er erwarb 1998 den Hauptschulabschluss und schloss am 18.07.2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker erfolgreich ab. Sein bisheriger Ausbildungsbetrieb setzte ihn in unmittelbarem Anschluss an das Ende seiner Ausbildung als Drucker ein. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger wegen einer durch die andauernde Belastung mit Lösungsmitteln hervorgerufenen Erkrankung nur etwa zwei Jahre in seinem erlernten Beruf. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Im Jahre 2003 war er kurzzeitig als Konzessionsinhaber des Pizza-Services „...“ in ... registriert, wobei die Pizzeria aufgrund einer „Verrechnung“ in einem Drogengeschäft erworben worden war.
Der Kläger wurde am 06.10.1999 in einem Zug einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen, bei der ein Gramm Marihuana und eine Haschischpfeife gefunden wurden. Von der Verfolgung wurde nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen. Nach einem „Tipp aus der Szene“ wurde gegen ihn ab dem Sommer 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Am 08.04.2004 erließ das Amtsgericht ... deswegen einen Haftbefehl, seit 09.05.2005 bestand ein europäischer Haftbefehl. Die Verhaftung des Klägers erfolgte am 02.06.2005 in den Niederlanden. Am 12.08.2005 wurde er an die deutschen Behörden überstellt; zuvor hatte er sich in den Niederlanden erfolglos um gerichtlichen Rechtsschutz gegen seine Auslieferung bemüht.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Kläger mit Urteil vom 24.11.2005 - 5 KLs 221 Js 100500/04 -, das noch am gleichen Tag rechtskräftig wurde, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten Mittäter ... Y., wurde angeordnet.
Das Landgericht traf ausweislich der nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger beschloss spätestens Mitte des Jahres 2002, sich aus dem fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen. Er verkaufte im Sommer 2002 zweimal jeweils mindestens ein Kilo Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% gewinnbringend zum Grammpreis von 4,30 EUR an die gesondert verfolgten M.K. und A.Y. (Taten 1 und 2 gemäß des Strafurteils). Spätestens im Oktober 2002 beschlossen der Kläger und der gesondert verfolgte ... Y., sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch den fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana in Stuttgart eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Beschaffung und den Vertrieb organisierten sie arbeitsteilig, wobei ... Y. sich die Letztentscheidungskompetenz vorbehielt. Das Marihuana, dessen THC-Gehalt mindestens 15% betrug, verkauften sie an A.M. der es seinerseits an seine Abnehmer G.L. und F.M. weiterveräußerte. Gegenstand der im Strafurteil im Einzelnen aufgeführten und zwischen Oktober 2002 und April 2003 begangenen Taten 3 - 12 (UA S. 4 f.) waren insgesamt mindestens 24,5 kg Marihuana, wobei von den bei den Taten 9, 11 und 12 gehandelten Rauschgiftmengen etwa 12,8 kg sichergestellt werden konnten. Die Polizei verhaftete F.M. am 09.04.2003 und A.M. am 16.04.2003. Spätestens Anfang Dezember 2003 schlossen sich der Kläger, ... Y., M.Y. sowie die beiden Brüder des Klägers N. und M. zu einer Gruppierung zusammen mit dem Ziel, künftig in ... und Umgebung für eine gewisse Dauer erhebliche Mengen Marihuana sowie Kokain jeweils guter Qualität (Wirkstoffgehalt THC mindestens 10 % bzw. Kokainhydrochlorid mindestens 35 %) gewinnbringend weiterzuverkaufen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Entsprechend der gemeinsamen Abrede vereinbarten sie ein arbeitsteiliges Vorgehen, wobei es Aufgabe des Klägers und von ... Y. war, die Betäubungsmittelbeschaffung und deren Weiterverkauf zu organisieren. Insbesondere legten sie gemeinsam die jeweiligen Lieferzeitpunkte fest und kontrollierten den Zahlungsverkehr. Mittels sog. Palms glichen sie von Zeit zu Zeit die von ihnen arbeitsteilig erzielten Ergebnisse ab. Im Verhältnis untereinander konnte ... Y. dem Kläger Weisungen erteilen. Bei Bedarf teilten beide den anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zu. Als Umschlagplatz für die Betäubungsmittel diente die von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung im Anwesen ..., nachdem die Kurierfahrzeuge zuvor von anderen Bandenmitgliedern in verschiedenen Tiefgaragen in ... entladen worden waren. Spätestens Ende Januar 2004 schloss sich ... F. der Gruppierung an. ... Y. bot diesem in Absprache mit dem Kläger zunächst an, als Security-Mann für ihn zu arbeiten. Nachdem F. dieses Angebot angenommen hatte, wurde ihm innerhalb kürzester Zeit klar, dass der Kläger und ... Y. ihren aufwändigen Lebensstil aus Rauschgiftgeschäften finanzierten. In der Folge erklärte er sich auf Nachfrage der beiden bereit, bei dem Rauschgifthandel mitzumachen. Da der Kläger und ... Y. aus ihrer seitherigen Lieferquelle den wachsenden Marihuana-Absatz nicht mehr vollständig bedienen konnten, beauftragte ... Y. in Absprache mit dem Kläger F., neue Lieferquellen zu erschließen. F. nahm Kontakt mit einem nicht näher identifizierten Russen namens „...“ auf und vereinbarte und organisierte mit diesem Lieferungen von Marihuana aus den Niederlanden, wobei man sich zur „Geschäftsabwicklung“ teilweise in Heinsberg traf. Im März 2004 stieß schließlich J.L. zu der Bande. Dieser hatte sich Anfang Januar 2004 vom Kläger Geld geliehen, was er jedoch nicht zurückzahlen konnte. Zur Abgeltung dieser Schulden erklärte sich L. bereit, an dem Rauschgifthandel mitzuwirken. Gegenstand der abgeurteilten 16 Taten, die im Zeitraum zwischen Dezember 2003 und 06.04.2004 begangen worden waren, waren insgesamt etwa 205 kg Marihuana sowie 500 g Kokain, wobei 15 kg Marihuana sichergestellt werden konnten. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Taten wird auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen (dort Taten Nrn. 13 bis 28, UA S. 7 - 15). Die Feststellungen zur Sache beruhten dem Strafurteil zufolge auf dem umfassenden, im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis des Klägers, das sich einerseits mit den vom Zeugen KHK K. glaubhaft berichteten Ermittlungsergebnissen aus dem umfassenden Gesamtermittlungskomplex und andererseits den Feststellungen in dem gegen die übrigen Bandenmitglieder ergangenen Strafurteil vom 15.03.2005 deckte.
Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG sei kein Raum gewesen. Zwar habe der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Angaben - wie KHK K. berichtet habe -umfängliche, über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Aufklärungshilfe geleistet. Diese erschöpfe sich jedoch, von einem in seiner Erfolgsaussicht derzeit noch nicht abschließend zu beurteilenden Ermittlungsansatz abgesehen, maßgeblich in der Bestätigung des bereits durch die Angaben des ... Y. bekannten Ermittlungsstandes. Innerhalb des für die Taten 1 bis 12 geltenden Strafrahmens nach § 29a Abs. 1 BtMG und des für die Taten 13 bis 28 zur Anwendung kommenden Strafrahmens nach § 30a Abs. 1 BtMG sei zu Gunsten des nicht vorbestraften Klägers sein umfassendes Geständnis gewertet worden, welches zu einer nennenswerten Verfahrensabkürzung geführt habe. In diesem Zusammenhang habe die Strafkammer auch die geleistete Aufklärungshilfe strafmildernd gewertet. In gleicher Weise sei die Länge der erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft sowie der Umstand gewichtet worden, dass der Kläger als Erstverbüßer äußerst strafempfindlich sei. Auch die im Raume stehenden ausländerrechtlichen Folgen der vorliegenden Verurteilung seien strafmildernd gewertet worden. Zu Gunsten des Klägers sei bezüglich der Taten 9, 11, 12 und 28 strafmildernd berücksichtigt worden, dass Rauschgift habe sichergestellt werden können und nicht in den Verkehr gelangt sei. Zudem habe die Strafkammer strafmildernd gewertet, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt gewesen sei. Zu seinen Lasten fielen strafschärfend die jeweils erheblichen Mengen an Rauschgift sowie das Handeltreiben mit Kokain als einem der gefährlichsten Rauschgifte ins Gewicht. Bei den Taten 13 bis 28 sei zu seinen Lasten berücksichtigt worden, dass die Tatinitiative jeweils von ihm - zusammen mit ... Y. - ausgegangen sei, zu seinen Gunsten sei jedoch seine Weisungsgebundenheit gegenüber diesem einzustellen. Schließlich sei seine extrem große kriminelle Energie strafschärfend gewichtet worden, welche insbesondere in der hohen Tatfrequenz zum Ausdruck gekommen sei.
Ausweislich des Protokolls des Landgerichts über die Hauptverhandlung gab es zwischen der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Gespräche über eine einvernehmliche Verfahrensabkürzung. Die Strafkammer sagte dem Kläger für den Fall eines umfassenden Geständnisses und der Bereitschaft, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, zu, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als neun Jahren zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft sagte für diesen Fall zu, das weitere anhängige Ermittlungsverfahren im bisher bekannten Umfang einzustellen und erklärte, dass die Zusage nur für den Fall einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens neun Jahren gilt.
Die übrigen Bandenmitglieder waren bereits durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.03.2005 - 5 KLs 221 Js 95338/03 - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden - unter anderem ... Y. zu 10 Jahren, M.Y. zu 6 Jahren, N.B. zu 6 Jahren und 2 Monaten sowie M.B. zu 6 Jahren und 6 Monaten. Nach den hinsichtlich aller Angeklagten gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen des Urteils beruhten die Feststellungen zur Sache auf den umfassenden sich wechselseitig bestätigenden und daher glaubhaften Geständnissen sämtlicher Angeklagter, die auch durch die vom Zeugen KHK K. nachvollziehbar berichteten Ermittlungsergebnisse aus den stattgefundenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Observationen gestützt wurden.
10 
Der Kläger selbst hatte ab dem 16.11.2005 in polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht. Nach seiner Verurteilung wurde der Kläger erneut in der Zeit zwischen Januar 2006 und Juni 2006 polizeilich vernommen. ... Y., der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, hatte bereits vor den Angaben des Klägers zur Sache umfangreich über Hintermänner, Lieferanten und Abnehmer des Rauschgifthandels ausgesagt. Nach einem Schreiben von KHK K. an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 17.03.2008 seien aufgrund der Aussagen des „Bandenkopfes“, dessen rechter Hand und weiterer Bandenmitglieder, welche zwischenzeitlich bei der Polizei Angaben gemacht hätten, etwa 90 Strafverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen geführt hätten. Das aufgrund der ab Januar 2006 erfolgten Angaben gegen den Kläger eröffnete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 16.03.2007 - 221 Js 26457/06 - nach § 154 StPO ein.
11 
Das Regierungspräsidium Stuttgart nahm die Verurteilung des Klägers zum Anlass, ihn mit Verfügung vom 04.10.2006 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und die Abschiebung auf den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Folglich könne er nur unter dem Vorbehalt der Beschränkungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und nach Ermessen ausgewiesen werden. Die von ihm vorsätzlich und tatmehrheitlich begangenen Betäubungsmittelstraftaten wögen ausgesprochen schwer, da er sich unter anderem mit anderen Personen zu einer Bande zusammen geschlossen habe, die allein aus Gewinnstreben höchst umfangreich einen schwunghaften Handel mit Marihuana in höheren Kilogrammbereich betrieben habe. Dass es sich dabei „nur“ um Marihuana gehandelt habe, ändere an der Schwere der Tat nichts, denn über diese Einstiegsdroge führe oft der Weg in eine schwere Drogenabhängigkeit. Zudem habe er in einem Fall auch die harte Droge Kokain in einer Menge von ca. 500 Gramm verkauft. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei gegeben. Diese entfalle auch nicht im Hinblick auf das Geständnis im Strafverfahren. Eine echte Einsicht und Reue lasse sich daraus nicht ableiten, zumal die Beweislage wegen der Telekommunikationsüberwachung und der polizeilichen Observation erdrückend gewesen sei. Der Ausweisung stehe Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz nicht entgegen. Diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift sei auf türkische Staatsangehörige, die sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen könnten, nicht anzuwenden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, doch überwiege sein durchaus erhebliches Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben, nicht das herausragende öffentliche Interesse an der wirksamen Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bundesgebiet erneut straffällig werde, sei ausgesprochen hoch. Es werde nicht übersehen, dass er Schwierigkeiten haben werde, sich in der Türkei einzugewöhnen. Er könne aufgrund seines Alters jedoch ohne weiteres allein klar kommen, zumal er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Vor dem Hintergrund des höchst kriminellen Fehlverhaltens sei es ihm zumutbar, die mit einer Abschiebung in die Türkei verbundenen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen und dort zu überwinden - zumal die Straftaten auf eine nicht abgeschlossene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schließen ließen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass er noch Bindungen in der Türkei habe. Hierauf deute auch der Kauf einer Eigentumswohnung dort durch seinen Bruder M. hin. Die familiäre Verbundenheit mit den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen den Eltern und Brüdern stehe der Ausweisung nicht entgegen. Diese stehe mit Art. 8 EMRK in Einklang.
12 
Zur Begründung seiner fristgerecht erhobenen Klage trug der Kläger vor: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen nationale und internationale Vorschriften. Er könne nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Abgesehen davon sei seine Ausweisung auch aus anderen Gründen fehlerhaft. Schon vor seiner Verurteilung habe er damit begonnen, mit seiner kriminogenen Vergangenheit abzuschließen. Seine Zeugenaussagen, die bewirkt hätten, dass er in ständiger Bedrohung lebe, hätten zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer Vielzahl von Personen geführt. Seine Entwicklung nach der Tat und sein in jeder Hinsicht beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug zeigten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Seine Integration in deutsche Lebensverhältnisse sei abgeschlossen; daran ändere seine Straffälligkeit nichts. Seine Bezugspersonen lebten alle in Deutschland. Hier habe er einen festen Freundeskreis. Verbindungen in die Türkei habe er keine mehr. Auch sei sein früherer Mittäter ... Y. in den Zeugenschutz aufgenommen worden, was wiederum für diesen zumindest ein Abschiebungshindernis bedeute. Er dürfe ausländerrechtlich nicht schlechter behandelt werden als dieser und als seine eigenen Brüder, die im Bundesgebiet bleiben könnten. Auch bilde er sich weiter. Er plane und betreibe seine Schuldenregulierung, die bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mehr erfolgen könnte. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK.
13 
Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - die Ausweisungsverfügung des beklagten Landes, das der Klage entgegen getreten war.
14 
Da sowohl die angefochtene Verfügung als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts davon ausgingen, die Ausweisung des Klägers richte sich aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80 nach Art. 14 ARB 1/80 und offen sei, ob auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen können, ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1244/08 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu. Die vom Kläger unter Stellung eines Antrags fristgerecht begründete Berufung wurde mit Blick auf das durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - bei Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage bereits anhängig gemachte Vorabentscheidungsersuchen (C-371/08) ausgesetzt.
15 
Der Kläger war zunächst in der JVA ... und sodann in der JVA ... in Haft. Dort teilte er sich mit seinen zwei Brüdern - aus Sicherheitsgründen - die Zelle. In der JVA ... arbeitete er seit dem 14.03.2006 in der Druckerei und eignete sich hier die Reprofilmmontage, die Druckplattenkopie und die Filmarchivierung an. Nach der Bescheinigung der JVA - Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen - vom 09.07.2009 habe er sich im Laufe seiner Tätigkeit in der Druckerei in seinem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und auch Mitgefangenen sehr positiv entwickelt; er zeichne sich hauptsächlich durch Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein und Loyalität aus. Betäubungsmittelkontrollen während der Haft waren negativ. Mit Wirkung zum 26.08.2009 wurde der Kläger als Freigänger zugelassen, um ab dem 30.08.2009 einen zwei Jahre dauernden Umschulungslehrgang am ... Berufskolleg beginnen zu können. Die in Vollzeit stattfindende Ausbildung „Mediengestalter Digital und Print, Schwerpunkt: Gestaltung und Technik“ endet mit einer Abschlussprüfung vor der IHK. Nach den Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 07.09.2009 werden die Kosten des Lehrgangs von insgesamt 17.518,60 EUR als Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme von dieser getragen, darüber hinaus erhält der Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 117 SGB III in Höhe von 797,40 EUR.
16 
Mit Schreiben vom 09.03.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 und führte hierin unter anderem aus: Er habe durch seine umfangreiche, wahrheitsgemäße Aufklärungshilfe glaubwürdig Abstand von seinen kriminellen Taten genommen. Im Strafvollzug habe er sich mit der Bedeutung und den Folgen der Rauschgiftkriminalität in Diskussionsrunden und mit dem Bewährungspersonal aktiv und kritisch auseinandergesetzt. Dabei habe er nicht nur die ihn selbst betreffenden negativen Folgen seiner Taten durch den Strafvollzug in aller Deutlichkeit an „Haut und Haaren“ durchleben müssen. Auch die Gefahren und negativen Folgen, die von Rauschgift gegenüber der Allgemeinheit ausgingen, habe er in zahlreichen Diskussionsrunden mit Mithäftlingen und Resozialisierungspersonal erstmals in seinem jungen Leben in aller Deutlichkeit aufgezeigt bekommen und bleibend aufgenommen. Aufgrund der während des Strafvollzugs gewonnenen Erkenntnisse über die vom Rauschgift ausgehende Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit habe er, ohne dass dies naturgemäß in seinem eigenen Strafverfahren im Urteil des Landgerichts Stuttgart berücksichtigt worden sei, nach seiner Verurteilung weiterhin mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und durch seine Aussage die Sprengung von zahlreichen, bandenmäßig organisierten Rauschgifthändlern herbeigeführt. Er habe Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht, von denen die Ermittlungsbehörden vor seiner Aussage keinerlei Kenntnis gehabt hätten.
17 
Die JVA ... erstellte am 10.05.2010 dem Kläger unter Hinweis auf den beanstandungsfreien Verlauf von Vollzug und Vollzugslockerungen eine positive Sozialprognose und befürwortete seine bewährungsweise Entlassung.
18 
Das Landgericht ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer ... - setzte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens bei Dr. X. - Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie - mit Beschluss vom 26.10.2010 die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger für die Dauer der ersten beiden Jahre der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Der Kläger wurde am 28.10.2010 - und damit etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe - aus dem Strafvollzug entlassen. Am 12.02.2011 heiratete er nach islamischem Ritus ... D., die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Mit ihr und den beiden vier und acht Jahre alten Kindern von Frau D. aus einer früheren Beziehung lebt er in familiärer Lebensgemeinschaft.
19 
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Rechtssache Tsakouridis (C-145/09) mit Urteil vom 23.11.2010 entschieden und das beklagte Land mit Schriftsatz vom 12.01.2011 auf den Umstand hingewiesen hatte, der Kläger habe anlässlich seiner kriminalprognostischen Begutachtung angegeben, er habe sich vor seiner Verhaftung 14 Monate in den Niederlanden aufgehalten, hat der Senat mit Beschluss vom 21.01.2011 den Aussetzungsbeschluss aufgehoben.
20 
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger nunmehr vor: Seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 seien nicht erloschen. Dies folge schon aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG. Die Vorschrift konkretisiere den Zeitraum, der für den Erhalt unionsrechtlich begründeter Aufenthaltsrechte bei Auslandsaufenthalten anzuwenden sei. Im Übrigen habe er sich nach seiner Flucht nicht durchgehend in den Niederlanden aufgehalten. Er habe die Aufenthalte zwischen Deutschland und den Niederladen gewechselt. In dieser Zeit habe er auch regelmäßig seine Familie getroffen. Treffpunkt sei jeweils Köln gewesen. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 23.11.2010 sei die Berufung begründet. Die Erstreckung der Kriterien für eine Aufenthaltsbeendigung nach dem Maßstab des Art. 45 Abs. 3 AEUV, der mit demjenigen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimme, auf Art. 14 ARB 1/80 sei ungeklärt. Der EuGH leite im Urteil Tsakouridis jedoch die Zulässigkeit der Ausweisung von Drogenhändlern aus der Gefahr her, die der Drogenhandel für die Gesellschaft darstelle. Um die Gesellschaft zu schützen und den Drogenhandel wirksam bekämpfen zu können, griffen heute die Mitgliedstaaten zu Mitteln wie der Kronzeugenregelung. Mittätern würden für den Fall der Aussage Vergünstigungen zugesagt, die von geringeren Strafen bis zur Verleihung einer anderen Identität reichen könnten. Er habe sich stets aussagebereit gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet. Wegen seines Aussageverhaltens seien ihm Drohungen zugekommen. Von ihm gehe keine gegenwärtige Gefahr mehr aus. Seine Verfehlungen seien einmalig gewesen. Er sei Ersttäter und die Strafhaft habe ihn beeindruckt. Er habe in der JVA ... Gespräche zur Tataufbereitung mit dem Psychologen M. geführt. Eine Rückfallneigung sei zu verneinen. Das bestätige das Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das ihm einen nachhaltigen Gesinnungswandel attestiere. Er habe sich aus der Drogenszene gelöst und wolle das auch in Zukunft einhalten. Im Übrigen stünde eine Ausweisung im Widerspruch zur gezeigten Aussagebereitschaft und zur Kronzeugenregelung. Die Aussagebereitschaft würde nicht gefördert, wenn sie mit Ausweisung „belohnt“ würde. Eine Ausweisung würde ihn auch vollständig entwurzeln. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und vollständig integriert. Deutsch sei seine Muttersprache. Würde er durch Ausweisung von seiner Familie und seiner Verlobten getrennt und in eine sprachfremde Umgebung verbracht, würde er in eine verzweifelte Lage gebracht werden. Allein und ohne Sprachkenntnisse käme er in der Türkei nicht zurecht. Im Übrigen seien sein Nachtatverhalten und seine Resozialisierung so außergewöhnlich, dass eine Wiederholungsgefahr unter jeder Betrachtung entfallen sei. Seine Haftverbüßung habe abschreckend gewirkt und eine starken Verhaltensänderung herbeigeführt. Er sei nicht drogenabhängig und habe jegliche Beziehungen und Strukturen zu ehemaligen kriminellen Personen für immer abgebrochen. Er habe Aussicht auf den Erlass des größten Teils der Schulden, sofern er sich weiterhin gut führe, sowie auf eine Festanstellung nach Ende seiner Ausbildung bei der Firma, bei der er derzeit sein Praktikum mache.
21 
Der Kläger beantragt zuletzt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zu ändern und Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006 aufzuheben.
23 
Das beklagte Land beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Es entgegnet: Die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 seien erloschen. Mit seiner Flucht im April 2004 habe er seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlagert, weil er sich auf diese Weise dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden dauerhaft habe entziehen wollen. Insoweit seien Unionsrecht und damit die Frage der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 lit. a Richtlinie 2004/38/EG nicht relevant und die Ausweisung richte sich nur nach nationalem Recht. Es bestehe ungeachtet des Nachtatverhaltens des Klägers und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft weiterhin unter dem Gesichtspunkt der ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr ein Bedürfnis, den Kläger aus spezialpräventiven und daneben auch aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Art. 8 EMRK und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stünden dem nicht entgegen. Der Kläger könne aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Türkei ohne weiteres eine Arbeitsmöglichkeit finden. Wenn er nunmehr aus der Haft entlassen worden sei und an seiner beruflichen Bildung arbeite, so mindere dies das ausgesprochen schwere Gewicht des spezial- und generalpräventiven Grundes nicht. Nichts anderes gelte hinsichtlich der neuen Partnerin, mit der der Kläger allerdings nicht verheiratet sei.
26 
Der Vertreter des beklagten Landes hat in der Berufungsverhandlung die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006) aufgehoben.
27 
Der Senat hat Dr. X. zur Erläuterung ihres kriminalprognostischen Gutachtens vom 07.09.2010 angehört und KHK K. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
28 
Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten verwiesen. Der Senat hat die Strafakten des Landgerichts Stuttgart (3 Bände) und die Ermittlungsakten (25 Leitzordner) im Verfahren 5 KLs 221 Js 100500/04, die Strafvollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (1 Band), das Bewährungsheft (1 Band) und die Gefangenenpersonalakten (5 Bände) sowie die Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 beigezogen. Diese sind ebenso wie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten der Stadt Stuttgart (2 Bände) und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (1 Band), Grundlage der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
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Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
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Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
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Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
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Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
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Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
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Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
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Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
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Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
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Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Tatbestand

1

Die am 4. Mai 1936 geborene Klägerin, eine russische Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.

2

Die Klägerin hat zwei Töchter deutscher Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben. Ihre ältere Tochter, Frau N., ist verheiratet und hat zwei 1985 und 1998 geborene Kinder, von denen das ältere seinen Lebensunterhalt ohne finanzielle Unterstützung der Eltern bestreitet. Die jüngere Tochter der Klägerin, Frau F. ist ebenfalls verheiratet und hat einen 1996 geborenen Sohn.

3

Die Klägerin beantragte im März 2007 bei der Deutschen Botschaft in Moskau ein Visum zum Familiennachzug zu ihrer Tochter N. Dabei gab sie an, unter einer fortschreitenden Herzkrankheit, Hypertonie und Diabetes zu leiden. Hinzu komme ein ständig sinkendes Sehvermögen wegen grauen Stars an beiden Augen. Sie beziehe eine monatliche Altersrente in Höhe von 3 155,39 Rubel (ca. 90 €), aber ihr Lebensunterhalt werde in Deutschland durch das Einkommen ihrer Töchter und Schwiegersöhne gesichert. Nachdem der Beigeladene seine Zustimmung zur Visumerteilung versagt hatte, lehnte die Beklagte den Visumantrag mit Bescheid vom 4. Mai 2007 und zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 8. Januar 2008 ab. Eine außergewöhnliche Härte sei nicht nachgewiesen und der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert. Zudem fehle der notwendige Kranken- und Pflegeversicherungsschutz.

4

Die Klägerin hat Klage erhoben und Verpflichtungserklärungen ihres Schwiegersohnes N. und ihrer Tochter F. vorgelegt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand der Klägerin zur Visumerteilung verpflichtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass offenbleiben könne, ob die Erteilung des Visums gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sei. Dies sei trotz des medizinischen Gutachtens fraglich, da die Klägerin sich ausweislich der Angaben ihrer Tochter in der Berufungsverhandlung im Wesentlichen mit gelegentlicher Nachbarschaftshilfe und Betreuungsleistungen von Freunden behelfen könne. Jedenfalls fehle es an der Regelerteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts. Dafür sei ausschließlich auf den eigenen Bedarf der Klägerin und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel abzustellen. Denn ihr stünden infolge Überschreitung der Altersgrenze ggf. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu, und die Klägerin bilde gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII mit den Mitgliedern der Familie N. keine Haushaltsgemeinschaft.

5

Der Regelbedarf betrage für die Klägerin 299 €. Dazu kämen die Kosten für eine private Kranken- und Pflegeversicherung (592,88 + 74,59 €). Die Klägerin zähle nicht zu den nach § 5 SGB V in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmenden Personen. Nach der Einreise habe sie aber gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages im Basistarif. Eine Reduzierung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG scheide entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aus, da keine Hilfebedürftigkeit eintreten dürfe. Da die Zusage unentgeltlicher Unterbringung seitens der Familie N. dem Sozialamt keine Versagung entsprechender Leistungen ermögliche, sei der Anteil der Klägerin an den tatsächlichen Unterkunftskosten nach Kopfteilen in Höhe von 131,87 € in Anrechnung zu bringen.

6

Dem monatlichen Bedarf in Höhe von 1 098,34 € stünden Mittel von allenfalls 903,83 € gegenüber. Nach eigenem Vorbringen beziehe die Klägerin in der Russischen Föderation eine Rente in Höhe von monatlich 3 155,39 Rubel (= 79,31 €). Ob diese Rente nach einer Übersiedlung nach Deutschland weiter gezahlt werde, sei offen und müsse auch nicht aufgeklärt werden, da ihre Mittel auch dann nicht ausreichten, um ihren Bedarf zu decken. Nicht titulierte Unterhaltsansprüche gegen ihre Töchter könnten nicht berücksichtigt werden, da das Sozialamt im Hinblick darauf Leistungen der Grundsicherung im Alter gemäß § 43 Abs. 2 SGB XII nicht ablehnen könne und nach § 94 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SGB XII auch keine Regressmöglichkeit bestehe. Die abgegebenen Verpflichtungserklärungen seien lediglich in Höhe von 824,52 € zu berücksichtigen. Sie seien zwar wirksam und weder befristet noch vom Aufenthaltszweck her beschränkt. Die Berücksichtigung einer Verpflichtungserklärung im Rahmen der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts setze aber voraus, dass der Erklärende leistungsfähig sei. Das richte sich bei Arbeitseinkünften nach § 850c ZPO, da bei einer Vollstreckung eines auf § 68 AufenthG gestützten Erstattungsanspruchs Arbeitseinkommen nur in dem danach zulässigen Maße gepfändet werden könnten. Das pfändbare Einkommen von Herrn N., der nur einem seiner Kinder Unterhalt leiste, betrage 219,26 €. Daneben sei das Einkommen aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 310 € zu berücksichtigen. Frau F. verfüge über ein Nettoeinkommen in Höhe von 2 370,70 €. Sie sei grundsätzlich zwei Personen gegenüber unterhaltspflichtig, so dass sich ein pfändbarer Betrag in Höhe von 295,26 € ergebe. Dieser Betrag erhöhe sich nicht gemäß § 850c Abs. 4 Halbs. 1 ZPO. Denn die im Fall der Vollstreckung ggf. nach dieser Vorschrift zu treffende Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde könne nicht im Rahmen der Bonitätsprüfung vorweggenommen werden.

7

Schließlich sei nicht ausnahmsweise vom Regelerfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen. Weder seien atypische Umstände ersichtlich noch sei die Annahme eines Ausnahmefalls im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten.

8

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht sei von einer zu niedrigen Rente ausgegangen. Sie habe im Berufungsverfahren eine neue Rentenbescheinigung vorgelegt, wonach sie eine Rente in Höhe von 9 340,56 Rubel beziehe (234,80 €). Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Person, die eine Verpflichtungserklärung abgebe, dürfe nicht nur auf § 850c ZPO abgestellt werden. Im Übrigen hätte die Regelung des § 850c Abs. 4 Halbs. 1 ZPO berücksichtigt werden müssen, denn die Eheleute F. verfügten über nahezu gleich hohe Einkommen. In diesem Fall reduziere sich das Ermessen der Vollstreckungsbehörde auf Null, so dass Herr F. bei der Berechnung des unpfändbaren Arbeitseinkommens seiner Ehefrau unberücksichtigt bleibe.

9

Die Beklagte hält die Revision für unbegründet. Der im Ergebnis richtigen Entscheidung des Berufungsgerichts sei entgegenzuhalten, dass Verpflichtungserklärungen bei einem angestrebten Daueraufenthalt nicht geeignet seien, den Lebensunterhalt zu sichern. Das ergebe sich aus § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, wonach bereits die bloße Inanspruchnahme von Sozialhilfe einen Ausweisungsgrund darstelle. Eine Verpflichtungserklärung verhindere nicht die Inanspruchnahme der öffentlichen Hand, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Zudem könnten für den Garantiegeber unabsehbare Belastungen auftreten, so dass sich die Frage der Sittenwidrigkeit stelle. Des Weiteren verfüge die Klägerin über keinen Krankenversicherungsschutz. Angesichts der negativen Auskünfte von Krankenversicherungsunternehmen könne gerade nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass diese bereit seien, mit der Klägerin nach der Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abzuschließen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Klägerin hat Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG), hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand (1.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil vermag der Senat in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden, so dass der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (2.).

11

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

12

Gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG findet auf den Nachzug sonstiger Familienangehöriger zu Deutschen § 36 AufenthG entsprechende Anwendung. Gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung offengelassen, da der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert sei und von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht abgesehen werden könne. Diese Vorgehensweise ist an sich nicht zu beanstanden, aber die Begründung für die Annahme mangelnder Lebensunterhaltssicherung verletzt § 2 Abs. 3 AufenthG.

13

1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff. = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1). Konsequenterweise bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf bei nicht (mehr) erwerbsfähigen Ausländern wie der Klägerin, die die Altersgrenze des § 7a SGB II überschritten hat und daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die wie die Klägerin die - mit § 7a SGB II korrespondierende - Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (Urteil vom 26. August 2008 a.a.O.).

14

1.1 Aus § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG ergibt sich, dass die Lebensunterhaltssicherung auch einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz, d.h. die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder einen damit vergleichbaren privaten Versicherungsschutz erfordert. Das Berufungsgericht hat es zu Recht ausreichen lassen, dass die Klägerin nach ihrer Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abschließen kann.

15

Die Klägerin unterliegt nach der Einreise nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, auch wenn diese gemäß § 3 Nr. 2 SGB IV i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB V grundsätzlich für alle Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gilt, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Denn Ausländer, die wie die Klägerin nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, werden gemäß § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 der Vorschrift nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Die zuletzt genannte Voraussetzung verlangt, dass die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung abstrakt für den avisierten Aufenthaltstitel keine Anwendung findet; nicht ausreichend ist das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel im Einzelfall oder die Möglichkeit eines Absehens im Ermessenswege. Andernfalls würde das gesetzgeberische Anliegen konterkariert, den gesetzlichen Krankenkassen mit § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V eine möglichst leicht handhabbare Feststellung der Voraussetzung der Versicherungspflicht zu ermöglichen (BTDrucks 16/3100 S. 95). Da die Klägerin nach ihrer Einreise keine der in § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V genannten aufenthaltsrechtlichen Vorrausetzungen erfüllt, besteht keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine freiwillige Mitgliedschaft kommt gemäß § 9 Abs. 1 SGB V ebenfalls nicht in Betracht. Demzufolge besteht für sie gemäß § 20 Abs. 1 SGB XI auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.

16

Die Klägerin hat aber nach Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschland gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags im Basistarif. § 12 Abs. 1a VAG verpflichtet jedes Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welches die substitutive Krankenversicherung betreibt, zum Angebot eines branchenweit einheitlichen Basistarifs, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, auf die ein Anspruch besteht, vergleichbar sind. Im Basistarif besteht für private Krankenversicherungsunternehmen gemäß § 12 Abs. 1b VAG Kontrahierungszwang. Damit korrespondierend ist der Versicherer nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG versicherungsvertragsrechtlich verpflichtet, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland eine Versicherung im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG zu gewähren, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch freiwillig versichert sind, Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben oder Empfänger laufender Leistungen der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 4 der Vorschrift genannten Art sind und nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung mit einem zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben. Ergänzend besteht die gesetzliche Verpflichtung von Personen mit Wohnsitz im Inland, eine entsprechende Krankheitskostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG). Der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang und die Versicherungspflicht erfassen auch Ausländer und enthalten - anders als § 5 Abs. 11 SGB V - keine aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen wie etwa den Besitz eines qualifizierten Aufenthaltstitels.

17

§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG setzt - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht voraus, dass die Klägerin bereits im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat. Das wäre ihr vor der Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland auch gar nicht möglich. Der Gesetzgeber hat das Bestehen ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Lebensunterhaltssicherung zugeordnet. Folglich genügt für die von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geforderte Prognoseentscheidung, dass der Ausländer diese Voraussetzung nach der Einreise erfüllen kann und wird. Denn nach dem Zweck der Vorschrift, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, kommt es nur darauf an, ob während des Aufenthalts im Bundesgebiet ein Anspruch auf öffentliche Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG besteht bzw. vermieden werden kann (Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 4.10 - Buchholz 402.242 § 9 AufenthG Nr. 3 = NVwZ-RR 2012, 333 Rn. 15).

18

Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kontrahierungszwang für die privaten Versicherer rechtfertige die positive Prognose künftigen Krankenversicherungsschutzes der Klägerin, da eine eventuelle gesetzwidrige Weigerung von Versicherungsunternehmen insoweit nicht zu ihren Lasten gehen könne. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass Prognosen sich auf zukünftige tatsächliche Entwicklungen und tatsächliches Verhalten beziehen, das nicht immer dem normativ Gebotenen entsprechen muss. Es widerspräche jedoch der fairen Zuweisung von Prognoserisiken, die Klägerin in dem oben beschriebenen sozial- und versicherungsrechtlichen Rahmen eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs ohne Rücksicht auf Vorerkrankungen mit den verbleibenden Unsicherheiten über ein rechtstreues Verhalten der Versicherungsunternehmen zu belasten, die zudem staatlicher Aufsicht unterliegen. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die Beklagte den Abschluss einer befristeten Reisekrankenversicherung für die Übergangszeit in Deutschland verlangen kann, wenn und soweit eine solche für den nachzugswilligen Ausländer angeboten wird.

19

1.2 Das Berufungsgericht hat bei dem von § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gebotenen Bedarfs- und Einkommensvergleich zutreffend nur auf den eigenen Bedarf und die eigenen Mittel der Klägerin abgestellt. Denn die Klägerin bildet nach ihrer Einreise und dem Einzug bei Familie N. mit ihrer Tochter, deren Ehemann und dem Kind keine Haushaltsgemeinschaft gemäß § 39 Satz 1 SGB XII, da diese Vorschrift gemäß § 43 Abs. 1 letzter Halbs. SGB XII auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht anzuwenden ist.

20

1.3 Die Bedarfsberechnung des Berufungsgerichts ist aber nicht frei von Mängeln. Sie richtet sich nach § 42 SGB XII.

21

1.3.1 Der Regelsatz ergibt sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII. Im Fall der Klägerin ist die Regelbedarfsstufe 3 (ab 1. Januar 2012: 299 €) anzuwenden, die für eine erwachsene leistungsberechtigte Person gilt, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in ähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Das ist hier der Fall, da die Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auf Dauer im Haushalt der Familie N. wohnen würde. Diese aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

22

1.3.2 Von den zusätzlichen Bedarfen nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII sind vorliegend die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 32 Abs. 5 SGB XII von Bedeutung. Das Berufungsgericht hat seiner Berechnung den vollen Beitrag für den Basistarif gemäß § 12 Abs. 1c Satz 1 und 2 VAG in Höhe von 592,88 € zugrunde gelegt. Dabei hat es die Möglichkeit der Reduzierung auf die Hälfte gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG - anders als das Verwaltungsgericht - nicht berücksichtigt, da der Ausländer seinen Bedarf selbst decken müsse und Hilfebedürftigkeit gerade nicht eintreten dürfe. Dem folgt der Senat nicht.

23

Entsteht allein durch die Zahlung des Krankenversicherungsbeitrags für den Basistarif Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte. Die dadurch entstehenden Mehraufwendungen sind gemäß § 12g Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 VAG auf alle an dem gesetzlich vorgesehenen Ausgleichssystem beteiligten privaten Versicherungsunternehmen zu verteilen. Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im o.g. Sinne, beteiligt sich der zuständige Träger auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird (§ 12 Abs. 1c Satz 5 VAG). Aus diesem Regelungsgefüge wird deutlich, dass die Möglichkeit der Absenkung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zur Vermeidung sozialrechtlicher Hilfebedürftigkeit sich nur zulasten der privaten Versicherungsunternehmen und damit letztlich der privat Versicherten auswirkt. Öffentliche Mittel im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG werden dadurch - im Gegensatz zu dem in Satz 5 der Vorschrift geregelten Fall - nicht in Anspruch genommen. Bei der ausländerrechtlichen Prüfung, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, ist daher bei Bestehen eines Anspruchs auf Abschluss einer privaten Krankenversicherung im Basistarif zugunsten des Ausländers auch die Absenkungsmöglichkeit des § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zu berücksichtigen. Damit reduziert sich der in die Prognoseentscheidung einzustellende Aufwand der Klägerin für einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz auf 296,44 €. Zutreffend hat das Berufungsgericht hingegen die Kosten für eine private Pflegeversicherung im Basistarif in voller Höhe in die Berechnung eingestellt (74,59 €). Denn insoweit besteht keine Absenkungsmöglichkeit, und es müssen die Kosten daher bei Hilfebedürftigkeit in vollem Umfang gemäß § 32 Abs. 5 Satz 4 SGB XII vom Sozialhilfeträger übernommen werden.

24

1.3.3 Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts, die für das Eigenheim der Familie N. ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) nach Kopfteilen aufzuteilen und ein Viertel davon als Bedarf der Klägerin anzusetzen, begegnet keinen Bedenken. Das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck kommende grundlegende staatliche Interesse an der Vermeidung neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte (BTDrucks 15/420 S. 70) verlangt die nachhaltige Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Der Tatrichter hat sich daher in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon zu verschaffen, dass der Ausländer aufgrund realistischer Annahmen und konkreter Dispositionen dauerhaft nicht auf öffentliche Mittel angewiesen ist. Dazu gehört auch die Entscheidung des Ausländers, wo und wie er in Deutschland wohnen will und kann. Die aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin werde auf Dauer bei Familie N. wohnen können, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Auf dieser tatsächlichen Prognosegrundlage hat es das Berufungsgericht zu Recht nicht bei der Zusage unentgeltlicher Wohnraumüberlassung seitens der Eheleute N. bewenden lassen. Nachvollziehbar ist es davon ausgegangen, dass diese bei einem - z.B. durch finanzielle Probleme infolge Arbeitslosigkeit motivierten - Sinneswandel nicht gegen den Willen der Eheleute N. durchsetzbar wäre. Auch die Art und Weise der Berechnung der Kosten der Unterkunft ist nicht zu beanstanden. Wegen der festgestellten Absicht, die Klägerin im Haus der Familie N. wohnen zu lassen, hat die Vorinstanz deren Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht abstrakt als Durchschnittskosten eines Einpersonenhaushalts im Zuständigkeitsbereich des Trägers der Sozialhilfe (vgl. § 42 Nr. 4 SGB XII) angesetzt, sondern die bereits jetzt absehbaren tatsächlichen Kosten (Aufwendungen für das selbst genutzte Eigenheim der Eheleute N., Schuldzinsen sowie die Neben- und Betriebskosten) ermittelt und nach Kopfteilen aufgeteilt (131,87 €). Diese Vorgehensweise erscheint nachvollziehbar und aus Praktikabilitätsgründen sinnvoll (Berlit, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK Sozialgesetzbuch XII, 9. Aufl. 2012, § 35 Rn. 31 m.w.N.).

25

1.4 Das Berufungsgericht hat auch die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel nicht korrekt berechnet.

26

1.4.1 Zutreffend erweist sich allerdings sein Ansatz, evtl. Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihre Töchter nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB XII bleiben bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des SGB IV unter einem Betrag von 100 000 € liegt. Dass das Einkommen diese Grenze nicht überschreitet, wird gemäß Satz 2 der Vorschrift widerleglich vermutet und ist hier auch tatsächlich der Fall. Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbs. SGB XII ist der Übergang des Anspruchs des Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel gegenüber Eltern und Kindern ausgeschlossen. Damit hat das Berufungsgericht eventuelle Unterhaltsansprüche der Klägerin gegenüber ihren Töchtern als liquide Mittel - unabhängig von dem Erfordernis der Titulierung - zu Recht unberücksichtigt gelassen, denn der Träger der Sozialhilfe könnte diese nicht gegenüber den Kindern geltend machen.

27

1.4.2 Das Berufungsgericht hat den Miteigentumsanteil der Klägerin an der derzeit noch selbstgenutzten Eigentumswohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) weder als Vermögen noch als potenzielle Einnahmequelle berücksichtigt. Das verstößt gegen Bundesrecht, da sich die Klägerin auf diesen Vermögensgegenstand berufen hatte und der Tatrichter - unter Mitwirkung der Klägerseite - hätte aufklären müssen, ob und inwieweit ein Verkaufserlös bzw. Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.

28

1.4.3 Die Vorinstanz hat die von Herrn N. und Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärungen bei der Lebensunterhaltssicherung zu Recht berücksichtigt und die Bonität der Garantiegeber am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften geprüft. Allerdings erweist sich die konkrete Bonitätsberechnung als nicht frei von Mängeln.

29

Der Senat folgt der Rechtsprechung des 1. Senats (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 1 <5 f.> = Buchholz 402.240 § 84 AuslG 1990 Nr. 2), dass die Ausländerbehörde - und damit auch die Gerichte - eine Verpflichtungserklärung bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung im Rahmen pflichtgemäßer Überzeugungsbildung zu berücksichtigen haben. Denn mit der Abgabe dieser in § 68 AufenthG vorgesehenen Garantie wird bezweckt, ein tatbestandliches Hindernis der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auszuräumen. Dagegen wendet die Beklagte ein, eine Verpflichtungserklärung sei dazu insbesondere bei beabsichtigten Daueraufenthalten untauglich. Denn sie könne nicht die Inanspruchnahme von Sozialhilfe seitens des Ausländers verhindern, der damit den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG verwirkliche, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

30

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG (früher: § 46 Nr. 6 AuslG 1990) kann ein Ausländer nach Absatz 1 der Vorschrift insbesondere dann ausgewiesen werden, wenn er für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Die Vorschrift, die nicht den Bezug von Leistungen nach dem SGB II erfasst (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn.18 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 3), dient fiskalischen Interessen und soll, soweit sie der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels und der Aufenthaltsverfestigung entgegensteht, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zulasten der Allgemeinheit verhindern und ggf. durch Ausweisung beenden (Urteil vom 28. September 2004 - BVerwG 1 C 10.03 - BVerwGE 122, 94 <98> = Buchholz 402.240 § 35 AuslG Nr. 3 S. 4 f.). Ihr Anwendungsbereich ist teleologisch jedoch auf die Fälle zu reduzieren, in denen die öffentliche Hand letztlich keine Erstattung der geleisteten Aufwendungen durchsetzen kann. Die Vorschrift schützt öffentliche Träger aber nicht grundsätzlich davor, dass die zuständigen Behörden ihre Aufwendungen ggf. im Wege der Festsetzung des Erstattungsanspruchs gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG gegenüber einem Garantiegeber durchsetzen müssen. Folgte man der Auffassung der Beklagten, erwiese sich die gesetzliche Normierung der Verpflichtungserklärung im Aufenthaltsrecht als sinnlos, da eine solche Erklärung dann prinzipiell ungeeignet wäre, als Beleg bei der Lebensunterhaltssicherung Berücksichtigung zu finden. Der Gesetzgeber wollte aber mit § 84 AuslG 1990, der Vorläufervorschrift des § 68 AufenthG, die bis dahin in der Verwaltungspraxis übliche zivilrechtliche Garantieerklärung und Regressmöglichkeit öffentlich-rechtlich ausgestalten, um die Inanspruchnahme des Garantiegebers im Wege behördlicher Selbsttitulierung durch Verwaltungsakt und das Instrumentarium der Verwaltungsvollstreckung effektiver auszugestalten (vgl. BTDrucks 11/6321, S. 84). Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass eine Verpflichtungserklärung ein taugliches Mittel sein kann, um die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erfüllen.

31

Eine Verpflichtungserklärung ist zur Gewähr der Lebensunterhaltssicherung grundsätzlich auch bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zu berücksichtigen, die auf längerfristige oder Daueraufenthalte ausgerichtet sind (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 8: Ausbildungszwecke oder Familienzusammenführung). Auch wenn in diesen Fällen die Reichweite und der Umfang der eingegangenen Verpflichtung für den Garantiegeber bei Abgabe der Erklärung nicht absehbar sind, verstößt eine Verpflichtungserklärung nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Denn für die Berücksichtigung von unzumutbaren Härten bei der Inanspruchnahme des Garantiegebers bieten im System des Aufenthaltsrechts sowohl die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt im Regel-Ausnahme-Verhältnis als auch die sich ggf. anschließende Verwaltungsvollstreckung ausreichend Raum (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 11, 17 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall wird vorliegen, wenn der Aufenthalt des Ausländers in Deutschland allein oder überwiegend private Gründe hat und dementsprechend der Lebensunterhalt ausschließlich von privater Seite zu sichern ist. Zudem muss die Lebensunterhaltssicherung einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sein, und es darf nichts dafür sprechen, dass seine Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung für ihn führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten etwa eingeräumt werden (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 18 f. für die Fallgruppe der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen als öffentliche Angelegenheit).

32

Dieses Regelungssystem als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewährleistet eine differenzierte Risikozuweisung und lässt bei einem - wie hier - aus privaten Gründen angestrebten Aufenthalt in Deutschland den Erstattungsanspruch der öffentlichen Hand nicht leerlaufen. Im Übrigen obliegt es tatrichterlicher Würdigung und Überzeugungsbildung in jedem Einzelfall, ob und in welchem Umfang eine Verpflichtungserklärung mit Blick auf den absehbaren Bedarf des Ausländers und seine Mittel sowie das Vorliegen ausreichender und stabiler finanzieller Verhältnisse des Garantiegebers genügt, um von einem gesicherten Lebensunterhalt des Ausländers ausgehen zu können.

33

Das Berufungsgericht hat die Verpflichtungserklärungen von Herrn N. und Frau F. als wirksam erachtet und so ausgelegt, dass sie den angestrebten Daueraufenthalt der Klägerin abdecken. Diese Auslegung der Willenserklärungen ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Weiter hat die Vorinstanz die Bonität der Garantiegeber zu Recht am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO geprüft. Denn die Verpflichtungserklärung ist gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes vollstreckbar. § 5 Abs. 1 VwVG verweist für den Vollstreckungsschutz auf § 319 AO, demzufolge die Beschränkungen und Verbote, die u.a. nach §§ 850 bis 852 der Zivilprozessordnung für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß gelten.

34

Dazu hat das Berufungsgericht die aktuellen monatlichen Lohnabrechnungen von Herrn N. und Frau F. über sechs Monate hinweg ausgewertet und der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens zutreffend das jeweilige Nettogehalt zugrunde gelegt (§ 850e Nr. 1 ZPO). Die nach § 850a Nr. 2 und 4 ZPO unpfändbaren Teile wurden vom Nettobetrag abgezogen. Der daraus resultierende Betrag ergibt unter Berücksichtigung der jeweiligen Anzahl von Unterhaltspflichtigen nach der Tabelle zu § 850c ZPO ein pfändbares Arbeitseinkommen in Höhe von 219,26 € (Herr N.) und 295,26 € (Frau F.). Das Mieteinkommen von Herrn N. aus der fremd vermieteten Eigentumswohnung hat das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend gemäß § 851b ZPO in voller Höhe herangezogen; allerdings dürften insoweit nicht umlagefähige Kosten in Abzug zu bringen sein. Außerdem sind die auf der Bedarfsseite in Ansatz gebrachten Kosten der Unterkunft im Haus der Familie N. (131,87 €) abzüglich der auf die Klägerin entfallenden herausrechenbaren Mehrkosten als zusätzliche Einkünfte bei den Eheleuten N. zu berücksichtigen. Obwohl nach den getroffenen Feststellungen Herr und Frau F. über ein nahezu gleich hohes Einkommen verfügen, hat das Berufungsgericht bei Prüfung der von Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärung die Möglichkeit der Erhöhung des pfändbaren Betrags für den Fall der Vollstreckung gemäß § 850c Abs. 4 ZPO nicht berücksichtigt, da einer zukünftigen Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht vorgegriffen werden dürfe. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.

35

Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt und die über eigene Einkünfte verfügt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Diese Regelung soll dem Vollstreckungsgläubiger die Möglichkeit eröffnen, das pfändbare Einkommen des Schuldners zu erweitern, wenn ein Unterhaltsberechtigter des Vollstreckungsschuldners über eigene Einkünfte verfügt. Aus den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 8/693 S. 48 f.) ergibt sich, dass der Gesetzgeber in dieser Vorschrift keine Geldbeträge fixiert, sondern statt dessen ganz bewusst eine Ermessensentscheidung des Vollsteckungsgerichts vorgesehen hat, um die Entscheidung flexibel zu gestalten und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - IXa ZB 142/04 - NJW-RR 2005, 795). Bei der sinngemäßen Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist das "billige Ermessen" kein Ausdruck eines Verwaltungsvorbehalts im Sinne der gesetzgeberischen Zuweisung einer administrativen Letztentscheidungs- oder Gestaltungskompetenz an die Exekutive. Vielmehr hat die Vollstreckungsbehörde eine den Interessen aller Beteiligten angemessene und ausgewogene Entscheidung über eine Erweiterung des vollstreckbaren Vermögens des Vollstreckungsschuldners zu treffen. Dieser Entscheidungsvorbehalt, der der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit dient, ändert aber nichts daran, dass auch der Teilbetrag des Einkommens, der erst nach einer Ermessensentscheidung gemäß § 850c Abs. 4 ZPO der Pfändung unterliegt, materiell zum Vermögen des Schuldners gehört und prinzipiell geeignet ist, dessen Bonität zu verbessern. Damit ist auch die Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde einer ausländerbehördlichen bzw. tatrichterlichen Prognose zugänglich, die sich daran auszurichten hat, welches der rechtmäßigen Ergebnisse am wahrscheinlichsten zu erwarten ist. Letztlich verbleibenden Unsicherheiten kann dabei durch einen Sicherheitsabschlag begegnet werden.

36

2. Das Berufungsurteil beruht bei der Bedarfs- und Mittelberechnung auf den aufgezeigten Verstößen gegen Bundesrecht. Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden vermag, ist der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

37

2.1 In dem neuen Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob bei der Klägerin - in dem dann maßgeblichen Zeitpunkt - die Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen, d.h. die Erteilung des Visums zum Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - NVwZ 2011, 1199 mit Hinweis auf den Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 22 AuslG 1990).

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Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Frage angesprochen, ob der Nachzugswillige im Rahmen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf die Pflege durch familienfremde Dritte in seinem Herkunftsland verwiesen werden kann (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2011 - OVG 3 B 17.10 - juris Rn. 26 ff. m.w.N.). Ob die Maßstäbe, die insoweit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen entwickelt worden sind, durch die eine tatsächlich gelebte familiäre Beistandsgemeinschaft auseinandergerissen wird, in gleicher Weise für den Zuzug von Ausländern gelten, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Jedenfalls setzt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug wegen Pflegebedürftigkeit gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe voraus. Das ist nicht bei jedem Betreuungsbedarf der Fall, sondern kann nur dann in Betracht kommen, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder im Herkunftsland angebotener professioneller pflegerischer Beistand den Bedürfnissen des Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden können. Wenn der alters- oder krankheitsbedingte Autonomieverlust einer Person so weit fortgeschritten ist, dass ihr Wunsch auch nach objektiven Maßstäben verständlich und nachvollziehbar erscheint, sich in die familiäre Geborgenheit der ihr vertrauten persönlichen Umgebung engster Familienangehöriger zurückziehen zu wollen, spricht dies dagegen, sie auf die Hilfeleistungen Dritter verweisen zu können. Denn das humanitäre Anliegen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG respektiert den in den unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägten Wunsch nach Pflege vorrangig durch enge Familienangehörige, zu denen typischerweise eine besondere Vertrauensbeziehung besteht. Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen in Würde kompensieren zu können, erweist sich auch mit Blick auf die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm als aufenthaltsrechtlich schutzwürdig.

39

Jedenfalls ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten, bei der sowohl der Grad des Autonomieverlusts des nachzugswilligen Ausländers als auch das Gewicht der familiären Bindungen zu den in Deutschland lebenden Familienangehörigen und deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme der familiären Pflege zu berücksichtigen sind. Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass in einem Fall, in dem die in § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der der hohen Hürde der "außergewöhnlichen Härte" zum Ausdruck kommenden einwanderungspolitische Belange (vgl. BTDrucks 15/420 S. 84) durch Art. 6 GG zurückgedrängt werden und sich das Ermessen der Ausländerbehörde verdichtet, nicht automatisch auch eine Ausnahme von dem Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung vorgezeichnet ist. Denn das vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck gebrachte grundlegende staatliche Interesse, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch Zuwanderung zu vermeiden (BTDrucks 15/420 S. 70), ist nicht deckungsgleich mit seinem Anliegen, Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme und Integrationsfähigkeit sowie wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Interessen zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

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2.2 Wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Fall der Klägerin vorliegen und sich auch das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert hat, wird es die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG auf aktueller Grundlage unter Beachtung der o.g. Vorgaben zu prüfen haben. Dabei wird es insbesondere der - in der Revisionsverhandlung von der Beklagten nunmehr prinzipiell bejahten - Frage nachzugehen haben, ob und in welcher Höhe die russische Rente der Klägerin auch in Deutschland ausgezahlt wird. Sollte es noch darauf ankommen, wird es auch aufzuklären haben, ob und inwieweit der Miteigentumsanteil der Klägerin an der Wohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) als Vermögen verwertbar ist oder daraus zu erzielende Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 30. Juli 2015 weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch die behauptete Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO; 2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen nach Auffassung des Klägers deshalb, weil das Verwaltungsgericht bei ihm zu Unrecht noch von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ausgehe. Er sei zwar wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Allerdings bestehe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er erneut Gewaltdelikte begehen werde. Er befinde sich erstmals in Haft, weshalb davon auszugehen sei, dass diese einen solchen Eindruck auf ihn hinterlasse, dass er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei der abgeurteilten Straftat habe es sich um eine einmalige Affekttat gehandelt, was auch das Landgericht München I im Strafurteil festgestellt habe. Schon deshalb könne daraus auf keine beachtliche Wiederholungsgefahr geschlossen werden. Er habe sich mit seiner Ehefrau, dem Opfer dieser Straftat, inzwischen versöhnt und beabsichtige, nach der Haftentlassung wieder mit ihr zusammenzuleben. Er werde von der Ehefrau regelmäßig in der Haft besucht. Auch die bei ihm bestehende Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. und sein (fortgeschrittenes) Alter sprächen gegen die Begehung weiterer Straftaten. Eine Suchterkrankung (bezüglich Alkohol und Medikamente) bestehe nicht mehr. Er habe in der Haft regelmäßig Gespräche mit dem psychiatrischen Dienst wahrgenommen, um die Hintergründe der Tat aufzuarbeiten. Die zuständige Strafvollstreckungskammer sei grundsätzlich bereit, seine Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, und habe diesbezüglich ein Prognosegutachten eingeholt, welches nachgereicht werde.

Damit hat der Kläger jedoch keine Umstände aufgezeigt, die die vom Erstgericht im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen nach § 53 Abs. 1 AufenthG angestellte Gefahrenprognose und die Annahme einer beachtlichen Wiederholungsgefahr erneuter Gewaltdelikte ernstlich in Zweifel ziehen könnten. Bei der von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung zu treffenden eigenständigen Prognose zur Wiederholungsgefahr sind nach ständiger Rechtsprechung die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.5.2017 - 10 ZB 15.2310 - Rn. 14, B.v. 28.4.2017 - 10 ZB 15.2066 - juris Rn. 12 jeweils m.w.N.). Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht die hinreichende (konkrete) Gefahr der Begehung erneuter Gewaltdelikte durch den Kläger zu Recht bejaht. Es hat dabei in nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass es sich bei der Anlasstat des Klägers um ein Verbrechen im Bereich der Schwerkriminalität handle, als dieser im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau über die beengten finanziellen Verhältnisse der Familie auf diese eingestochen, sie lebensbedrohlich verletzt und sich anschließend auch nicht um seine erkennbar schwer verletzte Ehefrau gekümmert habe. Das Verwaltungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger diese Tat nicht aus einer einmaligen emotional ausweglosen Ausnahmesituation heraus, sondern nach den strafgerichtlichen Feststellungen lediglich „spontan“, also aufgrund eines plötzlichen Entschlusses oder Impulses, begangen hat. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit erneuter Gewalttätigkeiten gegenüber seiner Ehefrau trotz des vom Kläger für sich in Anspruch genommenen „Affektzustands“ hat das Verwaltungsgericht in überzeugender Weise zum einen damit begründet, dass die sehr schwierige finanzielle Situation und damit das bisherige erhebliche Konfliktpotenzial der Eheleute unverändert fortbestehe, zumal der Kläger nun auch noch seinen Arbeitsplatz verloren habe. Zum anderen hat es zu Recht darauf hingewiesen, dass beim Kläger bisher keine ausreichende Bereitschaft festzustellen ist, sich mit seiner Tat und seinem - auch testpsychologisch festgestellten - erhöhten Aggressionspotenzial ernsthaft auseinanderzusetzen. Weder der Kläger noch seine Ehefrau hätten sich bisher zu den Umständen der Tat näher geäußert, vielmehr habe der Kläger diese wiederholt lediglich als einen „Unfall“ bezeichnet. Regelmäßige Gespräche mit dem psychiatrischen Dienst in der Justizvollzugsanstalt zur Aufarbeitung der Tat, wie sie der Kläger nunmehr geltend macht, sind ausweislich der - unwidersprochen gebliebenen - Antragserwiderung der Beklagten auf deren telefonische Nachfrage am 9. Mai 2017 durch die Justizvollzugsanstalt gerade nicht bestätigt worden. Ohne eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Tat und ihren Ursachen ist aber auch nach Auffassung des Senats die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger bei erneuten Ehestreitigkeiten auch aufgrund der schwierigen finanziellen Verhältnisse wieder „spontan“ seinen Aggressionen freien Lauf lässt, als hoch einzuschätzen.

Ob das Strafvollstreckungsgericht nach Vorliegen des beauftragten Prognosegutachtens unter Resozialisierungsgesichtspunkten eine vorzeitige Entlassung des Klägers aus der Haft als verantwortbar ansehen wird, ist derzeit offen. Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer und dem zugrunde liegenden Gutachten zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr durch die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte zukommt, diese wegen des unterschiedlichen Prognosezeitraums und -maßstabs aber gerade keine Bindungswirkung entfalten. Denn bei der der Ausweisung zugrunde liegenden Prognoseentscheidung geht es vor allem um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 20 f.).

Nicht nachvollziehbar bzw. schlüssig ist der Einwand des Klägers, seine Schwerbehinderung und sein Alter sprächen gegen die Begehung weiterer Straftaten, zumal ihn beides nicht von Anlasstat abgehalten hat.

Soweit der Kläger - allerdings im Rahmen einer Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO - weiter geltend macht, seine Ausweisung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unverhältnismäßig und verletze daher Art. 8 EMRK, zeigt er ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auf. Der Kläger beruft sich hier insbesondere auf seinen vom Verwaltungsgericht nicht anerkannten Status als faktischer Inländer, der seit 1975 in Deutschland lebe und dessen gesamte Familie (Ehefrau und zwei erwachsene Söhne) hier integriert sei. Wiege man die von ihm begangene Straftat mit der Dauer des Aufenthalts in Deutschland, seiner familiären Situation und den ernsthaften Schwierigkeiten seiner Ehefrau im Falle der Abschiebung ihres Ehemanns ab, müsse diese Abwägung zu seinen Gunsten ausfallen. Seine Ehefrau (aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse) und er selbst (aufgrund seiner Schwerbehinderung) seien auf ihre gegenseitige Lebenshilfe angewiesen. Die Ausweisung eines in Deutschland nachhaltig verwurzelten Ausländers könne nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (v. 18.3.2011 - 11 S 2/11) entgegen der Auffassung des Erstgerichts wegen Art. 8 EMRK regelmäßig auch nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden.

Das Verwaltungsgericht ist jedoch bei der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Abwägung der gegenläufigen Interessen (s. § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG) zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung somit nicht unverhältnismäßig ist. Das Verwaltungsgericht hat dabei weder das Gewicht des im Fall des Klägers streitenden (gesetzlich typisierten) besonders schwerwiegenden Ausweisungs- (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und Bleibeinteresses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) verkannt noch bei der umfassenden Gesamtabwägung (§ 53 Abs. 2 AufenthG) besonders schutzwürdige Bleibeinteressen im Sinne des Art. 8 EMRK nicht beachtet oder fehlgewichtet. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht selbständig tragend festgestellt, dass auch im Fall der (unterstellten) Annahme des Status eines faktischen Inländers beim Kläger angesichts der von ihm begangenen schweren Gewalttat und der konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit die Ausweisung nicht unzumutbar ist. Das Verwaltungsgericht hat zudem in rechtlich nicht zu beanstandender Weise in seine Abwägung eingestellt, dass die Ausweisung in die verfassungsrechtlich gemäß Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Ehe des Klägers eingreift, die dieser seit über 35 Jahren mit seiner Ehefrau führt, welche ihm nach der Straftat verziehen hat und die Ehe fortsetzen will. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht aber auch davon ausgegangen, dass die Ehefrau, die selbst erwerbstätig ist und dadurch ihren Lebensunterhalt sichert, auf einen unmittelbaren Beistand durch den Kläger nicht angewiesen und ihr während der Dauer der verfügten 4-jährigen Wiedereinreisesperre die Aufrechterhaltung der ehelichen Beziehung mittels Brief- und Telefonkontakten oder über neue Medien zumutbar ist. Die nicht näher substantiierte Behauptung des Klägers, seine Ehefrau, die immerhin seit fast 30 Jahren im Bundesgebiet lebt und (aktuell) einer Erwerbstätigkeit nachgeht, sei aufgrund fehlender Deutschkenntnisse auf seine Lebenshilfe angewiesen, vermag diese Bewertung nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen.

Im Hinblick auf das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens hat das Verwaltungsgericht weiter festgestellt, dass der Kläger noch Beziehungen in seinen Herkunftsstaat Mazedonien besitzt, neben seiner Muttersprache Türkisch auch Mazedonisch spricht, in Mazedonien den Wehrdienst abgeleistet hat und dort über Verwandte seiner Ehefrau noch über familiäre Beziehungen verfügt. Zwar hat das Verwaltungsgericht ebenfalls angenommen, dass der Kläger aufgrund seines Alters und seiner Schwerbehinderung in Mazedonien wohl keinen Arbeitsplatz finden werde, gleichzeitig aber auch seine Chancen auf einen Arbeitsplatz im Bundesgebiet nach der Haftentlassung als äußerst gering eingeschätzt. Zudem ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass der Kläger mit Unterstützung der Familienangehörigen seiner Ehefrau in Mazedonien und seiner in Deutschland lebenden Familie sein Existenzminimum in Mazedonien sichern könne und im Übrigen nach einer Rückkehr auch Zugang zum dortigen Sozialsystem und Anspruch auf Sozialhilfeleistungen habe. Dem ist der Kläger im Zulassungsverfahren ebenfalls nicht substantiiert entgegengetreten.

Der unter Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. März 2011 (11 S 2/11) auf die Zulässigkeit generalpräventiver Erwägungen bei seiner Ausweisung bezogene Einwand des Klägers greift hier aus zwei Gründen nicht durch. Zum einen handelt es sich in seinem Fall nicht um eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung. Zum anderen hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Februar 2012 (1 C 7.11) die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (insoweit) aufgehoben und die grundsätzliche Zulässigkeit einer allein aus generalpräventiven Gründen erfolgten Ausweisung eines in Deutschland „verwurzelten“ Ausländers ausdrücklich bestätigt.

2. Auch die Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) hat keinen Erfolg. Vom Kläger darzulegen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) wäre insoweit, welche bestimmte und verallgemeinerungsfähige Rechtsauffassung das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und inwiefern diese mit einem konkreten Rechtssatz in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte nicht übereinstimmt. Die divergierenden Rechtssätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 15.5.2017 - 10 ZB 17.617 - juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen des Klägers, der im Zusammenhang mit der behaupteten fehlenden Verhältnismäßigkeit seiner Ausweisung lediglich pauschal auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (v. 12.1.2010, 47486/06) sowie des Oberverwaltungsgerichts Bremen und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg verweist, nicht ansatzweise.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 17. Dezember 2014 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf sechs Jahre befristet wurden. Das Verwaltungsgericht hat mit dem Urteil vom 5. August 2015 zwar die Befristung auf vier Jahre verkürzt, die Klage aber im Übrigen abgewiesen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch ein Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F.) für rechtmäßig erachtet. Die Rechtmäßigkeit beurteile sich nach § 55 AufenthG (a.F.) i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie nach Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie; deshalb könne der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich sei. Zudem müssten sowohl der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, gewahrt werden. Der Kläger könne sich auch auf den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (a.F.) berufen, erfahre den gleichen Schutz aber über Art. 7 und 14 ARB 1/80. Zu Recht habe der Beklagte deshalb eine Ermessensentscheidung getroffen.

Zutreffend sei der Beklagte von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen, er habe dabei umfassend die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers und die mangelnde therapeutische Aufarbeitung seiner Sexualdelinquenz und seines Gewaltpotentials gewürdigt. Weiterhin sei der Kläger Bewährungsversager mit auffallend hoher Rückfallgeschwindigkeit.

Die Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Die Ausweisung sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Insbesondere stehe die Beziehung des Klägers zu seinen beiden Kindern der Ausweisung nicht entgegen.

b) Mit seinem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744).

Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 5. August 2015 unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens - mangels entgegenstehender Übergangsregelung - anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung zu überprüfen. Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Da dem Kläger ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei zusteht, darf er gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Diesen Maßstab hat auch das Verwaltungsgericht der Sache nach (bei etwas anderer Formulierung) seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

c) Der Kläger macht zunächst geltend, die Ermessensentscheidung der Beklagten sei fehlerhaft, weil vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe. Insbesondere wegen der in der Haft erfolgten erfolgreichen Therapiemaßnahmen könne die Rückfallprognose nicht mehr aufrechterhalten werden.

Zunächst ist insoweit festzustellen, dass die vom Aufenthalt des Ausländers ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht (mehr) im Rahmen der Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde zu prüfen ist, sondern im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG.

Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung und auch unter Berücksichtigung der seit dem erstinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen ist auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG weiterhin davon auszugehen, dass von dem vom Kläger zu erwartenden persönlichen Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgeht. Der Kläger hat diese Annahme in seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Im Fall des Klägers bestehen Gefahren für Rechtsgüter von hohem Rang, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Er ist zuletzt mit Urteil vom 17. Juli 2013 zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten sowie von fünf Jahren verurteilt worden, im Wesentlichen wegen mehrerer Gewalttaten und einer Vergewaltigung, die sich gegen seine damalige Lebensgefährtin Frau N. richteten. Mehrere Tathandlungen der Körperverletzungen bestanden in der potentiell lebensgefährlichen Handlung des Würgens des Opfers, das in einem Fall infolgedessen das Bewusstsein verlor. Die körperliche Unversehrtheit bzw. Leben und Gesundheit von Personen ist durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet; dem Staat obliegt eine besondere Schutzpflicht für diese Rechtsgüter (vgl. BVerfG, U.v.16.10.1977 - 1 BvQ 5/77 - BVerfGE 46, 160, juris Rn. 11). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass der Kläger neben diesen Straftaten gegen eine nahstehende Person auch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung, also Straftaten, die eine Gefährdung der Allgemeinheit bedeuten, verurteilt wurde.

Die abgeurteilten Straftaten offenbaren eine außerordentlich hohe Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit des Klägers und seine Neigung, bereits wegen Kleinigkeiten oder auch grundlos gewalttätig zu werden. Im Verlauf der Jahre 2011 und 2012 hat der Kläger seine damalige Lebensgefährtin N. mehrfach bedroht, geschlagen, getreten und gewürgt und sie im Dezember 2012 schließlich vergewaltigt, wodurch diese, wie von ihm beabsichtigt, schwanger wurde. Im Januar 2012 überholte er bei einer Autofahrt mehrfacht riskant, um seiner Lebensgefährtin N. als Beifahrerin Angst einzuflößen; Zusammenstöße konnten nur durch Glück und das fahrerische Können der anderen Verkehrsteilnehmer verhindert werden. Darüber hinaus ergeben sich aus den Akten auch noch eine Vielzahl von polizeilichen Maßnahmen wegen Bedrohungen und häuslicher Gewalt zu Lasten seiner früheren Lebensgefährtin Frau D. (der Mutter seiner Kinder), in denen es soweit erkennbar nur mangels Strafantrags bzw. wegen späterer Aussageverweigerungen nicht zu Verurteilungen kam. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger bereits am 23. August 2006 wegen Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden ist, wobei ihm das Gericht „nicht unerhebliche kriminelle Energie“ bescheinigte.

Das Verwaltungsgericht hat ebenso wie bereits das Strafgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei der letzten strafgerichtlichen Verurteilung unter offener Bewährung stand und mehrere verhängte Freiheitstrafen, deren Vollstreckung immer wieder zur Bewährung ausgesetzt worden war, ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten haben; auffallend war auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit.

Zugunsten des Klägers spricht ohne Zweifel, dass er in Lauf des Strafvollzugs an einem Anti-Gewalt-Training teilgenommen und eine Sozialtherapie in der Sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter der Justizvollzugsanstalt durchlaufen und abgeschlossen hat. Auf der Grundlage eines forensisch-psychologischen Sachverständigengutachtens vom 24. November 2016 hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 2. Januar 2017 die weitere Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt; am 9. Januar 2017 wurde der Kläger aus der Haft entlassen. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre, der Kläger wurde unter anderem angewiesen, eine ambulante Psychotherapie bei einer psychotherapeutischen Fachambulanz für Sexualstraftäter zu absolvieren.

Gleichwohl kann aus diesen - durchaus positiven - Entwicklungen (noch) nicht der Schluss gezogen werden, dass damit die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass sie im vorliegenden Fall nicht mehr als schwerwiegende, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende, Gefahr anzusehen wäre.

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer - und den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt - kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu, doch sind Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht daran gebunden. Es bedarf jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21).

Hier ist aber auch zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung eines assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - juris Rn. 19).

Im Rahmen dieser längerfristig angelegten Prognose fällt zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Beurteilung, ob es dem Kläger gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen, derzeit negativ aus.

Denn der Kläger ist erst seit wenigen Wochen (seit 9. Januar 2017) wieder in Freiheit, er steht damit noch ganz am Anfang der vom Strafvollstreckungsgericht festgesetzten Bewährungszeit von fünf Jahren; mit fünf Jahren hat dieses die höchstzulässige Dauer der Bewährungszeit festgesetzt (§ 57 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB). Auch hält das Strafvollstreckungsgericht die Weisung für erforderlich, „die therapeutische Arbeit fortzusetzen und den erreichten Behandlungsstatus zu sichern und zu festigen und insbesondere in der heterosexuellen Beziehungsgestaltung weitere Problematiken zu bearbeiten, um eventuell auftretenden Stressoren therapeutisch entgegenzuwirken“; es ist insoweit den Empfehlungen des eingeholten forensisch-psychologischen Sachverständigengutachtens gefolgt. Bereits aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass eine relevante Rückfallgefahr keineswegs zu verneinen ist, sondern eine Entlassung des Klägers aus der Haft lediglich im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB „verantwortbar“ ist, und auch dieses lediglich unter Ausschöpfung der höchstzulässigen Bewährungszeit und unter Verpflichtung zu einer weiteren Verhaltenstherapie.

Ferner sind auch in dem forensisch-psychologischen Sachverständigengutachten Tendenzen des Klägers, seine Straftaten weiterhin zu verharmlosen, erkennbar. So bezeichnet er die Geldfälschung, wegen der er am 23. August 2006 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung verurteilt worden war, weiterhin als „dummen Streich“ und „Jux“ (S. 29 des Gutachtens), obwohl seinerzeit das Strafgericht angesichts des planmäßigen Vorgehens beim Inverkehrbringen der gefälschten Geldscheine von „erheblicher krimineller Energie“ gesprochen hatte. Auch die Verurteilung vom 4. Mai 2010 zu 90 Tagessätzen wegen Beleidigung deutet auf eine leichte Reizbarkeit bei geringfügigen Anlässen hin: er hat sich nach seinen Angaben von zwei Männern bei einem Abbiegevorgang mit dem Pkw behindert gefühlt. Nach seiner in dem Gutachten (S. 29) wiedergegebenen Stellungnahme fühlt er sich offensichtlich weiterhin ungerecht behandelt.

Bezeichnend ist auch seine Bemerkung gegenüber seiner früheren Lebensgefährtin Frau D. am 20. Dezember 2014 bei einem Besuch in der Justizvollzugsanstalt. Auch wenn man seine Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015 zugrunde legt, Frau D. habe sich nur durch ein „Missverständnis“ durch seine Worte „nicht dass ich einen Mord begehen muss, wenn ich herauskomme“ bedroht gefühlt, das sei „nur eine so dahingesagte Redewendung gewesen“, offenbart dies doch eine andauernde Verhaftung in Denkweisen, die eben gerade in der laufenden Therapie hätten beseitigt werden müssen.

Angesichts der hohen Bedeutung der bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgüter und des Ausmaßes des dadurch eintretenden Schadens rechtfertigt die vom Kläger immer noch ausgehende Rückfallgefahr seine Ausweisung.

d) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 13.3.2017 - 10 ZB 17.226 - juris Rn. 6 ff. m.w.N.).

Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG aufgrund seiner Verurteilungen gegeben; sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ebenfalls besonders schwer.

Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig, begegnet auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit. Die vom Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.

e) Der Kläger bringt in seiner Begründung des Zulassungsantrags vor, das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung der Anwesenheit des Klägers in Deutschland und die Folgen seiner Ausweisung für seine Kinder nicht konkret beurteilt. In dieser Hinsicht ergebe sich nämlich die Rechtswidrigkeit der Ausweisung. Es sei absolut unvertretbar, den Kindern den Vater zu entziehen. Diese Problematik hätte weiter aufgeklärt werden müssen. Eine Interessenabwägung aus der Sichtweise der Kinder habe jedenfalls nicht stattgefunden.

Damit werden jedoch keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat sehr wohl eine eingehende Erörterung des Gewichts der persönlichen Bindungen des Klägers an seine beiden Kinder vorgenommen (UA Rn. 38-42) und darauf aufbauend in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Eingriff in das Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG nicht unverhältnismäßig ist. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nämlich nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (siehe z.B. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207, Rn. 12). Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Kinder für ihre weitere Entwicklung nicht zwingend auf ihren Vater angewiesen sind. Sie lebten bereits seit Mitte 2012 ohne ihren Vater mit ihrer allein sorgeberechtigten Mutter zusammen; aufgrund der langjährigen Haftstrafe des Klägers sei die Beziehung der Kinder zu ihrem Vater ohnehin auf telefonische Kontakte und sporadische, kurze Besuche beschränkt. Derartige Kontakte können auch über moderne Kommunikationsmittel von der Türkei aus aufrechterhalten werden; zur Abfederung von Härten kommt daneben auch die Erteilung von Betretenserlaubnissen zu besonderen Ereignissen in Betracht (BayVGH, U.v. 15.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 49).

Einer weiteren Aufklärung bedurfte es nicht. Das Verwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht die ausführlichen eigenen Angaben des Klägers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015, „an deren Richtigkeit das Gericht keine Zweifel hat“ (UA Rn. 41), seiner Erörterung und Bewertung zugrunde gelegt.

f) Keine ernsthaften Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung hat der Kläger auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK dargelegt. Er hat hierzu vorgetragen, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er in Deutschland geboren sei und seither hier lebe. Er empfinde Deutschland als sein Heimatland, sämtliche sozialen Bindungen lägen hier. Er habe auch eine sehr enge Bindung an seine Kinder, denen es nicht zumutbar sei, ihm in die Türkei zu folgen.

Entgegen diesem Vorbringen hat das Verwaltungsgericht die Rechtsstellung des Klägers als „faktischer Inländer“ zutreffend gewürdigt. Diese Position führt nämlich nicht dazu, dass eine Ausweisung unzulässig wäre. Als „faktischer Inländer“ wird ein Ausländer bezeichnet, der sich lange im Bundesgebiet aufgehalten und seine wesentliche Prägung und Entwicklung hier erfahren hat (BayVGH, B.v. 13.5.2016 - 10 ZB 15.492 - juris Rn. 21). Jedoch verhindert die Stellung als „faktischer Inländer“ die Ausweisung nicht von vornherein, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.808 - juris Rn. 37). Diese Abwägung hat das Verwaltungsgericht fehlerfrei vorgenommen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung geht das Gericht auf den langjährigen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet ein (UA Rn. 45-46), stellt aber zugleich fest, dass der Kläger in der Türkei familiäre Anknüpfungspunkte habe, die türkische Sprache beherrsche und in der Türkei seinen Lebensunterhalt sicherzustellen vermöge. Angesichts der Gefahr weiterer erheblicher Straftaten sei deshalb der Umstand, dass er in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen sei und hier einen Großteil seines Lebens verbracht habe, nicht so gewichtig, dass er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Ausweisung entgegenstehen könnte.

Der Kläger behauptet (im Schriftsatz vom 2. Dezember 2015) im Hinblick auf die Ausführungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts, er besitze in der Türkei Anknüpfungspunkte, beherrsche die türkische Sprache und sei im türkischen Kulturkreis verwurzelt (UA Rn. 46), es sei nicht ersichtlich, woher das Gericht diese - noch dazu falschen - Informationen beziehe. Er übersieht dabei aber, dass diese Informationen aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015 stammen, wonach er mit seinem Vater und mit seiner Mutter nur türkisch spreche, seine Schwester in der Türkei lebe und auch seine Eltern sich bis zu seiner Inhaftierung jeweils mehrere Monate im Jahr in ihrer Wohnung in Ankara aufgehalten hätten sowie er selbst mehrfach in der Türkei gewesen sei.

Auch im Hinblick auf die Kinder des Klägers liegt ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK nicht vor. Zwar hat das Wohl des Kindes hier besonderes Gewicht, ist aber nicht allein entscheidend; vielmehr ist zu beurteilen, ob im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Gefahr seine Ausweisung und Abschiebung verhältnismäßig ist (vgl. zu Art. 8 EMRK zuletzt z.B.: EGMR, U.v. 2.4.2015 - Sarközi u. Mahran/Österreich, Nr. 27945/10 - NVwZ 2016, 1235, Rn. 64 ff.; ferner BayVGH, B.v. 22.8.2016 - 10 ZB 16.1499 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.7.2015 - 10 ZB 15.463 - juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 15.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 49). Auch insoweit ist das Verwaltungsgericht bei der vorzunehmenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass angesichts der erheblichen Gefahr weiterer schwerwiegender, vor allem auch gegen die körperliche Unversehrtheit sowie die sexuelle Selbstbestimmung und damit besonders bedeutsame Schutzgüter (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) gerichteter Straftaten durch den Kläger das öffentliche Interesse an seiner Ausreise seine Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt (s. § 53 Abs. 1 AufenthG). Im Übrigen stellt sich die Frage, ob es den Kindern zumutbar ist, ihrem Vater in die Türkei zu folgen, nicht; diese leben nämlich bei ihrer Mutter, die das alleinige Sorgerecht besitzt.

2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO, wie sie der Kläger erhoben hat, setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (BVerwG, B.v. 8.7.2009 - 4 BN 12.09 - juris Rn. 7).

Der Kläger trägt insoweit vor, über die Intensität der Beziehung des Klägers zu seinen Kindern hätte nur deren Mutter fundiert Auskunft geben können, die deshalb als Zeugin hätte angehört werden müssen.

Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern dessen ausführliche eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015, „an deren Richtigkeit das Gericht keine Zweifel hat“ (UA Rn. 41), seiner Erörterung und Bewertung zugrunde gelegt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern diese eigenen Angaben des Klägers unrichtig oder unvollständig gewesen sein sollten, so dass sich insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht aufgedrängt hätte.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 13. August 2015 und auf deren Verpflichtung, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weiter. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. 1), den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vom 3. Dezember 2013 abgelehnt (Nr. 2) und unter der Bedingung, dass Straf- und Drogenfreiheit nachgewiesen wird, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zuletzt vier Jahre befristet (Nr. 3).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Das ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf Grundlage der § 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung für rechtmäßig erachtet. Es ist davon ausgegangen, dass das persönliche Verhalten des Klägers auch derzeit noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung nach der erforderlichen Interessenabwägung für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unerlässlich ist. Es bestehe eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit für die weitere Begehung schwerer Straftaten, insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Hierfür spreche die massive strafrechtliche Delinquenz des Klägers, die er seit 2003 an den Tag gelegt habe. Er sei bereits im Jahr 2009 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Der Kläger sei schon in Haft gewesen, die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung der Freiheitsstrafe sei in der Folgezeit widerrufen worden. Grund für die Annahme der Begehung weiterer Straftaten sei auch der Hang zum Konsum von illegalen Betäubungsmitteln, aufgrund dessen der Kläger derzeit einen Maßregelvollzug nach § 64 StGB verbüße. Solange eine Drogentherapie jedoch nicht erfolgreich abgeschlossen und deren Erfolg sowie die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens nicht auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht werde, könne von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr keine Rede sein. Die nach § 53 Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergebe, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiege und die Ausweisung auch für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich sei. Mit der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten durch das Urteil des Landgerichts München I vom 30. April 2015 sei der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Es liege ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Diesem Ausweisungsinteresse stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG gegenüber, da die derzeitige Lebensgefährtin des Klägers ihn mit dem gemeinsamen Sohn zweimal in der Woche besuche. Die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen gehe zu Ungunsten des Klägers aus. Die wirtschaftliche und soziale Integration sei ihm trotz des langjährigen Aufenthalts und des kurz bevorstehenden Mittelschulabschlusses nicht gelungen. Seine beiden Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, seien zu ihrem Wohl nicht auf die Anwesenheit des Klägers angewiesen. Zu seinem älteren Kind habe der Kläger gegenwärtig keinen Kontakt mehr. Das jüngere Kind sei erst nach der Inhaftierung geboren worden. Er sehe es nur besuchsweise. Auch ein längerer Auslandsaufenthalt des Klägers bewirke für die Kinder keine grundlegende Umwälzung der bisherigen Lebensbedingungen. Der Kläger könne auf moderne Kommunikationskanäle zurückgreifen und regelmäßige Betretenserlaubnisse erwirken. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei rechtmäßig, da es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG fehle. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf zuletzt vier Jahre sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung bringt der Kläger vor, das Gericht sei zu Unrecht von einer hinreichend konkreten Wahrscheinlichkeit für eine erneute Begehung schwerer Straftaten, insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, ausgegangen. Die erste Verurteilung des Klägers wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln stamme aus dem Jahr 2009. Die zweite Verurteilung sei erst sechs Jahre später, am 30. April 2015, erfolgt. An einer konkreten Wiederholungsgefahr fehle es jedenfalls dann, wenn der Betroffene seine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens bei Therapieende glaubhaft gemacht habe. Abzustellen sei insoweit auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Derzeit sei der Erfolg der Therapie absehbar. Nach Abschluss der Therapie trete eine Nachsorgestufe ein, der Kläger werde engmaschig auf Drogen getestet und habe auch weitere Auflagen zu erfüllen. Es sei davon auszugehen, dass der erfolgreiche Abschluss der Therapie noch vor Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgewiesen werden könne. Des Weiteren habe das Gericht bei der Prüfung der gewichtigen Bleibeinteressen vollkommen verkannt, dass der Berufungskläger die Personenfürsorge für sein minderjähriges deutsches Kind P. ausübe. Die Aussage, dass auch ein längerer Auslandsaufenthalt des Klägers für das Kind keine grundlegende Umwälzung der bisherigen Lebensbedingungen bewirke, treffe nicht zu. Mittlerweile könne der Kläger seinen Sohn auch außerhalb der Klinik sehen, weil er am Wochenende die Klinik an einem Tag verlassen dürfe. Er führe an diesen Tagen ein Familienleben mit seiner Lebenspartnerin und dem Kind. Die endgültige Trennung des Sohnes vom Kläger würde einen schwerwiegenden Eingriff in dessen Persönlichkeitsentwicklung darstellen. Das Bleibeinteresse des Klägers, das sich aus seinem Personensorgerecht für seinen Sohn P. ergebe, stelle einen durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten gewichtigen familiären Belang dar, der bei der einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers zu berücksichtigen sei. Ferner habe der Kläger inzwischen auch einen Mittelschulabschluss mit sehr guten Noten erworben.

Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe wegen seines persönlichen Verhaltens gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Bei der zu treffenden Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, B. v. 11.7.2016 - 10 ZB 15.837 -juris Rn. 13 m. w. N.).

Insoweit ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger wiederholt einschlägig straffällig geworden ist und die dem Urteil vom 30. April 2015 zugrunde liegenden Straftaten nicht zu seiner erstmaligen Inhaftierung führten. Vielmehr wurde die zunächst gewährte Bewährung für die mit Urteil vom 21. Oktober 2009 verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten widerrufen. Der Kläger befand sich deshalb bereits vom 29. September 2011 bis zum 10. November 2012 in Strafhaft. Neben den Betäubungsmitteldelikten liegen auch zwei strafrechtliche Verurteilungen wegen Diebstahls vor. Die gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch das Verhalten des Klägers besteht fort. Er absolviert zwar derzeit eine Drogentherapie, die einen positiven Verlauf nimmt. Gerade bei Straftaten, die auf der Suchterkrankung eines Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aber von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (BayVGH, U. v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m. w. N.). Da sich der Kläger bislang nicht außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren musste, kann trotz des erfolgreichen Verlaufs der Therapie derzeit nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil er bereits seit seinem 16. Lebensjahr Betäubungsmittel konsumiert und auch nach einer zweijährigen Abstinenzphase im Sommer 2013 wieder mit dem Kokainkonsum begonnen hat. Ferner besteht bei ihm offensichtlich eine noch nicht therapierte Spielsucht. Laut Bericht des Isar-Amper-Klinikums vom 12. Januar 2016 hat der Kläger angegeben, dass er seit seinem 18. Lebensjahr praktisch täglich Spielhallen besucht habe, um dort an Automaten zu spielen. Die Schulden aus seiner Spielsucht habe er durch den Handel mit Kokain ausgeglichen. Kokain habe er konsumiert, um die praktisch täglichen Spielexzesse durchzuhalten. Ohne erfolgreiche therapeutische Behandlung der Spielsucht ist trotz des bisher erfolgreichen Verlaufs der Drogentherapie hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger sich wieder dem Betäubungsmittelhandel zuwenden wird, um seine Spielsucht zu finanzieren, selbst wenn er selbst keine Drogen mehr konsumieren sollte.

Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er aufgrund des persönlichen Umgangs mit seinem zweiten Sohn P. ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG geltend machen könne, trifft nicht zu. Dies hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt (S. 11 UA).

Auch wenn bei der vom Gesetzgeber vorgebenen typisierenden Betrachtungsweise diesem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse nur ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gegenüber steht, ist bei der nach § 53 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung das Bleibeinteresse des Klägers angesichts der nach wie vor bestehenden erheblichen Wiederholungsgefahr und der Wertigkeit des gefährdeten Rechtsguts nachrangig, auch wenn die Ausweisung des Klägers eine Unterbrechung des persönlichen Kontakts zu seinem kleinen Sohn zur Folge hat und er diesen inzwischen aufgrund der Lockerungen im Maßregelvollzug häufiger sieht als dies zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts der Fall war. Der persönliche Kontakt zu seinem Sohn beschränkte sich nach dessen Geburt bis zur Haftentlassung des Klägers auf seltene, kurze Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Ein regelmäßiger mehrstündiger Kontakt ist erst nach Erreichen der Lockerungsstufen im Rahmen der Therapie möglich geworden. Ein Familienleben, das über Besuchskontakte im geschützten Bereich hinausgeht, findet erst statt, seit der Kläger die Einrichtung am Wochenende für einen Tag verlassen kann. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine vorübergehende Einstellung dieser persönlichen Kontaktmöglichkeiten dem Wohl des kleinen Kindes schaden würde, ergeben sich angesichts des von Anfang an eingeschränkten persönlichen Besuchskontakts aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Einen maßgeblichen Erziehungsbeitrag konnte der Kläger bislang aufgrund des Aufenthalts in der Justizvollzugsanstalt und im Maßregelvollzug nicht leisten. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Sohn des Klägers bereits zwei Jahre alt ist, so dass eine telefonische Kontaktaufnahme möglich ist. Ferner hat sie die Erteilung von Betretenserlaubnissen in Aussicht gestellt. Sollte die Entwicklung des Klägers auch nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug weiterhin positiv verlaufen, so verbleibt ihm die Möglichkeit, die Verkürzung der Sperrfrist für eine Wiedereinreise von derzeit vier Jahren zu beantragen.

Bezüglich der Länge der Wiedereinreisesperre sowie der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis fehlt es an der Darlegung eines Zulassungsgrundes.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 18. Februar 1992 in der Ukraine geborene Kläger wuchs bis 2001 in seinem Heimatstaat auf, wo er die Grundschule bis zur zweiten Klasse besuchte. Im Oktober 2001 reiste er zusammen mit seiner Mutter, einer Halbschwester, den Großeltern und seiner Urgroßmutter als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland ein und erhielt hier auf Antrag am 6. November 2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht verließ der Kläger am Ende der achten Klasse die Hauptschule ohne Schulabschluss. Von März bis August 2009 und vom 14. September 2009 bis 26. Januar 2010 absolvierte er Berufsbildungs- bzw. Ausbildungsmaßnahmen, die er jedoch jeweils wieder abbrach.

Ab September 2004 trat der Kläger vielfach strafrechtlich in Erscheinung, unter anderem wegen Diebstahls, teilweise in besonders schwerem Fall, wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte, wegen Leistungserschleichung, schwerer Körperverletzung sowie gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11. Mai 2006 wurde er wegen vorsätzlicher Körperverletzung verwarnt. Die gleichzeitig verhängte Auflage von Arbeitsleistungen wurde später wegen Nichterfüllung in eine Woche Ungehorsamsarrest umgewandelt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 25. Januar 2007 wurden gegen den Kläger wegen Diebstahls zwei Freizeitarreste verhängt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 3. Mai 2007 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in drei sachlich zusammentreffenden Fällen, in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung, sachlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, rechtlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher Körperverletzung, in Tatmehrheit mit Diebstahl, sachlich zusammentreffend mit Urkundenfälschung zu einer Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 14. Juli 2008 wurde der Kläger wegen Nötigung, sachlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Körperverletzung, in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Raub, in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 3. Mai 2007 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieses Urteil wurde mit Urteil des Landgerichts Augsburg - Jugendkammer - vom 19. Januar 2009 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die verhängte Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg - Jugendschöffengericht - vom 3. Mai 2010 wurde der Kläger wegen Leistungserschleichung in zwei selbstständigen Fällen in Tatmehrheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Landgericht Augsburg vom 19. Januar 2009 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 28. November 2011 wurde gegen den Kläger wegen Diebstahls in zehn tatmehrheitlichen Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 3. Mai 2010 eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten verhängt. Die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt (nach Vollstreckung einer Jugendstrafe von einem Monat) wurde gleichzeitig angeordnet. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, der Kläger habe trotz mehrerer, auch einschlägiger Verurteilungen und nach dem Vollzug eines Teils einer Jugendstrafe nicht davon abgelassen, Straftaten zu begehen und weiter Drogen zu konsumieren. Laut Auskunft des Gutachters werde er auch in Zukunft mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit mit Straftaten in Erscheinung treten, wenn er seine Drogenabhängigkeit (Heroin) nicht durch eine Therapie in den Griff bekomme. Die bei ihm vorliegenden schädlichen Neigungen seien offen zutage getreten. Der Kläger habe das Diebesgut jeweils umgehend dazu verwendet, sich Drogen zu beschaffen. Mehrere ihm eingeräumte Bewährungschancen habe er nicht nutzen können.

Ab 28. Dezember 2011 befand sich der Kläger im Rahmen seiner Unterbringung in einer stationären Therapie, wo es jedoch zu zwei Drogenrückfällen und einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Mitpatienten kam.

Mit Bescheid vom 28. September 2012 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Dieser Bescheid wurde durch die Beklagte nach einem gerichtlichen Hinweis auf einen möglichen Rechtsfehler im Hinblick auf das Regel-/Ausnahmeverhältnis wieder aufgehoben, das dagegen anhängige Klageverfahren (Au 1 K 12.1396) daraufhin mit Beschluss vom 14. Februar 2013 eingestellt.

Nachdem zunächst mit Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d. OPf. vom 26. September 2012 die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt aufgrund mehrerer festgestellter Regelverstöße für erledigt erklärt worden war, ordnete das Landgericht Nürnberg-Fürth - Jugendkammer I - mit Beschluss vom 6. Dezember 2012 unter Aufhebung dieses Beschlusses die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an. Mit Beschluss vom 26. Februar 2013 erklärte das Amtsgericht Deggendorf schließlich die durch das Amtsgericht Bamberg mit Urteil vom 28. November 2011 angeordnete Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt für erledigt. Der noch nicht verbüßte Rest der gegen den Kläger verhängten Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Grund für diese Erledigterklärung waren erneute Rückfälle und Regelverstöße des Klägers sowie eine bei ihm nicht mehr auszumachende Therapiemotivation, weshalb eine weitere Therapie als aussichtslos angesehen wurde.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2013 wies die Beklagte den Kläger (erneut) aus dem Bundesgebiet aus (Nr. 1.), befristete die Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre fünf Monate (Nr. 2.) und drohte ihm die Abschiebung in die Ukraine an (Nr. 3. und 4.). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, mit der Verurteilung vom 28. November 2011 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten sei der zwingende Ausweisungstatbestand nach § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Der Kläger genieße nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Daher werde gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die zwingende Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft. Schwerwiegende Gründe im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG seien in seinem Fall gegeben, da insbesondere aufgrund seines bisherigen Verhaltens, der von ihm begangenen Straftaten sowie des Umstands, dass auch künftig weitere schwere Straftaten von ihm zu befürchten seien, vom Kläger eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt liege zwar weder hinsichtlich der bei ihm abgeurteilten Straftaten noch bezüglich seiner familiären Umstände vor. Im Hinblick auf die Bedeutung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei jedoch gleichwohl eine individuelle Würdigung der Belange des Klägers vorzunehmen. Die Ausweisung werde daher im Rahmen des Ermessens verfügt. Die Ausweisung sei auch unter Beachtung des § 55 Abs. 3 AufenthG ermessensgerecht. Sie sei sowohl aus spezial- wie auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich und zulässig, um weitere Straftaten, die die Grundinteressen der Gesellschaft berührten, zu verhindern. Unzweifelhaft stelle das Verhalten des Klägers eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Im Hinblick auf seine strafrechtlichen Verurteilungen, das derzeit noch laufende Betrugsverfahren und den Therapieabbruch sei festzustellen, dass auch die Haft und der Maßregelvollzug keine erzieherische Wirkung erzielt hätten und der Kläger deshalb auch künftig ein sucht- und strafdeliktsgeprägtes Leben führen werde. Der Kläger habe sich über lange Jahre hinweg als Bewährungsversager erwiesen. Die Rückfallneigung zur Begehung erneuter Straftaten sei bei ihm extrem hoch. Die Tatsache, dass er weder die Schule noch eine Ausbildung abgeschlossen habe, komme insoweit erschwerend hinzu. Mit der Ausweisung solle aber auch anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass gerade Verurteilungen wegen Straftaten, wie sie der Kläger begangen habe, die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland zur Folge hätten. Die Ausweisung verstoße nicht gegen Art. 8 EMRK und Art. 6 GG. Der Kläger habe sich in der Bundesrepublik weder sozial noch wirtschaftlich integrieren können. Die Sprache seines Herkunftslandes beherrsche er nach wie vor gut. Er sei volljährig. Seine familiäre Bindung zur Mutter und zur Halbschwester dürfte auch gemessen an den Besuchen in der Justizvollzugsanstalt keine besonders feste mehr sein. Eine räumliche Trennung sei dem Kläger nach alledem zumutbar. Die verfügte Sperrfrist von 5 Jahren 5 Monaten sei verhältnismäßig.

Auf die hiergegen erhobene Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre zu befristen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ausweisungsentscheidung der Beklagten sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die angestellten Ermessenserwägungen seien ausgehend von dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen und die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vertretbar gewichtet. Die Ausweisung sei auch mit Art. 8 EMRK vereinbar. Sie stelle im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Klägers dar. Der Kläger habe zwar die Hälfte seines Lebens in der Bundesrepublik verbracht und mittlerweile in der Haft einen Schulabschluss nachgeholt. Er sei noch vergleichsweise jung und nicht sehr hafterfahren. Die näheren Verwandten des Klägers lebten alle in Deutschland. Andererseits habe der Kläger neun Jahre in der Ukraine gelebt, dort die Schule besucht. Er sei jedenfalls in bestimmtem Umfang mit den dortigen Lebensumständen vertraut, beherrsche die russische Sprache und werde nach Auffassung des Gerichts in der Lage sein, sein Leben in der Ukraine problemlos zu gestalten. Der Kläger sei nach wie vor drogenabhängig. Er habe seit seinem 13. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert, später seien Cannabis und ab 2009 auch Opiate und Heroin dazugekommen. Die massive Suchtproblematik mit all ihren Begleitumständen sei nach wie vor unverändert. Eine begonnene Drogentherapie habe der Kläger abgebrochen. Ganz erheblich seien die vom Kläger begangenen Straftaten zu gewichten. In den Strafurteilen fänden sich fortlaufend negative Bewertungen hinsichtlich einer Sozialprognose beim Kläger. Auch in der Haft sei der Kläger negativ in Erscheinung getreten. Dagegen habe die Klage teilweise Erfolg, soweit sie inzident auf die Verkürzung der Sperrfrist gerichtet sei. Ausgehend von den genannten Umständen erscheine der Kammer vorliegend eine Frist von vier Jahren als angemessen und ausreichend.

Mit seiner durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 2014 zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, da die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen ausgehend von dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmen fehlerhaft seien und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt werde. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagte sämtliche Umstände, die zugunsten des Klägers für dessen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprächen, erkannt und in die Entscheidung eingestellt habe. Dem Kläger sei es in der Haft gelungen, den Schulabschluss zu erlangen. Es sei auch nicht zutreffend, dass er sich bis heute in keiner Weise mit seiner Drogenproblematik auseinandergesetzt habe. Er habe in der Justizvollzugsanstalt an diversen Sitzungen der Drogenberatung teilgenommen und sei willens und bemüht, im Anschluss an die Haft eine weitere stationäre Therapie durchzuführen. Ihm sei jedoch weder in der Maßregeleinrichtung noch in der Justizvollzugsanstalt eine wirkliche Therapiechance eingeräumt worden. Dies sei eine gegen das Diskriminierungsverbot verstoßende Benachteiligung und mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 22.3.2012 - Rangelov) und des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren. Der Kläger habe eine intensive Beziehung zu seiner Mutter und seiner Schwester. Zwischen der gesamten Familie bestehe ein guter Zusammenhalt. Der Kläger sei faktischer Inländer und habe keinen kulturellen oder sozialen Bezug mehr zum Heimatstaat. Nach alledem verstoße die Ausweisungsentscheidung gegen Art. 8 EMRK.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Dezember 2013 den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 geänderten bzw. ergänzten Form aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 führte sie aus, die Klage des Klägers sei unbegründet, da der angefochtene Bescheid auch derzeit noch rechtmäßig sei. Die Ermessenserwägungen im streitbefangenen Bescheid vom 17. Juni 2013 würden gemäß § 114 Satz 2 VwGO nachträglich wie folgt ergänzt: Die vom Kläger angeführten Belange seines Privatlebens in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht so gewichtig, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers demgegenüber zurücktreten müsste. Der Kläger könne sich zwar darauf berufen, dass er seit etwa zwölf Jahren in Deutschland lebe und seine näheren Verwandten ebenfalls hier lebten. Er sei jedoch inzwischen volljährig und weder auf existenzielle Betreuungsleistungen durch seine Verwandten angewiesen, noch müsse der Kläger für seine Angehörigen solche Leistungen erbringen. Dem teilweisen Aufwachsen des Klägers im Bundesgebiet stehe entgegen, dass ihm eine tatsächliche Integration in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht gelungen sei. Er habe eine Vielzahl an Straftaten begangen und sei zuletzt (erneut) durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg - Jugendschöffengericht - vom 20. Februar 2014, im Rechtsfolgenausspruch abgeändert durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Juni 2014, wegen Urkundenfälschung, Betrugs in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, und des versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer (weiteren) Einheitsjugendstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Zwar habe der Kläger nunmehr einen einfachen Hauptschulabschluss erreicht. Dies verändere die Gewichtung der für den Kläger streitenden Umstände jedoch nur unwesentlich. Abgesehen von seinem Schulabschluss habe der Kläger sich auch in der Haft nicht beanstandungsfrei und vollzugskonform verhalten. Er sei vielmehr erheblich disziplinarisch und strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch die Justizvollzugsanstalt gehe davon aus, dass der Kläger tief in die kriminelle Subkultur verstrickt sei und keine Bereitschaft zeige, sich von diesem subkulturellen Milieu zu lösen. Zudem bestünden - wie bisher - äußerst gewichtige general- und spezialpräventive Gründe für die Ausweisung. Der Kläger habe zuletzt mit seinem Untertauchen nochmals deutlich gemacht, dass er sich nicht an die Rechtsordnung der Bundesrepublik halte. Die Aufenthaltsbeendigung erweise sich bei einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Kläger sprechenden Belange auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als verhältnismäßig.

Mit Schreiben jeweils vom 1. Januar 2015 teilte der Kläger noch mit, er sei nach wie vor unter der Adresse in Augsburg gemeldet und dort wohnhaft. Am 16. Dezember 2014 sei er dort von der Polizei angetroffen und festgenommen worden. Ab dem 16. Januar 2015 befinde er sich wieder in der JVA Ebrach in Haft. Er bereue seine Fehler in der Vergangenheit zutiefst, habe 2010 vor seiner Verurteilung mit der Polizei kooperiert und gegen die Mittäter ausgesagt. Die Therapie im Bezirkskrankenhaus habe er letztlich unter dem Druck dort anwesender früherer Mittäter wieder abgebrochen. Er habe für seine Straftaten mit der Haft bezahlt. Dort habe er erfolgreich einen Schulabschluss mit einem Durchschnitt von 1,5 nachgeholt. Er würde später gerne eine Ausbildung als Metallbauer beginnen. Er habe sich inzwischen grundlegend geändert und sei entschlossen, ein neues bürgerliches Leben zu führen. Dies wäre jedoch zerstört, falls er in ein Land zurück müsste, mit dem er sein ganzes Leben lang nichts zu tun gehabt habe. Er spreche kein Ukrainisch und sei in der Ostukraine geboren, wo derzeit Bürgerkrieg herrsche. Als jüdischer Flüchtling hätte er dort keine Chance, zumal er dort keine Verwandten mehr habe. Er sei in Deutschland groß geworden und fühle sich als deutscher Staatsbürger. Es sei noch nicht zu spät, sein Leben komplett zu ändern. Einen Verstoß gegen die Führungsaufsicht habe er nicht begangen. Dass er sich zeitweilig auf der Flucht befunden habe, sei weder strafbar noch liege darin ein Verstoß gegen die Führungsaufsicht.

Die Beklagte teilte mit, der Kläger sei am 16. Dezember 2014 in Augsburg festgenommen worden und befinde sich nun wieder zur Verbüßung der 9-monatigen Freiheitsstrafe in Haft. Das Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen die Führungsaufsicht sei noch offen.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2015 übermittelte der Kläger einen Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 13. Januar 2015, mit dem dessen Haftbefehl vom 15. Dezember 2014 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden war.

Auf Antrag des Klägers mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. Januar 2015 hat der Senat dem Kläger mit Beschluss vom 26. Januar 2015 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und seinen Prozessbevollmächtigten beigeordnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, die Behördenakte sowie die beigezogenen Strafakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klage des Klägers auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 geänderten bzw. ergänzten Form ist unbegründet. Auch wenn man das im Berufungsverfahren verfolgte Rechtsschutzbegehren des Klägers dahin versteht (§ 88 VwGO), dass er neben der Anfechtung der Ausweisungsverfügung hilfsweise die Festsetzung einer (noch) kürzeren als der vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 bestimmten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG begehrt, ist seine Klage unbegründet.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger (wohl) hilfsweise begehrten Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.).

1. Die im streitbefangenen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1.1. Der Kläger hat durch seine rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Bamberg vom 28. November 2011 wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten den Tatbestand einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 1. Alt. AufenthG erfüllt.

1.2. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der streitbefangenen Ausweisungsverfügung im Besitz einer ihm am 6. November 2001 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fort galt, und er sich auch seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, genießt er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Ein flüchtlingsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 1 Abs. 1 HumHAG bzw. Art. 33 GFK und damit besonderer Ausweisungsschutz (auch) nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG steht ihm dagegen nicht zu. Denn als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion kann er sich jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes allein aufgrund seiner Aufnahme nicht auf das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot (Refoulement-Verbot) berufen (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3.11 - juris Ls. 2 u. Rn. 17 ff.). Der besondere Ausweisungsschutz Minderjähriger und Heranwachsender nach § 56 Abs. 2 AufenthG greift hier ebenfalls nicht, weil der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung das 21. Lebensjahr vollendet hatte und im Übrigen - insoweit zulasten des Klägers - ohnehin auf den für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen wäre (s.o.; vgl. auch Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, AufenthG, § 56 Rn. 25).

1.3. Demgemäß kann der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, die nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG u. a. in den Fällen des § 53 AufenthG in der Regel vorliegen. Die Beklagte und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass die gesetzliche Regelvermutung des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG im konkreten Fall nicht widerlegt ist. Schon mit Blick auf die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers, die diesen zugrunde liegenden, teilweise schwerwiegenden Vermögens- und Gewaltdelikte, die Umstände ihrer Begehung sowie die beim Kläger nach wie vor unbewältigte massive Drogensucht (neben Alkohol vor allem auch Heroin) liegt eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2004 - 1 C 25.03 - juris Rn. 16) auf der Hand. Gerade bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung eines Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (z. B. BayVGH, B.v. 21.2.2014 - 10 ZB 13.1861 - juris Rn. 6 m. w. N.). Die hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung gleichartiger Straftaten wurde im Übrigen auch von den Strafgerichten, zuletzt von der Jugendkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth im rechtskräftigen Urteil vom 5. Juni 2014, insbesondere unter Hinweis auf zuvor bereits mehrfach verhängte Jugendstrafen, in offener Bewährung begangene erneute Straftaten und die erfolglose Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt festgestellt. Für eine, wie der Kläger zuletzt geltend gemacht hat, entscheidende Zäsur in seinem Leben, nach der er künftig alles besser machen will, fehlen abgesehen von seinen diesbezüglichen Beteuerungen jegliche nachvollziehbare Anhaltspunkte. Zudem hat die Beklagte aufgrund der schwerwiegenden Straftaten des Klägers, der dadurch verletzten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit Dritter (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie der Umstände ihrer Begehung auch generalpräventiv in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ein dringendes Bedürfnis festgestellt, über die strafrechtlichen Sanktionen hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.

1.4. Liegen demnach beim Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, wird er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel ausgewiesen. Im Rahmen der gebotenen Überprüfung, ob ein Ausnahmefall von der Regelausweisung vorliegt, hat die Beklagte im Hinblick auf die Grundsätze in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 23. Oktober 2007 (1 C 10.07 - juris) unter Berücksichtigung der durch höherrangiges Recht (Art. 2 Abs. 1 GG) und Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) geschützten Belange des Klägers insbesondere auf Achtung seines Privat- und Familienlebens einen Ausnahmefall und damit die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung angenommen und die streitbefangene Ausweisung nach Ermessen verfügt. In diesem Fall fehlt den Ausweisungsgründen jedoch nur das von vornherein ausschlaggebende Gewicht, das ihnen der Gesetzgeber im Regelfall zugemessen hat (BVerwG, U.v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - juris Rn. 27).

1.5. Die von der Beklagten zur Ausweisung des Klägers zuletzt in ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 angestellten und nach § 114 Satz 2 VwGO teilweise nachgeschobenen und ergänzten Ermessenserwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung (s. § 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG) stand.

1.5.1. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist die im Berufungsverfahren erfolgte Ergänzung der Ermessenserwägungen durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 gemäß § 114 Satz 2 VwGO zu berücksichtigen. Nach der genannten Bestimmung dürfen auch nachträgliche Ermessenserwägungen der Behörde in die gerichtliche Nachprüfung der im Ermessensweg verfügten Ausweisung einbezogen werden. Die Beklagte hat ihre nachträglichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren auch in der gebotenen Form (schriftlich) geltend gemacht und hinreichend klar und eindeutig zu erkennen gegeben, mit welcher Begründung und welchen (neuen) Ermessenserwägungen sie ihre Ausweisungsverfügung aufrecht erhält (zur Ergänzung der Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 8 ff. u. 18).

1.5.2. Die Beklagte hat alle für ihre Ermessensentscheidung wesentlichen Umstände und insbesondere die gemäß § 55 Abs. 3 AufenthG zu beachtenden Kriterien berücksichtigt und im Hinblick auf die durch höherrangiges Recht (Art. 2 Abs. 1 GG) und Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) geschützten Belange des Klägers, insbesondere dessen Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie den Grundsatz des Vertrauensschutzes beachtet. Sie hat die für einen Verbleib des Klägers sprechenden Belange gesehen und insbesondere die im Alter von knapp zehn Jahren erfolgte Einreise ins Bundesgebiet, den 12-jährigen rechtmäßigen Aufenthalt mit einem von Anfang an unbefristeten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet (als jüdischer Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion), das noch relativ jugendliche Alter des Klägers, seine familiären und persönlichen Bindungen in Deutschland und - nach den insoweit aber im Verfahren teilweise widersprüchlichen Angaben des Klägers - fehlenden familiären und verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkten in der Ukraine gewürdigt. Die Beklagte hat nunmehr auch in ihre Ermessenserwägungen eingestellt, dass der Kläger während der Haft mit dem Hauptschulabschluss einen Bildungsabschluss erreicht und nach dem entsprechenden Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt mit großer Motivation am Lehrgang teilgenommen hat, um sich dadurch auf die Zeit nach dem Strafvollzug im Sinne einer Resozialisierung vorzubereiten.

Die Beklagte hat den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und das teilweise Heranwachsen des Klägers im Bundesgebiet jedoch deshalb nicht als besonders gewichtigen Belang angesehen, weil dem Kläger in dieser Zeit eine tatsächliche Integration in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht gelungen ist. Dabei hat die Beklagte auch berücksichtigt, dass der Kläger als aufgenommener jüdischer Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion von Anfang an eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hat und dieser unbefristete Aufenthaltstitel nicht etwa dem Integrationsgrad des Klägers geschuldet war. Den nach Angaben des Klägers engen familiären Bindungen an seine in Deutschland lebenden Angehörigen - Mutter, Halbschwester, Großvater und zwei Neffen - hat die Beklagte kein entscheidendes Gewicht beigemessen, weil der Kläger zum einen volljährig ist und zum anderen weder der Kläger auf existenzielle Betreuungsleistungen seiner Familie noch umgekehrt seine Familie auf solche Leistungen des Klägers angewiesen ist. Die Beklagte hat weiter berücksichtigt, dass der Kläger zwar nicht die ukrainische Sprache, aber jedenfalls so gut Russisch beherrscht, dass er sich in der Ukraine verständlich machen und dort zurechtfinden kann, auch wenn er dort nach seinen eigenen Angaben über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte mehr verfügt. Die Beklagte ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger in der Ukraine als Kind Russisch gelernt und diese Sprache auch nach der Einreise nach Deutschland als Umgangssprache jedenfalls in der Familie weiter genutzt hat. Dass dem Kläger die Kultur und die Mentalität der Menschen seines Herkunftslandes noch nicht (völlig) fremd sind, hat die Beklagte unter anderem auch aus den intensiveren Kontakten des Klägers während seiner letzten Haft vor allem zu Mitgefangenen aus den ehemaligen GUS-Staaten gefolgert. Demgemäß ist die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, trotz möglicherweise fehlender familiärer Bindungen in der Ukraine stelle sich für den voll erwerbsfähigen und keiner politischen Verfolgung ausgesetzten Kläger höchstens das lösbare Problem, dass seine Eingewöhnung in die ukrainischen Lebensumstände schwierig sein werde.

1.5.3. Dem privaten Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet und bei seiner Familie, das nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK (zum Schutz der Beziehung junger Erwachsener, die wie der Kläger noch keine eigene Familie gegründet haben, zu den Eltern auch als Familienleben i. S. d. Art. 8 EMRK vgl. EGMR, U.v. 23.6.2008 - 1638/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333) auch grundrechtlich und völkerrechtlich geschützt ist, hat die Beklagte das besondere öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers gegenübergestellt, das sich vor allem aus der beim Kläger bestehenden konkreten Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten, daneben aber aus der Notwendigkeit der Abhaltung anderer Ausländer von Straftaten ähnlicher Schwere ergibt. Die Beklagte hat dabei darauf abgestellt, dass der Kläger seit seinem 12. Lebensjahr kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten und mehrfach wegen schwerer (Gewalt-)Straftaten wie vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung verurteilt worden ist. Auch nach seiner Volljährigkeit habe der Kläger weiter eine erhebliche Reihe von Straftaten begangen, von einem jugendtypischen Augenblicksversagen könne jedenfalls nicht gesprochen werden. Den Kläger habe auch die Verbüßung von Jugendarresten bzw. später Strafhaft nicht beeindruckt. Er habe bei seinen Taten jeweils erhebliche kriminelle Energie gezeigt. Die Rückfallgeschwindigkeit des Klägers sei zudem erheblich. Nicht einmal ein Jahr nach seiner Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten sei der Kläger erneut, noch dazu im Maßregelvollzug, straffällig geworden und deshalb wegen Urkundenfälschung und Betrugs sowie versuchten Betrugs zu weiteren neun Monaten Einheitsjugendstrafe verurteilt worden. Auch in der Haft sei der Kläger erheblich disziplinarisch und sogar strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er habe unerlaubte Gegenstände im Besitz gehabt, einen Bediensteten der Justizvollzugsanstalt massiv beleidigt und auf einen Mitgefangenen mittels eines hergestellten Schlagwerkzeugs eingeschlagen. Schließlich habe der Kläger ein unbewältigtes Drogen- und Alkoholproblem, das jedenfalls mitursächlich für seine zahlreichen Straftaten gewesen sei. Nicht zuletzt habe sich der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2014 einer neuerlichen Haft durch Untertauchen bzw. Flucht entzogen.

1.5.4. Diese alle erheblichen Umstände berücksichtigenden Erwägungen der Beklagten lassen keine Fehlgewichtungen erkennen und sind gemessen an den Grundsätzen des § 114 Satz 1 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist danach die Ausweisung des Klägers auch mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vereinbar und stellt, wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, bei der gebotenen Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit den privaten Interessen des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das geschützte Privat- und Familienleben des Klägers dar. Auch auf Vertrauensschutz im Hinblick auf die mit Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2013 erfolgte Rücknahme ihrer zuvor mit Bescheid vom 28. September 2012 verfügten Ausweisung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Denn die allein aufgrund eines rechtlichen Hinweises des Verwaltungsgerichts (zum Regel-/Ausnahmeverhältnis) im laufenden Verwaltungsstreitverfahren erfolgte Rücknahme steht dem Erlass einer neuen Ausweisungsverfügung - nunmehr im Ermessensweg - nicht entgegen; ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers dahingehend, dass er aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen nicht mehr ausgewiesen wird, wurde jedenfalls nicht begründet.

Auch der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, er habe schon seit mehreren Jahren eine aus Augsburg stammende 22-jährige Verlobte, ändert im Übrigen nichts an dieser Interessenabwägung und dem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung.

1.5.5. Mit der Rüge, als „jüdischer Flüchtling habe er in der Ukraine keine Chance“, zumal seine Geburtsstadt Kriwoj Rog in der Ostukraine und damit mitten im Bürgerkriegsgebiet liege und schon unter Beschuss geraten sei, macht der Kläger (wohl) Gründe für eine Aussetzung seiner Abschiebung geltend, die gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG gegebenenfalls auch bei der Entscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen wären. Nach der in § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG genannten Bestimmung des § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (Satz 1). Solche Gründe hat jedoch der Kläger mit seiner Rüge weder dargelegt noch sind sie für den Senat sonst ersichtlich. Zum einen hat die Beklagte die Abschiebung des Klägers in die Ukraine und nicht in die Ostukraine angedroht. Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger faktisch gezwungen wäre, in die Ostukraine und dort in die Bürgerkriegsgebiete zurückzukehren. Schließlich liegt, wie sich aus dem vom Vertreter des öffentlichen Interesses in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kartenausschnitt ohne weiteres ergibt, die Geburtsstadt des Klägers Kriwoj Rog nicht im derzeitigen Bürgerkriegsgebiet in der Ostukraine. Daher durfte die Beklagte bei ihren Ermessenserwägungen davon ausgehen, dass dem voll erwerbsfähigen und keiner politischen Verfolgung ausgesetzten Kläger eine Rückkehr in die Ukraine und Reintegration ungeachtet einer möglicherweise schwierigen Eingewöhnung und Anpassung an die dortigen Lebensverhältnisse zumutbar ist.

1.6. Der wohl auf die Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Ausweisung zielende Einwand des Klägers, er werde als Ausländer in diskriminierender und damit gegen Art. 14 EMRK verstoßender Weise gegenüber anderen (inländischen) Inhaftierten in einer weitgehend gleichen Situation ungleich behandelt, weil ihm nicht die Möglichkeit zu einer Drogentherapie eröffnet worden sei bzw. werde, greift nicht durch. Denn für die Erfüllung der oben dargelegten Ausweisungsvoraussetzungen kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene Anspruch auf die Durchführung einer Drogentherapie hatte, diese aber nicht bewilligt und durchgeführt wurde (zur Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und dem diesbezüglichen Einwand vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 19). Bei der Ausweisung nach den §§ 53 ff. AufenthG handelt es sich um eine sicherheitsrechtliche Maßnahme, die in Form eines Ausreisegebotes gegenüber einem Ausländer im Einzelfall ausgesprochen wird, weil dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonst erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt (vgl. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 1016). Selbst wenn der Kläger aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK einen Anspruch auf Durchführung einer Drogentherapie ableiten könnte (vgl. dazu aber im Folgenden), würde dadurch das gesetzliche Prüfprogramm für die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nicht etwa geändert oder überlagert.

Der Kläger beruft sich insoweit im Übrigen auch zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in dessen Entscheidung vom 22. März 2012 (Nr. 5123/07, Rangelov - InfAuslR 2012, 305), in der der Gerichtshof festgestellt hat, dass die im Hinblick auf eine bevorstehende Aufenthaltsbeendigung erfolgte Verweigerung einer Sozialtherapie für einen in Sicherungsverwahrung befindlichen ausländischen Staatsangehörigen, gegen den ein Ausweisungsbescheid ergangen war, eine letztlich objektiv nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellte. Der Fall des Klägers ist jedoch schon vom Ausgangspunkt nicht mit dem der Entscheidung des EGMR zugrunde liegenden Fall vergleichbar. Denn der Kläger war aufgrund einer nach § 64 StGB angeordneten Unterbringung ab 28. Dezember 2011 in einer stationären Drogentherapie, die nach zahlreichen Drogenrückfällen u. a. mit Heroin, Subutex und Spice und sonstigen Regelverstößen mit Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d. Opf. vom 26. September 2012 für erledigt erklärt, nach Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt mit Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. Dezember 2012 im Bezirksklinikum Mainkofen fortgesetzt und schließlich nach erneutem Drogenrückfall und weiteren Regelverstößen durch Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 26. Februar 2013 endgültig für erledigt erklärt worden war. Zuletzt hatte der Kläger selbst am 24. Januar 2013 den Abbruch seiner Unterbringung beantragt. Entgegen den Einlassungen des Klägers zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, Schwierigkeiten mit Mitinsassen hätten bei ihm zum Abbruch dieser Therapie geführt, ist in den Gründen der Entscheidung des Amtsgerichts Deggendorf unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksklinikums ausgeführt, beim Kläger sei eine innerlich getragene Therapiemotivation nicht auszumachen und trotz der bislang erfolgten Therapie sei er nicht in der Lage gewesen, auch im Rahmen eines beschützenden Settings drogenfrei zu bleiben. Aus in der Person des Klägers liegenden Gründen sei eine weitere Therapie als aussichtslos zu beurteilen. Nach dieser Vorgeschichte und der durch die Fachklinik festgestellten Aussichtslosigkeit einer weiteren Therapie aus in der Person des Klägers liegenden Gründen kann dieser jedenfalls keine diskriminierende Ungleichbehandlung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EGMR geltend machen, selbst wenn ein (erneuter) Antrag auf Unterbrechung der Haft und Zuweisung eines Therapieplatzes abgelehnt worden sein sollte (vgl. die diesbezügliche Einlassung des Klägerbevollmächtigten, S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 2.2.2015).

Der weitergehende Einwand des Klägers, ihm sei „noch keinerlei wirkliche Therapiechance eingeräumt worden, obwohl er motiviert und therapiewillig sich von Anfang an gezeigt hat“, ist vor dem dargestellten Hintergrund nicht nachvollziehbar. Nicht durchgreifend ist deshalb schließlich der Einwand des Klägers, aus der - vom Kläger nicht näher bezeichneten - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich die Pflicht, während des Strafvollzugs ein auch für den Kläger geeignetes Therapieangebot und einen entsprechenden Behandlungsplan bereitzustellen (zu entsprechenden Anforderungen an die Sicherungsverwahrung vgl. etwa BVerfG, U.v. 4.5.2011 - 2 BvR 2333/08 u. a. - juris). Überdies wäre, worauf der Vertreter des öffentlichen Interesses in seiner Stellungnahme vom 29. April 2014 zu Recht hingewiesen hat, die Versagung einer solchen Maßnahme oder sonstigen Resozialisierungsmaßnahme eine selbstständige, in einem eigenen Rechtsweg angreifbare Entscheidung der Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2012 - 2 BvR 2015/12 - juris).

2. Der Kläger kann auch nicht die Festsetzung einer (noch) kürzeren als der vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 bestimmten Sperrfrist (von vier Jahren) nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG beanspruchen. Ungeachtet der insoweit wenig aussagekräftigen Begründung des Verwaltungsgerichts kommt die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist als vier Jahre unter Zugrundelegung der gesetzlichen Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris) im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls nicht in Betracht. Denn in der Person des Klägers besteht, wie oben dargelegt, nach wie vor die erhebliche Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten und damit auch für hochrangige Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch mit Blick auf die verfassungsrechtlichen- und völkerrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) und die Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbot für die persönlichen Beziehungen und der Lebensführung des Klägers im Bundesgebiet kommt die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist danach nicht in Betracht.

3. Schließlich ist auch die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung (s. §§ 58, 59 AufenthG) im streitbefangenen Bescheid rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Führungsaufsicht dauert mindestens zwei und höchstens fünf Jahre. Das Gericht kann die Höchstdauer abkürzen.

(2) Das Gericht kann eine die Höchstdauer nach Absatz 1 Satz 1 überschreitende unbefristete Führungsaufsicht anordnen, wenn die verurteilte Person

1.
in eine Weisung nach § 56c Abs. 3 Nr. 1 nicht einwilligt oder
2.
einer Weisung, sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen, oder einer Therapieweisung nicht nachkommt
und eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist. Erklärt die verurteilte Person in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 nachträglich ihre Einwilligung, setzt das Gericht die weitere Dauer der Führungsaufsicht fest. Im Übrigen gilt § 68e Abs. 3.

(3) Das Gericht kann die Führungsaufsicht über die Höchstdauer nach Absatz 1 Satz 1 hinaus unbefristet verlängern, wenn

1.
in Fällen der Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 2 aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass die verurteilte Person andernfalls alsbald in einen Zustand nach § 20 oder § 21 geraten wird, infolge dessen eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten zu befürchten ist, oder
2.
sich aus dem Verstoß gegen Weisungen nach § 68b Absatz 1 oder 2 oder auf Grund anderer bestimmter Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist, und
a)
gegen die verurteilte Person wegen Straftaten der in § 181b genannten Art eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde oder
b)
die Führungsaufsicht unter den Voraussetzungen des § 68b Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 eingetreten ist und die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verhängt oder angeordnet wurde.
Für die Beendigung der Führungsaufsicht gilt § 68b Absatz 1 Satz 4 entsprechend.

(4) In den Fällen des § 68 Abs. 1 beginnt die Führungsaufsicht mit der Rechtskraft ihrer Anordnung, in den Fällen des § 67b Abs. 2, des § 67c Absatz 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 4 und des § 67d Absatz 2 Satz 3 mit der Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung oder zu einem gerichtlich angeordneten späteren Zeitpunkt. In ihre Dauer wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher die verurteilte Person flüchtig ist, sich verborgen hält oder auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I.

Das Verfahren wird eingestellt.

II.

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. September 2012 ist gegenstandslos geworden.

III.

Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.

IV.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Da der Kläger und die Beklagte den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2016 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO durch Beschluss einzustellen und auszusprechen, dass das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. September 2012 nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos geworden ist.

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen dem Kläger und der Beklagten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen, weil die Beklagte bei einer Entscheidung in der Hauptsache (nur) zu einer Neuverbescheidung im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu verpflichten gewesen wäre und die Berufung damit (nur) teilweise Erfolg gehabt hätte.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. August 2012 wäre aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten gewesen, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung des Klägers (Einreise- und Aufenthaltsverbot) unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

1. Da für die rechtliche Beurteilung der Befristungsentscheidung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs als Berufungsgericht maßgeblich ist, ist auf die Regelungen des § 11 AufenthG in der seit 24. Oktober 2015 geltenden Fassung abzustellen. Für einen Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, gilt nach § 11 Abs. 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, dessen Dauer von Amts wegen nach Ermessen zu befristen ist (§ 11 Abs. 2 und 3 AufenthG).

2. Dabei bedarf es nach Ansicht des Senats regelmäßig keiner getrennten Festlegung einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung und einer Befristung der Wirkungen der Abschiebung. Die Wirkungen beider Maßnahmen sind nach § 11 Abs. 1 AufenthG identisch (vgl. die Legaldefinition „Einreise- und Aufenthaltsverbot“ in § 11 Abs. 1 AufenthG). Die Frist beginnt nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit der Ausreise (bzw. Abschiebung); mehrere gesonderte Fristen würden somit „parallel laufen“, ohne dass ein Unterschied zu erkennen wäre. Daher ist insoweit weder ein prozessuales Rechtsschutzbedürfnis noch materiell ein schützenswertes Interesse für die Festsetzung unterschiedlicher Fristen ersichtlich (offenbar anderer Ansicht, insoweit aber ohne Begründung: OVG Lüneburg, B.v. 25.6.2013 - 8 PA 98/13 - InfAuslR 2013, 336 Rn. 21).

3. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 9.12.2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 Rn. 27), wonach trotz des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Entscheidung über die Länge der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot eine gebundene Entscheidung darstelle (siehe hierzu ausführlich das Urteil des Senats vom 12.7.2016 - 10 BV 14.1818). Die für die Bestimmung der Länge der Sperrfrist maßgeblichen Kriterien der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, und der anschließenden Relativierung anhand höherrangiger Rechtsnormen, und damit die Ausrichtung am Zweck der Ermächtigung und die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens (Art. 40 BayVwVfG), überprüft das Gericht vollständig (§ 114 Satz 1 VwGO). Doch verbleibt der Behörde mit dem vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessen ein - wenn auch geringer - Spielraum bei der Festsetzung der Dauer der Sperrfrist, die sich an den verfassungs-, unions- und völkerrechtlichen Wertentscheidungen messen lassen muss.

4. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen (siehe hierzu ausführlich das Urteil des Senatsvom 12.7.2016 - 10 BV 14.1818).

Bei der hier vorzunehmenden Gefahrenprognose besteht entgegen der Ansicht des Erstgerichts (UA. Rn. 17), keine Bindung an die Entscheidung des zuständigen Strafvollstreckungsgerichts, die Vollstreckung des Strafrestes der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar; von ihnen geht aber weder eine Bindungswirkung noch eine Regelvermutung aus, selbst wenn zu ihrer Vorbereitung ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde (vgl. ausführl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 17 ff. m. w. N.). Nach Überzeugung des Senats gilt nichts anderes für die insoweit gleichlaufende Gefahrenprognose im Rahmen der Bestimmung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Auch das vom Erstgericht hervorgehobene Verhalten des Klägers im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung unter Dritten, bei dem er nach eigenem Vorbringen dem Opfer das Leben gerettet habe (UA Rn. 53), ist nach Meinung des Senats nicht von vornherein zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Insoweit handelt es sich eher um einen „neutralen“ Gesichtspunkt, der nur dann entscheidend zugunsten des Klägers sprechen würde, wenn sich daraus Rückschlüsse für eine relevante Verminderung der vom Kläger ausgehenden Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ergeben würden.

Die Beklagte hat in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23. August 2012 zwar ausführliche Erwägungen insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Frist angestellt, jedoch - der Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheidserlasses entsprechend - kein Ermessen ausgeübt.

5. Nach § 11 Abs. 2 Satz 5 u. 6 AufenthG (eingeführt durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung mit Wirkung zum 1. August 2015) kann die Befristung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung (Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG) versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit; tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der „bedingten Befristung“ anzuordnende längere Frist. Die von der Beklagten in ihrem Bescheid vom 23. August 2012 vorgenommene Befristung unter der Bedingung der Vorlage eines Nachweises über die Straffreiheit war daher grundsätzlich zulässig (vom Erstgericht wurde dies im angefochtenen Urteil nicht mehr angesprochen; siehe hierzu ausführlich das Urteil des Senats vom 12.7.2016 - 10 BV 14.1818).

Gleichwohl verstieß die Regelung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids gegen § 11 Abs. 2 Satz 5 u. 6 AufenthG. Denn durch diese Fassung des Bescheids wurde nur eine „bedingte Befristung“ verfügt, nicht aber - worauf der Kläger einen Anspruch hat - eine „längere Befristung“ für den Fall, dass die Bedingung nicht eintritt (§ 11 Abs. 3 Satz 6 AufenthG). Damit gilt aber das Einreise- und Aufenthaltsverbot in dem Fall, dass die Bedingung nicht eintritt, im Ergebnis unbegrenzt, was gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verstößt.

6. Hätte die Beklagte nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren Bescheid um diese „unbedingte“ Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ergänzt und wäre infolge dessen nicht der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden, hätte der Senat nach alledem deswegen den streitgegenständlichen Bescheid aufheben und die Beklagte zur Neuverbescheidung unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten müssen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Da damit eine Verpflichtung der Beklagten zur Festsetzung einer bestimmten Frist nicht in Betracht gekommen wäre, wäre das Urteil des Erstgerichts abzuändern gewesen, allerdings nicht in dem Umfang, dass die Klage - wie von der Beklagten erstrebt - insgesamt abzuweisen gewesen wäre. Die Berufung hätte damit (nur) teilweise Erfolg gehabt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Staatsangehöriger von Sri Lanka. Er erstrebt die Befristung seiner Ausweisung mit sofortiger Wirkung (Befristung auf Null).

2

Der Kläger reiste 1994 nach Deutschland ein und wurde 1996 als Asylberechtigter anerkannt. Im Jahr 2000 wurde er wegen gemeinschaftlichen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im März 2001 wies ihn der Beklagte aus Deutschland aus, ohne die Wirkungen der Ausweisung zu befristen. Zur Begründung führte er an, die Ausweisung sei aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger sein strafbares Verhalten fortsetze, weil er ohne finanzielle Not in dem Bestreben gehandelt habe, durch Schleusung von Ausländern einen Gewinn zu erzielen. Die Ausweisung erfolge auch aus generalpräventiven Gründen, um andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Zu einer Abschiebung kam es wegen der Asylberechtigung des Klägers nicht. Der Schutzstatus wurde zwar im Jahr 2004 bestandskräftig widerrufen. Auf einen Folgeantrag wurde dem Kläger jedoch im Jahr 2010 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Dieser lebt seit seiner Haftentlassung durchgängig mit seiner Lebensgefährtin und seinen drei minderjährigen Kindern im Bundesgebiet, zunächst auf der Grundlage von Duldungen, bevor er im Juli 2011 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhielt. Im Mai 2010 beantragte er die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf Null. Der Beklagte befristete im Dezember 2010 die Wirkung der Ausweisung auf ein Jahr, beginnend mit dem Zeitpunkt der Ausreise. Der Kläger erhob daraufhin Klage, mit der er sein Begehren auf sofortige Befristung weiterverfolgt.

3

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, die Wirkung der Ausweisung auf den 16. März 2011 zu befristen. Das hat es damit begründet, dass zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre seit Zustellung der Ausweisungsverfügung verstrichen gewesen seien und die Verwaltungsvorschriften für den Fall einer zwingenden Ausweisung wie hier regelmäßig eine Befristung auf diesen Zeitraum vorsähen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Er hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger habe einen Anspruch auf Befristung der gegen ihn ergangenen Ausweisung mit sofortiger Wirkung. Weder spezialpräventive noch generalpräventive Gründe erforderten die weitere Aufrechterhaltung der Sperrwirkung der Ausweisung. Der Kläger, der in den mehr als zwölf Jahren seit seiner Verurteilung strafrechtlich nicht mehr aufgefallen sei, stelle keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr dar. Von der Ausweisung gehe auch keine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer mehr aus. Sei eine Befristung auf Null geboten, bedürfe es keiner Ausreise des Klägers.

4

Das beklagte Land Baden-Württemberg macht mit seiner Revision geltend, dass die Frist für den Lauf der Einreise- und Aufenthaltssperre gemäß § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG erst mit Ausreise des Ausländers zu laufen beginne und das Ausreiseerfordernis auch nicht durch eine Befristung auf Null unterlaufen werden dürfe. Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger mit Zustimmung des Beklagten die Klage insoweit zurückgenommen, als er die Befristung auf einen Zeitpunkt vor der Entscheidung des Berufungsgerichts begehrt hatte. Im Übrigen tritt er der Revision entgegen und weist u.a. darauf hin, dass der Beklagte in anderen Fällen durchaus eine Befristung mit sofortiger Wirkung verfügt habe.

Entscheidungsgründe

5

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; die angegriffenen Urteile sind gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in diesem Umfang für wirkungslos zu erklären. Im Übrigen hat die zulässige Revision des Beklagten keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) den Beklagten für verpflichtet gehalten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf Null zu befristen.

6

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der begehrten Befristung ist hier die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 9, jeweils Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3474). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

7

1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Der Kläger hat ein Rechtsschutzbedürfnis für sein Begehren, dass die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf Null befristet werden. Denn ohne eine solche Befristung bleiben die Wirkungen der Ausweisung jedenfalls für die außerhalb des 5. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes geregelten Aufenthaltstitel dauerhaft bestehen. Dies belastet den Kläger und rechtfertigt sein Begehren, denn ein Rechtsschutzinteresse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile erbringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3> = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 9 S. 2<4>).

8

Im Übrigen besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch im Hinblick auf die Erteilung der vom Kläger vorrangig erstrebten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Diese ist einem Ausländer wie dem Kläger, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, zu erteilen, es sei denn, der Ausländer ist aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden (§ 25 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die spezielle Erteilungssperre des § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird nicht schon durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, wie sie hier erfolgt ist, aufgehoben. Insoweit schränkt der Senat seine Rechtsprechung ein, die er mit Urteil vom 4. September 2007 (BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 34 und 42) begründet und mit Urteil vom 13. April 2010 (BVerwG 1 C 5.09 - BVerwGE 136, 284 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 6, jeweils Rn. 12) fortentwickelt hat. Nach der bisherigen Rechtsprechung wird durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach Abschnitt 5 von Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen) aufgehoben, nicht hingegen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln zu anderen Zwecken. Der Senat hat allerdings bereits darauf hingewiesen, dass der Zusammenschau bestimmter Regelungen, zu denen § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG gehört, zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber die Aufhebung der Sperrwirkung einer gesonderten Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG vorbehalten hat (Urteil vom 13. April 2010 a.a.O., jeweils Rn. 13).

9

Der Senat beschränkt seine Rechtsprechung zur Aufhebung der Sperrwirkung durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nunmehr ausdrücklich auf diejenigen Aufenthaltstitel nach Abschnitt 5 von Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes, für die keine spezielle Sperrwirkung angeordnet ist. Eine solche spezielle Sperrwirkung findet sich in § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Deren Aufhebung allein wegen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG würde dem gesetzgeberischen Zweck widersprechen, Asylberechtigten und Flüchtlingen die aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen des § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG dann nicht zukommen zu lassen, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden sind. Sie sollen die Vorteile der Regelung, die u.a. zu einer schnelleren Aufenthaltsverfestigung führt, vielmehr erst dann genießen, wenn von ihnen keine Gefahr im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG mehr ausgeht und die Wirkungen der Ausweisung deshalb befristet und nach Fristablauf erloschen sind.

10

Allerdings steht der Versagungsgrund des § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG dann nicht mehr entgegen, wenn die allgemeine Sperrwirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG aufgehoben wird. Denn die Aufhebung der Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 AufenthG bezieht sich auf alle Aufenthaltstitel. Der Senat folgt nicht der gegenteiligen Auffassung des Beklagten, denn ebenso wie die nahezu wortgleichen früheren Regelungen in § 29 Abs. 2 AsylVfG 1982 und § 68 Abs. 2 und § 70 Abs. 2 AsylVfG 1992 dient § 25 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 AufenthG lediglich der Synchronisierung mit dem besonderen Ausweisungsschutz für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2 AufenthG). Bei diesen ist eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich. Ist der Ausländer aber bereits vor der bestandskräftigen Anerkennung ausgewiesen worden, sperrt nur eine auf den gleichen qualifizierten Gründen beruhende Ausweisung die Titelerteilung (Urteil vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 = Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 10, jeweils Rn. 17 mit Verweis auf BTDrucks 9/1630 S. 24 zu § 29 Abs. 2 AsylVfG 1982, BTDrucks 12/2062 S. 38 f. zu § 68 Abs. 2 und § 70 Abs. 2 AsylVfG 1992 und BTDrucks 15/420 S. 111). Daraus ergibt sich für den Versagungsgrund des § 25 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 AufenthG, dass die darin geregelte spezielle Sperrwirkung vom Gesetzgeber nicht als dauerhaft wirkender Ausschlusstatbestand, sondern ebenfalls gefahren- oder präventionsabhängig konzipiert worden ist. Deshalb wird sie nach Sinn und Zweck von der präventionsgeleiteten Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG miterfasst und steht nach Ablauf der Frist der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG nicht mehr entgegen.

11

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Kläger auch in der Sache zu Recht einen Befristungsanspruch auf Null ohne vorherige Ausreise zuerkannt. Die Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch findet sich in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Danach werden die in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Einreise- und Aufenthaltsverbot) und in § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (Titelerteilungsverbot) bezeichneten Wirkungen auf Antrag befristet. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet, ohne dass es insoweit eines Antrags des Ausländers bedarf (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 9, jeweils Rn. 30; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - Rs. C-297/12 - InfAuslR 2013, 416 Rn. 34). Die Entscheidung über die Länge der Frist ist eine rechtlich gebundene Entscheidung, die nicht im Ermessen der Ausländerbehörde steht (vgl. Urteile vom 10. Juli 2012 a.a.O., jeweils Rn. 34 und vom 14. Mai 2013 - BVerwG 1 C 13.12 - InfAuslR 2013, 334 Rn. 27).

12

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Bei einer aus generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung kommt es - soweit sie zulässig ist - darauf an, wie lange von ihr eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist hier nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs zu treffen (vgl. Urteile vom 10. Juli 2012 a.a.O., jeweils Rn. 42 und vom 14. Mai 2013 a.a.O. Rn. 32).

13

Der Verwaltungsgerichtshof ist aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wirkungen der Ausweisung im vorliegenden Fall vollständig zu beseitigen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann in bestimmten Fällen eine vollständige Beseitigung der in § 11 Abs. 1 AufenthG geregelten Wirkungen der Ausweisung geboten sein. Dann entfällt das Erfordernis einer Fristbestimmung wie auch der Ausreise aus Deutschland (vgl. Urteile vom 10. Juli 2012 a.a.O., jeweils Rn. 33; vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 28 und vom 13. April 2010 - BVerwG 1 C 5.09 - BVerwGE 136, 284 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 6, jeweils Rn. 17). Dies kann zum einen deshalb geboten sein, weil seit Verfügung einer nicht vollzogenen Ausweisung ein so langer Zeitraum verstrichen ist, dass die zum Ausweisungszeitpunkt bestehenden spezial- oder generalpräventiven Gründe entfallen sind. Ein Anspruch auf vollständige Beseitigung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG kann sich aber auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, etwa weil schützenswerte familiäre Belange im Sinne von Art. 6 GG dies erfordern (zu Letzterem vgl. Urteile vom 13. April 2010 a.a.O., jeweils Rn. 17 und vom 4. September 2007 a.a.O., jeweils Rn. 28). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die zum Ausweisungszeitpunkt bestehenden spezial- und generalpräventiven Gründe nach Verstreichen einer Zeitdauer von mehr als zehn Jahren nicht mehr vorliegen. Damit sind die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erfüllt, ohne dass es einer Entscheidung der Frage bedarf, ob dem Aufenthaltsbegehren eines Konventionsflüchtlings überhaupt generalpräventive Gründe entgegengehalten werden dürfen.

14

Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten setzt der Anspruch auf Beseitigung der in § 11 Abs. 1 AufenthG geregelten Wirkungen der Ausweisung nicht die vorherige Ausreise des Ausländers voraus. Zwar sieht § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG vor, dass der Lauf der Frist mit der Ausreise beginnt. Liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aber keine Gründe für die Festsetzung einer Sperre im Sinne von § 11 Abs. 1 AufenthG mehr vor, entfällt damit auch das Erfordernis der Ausreise. Eine Frist für die Geltung der Wirkungen der Ausweisung darf dann nicht mehr in Gang gesetzt werden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tenor

I.

Das Verfahren wird eingestellt.

II.

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. September 2012 ist gegenstandslos geworden.

III.

Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.

IV.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Da der Kläger und die Beklagte den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2016 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO durch Beschluss einzustellen und auszusprechen, dass das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. September 2012 nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos geworden ist.

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen dem Kläger und der Beklagten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen, weil die Beklagte bei einer Entscheidung in der Hauptsache (nur) zu einer Neuverbescheidung im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu verpflichten gewesen wäre und die Berufung damit (nur) teilweise Erfolg gehabt hätte.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. August 2012 wäre aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten gewesen, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung des Klägers (Einreise- und Aufenthaltsverbot) unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

1. Da für die rechtliche Beurteilung der Befristungsentscheidung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs als Berufungsgericht maßgeblich ist, ist auf die Regelungen des § 11 AufenthG in der seit 24. Oktober 2015 geltenden Fassung abzustellen. Für einen Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, gilt nach § 11 Abs. 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, dessen Dauer von Amts wegen nach Ermessen zu befristen ist (§ 11 Abs. 2 und 3 AufenthG).

2. Dabei bedarf es nach Ansicht des Senats regelmäßig keiner getrennten Festlegung einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung und einer Befristung der Wirkungen der Abschiebung. Die Wirkungen beider Maßnahmen sind nach § 11 Abs. 1 AufenthG identisch (vgl. die Legaldefinition „Einreise- und Aufenthaltsverbot“ in § 11 Abs. 1 AufenthG). Die Frist beginnt nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit der Ausreise (bzw. Abschiebung); mehrere gesonderte Fristen würden somit „parallel laufen“, ohne dass ein Unterschied zu erkennen wäre. Daher ist insoweit weder ein prozessuales Rechtsschutzbedürfnis noch materiell ein schützenswertes Interesse für die Festsetzung unterschiedlicher Fristen ersichtlich (offenbar anderer Ansicht, insoweit aber ohne Begründung: OVG Lüneburg, B.v. 25.6.2013 - 8 PA 98/13 - InfAuslR 2013, 336 Rn. 21).

3. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 9.12.2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 Rn. 27), wonach trotz des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Entscheidung über die Länge der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot eine gebundene Entscheidung darstelle (siehe hierzu ausführlich das Urteil des Senats vom 12.7.2016 - 10 BV 14.1818). Die für die Bestimmung der Länge der Sperrfrist maßgeblichen Kriterien der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, und der anschließenden Relativierung anhand höherrangiger Rechtsnormen, und damit die Ausrichtung am Zweck der Ermächtigung und die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens (Art. 40 BayVwVfG), überprüft das Gericht vollständig (§ 114 Satz 1 VwGO). Doch verbleibt der Behörde mit dem vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessen ein - wenn auch geringer - Spielraum bei der Festsetzung der Dauer der Sperrfrist, die sich an den verfassungs-, unions- und völkerrechtlichen Wertentscheidungen messen lassen muss.

4. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen (siehe hierzu ausführlich das Urteil des Senatsvom 12.7.2016 - 10 BV 14.1818).

Bei der hier vorzunehmenden Gefahrenprognose besteht entgegen der Ansicht des Erstgerichts (UA. Rn. 17), keine Bindung an die Entscheidung des zuständigen Strafvollstreckungsgerichts, die Vollstreckung des Strafrestes der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar; von ihnen geht aber weder eine Bindungswirkung noch eine Regelvermutung aus, selbst wenn zu ihrer Vorbereitung ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde (vgl. ausführl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 17 ff. m. w. N.). Nach Überzeugung des Senats gilt nichts anderes für die insoweit gleichlaufende Gefahrenprognose im Rahmen der Bestimmung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Auch das vom Erstgericht hervorgehobene Verhalten des Klägers im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung unter Dritten, bei dem er nach eigenem Vorbringen dem Opfer das Leben gerettet habe (UA Rn. 53), ist nach Meinung des Senats nicht von vornherein zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Insoweit handelt es sich eher um einen „neutralen“ Gesichtspunkt, der nur dann entscheidend zugunsten des Klägers sprechen würde, wenn sich daraus Rückschlüsse für eine relevante Verminderung der vom Kläger ausgehenden Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ergeben würden.

Die Beklagte hat in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23. August 2012 zwar ausführliche Erwägungen insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Frist angestellt, jedoch - der Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheidserlasses entsprechend - kein Ermessen ausgeübt.

5. Nach § 11 Abs. 2 Satz 5 u. 6 AufenthG (eingeführt durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung mit Wirkung zum 1. August 2015) kann die Befristung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung (Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG) versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit; tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der „bedingten Befristung“ anzuordnende längere Frist. Die von der Beklagten in ihrem Bescheid vom 23. August 2012 vorgenommene Befristung unter der Bedingung der Vorlage eines Nachweises über die Straffreiheit war daher grundsätzlich zulässig (vom Erstgericht wurde dies im angefochtenen Urteil nicht mehr angesprochen; siehe hierzu ausführlich das Urteil des Senats vom 12.7.2016 - 10 BV 14.1818).

Gleichwohl verstieß die Regelung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids gegen § 11 Abs. 2 Satz 5 u. 6 AufenthG. Denn durch diese Fassung des Bescheids wurde nur eine „bedingte Befristung“ verfügt, nicht aber - worauf der Kläger einen Anspruch hat - eine „längere Befristung“ für den Fall, dass die Bedingung nicht eintritt (§ 11 Abs. 3 Satz 6 AufenthG). Damit gilt aber das Einreise- und Aufenthaltsverbot in dem Fall, dass die Bedingung nicht eintritt, im Ergebnis unbegrenzt, was gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verstößt.

6. Hätte die Beklagte nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren Bescheid um diese „unbedingte“ Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ergänzt und wäre infolge dessen nicht der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden, hätte der Senat nach alledem deswegen den streitgegenständlichen Bescheid aufheben und die Beklagte zur Neuverbescheidung unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten müssen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Da damit eine Verpflichtung der Beklagten zur Festsetzung einer bestimmten Frist nicht in Betracht gekommen wäre, wäre das Urteil des Erstgerichts abzuändern gewesen, allerdings nicht in dem Umfang, dass die Klage - wie von der Beklagten erstrebt - insgesamt abzuweisen gewesen wäre. Die Berufung hätte damit (nur) teilweise Erfolg gehabt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) An Gebühren sind zu erheben

1a.für die nachträgliche Aufhebung oder Verkürzung der Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes169 Euro,
1b.für die nachträgliche Verlängerung der Frist für ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Absatz 4 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes169 Euro,
2.für die Erteilung einer Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8 des Aufenthaltsgesetzes)100 Euro,
3.für die Aufhebung oder Änderung einer Auflage zum Aufenthaltstitel auf Antrag50 Euro,
4.für einen Hinweis nach § 44a Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes in Form einer Beratung, die nach einem erfolglosen schriftlichen Hinweis zur Vermeidung der in § 44a Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes genannten Maßnahmen erfolgt21 Euro,
5.für die Ausstellung einer Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (§ 60a Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes)
a)
nur als Klebeetikett
58 Euro,
b)
mit Trägervordruck
62 Euro,
6.für die Erneuerung einer Bescheinigung nach § 60a Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes
a)
nur als Klebeetikett
33 Euro,
b)
mit Trägervordruck
37 Euro,
7.für die Aufhebung oder Änderung einer Auflage zur Aussetzung der Abschiebung auf Antrag50 Euro,
8.für die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes13 Euro,
9.für die Ausstellung einer Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht oder sonstiger Bescheinigungen auf Antrag18 Euro,
10.für die Ausstellung eines Aufenthaltstitels auf besonderem Blatt18 Euro,
11.für die Übertragung von Aufenthaltstiteln in ein anderes Dokument in den Fällen des § 78a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes12 Euro,
12.für die Anerkennung einer Verpflichtungserklärung (§ 68 des Aufenthaltsgesetzes)29 Euro,
13.für die Ausstellung eines Passierscheins (§ 23 Abs. 2, § 24 Abs. 2)10 Euro,
14.für die Anerkennung einer Forschungseinrichtung (§ 38a Abs. 1), deren Tätigkeit nicht überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird219 Euro,
15.für die Durchführung des beschleunigten Fachkräfteverfahrens nach § 81a des Aufenthaltsgesetzes411 Euro.

(2) Keine Gebühren sind zu erheben für Änderungen des Aufenthaltstitels, sofern diese eine Nebenbestimmung zur Ausübung einer Beschäftigung betreffen.

(3) Für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte (§ 5 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 7 des Freizügigkeitsgesetzes/EU), einer Daueraufenthaltskarte (§ 5 Absatz 5 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU), eines Aufenthaltsdokuments-GB (§ 16 Absatz 2 Satz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU) und eines Aufenthaltsdokuments für Grenzgänger-GB (§ 16 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU) ist jeweils eine Gebühr in Höhe der für die Ausstellung von Personalausweisen an Deutsche erhobenen Gebühr zu erheben. Hiervon abweichend wird ein Aufenthaltsdokument-GB an bisherige Inhaber einer Daueraufenthaltskarte gebührenfrei ausgestellt. Wird die Aufenthaltskarte oder die Daueraufenthaltskarte für eine Person ausgestellt, die

1.
zum Zeitpunkt der Mitteilung der erforderlichen Angaben nach § 5 Absatz 1 Satz 1 oder § 16 Absatz 2 Satz 2 und 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU oder
2.
zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 5 Absatz 5 Satz 2, § 16 Absatz 3 oder 4 oder § 11 Absatz 4 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Verbindung mit § 81 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes
noch nicht 24 Jahre alt ist, beträgt die Gebühr jeweils die Höhe, die für die Ausstellung von Personalausweisen an Deutsche dieses Alters erhoben wird. Die Gebühren nach Satz 1 oder Satz 2 sind auch zu erheben, wenn eine Neuausstellung der Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte oder des Aufenthaltsdokuments-GB oder des Aufenthaltsdokuments für Grenzgänger-GB aus den in § 45c Absatz 1 genannten Gründen notwendig wird; § 45c Absatz 2 gilt entsprechend. Für die Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthalts (§ 5 Absatz 5 Satz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU) ist eine Gebühr in Höhe von 10 Euro zu erheben.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.