Verwaltungsgericht Mainz Beschluss, 09. Feb. 2018 - 4 L 1411/17.MZ

ECLI:ECLI:DE:VGMAINZ:2018:0209.4L1411.17.00
bei uns veröffentlicht am09.02.2018

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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Der zulässige Antrag ist begründet.

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Der auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 gerichtete Antrag des Antragstellers ist nach § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – statthaft und auch ansonsten zulässig.

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Der Antrag ist auch begründet, da auf der Grundlage der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden kann, ob der Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist, und das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt.

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I. Für die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung ist hier die Bedeutung der Statusentscheidung über die Staatsangehörigkeit für den Antragsteller besonders zu berücksichtigen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10.OVG –, ESOVG).

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Der Staatsangehörigkeitsstatus ist seiner Natur nach für den Einzelnen und für die Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 und juris Rn. 75 m.w.N.; OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10.OVG –, ESOVG; VGH BW, Urteil vom 17.9.2007 – 13 S 2794/06 –, juris Rn. 27). Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 aus:

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„Er bestimmt seine staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Der Grundrechtsschutz hat besonderes Gewicht, da er nicht graduell austariert werden kann, sondern für den Betroffenen immer eine Entscheidung über "Alles oder Nichts" darstellt. Die Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut hat über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung, denn der bürgerschaftliche Status betrifft die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens: Über ihn wird die Staatsgewalt – vermittelt über das Wahlrecht – legitimiert.“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 und juris Rn. 75 m.w.N.)

7

Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz betont in seinem Beschluss vom 6. August 2010:

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„Regelungen und Maßnahmen, die in den Bestand der Staatsangehörigkeit eingreifen, berühren das Zugehörigkeitsverhältnis, durch das das Staatsvolk als solches konstituiert wird (vgl. BVerfGE 43, 37, 51 = NJW 1991, 162), und damit zugleich den Bestand aller Rechte und Pflichten, die an das Zugehörigkeitsverhältnis anknüpfen. Zu den speziellen Eigenheiten der Staatsangehörigkeit gehören die Vielfalt, personelle Reichweite und teilweise existenzielle Bedeutung der daran anknüpfenden Rechtsfolgen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006, 2 BvR 669/04, Votum der Richter Broß, Osterloh, Lübbe-Wolff und Gerhard, Rn. 90, NVwZ 2006, 807).“ (OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10.OVG –, ESOVG)

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Bereits eine von den Gerichten bestätigte Abweichung von der im Gesetz in § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs stellt deshalb einen selbständigen Eingriff in ein solch gewichtiges Recht dar, der nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig ist (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10.OVG –, ESOVG).

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Zwar mag es zutreffen, dass die Schutzwürdigkeit des Staatsbürgers im Hinblick auf den – auch nur vorübergehenden – Erhalt dieses existenzbedeutsamen Status in Fällen einer „erschlichenen Einbürgerung“ zurücktritt, da es sich insoweit um eine nur angemaßte, nicht verdiente, Rechtsposition handelt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10.OVG –, ESOVG). Insoweit hat auch das Bundesverfassungsgericht herausgestellt, dass demjenigen, der nachweislich selbst durch Täuschung seine Einbürgerung herbeiführte, kein schützenswertes Vertrauen zusteht, so dass bei einer zeitnahen Rücknahme das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände regelmäßig überwiegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 und juris Rn. 51 und 76; auch VGH BW, Urteil vom 17.9.2007 – 13 S 2794/06 –, juris Rn. 27). Diese Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts beziehen sich indes auf die Ermessensabwägung im Rahmen der eigentlichen Rücknahmeentscheidung, die die Nachweislichkeit bzw. das Feststehen des gesetzlichen Rücknahmetatbestands voraussetzt. Nur auf der Grundlage eines aufgeklärten Sachverhalts und einer abschließenden Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen könnte demnach auch das Gericht den öffentlichen Interessen an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände den Vorzug vor den gewichtigen persönlichen Interessen des Antragstellers am – einstweiligen – Erhalt seines Status als Staatsbürger einräumen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, dem sich die Kammer anschließt, verlangt hierfür im Eilverfahren eine mehr als nur summarische Prüfung, wobei eine Abwägung zugunsten des öffentlichen Interesses allenfalls bei einem vollständig aufgeklärten Sachverhalt und dem Fehlen von Zweifeln an einem Offensichtlichkeitsurteil hinsichtlich der Erfüllung des rechtlichen Tatbestands naheliegen soll; die Fallgestaltung müsse insoweit gleichsam den Missbrauch auf der Stirn tragen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10.OVG –, ESOVG; Beschluss vom 8.1.2008 – 7 B 11180/07.OVG –, ESOVG; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 19.6.2002 – 5 CS 02.1101 –, juris Rn. 3, wonach die Veränderung des bestehenden Zustandes im Wege des Sofortvollzugs vor Bestandskraft des Bescheids bei Statusfragen wie der Staatsangehörigkeit grundsätzlichen unzulässig sein soll; VGH BW, Beschluss vom 26.8.1993 – 13 S 2019/93 –, juris Rn. 1, wonach es bei der Rücknahme der Einbürgerung um eine Statusfrage gehe, die ihrer Natur nach nur einer endgültigen Klärung fähig sei; a.A. wohl HambOVG, Beschluss vom 28.8.2001 – 3 Bs 102/01 –, juris Rn. 30; VG Saarland, Beschluss vom 29.9.2016 – 2 L 1039/16 –, juris Rn. 11 im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit verbunden sind).

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II. Daran gemessen bestehen auf der Grundlage der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung derzeit zumindest Zweifel daran, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 offensichtlich rechtmäßig ist; eine Entscheidung darüber muss einer umfassenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

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1. Rechtsgrundlage für die in Ziffer 1 des Bescheids vom 11. Dezember 2017 angeordnete (rückwirkende) Rücknahme der Einbürgerung des Antragstellers durch die Antragsgegnerin ist § 35 Abs. 1 des StaatsangehörigkeitsgesetzesStAG –. Danach kann eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Voraussetzung ist also, dass die am 12. Dezember 2012 erfolgte Einbürgerung des Antragstellers rechtswidrig ist und der Erlass in einer der vorgenannten Formen erwirkt worden ist.

13

In Betracht kommt hier, dass die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihren Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Ausländer den maßgeblichen Bediensteten der Behörde in seiner Entscheidung beeinflusst, indem er bei diesem einen Irrtum über entscheidungserhebliche Tatsachen hervorruft, deren Unrichtigkeit der Ausländer kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.3.2016 – 19 A 2330/11 –, juris Rn. 69). Dabei muss insbesondere auch die Loyalitätserklärung jedenfalls hinsichtlich der in ihr enthaltenen Tatsachenerklärungen der Sache nach vollständig und wahrheitsgemäß abgegeben werden, wobei wahrheitswidrige Erklärungen eines Einbürgerungsbewerbers zu den Ausschlussgründen des § 11 StAG – gleichsam als Anknüpfungspunkt für eine Täuschung im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG – die Rücknahme der Einbürgerung rechtfertigen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.7.2016 – 1 B 78/16 –, juris Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 17.3.2016 – 19 A 2330/11 –, juris Rn. 71 ff.).

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Die Rechtswidrigkeit der am 12. Dezember 2012 vollzogenen Einbürgerung des Antragstellers könnte sich aus § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ergeben. Danach ist eine Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat. In Betracht kommt hier ein Verfolgen oder Unterstützen von Bestrebungen, die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Der Antragsteller hätte dann mit seiner Unterschrift unter die (erweiterte) Loyalitätserklärung vom 8. November 2012 im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG die objektiv unzutreffende Erklärung abgegeben, keine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG zu verfolgen oder zu unterstützen.

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Um Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG handelt es sich bei solchen politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner politischen Belange einzusetzen. Dabei werden nicht nur gewaltanwendende oder vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bundesgebietes gegen Nichtdeutsche; bei einer exilpolitischen Betätigung muss die Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.3.2012 – 5 C 1/11 –, BVerwGE 142, 132 und juris Rn. 17; OVG NRW, Urteil vom 17.3.2016 – 19 A 2330/11 –, juris Rn. 33).

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Ein Unterstützen liegt in jeder Handlung eines Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein und er muss zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen, wobei einzelne Unterstützungshandlungen der Einbürgerung nur dann als tatsächliche Anhaltspunkte entgegenstehen, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren; dies ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.3.2012 – 5 C 1/11 –, BVerwGE 142 und juris Rn. 19 f.; OVG NRW, Urteil vom 17.3.2016 – 19 A 2330/11 –, juris Rn. 55), wobei der Antragsgegnerin insoweit kein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.12.2009 – 5 C 24/08 –, BVerwGE 135, 302 und juris Rn. 17).

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Jedenfalls bei der HAMAS und der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. – IGD – handelt es sich um Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (vgl. zur HAMAS: BVerwG, Urteil vom 3.12.2004 – 6 A 10/02 –, DVBl 2005, 590 und juris Rn. 14 ff. zu § 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Satz 2 GG; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.3.2012 – OVG 5 N 24.11 –, juris Rn. 10; siehe auch Beschluss (GASP) 2017/1426 des Rates vom 4.8.2017; zur IGD: HessVGH, Urteil vom 21.11.2017 – 5 A 2126/16 –, juris Rn. 23; VG Berlin, Urteil vom 29.11.2005 – 2 A 100.04 –, juris Rn. 17 ff.). Beide Organisationen sind auch in der von der Erklärung des Antragstellers vom 8. November 2012 in Bezug genommenen Liste extremistischer Organisationen aufgeführt. Für eine unmittelbare Tätigkeit des Antragstellers in oder für diese Organisationen – etwa als Funktionär, Mitglied oder Spender – hat die Antragsgegnerin indes nichts vorgetragen. Sie hat vielmehr verschiedene mittelbare Verdachtsmomente dafür vorgebracht, dass Verbindungen des Antragstellers zur HAMAS bestehen, die jedenfalls auf Unterstützungshandlungen des Antragstellers im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG schließen ließen, wie etwa die (Funktionärs-)Tätigkeit des Antragstellers für andere palästinensische Organisationen, seine Beteiligung an diversen Konferenzen und Kontakte zu HAMAS- und IGD-Funktionären.

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2. Dies reicht im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung für das erforderliche Offensichtlichkeitsurteil hinsichtlich der Erfüllung des rechtlichen Tatbestands indes hier nicht aus.

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Zwar ist die Rücknahmeentscheidung nicht erst dann rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sicher nachgewiesen sind. Vielmehr verlagert § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG den Schutz der dort aufgeführten Schutzgüter vor, so dass bereits das Vorliegen eines durch konkrete Tatsachen begründeten (personenbezogenen) Verdachts ausreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.12.2009 – 5 C 24/08 –, BVerwGE 135, 302 und juris Rn. 14 f.; BVerwG, Urteil vom 20.3.2012 – 5 C 1/11 –, BVerwGE 142, 132 und juris Rn. 20; OVG RP, Urteil vom 24.5.2005 – 7 A 10953/04 –, UA S. 18; HessVGH, Urteil vom 21.11.2017 – 5 A 2126/16 –, juris Rn. 22; BT-Drucks 14/533 S. 18 f. zu § 86 AuslG a.F.). Ein Verdacht im Sinne der Norm rechtfertigt sich dabei schon aus dem Vorliegen eines Umstandes, der bei objektiver und vernünftiger Sicht auf eine Unterstützung von gegen die genannten Schutzgüter gerichteten Bestrebungen hinweist (vgl. OVG RP, Urteil vom 24.5.2005 – 7 A 10953/04 –, UA S. 18).

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Trotz dieses herabgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs und der verschiedenen von der Antragsgegnerin aufgeführten Verdachtsmomente verbleiben für die Kammer aber noch Zweifel sowohl an der Rechtswidrigkeit der Einbürgerung als auch an deren Erwirkung durch arglistige Täuschung oder vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihren Erlass gewesen sind.

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a) Zweifel bestehen zunächst hinsichtlich der von der Antragsgegnerin in der Rücknahmeentscheidung in Bezug genommenen Anknüpfungstatsachen, die zeitlich vor der Einbürgerung des Antragstellers am 12. Dezember 2012 liegen. Diese Tatsachen waren der Antragsgegnerin nämlich sämtlich bereits vor der Einbürgerung bekannt, was wiederum der Antragsteller, dessen Prozessbevollmächtigter bereits am 2. August 2012 Einsicht in die Verwaltungsakten hatte, wusste. Im Hinblick auf diese Tatsachen erscheint demnach eine Täuschungshandlung bzw. ein vorsätzliches Verschweigen von wesentlichen Angaben bzw. eine Kausalität im Sinne eines Erwirkens der Einbürgerung (vgl. SaarlOVG, Urteil vom 24.2.2011 – 1 A 327/10 –, juris Rn. 37; OVG NRW, Urteil vom 17.3.2016 – 19 A 2330/11 –, juris Rn. 77) zweifelhaft.

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Das betrifft zum einen den gegen den Antragsteller zeitweise bestehenden Verdacht, er sei in Waffenbeschaffungsaktivitäten der HAMAS eingebunden gewesen. Dies war der Antragsgegnerin spätestens mit dem Erkenntnisbericht des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz vom 29. September 2011 – Erkenntnisbericht – bekannt, wobei der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin bereits unter dem 19. August 2011 auf das anhängige Bußgeldverfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 4 Nr. 1 Außenwirtschaftsgesetz – AWG – i.V.m. § 70 Abs. 5a Nr. 1 AußenwirtschaftsverordnungAWV – hingewiesen hatte. Außerdem wurde das Verfahren am 18. April 2012 gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können zwar auch dann vorliegen, wenn ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt wurde, da im Rahmen des § 11 StAG gerade keine Gewissheit erforderlich ist und die Unschuldsvermutung nicht vor Rechtsfolgen schützt, die keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.3.2012 – 5 C 1/11 –, BVerwGE 142, 132 und juris Rn. 45). Dem steht hier aber entgegen, dass die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion der Antragsgegnerin bereits mit Schreiben vom 28. Juli 2011 bzw. 5. April 2012 mitgeteilt hatte, es werde nach Rücksprache mit dem Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz die Auffassung vertreten, dass ein Sicherheitsgespräch mit dem Antragsteller nicht zielführend sei, da keine neuen, insbesondere belastbaren Erkenntnisse hinzugekommen seien. Letztlich hat auch die Antragsgegnerin ihre Rücknahmeentscheidung nicht maßgeblich auf einen Verdacht der Verwicklung des Antragstellers in Waffenbeschaffungsaktivitäten der HAMAS gestützt. Jedenfalls hat der Antragsteller aber auf das Verfahren hingewiesen und der Antragsgegnerin waren die insoweit maßgeblichen Umstände zum Zeitpunkt der Einbürgerung bekannt, so dass es an einer arglistigen Täuschung bzw. einem Erwirken der Einbürgerung insoweit fehlen könnte.

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Gleiches gilt für die damalige Tätigkeit des Antragstellers im Vorstand der Muslimischen Hochschulgruppe der Universität M. – MHG – und deren Anbindung an die Muslimische Jugend Deutschland e.V., die nach den behördlichen Erkenntnissen eine Nähe zur Muslimbruderschaft, die auf der Liste extremistischer Organisationen aufgeführt ist, aufweise. Die Einbürgerung erfolgte in Kenntnis auch dieser Umstände.

24

Schließlich bestehen derzeit auch Zweifel, soweit die Rücknahmeentscheidung und der gegen den Antragsteller bestehende Verdacht, er habe Verbindungen zur HAMAS, mit der Teilnahme des Herrn A. S. an der Hochzeitsfeier des Antragstellers am 14. Oktober 2009 begründet wird. So heißt es hierzu bereits im Erkenntnisbericht vom 29. September 2011, dass an der Hochzeitsfeier sowohl HAMAS-Funktionäre als auch der Muslimbruderschaft bzw. der IGD nahestehende Personen teilgenommen haben sollen. Genannt war u.a. Herr S., der im Erkenntnisbericht als IGD-Funktionär bezeichnet wird, der in Verbindung zum 2002 wegen Unterstützung der HAMAS verbotenen Al-Aqsa e.V. und dessen Vorsitzendem gestanden habe und der als Führungsperson im „Islamischen Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e.V.“ bekannt sei, das als Treffort von HAMAS-Anhängern gelte. In der Mitteilung des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz vom 7. Dezember 2017 wurde nun lediglich ergänzend ausgeführt, dass sich nach dem Tod von Herrn S. im Jahr 2014 insbesondere aus den Umständen einer ihm zu Ehren abgehaltenen Trauerfeier neue Erkenntnisse ergeben hätten, die dessen eindeutige HAMAS-Zugehörigkeit belegten. Da aber bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung des Antragstellers ohnehin zumindest sicher davon ausgegangen wurde, dass Herr S. IGD-Funktionär gewesen ist und die IGD auf der von der erweiterten Loyalitätserklärung in Bezug genommenen Liste extremistischer Organisationen aufgeführt ist (siehe zur IGD auch HessVGH, Urteil vom 21.11.2017 – 5 A 2126/16 –, juris Rn. 23; VG Berlin, Urteil vom 29.11.2005 – 2 A 100.04 –, juris Rn. 17 ff.), ist eine dahingehende Täuschungshandlung des Antragstellers bzw. die erforderliche Kausalität zur Einbürgerung derzeit zumindest nicht offensichtlich. Hinzu kommt, dass als tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zwar auch persönliche Kontakte oder Freundschaften des Betroffenen mit Personen, die ihrerseits gegen die in § 11 StAG genannten Schutzgüter gerichtete Handlungen verfolgen oder unterstützen, herangezogen werden können. Dies dürfte aber voraussetzen, dass zumindest ein Bezug zwischen der Freundschaft und den inkriminierten Überzeugungen besteht, indem etwa die Freundschaft gerade auf einer Übereinstimmung der politisch-gesellschaftlichen Anschauungen beruht oder der Betroffene mit der Einstellung des Freundes/der Kontaktperson sympathisiert und diese gutheißt (so etwa VG Darmstadt, Urteil vom 17.6.2010 – 5 K 1466/09 –, juris Rn. 21; VG Hamburg, Beschluss vom 22.2.2016 – 19 E 6426/15 –, juris Rn. 26). Ob alleine die Teilnahme an der Hochzeitsfeier des Antragstellers – wobei der Kammer deren genaueren Umstände wie etwa die Größe der Feier oder der Kreis der Gäste nicht bekannt sind – ausreicht, um den Schluss auf eine derartige Beziehung zwischen dem Antragsteller und Herrn S. zu rechtfertigen, erscheint auf Grundlage einer nur summarischen Prüfung ohne weitere Angaben zu etwaigen Treffen, Gesprächen oder Kontakten des Antragstellers mit Herrn S. zumindest zweifelhaft. Auch dies bedarf einer abschließenden Überprüfung und Bewertung im Hauptsacheverfahren, zumal der Antragsteller in einer eidesstattlichen Versicherung vom 13. Januar 2018 erklärt hat, er selbst habe zu Herrn S. nur eine flüchtige Beziehung gehabt, dieser sei ein Studienkollege seines Vaters gewesen.

25

b) Nach Auffassung der Kammer muss auch die rechtliche Beurteilung der zeitlich nach der Einbürgerung liegenden Anknüpfungstatsachen einer umfassenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben und kann nicht bereits im Eilverfahren im Wege einer summarischen Prüfung vorgenommen werden.

26

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Rücknahme einer Einbürgerung deren Rechtswidrigkeit voraussetzt, d.h., die Ausschlussgründe des § 11 StAG müssen bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung vorgelegen haben. Die Rücknahme kann deshalb nicht auf Verfolgungs- oder Unterstützungsaktivitäten des Antragstellers im Sinne des § 11 StAGnach seiner Einbürgerung gestützt werden, da diese auch auf einer späteren Radikalisierung beruhen könnten (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 22.2.2016 – 19 E 6426/15 –, juris Rn. 14).

27

Zwar kann unter bestimmten Umständen aus einem späteren Verhalten des Betroffenen geschlossen werden, dass Ausschlussgründe im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung vorgelegen haben, etwa, wenn sich bei Betrachtung von Aktivitäten vor und nach der Einbürgerung eine gewisse Konstanz zeigt (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 22.2.2016 – 19 E 6426/15 –, juris Rn. 34). Dies bedarf aus Sicht der Kammer hier aber einer – im Eilverfahren nicht möglichen – mehr als nur summarischen Prüfung, in der die gesamten Umstände einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind.

28

Dies gilt insbesondere für die Bewertung der Tätigkeiten des Antragstellers in zwei palästinensischen Organisationen und im Zusammenhang mit verschiedenen Konferenzen. So wird dem Antragsteller von der Antragsgegnerin nicht vorgeworfen, sich unmittelbar in einer Organisation betätigt zu haben, die auf der Liste extremistischer Organisationen geführt wird. Ob es sich bei den vom Antragsteller – in hervorgehobener Funktion als Vorsitzender – unterstützten Organisationen „PalMed Studentenkomitee“ und „Palastinian Youth in Europe“ – PYE – aber tatsächlich ihrerseits um – wie von der Antragsgegnerin behauptet – HAMAS-nahestehende Organisationen bzw. um Organisationen handelt, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgen, ist für die Kammer zumindest nicht offensichtlich. Beide Organisationen waren – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Hinsichtlich des „PalMed Studentenkomitees“ beschränken sich der Vortrag der Antragsgegnerin und des Ministeriums des Innern und für Sport im Wesentlichen darauf, es bestehe ein „originärer Bezug zum „Palestinian Return Centre“ – PRC –, da die Vereinsgründung des „Palästinensischen Ärzteforums in Europa“ – PalMed Europe – am Rande der 5. „Palestinians in Europe Conference“ des PRC im Mai 2007 initiiert worden sei. Das PRC wiederum werde von der HAMAS als Plattform genutzt und sei im Dezember 2010 in Israel wegen seiner Verbindungen zur HAMAS zur ungesetzlichen Organisation erklärt worden. Weitere Anhaltspunkte, die auf eine Verbindung zwischen dem „PalMed Studentenkomitee“ und der HAMAS oder dem PRC bzw. auf Verbindungen zwischen dem PRC – das soweit ersichtlich bislang ebenfalls noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung war – und der HAMAS hindeuten, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Ob vor diesem Hintergrund allein der Umstand, dass PalMed Europe am Rande einer PRC-Konferenz gegründet wurde, ausreicht, um auf eine Verbindung des „PalMed Studentenkomitees“ zur HAMAS zu schließen, vermag die Kammer bei einer nur summarischen Prüfung nicht festzustellen. Außerdem wäre zu klären, ob insoweit eine Täuschungshandlung des Antragstellers bzw. die Kausalität zur Einbürgerung bejaht werden könnte, da der Antragsteller – unbestritten – vorgetragen hat, dass er bereits vor seiner Einbürgerung im Vorstand des „PalMed Studentenkomitees“ tätig gewesen sei, dies der Antragsgegnerin bekannt gewesen sei und mit der Wahl zum Vorsitzenden demnach kein qualitativ neuer Umstand hinzugekommen sei.

29

Schließlich bedürfen auch die Bewertung der PYE, deren Vorsitzender der Antragsteller seit dem Jahr 2015 ist, und die Teilnahme des Antragstellers – teilweise auch als (Mit-)Organisator oder Redner – an Konferenzen einer näheren Betrachtung im Hauptsacheverfahren. Zwar haben die Antragsgegnerin und das Ministerium des Innern und für Sport insoweit zahlreiche – zumindest mittelbare – Verknüpfungen zu extremistischen Organisationen wie der HAMAS und der IGD aufgezeigt, da an diesen Konferenzen auch HAMAS- oder IGD-Funktionäre teilgenommen haben bzw. als Redner aufgetreten sind. Insoweit dürfte der Versagungstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zwar bereits dann erfüllt sein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit des Antragsstellers zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation bestünden, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt oder er einer solchen ein öffentliches Forum bietet, ohne dass es dann noch darauf ankäme, ob dem Antragsteller selbst aufgrund eigener Äußerungen oder Aktionen ein verfassungsfeindliches Verhalten nachgewiesen werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.12.2009 – 5 C 24/08 –, BVerwGE 135, 302 und juris Rn. 18; OVG RP, Urteil vom 24.5.2005 – 7 A 10953/04 –, UA S. 18; HessVGH, Urteil vom 21.11.2017 – 5 A 2126/16 –, juris Rn. 22). Etwas Anderes kann aber unter Umständen gelten, wenn bei einer Gesamtbetrachtung des Wirkens einer Organisation – oder wohl auch im Rahmen einer Konferenz – diese nicht als homogen einzustufen ist, sondern in ihr verschiedene Strömungen vertreten werden, die voneinander klar unterschieden werden können, und der Betroffene einer Strömung angehört, die selbst keine Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt oder unterstützt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.12.2009 – 5 C 24/08 –, BVerwGE 135, 302 und juris Rn. 20; siehe dazu auch HessVGH, Urteil vom 21.11.2017 – 5 A 2126/16 –, juris Rn. 29). Auch dies erscheint der Kammer derzeit nicht hinreichend eindeutig. Schließlich ist gerade hinsichtlich der Tätigkeit des Antragstellers als Vorsitzender der PYE zu berücksichtigen, dass diese erst im Jahr 2015 – also wohl erst über zwei Jahre nach seiner Einbürgerung aufgenommen wurde.

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Die vorgenannten Gesichtspunkte begründen auf der Grundlage der nur möglichen summarischen Prüfung zumindest Zweifel, die einem Offensichtlichkeitsurteil hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 hier entgegenstehen. Angesichts der Bedeutung des Staatsangehörigkeitsstatus für den Antragsteller, der Rücknahmeentscheidung mit ihrer „Alles oder Nichts“-Wirkung, der Intensität der Beeinträchtigung bei einer auch nur vorübergehenden Entziehung, der Dauer von fünf Jahren – zugleich die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb der nach § 35 Abs. 3 StAG eine Rücknahme überhaupt erfolgen dürfte –, in denen der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit innehatte (vgl. zur Bedeutung des Zeitmoments OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10 –, ESOVG) und der drohenden Staatenlosigkeit des Antragstellers, die zwar nach § 35 Abs. 2 StAG in der Regel nicht der Rücknahme entgegensteht, aber hier in der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10 –, ESOVG), überwiegt hier deshalb das Suspensivinteresse des Antragstellers das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Verhältnisse im Staatsangehörigkeitsrecht. Darüberhinausgehende öffentliche Interessen – etwa zwingende Sicherheitsinteressen – hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Dagegen spräche hier aber auch, dass die Erkenntnisse, auf die die Rücknahmeentscheidung gestützt wurde, zumindest dem Ministerium des Innern und für Sport überwiegend bereits seit mehreren Jahren bekannt waren, ohne dass dies zum Anlass für ein früheres Einschreiten genommen wurde.

31

Es kommt deswegen nicht mehr darauf an, ob die Antragsgegnerin die Fünf-Jahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG eingehalten hat – wovon die Kammer allerdings ausgeht, da die Frist erst mit der Übergabe der Einbürgerungsurkunde am 12. Dezember 2012 zu laufen begonnen haben dürfte – und ob die Antragsgegnerin nach § 1 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes – LVwVfG – i.V.m § 28 Abs. 2 Nr. 2 des VerwaltungsverfahrensgesetzesVwVfG – von einer vorherigen Anhörung des Antragstellers absehen durfte bzw. diese durch den Austausch von Schriftsätzen im Eilverfahren mit heilender Wirkung nachgeholt hat (vgl. dazu Stelkens u.a., VwVfG, § 45 Rn. 86 m.w.N.).

32

Aus denselben Gründen ist auch die aufschiebende Wirkung bezüglich der in Ziffer 2 des Bescheids vom 11. Dezember 2017 angeordneten Aufforderung zur Herausgabe der Einbürgerungsurkunde (vgl. § 1 LVwVfG i.V.m. § 52 Satz 1 VwVfG) anzuordnen.

33

Die Antragsgegnerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

34

Die Entscheidung über die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 57).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 53 Einstweiliger Rechtsschutz und Verfahren nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes


(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung: 1. über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlas

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Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 28 Anhörung Beteiligter


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Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 46 Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren


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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 geändert. Die Verfügung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Der Kläger, ein am 10.2.1958 geborener ehemaliger libanesischer Staatsangehöriger, reiste im Sommer 1986 zusammen mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er sich als Asylsuchender meldete. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) lehnte den Asylantrag mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.10.1987 ab. In der Folgezeit erhielt der Kläger erstmalig am 19.9.1991 eine Aufenthaltsbefugnis, welche fortlaufend verlängert wurde; seit dem 21.6.2001 verfügte er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 9.2.2001 beantragte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den in den Jahren 1987, 1989 und 1991 in Deutschland geborenen gemeinsamen Kindern seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Im Laufe des Einbürgerungsverfahrens gab der Kläger gegenüber der Landeshauptstadt Stuttgart eine Loyalitätserklärung ab, wonach er keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Am 22.5.2003 wiederholte der Kläger gegenüber der Beklagten diese Loyalitätserklärung. Vor Bescheidung des Einbürgerungsantrags stellte die Beklagte Ermittlungen an, ob der Einbürgerung öffentliche Belange entgegenstehen; sie richtete hierzu mehrere Anfragen an Sicherheitsbehörden. Hierauf teilte die Landespolizeidirektion Stuttgart II unter dem 4.4.2001 mit, dass gegen den Kläger bzw. seine Ehefrau weder Ermittlungsverfahren anhängig seien noch sonst in polizeilicher Hinsicht nachteilige Erkenntnisse bestünden. Bereits mit Schreiben vom 3.4.2001 bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Landeshauptstadt Stuttgart um Übersendung der bei ihr über den Kläger geführten Ausländerakten. Auf telefonische Nachfrage teilte das Landeskriminalamt - wie in einem Aktenvermerk festgehalten ist - mit, die Akten würden aufgrund der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppen benötigt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg erteilte auf die durchgeführte Sicherheitsanfrage im Falle des Klägers - anders als hinsichtlich seiner Familienangehörigen - am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfung noch nicht habe abgeschlossen werden können. Mit Urkunde der Landeshauptstadt Stuttgart vom 20.5.2003, ausgehändigt am 22.5.2003, wurde der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den drei minderjährigen Kindern in den deutschen Staatsverband eingebürgert.
Mit Schreiben vom 19.4.2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg der Landeshauptstadt Stuttgart mit, dass über den Kläger beim Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse im Zusammenhang mit der „Hizb Allah“ (Partei Gottes) vorlägen. Danach habe der Kläger von deutschem Boden aus diese Organisation unterstützt, welche einen islamischen Gottesstaats befürworte und deren Bestrebungen auf die Vorbereitung der Anwendung von Gewalt gegen Israel gerichtet seien. Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 9.5.2005 zu der beabsichtigten Rücknahme seiner Einbürgerung an, worauf er sich nicht äußerte.
Mit Bescheid vom 31.8.2005 nahm die Landeshauptstadt Stuttgart die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 mit Wirkung ab Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zurück und forderte ihn zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde auf. Zur Begründung der auf § 48 LVwVfG gestützten Rücknahme der Einbürgerung führte die Landeshauptstadt aus, der Kläger habe seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband durch arglistige Täuschung erwirkt, da er über seine Aktivitäten für extremistische Organisationen getäuscht habe. Auch habe der Kläger vor Vollzug der Einbürgerung eine falsche Loyalitätserklärung abgegeben, welche nicht von seiner inneren Überzeugung getragen gewesen sei. Die Einbürgerung des Klägers sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da ein Ausschlussgrund gemäß § 86 Nr. 2 AuslG bestanden habe. Ausweislich einer Mitteilung des Innenministeriums Baden-Württemberg sei der Kläger dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der verfassungsfeindlichen „Hizb Allah“ bekannt geworden. So habe er in dem Zeitraum vom 4. April 1999 bis zum 24. Mai 2003 an zahlreichen, in der Verfügung im Einzelnen aufgeführten, Veranstaltungen der „Hizb Allah“ teilgenommen, auf welchen verfassungsfeindliche, vor allem gegen das Existenzrecht Israels gerichtete Reden gehalten worden seien. Auch sei der Kläger auf einer Vollversammlung der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. in Leonberg am 2.5.1999 als deren Schatzmeister in den Vorstand gewählt worden, im Jahre 2001 habe man ihn in diesem Amt bestätigt. Bei der im Jahre 1982 gegründeten „Hizb Allah“ handle es sich um eine islamistisch-schiitische Organisation, welche im Libanon inzwischen eine herausragende politische Rolle spiele. Ihre Miliz habe sich im südlichen Libanon als militärische Macht etabliert, wobei zu ihren Aktivitäten auch die Entführung israelischer Soldaten, Selbstmordattentate und Geiselnahmen gehörten. Durch eine bewusst militante Prägung ihrer männlichen Anhänger schaffe sie sich ein gewaltbereites Potential, das vor allem gegen Israel zum Einsatz komme. Bei den Veranstaltungen der „Hizb Allah“ in Deutschland stünden diese antiisraelischen und antijüdischen Zielsetzungen sowie die finanzielle und moralische Unterstützung der Kämpfer gegen Israel im Vordergrund. Die „Hizb Allah“ vertrete das Konzept eines konstitutionellen Gottesstaates mit herrschendem schiitischem Klerus nach iranischem Vorbild und lehne die Wertordnung des Grundgesetzes ab. An den inkriminierten Bestrebungen und Aktivitäten der „Hizb Allah“ nehme auch ein dieser Organisation nahestehender Ortsverein teil, was auch dann gelte, wenn dessen Tätigkeit nicht ausschließlich darin bestehe, die Ziele der „Hizb Allah“ mitzutragen.
Der Kläger habe sich aktiv als Vorstandsmitglied in einem derartigen Verein betätigt und über einen längeren Zeitraum zustimmend oder jedenfalls ohne Widerspruch an entsprechenden Veranstaltungen teilgenommen. Dies stelle eine Bestrebung dar, über welche der Kläger die Einbürgerungsbehörde getäuscht habe. Die am 22.5.2003 erfolgte Einbürgerung stelle einen rechtswidrigen Verwaltungsakt dar. Das öffentliche Interesse an der Rücknahme der rechtswidrig erfolgten Einbürgerung überwiege das Interesse des Klägers am weiteren Fortbestand seiner deutschen Staatsangehörigkeit. In das Ermessen werde dabei vor allem auch eingestellt, dass der Kläger durch die Rücknahme der Einbürgerung nicht staatenlos werde. Seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband sei unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit erfolgt, weil die libanesischen Behörden die Entlassung aus der libanesischen Staatsangehörigkeit regelmäßig verweigerten.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, welchen das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Ausgangsbescheids zurückwies.
Die am 6.12.2005 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,
den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufzuheben,
hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil des Einzelrichters (§ 6 VwGO) vom 25.9.2006 abgewiesen.
10 
In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die angegriffene Rücknahme der Einbürgerung finde ihre Rechtsgrundlage in § 48 LVwVfG. Diese allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung sei mangels einer abschließenden spezialgesetzlichen Regelung im Staatsangehörigkeitsgesetz im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung jedenfalls dann anwendbar, wenn diese durch bewusste Täuschung erwirkt worden sei und die Rücknahme zeitnah erfolge. Der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erlangten Einbürgerung stehe weder das Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG noch grundsätzlich das Verbot des Verlustes der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen entgegen. Die auf § 85 AuslG a.F. gestützte Einbürgerung des Klägers stelle sich als von Anfang an rechtswidrig dar. Der Kläger habe nicht, wie von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG gefordert, ein von innerer Überzeugung getragenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben. An den in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG normierten Voraussetzungen habe es bereits im Einbürgerungszeitpunkt gefehlt, da der Kläger entgegen der von ihm am 2.7.2001 und am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen Bestrebungen unterstützt habe, die durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet hätten. Die dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen stellten inkriminierte Bestrebungen im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG dar, da sie die verfassungsfeindlichen Ziele der Bestrebung förderten und ihre potentielle Gefährlichkeit erhöhten. Der Kläger habe über Jahre hinweg zum Unterstützungskreis der „Hizb Allah“ gehört; er habe nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung an der Gründung der islamischen Kulturgemeinschaft in Stuttgart mitgewirkt und von 1999 bis zum Jahre 2004 dem Vorstand dieses Vereins angehört. Die „Hizb Allah“ habe die islamische Kulturgemeinschaft Stuttgart dazu benutzt, ihre eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu propagieren und durchzusetzen. Die islamische Kulturgemeinschaft e.V. Stuttgart weise eine derartige Nähe zur „Hizb Allah“ auf, dass der Verein als von der „Hizb Allah“ beeinflusst und gesteuert anzusehen und seine Aktivitäten als „Hizb Allah“-Aktivitäten zu qualifizieren seien. Auch verfolge die im Jahre 1982 gegründete „Hizb Allah“ Bestrebungen, welche durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Die „Hizb Allah“ gelte als gewaltbereite Terrororganisation mit dem erklärten Ziel der Vernichtung Israels.
11 
Der Kläger habe auch vor seiner Einbürgerung nicht glaubhaft gemacht, sich von der Unterstützung der Bestrebungen der „Hizb Allah“ abgewandt zu haben. Ein derartiges Abwenden habe er weder in seinen Erklärungen vom 2.7.2001 bzw. 22.5.2003 noch in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts geltend gemacht. Da es somit an der gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG gefehlt habe, hätte die Beklagte die begehrte Einbürgerung zwingend ablehnen müssen. Der Kläger habe seine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung durch bewusste Täuschung erlangt. Er habe es in seinen Bekenntniserklärungen vom 2.7.2001 und 22.5.2003 bewusst unterlassen, Angaben über seine Tätigkeit in der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. Stuttgart und seine weiteren Unterstützungshandlungen für die „Hizb Allah“ zu tätigen. Er habe in seinen Loyalitätserklärungen bewusst wahrheitswidrig versichert, keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu unterstützen. Als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. und als Teilnehmer an zahlreichen Veranstaltungen habe ihm die Unterstützung inkriminierter Bestrebungen bewusst sein müssen. Daher leide die von der Landeshauptstadt Stuttgart verfügte Rücknahme der rechtswidrigen Einbürgerung nicht an einem Ermessensfehler bzw. stelle sich nicht als unverhältnismäßig dar.
12 
Gegen das am 17.11.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.11.2006 die bereits vom Verwaltungsgericht im Tenor seiner Entscheidung zugelassene Berufung eingelegt; er hat innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof verlängerten Berufungsbegründungsfrist beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 zu ändern und die Verfügung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 i.d.F. des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufzuheben.
14 
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stelle § 48 LVwVfG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme seiner Einbürgerung dar. Das angegriffene Urteil gehe ohne ausreichende Begründung fälschlicherweise davon aus, er habe eine rechtswidrige Einbürgerung durch arglistige bzw. bewusste Täuschung erwirkt. Die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung, nämlich eine rechtswidrige Täuschungshandlung zur Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums, lägen nicht vor. Zutreffenderweise gehe die angegriffene Verfügung zwar davon aus, dass er als Schatzmeister der islamischen Kulturgemeinschaft in Stuttgart tätig geworden sei. Dieser Umstand sei der Beklagten jedoch lange vor Verfügung der Einbürgerung bekannt gewesen, da seine Bestellung zum Schatzmeister dem Amt für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart bereits am 2.6.1999 angezeigt worden sei. Im Laufe des Einbürgerungsverfahrens habe die Beklagte auch von den Bedenken des Landeskriminalamts hinsichtlich seiner vermuteten Zugehörigkeit zu extremistischen Gruppierungen Kenntnis erlangt. In Übereinstimmung hiermit habe das Landesamt für Verfassungsschutz auf die Anfrage der Beklagten vom 17.2.2003 hin lediglich eine Zwischennachricht erteilt, wonach seine sicherheitsmäßige Überprüfung nicht abgeschlossen sei. Sämtliche für die Einbürgerung relevanten Erkenntnisse hätten sich im Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde in der Akte der Beklagten befunden und seien dieser daher bewusst gewesen. Bereits aus diesem Grund könne nicht davon ausgegangen werden, dass er einen Irrtum erregt oder aufrechterhalten habe, welcher für die Einbürgerung kausal gewesen sei. Der Beklagten sei es verwehrt, die Rücknahmeentscheidung auf diese Umstände zu stützen, da sie die Einbürgerung in Kenntnis des konkreten und bekannten Sachverhalts verfügt habe. Unzutreffenderweise setze das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts seine Tätigkeit als Kassierer bei der islamischen Kulturgemeinschaft mit einer Unterstützung radikaler Ziele der „Hizb Allah“ gleich. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der „Hizb Allah“ tatsächlich um eine Organisation handle, welche durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichteter Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährde. Entgegen der Annahme der Beklagten gebe es die „Hizb Allah“ als solche nicht, vielmehr seien bei dieser Organisation verschiedene Flügel und Richtungen erkennbar. Die „Hizb Allah“ sei im heutigen Libanon, dem wohl demokratischsten Staat im Nahen Osten, als größte Organisation der Muslime im Parlament vertreten. Zu keinem Zeitpunkt habe sie den Versuch unternommen, den Libanon in einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild zu verwandeln, vielmehr erkenne sie das pluralistische System des Libanon ausdrücklich an. Im Übrigen verfolge die „Hizb Allah“ nicht ausschließlich politische Ziele, sondern unterhalte im Libanon sehr viele soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Es sei daher verfehlt, die „Hizb Allah“ auf das angebliche Ziel der Vernichtung Israels und der Verübung von Gewalttaten zu reduzieren. Jedenfalls gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die „Hizb Allah“ außerhalb des Libanon oder gar in Deutschland antidemokratische und verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Unabhängig hiervon stelle das angegriffene Urteil die ihm unterstellte Verbindung als Schatzmeister der islamischen Kulturgemeinschaft zum vermeintlich gewaltbereiten Teil der „Hizb Allah“ nicht dar. Eine Verbindung zwischen dem Kulturverein und den Rednern, welche angeblich der „Hizb Allah“ nahestünden, lasse in keiner Weise erkennen, aufgrund welcher Tatsachen ihm verfassungsfeindliche Ziele unterstellt würden. Er selbst habe die Teilnahme an den vorgehaltenen Veranstaltungen des islamischen Kulturvereins nie bestritten, diese sei jedoch lediglich in seiner Funktion als Kassierer erfolgt. Er habe an diesen Veranstaltungen teilgenommen, um Mitgliedsbeiträge von den Mitgliedern des Kulturvereins zu erheben, wofür man ihn als Kassierer gewählt habe. Die gesammelten Gelder würden benötigt, um den Verein und dessen kulturelle Veranstaltungen zu finanzieren. Er selbst habe auf keiner einzigen Veranstaltung das Wort ergriffen oder eine Meinung kundgetan, aus der auf eine verfassungswidrige Haltung geschlossen werden könne. Aus seiner bloßen Anwesenheit bei den in der angegriffenen Verfügung aufgeführten Veranstaltungen lasse sich in keiner Weise schließen, dass er den Inhalt der Reden geteilt und damit selbst verfassungswidrige Zielsetzungen unterstützt habe. Lediglich hilfsweise sei zu beachten, dass er sich durch die Widerspruchsbegründung, die Klagebegründung und die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts von ihm unterstellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen distanziert habe.
15 
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Sie hebt hervor, die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG stelle im Falle einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass der Kläger wahrheitswidrig eine Erklärung hinsichtlich seiner Verfassungstreue abgegeben habe. Sein Vortrag im gerichtlichen Verfahren, er habe die inhaltliche Ausrichtung und die Ziele der islamischen Kulturgemeinschaft nicht geteilt, sei als unglaubhaft und verfahrensangepasst zu bewerten. Gerade in Anbetracht seiner Funktion als Schatzmeister sei nicht nachzuvollziehen, dass er über die Ausrichtung dieser Vereinigung nicht in Kenntnis gewesen sei; dies gelte auch hinsichtlich der Ausführungen bezüglich einer Aufsplitterung der „Hizb Allah“ in verschiedene mehr oder weniger gewaltbereite Flügel.
18 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten der Landeshauptstadt Stuttgart vor. Auf diese Akten wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts verwiesen; diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
20 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) rechtzeitig eingelegte Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO), die den formellen Anforderungen entspricht (§ 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO) und innerhalb der vom Senat verlängerten Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO rechtzeitig und formal ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 und 4 VwGO), ist zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei gemäß § 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO an die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch den Einzelrichter des Verwaltungsgerichts, auf welchen der Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO übertragen worden war, gebunden. Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die Fälle der Berufungszulassung durch die Kammer, sondern erfasst auch die Zulassung durch den Einzelrichter. Der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit nach § 6 VwGO übertragen worden ist, entscheidet als Verwaltungsgericht im Sinne von § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.7.2004 - 5 C 65.03 - NVwZ 2005, 98). Die Bindung an die Zulassung durch den Einzelrichter entfällt nicht deshalb, weil die Übertragung des Rechtsstreits auf ihn voraussetzt, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO), die Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hingegen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erfordert. Die gegenläufigen Voraussetzungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Gesetzgeber habe die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter ausschließen wollen (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 9.3.2005 - 6 C 8/04 -, NVwZ 2005, 821). Dahingestellt kann bleiben, ob die Bindung an die Zulassung eines Rechtsmittels durch den Einzelrichter dann entfällt, wenn sie im Einzelfall unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergangen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.9.2004 - 1 C 10.03 - juris). Denn Anhaltspunkte für eine manipulative oder objektiv willkürliche Missachtung der einschlägigen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sind hier nicht ersichtlich.
21 
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 31.8.2005 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufheben müssen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22 
Sowohl die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (1.) als auch die Verfügung, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben (2.), erweisen sich als rechtswidrig.
23 
1. Für die Rücknahme der im Jahre 2003 erfolgten Einbürgerung fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zwar kann grundsätzlich die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 -, DVBl. 2004, 116; BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6.03 -, DVBl. 2004, 322; Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 -, DVBl. 2003, 1283). Die im Staatsangehörigkeitsrecht von jeher vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit (vgl. heute z.B. §§ 17 ff. StAG) stellen kein abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln soll, dass die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung kommen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Die Bestimmungen der §§ 85 ff. AuslG a.F., auf deren Grundlage der Kläger eingebürgert wurde, enthalten ebenfalls keine spezialgesetzliche Regelung über die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. Auch § 24 StAngRegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach dem StAG bzw. nach § 85 f. AuslG a.F. anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1989 - 1 B 54.89 -, InfAuslR 1989, 276; BVerwG, Urteil vom 3.6.2003, a.a.O.).
24 
Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen jedoch nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910; dem folgend auch Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, AuAS 2007, 77; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 - juris; Urteil des Senats vom 9.8.2007 - 13 S 2885/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen -). Die Vorschrift bedarf insoweit verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist. Jedenfalls das zwingende Erfordernis einer Erwirkung durch arglistige Täuschung oder durch vergleichbar vorwerfbares Verhalten liegt hier nicht vor. Hierzu im Einzelnen:
25 
Dahingestellt kann bleiben, ob die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 tatsächlich rechtswidrig war, insbesondere ob es sich - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - bei den vom Kläger am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen lediglich um „Lippenbekenntnisse“ gehandelt hat, die nicht von der erforderlichen inneren Überzeugung getragen waren. In seinem Beschluss vom 12.12.2005 (- 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484) hat sich der Senat dazu geäußert, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung den Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a. F. nicht genüge; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen und stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Dies bedarf hier ebenso wenig weiterer Klärung wie die Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die dort genannten inkriminierten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt bzw. verfolgt oder unterstützt hat (vgl. § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dahingestellt kann insbesondere bleiben, ob der dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgeworfene Besuch von Veranstaltungen der „Hizb Allah“ in dem Zeitraum von 1999 bis 2003 bzw. seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. eine inkriminierte Bestrebung im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG a.F. darstellt. Denn auch eine rechtswidrige Einbürgerung kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.), der sich der Senat angeschlossen hat, auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts, d.h. nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 48 LVwVfG, nur dann zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist und die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird (vgl. hierzu Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007, a.a.O.), und es fehlt jedenfalls an der Erlangung der Staatsbürgerschaft durch arglistige Täuschung oder ein vergleichbar vorwerfbares Verhalten des Klägers.
26 
Dieser überzeugenden neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt sich der Senat in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung an. Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fallkonstellation war maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass dort die Einbürgerung nachweislich durch eine bewusste Täuschung des Eingebürgerten herbeigeführt worden ist und diese zeitnah zurückgenommen wurde. Unter Hervorhebung dieser Umstände haben die die Entscheidung tragenden Richter hervorgehoben, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes „in diesem Fall“ mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang stehe. Der Umstand, dass es sich um eine durch bewusste Täuschung erwirkte bzw. „erschlichene“ Einbürgerung handelte, wird mehrfach in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben (vgl. etwa Rn. 32, 56, 60, 62, 70, 72, 76 des Mehrheitsvotums - zitiert nach dem Urteilsabdruck aus juris -). In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird auch mehrfach betont, wenn der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt hat und diese zeitnah zurückgenommen wurde, werde der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit Genüge getan, da der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme habe voraussehen können (vgl. Rn. 76 des Urteils). Damit hatten die die Entscheidung tragenden Richter des Bundesverfassungsgerichts einen von ihnen selbst so bezeichneten „Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände“ vor Augen, der sich nach ihrer Auffassung unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. hierzu Urteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O., Rn 85) „rechtsstaatlich wie demokratisch unbedenklich“ (a.a.O, Rn. 86) durch Anwendung des § 48 LVwVfG lösen ließ. Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt entgegen der Annahme der Beklagten, dass § 48 LVwVfG für die Rücknahme einer nicht durch arglistige Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer nicht in vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung offen bleiben sollte. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der tragenden Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG gerade dann eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme darstellt, wenn der Betroffene seine Einbürgerung selbst nachweislich durch Täuschung erwirkt hat. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht nur bei der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, welche der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkt hat, während in anderen Fällen die hergebrachten Grundsätze des § 48 LVwVfG nicht mehr den rechtsstaatlich zwingend gebotenen Bestimmtheitserfordernissen bzw. der Vorhersehbarkeit genügen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, kann der Betroffene nur im Fall einer „erschlichenen“ Einbürgerung die spätere Rechtsfolge der Rücknahme auf der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG in Verbindung mit dem analog anwendbaren § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG sowie der vom Bundesverfassungsgericht für anwendbar erklärten gefestigten Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in Täuschungsfällen vorhersehen.
27 
Für diese im Hinblick auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 LVwVfG enge Auslegung sprechen im Übrigen auch systematische und teleologische Erwägungen. So schützt der rechtsstaatlich-subjektive Gehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG das Interesse des einzelnen Staatsbürgers daran, anhand der gesetzlichen Lage vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen er seinen durch die Einbürgerung erlangten Status verlieren kann. Dieser vertrauensbildende Schutz ist besonders wichtig, da der Staatsangehörigenstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.). Er bestimmt nicht nur die subjektiven staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten des Einzelnen, vielmehr kommt der Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Mithin betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens und geht damit weit über eine individuelle schützenswerte Rechtsposition des Eingebürgerten hinaus. Gerade das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen der Gemeinschaft spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände lediglich bei arglistigem oder vergleichbar vorwerfbarem Handeln des Betroffenen überwiegt.
28 
Auch das die Bundesrepublik Deutschland bindende Völkerrecht, das der Verfassungsgeber bei Ausgestaltung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich vor Augen hatte, stellt jedenfalls in dem Fall, dass der Betroffene durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos wird, maßgeblich darauf ab, unter welchen Umständen die Einbürgerung erlangt worden ist. Bereits das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30.8.1961 (BGBl. 1977 II, S. 597 ff.), das auf eine Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1954 zurückgeht, verbietet zwar in Art. 8 Abs. 1 grundsätzlich die Entziehung der Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird, lässt aber eine Ausnahme ausdrücklich für den Fall zu, dass die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben wurde (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b des Übereinkommens). Das im Rahmen des Europarats aufgelegte Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (BGBl. 2004 II, S. 578), das die Bundesrepublik Deutschland am 11.5.2005 ratifiziert hat, gestattet in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b einen Verlust der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates u. a. für den Fall, dass diese in einer dem Antragsteller zurechenbaren Weise durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder durch Verschleierung einer erheblichen Tatsache erworben wurde.
29 
Der Kläger hat seine Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung oder vergleichbar vorwerfbares Verhalten im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erwirkt. Das Tatbestandsmerkmal des „Erwirkens“ setzt ein zweck- und zielgerichtetes Handeln voraus, das auf eine Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 91/82 - BVerwGE 68, 159). Nach der vor allem in der mündlichen Verhandlung durch informatorische Befragung des Klägers gewonnenen Überzeugung des Senats lässt sich nicht feststellen, dass dieser bei Abgabe der Loyalitätserklärungen am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 wissentlich und zweckgerichtet von ihm etwa unterstützte verfassungsfeindliche Bestrebungen verschwiegen hat, um seine Einbürgerung in rechtswidriger Weise zu erreichen. Die von der Beklagten geforderte Erklärung, keine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu verfolgen oder zu unterstützen, setzt von dem Einbürgerungsbewerber eine Wertung in zweifacher Hinsicht voraus. Sie unterscheidet sich dabei wesentlich von ihrer Struktur nach einfachen Fragen, die etwa durch Ankreuzen bzw. mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, etwa Fragen nach anhängigen Ermittlungsverfahren, Mitgliedschaften in konkret genannten Vereinigungen oder Personenstandsverhältnissen. Bei der standardisierten Loyalitätserklärung, die die Beklagte dem Kläger vorgelegt hat, muss der Einbürgerungsbewerber zum einen selbst bewerten, ob er den ihm vorgegebenen Kriterien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für sich zustimmen kann und ob sein Verhalten, etwa seine Aktivität in Ausländervereinen, diesen Kriterien entspricht. Zum anderen muss der Einbürgerungsbewerber einzuschätzen versuchen, wie seine Aktivitäten mutmaßlich von der Einbürgerungsbehörde eingestuft werden; er trägt insoweit ein mit der Abstraktheit der Fragestellung steigendes Risiko, dass ihm „unrichtige Angaben“ i.S. von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG vorgeworfen werden.
30 
Danach lag es für den Kläger nicht nahe, seine Aktivitäten bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V., die er selbst als in erster Linie religiös bzw. kulturell motivierte Betätigung ansieht, ohne ausdrückliche Frage der Einbürgerungsbehörde nach einer Mitgliedschaft in islamistisch geprägten Vereinigungen als verfassungsfeindliche Betätigung einzuschätzen. Gerade weil der Kläger seine Aktivitäten selbst lediglich als religiöse, nicht jedoch als politische Betätigung ansah, bestand für ihn kein Anlass, die in erster Linie der Beklagten obliegende Bewertung des Verhaltens und dessen Subsumtion unter § 86 Nr. 2 AuslG bzw. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG selbst zugrunde zu legen. Anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde dem Einbürgerungsbewerber eine Liste mit von ihr als verfassungsfeindlich erkannten Organisationen vorgelegt oder unter Hinweis auf die Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG den Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften bzw. früheren Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen befragt hätte. Denn dann hätte es dem Einbürgerungsbewerber oblegen, seine Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. zu offenbaren, und die Staatsangehörigkeitsbehörde hätte vor der Einbürgerung die Möglichkeit gehabt, nach entsprechender Erkundigung bei Verfassungsschutzbehörden eine eigene Bewertung dieser Mitgliedschaft vorzunehmen. Sein Schweigen hätte dann bei entsprechender Bewertung der verschwiegenen Aktivitäten ohne weiteres zur Annahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung führen können. Ohne weitere konkretisierende Fragen der Einbürgerungsbehörde kann dagegen nicht festgestellt werden, dass der Kläger wissentlich für seine Einbürgerung relevante Umstände verschwiegen hat, um seine Einbürgerung auf rechtswidrige Weise zu erreichen.
31 
Weiterhin erscheint zweifelhaft, ob ein etwaiges Verschweigen des Klägers seiner Mitgliedschaft überhaupt für die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kausal war. Zwar dürfte entgegen der Annahme des Klägers nicht davon auszugehen sein, dass der Einbürgerungsbehörde die an das für Vereinsangelegenheiten zuständige Sachgebiet der Landeshauptstadt Stuttgart gerichtete Anzeige vom 2.6.1999 über die Wahl des Klägers in den Vereinsvorstand der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. bekannt war. Wie die Sitzungsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, werden derartige Mitteilungen amtsintern bereits aus Datenschutzgründen nicht an die Einbürgerungsbehörde weitergeleitet. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Beklagte vor Vollzug der Einbürgerung die Einbürgerungsakte nicht hinreichend auf etwaige inkriminierte Bestrebungen des Klägers ausgewertet hat. So bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit an die Einbürgerungsstelle weitergeleitetem Schreiben vom 3.4.2001 um Übersendung der über den Kläger geführten Ausländerakten, wobei ausweislich eines Aktenvermerks diese Anfrage wegen der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppierungen erfolgte. Auch erteilte das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Falle des Klägers am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfungen in sicherheitsrechtlicher Hinsicht noch nicht habe abgeschlossen werden können. Wie sich dem Bearbeitungsblatt entnehmen lässt, wurde das Nichtvorliegen der Sicherheitsüberprüfung im Falle des Klägers übersehen und deshalb wohl lediglich aus Versehen seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband verfügt.
32 
Dass die Rücknahme einer Einbürgerung über die Fälle von Täuschung oder vergleichbar vorwerfbarem Verhalten hinausgehend bei lediglich objektiv unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen (siehe § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG) mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren ist (vgl. so ausdrücklich noch Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - InfAuslR 2003, 205; offen gelassen vom Bundesverwaltungsgericht in seinem nachfolgenden Revisionsurteil vom 9.9.2003, a.a.O.), wird nach dem oben Gesagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann anzunehmen sein, wenn jedenfalls eine den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenäherte Fallkonstellation vorliegt. Denn nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG fällt der Vertrauensschutz bereits dann weg, wenn der Verwaltungsakt durch objektiv in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Nicht notwendig ist, dass die fehlerhaften Angaben schuldhaft gemacht worden sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.10.1987 - 9 C 255.86 -, BVerwGE 78, 139). Der Tatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG erfordert daher nicht, dass der Betroffene die Unrichtigkeit seiner Angaben positiv kannte oder kennen musste. Erforderlich ist lediglich, dass er erkannte oder erkennen musste, dass die entsprechende Angabe von ihm gefordert war (vgl. hierzu Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., Rn. 164 zu § 48 VwVfG). Bei der Rücknahme einer Einbürgerung allein wegen objektiv unrichtiger Angaben handelt es sich um eine Verlustzufügung, die aus Sicht des Betroffenen willkürlich erfolgt und die er nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Dies begründet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Verstoß gegen das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Rücknahme der Einbürgerung bei Ausschluss des Vertrauensschutzes lediglich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG ist daher nur in atypischen Konstellationen möglich, in denen das Verhalten des Betroffenen in subjektiver Hinsicht den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenähert ist. Eine derartig gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit kann etwa angenommen werden, wenn der Betroffene das Unterstützen einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Bestrebung verschweigt bzw. eine konkrete Frage unzutreffend beantwortet.
33 
Jedenfalls eine durch derartige besondere Umstände geprägte Fallkonstellation des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG liegt hier nicht vor. Es lässt sich wohl nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Kläger objektiv unrichtige Angaben über verfassungsfeindliche Betätigungen gemacht hat und die Einbürgerung deshalb auf dem Verschweigen von Umständen beruht, die allein oder überwiegend in seiner Sphäre liegen. Auch hier ist maßgeblich, dass vom Kläger keine Angaben über Betätigungen in Vereinen verlangt worden waren, sondern demgegenüber lediglich eine abstrakte Erklärung, dass er keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Im Übrigen fehlt es nach dem oben Gesagten auch insoweit an der erforderlichen Kausalität von etwaigen objektiven Falschangaben.
34 
Dahingestellt kann bleiben, ob die mit Bescheid vom 31.8.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung „zeitnah“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welcher sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 9.8.2007, a.a.O.), erfolgt ist. Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Es spricht freilich einiges dafür, dass es sich bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am 22.5.2003 und dem Erlass der gegenständlichen Rücknahmeverfügung am 31.8.2005 verstrichenen Zeitraum von lediglich knapp über zwei Jahren noch um eine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Hierfür spricht etwa, dass gemäß der - nach dem oben Gesagten hier nicht anwendbaren - Bestimmung des § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - die Unwirksamkeit einer auf dieser Grundlage erlangten Staatsangehörigkeit bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erfolgter Einbürgerung festgestellt werden kann. Es spricht deshalb einiges dafür, dass bei einem zwischen Einbürgerung und deren Rücknahme liegenden Zeitraum von unter fünf Jahren von einer zeitnahen Rücknahme auszugehen ist.
35 
2. Der streitgegenständliche Ausgangsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind auch insoweit rechtswidrig, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde aufgefordert wurde. Nachdem die Einbürgerung nach dem oben Gesagten nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der hieraus resultierenden Dokumente rechtswidrig (vgl. § 52 Abs. 1 LVwVfG).
36 
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37 
Die Revision war zuzulassen, da die Frage, ob und unter welchen Umständen die Rücknahme einer Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zulässig ist, in der neuren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006, noch nicht geklärt (vgl. hierzu § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
38 
Beschluss
vom 17. September 2007
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
        
In Anlehnung an Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 2004 (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
        
Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Gründe

 
19 
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
20 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) rechtzeitig eingelegte Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO), die den formellen Anforderungen entspricht (§ 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO) und innerhalb der vom Senat verlängerten Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO rechtzeitig und formal ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 und 4 VwGO), ist zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei gemäß § 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO an die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch den Einzelrichter des Verwaltungsgerichts, auf welchen der Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO übertragen worden war, gebunden. Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die Fälle der Berufungszulassung durch die Kammer, sondern erfasst auch die Zulassung durch den Einzelrichter. Der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit nach § 6 VwGO übertragen worden ist, entscheidet als Verwaltungsgericht im Sinne von § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.7.2004 - 5 C 65.03 - NVwZ 2005, 98). Die Bindung an die Zulassung durch den Einzelrichter entfällt nicht deshalb, weil die Übertragung des Rechtsstreits auf ihn voraussetzt, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO), die Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hingegen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erfordert. Die gegenläufigen Voraussetzungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Gesetzgeber habe die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter ausschließen wollen (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 9.3.2005 - 6 C 8/04 -, NVwZ 2005, 821). Dahingestellt kann bleiben, ob die Bindung an die Zulassung eines Rechtsmittels durch den Einzelrichter dann entfällt, wenn sie im Einzelfall unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergangen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.9.2004 - 1 C 10.03 - juris). Denn Anhaltspunkte für eine manipulative oder objektiv willkürliche Missachtung der einschlägigen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sind hier nicht ersichtlich.
21 
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 31.8.2005 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufheben müssen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22 
Sowohl die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (1.) als auch die Verfügung, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben (2.), erweisen sich als rechtswidrig.
23 
1. Für die Rücknahme der im Jahre 2003 erfolgten Einbürgerung fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zwar kann grundsätzlich die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 -, DVBl. 2004, 116; BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6.03 -, DVBl. 2004, 322; Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 -, DVBl. 2003, 1283). Die im Staatsangehörigkeitsrecht von jeher vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit (vgl. heute z.B. §§ 17 ff. StAG) stellen kein abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln soll, dass die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung kommen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Die Bestimmungen der §§ 85 ff. AuslG a.F., auf deren Grundlage der Kläger eingebürgert wurde, enthalten ebenfalls keine spezialgesetzliche Regelung über die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. Auch § 24 StAngRegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach dem StAG bzw. nach § 85 f. AuslG a.F. anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1989 - 1 B 54.89 -, InfAuslR 1989, 276; BVerwG, Urteil vom 3.6.2003, a.a.O.).
24 
Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen jedoch nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910; dem folgend auch Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, AuAS 2007, 77; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 - juris; Urteil des Senats vom 9.8.2007 - 13 S 2885/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen -). Die Vorschrift bedarf insoweit verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist. Jedenfalls das zwingende Erfordernis einer Erwirkung durch arglistige Täuschung oder durch vergleichbar vorwerfbares Verhalten liegt hier nicht vor. Hierzu im Einzelnen:
25 
Dahingestellt kann bleiben, ob die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 tatsächlich rechtswidrig war, insbesondere ob es sich - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - bei den vom Kläger am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen lediglich um „Lippenbekenntnisse“ gehandelt hat, die nicht von der erforderlichen inneren Überzeugung getragen waren. In seinem Beschluss vom 12.12.2005 (- 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484) hat sich der Senat dazu geäußert, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung den Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a. F. nicht genüge; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen und stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Dies bedarf hier ebenso wenig weiterer Klärung wie die Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die dort genannten inkriminierten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt bzw. verfolgt oder unterstützt hat (vgl. § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dahingestellt kann insbesondere bleiben, ob der dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgeworfene Besuch von Veranstaltungen der „Hizb Allah“ in dem Zeitraum von 1999 bis 2003 bzw. seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. eine inkriminierte Bestrebung im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG a.F. darstellt. Denn auch eine rechtswidrige Einbürgerung kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.), der sich der Senat angeschlossen hat, auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts, d.h. nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 48 LVwVfG, nur dann zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist und die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird (vgl. hierzu Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007, a.a.O.), und es fehlt jedenfalls an der Erlangung der Staatsbürgerschaft durch arglistige Täuschung oder ein vergleichbar vorwerfbares Verhalten des Klägers.
26 
Dieser überzeugenden neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt sich der Senat in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung an. Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fallkonstellation war maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass dort die Einbürgerung nachweislich durch eine bewusste Täuschung des Eingebürgerten herbeigeführt worden ist und diese zeitnah zurückgenommen wurde. Unter Hervorhebung dieser Umstände haben die die Entscheidung tragenden Richter hervorgehoben, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes „in diesem Fall“ mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang stehe. Der Umstand, dass es sich um eine durch bewusste Täuschung erwirkte bzw. „erschlichene“ Einbürgerung handelte, wird mehrfach in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben (vgl. etwa Rn. 32, 56, 60, 62, 70, 72, 76 des Mehrheitsvotums - zitiert nach dem Urteilsabdruck aus juris -). In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird auch mehrfach betont, wenn der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt hat und diese zeitnah zurückgenommen wurde, werde der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit Genüge getan, da der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme habe voraussehen können (vgl. Rn. 76 des Urteils). Damit hatten die die Entscheidung tragenden Richter des Bundesverfassungsgerichts einen von ihnen selbst so bezeichneten „Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände“ vor Augen, der sich nach ihrer Auffassung unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. hierzu Urteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O., Rn 85) „rechtsstaatlich wie demokratisch unbedenklich“ (a.a.O, Rn. 86) durch Anwendung des § 48 LVwVfG lösen ließ. Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt entgegen der Annahme der Beklagten, dass § 48 LVwVfG für die Rücknahme einer nicht durch arglistige Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer nicht in vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung offen bleiben sollte. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der tragenden Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG gerade dann eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme darstellt, wenn der Betroffene seine Einbürgerung selbst nachweislich durch Täuschung erwirkt hat. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht nur bei der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, welche der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkt hat, während in anderen Fällen die hergebrachten Grundsätze des § 48 LVwVfG nicht mehr den rechtsstaatlich zwingend gebotenen Bestimmtheitserfordernissen bzw. der Vorhersehbarkeit genügen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, kann der Betroffene nur im Fall einer „erschlichenen“ Einbürgerung die spätere Rechtsfolge der Rücknahme auf der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG in Verbindung mit dem analog anwendbaren § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG sowie der vom Bundesverfassungsgericht für anwendbar erklärten gefestigten Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in Täuschungsfällen vorhersehen.
27 
Für diese im Hinblick auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 LVwVfG enge Auslegung sprechen im Übrigen auch systematische und teleologische Erwägungen. So schützt der rechtsstaatlich-subjektive Gehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG das Interesse des einzelnen Staatsbürgers daran, anhand der gesetzlichen Lage vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen er seinen durch die Einbürgerung erlangten Status verlieren kann. Dieser vertrauensbildende Schutz ist besonders wichtig, da der Staatsangehörigenstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.). Er bestimmt nicht nur die subjektiven staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten des Einzelnen, vielmehr kommt der Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Mithin betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens und geht damit weit über eine individuelle schützenswerte Rechtsposition des Eingebürgerten hinaus. Gerade das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen der Gemeinschaft spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände lediglich bei arglistigem oder vergleichbar vorwerfbarem Handeln des Betroffenen überwiegt.
28 
Auch das die Bundesrepublik Deutschland bindende Völkerrecht, das der Verfassungsgeber bei Ausgestaltung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich vor Augen hatte, stellt jedenfalls in dem Fall, dass der Betroffene durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos wird, maßgeblich darauf ab, unter welchen Umständen die Einbürgerung erlangt worden ist. Bereits das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30.8.1961 (BGBl. 1977 II, S. 597 ff.), das auf eine Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1954 zurückgeht, verbietet zwar in Art. 8 Abs. 1 grundsätzlich die Entziehung der Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird, lässt aber eine Ausnahme ausdrücklich für den Fall zu, dass die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben wurde (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b des Übereinkommens). Das im Rahmen des Europarats aufgelegte Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (BGBl. 2004 II, S. 578), das die Bundesrepublik Deutschland am 11.5.2005 ratifiziert hat, gestattet in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b einen Verlust der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates u. a. für den Fall, dass diese in einer dem Antragsteller zurechenbaren Weise durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder durch Verschleierung einer erheblichen Tatsache erworben wurde.
29 
Der Kläger hat seine Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung oder vergleichbar vorwerfbares Verhalten im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erwirkt. Das Tatbestandsmerkmal des „Erwirkens“ setzt ein zweck- und zielgerichtetes Handeln voraus, das auf eine Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 91/82 - BVerwGE 68, 159). Nach der vor allem in der mündlichen Verhandlung durch informatorische Befragung des Klägers gewonnenen Überzeugung des Senats lässt sich nicht feststellen, dass dieser bei Abgabe der Loyalitätserklärungen am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 wissentlich und zweckgerichtet von ihm etwa unterstützte verfassungsfeindliche Bestrebungen verschwiegen hat, um seine Einbürgerung in rechtswidriger Weise zu erreichen. Die von der Beklagten geforderte Erklärung, keine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu verfolgen oder zu unterstützen, setzt von dem Einbürgerungsbewerber eine Wertung in zweifacher Hinsicht voraus. Sie unterscheidet sich dabei wesentlich von ihrer Struktur nach einfachen Fragen, die etwa durch Ankreuzen bzw. mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, etwa Fragen nach anhängigen Ermittlungsverfahren, Mitgliedschaften in konkret genannten Vereinigungen oder Personenstandsverhältnissen. Bei der standardisierten Loyalitätserklärung, die die Beklagte dem Kläger vorgelegt hat, muss der Einbürgerungsbewerber zum einen selbst bewerten, ob er den ihm vorgegebenen Kriterien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für sich zustimmen kann und ob sein Verhalten, etwa seine Aktivität in Ausländervereinen, diesen Kriterien entspricht. Zum anderen muss der Einbürgerungsbewerber einzuschätzen versuchen, wie seine Aktivitäten mutmaßlich von der Einbürgerungsbehörde eingestuft werden; er trägt insoweit ein mit der Abstraktheit der Fragestellung steigendes Risiko, dass ihm „unrichtige Angaben“ i.S. von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG vorgeworfen werden.
30 
Danach lag es für den Kläger nicht nahe, seine Aktivitäten bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V., die er selbst als in erster Linie religiös bzw. kulturell motivierte Betätigung ansieht, ohne ausdrückliche Frage der Einbürgerungsbehörde nach einer Mitgliedschaft in islamistisch geprägten Vereinigungen als verfassungsfeindliche Betätigung einzuschätzen. Gerade weil der Kläger seine Aktivitäten selbst lediglich als religiöse, nicht jedoch als politische Betätigung ansah, bestand für ihn kein Anlass, die in erster Linie der Beklagten obliegende Bewertung des Verhaltens und dessen Subsumtion unter § 86 Nr. 2 AuslG bzw. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG selbst zugrunde zu legen. Anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde dem Einbürgerungsbewerber eine Liste mit von ihr als verfassungsfeindlich erkannten Organisationen vorgelegt oder unter Hinweis auf die Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG den Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften bzw. früheren Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen befragt hätte. Denn dann hätte es dem Einbürgerungsbewerber oblegen, seine Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. zu offenbaren, und die Staatsangehörigkeitsbehörde hätte vor der Einbürgerung die Möglichkeit gehabt, nach entsprechender Erkundigung bei Verfassungsschutzbehörden eine eigene Bewertung dieser Mitgliedschaft vorzunehmen. Sein Schweigen hätte dann bei entsprechender Bewertung der verschwiegenen Aktivitäten ohne weiteres zur Annahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung führen können. Ohne weitere konkretisierende Fragen der Einbürgerungsbehörde kann dagegen nicht festgestellt werden, dass der Kläger wissentlich für seine Einbürgerung relevante Umstände verschwiegen hat, um seine Einbürgerung auf rechtswidrige Weise zu erreichen.
31 
Weiterhin erscheint zweifelhaft, ob ein etwaiges Verschweigen des Klägers seiner Mitgliedschaft überhaupt für die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kausal war. Zwar dürfte entgegen der Annahme des Klägers nicht davon auszugehen sein, dass der Einbürgerungsbehörde die an das für Vereinsangelegenheiten zuständige Sachgebiet der Landeshauptstadt Stuttgart gerichtete Anzeige vom 2.6.1999 über die Wahl des Klägers in den Vereinsvorstand der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. bekannt war. Wie die Sitzungsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, werden derartige Mitteilungen amtsintern bereits aus Datenschutzgründen nicht an die Einbürgerungsbehörde weitergeleitet. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Beklagte vor Vollzug der Einbürgerung die Einbürgerungsakte nicht hinreichend auf etwaige inkriminierte Bestrebungen des Klägers ausgewertet hat. So bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit an die Einbürgerungsstelle weitergeleitetem Schreiben vom 3.4.2001 um Übersendung der über den Kläger geführten Ausländerakten, wobei ausweislich eines Aktenvermerks diese Anfrage wegen der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppierungen erfolgte. Auch erteilte das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Falle des Klägers am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfungen in sicherheitsrechtlicher Hinsicht noch nicht habe abgeschlossen werden können. Wie sich dem Bearbeitungsblatt entnehmen lässt, wurde das Nichtvorliegen der Sicherheitsüberprüfung im Falle des Klägers übersehen und deshalb wohl lediglich aus Versehen seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband verfügt.
32 
Dass die Rücknahme einer Einbürgerung über die Fälle von Täuschung oder vergleichbar vorwerfbarem Verhalten hinausgehend bei lediglich objektiv unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen (siehe § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG) mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren ist (vgl. so ausdrücklich noch Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - InfAuslR 2003, 205; offen gelassen vom Bundesverwaltungsgericht in seinem nachfolgenden Revisionsurteil vom 9.9.2003, a.a.O.), wird nach dem oben Gesagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann anzunehmen sein, wenn jedenfalls eine den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenäherte Fallkonstellation vorliegt. Denn nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG fällt der Vertrauensschutz bereits dann weg, wenn der Verwaltungsakt durch objektiv in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Nicht notwendig ist, dass die fehlerhaften Angaben schuldhaft gemacht worden sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.10.1987 - 9 C 255.86 -, BVerwGE 78, 139). Der Tatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG erfordert daher nicht, dass der Betroffene die Unrichtigkeit seiner Angaben positiv kannte oder kennen musste. Erforderlich ist lediglich, dass er erkannte oder erkennen musste, dass die entsprechende Angabe von ihm gefordert war (vgl. hierzu Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., Rn. 164 zu § 48 VwVfG). Bei der Rücknahme einer Einbürgerung allein wegen objektiv unrichtiger Angaben handelt es sich um eine Verlustzufügung, die aus Sicht des Betroffenen willkürlich erfolgt und die er nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Dies begründet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Verstoß gegen das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Rücknahme der Einbürgerung bei Ausschluss des Vertrauensschutzes lediglich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG ist daher nur in atypischen Konstellationen möglich, in denen das Verhalten des Betroffenen in subjektiver Hinsicht den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenähert ist. Eine derartig gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit kann etwa angenommen werden, wenn der Betroffene das Unterstützen einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Bestrebung verschweigt bzw. eine konkrete Frage unzutreffend beantwortet.
33 
Jedenfalls eine durch derartige besondere Umstände geprägte Fallkonstellation des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG liegt hier nicht vor. Es lässt sich wohl nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Kläger objektiv unrichtige Angaben über verfassungsfeindliche Betätigungen gemacht hat und die Einbürgerung deshalb auf dem Verschweigen von Umständen beruht, die allein oder überwiegend in seiner Sphäre liegen. Auch hier ist maßgeblich, dass vom Kläger keine Angaben über Betätigungen in Vereinen verlangt worden waren, sondern demgegenüber lediglich eine abstrakte Erklärung, dass er keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Im Übrigen fehlt es nach dem oben Gesagten auch insoweit an der erforderlichen Kausalität von etwaigen objektiven Falschangaben.
34 
Dahingestellt kann bleiben, ob die mit Bescheid vom 31.8.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung „zeitnah“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welcher sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 9.8.2007, a.a.O.), erfolgt ist. Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Es spricht freilich einiges dafür, dass es sich bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am 22.5.2003 und dem Erlass der gegenständlichen Rücknahmeverfügung am 31.8.2005 verstrichenen Zeitraum von lediglich knapp über zwei Jahren noch um eine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Hierfür spricht etwa, dass gemäß der - nach dem oben Gesagten hier nicht anwendbaren - Bestimmung des § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - die Unwirksamkeit einer auf dieser Grundlage erlangten Staatsangehörigkeit bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erfolgter Einbürgerung festgestellt werden kann. Es spricht deshalb einiges dafür, dass bei einem zwischen Einbürgerung und deren Rücknahme liegenden Zeitraum von unter fünf Jahren von einer zeitnahen Rücknahme auszugehen ist.
35 
2. Der streitgegenständliche Ausgangsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind auch insoweit rechtswidrig, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde aufgefordert wurde. Nachdem die Einbürgerung nach dem oben Gesagten nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der hieraus resultierenden Dokumente rechtswidrig (vgl. § 52 Abs. 1 LVwVfG).
36 
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37 
Die Revision war zuzulassen, da die Frage, ob und unter welchen Umständen die Rücknahme einer Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zulässig ist, in der neuren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006, noch nicht geklärt (vgl. hierzu § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
38 
Beschluss
vom 17. September 2007
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
        
In Anlehnung an Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 2004 (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
        
Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 geändert. Die Verfügung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Der Kläger, ein am 10.2.1958 geborener ehemaliger libanesischer Staatsangehöriger, reiste im Sommer 1986 zusammen mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er sich als Asylsuchender meldete. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) lehnte den Asylantrag mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.10.1987 ab. In der Folgezeit erhielt der Kläger erstmalig am 19.9.1991 eine Aufenthaltsbefugnis, welche fortlaufend verlängert wurde; seit dem 21.6.2001 verfügte er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 9.2.2001 beantragte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den in den Jahren 1987, 1989 und 1991 in Deutschland geborenen gemeinsamen Kindern seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Im Laufe des Einbürgerungsverfahrens gab der Kläger gegenüber der Landeshauptstadt Stuttgart eine Loyalitätserklärung ab, wonach er keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Am 22.5.2003 wiederholte der Kläger gegenüber der Beklagten diese Loyalitätserklärung. Vor Bescheidung des Einbürgerungsantrags stellte die Beklagte Ermittlungen an, ob der Einbürgerung öffentliche Belange entgegenstehen; sie richtete hierzu mehrere Anfragen an Sicherheitsbehörden. Hierauf teilte die Landespolizeidirektion Stuttgart II unter dem 4.4.2001 mit, dass gegen den Kläger bzw. seine Ehefrau weder Ermittlungsverfahren anhängig seien noch sonst in polizeilicher Hinsicht nachteilige Erkenntnisse bestünden. Bereits mit Schreiben vom 3.4.2001 bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Landeshauptstadt Stuttgart um Übersendung der bei ihr über den Kläger geführten Ausländerakten. Auf telefonische Nachfrage teilte das Landeskriminalamt - wie in einem Aktenvermerk festgehalten ist - mit, die Akten würden aufgrund der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppen benötigt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg erteilte auf die durchgeführte Sicherheitsanfrage im Falle des Klägers - anders als hinsichtlich seiner Familienangehörigen - am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfung noch nicht habe abgeschlossen werden können. Mit Urkunde der Landeshauptstadt Stuttgart vom 20.5.2003, ausgehändigt am 22.5.2003, wurde der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den drei minderjährigen Kindern in den deutschen Staatsverband eingebürgert.
Mit Schreiben vom 19.4.2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg der Landeshauptstadt Stuttgart mit, dass über den Kläger beim Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse im Zusammenhang mit der „Hizb Allah“ (Partei Gottes) vorlägen. Danach habe der Kläger von deutschem Boden aus diese Organisation unterstützt, welche einen islamischen Gottesstaats befürworte und deren Bestrebungen auf die Vorbereitung der Anwendung von Gewalt gegen Israel gerichtet seien. Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 9.5.2005 zu der beabsichtigten Rücknahme seiner Einbürgerung an, worauf er sich nicht äußerte.
Mit Bescheid vom 31.8.2005 nahm die Landeshauptstadt Stuttgart die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 mit Wirkung ab Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zurück und forderte ihn zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde auf. Zur Begründung der auf § 48 LVwVfG gestützten Rücknahme der Einbürgerung führte die Landeshauptstadt aus, der Kläger habe seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband durch arglistige Täuschung erwirkt, da er über seine Aktivitäten für extremistische Organisationen getäuscht habe. Auch habe der Kläger vor Vollzug der Einbürgerung eine falsche Loyalitätserklärung abgegeben, welche nicht von seiner inneren Überzeugung getragen gewesen sei. Die Einbürgerung des Klägers sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da ein Ausschlussgrund gemäß § 86 Nr. 2 AuslG bestanden habe. Ausweislich einer Mitteilung des Innenministeriums Baden-Württemberg sei der Kläger dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der verfassungsfeindlichen „Hizb Allah“ bekannt geworden. So habe er in dem Zeitraum vom 4. April 1999 bis zum 24. Mai 2003 an zahlreichen, in der Verfügung im Einzelnen aufgeführten, Veranstaltungen der „Hizb Allah“ teilgenommen, auf welchen verfassungsfeindliche, vor allem gegen das Existenzrecht Israels gerichtete Reden gehalten worden seien. Auch sei der Kläger auf einer Vollversammlung der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. in Leonberg am 2.5.1999 als deren Schatzmeister in den Vorstand gewählt worden, im Jahre 2001 habe man ihn in diesem Amt bestätigt. Bei der im Jahre 1982 gegründeten „Hizb Allah“ handle es sich um eine islamistisch-schiitische Organisation, welche im Libanon inzwischen eine herausragende politische Rolle spiele. Ihre Miliz habe sich im südlichen Libanon als militärische Macht etabliert, wobei zu ihren Aktivitäten auch die Entführung israelischer Soldaten, Selbstmordattentate und Geiselnahmen gehörten. Durch eine bewusst militante Prägung ihrer männlichen Anhänger schaffe sie sich ein gewaltbereites Potential, das vor allem gegen Israel zum Einsatz komme. Bei den Veranstaltungen der „Hizb Allah“ in Deutschland stünden diese antiisraelischen und antijüdischen Zielsetzungen sowie die finanzielle und moralische Unterstützung der Kämpfer gegen Israel im Vordergrund. Die „Hizb Allah“ vertrete das Konzept eines konstitutionellen Gottesstaates mit herrschendem schiitischem Klerus nach iranischem Vorbild und lehne die Wertordnung des Grundgesetzes ab. An den inkriminierten Bestrebungen und Aktivitäten der „Hizb Allah“ nehme auch ein dieser Organisation nahestehender Ortsverein teil, was auch dann gelte, wenn dessen Tätigkeit nicht ausschließlich darin bestehe, die Ziele der „Hizb Allah“ mitzutragen.
Der Kläger habe sich aktiv als Vorstandsmitglied in einem derartigen Verein betätigt und über einen längeren Zeitraum zustimmend oder jedenfalls ohne Widerspruch an entsprechenden Veranstaltungen teilgenommen. Dies stelle eine Bestrebung dar, über welche der Kläger die Einbürgerungsbehörde getäuscht habe. Die am 22.5.2003 erfolgte Einbürgerung stelle einen rechtswidrigen Verwaltungsakt dar. Das öffentliche Interesse an der Rücknahme der rechtswidrig erfolgten Einbürgerung überwiege das Interesse des Klägers am weiteren Fortbestand seiner deutschen Staatsangehörigkeit. In das Ermessen werde dabei vor allem auch eingestellt, dass der Kläger durch die Rücknahme der Einbürgerung nicht staatenlos werde. Seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband sei unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit erfolgt, weil die libanesischen Behörden die Entlassung aus der libanesischen Staatsangehörigkeit regelmäßig verweigerten.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, welchen das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Ausgangsbescheids zurückwies.
Die am 6.12.2005 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,
den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufzuheben,
hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil des Einzelrichters (§ 6 VwGO) vom 25.9.2006 abgewiesen.
10 
In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die angegriffene Rücknahme der Einbürgerung finde ihre Rechtsgrundlage in § 48 LVwVfG. Diese allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung sei mangels einer abschließenden spezialgesetzlichen Regelung im Staatsangehörigkeitsgesetz im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung jedenfalls dann anwendbar, wenn diese durch bewusste Täuschung erwirkt worden sei und die Rücknahme zeitnah erfolge. Der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erlangten Einbürgerung stehe weder das Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG noch grundsätzlich das Verbot des Verlustes der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen entgegen. Die auf § 85 AuslG a.F. gestützte Einbürgerung des Klägers stelle sich als von Anfang an rechtswidrig dar. Der Kläger habe nicht, wie von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG gefordert, ein von innerer Überzeugung getragenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben. An den in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG normierten Voraussetzungen habe es bereits im Einbürgerungszeitpunkt gefehlt, da der Kläger entgegen der von ihm am 2.7.2001 und am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen Bestrebungen unterstützt habe, die durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet hätten. Die dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen stellten inkriminierte Bestrebungen im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG dar, da sie die verfassungsfeindlichen Ziele der Bestrebung förderten und ihre potentielle Gefährlichkeit erhöhten. Der Kläger habe über Jahre hinweg zum Unterstützungskreis der „Hizb Allah“ gehört; er habe nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung an der Gründung der islamischen Kulturgemeinschaft in Stuttgart mitgewirkt und von 1999 bis zum Jahre 2004 dem Vorstand dieses Vereins angehört. Die „Hizb Allah“ habe die islamische Kulturgemeinschaft Stuttgart dazu benutzt, ihre eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu propagieren und durchzusetzen. Die islamische Kulturgemeinschaft e.V. Stuttgart weise eine derartige Nähe zur „Hizb Allah“ auf, dass der Verein als von der „Hizb Allah“ beeinflusst und gesteuert anzusehen und seine Aktivitäten als „Hizb Allah“-Aktivitäten zu qualifizieren seien. Auch verfolge die im Jahre 1982 gegründete „Hizb Allah“ Bestrebungen, welche durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Die „Hizb Allah“ gelte als gewaltbereite Terrororganisation mit dem erklärten Ziel der Vernichtung Israels.
11 
Der Kläger habe auch vor seiner Einbürgerung nicht glaubhaft gemacht, sich von der Unterstützung der Bestrebungen der „Hizb Allah“ abgewandt zu haben. Ein derartiges Abwenden habe er weder in seinen Erklärungen vom 2.7.2001 bzw. 22.5.2003 noch in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts geltend gemacht. Da es somit an der gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG gefehlt habe, hätte die Beklagte die begehrte Einbürgerung zwingend ablehnen müssen. Der Kläger habe seine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung durch bewusste Täuschung erlangt. Er habe es in seinen Bekenntniserklärungen vom 2.7.2001 und 22.5.2003 bewusst unterlassen, Angaben über seine Tätigkeit in der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. Stuttgart und seine weiteren Unterstützungshandlungen für die „Hizb Allah“ zu tätigen. Er habe in seinen Loyalitätserklärungen bewusst wahrheitswidrig versichert, keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu unterstützen. Als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. und als Teilnehmer an zahlreichen Veranstaltungen habe ihm die Unterstützung inkriminierter Bestrebungen bewusst sein müssen. Daher leide die von der Landeshauptstadt Stuttgart verfügte Rücknahme der rechtswidrigen Einbürgerung nicht an einem Ermessensfehler bzw. stelle sich nicht als unverhältnismäßig dar.
12 
Gegen das am 17.11.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.11.2006 die bereits vom Verwaltungsgericht im Tenor seiner Entscheidung zugelassene Berufung eingelegt; er hat innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof verlängerten Berufungsbegründungsfrist beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 zu ändern und die Verfügung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 i.d.F. des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufzuheben.
14 
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stelle § 48 LVwVfG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme seiner Einbürgerung dar. Das angegriffene Urteil gehe ohne ausreichende Begründung fälschlicherweise davon aus, er habe eine rechtswidrige Einbürgerung durch arglistige bzw. bewusste Täuschung erwirkt. Die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung, nämlich eine rechtswidrige Täuschungshandlung zur Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums, lägen nicht vor. Zutreffenderweise gehe die angegriffene Verfügung zwar davon aus, dass er als Schatzmeister der islamischen Kulturgemeinschaft in Stuttgart tätig geworden sei. Dieser Umstand sei der Beklagten jedoch lange vor Verfügung der Einbürgerung bekannt gewesen, da seine Bestellung zum Schatzmeister dem Amt für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart bereits am 2.6.1999 angezeigt worden sei. Im Laufe des Einbürgerungsverfahrens habe die Beklagte auch von den Bedenken des Landeskriminalamts hinsichtlich seiner vermuteten Zugehörigkeit zu extremistischen Gruppierungen Kenntnis erlangt. In Übereinstimmung hiermit habe das Landesamt für Verfassungsschutz auf die Anfrage der Beklagten vom 17.2.2003 hin lediglich eine Zwischennachricht erteilt, wonach seine sicherheitsmäßige Überprüfung nicht abgeschlossen sei. Sämtliche für die Einbürgerung relevanten Erkenntnisse hätten sich im Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde in der Akte der Beklagten befunden und seien dieser daher bewusst gewesen. Bereits aus diesem Grund könne nicht davon ausgegangen werden, dass er einen Irrtum erregt oder aufrechterhalten habe, welcher für die Einbürgerung kausal gewesen sei. Der Beklagten sei es verwehrt, die Rücknahmeentscheidung auf diese Umstände zu stützen, da sie die Einbürgerung in Kenntnis des konkreten und bekannten Sachverhalts verfügt habe. Unzutreffenderweise setze das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts seine Tätigkeit als Kassierer bei der islamischen Kulturgemeinschaft mit einer Unterstützung radikaler Ziele der „Hizb Allah“ gleich. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der „Hizb Allah“ tatsächlich um eine Organisation handle, welche durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichteter Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährde. Entgegen der Annahme der Beklagten gebe es die „Hizb Allah“ als solche nicht, vielmehr seien bei dieser Organisation verschiedene Flügel und Richtungen erkennbar. Die „Hizb Allah“ sei im heutigen Libanon, dem wohl demokratischsten Staat im Nahen Osten, als größte Organisation der Muslime im Parlament vertreten. Zu keinem Zeitpunkt habe sie den Versuch unternommen, den Libanon in einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild zu verwandeln, vielmehr erkenne sie das pluralistische System des Libanon ausdrücklich an. Im Übrigen verfolge die „Hizb Allah“ nicht ausschließlich politische Ziele, sondern unterhalte im Libanon sehr viele soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Es sei daher verfehlt, die „Hizb Allah“ auf das angebliche Ziel der Vernichtung Israels und der Verübung von Gewalttaten zu reduzieren. Jedenfalls gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die „Hizb Allah“ außerhalb des Libanon oder gar in Deutschland antidemokratische und verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Unabhängig hiervon stelle das angegriffene Urteil die ihm unterstellte Verbindung als Schatzmeister der islamischen Kulturgemeinschaft zum vermeintlich gewaltbereiten Teil der „Hizb Allah“ nicht dar. Eine Verbindung zwischen dem Kulturverein und den Rednern, welche angeblich der „Hizb Allah“ nahestünden, lasse in keiner Weise erkennen, aufgrund welcher Tatsachen ihm verfassungsfeindliche Ziele unterstellt würden. Er selbst habe die Teilnahme an den vorgehaltenen Veranstaltungen des islamischen Kulturvereins nie bestritten, diese sei jedoch lediglich in seiner Funktion als Kassierer erfolgt. Er habe an diesen Veranstaltungen teilgenommen, um Mitgliedsbeiträge von den Mitgliedern des Kulturvereins zu erheben, wofür man ihn als Kassierer gewählt habe. Die gesammelten Gelder würden benötigt, um den Verein und dessen kulturelle Veranstaltungen zu finanzieren. Er selbst habe auf keiner einzigen Veranstaltung das Wort ergriffen oder eine Meinung kundgetan, aus der auf eine verfassungswidrige Haltung geschlossen werden könne. Aus seiner bloßen Anwesenheit bei den in der angegriffenen Verfügung aufgeführten Veranstaltungen lasse sich in keiner Weise schließen, dass er den Inhalt der Reden geteilt und damit selbst verfassungswidrige Zielsetzungen unterstützt habe. Lediglich hilfsweise sei zu beachten, dass er sich durch die Widerspruchsbegründung, die Klagebegründung und die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts von ihm unterstellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen distanziert habe.
15 
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Sie hebt hervor, die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG stelle im Falle einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass der Kläger wahrheitswidrig eine Erklärung hinsichtlich seiner Verfassungstreue abgegeben habe. Sein Vortrag im gerichtlichen Verfahren, er habe die inhaltliche Ausrichtung und die Ziele der islamischen Kulturgemeinschaft nicht geteilt, sei als unglaubhaft und verfahrensangepasst zu bewerten. Gerade in Anbetracht seiner Funktion als Schatzmeister sei nicht nachzuvollziehen, dass er über die Ausrichtung dieser Vereinigung nicht in Kenntnis gewesen sei; dies gelte auch hinsichtlich der Ausführungen bezüglich einer Aufsplitterung der „Hizb Allah“ in verschiedene mehr oder weniger gewaltbereite Flügel.
18 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten der Landeshauptstadt Stuttgart vor. Auf diese Akten wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts verwiesen; diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
20 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) rechtzeitig eingelegte Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO), die den formellen Anforderungen entspricht (§ 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO) und innerhalb der vom Senat verlängerten Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO rechtzeitig und formal ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 und 4 VwGO), ist zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei gemäß § 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO an die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch den Einzelrichter des Verwaltungsgerichts, auf welchen der Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO übertragen worden war, gebunden. Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die Fälle der Berufungszulassung durch die Kammer, sondern erfasst auch die Zulassung durch den Einzelrichter. Der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit nach § 6 VwGO übertragen worden ist, entscheidet als Verwaltungsgericht im Sinne von § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.7.2004 - 5 C 65.03 - NVwZ 2005, 98). Die Bindung an die Zulassung durch den Einzelrichter entfällt nicht deshalb, weil die Übertragung des Rechtsstreits auf ihn voraussetzt, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO), die Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hingegen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erfordert. Die gegenläufigen Voraussetzungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Gesetzgeber habe die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter ausschließen wollen (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 9.3.2005 - 6 C 8/04 -, NVwZ 2005, 821). Dahingestellt kann bleiben, ob die Bindung an die Zulassung eines Rechtsmittels durch den Einzelrichter dann entfällt, wenn sie im Einzelfall unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergangen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.9.2004 - 1 C 10.03 - juris). Denn Anhaltspunkte für eine manipulative oder objektiv willkürliche Missachtung der einschlägigen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sind hier nicht ersichtlich.
21 
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 31.8.2005 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufheben müssen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22 
Sowohl die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (1.) als auch die Verfügung, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben (2.), erweisen sich als rechtswidrig.
23 
1. Für die Rücknahme der im Jahre 2003 erfolgten Einbürgerung fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zwar kann grundsätzlich die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 -, DVBl. 2004, 116; BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6.03 -, DVBl. 2004, 322; Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 -, DVBl. 2003, 1283). Die im Staatsangehörigkeitsrecht von jeher vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit (vgl. heute z.B. §§ 17 ff. StAG) stellen kein abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln soll, dass die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung kommen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Die Bestimmungen der §§ 85 ff. AuslG a.F., auf deren Grundlage der Kläger eingebürgert wurde, enthalten ebenfalls keine spezialgesetzliche Regelung über die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. Auch § 24 StAngRegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach dem StAG bzw. nach § 85 f. AuslG a.F. anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1989 - 1 B 54.89 -, InfAuslR 1989, 276; BVerwG, Urteil vom 3.6.2003, a.a.O.).
24 
Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen jedoch nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910; dem folgend auch Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, AuAS 2007, 77; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 - juris; Urteil des Senats vom 9.8.2007 - 13 S 2885/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen -). Die Vorschrift bedarf insoweit verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist. Jedenfalls das zwingende Erfordernis einer Erwirkung durch arglistige Täuschung oder durch vergleichbar vorwerfbares Verhalten liegt hier nicht vor. Hierzu im Einzelnen:
25 
Dahingestellt kann bleiben, ob die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 tatsächlich rechtswidrig war, insbesondere ob es sich - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - bei den vom Kläger am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen lediglich um „Lippenbekenntnisse“ gehandelt hat, die nicht von der erforderlichen inneren Überzeugung getragen waren. In seinem Beschluss vom 12.12.2005 (- 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484) hat sich der Senat dazu geäußert, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung den Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a. F. nicht genüge; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen und stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Dies bedarf hier ebenso wenig weiterer Klärung wie die Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die dort genannten inkriminierten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt bzw. verfolgt oder unterstützt hat (vgl. § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dahingestellt kann insbesondere bleiben, ob der dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgeworfene Besuch von Veranstaltungen der „Hizb Allah“ in dem Zeitraum von 1999 bis 2003 bzw. seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. eine inkriminierte Bestrebung im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG a.F. darstellt. Denn auch eine rechtswidrige Einbürgerung kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.), der sich der Senat angeschlossen hat, auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts, d.h. nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 48 LVwVfG, nur dann zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist und die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird (vgl. hierzu Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007, a.a.O.), und es fehlt jedenfalls an der Erlangung der Staatsbürgerschaft durch arglistige Täuschung oder ein vergleichbar vorwerfbares Verhalten des Klägers.
26 
Dieser überzeugenden neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt sich der Senat in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung an. Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fallkonstellation war maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass dort die Einbürgerung nachweislich durch eine bewusste Täuschung des Eingebürgerten herbeigeführt worden ist und diese zeitnah zurückgenommen wurde. Unter Hervorhebung dieser Umstände haben die die Entscheidung tragenden Richter hervorgehoben, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes „in diesem Fall“ mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang stehe. Der Umstand, dass es sich um eine durch bewusste Täuschung erwirkte bzw. „erschlichene“ Einbürgerung handelte, wird mehrfach in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben (vgl. etwa Rn. 32, 56, 60, 62, 70, 72, 76 des Mehrheitsvotums - zitiert nach dem Urteilsabdruck aus juris -). In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird auch mehrfach betont, wenn der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt hat und diese zeitnah zurückgenommen wurde, werde der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit Genüge getan, da der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme habe voraussehen können (vgl. Rn. 76 des Urteils). Damit hatten die die Entscheidung tragenden Richter des Bundesverfassungsgerichts einen von ihnen selbst so bezeichneten „Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände“ vor Augen, der sich nach ihrer Auffassung unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. hierzu Urteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O., Rn 85) „rechtsstaatlich wie demokratisch unbedenklich“ (a.a.O, Rn. 86) durch Anwendung des § 48 LVwVfG lösen ließ. Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt entgegen der Annahme der Beklagten, dass § 48 LVwVfG für die Rücknahme einer nicht durch arglistige Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer nicht in vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung offen bleiben sollte. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der tragenden Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG gerade dann eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme darstellt, wenn der Betroffene seine Einbürgerung selbst nachweislich durch Täuschung erwirkt hat. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht nur bei der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, welche der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkt hat, während in anderen Fällen die hergebrachten Grundsätze des § 48 LVwVfG nicht mehr den rechtsstaatlich zwingend gebotenen Bestimmtheitserfordernissen bzw. der Vorhersehbarkeit genügen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, kann der Betroffene nur im Fall einer „erschlichenen“ Einbürgerung die spätere Rechtsfolge der Rücknahme auf der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG in Verbindung mit dem analog anwendbaren § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG sowie der vom Bundesverfassungsgericht für anwendbar erklärten gefestigten Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in Täuschungsfällen vorhersehen.
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Für diese im Hinblick auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 LVwVfG enge Auslegung sprechen im Übrigen auch systematische und teleologische Erwägungen. So schützt der rechtsstaatlich-subjektive Gehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG das Interesse des einzelnen Staatsbürgers daran, anhand der gesetzlichen Lage vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen er seinen durch die Einbürgerung erlangten Status verlieren kann. Dieser vertrauensbildende Schutz ist besonders wichtig, da der Staatsangehörigenstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.). Er bestimmt nicht nur die subjektiven staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten des Einzelnen, vielmehr kommt der Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Mithin betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens und geht damit weit über eine individuelle schützenswerte Rechtsposition des Eingebürgerten hinaus. Gerade das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen der Gemeinschaft spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände lediglich bei arglistigem oder vergleichbar vorwerfbarem Handeln des Betroffenen überwiegt.
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Auch das die Bundesrepublik Deutschland bindende Völkerrecht, das der Verfassungsgeber bei Ausgestaltung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich vor Augen hatte, stellt jedenfalls in dem Fall, dass der Betroffene durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos wird, maßgeblich darauf ab, unter welchen Umständen die Einbürgerung erlangt worden ist. Bereits das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30.8.1961 (BGBl. 1977 II, S. 597 ff.), das auf eine Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1954 zurückgeht, verbietet zwar in Art. 8 Abs. 1 grundsätzlich die Entziehung der Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird, lässt aber eine Ausnahme ausdrücklich für den Fall zu, dass die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben wurde (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b des Übereinkommens). Das im Rahmen des Europarats aufgelegte Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (BGBl. 2004 II, S. 578), das die Bundesrepublik Deutschland am 11.5.2005 ratifiziert hat, gestattet in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b einen Verlust der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates u. a. für den Fall, dass diese in einer dem Antragsteller zurechenbaren Weise durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder durch Verschleierung einer erheblichen Tatsache erworben wurde.
29 
Der Kläger hat seine Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung oder vergleichbar vorwerfbares Verhalten im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erwirkt. Das Tatbestandsmerkmal des „Erwirkens“ setzt ein zweck- und zielgerichtetes Handeln voraus, das auf eine Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 91/82 - BVerwGE 68, 159). Nach der vor allem in der mündlichen Verhandlung durch informatorische Befragung des Klägers gewonnenen Überzeugung des Senats lässt sich nicht feststellen, dass dieser bei Abgabe der Loyalitätserklärungen am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 wissentlich und zweckgerichtet von ihm etwa unterstützte verfassungsfeindliche Bestrebungen verschwiegen hat, um seine Einbürgerung in rechtswidriger Weise zu erreichen. Die von der Beklagten geforderte Erklärung, keine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu verfolgen oder zu unterstützen, setzt von dem Einbürgerungsbewerber eine Wertung in zweifacher Hinsicht voraus. Sie unterscheidet sich dabei wesentlich von ihrer Struktur nach einfachen Fragen, die etwa durch Ankreuzen bzw. mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, etwa Fragen nach anhängigen Ermittlungsverfahren, Mitgliedschaften in konkret genannten Vereinigungen oder Personenstandsverhältnissen. Bei der standardisierten Loyalitätserklärung, die die Beklagte dem Kläger vorgelegt hat, muss der Einbürgerungsbewerber zum einen selbst bewerten, ob er den ihm vorgegebenen Kriterien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für sich zustimmen kann und ob sein Verhalten, etwa seine Aktivität in Ausländervereinen, diesen Kriterien entspricht. Zum anderen muss der Einbürgerungsbewerber einzuschätzen versuchen, wie seine Aktivitäten mutmaßlich von der Einbürgerungsbehörde eingestuft werden; er trägt insoweit ein mit der Abstraktheit der Fragestellung steigendes Risiko, dass ihm „unrichtige Angaben“ i.S. von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG vorgeworfen werden.
30 
Danach lag es für den Kläger nicht nahe, seine Aktivitäten bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V., die er selbst als in erster Linie religiös bzw. kulturell motivierte Betätigung ansieht, ohne ausdrückliche Frage der Einbürgerungsbehörde nach einer Mitgliedschaft in islamistisch geprägten Vereinigungen als verfassungsfeindliche Betätigung einzuschätzen. Gerade weil der Kläger seine Aktivitäten selbst lediglich als religiöse, nicht jedoch als politische Betätigung ansah, bestand für ihn kein Anlass, die in erster Linie der Beklagten obliegende Bewertung des Verhaltens und dessen Subsumtion unter § 86 Nr. 2 AuslG bzw. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG selbst zugrunde zu legen. Anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde dem Einbürgerungsbewerber eine Liste mit von ihr als verfassungsfeindlich erkannten Organisationen vorgelegt oder unter Hinweis auf die Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG den Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften bzw. früheren Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen befragt hätte. Denn dann hätte es dem Einbürgerungsbewerber oblegen, seine Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. zu offenbaren, und die Staatsangehörigkeitsbehörde hätte vor der Einbürgerung die Möglichkeit gehabt, nach entsprechender Erkundigung bei Verfassungsschutzbehörden eine eigene Bewertung dieser Mitgliedschaft vorzunehmen. Sein Schweigen hätte dann bei entsprechender Bewertung der verschwiegenen Aktivitäten ohne weiteres zur Annahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung führen können. Ohne weitere konkretisierende Fragen der Einbürgerungsbehörde kann dagegen nicht festgestellt werden, dass der Kläger wissentlich für seine Einbürgerung relevante Umstände verschwiegen hat, um seine Einbürgerung auf rechtswidrige Weise zu erreichen.
31 
Weiterhin erscheint zweifelhaft, ob ein etwaiges Verschweigen des Klägers seiner Mitgliedschaft überhaupt für die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kausal war. Zwar dürfte entgegen der Annahme des Klägers nicht davon auszugehen sein, dass der Einbürgerungsbehörde die an das für Vereinsangelegenheiten zuständige Sachgebiet der Landeshauptstadt Stuttgart gerichtete Anzeige vom 2.6.1999 über die Wahl des Klägers in den Vereinsvorstand der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. bekannt war. Wie die Sitzungsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, werden derartige Mitteilungen amtsintern bereits aus Datenschutzgründen nicht an die Einbürgerungsbehörde weitergeleitet. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Beklagte vor Vollzug der Einbürgerung die Einbürgerungsakte nicht hinreichend auf etwaige inkriminierte Bestrebungen des Klägers ausgewertet hat. So bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit an die Einbürgerungsstelle weitergeleitetem Schreiben vom 3.4.2001 um Übersendung der über den Kläger geführten Ausländerakten, wobei ausweislich eines Aktenvermerks diese Anfrage wegen der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppierungen erfolgte. Auch erteilte das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Falle des Klägers am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfungen in sicherheitsrechtlicher Hinsicht noch nicht habe abgeschlossen werden können. Wie sich dem Bearbeitungsblatt entnehmen lässt, wurde das Nichtvorliegen der Sicherheitsüberprüfung im Falle des Klägers übersehen und deshalb wohl lediglich aus Versehen seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband verfügt.
32 
Dass die Rücknahme einer Einbürgerung über die Fälle von Täuschung oder vergleichbar vorwerfbarem Verhalten hinausgehend bei lediglich objektiv unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen (siehe § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG) mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren ist (vgl. so ausdrücklich noch Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - InfAuslR 2003, 205; offen gelassen vom Bundesverwaltungsgericht in seinem nachfolgenden Revisionsurteil vom 9.9.2003, a.a.O.), wird nach dem oben Gesagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann anzunehmen sein, wenn jedenfalls eine den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenäherte Fallkonstellation vorliegt. Denn nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG fällt der Vertrauensschutz bereits dann weg, wenn der Verwaltungsakt durch objektiv in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Nicht notwendig ist, dass die fehlerhaften Angaben schuldhaft gemacht worden sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.10.1987 - 9 C 255.86 -, BVerwGE 78, 139). Der Tatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG erfordert daher nicht, dass der Betroffene die Unrichtigkeit seiner Angaben positiv kannte oder kennen musste. Erforderlich ist lediglich, dass er erkannte oder erkennen musste, dass die entsprechende Angabe von ihm gefordert war (vgl. hierzu Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., Rn. 164 zu § 48 VwVfG). Bei der Rücknahme einer Einbürgerung allein wegen objektiv unrichtiger Angaben handelt es sich um eine Verlustzufügung, die aus Sicht des Betroffenen willkürlich erfolgt und die er nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Dies begründet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Verstoß gegen das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Rücknahme der Einbürgerung bei Ausschluss des Vertrauensschutzes lediglich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG ist daher nur in atypischen Konstellationen möglich, in denen das Verhalten des Betroffenen in subjektiver Hinsicht den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenähert ist. Eine derartig gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit kann etwa angenommen werden, wenn der Betroffene das Unterstützen einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Bestrebung verschweigt bzw. eine konkrete Frage unzutreffend beantwortet.
33 
Jedenfalls eine durch derartige besondere Umstände geprägte Fallkonstellation des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG liegt hier nicht vor. Es lässt sich wohl nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Kläger objektiv unrichtige Angaben über verfassungsfeindliche Betätigungen gemacht hat und die Einbürgerung deshalb auf dem Verschweigen von Umständen beruht, die allein oder überwiegend in seiner Sphäre liegen. Auch hier ist maßgeblich, dass vom Kläger keine Angaben über Betätigungen in Vereinen verlangt worden waren, sondern demgegenüber lediglich eine abstrakte Erklärung, dass er keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Im Übrigen fehlt es nach dem oben Gesagten auch insoweit an der erforderlichen Kausalität von etwaigen objektiven Falschangaben.
34 
Dahingestellt kann bleiben, ob die mit Bescheid vom 31.8.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung „zeitnah“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welcher sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 9.8.2007, a.a.O.), erfolgt ist. Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Es spricht freilich einiges dafür, dass es sich bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am 22.5.2003 und dem Erlass der gegenständlichen Rücknahmeverfügung am 31.8.2005 verstrichenen Zeitraum von lediglich knapp über zwei Jahren noch um eine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Hierfür spricht etwa, dass gemäß der - nach dem oben Gesagten hier nicht anwendbaren - Bestimmung des § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - die Unwirksamkeit einer auf dieser Grundlage erlangten Staatsangehörigkeit bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erfolgter Einbürgerung festgestellt werden kann. Es spricht deshalb einiges dafür, dass bei einem zwischen Einbürgerung und deren Rücknahme liegenden Zeitraum von unter fünf Jahren von einer zeitnahen Rücknahme auszugehen ist.
35 
2. Der streitgegenständliche Ausgangsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind auch insoweit rechtswidrig, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde aufgefordert wurde. Nachdem die Einbürgerung nach dem oben Gesagten nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der hieraus resultierenden Dokumente rechtswidrig (vgl. § 52 Abs. 1 LVwVfG).
36 
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37 
Die Revision war zuzulassen, da die Frage, ob und unter welchen Umständen die Rücknahme einer Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zulässig ist, in der neuren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006, noch nicht geklärt (vgl. hierzu § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
38 
Beschluss
vom 17. September 2007
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
        
In Anlehnung an Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 2004 (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
        
Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Gründe

 
19 
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
20 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) rechtzeitig eingelegte Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO), die den formellen Anforderungen entspricht (§ 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO) und innerhalb der vom Senat verlängerten Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO rechtzeitig und formal ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 und 4 VwGO), ist zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei gemäß § 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO an die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch den Einzelrichter des Verwaltungsgerichts, auf welchen der Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO übertragen worden war, gebunden. Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die Fälle der Berufungszulassung durch die Kammer, sondern erfasst auch die Zulassung durch den Einzelrichter. Der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit nach § 6 VwGO übertragen worden ist, entscheidet als Verwaltungsgericht im Sinne von § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.7.2004 - 5 C 65.03 - NVwZ 2005, 98). Die Bindung an die Zulassung durch den Einzelrichter entfällt nicht deshalb, weil die Übertragung des Rechtsstreits auf ihn voraussetzt, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO), die Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hingegen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erfordert. Die gegenläufigen Voraussetzungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Gesetzgeber habe die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter ausschließen wollen (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 9.3.2005 - 6 C 8/04 -, NVwZ 2005, 821). Dahingestellt kann bleiben, ob die Bindung an die Zulassung eines Rechtsmittels durch den Einzelrichter dann entfällt, wenn sie im Einzelfall unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergangen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.9.2004 - 1 C 10.03 - juris). Denn Anhaltspunkte für eine manipulative oder objektiv willkürliche Missachtung der einschlägigen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sind hier nicht ersichtlich.
21 
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 31.8.2005 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufheben müssen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22 
Sowohl die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (1.) als auch die Verfügung, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben (2.), erweisen sich als rechtswidrig.
23 
1. Für die Rücknahme der im Jahre 2003 erfolgten Einbürgerung fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zwar kann grundsätzlich die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 -, DVBl. 2004, 116; BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6.03 -, DVBl. 2004, 322; Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 -, DVBl. 2003, 1283). Die im Staatsangehörigkeitsrecht von jeher vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit (vgl. heute z.B. §§ 17 ff. StAG) stellen kein abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln soll, dass die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung kommen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Die Bestimmungen der §§ 85 ff. AuslG a.F., auf deren Grundlage der Kläger eingebürgert wurde, enthalten ebenfalls keine spezialgesetzliche Regelung über die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. Auch § 24 StAngRegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach dem StAG bzw. nach § 85 f. AuslG a.F. anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1989 - 1 B 54.89 -, InfAuslR 1989, 276; BVerwG, Urteil vom 3.6.2003, a.a.O.).
24 
Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen jedoch nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910; dem folgend auch Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, AuAS 2007, 77; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 - juris; Urteil des Senats vom 9.8.2007 - 13 S 2885/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen -). Die Vorschrift bedarf insoweit verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist. Jedenfalls das zwingende Erfordernis einer Erwirkung durch arglistige Täuschung oder durch vergleichbar vorwerfbares Verhalten liegt hier nicht vor. Hierzu im Einzelnen:
25 
Dahingestellt kann bleiben, ob die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 tatsächlich rechtswidrig war, insbesondere ob es sich - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - bei den vom Kläger am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen lediglich um „Lippenbekenntnisse“ gehandelt hat, die nicht von der erforderlichen inneren Überzeugung getragen waren. In seinem Beschluss vom 12.12.2005 (- 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484) hat sich der Senat dazu geäußert, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung den Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a. F. nicht genüge; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen und stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Dies bedarf hier ebenso wenig weiterer Klärung wie die Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die dort genannten inkriminierten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt bzw. verfolgt oder unterstützt hat (vgl. § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dahingestellt kann insbesondere bleiben, ob der dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgeworfene Besuch von Veranstaltungen der „Hizb Allah“ in dem Zeitraum von 1999 bis 2003 bzw. seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. eine inkriminierte Bestrebung im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG a.F. darstellt. Denn auch eine rechtswidrige Einbürgerung kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.), der sich der Senat angeschlossen hat, auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts, d.h. nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 48 LVwVfG, nur dann zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist und die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird (vgl. hierzu Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007, a.a.O.), und es fehlt jedenfalls an der Erlangung der Staatsbürgerschaft durch arglistige Täuschung oder ein vergleichbar vorwerfbares Verhalten des Klägers.
26 
Dieser überzeugenden neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt sich der Senat in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung an. Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fallkonstellation war maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass dort die Einbürgerung nachweislich durch eine bewusste Täuschung des Eingebürgerten herbeigeführt worden ist und diese zeitnah zurückgenommen wurde. Unter Hervorhebung dieser Umstände haben die die Entscheidung tragenden Richter hervorgehoben, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes „in diesem Fall“ mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang stehe. Der Umstand, dass es sich um eine durch bewusste Täuschung erwirkte bzw. „erschlichene“ Einbürgerung handelte, wird mehrfach in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben (vgl. etwa Rn. 32, 56, 60, 62, 70, 72, 76 des Mehrheitsvotums - zitiert nach dem Urteilsabdruck aus juris -). In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird auch mehrfach betont, wenn der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt hat und diese zeitnah zurückgenommen wurde, werde der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit Genüge getan, da der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme habe voraussehen können (vgl. Rn. 76 des Urteils). Damit hatten die die Entscheidung tragenden Richter des Bundesverfassungsgerichts einen von ihnen selbst so bezeichneten „Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände“ vor Augen, der sich nach ihrer Auffassung unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. hierzu Urteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O., Rn 85) „rechtsstaatlich wie demokratisch unbedenklich“ (a.a.O, Rn. 86) durch Anwendung des § 48 LVwVfG lösen ließ. Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt entgegen der Annahme der Beklagten, dass § 48 LVwVfG für die Rücknahme einer nicht durch arglistige Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer nicht in vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung offen bleiben sollte. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der tragenden Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG gerade dann eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme darstellt, wenn der Betroffene seine Einbürgerung selbst nachweislich durch Täuschung erwirkt hat. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht nur bei der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, welche der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkt hat, während in anderen Fällen die hergebrachten Grundsätze des § 48 LVwVfG nicht mehr den rechtsstaatlich zwingend gebotenen Bestimmtheitserfordernissen bzw. der Vorhersehbarkeit genügen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, kann der Betroffene nur im Fall einer „erschlichenen“ Einbürgerung die spätere Rechtsfolge der Rücknahme auf der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG in Verbindung mit dem analog anwendbaren § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG sowie der vom Bundesverfassungsgericht für anwendbar erklärten gefestigten Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in Täuschungsfällen vorhersehen.
27 
Für diese im Hinblick auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 LVwVfG enge Auslegung sprechen im Übrigen auch systematische und teleologische Erwägungen. So schützt der rechtsstaatlich-subjektive Gehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG das Interesse des einzelnen Staatsbürgers daran, anhand der gesetzlichen Lage vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen er seinen durch die Einbürgerung erlangten Status verlieren kann. Dieser vertrauensbildende Schutz ist besonders wichtig, da der Staatsangehörigenstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.). Er bestimmt nicht nur die subjektiven staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten des Einzelnen, vielmehr kommt der Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Mithin betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens und geht damit weit über eine individuelle schützenswerte Rechtsposition des Eingebürgerten hinaus. Gerade das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen der Gemeinschaft spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände lediglich bei arglistigem oder vergleichbar vorwerfbarem Handeln des Betroffenen überwiegt.
28 
Auch das die Bundesrepublik Deutschland bindende Völkerrecht, das der Verfassungsgeber bei Ausgestaltung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich vor Augen hatte, stellt jedenfalls in dem Fall, dass der Betroffene durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos wird, maßgeblich darauf ab, unter welchen Umständen die Einbürgerung erlangt worden ist. Bereits das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30.8.1961 (BGBl. 1977 II, S. 597 ff.), das auf eine Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1954 zurückgeht, verbietet zwar in Art. 8 Abs. 1 grundsätzlich die Entziehung der Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird, lässt aber eine Ausnahme ausdrücklich für den Fall zu, dass die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben wurde (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b des Übereinkommens). Das im Rahmen des Europarats aufgelegte Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (BGBl. 2004 II, S. 578), das die Bundesrepublik Deutschland am 11.5.2005 ratifiziert hat, gestattet in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b einen Verlust der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates u. a. für den Fall, dass diese in einer dem Antragsteller zurechenbaren Weise durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder durch Verschleierung einer erheblichen Tatsache erworben wurde.
29 
Der Kläger hat seine Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung oder vergleichbar vorwerfbares Verhalten im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erwirkt. Das Tatbestandsmerkmal des „Erwirkens“ setzt ein zweck- und zielgerichtetes Handeln voraus, das auf eine Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 91/82 - BVerwGE 68, 159). Nach der vor allem in der mündlichen Verhandlung durch informatorische Befragung des Klägers gewonnenen Überzeugung des Senats lässt sich nicht feststellen, dass dieser bei Abgabe der Loyalitätserklärungen am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 wissentlich und zweckgerichtet von ihm etwa unterstützte verfassungsfeindliche Bestrebungen verschwiegen hat, um seine Einbürgerung in rechtswidriger Weise zu erreichen. Die von der Beklagten geforderte Erklärung, keine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu verfolgen oder zu unterstützen, setzt von dem Einbürgerungsbewerber eine Wertung in zweifacher Hinsicht voraus. Sie unterscheidet sich dabei wesentlich von ihrer Struktur nach einfachen Fragen, die etwa durch Ankreuzen bzw. mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, etwa Fragen nach anhängigen Ermittlungsverfahren, Mitgliedschaften in konkret genannten Vereinigungen oder Personenstandsverhältnissen. Bei der standardisierten Loyalitätserklärung, die die Beklagte dem Kläger vorgelegt hat, muss der Einbürgerungsbewerber zum einen selbst bewerten, ob er den ihm vorgegebenen Kriterien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für sich zustimmen kann und ob sein Verhalten, etwa seine Aktivität in Ausländervereinen, diesen Kriterien entspricht. Zum anderen muss der Einbürgerungsbewerber einzuschätzen versuchen, wie seine Aktivitäten mutmaßlich von der Einbürgerungsbehörde eingestuft werden; er trägt insoweit ein mit der Abstraktheit der Fragestellung steigendes Risiko, dass ihm „unrichtige Angaben“ i.S. von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG vorgeworfen werden.
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Danach lag es für den Kläger nicht nahe, seine Aktivitäten bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V., die er selbst als in erster Linie religiös bzw. kulturell motivierte Betätigung ansieht, ohne ausdrückliche Frage der Einbürgerungsbehörde nach einer Mitgliedschaft in islamistisch geprägten Vereinigungen als verfassungsfeindliche Betätigung einzuschätzen. Gerade weil der Kläger seine Aktivitäten selbst lediglich als religiöse, nicht jedoch als politische Betätigung ansah, bestand für ihn kein Anlass, die in erster Linie der Beklagten obliegende Bewertung des Verhaltens und dessen Subsumtion unter § 86 Nr. 2 AuslG bzw. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG selbst zugrunde zu legen. Anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde dem Einbürgerungsbewerber eine Liste mit von ihr als verfassungsfeindlich erkannten Organisationen vorgelegt oder unter Hinweis auf die Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG den Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften bzw. früheren Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen befragt hätte. Denn dann hätte es dem Einbürgerungsbewerber oblegen, seine Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. zu offenbaren, und die Staatsangehörigkeitsbehörde hätte vor der Einbürgerung die Möglichkeit gehabt, nach entsprechender Erkundigung bei Verfassungsschutzbehörden eine eigene Bewertung dieser Mitgliedschaft vorzunehmen. Sein Schweigen hätte dann bei entsprechender Bewertung der verschwiegenen Aktivitäten ohne weiteres zur Annahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung führen können. Ohne weitere konkretisierende Fragen der Einbürgerungsbehörde kann dagegen nicht festgestellt werden, dass der Kläger wissentlich für seine Einbürgerung relevante Umstände verschwiegen hat, um seine Einbürgerung auf rechtswidrige Weise zu erreichen.
31 
Weiterhin erscheint zweifelhaft, ob ein etwaiges Verschweigen des Klägers seiner Mitgliedschaft überhaupt für die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kausal war. Zwar dürfte entgegen der Annahme des Klägers nicht davon auszugehen sein, dass der Einbürgerungsbehörde die an das für Vereinsangelegenheiten zuständige Sachgebiet der Landeshauptstadt Stuttgart gerichtete Anzeige vom 2.6.1999 über die Wahl des Klägers in den Vereinsvorstand der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. bekannt war. Wie die Sitzungsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, werden derartige Mitteilungen amtsintern bereits aus Datenschutzgründen nicht an die Einbürgerungsbehörde weitergeleitet. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Beklagte vor Vollzug der Einbürgerung die Einbürgerungsakte nicht hinreichend auf etwaige inkriminierte Bestrebungen des Klägers ausgewertet hat. So bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit an die Einbürgerungsstelle weitergeleitetem Schreiben vom 3.4.2001 um Übersendung der über den Kläger geführten Ausländerakten, wobei ausweislich eines Aktenvermerks diese Anfrage wegen der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppierungen erfolgte. Auch erteilte das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Falle des Klägers am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfungen in sicherheitsrechtlicher Hinsicht noch nicht habe abgeschlossen werden können. Wie sich dem Bearbeitungsblatt entnehmen lässt, wurde das Nichtvorliegen der Sicherheitsüberprüfung im Falle des Klägers übersehen und deshalb wohl lediglich aus Versehen seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband verfügt.
32 
Dass die Rücknahme einer Einbürgerung über die Fälle von Täuschung oder vergleichbar vorwerfbarem Verhalten hinausgehend bei lediglich objektiv unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen (siehe § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG) mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren ist (vgl. so ausdrücklich noch Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - InfAuslR 2003, 205; offen gelassen vom Bundesverwaltungsgericht in seinem nachfolgenden Revisionsurteil vom 9.9.2003, a.a.O.), wird nach dem oben Gesagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann anzunehmen sein, wenn jedenfalls eine den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenäherte Fallkonstellation vorliegt. Denn nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG fällt der Vertrauensschutz bereits dann weg, wenn der Verwaltungsakt durch objektiv in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Nicht notwendig ist, dass die fehlerhaften Angaben schuldhaft gemacht worden sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.10.1987 - 9 C 255.86 -, BVerwGE 78, 139). Der Tatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG erfordert daher nicht, dass der Betroffene die Unrichtigkeit seiner Angaben positiv kannte oder kennen musste. Erforderlich ist lediglich, dass er erkannte oder erkennen musste, dass die entsprechende Angabe von ihm gefordert war (vgl. hierzu Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., Rn. 164 zu § 48 VwVfG). Bei der Rücknahme einer Einbürgerung allein wegen objektiv unrichtiger Angaben handelt es sich um eine Verlustzufügung, die aus Sicht des Betroffenen willkürlich erfolgt und die er nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Dies begründet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Verstoß gegen das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Rücknahme der Einbürgerung bei Ausschluss des Vertrauensschutzes lediglich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG ist daher nur in atypischen Konstellationen möglich, in denen das Verhalten des Betroffenen in subjektiver Hinsicht den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenähert ist. Eine derartig gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit kann etwa angenommen werden, wenn der Betroffene das Unterstützen einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Bestrebung verschweigt bzw. eine konkrete Frage unzutreffend beantwortet.
33 
Jedenfalls eine durch derartige besondere Umstände geprägte Fallkonstellation des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG liegt hier nicht vor. Es lässt sich wohl nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Kläger objektiv unrichtige Angaben über verfassungsfeindliche Betätigungen gemacht hat und die Einbürgerung deshalb auf dem Verschweigen von Umständen beruht, die allein oder überwiegend in seiner Sphäre liegen. Auch hier ist maßgeblich, dass vom Kläger keine Angaben über Betätigungen in Vereinen verlangt worden waren, sondern demgegenüber lediglich eine abstrakte Erklärung, dass er keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Im Übrigen fehlt es nach dem oben Gesagten auch insoweit an der erforderlichen Kausalität von etwaigen objektiven Falschangaben.
34 
Dahingestellt kann bleiben, ob die mit Bescheid vom 31.8.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung „zeitnah“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welcher sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 9.8.2007, a.a.O.), erfolgt ist. Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Es spricht freilich einiges dafür, dass es sich bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am 22.5.2003 und dem Erlass der gegenständlichen Rücknahmeverfügung am 31.8.2005 verstrichenen Zeitraum von lediglich knapp über zwei Jahren noch um eine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Hierfür spricht etwa, dass gemäß der - nach dem oben Gesagten hier nicht anwendbaren - Bestimmung des § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - die Unwirksamkeit einer auf dieser Grundlage erlangten Staatsangehörigkeit bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erfolgter Einbürgerung festgestellt werden kann. Es spricht deshalb einiges dafür, dass bei einem zwischen Einbürgerung und deren Rücknahme liegenden Zeitraum von unter fünf Jahren von einer zeitnahen Rücknahme auszugehen ist.
35 
2. Der streitgegenständliche Ausgangsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind auch insoweit rechtswidrig, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde aufgefordert wurde. Nachdem die Einbürgerung nach dem oben Gesagten nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der hieraus resultierenden Dokumente rechtswidrig (vgl. § 52 Abs. 1 LVwVfG).
36 
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37 
Die Revision war zuzulassen, da die Frage, ob und unter welchen Umständen die Rücknahme einer Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zulässig ist, in der neuren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006, noch nicht geklärt (vgl. hierzu § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
38 
Beschluss
vom 17. September 2007
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
        
In Anlehnung an Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 2004 (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
        
Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 14.11.2016 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 17.10.2016 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Versagung eines Aufenthaltstitels.

2

Der am ...01.1997 in Betlehem geborene Antragsteller ist aufgrund der Anerkennungslage von Palästina ungeklärter Staatsangehöriger. Im Rahmen des Visumverfahrens legte er eine Verpflichtungserklärung seines Vaters zur Tragung der Kosten seines Lebensunterhalts und seiner Ausreise vor. Er reiste am 19.09.2014 mit einem zum Zwecke des Hochschulstudiums erteilten Visum mit Gültigkeitszeitraum vom 15.09.2014 bis zum 14.09.2015 in das Bundesgebiet ein. Er begann zunächst ein Studium der Elektro- und Informationstechnik an der Hochschule H…. Seit Oktober 2015 studiert er Humanmedizin an der Universität zu A-Stadt.

3

Der Antragsteller hielt sich unangemeldet an verschiedenen Orten im Bundesgebiet auf und sprach erstmalig am 08.10.2015 bei der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin zur Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis vor. Er erhielt mit Datum vom 08.10.2015 eine Grenzübertrittsbescheinigung, in der erklärt wurde, dass er nach den §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG verpflichtet sei bis zum 22.10.2015 das Bundesgebiet zu verlassen. In einem Gespräch mit dem damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers am 19.05.2016 wurde von Seiten der Antragsgegnerin angeregt, dass der Antragsteller aus dem Bundesgebiet ausreisen solle, um mit einem neuen Visum wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Der Antragsteller trug gegenüber der Antragsgegnerin vor, er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, sich vor Ablauf seines Visums bei der Ausländerbehörde zu melden. Das Ablaufdatum seines Visums sei mit der Antragstellung am 08.10.2015 nur um wenige Tage überschritten gewesen. Die Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens sei eine unbillige Härte und würde sein Studium gefährden. Er müsse innerhalb der Semesterferien ein Pflegepraktikum absolvieren. Er habe ferner bereits einen bindenden Mietvertrag unterschrieben. Es sei nicht absehbar, wann er über die Auslandsvertretung in Ramallah erneut ein Visum erhalten würde. Es bestehe die Gefahr, dass die israelischen Behörden seine Ausreise wegen akuter Unruhezustände verweigern bzw. verzögern könnten.

4

Mit Schreiben vom 23.10.2015 kündigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller an, dass sie beabsichtige seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 09.11.2015.

5

Mit Schreiben vom 01.06.2016 wurde gegenüber dem damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers die ausländerrechtliche Situation dargelegt und die Abschiebung für den Fall der Nichtausreise angedroht. Der Aufforderung der Antragsgegnerin, sich umgehend bei der Ausländerbehörde zu melden, kam der Antragsteller nicht nach. Sein Aufenthaltsort war unbekannt.

6

Am 19.08.2016 erhielt der Antragsteller eine bis zum 18.11.2016 befristete Duldung, die mit der ausstehenden Klärung der Abschiebungsmodalitäten sowie mit der ausstehenden Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und zur Anordnung der Fortgeltungswirkung begründet wurde.

7

Der Antragsteller legte der Antragsgegnerin ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin J… A… vom 24.08.2016 vor. Demnach habe sich der Antragsteller am 10.09.2015 bei dem Arzt in B-Stadt mit Atemnot, Husten, allgemeiner Schwäche und Kopfschmerzen vorgestellt. Es wurde eine Bronchitis diagnostiziert. Der Antragsteller sei vom 10.09.2015 bis zum 07.10.2015 aufgrund der akuten Erkrankung abgeschwächt und damit weder leistungs- noch reisefähig gewesen.

8

Mit Verfügung vom 17.10.2016 versagte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und setzte dem Antragsteller eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 11.11.2016. Gleichzeitig wurde die Abschiebung in das Gebiet von Palästina angedroht. Für den Fall der Abschiebung wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von sechs Monaten verhängt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller nicht die Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 AufenthG erfülle, da zum Zeitpunkt der Antragstellung kein gültiges Visum mehr vorgelegen habe. Zudem sei ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gegeben, da der Antragsteller mehrmals gegen die Meldepflicht verstoßen habe und sich ab dem 15.09.2015 ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die Fortgeltungswirkung des Visums sei nicht anzuordnen gewesen. Denn es sei nach Ablauf des Visums bis zur Antragstellung ein Zeitraum von über drei Wochen vergangen. Die vorgetragenen Erkrankungen seien kein Grund für die Verlängerung der Fortgeltungswirkung. Es sei dem Antragsteller ohne Weiteres möglich gewesen, sich während der einjährigen Gültigkeitsdauer seines Visums frühzeitig um einen Aufenthaltstitel mit längerer Gültigkeitsdauer zu bemühen. Es sei keine so schwerwiegende Erkrankung nachgewiesen worden, die eine Kontaktaufnahme mit der Ausländerbehörde unmöglich gemacht habe.

9

Gegen die Verfügung hat der Antragsteller mit Schreiben vom 14.11.2016 Widerspruch eingelegt und mit Schreiben vom selben Tage vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

10

Der Antragsteller trägt vor, dass ihm vor Erteilung der Duldung in einem Gespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter am 18.08.2016 zugesagt worden sei, dass bei genügender Entschuldigung der verspäteten Antragstellung die Aufenthaltserlaubnis erteilt würde. Eine sofortige Anmeldung seines Wohnsitzes sei nach seiner Einreise nicht erfolgt, da noch nicht festgestanden habe, wo er sein Studium antreten werde. Er habe keine Zulassung zum Sommersemester erhalten, sei innerhalb der Geltungsdauer des Visums aus- und wiedereingereist und habe sich zeitweilig besuchsweise bei seinem in Berlin tätigen Bruder aufgehalten. Nach Erhalt der Zulassung sei er nach A-Stadt gekommen, wo er seit dem 25.08.2016 in seiner eigenen Wohnung gemeldet sei. Die Visumserteilung werde durch die israelischen Behörden, die sehr willkürlich verführen, erschwert. Es sei nicht vorhersehbar, wann ein neues Visum erteilt werde, so dass sein für August 2017 anstehendes 1. Staatsexamen in Frage gestellt sei.

11

Der Antragsteller beantragt,

12

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Ausländerbehörde vom 17.10.2016 anzuordnen.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Antrag abzulehnen.

15

Die Antragsgegnerin verweist auf die Begründung der Verfügung vom 17.10.2016 und trägt darüber hinausgehend vor, dass der Antragsteller nicht unverschuldet die Frist für die rechtzeitige Antragstellung versäumt habe. Er sei aus vergangenen Aufenthalten in der Bundesrepublik mit dem Visaverfahren vertraut gewesen. Das vorgelegte Attest müsse als Gefälligkeitsattest angesehen werden. Die Ausstellung sei knapp ein Jahr nach der vorgetragenen Erkrankung erfolgt. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, warum aufgrund der festgestellten Erkrankung eine Reiseunfähigkeit gegeben sei. Zudem sei es dem Antragsteller trotz der Erkrankung möglich gewesen, sich per E-Mail oder Telefon um einen Termin bei der Ausländerbehörde zu kümmern.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte.

II.

17

Der Antrag ist nach den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die im Bescheid vom 17.10.2016 enthaltene Abschiebungsandrohung begehrt.

18

Das Gericht geht davon aus, dass der Antragsteller nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des (unbeschränkt erhobenen) Widerspruchs hinsichtlich der ebenfalls im Bescheid angeordneten Befristung der Sperrwirkungen einer möglichen Abschiebung bzw. der Ausweisung begehrt. Zwar entfalten Widerspruch und Klage gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Eine Erstreckung des Aussetzungsantrags auf diesen Regelungsteil entspräche jedoch abgesehen davon, dass der Antragsteller sich bislang nicht ausdrücklich gegen die Befristungsentscheidung gewandt hat, nicht seinem gegenwärtig vorrangigen Rechtsschutzinteresse, von einer Abschiebung verschont zu bleiben. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG stellt im Grundsatz einen den Ausländer begünstigenden Verwaltungsakt dar, weil das Verbot ohne die von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Befristung sonst unbefristet gelten würde. Entsprechend ist eine Befristung des Verbots ebenso wie eine Verkürzung der behördlich festgesetzten Frist im Hauptsacheverfahren auch allein mit einer Verpflichtungsklage zu verfolgen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 – 1 C 19/11 –, juris Rn. 27 ff.). Abgesehen von der Anforderung, dass die nunmehr von Amts wegen vorzunehmende Befristung nach § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG spätestens bei der Abschiebung festgesetzt werden muss, hat sie für die Durchführung der Abschiebung aber keine unmittelbaren Auswirkungen.

19

Der so verstandene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.

20

Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft. Es handelt sich bei der Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG um eine Vollstreckungsmaßnahme, gegen die Rechtsbehelfe gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 248 Abs. 1 Satz 2 LVwG keine aufschiebende Wirkung haben. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.

21

Der Antrag ist auch begründet.

22

Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht regelmäßig auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Voll-ziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (wieder-)herzustellen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 06.08.1991 – 4 M 109/91 –, juris Rn. 5).

23

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der Antrag als begründet. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das private Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts. Die Abschiebungsandrohung erweist sich nämlich als offensichtlich rechtswidrig und der Antragsteller ist dadurch in seinen Rechten verletzt. Denn der Antragsteller ist bei summarischer Prüfung nicht ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG).

24

Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung sind die §§ 59, 58 Abs. 1 und 2 Nr. 2 AufenthG. Die Ausreiseverpflichtung des Antragstellers beruht auf § 50 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 AufenthG. Danach ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Der Antragsteller verfügte nach Ablauf seines Visums zwar nicht mehr über den erforderlichen Aufenthaltstitel. Aufgrund der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis am 08.10.2015 galt sein Visum gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend. Zwar war das Visum bereits am 14.09.2016 abgelaufen, sodass der Antrag auf Verlängerung verspätet gestellt wurde (§ 81 Abs. 4 Sätze 1 und 3 AufenthG). Jedoch hat es die Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung rechtswidrig unterlassen, die Fortgeltungswirkung des Visums des Antragstellers nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG anzuordnen. Der Anordnung der Suspensivwirkung des Widerspruchs des Antragstellers in der hier vorliegenden Konstellation steht nicht entgegen, dass nach der Regelungskonzeption des § 81 Abs. 4 Satz 3 VwGO die Anordnung der Fortgeltungswirkung durch eine behördliche Entscheidung erfolgen müsste. Denn die verfahrensgegenständliche Abschiebungsandrohung ist selbst rechtswidrig, da sie auf der rechtswidrigen Ablehnung des Anspruchs des Antragstellers auf Anordnung der Fortgeltungswirkung seines Visums beruht.

25

Der Antragsteller hatte einen Anspruch auf die Anordnung der Fortgeltungswirkung. Aufgrund der nur geringfügigen Fristüberschreitung war zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anzuordnen. Nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt wurde. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist neben der nachgeholten Antragstellung eine unbillige Härte. Wann eine unbillige Härte vorliegt, wird im Gesetz nicht näher definiert. Dem Wortlaut der Vorschrift nach dürften die insoweit zu stellenden Anforderungen jedenfalls unterhalb der Schwelle liegen, die für die Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 AufenthG oder einer außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG besteht (VG Aachen, Beschl. v. 26.10.2015 – 4 L 815/15 –, juris Rn. 19). Zur Auslegung des Begriffs kann auch die Gesetzesbegründung herangezogen werden. Danach liegt eine unbillige Härte im Sinne der Vorschrift insbesondere vor, wenn der Ausländer die Frist zur Antragstellung nur geringfügig überschritten hat, die Fristüberschreitung lediglich auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist und bei summarischer Prüfung davon ausgegangen werden kann, dass – eine rechtzeitige Antragstellung vorausgesetzt – bei ordnungsgemäßer Prüfung der Aufenthaltstitel verlängert oder ein anderer Aufenthaltstitel erteilt werden kann (BT-Drucks. 17/8682, S. 23).

26

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

27

Die Antragstellung erfolgte mit geringfügiger Verspätung nach Ablauf des Visums. Das Visum lief am 14.09.2015 ab und die Antragstellung erfolgte am 08.10.2015. Es liegt eine Verspätung von lediglich drei Wochen und drei Tagen vor. Die Kammer geht davon aus, dass eine geringfügige Zeitüberschreitung vorliegt, da die Antragstellung noch innerhalb eines Monats erfolgte und der zeitliche Zusammenhang zum abgelaufenen Visum des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung noch gegeben war (vgl. Rechtsprechung zur Geringfügigkeit der Überschreitung der Frist zur Antragstellung: bejaht bei einem Tag: VG Würzburg, Beschl. v. 20.02.2015 – W 7 S 14.1361 –, juris Rn. 23; bejaht bei einer Woche: VG Aachen, Beschl. v. 24.05.2016 – 8 L 1025/15 –, juris Rn. 6 ff.; offen gelassen bei einem Monat: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 06.08.2013 – OVG 7 S 72.13 –, juris Rn. 2; verneint bei mehr als einem Jahr: VG Berlin, Beschl. v. 30.09.2014 – 30 L 246.14 –, juris Rn. 19; verneint bei sechs Monaten: VG Aachen, Beschl. v. 26.10.2015 – 4 L 815/15 –, juris Rn. 18; verneint bei drei Monaten: VGH München, Beschl. v. 21.09.2016 – 10 ZB 16.1296 –, juris Rn. 8).

28

Eine unbillige Härte durch den Ausschluss der Fortgeltungswirkung ist ebenfalls gegeben. Denn dem Antragsteller entsteht durch das Versäumnis der Antragsfrist ein Nachteil, der von der Rechtsordnung so nicht gewollt ist und der sich als unverhältnismäßig darstellt. Das Unterbleiben der Anordnung der Fortgeltungswirkung seines Visums und die darauf beruhende Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führen für den Antragsteller zu unverhältnismäßigen Nachteilen. Denn eine Verweisung auf die Nachholung des Visumverfahrens ist für den Antragsteller unzumutbar. Der Antragsteller hat durch seinen substantiierten Vortrag und durch Vorlage der Studienbescheinigung seiner Universität und der Stellungnahme seines Universitätsmentors glaubhaft gemacht, dass er erfolgreich Humanmedizin studiert und bei ununterbrochenem Fortgang seines Studiums noch im August 2017 sein 1. Staatsexamen wird ablegen können. Glaubhaft ist auch der Vortrag zur Unvorhersehbarkeit der Dauer eines nachzuholenden Visumverfahrens. Nach den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für die Palästinensergebiete (https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/PalaestinensischeGebieteSicherheit.html, Stand 11.01.2017) ist davon auszugehen, dass beispielsweise Grenzübergänge zwischen dem Westjordanland und Israel ohne Vorankündigung gesperrt werden. Für den Antragsteller würde damit eine Einreise nach Israel unmöglich gemacht und die Ausreise nach Deutschland unvorhersehbar verzögert.

29

Zudem hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Frist zumindest aus Nachlässigkeit und nicht vorsätzlich erfolgte. An die Annahme einer unbilligen Härte dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (siehe. BT-Drucks. 17/8682, S. 22; Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 81 AufenthG, Rn. 56). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller die Antragsfrist zum Ablauf der Geltungsdauer seines Visums bewusst hat verstreichen lassen (vgl. VG Aachen, Beschl. v. 24.05.2016 – 8 L 1025/15 –, juris Rn. 8; VG Berlin, Beschl. v. 30.09.2014 – 30 L 246.14 –, juris Rn. 19). Es kann daher dahinstehen, ob der Antragsteller eine Verhinderung der rechtzeitigen Antragstellung durch Krankheit durch Vorlage eines Attestes glaubhaft gemacht hat, das mehr als zehn Monate nach der geltend gemachten Erkrankung von einem Arzt in B-Stadt ausgestellt wurde.

30

Es ist auch davon auszugehen, dass dem Antragsteller unter der Prämisse der fristgemäßen Antragstellung eine Aufenthaltserlaubnis hätte erteilt werden können. Der Aufenthalt des Antragstellers erfüllt die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Hochschulstudiums nach § 16 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Auch die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG sind erfüllt. Der Lebensunterhalt des Antragstellers kann aufgrund der Verpflichtungserklärung des Vaters des Antragstellers als gesichert gelten. Der Antragsteller ist nach § 5 Abs. 2 AufenthG mit dem erforderlichen Visum eingereist.

31

Es besteht kein Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

32

Es besteht kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wegen eines illegalen Aufenthalts des Antragstellers. Denn der Antragsteller hat sich – wie oben dargelegt – aufgrund der anzuordnenden Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG nicht ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten. Bei der Anordnung der Fortgeltungswirkung gilt der Aufenthaltstitel, dessen Fortgeltung fingiert wird, ab dem Ablauf der Geltung bis zur Entscheidung über die Neuerteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels als fortbestehend.

33

Auch ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG aufgrund mehrmaliger Verstöße gegen das Melderecht ist nicht gegeben. Zwar hat der Antragsteller sich erst im August 2016 bei der zuständigen Meldebehörde mit seinem Wohnsitz angemeldet. Jedoch ist der vorherige unangemeldete Aufenthalt im Bundesgebiet als nicht nur vereinzelter oder nur geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG anzusehen. Der Tatbestand der unterlassenen Anmeldung nach § 17 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) stellt nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 BMG (bis zum In-Kraft-Treten des Bundesmeldegesetzes am 01.11.2015 nach §§ 11 Abs. 1, 31 Abs. 1 Nr. 2 Landesmeldegesetz Schleswig-Holstein) eine Ordnungswidrigkeit dar. Eine vereinzelte Ordnungswidrigkeit stellt aber kein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse dar, weil sie nicht ähnlich schwer wiegt wie eine Straftat, die zu einer Verurteilung von einem bis zwei Jahren Freiheitsstrafe geführt hat, § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG (Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 54 AufenthG, Rn. 72). Auch liegt kein nicht nur vereinzelter Verstoß gegen Rechtsvorschriften vor. Denn es wurde bisher gegen den Antragsteller wegen eines oder mehrerer Verstöße gegen das Melderecht kein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, in dem ein Rechtsverstoß festgestellt wurde.

34

Sofern nach dem Wortlaut der Vorschrift beim Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Fortgeltungswirkung von einem Ermessen der Behörde auszugehen ist (vgl. Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 81 AufenthG, Rn. 57; Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 81 AufenthG, Rn. 25), ist dieses im vorliegenden Fall auf Null reduziert. Denn es kommt wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anordnung der Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG nur die Entscheidung zugunsten des Antragstellers in Betracht. Die Vorschrift wurde laut Gesetzesbegründung eingeführt, um einen Ausgleich für übermäßige, vom Gesetzgeber nicht intendierte Folgen zu bieten, die aus dem Ausschluss der Fortgeltungsfiktion auch in Fällen resultieren, in denen die verspätete Antragstellung aus bloßer Nachlässigkeit und nur mit einer kurzen Zeitüberschreitung erfolgt (BT-Drucks. 17/8682, S. 23). Da hier eine unbillige Härte durch die ausbleibende Fortgeltungswirkung bejaht werden kann, kommt lediglich die Entscheidung für die Anordnung der Fortgeltungswirkung in Betracht.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG.


Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist seit Dezember 1987 mit Fatma K. verheiratet. Seine Ehefrau wurde im Mai 1995 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

2

Nach einem erfolglosen, u.a. auf die Mitgliedschaft in der "Partiya Karkerên Kurdistan" (Arbeiterpartei Kurdistans, im Folgenden: PKK) gestützten Asylbegehren begab sich der Kläger nach Frankreich, wo er im Februar 1986 als politischer Flüchtling anerkannt, ihm der Aufenthalt gestattet und ein Reiseausweis ausgestellt wurde. Er war Mitglied des Vorstands des im Mai 1988 bei dem Amtsgericht Bonn - Vereinsregister - eingetragen Vereins "Union Patriotischer Intellektueller Kurdistans (YRWK)".

3

Im Oktober 1992 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Köln erteilte ihm erstmals im Dezember 1992 eine Aufenthaltserlaubnis, im November 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und im Juni 2002 eine Aufenthaltsberechtigung.

4

Bereits im März 1989 hatte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Er wurde verdächtigt, unter dem Decknamen "N." Pässe zu fälschen, mit denen die PKK Angehörige ausstattete, denen die Aufgabe zukam, "Feinde" der Partei zu töten. Im August 1994 stellte der Generalbundesanwalt das Verfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein.

5

Mit in Rechtskraft erwachsenem Strafbefehl vom 24. Juni 1999 wurde gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen festgesetzt. Er wurde beschuldigt, seine Festnahme erschwert zu haben, als er im Zuge einer Demonstration aus Anlass der Festnahme des PKK-Führers Öcalan mit einer großen Gruppe weiterer Demonstranten das Kölner Parteibüro der SPD zu erstürmen versuchte.

6

Bereits am 22. Juli 1997 hatte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beantragt. Die Beklagte hatte den unbeschränkt gestellten Antrag als auf die Einbürgerung nach § 9 RuStAG gerichtetes Begehren behandelt und mit Blick auf das seinerzeitige Nichtbestehen einer dreijährigen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen im Einvernehmen mit dem Kläger zunächst zurückgestellt. Auf ihre Anregung hin stellte dieser seinen Antrag am 20. Juni 2000 "von § 9 StAG auf § 85 AuslG" um. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte sie den Antrag auf Einbürgerung nach § 85 AuslG ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einer Einbürgerung stehe § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegen. Der Kläger habe die PKK und damit eine Bestrebung unterstützt, die sowohl gegen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sei als auch durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er habe den Ausschlussgrund jeweils selbstständig tragend durch mehrere Unterstützungshandlungen zum Vorteil der PKK verwirklicht. Als Unterstützungshandlungen seien sowohl die Passfälschungen als auch die Teilnahme an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln zu werten. Beide Unterstützungshandlungen dürften ihm weiterhin entgegengehalten werden. Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasse Handlungen nicht, die als Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu qualifizieren seien. Dessen ungeachtet erstrecke es sich nicht auf die Passfälschungen, da diese nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden seien. Jedenfalls unterfielen beide Unterstützungshandlungen dem Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, sich von der früheren Unterstützung der PKK abgewandt zu haben.

8

Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger aus, das Berufungsurteil sei, soweit es die Passfälschungen betreffe, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Jedenfalls beruhe es auf einer Verletzung des § 51 Abs. 1 BZRG, da das Verwertungsverbot der Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegenstehe. Er habe im Übrigen glaubhaft gemacht, sich von der früheren Verfolgung und Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgewandt zu haben.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband hat.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Anspruchseinbürgerung (1.). Diese ist gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vom 22. Juli 1913 (RGBl S. 583), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258), ausgeschlossen (2.).

12

1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht das Begehren des Klägers allein unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung gewürdigt.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband grundsätzlich sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren unter sämtlichen denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen ist. Der Antrag ist regelmäßig auf die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichtet unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber von der Möglichkeit Gebrauch macht, seinen Antrag auf eine bestimmte Rechtsgrundlage zu beschränken. Eine solche Beschränkung setzt eine eindeutige Erklärung des Ausländers voraus, der ein entsprechender Wille unzweifelhaft zu entnehmen ist (Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305 <308> = Buchholz 402.240 § 102a AuslG Nr. 3 S. 4 f.; vgl. Nr. 8.1.1 Abs. 3 StAR-VwV sowie Nr. 8.1.1 Abs. 3 VAH-StAG). So verhält es sich hier.

14

Der Kläger hat seinen ursprünglichen Einbürgerungsantrag vom 22. Juli 1997 gegenüber der Beklagten am 20. Juni 2000 ausdrücklich "von § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz nach § 85 Ausländergesetz" umgestellt. Er hat dadurch mit der erforderlichen Eindeutigkeit und Klarheit zu erkennen gegeben, dass über seinen Einbürgerungsanspruch nur noch unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung nach § 85 AuslG (jetzt: § 10 StAG) entschieden werden soll. Diese Beschränkung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt. Der Senat ist berechtigt, den Inhalt des klägerischen Begehrens eigenständig zu ermitteln. Zwar handelt es sich dabei um eine dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrte Tatsachenfeststellung. Diese kann hier jedoch vom Revisionsgericht ausnahmsweise jedenfalls deshalb vorgenommen werden, weil das Oberverwaltungsgericht keine Auslegung des Antrags des Klägers vorgenommen hat (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2005 - BVerwG 7 C 8.05 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 36 Rn. 30).

15

2. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass einem Rechtsanspruch des Klägers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt zu haben.

16

In revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen entsprechende Bestrebungen verfolgen (a) und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die PKK unterstützt hat (b), ohne glaubhaft gemacht zu haben, sich von dieser Unterstützung zwischenzeitlich abgewandt zu haben (c).

17

a) Der Begriff "Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind", im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist § 4 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes in der Fassung vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) entlehnt. Danach sind solche Bestrebungen politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Berlit, in: GK-StAR § 11 StAG Rn. 119, 121 und 131 f.). Bestrebungen, die im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner politischen Belange einzusetzen. Es werden nicht nur gewaltanwendende oder vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bundesgebietes gegen Nichtdeutsche. Bei einer exilpolitischen Betätigung muss die Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen.

18

Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht erkennbar ausgegangen. Seine von der Revision nicht angegriffene tatsächliche Würdigung, die PKK gefährde durch Spendengelderpressungen und Bestrafungsaktionen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und durch die Aufrechterhaltung militärischer Kampfeinheiten im kurdischen Siedlungsgebiet der Türkei und die Anwendung von Waffengewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

19

b) Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein. Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen (stRspr, vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 - BVerwGE 135, 320 Rn. 16).

20

Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer solchen Unterstützung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursächlich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen (Urteil vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 Rn. 19 und Beschluss vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 - juris Rn. 5).

21

Ausgehend von diesen von der Revision nicht angegriffenen Maßstäben hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG u.a. dadurch unterstützt hat, dass er in der Zeit von 1988 bis zum Februar 1994 unter dem Decknamen "N." Passfälschungen für die PKK durchgeführt hat. Seine Überzeugungsgewissheit hat es aus Indiztatsachen gewonnen. Als solche hat es die Bestätigung der Ehefrau des Klägers, dieser führe den Decknamen "N.", die Erwähnung des "N." als Ehemann der Fatma K. in einem Kassettenmitschnitt, die Aussage der als Kronzeugen vernommenen Person, "N." sei der Schwager des Hasan K., die im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände, den Eintrag der Festnetz-Rufnummer der Ehefrau als Rufnummer des "N." in drei beschlagnahmten Telefonlisten sowie den Umstand gewürdigt, dass die Ehefrau des Klägers in der Lage war, nach dessen Festnahme im März 1994 binnen zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM zu hinterlegen.

22

An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen ohne Erfolg bleiben (aa). Die Würdigung der Passfälschertätigkeit des Klägers als frühere Unterstützungshandlung verstößt weder gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (bb) noch gegen die Unschuldsvermutung (cc). Die Angriffe der Revision gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln gehen ins Leere (dd).

23

aa) Die von der Revision erhobenen Rügen eines Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz (1), einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (2) und eines Verstoßes gegen Denkgesetze (3) bleiben ohne Erfolg.

24

(1) Es kann dahinstehen, ob die Rüge, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es die Aussage der Ehefrau des Klägers allein auf der Grundlage eines behördlichen Vermerks gewürdigt hat, gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, den Darlegungserfordernissen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt, da sie jedenfalls unbegründet ist.

25

Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet es, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen; dies schließt eine Bindung an die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich aus. Das Gericht muss daher alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - NVwZ-RR 2011, 986 ). Dabei stellt die Aufklärungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 22. März 2006 - BVerwG 4 B 15.06 - juris Rn. 7).

26

Sind - wie hier - keine förmlichen Beweisanträge gestellt, so bestimmt das Gericht den Umfang seiner Aufklärung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es überschreitet die Grenzen dieses Ermessens, wenn es eine Ermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles - auch nach dem Vorbringen der Beteiligten - von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 a.a.O. und vom 2. November 2007 - BVerwG 3 B 58.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 70 m.w.N.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag auf, wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen seine Entscheidung noch nicht sicher tragen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stützen (vgl. Beschluss vom 14. September 2007 - BVerwG 4 B 37.07 - juris Rn. 3).

27

Das Oberverwaltungsgericht war nicht deshalb zu weiterer Sachaufklärung verpflichtet, weil der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2010 auch die "vom Verwaltungsgericht unberücksichtigt gebliebenen Beweisanträge" wiederholt hat. Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz diese Beweisanregung als unsubstantiiert gewürdigt und hierzu ausgeführt hat, sie erschöpfe sich in einem schlichten Bestreiten der Indiztatsache des Geständnisses der Ehefrau des Klägers, ohne konkrete positive Tatsachen in das Wissen der Zeugin zu stellen, die diese Indiztatsache entkräften oder im Ergebnis eine andere tatsächliche Würdigung rechtfertigen könnten. Einzelheiten, die Rückschlüsse auf eine unrichtige Beurkundung der Aussage seiner Ehefrau zulassen, legt der Kläger nicht dar. Seine Beweisanregung verhält sich weder zu dem Ablauf der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt noch zu der Reaktion seiner Ehefrau auf den seinerzeitigen Vorhalt, obwohl hierzu nicht zuletzt mit Blick auf die Gesamtheit der von dem Verwaltungsgericht gewürdigten Indizien Veranlassung bestanden hätte.

28

(2) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es unterlassen habe, auf die mangelnde Substantiierung des die Vernehmung der Ehefrau des Klägers und des Hasan K. betreffenden Beweisantritts hinzuweisen, gegen seine Pflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.

29

Diese Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Hiergegen verstößt das Gericht, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>; Beschlüsse vom 29. Juli 2004 - BVerwG 9 B 23.04 - juris Rn. 2 m.w.N. und vom 4. Juli 2007 - BVerwG 7 B 18.07 - juris Rn. 5). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.

30

Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger anwaltlich vertreten und die Belehrungspflicht aus diesem Grund ohnehin ihrem Umfang nach eingeschränkt war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>; BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218> = Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 4), waren die Beweisanträge bereits im erstinstanzlichen Verfahren - wenngleich mit anderer Begründung - abgelehnt worden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Revision wegen der Überprüfungsbedürftigkeit der Feststellung, der Kläger sei unter dem Decknamen "N." für die PKK tätig gewesen, zugelassen hat, konnte kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass das Berufungsgericht den Anträgen stattgeben würde. Dies gilt umso mehr, als dem Umstand, dass das Berufungsgericht zur Berufungsverhandlung - wie aus der Terminsladung und der darin enthaltenen Bitte, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu erklären, ersichtlich ist - keine Zeugen geladen hatte, zu entnehmen war, dass es eine Zeugenvernehmung nicht für erforderlich hielt. In dieser Situation wäre es Sache des Klägers gewesen, in prozessual geeigneter Weise auf die von ihm für geboten erachtete Beweiserhebung hinzuwirken (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2006 - BVerwG 5 B 98.05 - juris Rn. 9). Dementsprechend durfte das Berufungsgericht in der konkreten Prozesssituation abwarten, welche Beweisanträge in welcher Form in der mündlichen Verhandlung tatsächlich gestellt werden würden. Es war nicht gehalten, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es die Beweisanregungen rechtlich bewertete. Dies gilt umso mehr, als sich deren tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. September 2011 - BVerwG 5 B 11.11 - juris Rn. 3 m.w.N.).

31

(3) Ebenfalls erfolglos rügt die Revision einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

32

Die Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme gilt unter anderem für die gegen Denk- oder Naturgesetze verstoßende Sachverhaltswürdigung (Beschluss vom 21. September 2011 a.a.O. juris Rn. 9). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht jedoch schon dann, wenn das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen, selbst wenn der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar näher liegt als der vom Gericht gezogene (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - BVerwG 8 B 3.72/8 C 7.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 und vom 21. September 1982 - BVerwG 2 B 12.82 - NJW 1983, 62 <63>).

33

Die von der Revision gerügten Verstöße gegen Denkgesetze werden nicht in einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.

34

Soweit sich die Rüge gegen die Würdigung des Berufungsgerichts richtet, die am 5. Juli 1989 im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände deuteten auf die Identität des Klägers mit dem Decknamen "N." hin, beschränkt sie sich auf eine in die Form einer Verfahrensrüge gekleidete inhaltliche Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Sie setzt dieser eine eigene Würdigung entgegen, ohne jedoch Anhaltspunkte für eine willkürliche oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrenssätze verstoßende Würdigung der Erkenntnismittel zu benennen. Insbesondere zeigt sie nicht auf, welche Denkgesetze das Berufungsgericht bei der Würdigung des Sachverhalts außer Acht gelassen haben sollte. Hierfür ist dem Beschwerdevorbringen auch im Übrigen nichts zu entnehmen.

35

Ein Verstoß gegen Denkgesetze wird auch nicht hinsichtlich der Würdigung des Berufungsgerichts aufgezeigt, Indiz für eine enge Verbindung des Klägers mit der PKK sei auch der Umstand, dass seine Ehefrau nach seiner Festnahme im März 1994 innerhalb von zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM hinterlegen konnte. Dass der Sachverhalt nur die von dem Kläger in den Raum gestellte Schlussfolgerung zulässt, jede andere hingegen aus denkgesetzlichen oder logischen Gründen schlechterdings unmöglich ist, lässt sich dem Revisionsvortrag nicht entnehmen.

36

bb) Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl I S. 1229, 1985 I S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2011 (BGBl I S. 2714) steht der Berücksichtigung der Passfälschungen im Rahmen des Ausschlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Ergebnis nicht entgegen. Allerdings ist das angefochtene Urteil mit § 51 Abs. 1 BZRG insoweit nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als frühere Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nach Auffassung des Berufungsgerichts bereits tatbestandlich nicht von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasst werden (1). Die Entscheidung beruht indes nicht auf diesem Rechtsverstoß. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit § 51 Abs. 1 BZRG selbstständig tragend ausgeführt, dass die Passfälschertätigkeit auch deshalb nicht von dem Verwertungsverbot erfasst werde, weil sie nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt habe (2).

37

(1) Die Regelung über den Ausschluss der Einbürgerung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hat keinen die Anwendbarkeit des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1 BZRG ausschließenden Charakter. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmt, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.

38

Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Ausklammerung vergangener Verfolgungs- und Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aus dem Anwendungsbereich des Verwertungsverbots nicht zu. Der zentrale Begriff des Rechtsverkehrs umfasst vielmehr sämtliche Bereiche des Rechtslebens unter Einschluss des Verwaltungs- und damit auch des Staatsangehörigkeitsrechts (vgl. zum Ausländerrecht Urteil vom 5. April 1984 - BVerwG 1 C 57.81 - BVerwGE 69, 137 <143> = Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 6 S. 12 f.; ferner Götz/Tolzmann - Bundeszentralregistergesetz, 4. Aufl. 2000, § 51 Rn. 21).

39

Die Bestimmung kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt werden, dass die hier in Rede stehenden Handlungen nicht ihrem Anwendungsbereich unterfallen. Dies setzte voraus, dass eine solche Einschränkung nach den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Regelungszielen geboten ist (vgl. Urteil vom 9. Februar 2012 - BVerwG 5 C 10.11 - juris Rn. 15, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Dies ist hier nicht der Fall.

40

Die weite Fassung des Verwertungsverbotes spiegelt dessen Zweck wider, den Einbürgerungsbewerber von einem Strafmakel zu befreien und dadurch seine Resozialisierung zu begünstigen. Ziel der von dem Gedanken der Rehabilitation geprägten Regelung war die Schaffung eines umfassenden Verwertungsverbotes, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt und von dem nur abschließend aufgezählte Ausnahmen zulässig sein sollen (Götz/Tolzmann a.a.O. § 51 Rn. 4). Soweit der Gesetzgeber einzelne Bereiche des Rechts ausnehmen wollte, hat er dies abschließend in § 51 Abs. 2 und § 52 BZRG geregelt. Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG nur berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet. Insbesondere an dieser Ausnahme muss sich auch eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG messen lassen.

41

(2) § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

42

Einer unmittelbaren Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG steht entgegen, dass die Vorschrift tatbestandlich eine eingetragene Verurteilung voraussetzt. Nur strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG unterliegen gemäß § 45 Abs. 1 BZRG der Tilgung. Mit dem Verwertungsverbot soll der Verurteilte nach Tilgung bzw. Tilgungsreife von dem Makel der Verurteilung befreit und ihm die Resozialisierung erleichtert werden (BRDrucks 676/69 S. 24 und BTDrucks VI/1550 S. 21, jeweils zu § 49 BZRG a.F.). Daran fehlt es hinsichtlich der Passfälschertätigkeit.

43

Einer entsprechenden Anwendung widerstreitet, dass insoweit zwar eine Regelungslücke besteht, diese aber nicht planwidrig ist. Die Anordnung eines Verwertungsverbotes für Taten, die nicht in das Register einzutragen und aus diesem zu tilgen sind, ginge über den gemäß § 3 Nr. 1, § 4 BZRG auf strafrechtliche Verurteilungen beschränkten Rahmen des Gesetzes hinaus. Obgleich dem Gesetzgeber die Problematik seit Jahrzehnten bekannt ist, hat er keine Veranlassung gesehen, den Gedanken der Rehabilitation auch für Taten, die nicht durch eine Verurteilung strafrechtlich geahndet werden, normativ zu verankern. Dessen ungeachtet sind auch die Sachverhalte nicht vergleichbar. Das Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes, der nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden ist, ist nicht in gleicher Weise wie der aus einer Verurteilung herrührende Strafmakel geeignet, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden (Urteile vom 3. Dezember 1973 - BVerwG 1 D 62.73 - BVerwGE 46, 205 <206 f.> und vom 26. März 1996 - BVerwG 1 C 12.95 - BVerwGE 101, 24 <30> = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 76 S. 30; vgl. ferner BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72 - BGHSt 25, 64 <65> und Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04 - NStZ 2005, 397 f.).

44

cc) Das Berufungsgericht war auch nicht durch die Unschuldsvermutung gehindert, die Tätigkeit des Klägers als Passfälscher, hinsichtlich derer das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen.

45

Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts im Range eines Bundesgesetzes und schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren vorausgegangen ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 und 2 BvR 1343/88 - BVerfGE 82, 106 <114 f.>). Sie schützt hingegen nicht vor Rechtsfolgen, die - wie die Ablehnung der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband - keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert sind.

46

dd) Da das Berufungsgericht das Unterstützen von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ohne Verletzung revisiblen Rechts selbstständig tragend auf die Fälschung von Passpapieren gestützt hat, können die Angriffe gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln im Februar 1999 schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das angegriffene Urteil nicht auf einem etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit diesen Erwägungen beruhen kann. Denn eine Rechtsverletzung ist im Falle einer kumulativen Mehrfachbegründung nur kausal im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, wenn diese sämtliche Begründungsstränge erfasst oder wenn jeder der Begründungsstränge von einem individuellen Rechtsverstoß betroffen ist (Urteil vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 12 f. m.w.N.).

47

c) Der Kläger hat auch nicht im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der in Rede stehenden Bestrebungen abgewandt hat. An das Sich-Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Ausschlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein herabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des einbürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Verhaltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder Unterstützung von - wie hier - sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumindest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Vergangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen oder ihnen abschwören (vgl. Berlit a.a.O. Rn. 152 und 158; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 11 Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.).

48

Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung ersichtlich von diesen Grundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Abwendung des Klägers von der PKK vorliegen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist seit Dezember 1987 mit Fatma K. verheiratet. Seine Ehefrau wurde im Mai 1995 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

2

Nach einem erfolglosen, u.a. auf die Mitgliedschaft in der "Partiya Karkerên Kurdistan" (Arbeiterpartei Kurdistans, im Folgenden: PKK) gestützten Asylbegehren begab sich der Kläger nach Frankreich, wo er im Februar 1986 als politischer Flüchtling anerkannt, ihm der Aufenthalt gestattet und ein Reiseausweis ausgestellt wurde. Er war Mitglied des Vorstands des im Mai 1988 bei dem Amtsgericht Bonn - Vereinsregister - eingetragen Vereins "Union Patriotischer Intellektueller Kurdistans (YRWK)".

3

Im Oktober 1992 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Köln erteilte ihm erstmals im Dezember 1992 eine Aufenthaltserlaubnis, im November 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und im Juni 2002 eine Aufenthaltsberechtigung.

4

Bereits im März 1989 hatte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Er wurde verdächtigt, unter dem Decknamen "N." Pässe zu fälschen, mit denen die PKK Angehörige ausstattete, denen die Aufgabe zukam, "Feinde" der Partei zu töten. Im August 1994 stellte der Generalbundesanwalt das Verfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein.

5

Mit in Rechtskraft erwachsenem Strafbefehl vom 24. Juni 1999 wurde gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen festgesetzt. Er wurde beschuldigt, seine Festnahme erschwert zu haben, als er im Zuge einer Demonstration aus Anlass der Festnahme des PKK-Führers Öcalan mit einer großen Gruppe weiterer Demonstranten das Kölner Parteibüro der SPD zu erstürmen versuchte.

6

Bereits am 22. Juli 1997 hatte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beantragt. Die Beklagte hatte den unbeschränkt gestellten Antrag als auf die Einbürgerung nach § 9 RuStAG gerichtetes Begehren behandelt und mit Blick auf das seinerzeitige Nichtbestehen einer dreijährigen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen im Einvernehmen mit dem Kläger zunächst zurückgestellt. Auf ihre Anregung hin stellte dieser seinen Antrag am 20. Juni 2000 "von § 9 StAG auf § 85 AuslG" um. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte sie den Antrag auf Einbürgerung nach § 85 AuslG ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einer Einbürgerung stehe § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegen. Der Kläger habe die PKK und damit eine Bestrebung unterstützt, die sowohl gegen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sei als auch durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er habe den Ausschlussgrund jeweils selbstständig tragend durch mehrere Unterstützungshandlungen zum Vorteil der PKK verwirklicht. Als Unterstützungshandlungen seien sowohl die Passfälschungen als auch die Teilnahme an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln zu werten. Beide Unterstützungshandlungen dürften ihm weiterhin entgegengehalten werden. Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasse Handlungen nicht, die als Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu qualifizieren seien. Dessen ungeachtet erstrecke es sich nicht auf die Passfälschungen, da diese nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden seien. Jedenfalls unterfielen beide Unterstützungshandlungen dem Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, sich von der früheren Unterstützung der PKK abgewandt zu haben.

8

Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger aus, das Berufungsurteil sei, soweit es die Passfälschungen betreffe, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Jedenfalls beruhe es auf einer Verletzung des § 51 Abs. 1 BZRG, da das Verwertungsverbot der Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegenstehe. Er habe im Übrigen glaubhaft gemacht, sich von der früheren Verfolgung und Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgewandt zu haben.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband hat.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Anspruchseinbürgerung (1.). Diese ist gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vom 22. Juli 1913 (RGBl S. 583), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258), ausgeschlossen (2.).

12

1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht das Begehren des Klägers allein unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung gewürdigt.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband grundsätzlich sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren unter sämtlichen denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen ist. Der Antrag ist regelmäßig auf die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichtet unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber von der Möglichkeit Gebrauch macht, seinen Antrag auf eine bestimmte Rechtsgrundlage zu beschränken. Eine solche Beschränkung setzt eine eindeutige Erklärung des Ausländers voraus, der ein entsprechender Wille unzweifelhaft zu entnehmen ist (Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305 <308> = Buchholz 402.240 § 102a AuslG Nr. 3 S. 4 f.; vgl. Nr. 8.1.1 Abs. 3 StAR-VwV sowie Nr. 8.1.1 Abs. 3 VAH-StAG). So verhält es sich hier.

14

Der Kläger hat seinen ursprünglichen Einbürgerungsantrag vom 22. Juli 1997 gegenüber der Beklagten am 20. Juni 2000 ausdrücklich "von § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz nach § 85 Ausländergesetz" umgestellt. Er hat dadurch mit der erforderlichen Eindeutigkeit und Klarheit zu erkennen gegeben, dass über seinen Einbürgerungsanspruch nur noch unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung nach § 85 AuslG (jetzt: § 10 StAG) entschieden werden soll. Diese Beschränkung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt. Der Senat ist berechtigt, den Inhalt des klägerischen Begehrens eigenständig zu ermitteln. Zwar handelt es sich dabei um eine dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrte Tatsachenfeststellung. Diese kann hier jedoch vom Revisionsgericht ausnahmsweise jedenfalls deshalb vorgenommen werden, weil das Oberverwaltungsgericht keine Auslegung des Antrags des Klägers vorgenommen hat (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2005 - BVerwG 7 C 8.05 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 36 Rn. 30).

15

2. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass einem Rechtsanspruch des Klägers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt zu haben.

16

In revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen entsprechende Bestrebungen verfolgen (a) und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die PKK unterstützt hat (b), ohne glaubhaft gemacht zu haben, sich von dieser Unterstützung zwischenzeitlich abgewandt zu haben (c).

17

a) Der Begriff "Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind", im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist § 4 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes in der Fassung vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) entlehnt. Danach sind solche Bestrebungen politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Berlit, in: GK-StAR § 11 StAG Rn. 119, 121 und 131 f.). Bestrebungen, die im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner politischen Belange einzusetzen. Es werden nicht nur gewaltanwendende oder vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bundesgebietes gegen Nichtdeutsche. Bei einer exilpolitischen Betätigung muss die Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen.

18

Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht erkennbar ausgegangen. Seine von der Revision nicht angegriffene tatsächliche Würdigung, die PKK gefährde durch Spendengelderpressungen und Bestrafungsaktionen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und durch die Aufrechterhaltung militärischer Kampfeinheiten im kurdischen Siedlungsgebiet der Türkei und die Anwendung von Waffengewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

19

b) Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein. Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen (stRspr, vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 - BVerwGE 135, 320 Rn. 16).

20

Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer solchen Unterstützung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursächlich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen (Urteil vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 Rn. 19 und Beschluss vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 - juris Rn. 5).

21

Ausgehend von diesen von der Revision nicht angegriffenen Maßstäben hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG u.a. dadurch unterstützt hat, dass er in der Zeit von 1988 bis zum Februar 1994 unter dem Decknamen "N." Passfälschungen für die PKK durchgeführt hat. Seine Überzeugungsgewissheit hat es aus Indiztatsachen gewonnen. Als solche hat es die Bestätigung der Ehefrau des Klägers, dieser führe den Decknamen "N.", die Erwähnung des "N." als Ehemann der Fatma K. in einem Kassettenmitschnitt, die Aussage der als Kronzeugen vernommenen Person, "N." sei der Schwager des Hasan K., die im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände, den Eintrag der Festnetz-Rufnummer der Ehefrau als Rufnummer des "N." in drei beschlagnahmten Telefonlisten sowie den Umstand gewürdigt, dass die Ehefrau des Klägers in der Lage war, nach dessen Festnahme im März 1994 binnen zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM zu hinterlegen.

22

An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen ohne Erfolg bleiben (aa). Die Würdigung der Passfälschertätigkeit des Klägers als frühere Unterstützungshandlung verstößt weder gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (bb) noch gegen die Unschuldsvermutung (cc). Die Angriffe der Revision gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln gehen ins Leere (dd).

23

aa) Die von der Revision erhobenen Rügen eines Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz (1), einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (2) und eines Verstoßes gegen Denkgesetze (3) bleiben ohne Erfolg.

24

(1) Es kann dahinstehen, ob die Rüge, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es die Aussage der Ehefrau des Klägers allein auf der Grundlage eines behördlichen Vermerks gewürdigt hat, gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, den Darlegungserfordernissen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt, da sie jedenfalls unbegründet ist.

25

Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet es, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen; dies schließt eine Bindung an die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich aus. Das Gericht muss daher alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - NVwZ-RR 2011, 986 ). Dabei stellt die Aufklärungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 22. März 2006 - BVerwG 4 B 15.06 - juris Rn. 7).

26

Sind - wie hier - keine förmlichen Beweisanträge gestellt, so bestimmt das Gericht den Umfang seiner Aufklärung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es überschreitet die Grenzen dieses Ermessens, wenn es eine Ermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles - auch nach dem Vorbringen der Beteiligten - von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 a.a.O. und vom 2. November 2007 - BVerwG 3 B 58.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 70 m.w.N.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag auf, wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen seine Entscheidung noch nicht sicher tragen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stützen (vgl. Beschluss vom 14. September 2007 - BVerwG 4 B 37.07 - juris Rn. 3).

27

Das Oberverwaltungsgericht war nicht deshalb zu weiterer Sachaufklärung verpflichtet, weil der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2010 auch die "vom Verwaltungsgericht unberücksichtigt gebliebenen Beweisanträge" wiederholt hat. Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz diese Beweisanregung als unsubstantiiert gewürdigt und hierzu ausgeführt hat, sie erschöpfe sich in einem schlichten Bestreiten der Indiztatsache des Geständnisses der Ehefrau des Klägers, ohne konkrete positive Tatsachen in das Wissen der Zeugin zu stellen, die diese Indiztatsache entkräften oder im Ergebnis eine andere tatsächliche Würdigung rechtfertigen könnten. Einzelheiten, die Rückschlüsse auf eine unrichtige Beurkundung der Aussage seiner Ehefrau zulassen, legt der Kläger nicht dar. Seine Beweisanregung verhält sich weder zu dem Ablauf der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt noch zu der Reaktion seiner Ehefrau auf den seinerzeitigen Vorhalt, obwohl hierzu nicht zuletzt mit Blick auf die Gesamtheit der von dem Verwaltungsgericht gewürdigten Indizien Veranlassung bestanden hätte.

28

(2) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es unterlassen habe, auf die mangelnde Substantiierung des die Vernehmung der Ehefrau des Klägers und des Hasan K. betreffenden Beweisantritts hinzuweisen, gegen seine Pflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.

29

Diese Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Hiergegen verstößt das Gericht, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>; Beschlüsse vom 29. Juli 2004 - BVerwG 9 B 23.04 - juris Rn. 2 m.w.N. und vom 4. Juli 2007 - BVerwG 7 B 18.07 - juris Rn. 5). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.

30

Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger anwaltlich vertreten und die Belehrungspflicht aus diesem Grund ohnehin ihrem Umfang nach eingeschränkt war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>; BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218> = Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 4), waren die Beweisanträge bereits im erstinstanzlichen Verfahren - wenngleich mit anderer Begründung - abgelehnt worden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Revision wegen der Überprüfungsbedürftigkeit der Feststellung, der Kläger sei unter dem Decknamen "N." für die PKK tätig gewesen, zugelassen hat, konnte kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass das Berufungsgericht den Anträgen stattgeben würde. Dies gilt umso mehr, als dem Umstand, dass das Berufungsgericht zur Berufungsverhandlung - wie aus der Terminsladung und der darin enthaltenen Bitte, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu erklären, ersichtlich ist - keine Zeugen geladen hatte, zu entnehmen war, dass es eine Zeugenvernehmung nicht für erforderlich hielt. In dieser Situation wäre es Sache des Klägers gewesen, in prozessual geeigneter Weise auf die von ihm für geboten erachtete Beweiserhebung hinzuwirken (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2006 - BVerwG 5 B 98.05 - juris Rn. 9). Dementsprechend durfte das Berufungsgericht in der konkreten Prozesssituation abwarten, welche Beweisanträge in welcher Form in der mündlichen Verhandlung tatsächlich gestellt werden würden. Es war nicht gehalten, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es die Beweisanregungen rechtlich bewertete. Dies gilt umso mehr, als sich deren tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. September 2011 - BVerwG 5 B 11.11 - juris Rn. 3 m.w.N.).

31

(3) Ebenfalls erfolglos rügt die Revision einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

32

Die Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme gilt unter anderem für die gegen Denk- oder Naturgesetze verstoßende Sachverhaltswürdigung (Beschluss vom 21. September 2011 a.a.O. juris Rn. 9). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht jedoch schon dann, wenn das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen, selbst wenn der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar näher liegt als der vom Gericht gezogene (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - BVerwG 8 B 3.72/8 C 7.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 und vom 21. September 1982 - BVerwG 2 B 12.82 - NJW 1983, 62 <63>).

33

Die von der Revision gerügten Verstöße gegen Denkgesetze werden nicht in einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.

34

Soweit sich die Rüge gegen die Würdigung des Berufungsgerichts richtet, die am 5. Juli 1989 im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände deuteten auf die Identität des Klägers mit dem Decknamen "N." hin, beschränkt sie sich auf eine in die Form einer Verfahrensrüge gekleidete inhaltliche Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Sie setzt dieser eine eigene Würdigung entgegen, ohne jedoch Anhaltspunkte für eine willkürliche oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrenssätze verstoßende Würdigung der Erkenntnismittel zu benennen. Insbesondere zeigt sie nicht auf, welche Denkgesetze das Berufungsgericht bei der Würdigung des Sachverhalts außer Acht gelassen haben sollte. Hierfür ist dem Beschwerdevorbringen auch im Übrigen nichts zu entnehmen.

35

Ein Verstoß gegen Denkgesetze wird auch nicht hinsichtlich der Würdigung des Berufungsgerichts aufgezeigt, Indiz für eine enge Verbindung des Klägers mit der PKK sei auch der Umstand, dass seine Ehefrau nach seiner Festnahme im März 1994 innerhalb von zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM hinterlegen konnte. Dass der Sachverhalt nur die von dem Kläger in den Raum gestellte Schlussfolgerung zulässt, jede andere hingegen aus denkgesetzlichen oder logischen Gründen schlechterdings unmöglich ist, lässt sich dem Revisionsvortrag nicht entnehmen.

36

bb) Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl I S. 1229, 1985 I S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2011 (BGBl I S. 2714) steht der Berücksichtigung der Passfälschungen im Rahmen des Ausschlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Ergebnis nicht entgegen. Allerdings ist das angefochtene Urteil mit § 51 Abs. 1 BZRG insoweit nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als frühere Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nach Auffassung des Berufungsgerichts bereits tatbestandlich nicht von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasst werden (1). Die Entscheidung beruht indes nicht auf diesem Rechtsverstoß. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit § 51 Abs. 1 BZRG selbstständig tragend ausgeführt, dass die Passfälschertätigkeit auch deshalb nicht von dem Verwertungsverbot erfasst werde, weil sie nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt habe (2).

37

(1) Die Regelung über den Ausschluss der Einbürgerung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hat keinen die Anwendbarkeit des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1 BZRG ausschließenden Charakter. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmt, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.

38

Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Ausklammerung vergangener Verfolgungs- und Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aus dem Anwendungsbereich des Verwertungsverbots nicht zu. Der zentrale Begriff des Rechtsverkehrs umfasst vielmehr sämtliche Bereiche des Rechtslebens unter Einschluss des Verwaltungs- und damit auch des Staatsangehörigkeitsrechts (vgl. zum Ausländerrecht Urteil vom 5. April 1984 - BVerwG 1 C 57.81 - BVerwGE 69, 137 <143> = Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 6 S. 12 f.; ferner Götz/Tolzmann - Bundeszentralregistergesetz, 4. Aufl. 2000, § 51 Rn. 21).

39

Die Bestimmung kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt werden, dass die hier in Rede stehenden Handlungen nicht ihrem Anwendungsbereich unterfallen. Dies setzte voraus, dass eine solche Einschränkung nach den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Regelungszielen geboten ist (vgl. Urteil vom 9. Februar 2012 - BVerwG 5 C 10.11 - juris Rn. 15, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Dies ist hier nicht der Fall.

40

Die weite Fassung des Verwertungsverbotes spiegelt dessen Zweck wider, den Einbürgerungsbewerber von einem Strafmakel zu befreien und dadurch seine Resozialisierung zu begünstigen. Ziel der von dem Gedanken der Rehabilitation geprägten Regelung war die Schaffung eines umfassenden Verwertungsverbotes, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt und von dem nur abschließend aufgezählte Ausnahmen zulässig sein sollen (Götz/Tolzmann a.a.O. § 51 Rn. 4). Soweit der Gesetzgeber einzelne Bereiche des Rechts ausnehmen wollte, hat er dies abschließend in § 51 Abs. 2 und § 52 BZRG geregelt. Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG nur berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet. Insbesondere an dieser Ausnahme muss sich auch eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG messen lassen.

41

(2) § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

42

Einer unmittelbaren Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG steht entgegen, dass die Vorschrift tatbestandlich eine eingetragene Verurteilung voraussetzt. Nur strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG unterliegen gemäß § 45 Abs. 1 BZRG der Tilgung. Mit dem Verwertungsverbot soll der Verurteilte nach Tilgung bzw. Tilgungsreife von dem Makel der Verurteilung befreit und ihm die Resozialisierung erleichtert werden (BRDrucks 676/69 S. 24 und BTDrucks VI/1550 S. 21, jeweils zu § 49 BZRG a.F.). Daran fehlt es hinsichtlich der Passfälschertätigkeit.

43

Einer entsprechenden Anwendung widerstreitet, dass insoweit zwar eine Regelungslücke besteht, diese aber nicht planwidrig ist. Die Anordnung eines Verwertungsverbotes für Taten, die nicht in das Register einzutragen und aus diesem zu tilgen sind, ginge über den gemäß § 3 Nr. 1, § 4 BZRG auf strafrechtliche Verurteilungen beschränkten Rahmen des Gesetzes hinaus. Obgleich dem Gesetzgeber die Problematik seit Jahrzehnten bekannt ist, hat er keine Veranlassung gesehen, den Gedanken der Rehabilitation auch für Taten, die nicht durch eine Verurteilung strafrechtlich geahndet werden, normativ zu verankern. Dessen ungeachtet sind auch die Sachverhalte nicht vergleichbar. Das Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes, der nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden ist, ist nicht in gleicher Weise wie der aus einer Verurteilung herrührende Strafmakel geeignet, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden (Urteile vom 3. Dezember 1973 - BVerwG 1 D 62.73 - BVerwGE 46, 205 <206 f.> und vom 26. März 1996 - BVerwG 1 C 12.95 - BVerwGE 101, 24 <30> = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 76 S. 30; vgl. ferner BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72 - BGHSt 25, 64 <65> und Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04 - NStZ 2005, 397 f.).

44

cc) Das Berufungsgericht war auch nicht durch die Unschuldsvermutung gehindert, die Tätigkeit des Klägers als Passfälscher, hinsichtlich derer das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen.

45

Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts im Range eines Bundesgesetzes und schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren vorausgegangen ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 und 2 BvR 1343/88 - BVerfGE 82, 106 <114 f.>). Sie schützt hingegen nicht vor Rechtsfolgen, die - wie die Ablehnung der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband - keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert sind.

46

dd) Da das Berufungsgericht das Unterstützen von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ohne Verletzung revisiblen Rechts selbstständig tragend auf die Fälschung von Passpapieren gestützt hat, können die Angriffe gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln im Februar 1999 schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das angegriffene Urteil nicht auf einem etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit diesen Erwägungen beruhen kann. Denn eine Rechtsverletzung ist im Falle einer kumulativen Mehrfachbegründung nur kausal im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, wenn diese sämtliche Begründungsstränge erfasst oder wenn jeder der Begründungsstränge von einem individuellen Rechtsverstoß betroffen ist (Urteil vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 12 f. m.w.N.).

47

c) Der Kläger hat auch nicht im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der in Rede stehenden Bestrebungen abgewandt hat. An das Sich-Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Ausschlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein herabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des einbürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Verhaltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder Unterstützung von - wie hier - sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumindest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Vergangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen oder ihnen abschwören (vgl. Berlit a.a.O. Rn. 152 und 158; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 11 Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.).

48

Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung ersichtlich von diesen Grundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Abwendung des Klägers von der PKK vorliegen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot). Mit dem Verbot ist in der Regel die Beschlagnahme und die Einziehung

1.
des Vereinsvermögens,
2.
von Forderungen Dritter, soweit die Einziehung in § 12 Abs. 1 vorgesehen ist, und
3.
von Sachen Dritter, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat oder die Sachen zur Förderung dieser Bestrebungen bestimmt sind,
zu verbinden.

(2) Verbotsbehörde ist

1.
die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken;
2.
das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für Vereine und Teilvereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.
Die oberste Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, wenn sich das Verbot gegen den Teilverein eines Vereins richtet, für dessen Verbot nach Satz 1 Nr. 2 das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zuständig ist. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit Behörden, die nach Satz 1 Nr. 1 für das Verbot von Teilvereinen zuständig gewesen wären.

(3) Das Verbot erstreckt sich, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, daß sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Auf nichtgebietliche Teilorganisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit erstreckt sich das Verbot nur, wenn sie in der Verbotsverfügung ausdrücklich benannt sind.

(4) Das Verbot ist schriftlich oder elektronisch mit einer dauerhaft überprüfbaren Signatur nach § 37 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes abzufassen, zu begründen und dem Verein, im Falle des Absatzes 3 Satz 2 auch den Teilorganisationen, zuzustellen. Der verfügende Teil des Verbots ist im Bundesanzeiger und danach im amtlichen Mitteilungsblatt des Landes bekanntzumachen, in dem der Verein oder, sofern sich das Verbot hierauf beschränkt, der Teilverein seinen Sitz hat; Verbote nach § 15 werden nur im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Das Verbot wird mit der Zustellung, spätestens mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger, wirksam und vollziehbar; § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.

(5) Die Verbotsbehörde kann das Verbot auch auf Handlungen von Mitgliedern des Vereins stützen, wenn

1.
ein Zusammenhang zur Tätigkeit im Verein oder zu seiner Zielsetzung besteht,
2.
die Handlungen auf einer organisierten Willensbildung beruhen und
3.
nach den Umständen anzunehmen ist, daß sie vom Verein geduldet werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist seit Dezember 1987 mit Fatma K. verheiratet. Seine Ehefrau wurde im Mai 1995 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

2

Nach einem erfolglosen, u.a. auf die Mitgliedschaft in der "Partiya Karkerên Kurdistan" (Arbeiterpartei Kurdistans, im Folgenden: PKK) gestützten Asylbegehren begab sich der Kläger nach Frankreich, wo er im Februar 1986 als politischer Flüchtling anerkannt, ihm der Aufenthalt gestattet und ein Reiseausweis ausgestellt wurde. Er war Mitglied des Vorstands des im Mai 1988 bei dem Amtsgericht Bonn - Vereinsregister - eingetragen Vereins "Union Patriotischer Intellektueller Kurdistans (YRWK)".

3

Im Oktober 1992 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Köln erteilte ihm erstmals im Dezember 1992 eine Aufenthaltserlaubnis, im November 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und im Juni 2002 eine Aufenthaltsberechtigung.

4

Bereits im März 1989 hatte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Er wurde verdächtigt, unter dem Decknamen "N." Pässe zu fälschen, mit denen die PKK Angehörige ausstattete, denen die Aufgabe zukam, "Feinde" der Partei zu töten. Im August 1994 stellte der Generalbundesanwalt das Verfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein.

5

Mit in Rechtskraft erwachsenem Strafbefehl vom 24. Juni 1999 wurde gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen festgesetzt. Er wurde beschuldigt, seine Festnahme erschwert zu haben, als er im Zuge einer Demonstration aus Anlass der Festnahme des PKK-Führers Öcalan mit einer großen Gruppe weiterer Demonstranten das Kölner Parteibüro der SPD zu erstürmen versuchte.

6

Bereits am 22. Juli 1997 hatte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beantragt. Die Beklagte hatte den unbeschränkt gestellten Antrag als auf die Einbürgerung nach § 9 RuStAG gerichtetes Begehren behandelt und mit Blick auf das seinerzeitige Nichtbestehen einer dreijährigen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen im Einvernehmen mit dem Kläger zunächst zurückgestellt. Auf ihre Anregung hin stellte dieser seinen Antrag am 20. Juni 2000 "von § 9 StAG auf § 85 AuslG" um. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte sie den Antrag auf Einbürgerung nach § 85 AuslG ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einer Einbürgerung stehe § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegen. Der Kläger habe die PKK und damit eine Bestrebung unterstützt, die sowohl gegen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sei als auch durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er habe den Ausschlussgrund jeweils selbstständig tragend durch mehrere Unterstützungshandlungen zum Vorteil der PKK verwirklicht. Als Unterstützungshandlungen seien sowohl die Passfälschungen als auch die Teilnahme an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln zu werten. Beide Unterstützungshandlungen dürften ihm weiterhin entgegengehalten werden. Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasse Handlungen nicht, die als Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu qualifizieren seien. Dessen ungeachtet erstrecke es sich nicht auf die Passfälschungen, da diese nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden seien. Jedenfalls unterfielen beide Unterstützungshandlungen dem Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, sich von der früheren Unterstützung der PKK abgewandt zu haben.

8

Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger aus, das Berufungsurteil sei, soweit es die Passfälschungen betreffe, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Jedenfalls beruhe es auf einer Verletzung des § 51 Abs. 1 BZRG, da das Verwertungsverbot der Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegenstehe. Er habe im Übrigen glaubhaft gemacht, sich von der früheren Verfolgung und Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgewandt zu haben.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband hat.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Anspruchseinbürgerung (1.). Diese ist gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vom 22. Juli 1913 (RGBl S. 583), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258), ausgeschlossen (2.).

12

1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht das Begehren des Klägers allein unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung gewürdigt.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband grundsätzlich sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren unter sämtlichen denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen ist. Der Antrag ist regelmäßig auf die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichtet unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber von der Möglichkeit Gebrauch macht, seinen Antrag auf eine bestimmte Rechtsgrundlage zu beschränken. Eine solche Beschränkung setzt eine eindeutige Erklärung des Ausländers voraus, der ein entsprechender Wille unzweifelhaft zu entnehmen ist (Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305 <308> = Buchholz 402.240 § 102a AuslG Nr. 3 S. 4 f.; vgl. Nr. 8.1.1 Abs. 3 StAR-VwV sowie Nr. 8.1.1 Abs. 3 VAH-StAG). So verhält es sich hier.

14

Der Kläger hat seinen ursprünglichen Einbürgerungsantrag vom 22. Juli 1997 gegenüber der Beklagten am 20. Juni 2000 ausdrücklich "von § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz nach § 85 Ausländergesetz" umgestellt. Er hat dadurch mit der erforderlichen Eindeutigkeit und Klarheit zu erkennen gegeben, dass über seinen Einbürgerungsanspruch nur noch unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung nach § 85 AuslG (jetzt: § 10 StAG) entschieden werden soll. Diese Beschränkung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt. Der Senat ist berechtigt, den Inhalt des klägerischen Begehrens eigenständig zu ermitteln. Zwar handelt es sich dabei um eine dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrte Tatsachenfeststellung. Diese kann hier jedoch vom Revisionsgericht ausnahmsweise jedenfalls deshalb vorgenommen werden, weil das Oberverwaltungsgericht keine Auslegung des Antrags des Klägers vorgenommen hat (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2005 - BVerwG 7 C 8.05 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 36 Rn. 30).

15

2. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass einem Rechtsanspruch des Klägers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt zu haben.

16

In revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen entsprechende Bestrebungen verfolgen (a) und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die PKK unterstützt hat (b), ohne glaubhaft gemacht zu haben, sich von dieser Unterstützung zwischenzeitlich abgewandt zu haben (c).

17

a) Der Begriff "Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind", im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist § 4 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes in der Fassung vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) entlehnt. Danach sind solche Bestrebungen politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Berlit, in: GK-StAR § 11 StAG Rn. 119, 121 und 131 f.). Bestrebungen, die im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner politischen Belange einzusetzen. Es werden nicht nur gewaltanwendende oder vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bundesgebietes gegen Nichtdeutsche. Bei einer exilpolitischen Betätigung muss die Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen.

18

Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht erkennbar ausgegangen. Seine von der Revision nicht angegriffene tatsächliche Würdigung, die PKK gefährde durch Spendengelderpressungen und Bestrafungsaktionen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und durch die Aufrechterhaltung militärischer Kampfeinheiten im kurdischen Siedlungsgebiet der Türkei und die Anwendung von Waffengewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

19

b) Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein. Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen (stRspr, vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 - BVerwGE 135, 320 Rn. 16).

20

Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer solchen Unterstützung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursächlich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen (Urteil vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 Rn. 19 und Beschluss vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 - juris Rn. 5).

21

Ausgehend von diesen von der Revision nicht angegriffenen Maßstäben hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG u.a. dadurch unterstützt hat, dass er in der Zeit von 1988 bis zum Februar 1994 unter dem Decknamen "N." Passfälschungen für die PKK durchgeführt hat. Seine Überzeugungsgewissheit hat es aus Indiztatsachen gewonnen. Als solche hat es die Bestätigung der Ehefrau des Klägers, dieser führe den Decknamen "N.", die Erwähnung des "N." als Ehemann der Fatma K. in einem Kassettenmitschnitt, die Aussage der als Kronzeugen vernommenen Person, "N." sei der Schwager des Hasan K., die im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände, den Eintrag der Festnetz-Rufnummer der Ehefrau als Rufnummer des "N." in drei beschlagnahmten Telefonlisten sowie den Umstand gewürdigt, dass die Ehefrau des Klägers in der Lage war, nach dessen Festnahme im März 1994 binnen zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM zu hinterlegen.

22

An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen ohne Erfolg bleiben (aa). Die Würdigung der Passfälschertätigkeit des Klägers als frühere Unterstützungshandlung verstößt weder gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (bb) noch gegen die Unschuldsvermutung (cc). Die Angriffe der Revision gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln gehen ins Leere (dd).

23

aa) Die von der Revision erhobenen Rügen eines Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz (1), einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (2) und eines Verstoßes gegen Denkgesetze (3) bleiben ohne Erfolg.

24

(1) Es kann dahinstehen, ob die Rüge, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es die Aussage der Ehefrau des Klägers allein auf der Grundlage eines behördlichen Vermerks gewürdigt hat, gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, den Darlegungserfordernissen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt, da sie jedenfalls unbegründet ist.

25

Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet es, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen; dies schließt eine Bindung an die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich aus. Das Gericht muss daher alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - NVwZ-RR 2011, 986 ). Dabei stellt die Aufklärungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 22. März 2006 - BVerwG 4 B 15.06 - juris Rn. 7).

26

Sind - wie hier - keine förmlichen Beweisanträge gestellt, so bestimmt das Gericht den Umfang seiner Aufklärung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es überschreitet die Grenzen dieses Ermessens, wenn es eine Ermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles - auch nach dem Vorbringen der Beteiligten - von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 a.a.O. und vom 2. November 2007 - BVerwG 3 B 58.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 70 m.w.N.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag auf, wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen seine Entscheidung noch nicht sicher tragen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stützen (vgl. Beschluss vom 14. September 2007 - BVerwG 4 B 37.07 - juris Rn. 3).

27

Das Oberverwaltungsgericht war nicht deshalb zu weiterer Sachaufklärung verpflichtet, weil der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2010 auch die "vom Verwaltungsgericht unberücksichtigt gebliebenen Beweisanträge" wiederholt hat. Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz diese Beweisanregung als unsubstantiiert gewürdigt und hierzu ausgeführt hat, sie erschöpfe sich in einem schlichten Bestreiten der Indiztatsache des Geständnisses der Ehefrau des Klägers, ohne konkrete positive Tatsachen in das Wissen der Zeugin zu stellen, die diese Indiztatsache entkräften oder im Ergebnis eine andere tatsächliche Würdigung rechtfertigen könnten. Einzelheiten, die Rückschlüsse auf eine unrichtige Beurkundung der Aussage seiner Ehefrau zulassen, legt der Kläger nicht dar. Seine Beweisanregung verhält sich weder zu dem Ablauf der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt noch zu der Reaktion seiner Ehefrau auf den seinerzeitigen Vorhalt, obwohl hierzu nicht zuletzt mit Blick auf die Gesamtheit der von dem Verwaltungsgericht gewürdigten Indizien Veranlassung bestanden hätte.

28

(2) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es unterlassen habe, auf die mangelnde Substantiierung des die Vernehmung der Ehefrau des Klägers und des Hasan K. betreffenden Beweisantritts hinzuweisen, gegen seine Pflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.

29

Diese Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Hiergegen verstößt das Gericht, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>; Beschlüsse vom 29. Juli 2004 - BVerwG 9 B 23.04 - juris Rn. 2 m.w.N. und vom 4. Juli 2007 - BVerwG 7 B 18.07 - juris Rn. 5). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.

30

Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger anwaltlich vertreten und die Belehrungspflicht aus diesem Grund ohnehin ihrem Umfang nach eingeschränkt war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>; BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218> = Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 4), waren die Beweisanträge bereits im erstinstanzlichen Verfahren - wenngleich mit anderer Begründung - abgelehnt worden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Revision wegen der Überprüfungsbedürftigkeit der Feststellung, der Kläger sei unter dem Decknamen "N." für die PKK tätig gewesen, zugelassen hat, konnte kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass das Berufungsgericht den Anträgen stattgeben würde. Dies gilt umso mehr, als dem Umstand, dass das Berufungsgericht zur Berufungsverhandlung - wie aus der Terminsladung und der darin enthaltenen Bitte, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu erklären, ersichtlich ist - keine Zeugen geladen hatte, zu entnehmen war, dass es eine Zeugenvernehmung nicht für erforderlich hielt. In dieser Situation wäre es Sache des Klägers gewesen, in prozessual geeigneter Weise auf die von ihm für geboten erachtete Beweiserhebung hinzuwirken (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2006 - BVerwG 5 B 98.05 - juris Rn. 9). Dementsprechend durfte das Berufungsgericht in der konkreten Prozesssituation abwarten, welche Beweisanträge in welcher Form in der mündlichen Verhandlung tatsächlich gestellt werden würden. Es war nicht gehalten, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es die Beweisanregungen rechtlich bewertete. Dies gilt umso mehr, als sich deren tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. September 2011 - BVerwG 5 B 11.11 - juris Rn. 3 m.w.N.).

31

(3) Ebenfalls erfolglos rügt die Revision einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

32

Die Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme gilt unter anderem für die gegen Denk- oder Naturgesetze verstoßende Sachverhaltswürdigung (Beschluss vom 21. September 2011 a.a.O. juris Rn. 9). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht jedoch schon dann, wenn das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen, selbst wenn der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar näher liegt als der vom Gericht gezogene (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - BVerwG 8 B 3.72/8 C 7.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 und vom 21. September 1982 - BVerwG 2 B 12.82 - NJW 1983, 62 <63>).

33

Die von der Revision gerügten Verstöße gegen Denkgesetze werden nicht in einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.

34

Soweit sich die Rüge gegen die Würdigung des Berufungsgerichts richtet, die am 5. Juli 1989 im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände deuteten auf die Identität des Klägers mit dem Decknamen "N." hin, beschränkt sie sich auf eine in die Form einer Verfahrensrüge gekleidete inhaltliche Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Sie setzt dieser eine eigene Würdigung entgegen, ohne jedoch Anhaltspunkte für eine willkürliche oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrenssätze verstoßende Würdigung der Erkenntnismittel zu benennen. Insbesondere zeigt sie nicht auf, welche Denkgesetze das Berufungsgericht bei der Würdigung des Sachverhalts außer Acht gelassen haben sollte. Hierfür ist dem Beschwerdevorbringen auch im Übrigen nichts zu entnehmen.

35

Ein Verstoß gegen Denkgesetze wird auch nicht hinsichtlich der Würdigung des Berufungsgerichts aufgezeigt, Indiz für eine enge Verbindung des Klägers mit der PKK sei auch der Umstand, dass seine Ehefrau nach seiner Festnahme im März 1994 innerhalb von zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM hinterlegen konnte. Dass der Sachverhalt nur die von dem Kläger in den Raum gestellte Schlussfolgerung zulässt, jede andere hingegen aus denkgesetzlichen oder logischen Gründen schlechterdings unmöglich ist, lässt sich dem Revisionsvortrag nicht entnehmen.

36

bb) Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl I S. 1229, 1985 I S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2011 (BGBl I S. 2714) steht der Berücksichtigung der Passfälschungen im Rahmen des Ausschlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Ergebnis nicht entgegen. Allerdings ist das angefochtene Urteil mit § 51 Abs. 1 BZRG insoweit nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als frühere Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nach Auffassung des Berufungsgerichts bereits tatbestandlich nicht von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasst werden (1). Die Entscheidung beruht indes nicht auf diesem Rechtsverstoß. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit § 51 Abs. 1 BZRG selbstständig tragend ausgeführt, dass die Passfälschertätigkeit auch deshalb nicht von dem Verwertungsverbot erfasst werde, weil sie nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt habe (2).

37

(1) Die Regelung über den Ausschluss der Einbürgerung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hat keinen die Anwendbarkeit des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1 BZRG ausschließenden Charakter. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmt, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.

38

Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Ausklammerung vergangener Verfolgungs- und Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aus dem Anwendungsbereich des Verwertungsverbots nicht zu. Der zentrale Begriff des Rechtsverkehrs umfasst vielmehr sämtliche Bereiche des Rechtslebens unter Einschluss des Verwaltungs- und damit auch des Staatsangehörigkeitsrechts (vgl. zum Ausländerrecht Urteil vom 5. April 1984 - BVerwG 1 C 57.81 - BVerwGE 69, 137 <143> = Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 6 S. 12 f.; ferner Götz/Tolzmann - Bundeszentralregistergesetz, 4. Aufl. 2000, § 51 Rn. 21).

39

Die Bestimmung kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt werden, dass die hier in Rede stehenden Handlungen nicht ihrem Anwendungsbereich unterfallen. Dies setzte voraus, dass eine solche Einschränkung nach den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Regelungszielen geboten ist (vgl. Urteil vom 9. Februar 2012 - BVerwG 5 C 10.11 - juris Rn. 15, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Dies ist hier nicht der Fall.

40

Die weite Fassung des Verwertungsverbotes spiegelt dessen Zweck wider, den Einbürgerungsbewerber von einem Strafmakel zu befreien und dadurch seine Resozialisierung zu begünstigen. Ziel der von dem Gedanken der Rehabilitation geprägten Regelung war die Schaffung eines umfassenden Verwertungsverbotes, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt und von dem nur abschließend aufgezählte Ausnahmen zulässig sein sollen (Götz/Tolzmann a.a.O. § 51 Rn. 4). Soweit der Gesetzgeber einzelne Bereiche des Rechts ausnehmen wollte, hat er dies abschließend in § 51 Abs. 2 und § 52 BZRG geregelt. Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG nur berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet. Insbesondere an dieser Ausnahme muss sich auch eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG messen lassen.

41

(2) § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

42

Einer unmittelbaren Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG steht entgegen, dass die Vorschrift tatbestandlich eine eingetragene Verurteilung voraussetzt. Nur strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG unterliegen gemäß § 45 Abs. 1 BZRG der Tilgung. Mit dem Verwertungsverbot soll der Verurteilte nach Tilgung bzw. Tilgungsreife von dem Makel der Verurteilung befreit und ihm die Resozialisierung erleichtert werden (BRDrucks 676/69 S. 24 und BTDrucks VI/1550 S. 21, jeweils zu § 49 BZRG a.F.). Daran fehlt es hinsichtlich der Passfälschertätigkeit.

43

Einer entsprechenden Anwendung widerstreitet, dass insoweit zwar eine Regelungslücke besteht, diese aber nicht planwidrig ist. Die Anordnung eines Verwertungsverbotes für Taten, die nicht in das Register einzutragen und aus diesem zu tilgen sind, ginge über den gemäß § 3 Nr. 1, § 4 BZRG auf strafrechtliche Verurteilungen beschränkten Rahmen des Gesetzes hinaus. Obgleich dem Gesetzgeber die Problematik seit Jahrzehnten bekannt ist, hat er keine Veranlassung gesehen, den Gedanken der Rehabilitation auch für Taten, die nicht durch eine Verurteilung strafrechtlich geahndet werden, normativ zu verankern. Dessen ungeachtet sind auch die Sachverhalte nicht vergleichbar. Das Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes, der nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden ist, ist nicht in gleicher Weise wie der aus einer Verurteilung herrührende Strafmakel geeignet, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden (Urteile vom 3. Dezember 1973 - BVerwG 1 D 62.73 - BVerwGE 46, 205 <206 f.> und vom 26. März 1996 - BVerwG 1 C 12.95 - BVerwGE 101, 24 <30> = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 76 S. 30; vgl. ferner BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72 - BGHSt 25, 64 <65> und Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04 - NStZ 2005, 397 f.).

44

cc) Das Berufungsgericht war auch nicht durch die Unschuldsvermutung gehindert, die Tätigkeit des Klägers als Passfälscher, hinsichtlich derer das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen.

45

Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts im Range eines Bundesgesetzes und schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren vorausgegangen ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 und 2 BvR 1343/88 - BVerfGE 82, 106 <114 f.>). Sie schützt hingegen nicht vor Rechtsfolgen, die - wie die Ablehnung der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband - keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert sind.

46

dd) Da das Berufungsgericht das Unterstützen von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ohne Verletzung revisiblen Rechts selbstständig tragend auf die Fälschung von Passpapieren gestützt hat, können die Angriffe gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln im Februar 1999 schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das angegriffene Urteil nicht auf einem etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit diesen Erwägungen beruhen kann. Denn eine Rechtsverletzung ist im Falle einer kumulativen Mehrfachbegründung nur kausal im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, wenn diese sämtliche Begründungsstränge erfasst oder wenn jeder der Begründungsstränge von einem individuellen Rechtsverstoß betroffen ist (Urteil vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 12 f. m.w.N.).

47

c) Der Kläger hat auch nicht im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der in Rede stehenden Bestrebungen abgewandt hat. An das Sich-Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Ausschlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein herabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des einbürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Verhaltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder Unterstützung von - wie hier - sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumindest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Vergangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen oder ihnen abschwören (vgl. Berlit a.a.O. Rn. 152 und 158; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 11 Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.).

48

Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung ersichtlich von diesen Grundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Abwendung des Klägers von der PKK vorliegen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Tenor

Die Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2010 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K 901/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger reiste mit seiner Ehefrau und seinen vier ältesten Kindern im Januar 1990 in das Bundesgebiet ein, beantragte die Gewährung politischen Asyls und gab an, staatenloser Kurde aus dem Libanon zu sein.

Am 22.11.1991 machten er und seine Ehefrau ausweislich notarieller Urkunde gleichen Datums - Urkundenrolle-Nr. .../1991 - (Bl. 12 - 14 d. Verwaltungsakte) im Rahmen einer Versicherung an Eides statt unter Hinzuziehung eines für die arabische Sprache - nicht hingegen für türkisch oder kurdisch - vereidigten Dolmetschers Angaben zu den Geburtsdaten und -orten der einzelnen Familienmitglieder (jeweils Beirut) sowie zu Tag und Ort ihrer Eheschließung (ebenfalls Beirut). Weitere Schriftstücke zu Herkunft und Abstammung des Klägers befinden sich in der Verwaltungsakte in Gestalt von Übersetzungen den Libanon betreffender Aufenthaltserlaubnisse seiner Eltern, die - ausweislich der Übersetzungen - am 23.7.1975 (Vater) bzw. am 21.8.1975 (Mutter) von der Libanesischen Republik - Innenministerium - ausgestellt worden sind und hinsichtlich der Nationalität jeweils den Eintrag „ungeklärt“ enthalten (Bl. 227 und 228 d. Verwaltungsakte).

Nach rechtskräftiger Abweisung der Asylklage im März 1993 wurden dem seit Dezember 1993 verwitweten Kläger und seinen zwischenzeitlich sechs Kindern am 14.11.1996 auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnisse aufgrund der Härtefallregelung für Familien mit langjährigem Aufenthalt erteilt, deren Geltung später mehrfach verlängert wurde. Seit 1997 ist der Kläger erwerbstätig, hat aber zunächst noch ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt der Familie bezogen, die zum 1.2.2002 eingestellt werden konnte, weil das Familieneinkommen seitdem zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreicht.

Am 19.7.2001 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Er gab in dem entsprechenden Antragsformular hinsichtlich seiner Selbst, seiner verstorbenen Ehefrau, seiner Kinder und seiner Eltern an, staatenlose kurdische Volkszugehörige zu sein, und beantwortete die Fragen „wehrpflichtig“ bzw. „anderer Militärdienst“ jeweils durch Ankreuzen der Antwort „nein“. In den Rubriken „vom Wehrdienst befreit“ bzw. „Wehrdienst abgeleistet“ befinden sich keine Eintragungen. Zu seinem bisherigen Aufenthalt gab er an, von seiner Geburt bis Januar 1990 in Beirut/Libanon gelebt zu haben.

Am 9.9.2003 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Während des Einbürgerungsverfahrens aufgetretene Zweifel an der Herkunft des Klägers aus dem Libanon bestätigten sich im Rahmen einer im Oktober/November 2004 durchgeführten erkennungsdienstlichen Überprüfung seiner Identität nicht.

Am 3.12.2004 wurde der Kläger durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde eingebürgert. Seine Kinder wurden unter gleichem Datum bzw. unter dem Datum 6.5.2005 eingebürgert.

Im Juni/Juli 2005 teilte die Ausländerbehörde des Landkreises Hildesheim der für den Kläger zuständig gewesenen Ausländerbehörde unter Vorlage eines türkischen Registerauszugs mit, dass Anhaltspunkte für eine türkische Staatsangehörigkeit des Klägers bestünden. Ein Personenfeststellungsverfahren unter Beteiligung von Interpol Ankara ergab im Dezember 2006, dass der Kläger als türkischer Staatsbürger registriert ist.

Zu diesen Erkenntnissen und der auf sie gestützten Absicht der Rücknahme seiner Einbürgerung wurde der Kläger durch Schreiben des Beklagten vom 22.5.2007 angehört.

Mit Schreiben vom 31.7.2007 ließ er sich dahingehend ein, dass er kurdischer Volkszugehöriger und in Beirut geboren sei. Dort habe er bis 1976 gelebt und sei dann wegen des Ausbruchs des Bürgerkrieges mit seinen Eltern und der gesamten Familie in die Türkei geflohen, wo sein Vater Verwandtschaft gehabt habe. Da die Familienmitglieder die libanesische Staatsangehörigkeit nicht besessen hätten, hätten sie keine libanesischen Pässe, sondern nur Laissez-Passer als Identitätspapiere gehabt, mit denen sie nicht in die Türkei hätten einreisen können. Aus Erzählungen des Vaters wisse er, dass dieser die Grenzbeamten bestochen habe, um die Einreise in die Türkei zu bewerkstelligen und türkische Pässe, ausgestellt auf den türkischen Namen K. - A. sei ein arabischer Name -, zu beschaffen. In der Folge habe er auch den zweijährigen türkischen Wehrdienst abgeleistet. Als sich die Lage im Libanon um1980 beruhigt habe, sei die Familie dorthin zurückgekehrt, sei aber etwa 1982 wegen Verschlechterung der politischen Lage erneut in die Türkei ausgewandert. Dieses Hin und Her habe sich in der Folgezeit wiederholt. 1990 habe er sich im Libanon befunden und sei von dort unter seinem richtigen libanesischen (arabischen) Namen A. in die Bundesrepublik ausgereist. Bei der Einreise habe er sein libanesisches Laissez-Passer vorgelegt.

Am 16.4.2009 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Merzig von dem strafrechtlichen Vorwurf, durch falsche Angaben gegen das Ausländergesetz verstoßen und eine mittelbare Falschbeurkundung begangen zu haben, mangels Nachweises der türkischen Staatsangehörigkeit freigesprochen (25 Cs 24 Js 1557/02).

Durch Bescheid vom 9.9.2009, zugestellt am 10.9.2009, nahm der Beklagte die Einbürgerung des Klägers unter Rückforderung der Einbürgerungsurkunde und Festsetzung einer Verwaltungsgebühr von 255,- Euro nach § 35 StAG rückwirkend zum 3.12.2004 zurück, da der Inlandsaufenthalt und die Einbürgerung durch arglistige Täuschung in Gestalt des Vorspiegelns falscher Personalien und bewussten Verschweigens persönlicher Verhältnisse erwirkt worden seien und der Kläger daher keinen Vertrauensschutz genieße. Hinsichtlich der Kinder des Klägers sind keine entsprechenden Verfahren eingeleitet worden.

Gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung hat der Kläger am 16.9.2009 Klage erhoben und geltend gemacht, er habe keine falsche Identität vorgetäuscht, da er von seiner Abstammung her staatenloser kurdischer Volkszugehöriger sei. Die türkische Staatsangehörigkeit habe er nie besessen und auch 1976 nicht erworben, da die Bestechung der türkischen Grenzbeamten keine ordnungsgemäße Einbürgerung bewirkt habe. Seine Angaben im Einbürgerungsformular zum Thema Wehrdienst seien nicht falsch gewesen, da er die Fragen auf sein Herkunftsland Libanon bezogen und diesbezüglich vollständig und zutreffend beantwortet habe. Mangels damaliger Beherrschung der deutschen Schriftsprache habe er die Ausfüllung des Formulars seinem ältesten Kind überlassen. Auch im strafgerichtlichen Verfahren habe sich der Vorwurf falscher Angaben nicht bestätigt. Die Festsetzung der Höchstgebühr als Verwaltungsgebühr sei nicht gerechtfertigt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 9.9.2009 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, der strafgerichtliche Freispruch ändere nichts daran, dass der Kläger seine Einbürgerung durch vorsätzliche unrichtige und unvollständige Angaben erwirkt habe. So habe er bewusst alle Angaben, die auf einen Bezug zur Türkei hingedeutet hätten, unterlassen, um seine Einbürgerung nicht zu gefährden. Seine diesbezüglichen Erklärungsversuche überzeugten weder rechtlich noch tatsächlich und müssten als Schutzbehauptungen bewertet werden.

Durch aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14.9.2010 ergangenes Urteil, dem Beklagten zugestellt am 3.11.2010, hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die Berufung gegen das Urteil zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der die Rücknahme einer Einbürgerung regelnden Vorschrift des § 35 StAG erfüllt seien, da der Kläger seine Einbürgerung durch vorsätzliche unrichtige und unvollständige Angaben erwirkt habe. Ungeachtet der Frage, ob § 35 StAG der Behörde ein intendiertes oder ein freies Ermessen einräume, fehle es an einer ordnungsgemäßen, den Verhältnismäßigkeitgrundsatz im Einzelfall angemessen berücksichtigenden Ermessensbetätigung, die auch im Rahmen eines intendierten Ermessens unabdingbar sei. Dem öffentlichen Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände im Staatsangehörigkeitsrecht sei durchschlagendes Gewicht beigemessen worden, ohne die besonderen Lebensumstände des Klägers - insbesondere seine gelungene wirtschaftliche und soziale Integration, seine nachgewiesen ausgezeichneten Deutschkenntnisse und seine strafrechtliche Unbescholtenheit - sowie die Tatsache, dass die Fünfjahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG zur Zeit der Rücknahme bereits fast verstrichen war, in die Abwägung einzubeziehen und ihrer Bedeutung entsprechend zu gewichten.

Der Beklagte hat am 25.11.2010 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20.12.2010, eingegangen am 23.12.2010, begründet.

Seines Erachtens steht außer Frage, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rücknahme der Einbürgerung erfüllt sind. Der Kläger habe sowohl im ausländerrechtlichen Verfahren wie auch im Einbürgerungsverfahren über seine Staatsangehörigkeit getäuscht, da er seine Aufenthalte in der Türkei, seine dortige Registrierung als türkischer Staatsangehöriger und die Tatsache, in der Türkei Wehrdienst abgeleistet zu haben, verschwiegen habe. Hierdurch habe er zunächst ein Daueraufenthaltsrecht und sodann seine Einbürgerung erlangt, letzteres ohne zuvor das Verfahren zur Aufgabe seiner türkischen Staatsangehörigkeit zu durchlaufen. Durch die so erschlichene Einbürgerung sei die Ausländerbehörde unzuständig und damit eine Rücknahme der rechtswidrigen Aufenthaltstitel unmöglich geworden. Es könne nicht sein, dass der Beklagte die einbürgerungsrelevante Täuschung infolge seiner Bindung an Entscheidungen der Ausländerbehörde reaktionslos hinnehmen müsse. Der vom Kläger bewirkte Irrtum über dessen Staatsangehörigkeit habe sich unmittelbar auf eine tatbestandliche Voraussetzung der Einbürgerung bezogen, so dass die konkret erfolgte Einbürgerung auf diesem Irrtum beruhe. Ob der Kläger nach heutiger Rechtslage eingebürgert werden könne, sei völlig offen, da hinsichtlich der Deutschkenntnisse und der Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung noch Tests abzulegen wären. Ebenso sei fraglich, ob den Anforderungen an die abzulegende Loyalitätserklärung Rechnung getragen wäre. In rechtlicher Hinsicht ist der Beklagte der Auffassung, dass § 35 StAG ein intendiertes Ermessen eröffne, was insbesondere in Verbindung mit der Fünfjahresfrist des Absatzes 3 der Vorschrift zur Folge habe, dass die Rücknahme die regelmäßige Folge einer Täuschung sei und dem Betroffenen während des Zeitraums von fünf Jahren grundsätzlich kein Vertrauensschutz zugebilligt werden könne. Ein Absehen von der Rücknahme könne daher nur ausnahmsweise bei Vorliegen ganz besonderer Gründe, die nach Schwere und Gewicht in etwa den Fällen des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbar sein müssten, gerechtfertigt sein. Die vom Verwaltungsgericht angeführten, nach dessen Auffassung im Rahmen der Ermessensbetätigung nicht gebührend berücksichtigten Umstände seien keine besonderen Gründe in diesem Sinne und entsprächen im Übrigen weitgehend nicht einmal den tatsächlichen Gegebenheiten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter entsprechender Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14.9.2010 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass § 35 Abs. 1 StAG kein intendiertes Ermessen vorgibt und daher die allgemeinen Grundsätze zur Ausübung und gerichtlichen Überprüfung des Rücknahmeermessens Anwendung finden müssten. Die Rücknahme seiner Einbürgerung sei aber selbst dann ermessensfehlerhaft, wenn man die Vorschrift im Sinne eines intendierten Ermessens verstehe. Auch unter dieser Prämisse seien die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet, die Tatsache, dass die Fünfjahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG zur Zeit der Rücknahmeverfügung bereits fast vollständig verstrichen gewesen sei, seine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet, die Einbürgerung seiner Kinder und die hieran anknüpfende Unzumutbarkeit einer Rückkehr in den Libanon oder die Türkei in die behördlichen Erwägungen einzustellen, was nicht geschehen sei.

Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu seiner Abstammung und den näheren Umständen der behaupteten Aufenthalte in der Türkei in den Jahren von 1976 bis 1990 angehört.

Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Vorprozesses 12 K 47/05, des im Asylverfahren ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 2.3.1993 - 5 K 118/92 - und der Verwaltungsakte (1 Ordner), der zum Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die Klage ist zulässig und begründet, denn der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 9.9.2009, mit dem dieser die Einbürgerung des Klägers zurückgenommen hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage der Rücknahme einer Einbürgerung ist seit dem 12.2.2009 § 35 StAG. Diese neu in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingefügte Vorschrift enthält spezialgesetzliche Regelungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme einer Einbürgerung und gibt vor, dass die Einbürgerungsbehörde eine Einbürgerung nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen zurücknehmen kann. Bezogen auf ihren konkreten Regelungsgegenstand ersetzt sie die bis dahin als Rechtsgrundlage der Rücknahme einer Einbürgerung zur Anwendung gelangten, dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht angehörenden Vorschriften des jeweiligen Landesverfahrensrechts, vorliegend des § 48 SVwVfG. Durch die Schaffung der spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage des § 35 StAG ist dem in der Rechtsprechung - zuletzt seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, BVerfGE 116, 24 ff.) - in mehrfacher Hinsicht aufgezeigten konkreten Regelungsbedarf Rechnung getragen worden, indem der Gesetzgeber die aus Sicht der Rechtsprechung aufgeworfenen Fragen einer verbindlichen Regelung zugeführt hat. (BT-Drs. 16/10528, S. 1 f., 6)

Nach § 35 Abs. 1 StAG kann eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen sind, erwirkt worden ist. Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen enger als unter der früheren Heranziehung des § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SVwVfG gefasst, der eine Rücknahmemöglichkeit grundsätzlich auch in Fällen der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit eröffnete.

Fallbezogen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen die Rücknahme einer Einbürgerung zulässig ist, vor.

Zunächst ist festzustellen, dass das vom Kläger unterzeichnete Formular betreffend seinen Antrag auf Einbürgerung - gemessen an seiner inzwischen durch den Vorhalt, als türkischer Staatsbürger registriert zu sein, veranlassten Einlassung zu den Geschehnissen im Zeitraum von 1976 bis 1990 - unrichtige und unvollständige Angaben enthält. Unrichtig ist seine Erklärung, von Geburt an bis zu seiner Ausreise im Januar 1990 in Beirut/Libanon gelebt zu haben. Unvollständig sind seine Angaben insoweit, als er die Frage, ob er Wehrdienst geleistet habe, nicht beantwortet und die Ableistung eines anderen Militärdienstes verneint hat.

Diese Angaben sind zumindest, soweit es um das Verschweigen des Wehrdienstes in der Türkei geht, im Sinn des § 35 Abs. 1 StAG wesentlich für seine Einbürgerung gewesen. Denn die Angabe, in der Türkei Wehrdienst geleistet zu haben, hätte - anders wohl als die Offenlegung einer bürgerkriegsbedingten zeitweiligen Flucht in die Türkei - die Annahme nahegelegt, dass der türkische Staat den Kläger jedenfalls damals als türkischen Staatsangehörigen angesehen hat. Das Verschweigen des Wehrdienstes in der Türkei war mithin im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG wesentlich für die Annahme des Beklagten, der Kläger sei staatenlos und seine Einbürgerung daher rechtlich möglich, ohne dass zuvor seine bis dahin bestehende Staatsangehörigkeit aufzugeben wäre.

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger den türkischen Wehrdienst - wie der Tatbestand des § 35 Abs. 1 StAG voraussetzt - vorsätzlich verschwiegen hat. Seine diesbezüglichen Versuche, einen entsprechenden Schuldvorwurf von sich zu weisen, überzeugen nicht. Seine Behauptung, er habe das Ausfüllen des Formulars infolge unzureichender Kenntnisse der deutschen Schriftsprache seinem ältesten Kind überlassen, zielt offenbar darauf ab, den Eindruck zu vermitteln, er habe nicht vorsätzlich, sondern allenfalls grob fahrlässig, was zur Erfüllung des Tatbestands des § 35 Abs. 1 StAG nicht ausreichen würde (ebenso bereits die neuere Rechtsprechung zu § 48 VwVfG: BVerwG, Beschluss vom 13.6.2007 - 5 B 132/07 -; HessVGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, und OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6.12.2007 – 2 M 303/07 -, jeweils juris) , unvollständige Angaben gemacht. Indes überzeugt diese Darstellung nicht. Denn das älteste Kind des Klägers, seine ausweislich seiner am 22.11.1991 abgegebenen Erklärung an Eides statt im Januar 1981 geborene Tochter Amal, war zur Zeit der Ausreise der Familie nach Deutschland bereits neun Jahre alt und hatte sich den Bekundungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zufolge - ebenso wie die übrigen im Libanon geborenen Kinder - selbst mehrfach gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern in der Türkei aufgehalten, kennt die familiären Bezüge dorthin daher aus eigenem Erleben und wusste zudem - wie sich aus ihrer im Urteil des Amtsgerichts Merzig im Verfahren 25 Cs 24 Js 1557/02 wiedergegebenen Zeugenaussage ergibt - aus Erzählungen innerhalb der Familie, dass der Kläger 1976 mit seinen Eltern in die Türkei geflohen war. Dies berücksichtigend kann nicht angenommen werden, dass die Angabe, der Kläger habe von Geburt bis 1990 immer in der Türkei gelebt, auf Unkenntnis der Tochter basierte. Das diesbezügliche unrichtige Ausfüllen des Formulars und die fehlende Angaben zur Ableistung von Wehrdienst, einer Frage, die die Tochter - falls sie die Einzelheiten nicht ohnehin kannte - nicht ohne Rücksprache mit dem Kläger beantworten konnte, lassen sich demgemäß nur damit erklären, dass der Kläger seiner Tochter die entsprechende - jedenfalls hinsichtlich seiner Aufenthalte vor 1990 auch nach deren Kenntnisstand unrichtige - Beantwortung vorgegeben, also vorsätzlich veranlasst hat. Er kann sich schließlich nicht mit der Behauptung entlasten, er habe die Frage betreffend den Wehrdienst auf sein Heimatland Libanon bezogen und insoweit wahrheitsgemäß beantwortet. Dieser Darstellung steht entgegen, dass er hinsichtlich der Angaben zu seinem Aufenthalt bis 1990 die in der Türkei verbrachten Jahre bewusst verschwiegen hat, was belegt, dass er darauf bedacht war, einen Verdacht, er könne aus der Türkei stammen oder gar die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 35 Abs. 1 StAG ist, dass durch die unrichtigen oder unvollständigen Angaben eine rechtswidrige Einbürgerung erwirkt worden ist, d.h. die erfolgte Einbürgerung muss rechtswidrig und die Fehlerhaftigkeit der Angaben muss hierfür kausal sein. Der Begünstigte muss seine Einbürgerung durch zweck- und zielgerichtetes Handeln in Gestalt entscheidungserheblicher fehlerhafter oder unvollständiger Angaben erlangt haben. (Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht - GK-StAR -, 24. Erg.Lfg. November 2010, § 35 Rdnr. 80 m.w.N.)

Rechtsgrundlage der am 3.12.2004 vollzogenen Einbürgerung des Klägers war die damals noch in Kraft befindliche Vorschrift des § 85 AuslG, die unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung begründete. Erforderlich war - neben anderen damals unstreitig erfüllten Voraussetzungen - u.a. ein achtjähriger rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Inland, der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung und die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit.

Eine Rechtswidrigkeit der Einbürgerung ergibt sich jedenfalls nicht aus einem Fehlen der beiden erstgenannten Voraussetzungen, denn diese liegen vor. Der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet ist rechtmäßig, wenn er von der zuständigen Ausländerbehörde erlaubt worden ist. (BVerwG, Urteil vom 16.10.1990 - 1 C 15/88 -, BVerwGE 87, 11 ff.; GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 102, 104, 107) Nach der im einschlägigen Zeitraum maßgeblichen Gesetzeslage wurde der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet gemäß § 5 AuslG durch Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung erlaubt. Der Kläger verfügte seit dem 14.11.1996 über eine solche, und zwar zunächst in Gestalt einer befristeten mehrfach verlängerten Aufenthaltsbefugnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 30 AuslG und seit dem 9.9.2003 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 15 AuslG, so dass sein Aufenthalt zur Zeit der am 3.12.2004 vollzogenen Einbürgerung seit acht Jahren erlaubt und damit rechtmäßig war und die nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erforderliche Aufenthaltserlaubnis vorlag.

Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Einbürgerung des Klägers ist allein maßgeblich, ob die ihm erteilten Aufenthaltstitel wirksam waren, denn die Einbürgerungsbehörde ist an die Tatbestandswirkung wirksamer Entscheidungen der Ausländerbehörde gebunden und nicht befugt, deren Rechtsmäßigkeit im Einbürgerungsverfahren erneut zu prüfen. (GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 200 ff.) Die eventuelle Rechtswidrigkeit eines der Einbürgerung zugrunde liegenden Aufenthaltstitels schlägt nicht auf die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung durch. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die dem Kläger auf den Namen A. unter der Annahme, er sei ein aus dem Libanon stammender kurdischer Volkszugehöriger ungeklärter Staatsangehörigkeit, seitens der Ausländerbehörde ausgestellte Aufenthaltsbefugnis bzw. –er-laubnis unter der Prämisse, dass es sich bei dem Kläger in Wahrheit um einen türkischen Staatsangehörigen mit dem Namen M. K. handelt, rechtswidrig war.

Nicht anders sieht dies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, das zu der Relevanz von Zweifeln der Einbürgerungsbehörde an der Identität eines Ausländers erst kürzlich mit überzeugender Argumentation entschieden hat, dass die geklärte Identität eines Ausländers kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Einbürgerung sei. (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.8.2010 - 19 A 1412/09 -, InfAuslR 2011, 31 ff.; anders VG Stuttgart, Urteil vom 1.3.2010, juris) Die Klärung der Identität sei nach der gesetzlichen Systematik ausschließlich dem Aufenthaltsrecht zugeordnet. So sei die geklärte Identität des Ausländers nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG ausdrücklich eine Regelvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, während die geklärte Identität im Einbürgerungsrecht nicht erneut als tatbestandliche Voraussetzung einer Einbürgerung gefordert werde. Eine erweiternde Auslegung der Einbürgerungsvorschriften dahingehend, dass die Identität des Ausländers im Einbürgerungsverfahren erneut zu prüfen sei, sei nicht zulässig, denn sie widerspräche der gesetzlich normierten Zuständigkeitsverteilung zwischen Ausländer- und Einbürgerungsbehörde und lasse sich auch aus Sinn und Zweck der Einbürgerungsvoraussetzungen im Zusammenhang mit dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Vorgaben zur Anspruchseinbürgerung nicht herleiten. Ziel der Anspruchseinbürgerung sei es allgemein, die Integration langjährig im Bundesgebiet lebender Ausländer zu fördern. Die Einbürgerung dieser Personen sei als Abschluss eines hinreichenden Integrationsprozesses und Grundlage weiterer Inte-gration gedacht. Sinn und Zweck einer gesonderten Überprüfung der Identität im Einbürgerungsverfahren könne im Hinblick auf diese Ziele nur sein, sicherzustellen, dass die Person, die mit einem Namen in der Einbürgerungsurkunde bezeichnet ist und der diese ausgehändigt wird, auch diejenige Person ist, welche die Einbürgerungsvoraussetzungen tatsächlich erfülle. Denn diese Person habe eine Lebensgeschichte, die nicht nur durch ihre bloße über einen gewissen Zeitraum unter einem bestimmten Namen gelebte Existenz in der Bundesrepublik Deutschland abschließend charakterisiert werde. Eine im Interesse der Bundesrepublik liegende sorgfältige Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe setze voraus, die konkrete Person und deren Lebensgeschichte, auch soweit sie sie vor der Einreise durchlaufen hat, zuverlässig zusammenzuführen, also ihre inländische mit ihrer ausländischen Identität abzugleichen. Dies sei nach der Gesetzeslage für den Regelfall sichergestellt. Eine erneute Klärung der Identität im Einbürgerungsverfahren sei unzulässig, solange der Gesetzgeber die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einbürgerung nicht durch Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften entsprechend ergänze. (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.8.2010, a.a.O.)

Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an, die keinen Zweifel daran lassen, dass es der Einbürgerungsbehörde auch in den Fällen, in denen (ausnahmsweise) nach der Einbürgerung neue Erkenntnisse über Identitätsmerkmale – wie etwa Name und Staatsangehörigkeit – bekannt werden, mangels gesetzlich begründeter Kompetenz verwehrt ist, die Rechtmäßigkeit des der Einbürgerung vorangegangenen Aufenthalts und die Wirksamkeit der damaligen Aufenthaltstitel in Frage zu stellen.

Fallbezogen bedeutet dies, dass die nach erfolgter Einbürgerung bekannt gewordene Registrierung des Klägers als türkischer Staatsangehöriger nichts daran ändert, dass der Kläger als die Person, die 1990 als kurdischer Volkszugehöriger ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem Libanon unter dem Namen A. eingereist ist, eingebürgert wurde. Die neuen Erkenntnisse betreffend seine Registrierung als türkischer Staatsangehöriger unter dem Namen M. K. begründen nach der Konzeption des Gesetzes keine Befugnis des Beklagten als Einbürgerungsbehörde, die Einbürgerung des Klägers mit der Begründung, er sei in Wahrheit eine andere Person als die, die am 3.12.2004 nach dem behördlichen Willen eingebürgert worden ist, für rechtswidrig zu erklären. Insoweit bleibt maßgeblich, dass der unter dem Namen A. eingebürgerte Kläger sich zur Zeit seiner Einbürgerung unter diesem Namen seit acht Jahren ausländerbehördlich erlaubt und damit rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten (§ 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG) und über eine wirksame - wenn vielleicht auch rechtswidrige - Aufenthaltserlaubnis verfügt hat (§ 85 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG).

Die Einbürgerung des Klägers ist indes in ihrer konkreten Ausgestaltung mit Blick auf § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG rechtswidrig.

Nach dieser Vorschrift ist Voraussetzung der Einbürgerung, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Da der Kläger nach den zwischenzeitlichen Erkenntnissen als türkischer Staatsangehöriger registriert ist, hätte seine Einbürgerung erst nach Befassung der türkischen Behörden mit der Angelegenheit erfolgen dürfen. Die Rechtmäßigkeit seiner Einbürgerung setzte nach der zitierten gesetzlichen Vorgabe voraus, dass ihm von Seiten der türkischen Behörden zuvor entweder ein sogenanntes Negativattest im Sinne einer Bestätigung, dass eine türkische Staatsangehörigkeit nicht besteht, ausgestellt oder dass seine Entlassung aus dem türkischen Staatsverband verfügt worden wäre. Hieran fehlt es und dies nur deshalb, weil der Kläger dem Beklagten jeglichen persönlichen und rechtlichen Bezug zur Türkei, insbesondere die Tatsache, dass er türkischen Wehrdienst geleistet hat, verschwiegen und behauptet hat, staatenlos zu sein.

Damit steht fest, dass der Kläger seine Einbürgerung in ihrer konkreten rechtlichen Gestalt durch seine vorsätzlich unvollständigen Angaben erwirkt hat und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten in Gestalt der Rücknahme der Einbürgerung erfüllt sind.

Dennoch unterliegt der angefochtene Bescheid mit Blick darauf, dass der Beklagte das ihm durch § 35 Abs. 1 StAG eröffnete Rücknahmeermessen nicht fehlerfrei ausgeübt hat, der Aufhebung (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO).

Prämisse der behördlichen Ermessensausübung war - wie insbesondere in der Berufungsbegründung deutlich zum Ausdruck kommt - die Annahme, dass § 35 Abs. 1 StAG ein sogenanntes intendiertes Ermessen vorgibt. Der Beklagte meint, die von ihm zu treffende Ermessensentscheidung müsse in der Regel zur Rücknahme der Einbürgerung führen und nur besondere Gründe, die nach Schwere und Gewicht in etwa mit den Fällen einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbar seien, könnten ausnahmsweise ein Absehen von einer Rücknahme rechtfertigen.

Zumindest letzteres überzeugt nicht. Denn für die Auffassung, dass nur eine den Fällen des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbare Härte ein Absehen von der Rücknahme rechtfertigen kann, bietet das Staatsangehörigkeitsgesetz keine Grundlage. Hätte der Gesetzgeber eine dem Eingebürgerten günstige Ermessensentscheidung nur bei Vorliegen einer besonderen Härte der vorbezeichneten Art zulassen und damit eine gemessen an der zu der Rücknahme nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.) - sehr restriktive Regelung schaffen wollen, so wäre zu erwarten, dass diese Absicht in Anlehnung an die Formulierung des § 8 Abs. 2 StAG im Gesetzeswortlaut, zumindest aber in der Gesetzesbegründung, ihren eindeutigen Niederschlag gefunden hat, was nicht festzustellen ist.

Ob § 35 StAG der Verwaltung unabhängig hiervon nur ein intendiertes Ermessen eröffnet, erscheint fraglich. Der Wortlaut des Gesetzes und seine Entstehungsgeschichte geben jedenfalls auch unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Staatsangehörigkeitsrechts aus Sicht des Senats keine eindeutigen Hinweise in diese Richtung.

§ 35 StAG beschränkt die Rücknahmemöglichkeit zwar in Abs. 3 in zeitlicher Hinsicht auf fünf Jahre nach der Bekanntgabe der Einbürgerung und gibt in Abs. 2 ausdrücklich vor, dass der Rücknahme in der Regel nicht entgegensteht, dass der Betroffene staatenlos wird. Des Weiteren verhält Abs. 5 sich zu Fallgestaltungen, in denen die Rücknahme Auswirkungen auf Dritte hat und legt Abs. 4 abschließend fest, dass jede Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgt, was sich im Vergleich zu § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG als eine diesbezüglich verbleibendes Ermessen ausschließende Verschärfung darstellt. Ansonsten beschränkt die gesetzliche Regelung sich ihrem Wortlaut nach in Abs. 1 auf die Ermächtigung der Einbürgerungsbehörde, eine Einbürgerung bei Vorliegen der näher bezeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen, die enger als diejenigen des § 48 Abs. 2 SVwVfG gefasst sind, zurückzunehmen. Formulierungen, aus denen sich herleiten ließe, dass der Gesetzgeber im Regelfall ein bestimmtes Ergebnis der Ermessensbetätigung als angemessen erachtet, finden sich im Gesetzeswortlaut anders als etwa in § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG, einem anerkannten Fall intendierten Ermessens (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 16. Aufl. 2009, § 114 Rdnr. 21 b) , nicht. Ob das einschlägige Fachrecht - vorliegend das Staatsangehörigkeitsrecht - hinsichtlich der Rücknahme einer Einbürgerung vorgibt, dass das Ermessen im Regelfall fehlerfrei nur durch eine bestimmte Entscheidung, nämlich die Entscheidung für die Rücknahme, ausgeübt werden kann (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 5.7.1985 - 8 C 22/83 -, NJW 1986, 738 ff., vom 25.9.1992 - 8 C 68 und 70/90 -, NJW 1993, 744 ff., und vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, NJW 1998, 2233 f.) , beurteilt sich nach der Entstehungsgeschichte und den grundsätzlichen Wertentscheidungen und Zielsetzungen des Staatsangehörigkeitsrechts.

Allgemein ist unter den Gesichtspunkten Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des § 35 StAG festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner bereits in Bezug genommenen, den Gesetzgeber zum Tätigwerden veranlassenden Entscheidung vom 24.5.2006 zu den Rechtsfolgen einer erschlichenen Einbürgerung und dem Regelungsgehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeführt hat, es sei grundsätzlich Sache der gesetzgeberischen Beurteilung, auf welche Weise neben der normativen Geltung des Rechts auch dessen praktische Wirksamkeit am besten zu sichern sei. Dabei sei dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen – auch soweit es um die Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehe – nicht der Einsatz bestimmter Sicherungsmittel vorgegeben. Insbesondere verbiete die Verfassung es nicht prinzipiell, begünstigende Verwaltungsakte, die durch Täuschung, Bestechung oder Betrug des Entscheidungsträgers erwirkt worden seien, in Geltung zu belassen, solange die rechtlichen Rahmenbedingungen insgesamt nicht so beschaffen seien, dass sie – zumindest aus der Sicht der weniger Gewissenhaften – zu rechtswidrigem Verhalten oder zur Herstellung rechtswidriger Zustände geradezu einladen. Es könne auch bei erschlichenen Einbürgerungen im Einzelfall gute Gründe geben, auf eine Rücknahme als die nächstliegende Reaktion des Rechtsstaats zu verzichten. Umgekehrt sei selbst bei drohender Staatenlosigkeit davon auszugehen, dass der Verfassungsgeber die Möglichkeit der Rücknahme durch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG nicht grundsätzlich habe verschließen wollen. Zu beachten sei, dass der Staatsangehörigkeitsstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung sei, da er seine staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten bestimme. Der diesbezügliche Grundrechtsschutz habe besonderes Gewicht, da er nicht graduell austariert werden könne, sondern für den Betroffenen immer eine Entscheidung über „Alles oder Nichts“ darstelle. Im Falle der zeitnahen Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung stehe dem Täuschenden gemäß § 48 VwVfG kein schützenswertes Vertrauen zu, so dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände regelmäßig überwiege, wobei die Verwaltung im Rahmen des Ermessens einen Spielraum für besonders schutzwürdige Ausnahmefälle habe. Hier sei durch die Einräumung von Ermessen die Möglichkeit einer dem Einzelfall angemessenen Reaktion eröffnet. Die öffentliche Gewalt sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verpflichtet, jeden rechtswidrigen oder verfassungswidrigen Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf seinen formellen Rechtsbestand von Amts wegen zu beseitigen. Ebenso sei der Gesetzgeber nicht gehalten, in Fällen der erschlichenen Einbürgerung etwa dem Beispiel des Beamtenrechts folgend (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BBG) kraft Gesetzes deren zwingende Rücknahme vorzugeben.

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts, die die im zitierten Urteil getroffene Entscheidung, dass die Landesverwaltungsverfahrensgesetze der Rücknahme einer Einbürgerung zumindest im Regelfall eine hinreichende Rechtsgrundlage bieten, nicht mitgetragen haben, haben ihre abweichende Meinung unter dem Gliederungspunkt IV des Urteils begründet, wobei sie die grundlegende Bedeutung der Staatsangehörigkeit für den Einzelnen und die Gemeinschaft ebenfalls betont und hieraus hinsichtlich der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen auf die Notwendigkeit geschlossen haben, die Besonderheiten des Status der Staatsangehörigkeit in die Abwägung einbeziehen. Der Gesetzgeber habe eine bewusste, diesen Besonderheiten Rechnung tragende Entscheidung darüber zu treffen, ob und in welchen Grenzen Täuschung oder vergleichbares Fehlverhalten zur Rücknahme der Einbürgerung führe. Denn es verstehe sich nicht von selbst, dass missbräuchliches Verhalten über das Instrument der Rücknahme der Einbürgerung und nicht auf andere Weise sanktioniert werde. Es liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, innerhalb eines vorgegebenen sachlichen und zeitlichen Rahmens Spielräume für eine administrative Ermessensausübung vorzusehen, um so der Vielfalt möglicher Fallgestaltungen gerecht zu werden. (BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.)

Mithin stimmen alle an der Entscheidung beteiligten Richter des Bundesverfassungsgerichts darin überein, dass die Fälle einer erschlichenen Einbürgerung bedingt durch die Umstände des Einzelfalls sehr vielgestaltig sein können und es daher gerade unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Staatsangehörigkeit gute Gründe dafür gibt, dass der Gesetzgeber der Verwaltung ein Rücknahmeermessen einräumt und ihr damit die Möglichkeit eröffnet, die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls ihrem Gewicht entsprechend in ihre Abwägungen einzustellen. Diesen Erwägungen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen und § 35 StAG seinem insoweit eindeutigen Wortlaut nach als Ermessensvorschrift ausgestaltet.

Zur Frage, ob den Strukturen des Staatsangehörigkeitsrechts aus verfassungsgerichtlicher Sicht eher ein freies oder ein intendiertes Ermessen gerecht wird, enthalten die Urteilsgründe und die Begründung der abweichenden Meinung keine eindeutigen Vorgaben bzw. Empfehlungen. Die verfassungsgerichtlichen Ausführungen, die das Tätigwerden des Gesetzgebers letztendlich veranlasst haben, lassen sich daher aus Sicht des Senats nicht zur Stützung der Auffassung des Beklagten, ihm sei nach dem Willen des Gesetzgebers nur ein intendiertes Ermessen eingeräumt, heranziehen.

Die Gesetzesbegründung zu § 35 StAG ist hinsichtlich der Frage, ob der Verwaltung ein freies oder ein intendiertes Ermessen eröffnet werden sollte, ebenfalls nicht aussagekräftig.

Nach seinen die Gesetzesbegründung einleitenden Erwägungen hat der Gesetzgeber aufgrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Regelungsbedarf hinsichtlich drei näher bezeichneter Problemkomplexe gesehen, wobei die Ausgestaltung des Rücknahmeermessens keine Erwähnung gefunden hat. (BT-Drs. 16/10528, S. 1 f.) Der allgemeine Teil der Gesetzesbegründung und die Einzelbegründung zu § 35 enthalten ebenfalls keine eindeutig im Sinn eines intendierten Ermessens zu verstehende Aussage. (BT-Drs., a.a.O., S. 6 u. 7 f.) Eher gegen die Annahme eines intendierten Ermessens spricht, dass es in der Gesetzesbegründung heißt, die tatsächliche Anzahl von Fällen der Rücknahme von Einbürgerungen sei gemessen an der Zahl an Einbürgerungen in der Praxis sehr gering. (BT-Drs. 16/10528, a.a.O., S. 7) Die Rücknahme von Einbürgerungen ist mithin keine Rechtsmaterie, die auch nur annähernd Züge einer Massenverwaltung aufweist. Es geht typischerweise um Einzelschicksale, was es nahelegt, der Einbürgerungsbehörde ungeachtet des Fehlens von schutzwürdigem Vertrauen eine sorgfältige Prüfung des jeweiligen Einzelfalls abzuverlangen.

Begründet sich die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung - wie vorliegend - ausschließlich darauf, dass diese in Unkenntnis einer etwaig bestehenden Staatsangehörigkeit des als staatenlos angesehenen Einbürgerungsbewerbers erfolgt ist, ohne dass zuvor behördlicherseits das Notwendige zur Vermeidung von Doppelstaatigkeit veranlasst werden konnte, spricht ein weiterer Gesichtspunkt gegen die Annahme eines intendierten Ermessens. Denn ein dem Staatsangehörigkeitsrecht innewohnendes Bedürfnis, auf das Verschweigen einer bestehenden Staatsangehörigkeit bei Vorliegen aller sonstigen Einbürgerungsvoraussetzungen mit einer Einzelbelange weitgehend ausschließenden Bindung des Rücknahmeermessens zu reagieren, drängt sich nicht auf. Vielmehr ist die unterbliebene Befassung der Heimatbehörden mit der Klärung der Staatsangehörigkeitsfrage ohne weiteres nachholbar, wodurch dem mit den einschlägigen Vorschriften (hier § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) allein verfolgten Anliegen des Gesetzgebers, Doppelstaatigkeit zu vermeiden, im Nachhinein vollumfänglich Geltung verschafft werden kann. Damit besteht ein entscheidender Unterschied zu Einbürgerungen, deren Rechtswidrigkeit sich aus einer irreparablen Missachtung anderer Zielsetzungen des Staatsangehörigkeitsrechts herleiten, weil sie beispielsweise durch eine Scheinehe erschlichen worden sind.

Fallbezogen bedarf - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - die Frage, ob § 35 StAG der Verwaltung lediglich ein intendiertes Ermessen einräumt, wovon insbesondere die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 17.4.2009 ausgehen (GK-StAG, a.a.O., Band 2, VII-3, Nr. 35.1, S. 64) , oder ob der Verwaltung ein freies Ermessen eröffnet ist, mit Blick auf die Begründung des konkret angefochtenen Rücknahmebescheids keiner Entscheidung. Denn nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers und der auszugsweise wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht jedenfalls außer Zweifel, dass einzelfallbezogen eine behördliche Abwägung unter Einbeziehung der Belange des Betroffenen stattzufinden hat. So heißt es in der Begründung zu § 35 StAG ausdrücklich, dass die Gründe der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes mit den Rechten der betroffenen Person abzuwägen sind, wobei der Vertrauensschutzgedanke keine Rolle spiele, weil die Fehlerhaftigkeit der Einbürgerung in deren Sphäre liege (BT-Drs., a.a.O., S. 8) . Dies macht deutlich, dass auch nach den Vorstellungen des Gesetzgebers - ungeachtet der Nichtgewährung von Vertrauensschutz - alle etwaigen den konkreten Einzelfall prägenden Belange des Betroffenen zu ermitteln und im Rahmen der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht zu berücksichtigen sind.

Dem wird der angefochtene Rücknahmebescheid des Beklagten nicht gerecht, denn der Beklagte hat es verabsäumt, die gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechenden Belange des Klägers in seine Ermessensentscheidung einzustellen. Diesbezüglich enthält auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Gerichtshofes der Europäischen Union eindeutige Vorgaben, denen die Rücknahmeverfügung des Beklagten nicht hinreichend Rechnung trägt.

Das Bundesverwaltungsgericht fordert in Fällen, in denen der Einbürgerungsbewerber in seinem Einbürgerungsantrag ein laufendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren verschwiegen, dadurch eine Aussetzung des Einbürgerungsverfahrens bis zur Klärung des Strafvorwurfs verhindert und demgemäß seine „sofortige“ Einbürgerung erwirkt hat, dass die Einbürgerungsbehörde das Gewicht des Vorwurfs, der Gegenstand der Ermittlungen ist, im Rahmen der Betätigung ihres Rücknahmeermessens berücksichtigt. (BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19/02 -, BVerwGE 118, 216 ff.) Nicht anders sieht dies der Gerichtshof der Europäischen Union, der verlangt, dass unter anderem die Schwere des von dem Betroffenen begangenen Verstoßes in das Rücknahmeermessen einzustellen ist. (EuGH, Urteil vom 2.3.2010 - C-135/08 -, juris) Bezogen auf die vorliegende Konstellation, die sich dadurch auszeichnet, dass der Kläger Anhaltspunkte für das eventuelle Bestehen einer türkischen Staatsangehörigkeit verschwiegen und dadurch erreicht hat, dass er unmittelbar, also ohne vorherige Befassung der türkischen Behörden mit seiner Angelegenheit zwecks Ausstellung eines Negativattestes beziehungsweise Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, eingebürgert wurde, bedeutet dies, dass das Fehlverhalten des Klägers mit dem ihm nach dem Sach- und Streitstand konkret zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen ist. Dies ist nicht geschehen, obwohl dem Beklagten aufgrund der Anhörung des Klägers dessen Einlassung bekannt war, er sei staatenloser kurdischer Volkszugehöriger aus dem Libanon und habe die türkische Staatsangehörigkeit weder aufgrund entsprechender Abstammung noch aufgrund einer wirksamen Einbürgerung jemals erworben. Dass er und seine Eltern und Geschwister dennoch in dem Register von Mersin als türkische Staatsangehörige geführt werden, erkläre sich allein daraus, dass sein Vater diese Eintragungen 1976 durch Bestechung erwirkt habe, um die durch den damals im Libanon ausgebrochenen Bürgerkrieg veranlasste Flucht der Familie in die Türkei zu ermöglichen.

Diese Erklärung der Registereinträge kann - wie sie insbesondere in einem Untersuchungsbericht zu staatenlosen Kurden aus dem Libanon vom April 2001 dokumentiert sind (RA Freckmann, Untersuchungsbericht Staatenlose Kurden aus dem Libanon vom 20.4.2001) - mit Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse in der fraglichen Region durchaus der Wahrheit entsprechen und hätte daher eine Befassung des Beklagten mit diesem Vorbringen notwendig gemacht.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf Nachfrage angegeben, zur Volksgruppe der Mahalmi zu gehören. Hinsichtlich dieser Volksgruppe ergibt sich aus dem erwähnten Untersuchungsbericht, dass es sich um arabisch sprechende Kurden handeln dürfte, die seit mehreren Jahrhunderten in dem türkischen Gebiet zwischen Mardin, Savur und Midyat leben. Diese Menschen tragen an und für sich arabische Namen, wurden aber vom türkischen Staat gezwungen, einen türkischen Namen zu führen, den sie im Umgang mit den türkischen Behörden benutzen müssen. Insbesondere die Mahalmi, die in dem Bereich um Savur, in dem auch die als Geburtsort des Klägers bezeichnete Ortschaft Ückavak liegt, angesiedelt sind, sind zumeist arm und gelten als Gegner des türkischen Staates. Etwa seit Ende der 20iger Jahre des letzten Jahrhunderts sind die Mahalmi verstärkt in den Libanon ausgewandert, weil sie dort in wirtschaftlicher Hinsicht bessere Lebensbedingungen vorfanden. Dort konnten sie ungehindert unter ihren arabischen Namen leben. Schon ihre Kinder haben die türkischen Familiennamen nicht mehr gekannt und in der Regel keine Kontakte in die Herkunftsregion der Familie mehr gehabt. Soweit Angehörige der Volksgruppe der Mahalmi die Türkei bereits vor Ende 1930 verlassen haben und ihr Verbleib ungeklärt war, regelt das türkische Staatsangehörigkeitsgesetz von 1964, dass sie nicht mehr als türkische Staatsangehörige gelten.

Unter Zugrundelegung dieser Gegebenheiten erscheint durchaus möglich, dass die Darstellung des Klägers, er sei nur aufgrund Bestechung als türkischer Staatsangehöriger registriert, ohne dass ihm dieser Status nach türkischem Recht zustünde, zutrifft. So spricht der Kläger - wie der notariellen Urkunde vom 22.11.1991 zu entnehmen ist - weder Türkisch noch Kurmanci, die Sprache der türkischen Kurden. Ferner sind seine Eltern ausweislich ihrer libanesischen Aufenthaltserlaubnisse aus dem Jahre 1975, deren Übersetzungen sich in der Verwaltungsakte des Beklagten befinden (Bl. 227 und 228), 1932 bzw. 1935 geboren. Nach Angaben des Klägers haben sie ihren Erzählungen zufolge von Geburt an im Libanon gelebt. Dies vorausgesetzt ist nicht fernliegend, dass seine Großeltern vor Ende 1930 in den Libanon ausgewandert sind und daher nach türkischen Staatsangehörigkeitsrecht 1964 ihre ursprüngliche türkische Staatsangehörigkeit verloren haben, so dass auch der Kläger diese nicht kraft Abstammung erlangt hätte. In diesem Fall könnte er zu Recht für sich in Anspruch nehmen, alleine aufgrund der Bestechung türkischer Beamter, von der sein Vater immer erzählt habe, unter dem türkischen Namen M. K. als türkischer Staatsangehöriger registriert worden zu sein.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, der zitierte Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2001 liege ihm vor und sein Inhalt sei ihm seit Jahren bekannt. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass er die ihm bekannte Einlassung des Klägers, nur aufgrund Bestechung in den türkischen Registern geführt zu werden, in seinem Rücknahmebescheid vom 9.9.2009 damit abgehandelt hat, dass nach den entgegenstehenden Ergebnissen der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes und von Interpol Ankara zweifelsfrei davon auszugehen sei, dass der Kläger der türkische Staatsangehörige M. K. sei. Es wäre geboten gewesen, die Angaben des Klägers - gegebenenfalls im Wege einer ergänzenden Befragung - einer Glaubhaftigkeitskontrolle und den Kläger selbst einer Glaubwürdigkeitskontrolle zu unterziehen und bejahendenfalls im Rahmen des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen, dass das Fehlverhalten des Klägers nicht im Verschweigen seiner „wahren“ arabischen Identität, sondern seiner erkauften türkischen Aliasidentität bestand und ihm daher nicht mit dem Gewicht, das ihm ansonsten beizumessen wäre, entgegengehalten werden kann. Da dies nicht geschehen ist, leidet die Ermessensentscheidung des Beklagten an einem ihre Rechtswidrigkeit begründenden Mangel. Gegen die Erheblichkeit dieses Mangels lässt sich insbesondere nicht einwenden, der Kläger hätte unter Offenlegung seiner Registrierung in der Türkei nie ein vorläufiges Bleiberecht und daher auch später kein Aufenthaltsrecht erlangen können. Denn ausweislich der Auskunft des Landesverwaltungsamtes vom 20.3.2008 (Bl. 283 der Verwaltungsakte) hätte der Kläger als türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit bei einem Abschluss des entsprechenden Asylverfahrens nach dem 25.3.1992, dem Tag, an dem die diesbezügliche Härtefallregelung in Kraft getreten ist, deren Voraussetzungen erfüllt.

Abgesehen hiervon ist die Ermessensausübung des Beklagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch insoweit zu beanstanden, als der Beklagte es versäumt hat, die Dauer des Gesamtaufenthalts des Klägers im Bundesgebiet und die zwischen Einbürgerung und Rücknahme verstrichene Zeit zugunsten des Klägers in seine Erwägungen einzustellen. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Dauer des Aufenthalts in Deutschland in Fällen eines erschlichenen Aufenthaltsrechts im Rahmen der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigt werden braucht (BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6/03 -, BVerwGE 119, 17 ff.) , ist überholt.

Unter dem Eindruck der bereits zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 -, juris) im Oktober 2006 die Auffassung vertreten, dass eine unzureichende Gewichtung der Dauer des Aufenthalts in Deutschland im Rahmen der Abwägung - im dortigen Fall 13 ½ Jahre - zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung führen dürfte, dies aber letztlich mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen. In der nachfolgenden Revisionsentscheidung, in der es auf diese Frage ebenfalls nicht ankam, hat das Bundesverwaltungsgericht dennoch festgestellt, dass es die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg dazu, dass die Zeitdauer des Aufenthalts des Klägers in Deutschland und der zwischen der Einbürgerung und deren Rücknahme verstrichene Zeitraum als maßgebliche Abwägungsgesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens einzustellen seien, im rechtlichen Ansatz teile (BVerwG, Urteil vom 14.2.2008 - 5 C 4/07 -, BVerwGE 130, 209 ff.) , insoweit also von seiner früheren Rechtsprechung Abstand genommen.

Diese Neuorientierung der Rechtsprechung ist sachgerecht. Insbesondere die Gesamtdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ist regelmäßig - und dies gilt im besonderen Maße, wenn sie von langjähriger Erwerbstätigkeit begleitet wird - ein aussagekräftiger Indikator für die Integration in das gesellschaftliche Umfeld, deren Förderung durch Einräumung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten ein Hauptanliegen der Einbürgerung ist. Die Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts als ein je nach zeitlichem Umfang und Begleitumständen mehr oder minder gewichtiger privater Belange trägt daher dazu bei, die privaten Belange und das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände einzelfallbezogen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union betont ebenfalls, dass die Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, als ein maßgeblicher Abwägungsgesichtspunkt in das Rücknahmeermessen einzustellen sei und hebt im Übrigen hervor, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu beachten sei. (EuGH, Urteil vom 2.3.2010, a.a.O.)

Diesen vom Bundesverwaltungsgericht und dem Gerichtshof der Europäischen Union formulierten Anforderungen wird die Rücknahmeentscheidung des Beklagten nicht gerecht. Insbesondere der Umstand, dass der Kläger sich zur Zeit der Rücknahmeentscheidung seit fast 20 Jahren in Deutschland aufhielt, findet in seinen Erwägungen nicht einmal ansatzweise Erwähnung. Ebensowenig verhält er sich zu der eventuellen Abwägungsrelevanz der Tatsache, dass zwischen der Einbürgerung und der Rücknahme bereits knapp fünf Jahre verstrichen waren. Vielmehr behauptet der Beklagte pauschal, besondere Gründe, die zugunsten des Klägers zu berücksichtigen seien, seien nicht ersichtlich. Hierin liegt ein durchgreifender Ermessensfehler, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen muss, zumal das Bundesverwaltungsgericht in einem ganz neuen Urteil vom 11.11.2010 (BVerwG, Urteil vom 11.11.2010 - 5 C 12/10 -, juris) , dessen Begründung erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat veröffentlicht worden ist, bekräftigt hat, dass im Rahmen der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen seien. Hierbei seien insbesondere die Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes und die Zeit zwischen Einbürgerungsentscheidung und Rücknahmeentscheidung zu gewichten. So könne zum Beispiel eine geringe Schwere des Verstoßes im Zusammenwirken mit anderen Umständen dazu führen, dass die Rücknahme ausnahmsweise unverhältnismäßig ist.

Einen Versuch, im Berufungsverfahren im Rahmen des nach § 114 Satz 2 VwGO Möglichen Ermessenserwägungen nachzuschieben, hat der Beklagte nicht unternommen, sondern beharrlich den Standpunkt vertreten, der Fall biete keine Veranlassung zu ergänzenden Ermessenserwägungen.

Schließlich ist das Vorbringen des Beklagten, es sei fraglich, ob der Kläger alle nach heutiger Rechtslage maßgeblichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfülle, nicht entscheidungserheblich. Seiner Relevanz steht bereits das im Staatsangehörigkeitsrecht geltende Günstigkeitsprinzip, das in § 40 c StAG seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, entgegen. Zudem gilt, dass die Erfüllung der Voraussetzungen einer Anspruchseinbürgerung zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zwar zur Rechtswidrigkeit einer nach den Rücknahmevorschriften eigentlich rechtmäßigen Rücknahme führen kann, weil ihr der aktuelle Anspruch auf Einbürgerung entgegensteht. Indes kann das Nichtbestehen eines Einbürgerungsanspruchs zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung über die angefochtene Rücknahme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Folge haben, dass eine den rechtlichen Anforderungen nicht genügende und damit rechtswidrige Rücknahme rechtmäßig wird.

Nach alledem hat das Verwaltungsgericht der gegen die Rücknahme der Einbürgerung erhobenen Klage zu Recht stattgegeben, so dass die Berufung des Beklagten zurückgewiesen werden muss.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Beschluss

Der Streitwert wird in Anwendung der §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 42.1. der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die Klage ist zulässig und begründet, denn der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 9.9.2009, mit dem dieser die Einbürgerung des Klägers zurückgenommen hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage der Rücknahme einer Einbürgerung ist seit dem 12.2.2009 § 35 StAG. Diese neu in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingefügte Vorschrift enthält spezialgesetzliche Regelungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme einer Einbürgerung und gibt vor, dass die Einbürgerungsbehörde eine Einbürgerung nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen zurücknehmen kann. Bezogen auf ihren konkreten Regelungsgegenstand ersetzt sie die bis dahin als Rechtsgrundlage der Rücknahme einer Einbürgerung zur Anwendung gelangten, dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht angehörenden Vorschriften des jeweiligen Landesverfahrensrechts, vorliegend des § 48 SVwVfG. Durch die Schaffung der spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage des § 35 StAG ist dem in der Rechtsprechung - zuletzt seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, BVerfGE 116, 24 ff.) - in mehrfacher Hinsicht aufgezeigten konkreten Regelungsbedarf Rechnung getragen worden, indem der Gesetzgeber die aus Sicht der Rechtsprechung aufgeworfenen Fragen einer verbindlichen Regelung zugeführt hat. (BT-Drs. 16/10528, S. 1 f., 6)

Nach § 35 Abs. 1 StAG kann eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen sind, erwirkt worden ist. Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen enger als unter der früheren Heranziehung des § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SVwVfG gefasst, der eine Rücknahmemöglichkeit grundsätzlich auch in Fällen der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit eröffnete.

Fallbezogen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen die Rücknahme einer Einbürgerung zulässig ist, vor.

Zunächst ist festzustellen, dass das vom Kläger unterzeichnete Formular betreffend seinen Antrag auf Einbürgerung - gemessen an seiner inzwischen durch den Vorhalt, als türkischer Staatsbürger registriert zu sein, veranlassten Einlassung zu den Geschehnissen im Zeitraum von 1976 bis 1990 - unrichtige und unvollständige Angaben enthält. Unrichtig ist seine Erklärung, von Geburt an bis zu seiner Ausreise im Januar 1990 in Beirut/Libanon gelebt zu haben. Unvollständig sind seine Angaben insoweit, als er die Frage, ob er Wehrdienst geleistet habe, nicht beantwortet und die Ableistung eines anderen Militärdienstes verneint hat.

Diese Angaben sind zumindest, soweit es um das Verschweigen des Wehrdienstes in der Türkei geht, im Sinn des § 35 Abs. 1 StAG wesentlich für seine Einbürgerung gewesen. Denn die Angabe, in der Türkei Wehrdienst geleistet zu haben, hätte - anders wohl als die Offenlegung einer bürgerkriegsbedingten zeitweiligen Flucht in die Türkei - die Annahme nahegelegt, dass der türkische Staat den Kläger jedenfalls damals als türkischen Staatsangehörigen angesehen hat. Das Verschweigen des Wehrdienstes in der Türkei war mithin im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG wesentlich für die Annahme des Beklagten, der Kläger sei staatenlos und seine Einbürgerung daher rechtlich möglich, ohne dass zuvor seine bis dahin bestehende Staatsangehörigkeit aufzugeben wäre.

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger den türkischen Wehrdienst - wie der Tatbestand des § 35 Abs. 1 StAG voraussetzt - vorsätzlich verschwiegen hat. Seine diesbezüglichen Versuche, einen entsprechenden Schuldvorwurf von sich zu weisen, überzeugen nicht. Seine Behauptung, er habe das Ausfüllen des Formulars infolge unzureichender Kenntnisse der deutschen Schriftsprache seinem ältesten Kind überlassen, zielt offenbar darauf ab, den Eindruck zu vermitteln, er habe nicht vorsätzlich, sondern allenfalls grob fahrlässig, was zur Erfüllung des Tatbestands des § 35 Abs. 1 StAG nicht ausreichen würde (ebenso bereits die neuere Rechtsprechung zu § 48 VwVfG: BVerwG, Beschluss vom 13.6.2007 - 5 B 132/07 -; HessVGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, und OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6.12.2007 – 2 M 303/07 -, jeweils juris) , unvollständige Angaben gemacht. Indes überzeugt diese Darstellung nicht. Denn das älteste Kind des Klägers, seine ausweislich seiner am 22.11.1991 abgegebenen Erklärung an Eides statt im Januar 1981 geborene Tochter Amal, war zur Zeit der Ausreise der Familie nach Deutschland bereits neun Jahre alt und hatte sich den Bekundungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zufolge - ebenso wie die übrigen im Libanon geborenen Kinder - selbst mehrfach gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern in der Türkei aufgehalten, kennt die familiären Bezüge dorthin daher aus eigenem Erleben und wusste zudem - wie sich aus ihrer im Urteil des Amtsgerichts Merzig im Verfahren 25 Cs 24 Js 1557/02 wiedergegebenen Zeugenaussage ergibt - aus Erzählungen innerhalb der Familie, dass der Kläger 1976 mit seinen Eltern in die Türkei geflohen war. Dies berücksichtigend kann nicht angenommen werden, dass die Angabe, der Kläger habe von Geburt bis 1990 immer in der Türkei gelebt, auf Unkenntnis der Tochter basierte. Das diesbezügliche unrichtige Ausfüllen des Formulars und die fehlende Angaben zur Ableistung von Wehrdienst, einer Frage, die die Tochter - falls sie die Einzelheiten nicht ohnehin kannte - nicht ohne Rücksprache mit dem Kläger beantworten konnte, lassen sich demgemäß nur damit erklären, dass der Kläger seiner Tochter die entsprechende - jedenfalls hinsichtlich seiner Aufenthalte vor 1990 auch nach deren Kenntnisstand unrichtige - Beantwortung vorgegeben, also vorsätzlich veranlasst hat. Er kann sich schließlich nicht mit der Behauptung entlasten, er habe die Frage betreffend den Wehrdienst auf sein Heimatland Libanon bezogen und insoweit wahrheitsgemäß beantwortet. Dieser Darstellung steht entgegen, dass er hinsichtlich der Angaben zu seinem Aufenthalt bis 1990 die in der Türkei verbrachten Jahre bewusst verschwiegen hat, was belegt, dass er darauf bedacht war, einen Verdacht, er könne aus der Türkei stammen oder gar die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 35 Abs. 1 StAG ist, dass durch die unrichtigen oder unvollständigen Angaben eine rechtswidrige Einbürgerung erwirkt worden ist, d.h. die erfolgte Einbürgerung muss rechtswidrig und die Fehlerhaftigkeit der Angaben muss hierfür kausal sein. Der Begünstigte muss seine Einbürgerung durch zweck- und zielgerichtetes Handeln in Gestalt entscheidungserheblicher fehlerhafter oder unvollständiger Angaben erlangt haben. (Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht - GK-StAR -, 24. Erg.Lfg. November 2010, § 35 Rdnr. 80 m.w.N.)

Rechtsgrundlage der am 3.12.2004 vollzogenen Einbürgerung des Klägers war die damals noch in Kraft befindliche Vorschrift des § 85 AuslG, die unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung begründete. Erforderlich war - neben anderen damals unstreitig erfüllten Voraussetzungen - u.a. ein achtjähriger rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Inland, der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung und die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit.

Eine Rechtswidrigkeit der Einbürgerung ergibt sich jedenfalls nicht aus einem Fehlen der beiden erstgenannten Voraussetzungen, denn diese liegen vor. Der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet ist rechtmäßig, wenn er von der zuständigen Ausländerbehörde erlaubt worden ist. (BVerwG, Urteil vom 16.10.1990 - 1 C 15/88 -, BVerwGE 87, 11 ff.; GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 102, 104, 107) Nach der im einschlägigen Zeitraum maßgeblichen Gesetzeslage wurde der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet gemäß § 5 AuslG durch Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung erlaubt. Der Kläger verfügte seit dem 14.11.1996 über eine solche, und zwar zunächst in Gestalt einer befristeten mehrfach verlängerten Aufenthaltsbefugnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 30 AuslG und seit dem 9.9.2003 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 15 AuslG, so dass sein Aufenthalt zur Zeit der am 3.12.2004 vollzogenen Einbürgerung seit acht Jahren erlaubt und damit rechtmäßig war und die nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erforderliche Aufenthaltserlaubnis vorlag.

Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Einbürgerung des Klägers ist allein maßgeblich, ob die ihm erteilten Aufenthaltstitel wirksam waren, denn die Einbürgerungsbehörde ist an die Tatbestandswirkung wirksamer Entscheidungen der Ausländerbehörde gebunden und nicht befugt, deren Rechtsmäßigkeit im Einbürgerungsverfahren erneut zu prüfen. (GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 200 ff.) Die eventuelle Rechtswidrigkeit eines der Einbürgerung zugrunde liegenden Aufenthaltstitels schlägt nicht auf die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung durch. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die dem Kläger auf den Namen A. unter der Annahme, er sei ein aus dem Libanon stammender kurdischer Volkszugehöriger ungeklärter Staatsangehörigkeit, seitens der Ausländerbehörde ausgestellte Aufenthaltsbefugnis bzw. –er-laubnis unter der Prämisse, dass es sich bei dem Kläger in Wahrheit um einen türkischen Staatsangehörigen mit dem Namen M. K. handelt, rechtswidrig war.

Nicht anders sieht dies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, das zu der Relevanz von Zweifeln der Einbürgerungsbehörde an der Identität eines Ausländers erst kürzlich mit überzeugender Argumentation entschieden hat, dass die geklärte Identität eines Ausländers kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Einbürgerung sei. (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.8.2010 - 19 A 1412/09 -, InfAuslR 2011, 31 ff.; anders VG Stuttgart, Urteil vom 1.3.2010, juris) Die Klärung der Identität sei nach der gesetzlichen Systematik ausschließlich dem Aufenthaltsrecht zugeordnet. So sei die geklärte Identität des Ausländers nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG ausdrücklich eine Regelvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, während die geklärte Identität im Einbürgerungsrecht nicht erneut als tatbestandliche Voraussetzung einer Einbürgerung gefordert werde. Eine erweiternde Auslegung der Einbürgerungsvorschriften dahingehend, dass die Identität des Ausländers im Einbürgerungsverfahren erneut zu prüfen sei, sei nicht zulässig, denn sie widerspräche der gesetzlich normierten Zuständigkeitsverteilung zwischen Ausländer- und Einbürgerungsbehörde und lasse sich auch aus Sinn und Zweck der Einbürgerungsvoraussetzungen im Zusammenhang mit dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Vorgaben zur Anspruchseinbürgerung nicht herleiten. Ziel der Anspruchseinbürgerung sei es allgemein, die Integration langjährig im Bundesgebiet lebender Ausländer zu fördern. Die Einbürgerung dieser Personen sei als Abschluss eines hinreichenden Integrationsprozesses und Grundlage weiterer Inte-gration gedacht. Sinn und Zweck einer gesonderten Überprüfung der Identität im Einbürgerungsverfahren könne im Hinblick auf diese Ziele nur sein, sicherzustellen, dass die Person, die mit einem Namen in der Einbürgerungsurkunde bezeichnet ist und der diese ausgehändigt wird, auch diejenige Person ist, welche die Einbürgerungsvoraussetzungen tatsächlich erfülle. Denn diese Person habe eine Lebensgeschichte, die nicht nur durch ihre bloße über einen gewissen Zeitraum unter einem bestimmten Namen gelebte Existenz in der Bundesrepublik Deutschland abschließend charakterisiert werde. Eine im Interesse der Bundesrepublik liegende sorgfältige Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe setze voraus, die konkrete Person und deren Lebensgeschichte, auch soweit sie sie vor der Einreise durchlaufen hat, zuverlässig zusammenzuführen, also ihre inländische mit ihrer ausländischen Identität abzugleichen. Dies sei nach der Gesetzeslage für den Regelfall sichergestellt. Eine erneute Klärung der Identität im Einbürgerungsverfahren sei unzulässig, solange der Gesetzgeber die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einbürgerung nicht durch Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften entsprechend ergänze. (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.8.2010, a.a.O.)

Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an, die keinen Zweifel daran lassen, dass es der Einbürgerungsbehörde auch in den Fällen, in denen (ausnahmsweise) nach der Einbürgerung neue Erkenntnisse über Identitätsmerkmale – wie etwa Name und Staatsangehörigkeit – bekannt werden, mangels gesetzlich begründeter Kompetenz verwehrt ist, die Rechtmäßigkeit des der Einbürgerung vorangegangenen Aufenthalts und die Wirksamkeit der damaligen Aufenthaltstitel in Frage zu stellen.

Fallbezogen bedeutet dies, dass die nach erfolgter Einbürgerung bekannt gewordene Registrierung des Klägers als türkischer Staatsangehöriger nichts daran ändert, dass der Kläger als die Person, die 1990 als kurdischer Volkszugehöriger ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem Libanon unter dem Namen A. eingereist ist, eingebürgert wurde. Die neuen Erkenntnisse betreffend seine Registrierung als türkischer Staatsangehöriger unter dem Namen M. K. begründen nach der Konzeption des Gesetzes keine Befugnis des Beklagten als Einbürgerungsbehörde, die Einbürgerung des Klägers mit der Begründung, er sei in Wahrheit eine andere Person als die, die am 3.12.2004 nach dem behördlichen Willen eingebürgert worden ist, für rechtswidrig zu erklären. Insoweit bleibt maßgeblich, dass der unter dem Namen A. eingebürgerte Kläger sich zur Zeit seiner Einbürgerung unter diesem Namen seit acht Jahren ausländerbehördlich erlaubt und damit rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten (§ 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG) und über eine wirksame - wenn vielleicht auch rechtswidrige - Aufenthaltserlaubnis verfügt hat (§ 85 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG).

Die Einbürgerung des Klägers ist indes in ihrer konkreten Ausgestaltung mit Blick auf § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG rechtswidrig.

Nach dieser Vorschrift ist Voraussetzung der Einbürgerung, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Da der Kläger nach den zwischenzeitlichen Erkenntnissen als türkischer Staatsangehöriger registriert ist, hätte seine Einbürgerung erst nach Befassung der türkischen Behörden mit der Angelegenheit erfolgen dürfen. Die Rechtmäßigkeit seiner Einbürgerung setzte nach der zitierten gesetzlichen Vorgabe voraus, dass ihm von Seiten der türkischen Behörden zuvor entweder ein sogenanntes Negativattest im Sinne einer Bestätigung, dass eine türkische Staatsangehörigkeit nicht besteht, ausgestellt oder dass seine Entlassung aus dem türkischen Staatsverband verfügt worden wäre. Hieran fehlt es und dies nur deshalb, weil der Kläger dem Beklagten jeglichen persönlichen und rechtlichen Bezug zur Türkei, insbesondere die Tatsache, dass er türkischen Wehrdienst geleistet hat, verschwiegen und behauptet hat, staatenlos zu sein.

Damit steht fest, dass der Kläger seine Einbürgerung in ihrer konkreten rechtlichen Gestalt durch seine vorsätzlich unvollständigen Angaben erwirkt hat und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten in Gestalt der Rücknahme der Einbürgerung erfüllt sind.

Dennoch unterliegt der angefochtene Bescheid mit Blick darauf, dass der Beklagte das ihm durch § 35 Abs. 1 StAG eröffnete Rücknahmeermessen nicht fehlerfrei ausgeübt hat, der Aufhebung (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO).

Prämisse der behördlichen Ermessensausübung war - wie insbesondere in der Berufungsbegründung deutlich zum Ausdruck kommt - die Annahme, dass § 35 Abs. 1 StAG ein sogenanntes intendiertes Ermessen vorgibt. Der Beklagte meint, die von ihm zu treffende Ermessensentscheidung müsse in der Regel zur Rücknahme der Einbürgerung führen und nur besondere Gründe, die nach Schwere und Gewicht in etwa mit den Fällen einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbar seien, könnten ausnahmsweise ein Absehen von einer Rücknahme rechtfertigen.

Zumindest letzteres überzeugt nicht. Denn für die Auffassung, dass nur eine den Fällen des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbare Härte ein Absehen von der Rücknahme rechtfertigen kann, bietet das Staatsangehörigkeitsgesetz keine Grundlage. Hätte der Gesetzgeber eine dem Eingebürgerten günstige Ermessensentscheidung nur bei Vorliegen einer besonderen Härte der vorbezeichneten Art zulassen und damit eine gemessen an der zu der Rücknahme nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.) - sehr restriktive Regelung schaffen wollen, so wäre zu erwarten, dass diese Absicht in Anlehnung an die Formulierung des § 8 Abs. 2 StAG im Gesetzeswortlaut, zumindest aber in der Gesetzesbegründung, ihren eindeutigen Niederschlag gefunden hat, was nicht festzustellen ist.

Ob § 35 StAG der Verwaltung unabhängig hiervon nur ein intendiertes Ermessen eröffnet, erscheint fraglich. Der Wortlaut des Gesetzes und seine Entstehungsgeschichte geben jedenfalls auch unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Staatsangehörigkeitsrechts aus Sicht des Senats keine eindeutigen Hinweise in diese Richtung.

§ 35 StAG beschränkt die Rücknahmemöglichkeit zwar in Abs. 3 in zeitlicher Hinsicht auf fünf Jahre nach der Bekanntgabe der Einbürgerung und gibt in Abs. 2 ausdrücklich vor, dass der Rücknahme in der Regel nicht entgegensteht, dass der Betroffene staatenlos wird. Des Weiteren verhält Abs. 5 sich zu Fallgestaltungen, in denen die Rücknahme Auswirkungen auf Dritte hat und legt Abs. 4 abschließend fest, dass jede Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgt, was sich im Vergleich zu § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG als eine diesbezüglich verbleibendes Ermessen ausschließende Verschärfung darstellt. Ansonsten beschränkt die gesetzliche Regelung sich ihrem Wortlaut nach in Abs. 1 auf die Ermächtigung der Einbürgerungsbehörde, eine Einbürgerung bei Vorliegen der näher bezeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen, die enger als diejenigen des § 48 Abs. 2 SVwVfG gefasst sind, zurückzunehmen. Formulierungen, aus denen sich herleiten ließe, dass der Gesetzgeber im Regelfall ein bestimmtes Ergebnis der Ermessensbetätigung als angemessen erachtet, finden sich im Gesetzeswortlaut anders als etwa in § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG, einem anerkannten Fall intendierten Ermessens (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 16. Aufl. 2009, § 114 Rdnr. 21 b) , nicht. Ob das einschlägige Fachrecht - vorliegend das Staatsangehörigkeitsrecht - hinsichtlich der Rücknahme einer Einbürgerung vorgibt, dass das Ermessen im Regelfall fehlerfrei nur durch eine bestimmte Entscheidung, nämlich die Entscheidung für die Rücknahme, ausgeübt werden kann (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 5.7.1985 - 8 C 22/83 -, NJW 1986, 738 ff., vom 25.9.1992 - 8 C 68 und 70/90 -, NJW 1993, 744 ff., und vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, NJW 1998, 2233 f.) , beurteilt sich nach der Entstehungsgeschichte und den grundsätzlichen Wertentscheidungen und Zielsetzungen des Staatsangehörigkeitsrechts.

Allgemein ist unter den Gesichtspunkten Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des § 35 StAG festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner bereits in Bezug genommenen, den Gesetzgeber zum Tätigwerden veranlassenden Entscheidung vom 24.5.2006 zu den Rechtsfolgen einer erschlichenen Einbürgerung und dem Regelungsgehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeführt hat, es sei grundsätzlich Sache der gesetzgeberischen Beurteilung, auf welche Weise neben der normativen Geltung des Rechts auch dessen praktische Wirksamkeit am besten zu sichern sei. Dabei sei dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen – auch soweit es um die Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehe – nicht der Einsatz bestimmter Sicherungsmittel vorgegeben. Insbesondere verbiete die Verfassung es nicht prinzipiell, begünstigende Verwaltungsakte, die durch Täuschung, Bestechung oder Betrug des Entscheidungsträgers erwirkt worden seien, in Geltung zu belassen, solange die rechtlichen Rahmenbedingungen insgesamt nicht so beschaffen seien, dass sie – zumindest aus der Sicht der weniger Gewissenhaften – zu rechtswidrigem Verhalten oder zur Herstellung rechtswidriger Zustände geradezu einladen. Es könne auch bei erschlichenen Einbürgerungen im Einzelfall gute Gründe geben, auf eine Rücknahme als die nächstliegende Reaktion des Rechtsstaats zu verzichten. Umgekehrt sei selbst bei drohender Staatenlosigkeit davon auszugehen, dass der Verfassungsgeber die Möglichkeit der Rücknahme durch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG nicht grundsätzlich habe verschließen wollen. Zu beachten sei, dass der Staatsangehörigkeitsstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung sei, da er seine staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten bestimme. Der diesbezügliche Grundrechtsschutz habe besonderes Gewicht, da er nicht graduell austariert werden könne, sondern für den Betroffenen immer eine Entscheidung über „Alles oder Nichts“ darstelle. Im Falle der zeitnahen Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung stehe dem Täuschenden gemäß § 48 VwVfG kein schützenswertes Vertrauen zu, so dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände regelmäßig überwiege, wobei die Verwaltung im Rahmen des Ermessens einen Spielraum für besonders schutzwürdige Ausnahmefälle habe. Hier sei durch die Einräumung von Ermessen die Möglichkeit einer dem Einzelfall angemessenen Reaktion eröffnet. Die öffentliche Gewalt sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verpflichtet, jeden rechtswidrigen oder verfassungswidrigen Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf seinen formellen Rechtsbestand von Amts wegen zu beseitigen. Ebenso sei der Gesetzgeber nicht gehalten, in Fällen der erschlichenen Einbürgerung etwa dem Beispiel des Beamtenrechts folgend (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BBG) kraft Gesetzes deren zwingende Rücknahme vorzugeben.

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts, die die im zitierten Urteil getroffene Entscheidung, dass die Landesverwaltungsverfahrensgesetze der Rücknahme einer Einbürgerung zumindest im Regelfall eine hinreichende Rechtsgrundlage bieten, nicht mitgetragen haben, haben ihre abweichende Meinung unter dem Gliederungspunkt IV des Urteils begründet, wobei sie die grundlegende Bedeutung der Staatsangehörigkeit für den Einzelnen und die Gemeinschaft ebenfalls betont und hieraus hinsichtlich der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen auf die Notwendigkeit geschlossen haben, die Besonderheiten des Status der Staatsangehörigkeit in die Abwägung einbeziehen. Der Gesetzgeber habe eine bewusste, diesen Besonderheiten Rechnung tragende Entscheidung darüber zu treffen, ob und in welchen Grenzen Täuschung oder vergleichbares Fehlverhalten zur Rücknahme der Einbürgerung führe. Denn es verstehe sich nicht von selbst, dass missbräuchliches Verhalten über das Instrument der Rücknahme der Einbürgerung und nicht auf andere Weise sanktioniert werde. Es liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, innerhalb eines vorgegebenen sachlichen und zeitlichen Rahmens Spielräume für eine administrative Ermessensausübung vorzusehen, um so der Vielfalt möglicher Fallgestaltungen gerecht zu werden. (BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.)

Mithin stimmen alle an der Entscheidung beteiligten Richter des Bundesverfassungsgerichts darin überein, dass die Fälle einer erschlichenen Einbürgerung bedingt durch die Umstände des Einzelfalls sehr vielgestaltig sein können und es daher gerade unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Staatsangehörigkeit gute Gründe dafür gibt, dass der Gesetzgeber der Verwaltung ein Rücknahmeermessen einräumt und ihr damit die Möglichkeit eröffnet, die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls ihrem Gewicht entsprechend in ihre Abwägungen einzustellen. Diesen Erwägungen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen und § 35 StAG seinem insoweit eindeutigen Wortlaut nach als Ermessensvorschrift ausgestaltet.

Zur Frage, ob den Strukturen des Staatsangehörigkeitsrechts aus verfassungsgerichtlicher Sicht eher ein freies oder ein intendiertes Ermessen gerecht wird, enthalten die Urteilsgründe und die Begründung der abweichenden Meinung keine eindeutigen Vorgaben bzw. Empfehlungen. Die verfassungsgerichtlichen Ausführungen, die das Tätigwerden des Gesetzgebers letztendlich veranlasst haben, lassen sich daher aus Sicht des Senats nicht zur Stützung der Auffassung des Beklagten, ihm sei nach dem Willen des Gesetzgebers nur ein intendiertes Ermessen eingeräumt, heranziehen.

Die Gesetzesbegründung zu § 35 StAG ist hinsichtlich der Frage, ob der Verwaltung ein freies oder ein intendiertes Ermessen eröffnet werden sollte, ebenfalls nicht aussagekräftig.

Nach seinen die Gesetzesbegründung einleitenden Erwägungen hat der Gesetzgeber aufgrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Regelungsbedarf hinsichtlich drei näher bezeichneter Problemkomplexe gesehen, wobei die Ausgestaltung des Rücknahmeermessens keine Erwähnung gefunden hat. (BT-Drs. 16/10528, S. 1 f.) Der allgemeine Teil der Gesetzesbegründung und die Einzelbegründung zu § 35 enthalten ebenfalls keine eindeutig im Sinn eines intendierten Ermessens zu verstehende Aussage. (BT-Drs., a.a.O., S. 6 u. 7 f.) Eher gegen die Annahme eines intendierten Ermessens spricht, dass es in der Gesetzesbegründung heißt, die tatsächliche Anzahl von Fällen der Rücknahme von Einbürgerungen sei gemessen an der Zahl an Einbürgerungen in der Praxis sehr gering. (BT-Drs. 16/10528, a.a.O., S. 7) Die Rücknahme von Einbürgerungen ist mithin keine Rechtsmaterie, die auch nur annähernd Züge einer Massenverwaltung aufweist. Es geht typischerweise um Einzelschicksale, was es nahelegt, der Einbürgerungsbehörde ungeachtet des Fehlens von schutzwürdigem Vertrauen eine sorgfältige Prüfung des jeweiligen Einzelfalls abzuverlangen.

Begründet sich die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung - wie vorliegend - ausschließlich darauf, dass diese in Unkenntnis einer etwaig bestehenden Staatsangehörigkeit des als staatenlos angesehenen Einbürgerungsbewerbers erfolgt ist, ohne dass zuvor behördlicherseits das Notwendige zur Vermeidung von Doppelstaatigkeit veranlasst werden konnte, spricht ein weiterer Gesichtspunkt gegen die Annahme eines intendierten Ermessens. Denn ein dem Staatsangehörigkeitsrecht innewohnendes Bedürfnis, auf das Verschweigen einer bestehenden Staatsangehörigkeit bei Vorliegen aller sonstigen Einbürgerungsvoraussetzungen mit einer Einzelbelange weitgehend ausschließenden Bindung des Rücknahmeermessens zu reagieren, drängt sich nicht auf. Vielmehr ist die unterbliebene Befassung der Heimatbehörden mit der Klärung der Staatsangehörigkeitsfrage ohne weiteres nachholbar, wodurch dem mit den einschlägigen Vorschriften (hier § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) allein verfolgten Anliegen des Gesetzgebers, Doppelstaatigkeit zu vermeiden, im Nachhinein vollumfänglich Geltung verschafft werden kann. Damit besteht ein entscheidender Unterschied zu Einbürgerungen, deren Rechtswidrigkeit sich aus einer irreparablen Missachtung anderer Zielsetzungen des Staatsangehörigkeitsrechts herleiten, weil sie beispielsweise durch eine Scheinehe erschlichen worden sind.

Fallbezogen bedarf - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - die Frage, ob § 35 StAG der Verwaltung lediglich ein intendiertes Ermessen einräumt, wovon insbesondere die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 17.4.2009 ausgehen (GK-StAG, a.a.O., Band 2, VII-3, Nr. 35.1, S. 64) , oder ob der Verwaltung ein freies Ermessen eröffnet ist, mit Blick auf die Begründung des konkret angefochtenen Rücknahmebescheids keiner Entscheidung. Denn nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers und der auszugsweise wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht jedenfalls außer Zweifel, dass einzelfallbezogen eine behördliche Abwägung unter Einbeziehung der Belange des Betroffenen stattzufinden hat. So heißt es in der Begründung zu § 35 StAG ausdrücklich, dass die Gründe der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes mit den Rechten der betroffenen Person abzuwägen sind, wobei der Vertrauensschutzgedanke keine Rolle spiele, weil die Fehlerhaftigkeit der Einbürgerung in deren Sphäre liege (BT-Drs., a.a.O., S. 8) . Dies macht deutlich, dass auch nach den Vorstellungen des Gesetzgebers - ungeachtet der Nichtgewährung von Vertrauensschutz - alle etwaigen den konkreten Einzelfall prägenden Belange des Betroffenen zu ermitteln und im Rahmen der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht zu berücksichtigen sind.

Dem wird der angefochtene Rücknahmebescheid des Beklagten nicht gerecht, denn der Beklagte hat es verabsäumt, die gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechenden Belange des Klägers in seine Ermessensentscheidung einzustellen. Diesbezüglich enthält auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Gerichtshofes der Europäischen Union eindeutige Vorgaben, denen die Rücknahmeverfügung des Beklagten nicht hinreichend Rechnung trägt.

Das Bundesverwaltungsgericht fordert in Fällen, in denen der Einbürgerungsbewerber in seinem Einbürgerungsantrag ein laufendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren verschwiegen, dadurch eine Aussetzung des Einbürgerungsverfahrens bis zur Klärung des Strafvorwurfs verhindert und demgemäß seine „sofortige“ Einbürgerung erwirkt hat, dass die Einbürgerungsbehörde das Gewicht des Vorwurfs, der Gegenstand der Ermittlungen ist, im Rahmen der Betätigung ihres Rücknahmeermessens berücksichtigt. (BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19/02 -, BVerwGE 118, 216 ff.) Nicht anders sieht dies der Gerichtshof der Europäischen Union, der verlangt, dass unter anderem die Schwere des von dem Betroffenen begangenen Verstoßes in das Rücknahmeermessen einzustellen ist. (EuGH, Urteil vom 2.3.2010 - C-135/08 -, juris) Bezogen auf die vorliegende Konstellation, die sich dadurch auszeichnet, dass der Kläger Anhaltspunkte für das eventuelle Bestehen einer türkischen Staatsangehörigkeit verschwiegen und dadurch erreicht hat, dass er unmittelbar, also ohne vorherige Befassung der türkischen Behörden mit seiner Angelegenheit zwecks Ausstellung eines Negativattestes beziehungsweise Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, eingebürgert wurde, bedeutet dies, dass das Fehlverhalten des Klägers mit dem ihm nach dem Sach- und Streitstand konkret zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen ist. Dies ist nicht geschehen, obwohl dem Beklagten aufgrund der Anhörung des Klägers dessen Einlassung bekannt war, er sei staatenloser kurdischer Volkszugehöriger aus dem Libanon und habe die türkische Staatsangehörigkeit weder aufgrund entsprechender Abstammung noch aufgrund einer wirksamen Einbürgerung jemals erworben. Dass er und seine Eltern und Geschwister dennoch in dem Register von Mersin als türkische Staatsangehörige geführt werden, erkläre sich allein daraus, dass sein Vater diese Eintragungen 1976 durch Bestechung erwirkt habe, um die durch den damals im Libanon ausgebrochenen Bürgerkrieg veranlasste Flucht der Familie in die Türkei zu ermöglichen.

Diese Erklärung der Registereinträge kann - wie sie insbesondere in einem Untersuchungsbericht zu staatenlosen Kurden aus dem Libanon vom April 2001 dokumentiert sind (RA Freckmann, Untersuchungsbericht Staatenlose Kurden aus dem Libanon vom 20.4.2001) - mit Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse in der fraglichen Region durchaus der Wahrheit entsprechen und hätte daher eine Befassung des Beklagten mit diesem Vorbringen notwendig gemacht.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf Nachfrage angegeben, zur Volksgruppe der Mahalmi zu gehören. Hinsichtlich dieser Volksgruppe ergibt sich aus dem erwähnten Untersuchungsbericht, dass es sich um arabisch sprechende Kurden handeln dürfte, die seit mehreren Jahrhunderten in dem türkischen Gebiet zwischen Mardin, Savur und Midyat leben. Diese Menschen tragen an und für sich arabische Namen, wurden aber vom türkischen Staat gezwungen, einen türkischen Namen zu führen, den sie im Umgang mit den türkischen Behörden benutzen müssen. Insbesondere die Mahalmi, die in dem Bereich um Savur, in dem auch die als Geburtsort des Klägers bezeichnete Ortschaft Ückavak liegt, angesiedelt sind, sind zumeist arm und gelten als Gegner des türkischen Staates. Etwa seit Ende der 20iger Jahre des letzten Jahrhunderts sind die Mahalmi verstärkt in den Libanon ausgewandert, weil sie dort in wirtschaftlicher Hinsicht bessere Lebensbedingungen vorfanden. Dort konnten sie ungehindert unter ihren arabischen Namen leben. Schon ihre Kinder haben die türkischen Familiennamen nicht mehr gekannt und in der Regel keine Kontakte in die Herkunftsregion der Familie mehr gehabt. Soweit Angehörige der Volksgruppe der Mahalmi die Türkei bereits vor Ende 1930 verlassen haben und ihr Verbleib ungeklärt war, regelt das türkische Staatsangehörigkeitsgesetz von 1964, dass sie nicht mehr als türkische Staatsangehörige gelten.

Unter Zugrundelegung dieser Gegebenheiten erscheint durchaus möglich, dass die Darstellung des Klägers, er sei nur aufgrund Bestechung als türkischer Staatsangehöriger registriert, ohne dass ihm dieser Status nach türkischem Recht zustünde, zutrifft. So spricht der Kläger - wie der notariellen Urkunde vom 22.11.1991 zu entnehmen ist - weder Türkisch noch Kurmanci, die Sprache der türkischen Kurden. Ferner sind seine Eltern ausweislich ihrer libanesischen Aufenthaltserlaubnisse aus dem Jahre 1975, deren Übersetzungen sich in der Verwaltungsakte des Beklagten befinden (Bl. 227 und 228), 1932 bzw. 1935 geboren. Nach Angaben des Klägers haben sie ihren Erzählungen zufolge von Geburt an im Libanon gelebt. Dies vorausgesetzt ist nicht fernliegend, dass seine Großeltern vor Ende 1930 in den Libanon ausgewandert sind und daher nach türkischen Staatsangehörigkeitsrecht 1964 ihre ursprüngliche türkische Staatsangehörigkeit verloren haben, so dass auch der Kläger diese nicht kraft Abstammung erlangt hätte. In diesem Fall könnte er zu Recht für sich in Anspruch nehmen, alleine aufgrund der Bestechung türkischer Beamter, von der sein Vater immer erzählt habe, unter dem türkischen Namen M. K. als türkischer Staatsangehöriger registriert worden zu sein.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, der zitierte Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2001 liege ihm vor und sein Inhalt sei ihm seit Jahren bekannt. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass er die ihm bekannte Einlassung des Klägers, nur aufgrund Bestechung in den türkischen Registern geführt zu werden, in seinem Rücknahmebescheid vom 9.9.2009 damit abgehandelt hat, dass nach den entgegenstehenden Ergebnissen der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes und von Interpol Ankara zweifelsfrei davon auszugehen sei, dass der Kläger der türkische Staatsangehörige M. K. sei. Es wäre geboten gewesen, die Angaben des Klägers - gegebenenfalls im Wege einer ergänzenden Befragung - einer Glaubhaftigkeitskontrolle und den Kläger selbst einer Glaubwürdigkeitskontrolle zu unterziehen und bejahendenfalls im Rahmen des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen, dass das Fehlverhalten des Klägers nicht im Verschweigen seiner „wahren“ arabischen Identität, sondern seiner erkauften türkischen Aliasidentität bestand und ihm daher nicht mit dem Gewicht, das ihm ansonsten beizumessen wäre, entgegengehalten werden kann. Da dies nicht geschehen ist, leidet die Ermessensentscheidung des Beklagten an einem ihre Rechtswidrigkeit begründenden Mangel. Gegen die Erheblichkeit dieses Mangels lässt sich insbesondere nicht einwenden, der Kläger hätte unter Offenlegung seiner Registrierung in der Türkei nie ein vorläufiges Bleiberecht und daher auch später kein Aufenthaltsrecht erlangen können. Denn ausweislich der Auskunft des Landesverwaltungsamtes vom 20.3.2008 (Bl. 283 der Verwaltungsakte) hätte der Kläger als türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit bei einem Abschluss des entsprechenden Asylverfahrens nach dem 25.3.1992, dem Tag, an dem die diesbezügliche Härtefallregelung in Kraft getreten ist, deren Voraussetzungen erfüllt.

Abgesehen hiervon ist die Ermessensausübung des Beklagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch insoweit zu beanstanden, als der Beklagte es versäumt hat, die Dauer des Gesamtaufenthalts des Klägers im Bundesgebiet und die zwischen Einbürgerung und Rücknahme verstrichene Zeit zugunsten des Klägers in seine Erwägungen einzustellen. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Dauer des Aufenthalts in Deutschland in Fällen eines erschlichenen Aufenthaltsrechts im Rahmen der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigt werden braucht (BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6/03 -, BVerwGE 119, 17 ff.) , ist überholt.

Unter dem Eindruck der bereits zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 -, juris) im Oktober 2006 die Auffassung vertreten, dass eine unzureichende Gewichtung der Dauer des Aufenthalts in Deutschland im Rahmen der Abwägung - im dortigen Fall 13 ½ Jahre - zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung führen dürfte, dies aber letztlich mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen. In der nachfolgenden Revisionsentscheidung, in der es auf diese Frage ebenfalls nicht ankam, hat das Bundesverwaltungsgericht dennoch festgestellt, dass es die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg dazu, dass die Zeitdauer des Aufenthalts des Klägers in Deutschland und der zwischen der Einbürgerung und deren Rücknahme verstrichene Zeitraum als maßgebliche Abwägungsgesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens einzustellen seien, im rechtlichen Ansatz teile (BVerwG, Urteil vom 14.2.2008 - 5 C 4/07 -, BVerwGE 130, 209 ff.) , insoweit also von seiner früheren Rechtsprechung Abstand genommen.

Diese Neuorientierung der Rechtsprechung ist sachgerecht. Insbesondere die Gesamtdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ist regelmäßig - und dies gilt im besonderen Maße, wenn sie von langjähriger Erwerbstätigkeit begleitet wird - ein aussagekräftiger Indikator für die Integration in das gesellschaftliche Umfeld, deren Förderung durch Einräumung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten ein Hauptanliegen der Einbürgerung ist. Die Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts als ein je nach zeitlichem Umfang und Begleitumständen mehr oder minder gewichtiger privater Belange trägt daher dazu bei, die privaten Belange und das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände einzelfallbezogen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union betont ebenfalls, dass die Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, als ein maßgeblicher Abwägungsgesichtspunkt in das Rücknahmeermessen einzustellen sei und hebt im Übrigen hervor, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu beachten sei. (EuGH, Urteil vom 2.3.2010, a.a.O.)

Diesen vom Bundesverwaltungsgericht und dem Gerichtshof der Europäischen Union formulierten Anforderungen wird die Rücknahmeentscheidung des Beklagten nicht gerecht. Insbesondere der Umstand, dass der Kläger sich zur Zeit der Rücknahmeentscheidung seit fast 20 Jahren in Deutschland aufhielt, findet in seinen Erwägungen nicht einmal ansatzweise Erwähnung. Ebensowenig verhält er sich zu der eventuellen Abwägungsrelevanz der Tatsache, dass zwischen der Einbürgerung und der Rücknahme bereits knapp fünf Jahre verstrichen waren. Vielmehr behauptet der Beklagte pauschal, besondere Gründe, die zugunsten des Klägers zu berücksichtigen seien, seien nicht ersichtlich. Hierin liegt ein durchgreifender Ermessensfehler, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen muss, zumal das Bundesverwaltungsgericht in einem ganz neuen Urteil vom 11.11.2010 (BVerwG, Urteil vom 11.11.2010 - 5 C 12/10 -, juris) , dessen Begründung erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat veröffentlicht worden ist, bekräftigt hat, dass im Rahmen der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen seien. Hierbei seien insbesondere die Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes und die Zeit zwischen Einbürgerungsentscheidung und Rücknahmeentscheidung zu gewichten. So könne zum Beispiel eine geringe Schwere des Verstoßes im Zusammenwirken mit anderen Umständen dazu führen, dass die Rücknahme ausnahmsweise unverhältnismäßig ist.

Einen Versuch, im Berufungsverfahren im Rahmen des nach § 114 Satz 2 VwGO Möglichen Ermessenserwägungen nachzuschieben, hat der Beklagte nicht unternommen, sondern beharrlich den Standpunkt vertreten, der Fall biete keine Veranlassung zu ergänzenden Ermessenserwägungen.

Schließlich ist das Vorbringen des Beklagten, es sei fraglich, ob der Kläger alle nach heutiger Rechtslage maßgeblichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfülle, nicht entscheidungserheblich. Seiner Relevanz steht bereits das im Staatsangehörigkeitsrecht geltende Günstigkeitsprinzip, das in § 40 c StAG seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, entgegen. Zudem gilt, dass die Erfüllung der Voraussetzungen einer Anspruchseinbürgerung zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zwar zur Rechtswidrigkeit einer nach den Rücknahmevorschriften eigentlich rechtmäßigen Rücknahme führen kann, weil ihr der aktuelle Anspruch auf Einbürgerung entgegensteht. Indes kann das Nichtbestehen eines Einbürgerungsanspruchs zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung über die angefochtene Rücknahme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Folge haben, dass eine den rechtlichen Anforderungen nicht genügende und damit rechtswidrige Rücknahme rechtmäßig wird.

Nach alledem hat das Verwaltungsgericht der gegen die Rücknahme der Einbürgerung erhobenen Klage zu Recht stattgegeben, so dass die Berufung des Beklagten zurückgewiesen werden muss.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Beschluss

Der Streitwert wird in Anwendung der §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 42.1. der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) Inländische Geldinstitute haben der Deutschen Bundesbank in der Frist des § 71 Absatz 8 zu melden:

1.
Zahlungen für die Veräußerung oder den Erwerb von Wertpapieren und Finanzderivaten, die das Geldinstitut für eigene oder fremde Rechnung an Ausländer verkauft oder von Ausländern kauft, sowie Zahlungen, die das Geldinstitut im Zusammenhang mit der Einlösung inländischer Wertpapiere an Ausländer leistet oder von diesen erhält; in den Meldungen müssen die Angaben gemäß Anlage Z10 „Wertpapiergeschäfte und Finanzderivate im Außenwirtschaftsverkehr“ enthalten sein;
2.
Zins- und Dividendenzahlungen auf inländische Wertpapiere, die sie an Ausländer leisten oder von diesen erhalten; in den Meldungen müssen die Angaben gemäß Anlage Z11 „Zahlungen für Wertpapier-Erträge im Außenwirtschaftsverkehr“ enthalten sein;
3.
ein- und ausgehende Zahlungen für Zinsen und zinsähnliche Erträge und Aufwendungen, ausgenommen Wertpapierzinsen, die sie für eigene Rechnung von Ausländern entgegennehmen oder an Ausländer leisten; in den Meldungen müssen die Angaben gemäß Anlage Z14 „Zinseinnahmen und zinsähnliche Erträge im Außenwirtschaftsverkehr (ohne Wertpapierzinsen)“ und Anlage Z15 „Zinsausgaben und zinsähnliche Aufwendungen im Außenwirtschaftsverkehr (ohne Wertpapierzinsen)“ enthalten sein;
4.
im Zusammenhang mit dem Reiseverkehr
a)
ein- und ausgehende Zahlungen aus Kartenumsätzen; in den Meldungen müssen die Angaben gemäß Anlage Z12 „Zahlungseingänge/Zahlungsausgänge im Reiseverkehr: Karten-Umsätze“ enthalten sein,
b)
ein- und ausgehende Zahlungen aus dem An- und Verkauf von Sorten sowie Umsätze aus dem Verkauf oder aus der Versendung von Fremdwährungsreiseschecks; in den Meldungen müssen die Angaben gemäß Anlage Z13 „Zahlungseingänge/Zahlungsausgänge im Reiseverkehr: Sorten und Fremdwährungsreiseschecks“ enthalten sein.

(2) Geldinstitute im Sinne des Absatzes 1 sind

1.
Monetäre Finanzinstitute nach Artikel 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 25/2009 mit Ausnahme von Geldmarktfonds,
2.
sonstige Kreditinstitute nach § 1 Absatz 1 des Kreditwesengesetzes,
3.
Finanzdienstleistungsinstitute nach § 1 Absatz 1a des Kreditwesengesetzes und
4.
Wertpapierinstitute nach § 2 Absatz 1 des Wertpapierinstitutsgesetzes.

(3) Absatz 1 Nummer 1 und 3 ist nicht anzuwenden auf Zahlungen, die den Betrag von 12 500 Euro oder den Gegenwert in anderer Währung nicht übersteigen.

(4) Bei Meldungen nach Absatz 1 Nummer 1 sind die Kennzahlen der Anlage LV „Leistungsverzeichnis der Deutschen Bundesbank für die Zahlungsbilanz“ und die Bezeichnungen der Wertpapiere, die internationale Wertpapierkennnummer sowie Nennbetrag oder Stückzahl anzugeben.

(5) Soweit Zahlungen nach Absatz 1 zu melden sind, ist § 67 nicht anzuwenden.

(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist seit Dezember 1987 mit Fatma K. verheiratet. Seine Ehefrau wurde im Mai 1995 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

2

Nach einem erfolglosen, u.a. auf die Mitgliedschaft in der "Partiya Karkerên Kurdistan" (Arbeiterpartei Kurdistans, im Folgenden: PKK) gestützten Asylbegehren begab sich der Kläger nach Frankreich, wo er im Februar 1986 als politischer Flüchtling anerkannt, ihm der Aufenthalt gestattet und ein Reiseausweis ausgestellt wurde. Er war Mitglied des Vorstands des im Mai 1988 bei dem Amtsgericht Bonn - Vereinsregister - eingetragen Vereins "Union Patriotischer Intellektueller Kurdistans (YRWK)".

3

Im Oktober 1992 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Köln erteilte ihm erstmals im Dezember 1992 eine Aufenthaltserlaubnis, im November 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und im Juni 2002 eine Aufenthaltsberechtigung.

4

Bereits im März 1989 hatte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Er wurde verdächtigt, unter dem Decknamen "N." Pässe zu fälschen, mit denen die PKK Angehörige ausstattete, denen die Aufgabe zukam, "Feinde" der Partei zu töten. Im August 1994 stellte der Generalbundesanwalt das Verfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein.

5

Mit in Rechtskraft erwachsenem Strafbefehl vom 24. Juni 1999 wurde gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen festgesetzt. Er wurde beschuldigt, seine Festnahme erschwert zu haben, als er im Zuge einer Demonstration aus Anlass der Festnahme des PKK-Führers Öcalan mit einer großen Gruppe weiterer Demonstranten das Kölner Parteibüro der SPD zu erstürmen versuchte.

6

Bereits am 22. Juli 1997 hatte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beantragt. Die Beklagte hatte den unbeschränkt gestellten Antrag als auf die Einbürgerung nach § 9 RuStAG gerichtetes Begehren behandelt und mit Blick auf das seinerzeitige Nichtbestehen einer dreijährigen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen im Einvernehmen mit dem Kläger zunächst zurückgestellt. Auf ihre Anregung hin stellte dieser seinen Antrag am 20. Juni 2000 "von § 9 StAG auf § 85 AuslG" um. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte sie den Antrag auf Einbürgerung nach § 85 AuslG ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einer Einbürgerung stehe § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegen. Der Kläger habe die PKK und damit eine Bestrebung unterstützt, die sowohl gegen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sei als auch durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er habe den Ausschlussgrund jeweils selbstständig tragend durch mehrere Unterstützungshandlungen zum Vorteil der PKK verwirklicht. Als Unterstützungshandlungen seien sowohl die Passfälschungen als auch die Teilnahme an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln zu werten. Beide Unterstützungshandlungen dürften ihm weiterhin entgegengehalten werden. Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasse Handlungen nicht, die als Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu qualifizieren seien. Dessen ungeachtet erstrecke es sich nicht auf die Passfälschungen, da diese nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden seien. Jedenfalls unterfielen beide Unterstützungshandlungen dem Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, sich von der früheren Unterstützung der PKK abgewandt zu haben.

8

Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger aus, das Berufungsurteil sei, soweit es die Passfälschungen betreffe, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Jedenfalls beruhe es auf einer Verletzung des § 51 Abs. 1 BZRG, da das Verwertungsverbot der Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegenstehe. Er habe im Übrigen glaubhaft gemacht, sich von der früheren Verfolgung und Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgewandt zu haben.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband hat.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Anspruchseinbürgerung (1.). Diese ist gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vom 22. Juli 1913 (RGBl S. 583), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258), ausgeschlossen (2.).

12

1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht das Begehren des Klägers allein unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung gewürdigt.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband grundsätzlich sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren unter sämtlichen denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen ist. Der Antrag ist regelmäßig auf die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichtet unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber von der Möglichkeit Gebrauch macht, seinen Antrag auf eine bestimmte Rechtsgrundlage zu beschränken. Eine solche Beschränkung setzt eine eindeutige Erklärung des Ausländers voraus, der ein entsprechender Wille unzweifelhaft zu entnehmen ist (Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305 <308> = Buchholz 402.240 § 102a AuslG Nr. 3 S. 4 f.; vgl. Nr. 8.1.1 Abs. 3 StAR-VwV sowie Nr. 8.1.1 Abs. 3 VAH-StAG). So verhält es sich hier.

14

Der Kläger hat seinen ursprünglichen Einbürgerungsantrag vom 22. Juli 1997 gegenüber der Beklagten am 20. Juni 2000 ausdrücklich "von § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz nach § 85 Ausländergesetz" umgestellt. Er hat dadurch mit der erforderlichen Eindeutigkeit und Klarheit zu erkennen gegeben, dass über seinen Einbürgerungsanspruch nur noch unter dem Gesichtspunkt der Anspruchseinbürgerung nach § 85 AuslG (jetzt: § 10 StAG) entschieden werden soll. Diese Beschränkung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt. Der Senat ist berechtigt, den Inhalt des klägerischen Begehrens eigenständig zu ermitteln. Zwar handelt es sich dabei um eine dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrte Tatsachenfeststellung. Diese kann hier jedoch vom Revisionsgericht ausnahmsweise jedenfalls deshalb vorgenommen werden, weil das Oberverwaltungsgericht keine Auslegung des Antrags des Klägers vorgenommen hat (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2005 - BVerwG 7 C 8.05 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 36 Rn. 30).

15

2. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass einem Rechtsanspruch des Klägers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt zu haben.

16

In revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen entsprechende Bestrebungen verfolgen (a) und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die PKK unterstützt hat (b), ohne glaubhaft gemacht zu haben, sich von dieser Unterstützung zwischenzeitlich abgewandt zu haben (c).

17

a) Der Begriff "Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind", im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist § 4 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes in der Fassung vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) entlehnt. Danach sind solche Bestrebungen politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Berlit, in: GK-StAR § 11 StAG Rn. 119, 121 und 131 f.). Bestrebungen, die im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner politischen Belange einzusetzen. Es werden nicht nur gewaltanwendende oder vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bundesgebietes gegen Nichtdeutsche. Bei einer exilpolitischen Betätigung muss die Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen.

18

Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht erkennbar ausgegangen. Seine von der Revision nicht angegriffene tatsächliche Würdigung, die PKK gefährde durch Spendengelderpressungen und Bestrafungsaktionen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und durch die Aufrechterhaltung militärischer Kampfeinheiten im kurdischen Siedlungsgebiet der Türkei und die Anwendung von Waffengewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

19

b) Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein. Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen (stRspr, vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 - BVerwGE 135, 320 Rn. 16).

20

Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer solchen Unterstützung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursächlich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen (Urteil vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 Rn. 19 und Beschluss vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 - juris Rn. 5).

21

Ausgehend von diesen von der Revision nicht angegriffenen Maßstäben hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG u.a. dadurch unterstützt hat, dass er in der Zeit von 1988 bis zum Februar 1994 unter dem Decknamen "N." Passfälschungen für die PKK durchgeführt hat. Seine Überzeugungsgewissheit hat es aus Indiztatsachen gewonnen. Als solche hat es die Bestätigung der Ehefrau des Klägers, dieser führe den Decknamen "N.", die Erwähnung des "N." als Ehemann der Fatma K. in einem Kassettenmitschnitt, die Aussage der als Kronzeugen vernommenen Person, "N." sei der Schwager des Hasan K., die im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände, den Eintrag der Festnetz-Rufnummer der Ehefrau als Rufnummer des "N." in drei beschlagnahmten Telefonlisten sowie den Umstand gewürdigt, dass die Ehefrau des Klägers in der Lage war, nach dessen Festnahme im März 1994 binnen zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM zu hinterlegen.

22

An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen ohne Erfolg bleiben (aa). Die Würdigung der Passfälschertätigkeit des Klägers als frühere Unterstützungshandlung verstößt weder gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (bb) noch gegen die Unschuldsvermutung (cc). Die Angriffe der Revision gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln gehen ins Leere (dd).

23

aa) Die von der Revision erhobenen Rügen eines Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz (1), einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (2) und eines Verstoßes gegen Denkgesetze (3) bleiben ohne Erfolg.

24

(1) Es kann dahinstehen, ob die Rüge, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es die Aussage der Ehefrau des Klägers allein auf der Grundlage eines behördlichen Vermerks gewürdigt hat, gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, den Darlegungserfordernissen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt, da sie jedenfalls unbegründet ist.

25

Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet es, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen; dies schließt eine Bindung an die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich aus. Das Gericht muss daher alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - NVwZ-RR 2011, 986 ). Dabei stellt die Aufklärungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 22. März 2006 - BVerwG 4 B 15.06 - juris Rn. 7).

26

Sind - wie hier - keine förmlichen Beweisanträge gestellt, so bestimmt das Gericht den Umfang seiner Aufklärung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es überschreitet die Grenzen dieses Ermessens, wenn es eine Ermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles - auch nach dem Vorbringen der Beteiligten - von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 a.a.O. und vom 2. November 2007 - BVerwG 3 B 58.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 70 m.w.N.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag auf, wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen seine Entscheidung noch nicht sicher tragen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stützen (vgl. Beschluss vom 14. September 2007 - BVerwG 4 B 37.07 - juris Rn. 3).

27

Das Oberverwaltungsgericht war nicht deshalb zu weiterer Sachaufklärung verpflichtet, weil der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2010 auch die "vom Verwaltungsgericht unberücksichtigt gebliebenen Beweisanträge" wiederholt hat. Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz diese Beweisanregung als unsubstantiiert gewürdigt und hierzu ausgeführt hat, sie erschöpfe sich in einem schlichten Bestreiten der Indiztatsache des Geständnisses der Ehefrau des Klägers, ohne konkrete positive Tatsachen in das Wissen der Zeugin zu stellen, die diese Indiztatsache entkräften oder im Ergebnis eine andere tatsächliche Würdigung rechtfertigen könnten. Einzelheiten, die Rückschlüsse auf eine unrichtige Beurkundung der Aussage seiner Ehefrau zulassen, legt der Kläger nicht dar. Seine Beweisanregung verhält sich weder zu dem Ablauf der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt noch zu der Reaktion seiner Ehefrau auf den seinerzeitigen Vorhalt, obwohl hierzu nicht zuletzt mit Blick auf die Gesamtheit der von dem Verwaltungsgericht gewürdigten Indizien Veranlassung bestanden hätte.

28

(2) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es unterlassen habe, auf die mangelnde Substantiierung des die Vernehmung der Ehefrau des Klägers und des Hasan K. betreffenden Beweisantritts hinzuweisen, gegen seine Pflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.

29

Diese Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Hiergegen verstößt das Gericht, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>; Beschlüsse vom 29. Juli 2004 - BVerwG 9 B 23.04 - juris Rn. 2 m.w.N. und vom 4. Juli 2007 - BVerwG 7 B 18.07 - juris Rn. 5). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.

30

Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger anwaltlich vertreten und die Belehrungspflicht aus diesem Grund ohnehin ihrem Umfang nach eingeschränkt war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>; BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218> = Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 4), waren die Beweisanträge bereits im erstinstanzlichen Verfahren - wenngleich mit anderer Begründung - abgelehnt worden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Revision wegen der Überprüfungsbedürftigkeit der Feststellung, der Kläger sei unter dem Decknamen "N." für die PKK tätig gewesen, zugelassen hat, konnte kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass das Berufungsgericht den Anträgen stattgeben würde. Dies gilt umso mehr, als dem Umstand, dass das Berufungsgericht zur Berufungsverhandlung - wie aus der Terminsladung und der darin enthaltenen Bitte, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu erklären, ersichtlich ist - keine Zeugen geladen hatte, zu entnehmen war, dass es eine Zeugenvernehmung nicht für erforderlich hielt. In dieser Situation wäre es Sache des Klägers gewesen, in prozessual geeigneter Weise auf die von ihm für geboten erachtete Beweiserhebung hinzuwirken (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2006 - BVerwG 5 B 98.05 - juris Rn. 9). Dementsprechend durfte das Berufungsgericht in der konkreten Prozesssituation abwarten, welche Beweisanträge in welcher Form in der mündlichen Verhandlung tatsächlich gestellt werden würden. Es war nicht gehalten, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es die Beweisanregungen rechtlich bewertete. Dies gilt umso mehr, als sich deren tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. September 2011 - BVerwG 5 B 11.11 - juris Rn. 3 m.w.N.).

31

(3) Ebenfalls erfolglos rügt die Revision einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

32

Die Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme gilt unter anderem für die gegen Denk- oder Naturgesetze verstoßende Sachverhaltswürdigung (Beschluss vom 21. September 2011 a.a.O. juris Rn. 9). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht jedoch schon dann, wenn das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen, selbst wenn der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar näher liegt als der vom Gericht gezogene (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - BVerwG 8 B 3.72/8 C 7.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 und vom 21. September 1982 - BVerwG 2 B 12.82 - NJW 1983, 62 <63>).

33

Die von der Revision gerügten Verstöße gegen Denkgesetze werden nicht in einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.

34

Soweit sich die Rüge gegen die Würdigung des Berufungsgerichts richtet, die am 5. Juli 1989 im Keller der Ehewohnung beschlagnahmten Gegenstände deuteten auf die Identität des Klägers mit dem Decknamen "N." hin, beschränkt sie sich auf eine in die Form einer Verfahrensrüge gekleidete inhaltliche Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Sie setzt dieser eine eigene Würdigung entgegen, ohne jedoch Anhaltspunkte für eine willkürliche oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrenssätze verstoßende Würdigung der Erkenntnismittel zu benennen. Insbesondere zeigt sie nicht auf, welche Denkgesetze das Berufungsgericht bei der Würdigung des Sachverhalts außer Acht gelassen haben sollte. Hierfür ist dem Beschwerdevorbringen auch im Übrigen nichts zu entnehmen.

35

Ein Verstoß gegen Denkgesetze wird auch nicht hinsichtlich der Würdigung des Berufungsgerichts aufgezeigt, Indiz für eine enge Verbindung des Klägers mit der PKK sei auch der Umstand, dass seine Ehefrau nach seiner Festnahme im März 1994 innerhalb von zwei Tagen eine Kaution in Höhe von 20 000 DM hinterlegen konnte. Dass der Sachverhalt nur die von dem Kläger in den Raum gestellte Schlussfolgerung zulässt, jede andere hingegen aus denkgesetzlichen oder logischen Gründen schlechterdings unmöglich ist, lässt sich dem Revisionsvortrag nicht entnehmen.

36

bb) Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl I S. 1229, 1985 I S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2011 (BGBl I S. 2714) steht der Berücksichtigung der Passfälschungen im Rahmen des Ausschlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Ergebnis nicht entgegen. Allerdings ist das angefochtene Urteil mit § 51 Abs. 1 BZRG insoweit nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als frühere Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nach Auffassung des Berufungsgerichts bereits tatbestandlich nicht von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasst werden (1). Die Entscheidung beruht indes nicht auf diesem Rechtsverstoß. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit § 51 Abs. 1 BZRG selbstständig tragend ausgeführt, dass die Passfälschertätigkeit auch deshalb nicht von dem Verwertungsverbot erfasst werde, weil sie nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt habe (2).

37

(1) Die Regelung über den Ausschluss der Einbürgerung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hat keinen die Anwendbarkeit des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1 BZRG ausschließenden Charakter. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmt, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.

38

Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Ausklammerung vergangener Verfolgungs- und Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aus dem Anwendungsbereich des Verwertungsverbots nicht zu. Der zentrale Begriff des Rechtsverkehrs umfasst vielmehr sämtliche Bereiche des Rechtslebens unter Einschluss des Verwaltungs- und damit auch des Staatsangehörigkeitsrechts (vgl. zum Ausländerrecht Urteil vom 5. April 1984 - BVerwG 1 C 57.81 - BVerwGE 69, 137 <143> = Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 6 S. 12 f.; ferner Götz/Tolzmann - Bundeszentralregistergesetz, 4. Aufl. 2000, § 51 Rn. 21).

39

Die Bestimmung kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt werden, dass die hier in Rede stehenden Handlungen nicht ihrem Anwendungsbereich unterfallen. Dies setzte voraus, dass eine solche Einschränkung nach den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Regelungszielen geboten ist (vgl. Urteil vom 9. Februar 2012 - BVerwG 5 C 10.11 - juris Rn. 15, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Dies ist hier nicht der Fall.

40

Die weite Fassung des Verwertungsverbotes spiegelt dessen Zweck wider, den Einbürgerungsbewerber von einem Strafmakel zu befreien und dadurch seine Resozialisierung zu begünstigen. Ziel der von dem Gedanken der Rehabilitation geprägten Regelung war die Schaffung eines umfassenden Verwertungsverbotes, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt und von dem nur abschließend aufgezählte Ausnahmen zulässig sein sollen (Götz/Tolzmann a.a.O. § 51 Rn. 4). Soweit der Gesetzgeber einzelne Bereiche des Rechts ausnehmen wollte, hat er dies abschließend in § 51 Abs. 2 und § 52 BZRG geregelt. Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG nur berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet. Insbesondere an dieser Ausnahme muss sich auch eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG messen lassen.

41

(2) § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

42

Einer unmittelbaren Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG steht entgegen, dass die Vorschrift tatbestandlich eine eingetragene Verurteilung voraussetzt. Nur strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG unterliegen gemäß § 45 Abs. 1 BZRG der Tilgung. Mit dem Verwertungsverbot soll der Verurteilte nach Tilgung bzw. Tilgungsreife von dem Makel der Verurteilung befreit und ihm die Resozialisierung erleichtert werden (BRDrucks 676/69 S. 24 und BTDrucks VI/1550 S. 21, jeweils zu § 49 BZRG a.F.). Daran fehlt es hinsichtlich der Passfälschertätigkeit.

43

Einer entsprechenden Anwendung widerstreitet, dass insoweit zwar eine Regelungslücke besteht, diese aber nicht planwidrig ist. Die Anordnung eines Verwertungsverbotes für Taten, die nicht in das Register einzutragen und aus diesem zu tilgen sind, ginge über den gemäß § 3 Nr. 1, § 4 BZRG auf strafrechtliche Verurteilungen beschränkten Rahmen des Gesetzes hinaus. Obgleich dem Gesetzgeber die Problematik seit Jahrzehnten bekannt ist, hat er keine Veranlassung gesehen, den Gedanken der Rehabilitation auch für Taten, die nicht durch eine Verurteilung strafrechtlich geahndet werden, normativ zu verankern. Dessen ungeachtet sind auch die Sachverhalte nicht vergleichbar. Das Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes, der nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden ist, ist nicht in gleicher Weise wie der aus einer Verurteilung herrührende Strafmakel geeignet, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden (Urteile vom 3. Dezember 1973 - BVerwG 1 D 62.73 - BVerwGE 46, 205 <206 f.> und vom 26. März 1996 - BVerwG 1 C 12.95 - BVerwGE 101, 24 <30> = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 76 S. 30; vgl. ferner BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72 - BGHSt 25, 64 <65> und Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04 - NStZ 2005, 397 f.).

44

cc) Das Berufungsgericht war auch nicht durch die Unschuldsvermutung gehindert, die Tätigkeit des Klägers als Passfälscher, hinsichtlich derer das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen.

45

Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts im Range eines Bundesgesetzes und schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren vorausgegangen ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 und 2 BvR 1343/88 - BVerfGE 82, 106 <114 f.>). Sie schützt hingegen nicht vor Rechtsfolgen, die - wie die Ablehnung der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband - keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert sind.

46

dd) Da das Berufungsgericht das Unterstützen von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ohne Verletzung revisiblen Rechts selbstständig tragend auf die Fälschung von Passpapieren gestützt hat, können die Angriffe gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln im Februar 1999 schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das angegriffene Urteil nicht auf einem etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit diesen Erwägungen beruhen kann. Denn eine Rechtsverletzung ist im Falle einer kumulativen Mehrfachbegründung nur kausal im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, wenn diese sämtliche Begründungsstränge erfasst oder wenn jeder der Begründungsstränge von einem individuellen Rechtsverstoß betroffen ist (Urteil vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 12 f. m.w.N.).

47

c) Der Kläger hat auch nicht im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der in Rede stehenden Bestrebungen abgewandt hat. An das Sich-Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Ausschlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein herabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des einbürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Verhaltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder Unterstützung von - wie hier - sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumindest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Vergangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen oder ihnen abschwören (vgl. Berlit a.a.O. Rn. 152 und 158; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 11 Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.).

48

Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung ersichtlich von diesen Grundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Abwendung des Klägers von der PKK vorliegen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. November 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. November 2015 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

2

Die Antragsgegnerin hat zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in ihrer Verfügung vom 6. November 2015 entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend schriftlich begründet. Die im Rahmen des Eilverfahrens vorzunehmende vorläufige Interessenabwägung – zwischen dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit und dem geltend gemachten öffentlichen Interesse an der baldigen Wirkung der Rücknahme der Einbürgerung – fällt aber zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn nach einer – dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechenden – summarischen Prüfung (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 81; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 125, 152, 158) dürfte die genannte Verfügung, mit der nach § 35 Abs. 1 StAG die Einbürgerung des Antragstellers in den deutschen Staatsverband rückwirkend auf den 12. September 2014 zurückgenommen wurde, jedenfalls derzeit rechtswidrig sein. Zwar dürften die formellen (1.) und die materiellen (2.) Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Entscheidung ist aber ermessensfehlerhaft ergangen (3.). Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin (4.).

3

1. Die formellen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung vom 12. September 2014 waren erfüllt. Insbesondere erfolgte die Rücknahme, die am 9. November 2015 im Wege der Zustellung des Bescheides bekanntgegeben wurde, innerhalb der Fünf-Jahresfrist nach § 35 Abs. 3 StAG. Der Antragsteller war auch – mit Schreiben vom 6. Juli 2015 – zur beabsichtigten Rücknahme angehört worden.

4

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG dürften ebenfalls vorliegen: Die Einbürgerung dürfte rechtswidrig gewesen sein (a.) und der Antragsteller dürfte sie durch arglistige Täuschung erwirkt haben (b.).

5

a. Die nach § 10 StAG vorgenommene (Anspruchs-)Einbürgerung des Antragstellers dürfte nach summarischer Prüfung rechtswidrig i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG gewesen sein. Zwar dürfte es nicht an einer der Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG fehlen (aa.). Der Einbürgerung dürfte aber das Einbürgerungsverbot des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengestanden haben (bb.).

6

aa. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe am 12. September 2014 dürften sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG vorgelegen haben. Insbesondere dürfte es nicht an dem gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erforderlichen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Erklärung zu etwaigen verfassungsfeindlichen oder extremistischen Aktivitäten (sog. Loyalitätserklärung) fehlen. Hierbei dürfte es sich bloß um eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung handeln (vgl. zum Folgenden Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht – GK-StAR, Stand: Oktober 2014, § 10 StAG Rn. 134 ff., insbesondere Rn. 135 m.w.N. auch zur Gegenansicht und Rn. 136, 141 ff. mit entstehungsgeschichtlichen Argumenten; siehe ferner VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 41 ff.). Wenn bereits im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen und zu entscheiden wäre, ob das abgegebene Bekenntnis bzw. die Loyalitätserklärung inhaltlich zutreffend ist, würde § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG keine eigenständige Bedeutung haben. Dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG – über die Anforderungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hinaus – eine verfassungsfreundliche Gesinnung als materielle Voraussetzung der Einbürgerung konstituiert, dürfte nicht nahe liegen. Jenseits innerer, nicht überprüfbarer mentaler Vorbehalte kann die Frage, ob ein Bekenntnis oder eine Loyalitätserklärung „wahrheitsgemäß“ ist, sinnvoll nur anhand tatsächlicher Anhaltspunkte geprüft und entschieden werden und zwar im Rahmen der Prüfung von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.

7

bb. Nach Aktenlage dürfte der Einbürgerung zum Zeitpunkt ihres Vollzuges am 12. September 2014 ein Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengestanden haben. Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung u.a. dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden. Die in dieser Vorschrift zum Einbürgerungsverbot zusammengefassten Voraussetzungen bezwecken, dass mit Blick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ein bloßes „Lippenbekenntnis“ nicht für die Einbürgerung ausreicht. Die Vorschrift bewirkt eine Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter weit in das Vorfeld konkreter Sicherheitsgefährdungen. Zweck der Bestimmung ist es, die Einbürgerung etwa von radikalen Islamisten auch dann verhindern zu können, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können, aber zumindest der begründete Verdacht besteht, dass Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützt werden, die für den deutschen Staat wesentlich sind (vgl. BT-Drs. 14/533, S. 18 f. zur gleich lautenden Vorgängerregelung des bis zum 31.12.2004 geltenden § 86 Nr. 2 AuslG; BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 15).

8

Bei summarischer Prüfung dürften zumindest im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vorgebrachten Anknüpfungstatsachen und vor dem Hintergrund der herabgesetzten Anforderungen an ihren Nachweis tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen (1) unterstützt (2) hat.

9

(1) Bei den Bestrebungen, mit denen sich der Antragsteller beschäftigt haben soll, handelt es sich um verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 lit. c) BVerfSchG solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Nachweis, dass eine Organisation derartige Ziele verfolgt, hat als geführt zu gelten, wenn und sobald sie vereinsrechtlich verboten worden ist (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 71). Dies ist mit Blick auf die jihadistisch-salafistische Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) der Fall. Mit Verfügung vom 12. September 2014 hat der Bundesminister des Innern die Betätigung des IS verboten (vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 21.4.2015 – 1 K 14.1546, juris Rn. 36 zur terroristischen Betätigung des IS gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.). Der IS verfolgt zudem Bestrebungen, die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Derartige Bestrebungen liegen bereits dann vor, wenn eine Organisation zwar nicht im Bundesgebiet Gewalt anwendet, wohl aber im Herkunftsland – wie hier in Syrien und im Irak – gewaltförmig agiert. Zu den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik Deutschland gehört das Bestreben, Gewaltanwendung jedenfalls außerhalb von staatlich getragenen bewaffneten Interventionen nach Maßgabe der UN-Charta als Mittel der Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Interessen und Ziele umfassend zu bannen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 30.9.2004 – 10 K 6189/03, juris Rn. 30). Aufgrund der Aufrufe des IS an seine Unterstützer, im westlichen Ausland Anschläge zu begehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 26 f., 32; siehe auch die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, zu denen sich der IS bekannte), verfolgt der IS gleichzeitig Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.

10

Der jihadistische Salafismus stellt auch im Übrigen eine Bestrebung dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist (vgl. VG Aachen, Urt. v. 19.11.2015 – 5 K 480/14, juris Rn. 72; VG Minden, Urt. v. 27.10.2015 – 8 K 1220/15, juris Rn. 27 ff.). Der Salafismus verfolgt das Ziel, Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als „gottgewollte" Ordnung angesehen und propagiert wird, umzugestalten und befürwortet dabei die Anwendung von Gewalt (entgegen § 4 Abs. 2 lit. f] BVerfSchG: Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft). Für Salafisten ist Allah der einzige Souverän und die Scharia das von ihm offenbarte – und damit einzig legitime – Gesetz (entgegen § 4 Abs. 2 lit. b] BVerfSchG: Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht). Demokratie ist in ihren Augen eine falsche „Religion". Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung (vgl. § 4 Abs. 2 lit. a] und lit. d] BVerfSchG) ist demnach unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, Gleichberechtigung, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. zum Vorstehenden Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 40 f.; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 137 f.). Auch weitere von dem Antragsteller vermeintlich bei Facebook mit einem „Like“ versehene Organisationen verfolgen derartige Bestrebungen: Bei der „al-Nusra-Front“ handelt es sich um einen Ableger der Terrororganisation al-Qaida (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 33 f.). Die in Nigeria äußerst brutal agierende Organisation „Boko Haram“ legte im März 2015 ihren Treueeid auf den selbsternannten IS-Kalifen Baghdadi ab (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 36). Die Hamburger „Dawa“(= Missionierung)-Gruppen werden ebenso wie die Gruppen „Lies! Hamburg“ und „Jesus im Islam“ aufgrund ihrer Nähe zur salafistischen Szene vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 43 ff.).

11

(2) Aufgrund der summarischen Prüfung und Würdigung der in den vorliegenden Akten enthaltenen Feststellungen kommt das Gericht zu dem Schluss, dass ungeachtet verschiedener Zweifel in tatsächlicher Hinsicht vieles dafür spricht, dass der Antragsteller bereits im Zeitraum vor der Einbürgerung derartige Bestrebungen unterstützt hat.

12

Ausgehend vom obengenannten Zweck der Bestimmung, einer Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter, ist eine Unterstützung jede eigene Handlung, die für Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18; OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64; vgl. auch VGH München, Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01 1805, juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dazu zählt jedes Tätigwerden auch eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotential stärkt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64). Als Unterstützungshandlungen gelten etwa die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01.1805, juris Rn. 32; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 96.2). Auf einen beweis- oder messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an, weil schon die Erhöhung des Gefährdungspotentials dieser Bestrebungen verhindert werden soll (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 5.12.2007 – 1 K 1851/06, juris Rn. 20). Die Handlung muss dem Betroffenen nicht subjektiv vorwerfbar sein (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.4.2008 – 5 N 19.06, juris Rn. 9; VGH Mannheim, Urt. v. 10.11.2005 – 12 S 1696/05, juris Rn. 26). Daher ist auch unerheblich, ob die maßgeblichen Handlungen strafrechtlich relevant sind (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 65). Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24.08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18).

13

Das Vorliegen einer Unterstützungshandlung muss nicht mit dem üblichen Grad der Gewissheit festgestellt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr ein tatsachengestützter hinreichender Verdacht (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 66 f.). Allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch bezeichenbare, konkrete Tatsachen gestützt sind, genügen nicht. Die Annahme darf nicht „aus der Luft" gegriffen bzw. willkürlich sein. Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine entsprechende Annahme rechtfertigen, sind konkrete auf den Einbürgerungsbewerber bezogene Umstände, die von der Einbürgerungsbehörde dargelegt und einer Beweisführung zugänglich gemacht werden müssen.

14

Für die Rücknahme unbeachtlich sind dabei Aktivitäten, die der Eingebürgerte erst nach Vollzug der Einbürgerung aufnimmt. Sie indizieren ohne Hinzutreten weiterer, dann aber selbständig zu beurteilender Umstände wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Sinneswandels auch nicht, dass der Eingebürgerte weitere (nicht bekannte) Aktivitäten bereits vor der Einbürgerung entfaltet hat (vgl. GK-StAR, § 10 StAG Rn. 155). Ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Eingebürgerte erst (und nur) nach Vollzug der Einbürgerung verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt hat, ist die Einbürgerung rechtmäßig. Die Rücknahme gemäß § 35 StAG scheidet dann aus. Der Widerruf einer rechtmäßigen Einbürgerung ist vor dem Hintergrund von Art. 16 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Insoweit ist vorliegend zu unterscheiden zwischen Aktivitäten, die vor dem Zeitpunkt des Einbürgerungsvollzugs – hier dem 12. September 2014 – und solchen, die erst danach entfaltet wurden. Der weitestgehend pauschale Verweis der Antragsgegnerin auf die Klageerwiderung in dem parallel anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren 19 K 3103/15, in dem sich der Antragsteller u.a. gegen die Entziehung seines Passes wendet, ist deshalb nicht zielführend. Im Rahmen der §§ 7, 8 PassG kommt es anders als im Rahmen von § 35 StAG darauf an, ob im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung (bzw. im Klageverfahren im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Betroffene die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Bei der Passentziehung handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. § 35 StAG ermöglicht hingegen die Rücknahme erschlichener oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkter Einbürgerungen und die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände (vgl. eingehend BVerfG, Urt. v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04, juris).

15

Gemessen an diesen Maßstäben liegen Anknüpfungstatsachen für Unterstützungshandlungen im obigen Sinn vor. Hierzu im Einzelnen:

16

(a) Der Umstand, dass der Antragsteller dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) seit Ende 2014 in Zusammenhang mit einer im Internet aktiven Dawah-Gruppe mit Bezug zum IS bekannt gewesen ist, wie es im Bescheid zur Passentziehung heißt, ist zwar kein relevanter Anknüpfungspunkt, denn nähere Angaben dazu, inwiefern der Antragsteller diese Gruppe unterstützt hat, liegen nicht vor.

17

(b) Auch eine von der Antragsgegnerin behauptete Ausreisebereitschaft des Antragstellers nach Syrien – um sich dort dem IS anzuschließen – dürfte als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Unterstützungshandlung nicht ausreichen. Die Ausreisebereitschaft wird von der Antragsgegnerin ausschließlich auf die Aussage einer Frau H gestützt, mit der der Antragsteller über verschiedene Kommunikationsplattformen im Internet Kontakt gehabt haben soll. Nach Angaben des LKA Baden-Württemberg sei Frau H selbst Sympathisantin des IS. Im Telefonbuch ihres Mobiltelefons wurde eine Nummer gefunden, die dem Antragsteller zuzuordnen ist. Frau H konnte in ihrer Zeugenbefragung teilweise zutreffende Angaben über den Antragsteller machen (Alter, Wohnort, Aussehen, Herkunft). Es erscheint danach durchaus plausibel, dass sie Kontakt zu dem Antragsteller hatte und er ihr gegenüber geäußert hat, nach Syrien reisen zu wollen, obwohl der IS „schlecht“ sei. Während sich in der Akte des LKA Baden-Württemberg von anderen Chats, die Frau H mit Sympathisanten des IS geführt haben soll, Screenshots finden, ist dies für den vermeintlichen Chat mit dem Antragsteller jedoch nicht der Fall. Es ist auch nicht klar, ob Frau H die Äußerung in einem WhatsApp-Chat, über ask.fm oder über ein anderes Portal oder einen anderen Kommunikationsweg getätigt hat. Aus der Akte des LKA Baden-Württemberg zur Befragung von Frau H am 19. Dezember 2014 ergibt sich zudem nicht, wann (vor oder nach Vollzug der Einbürgerung) das entsprechende Gespräch stattgefunden haben soll. In einem Gesprächsvermerk des LfV (Beleg 5 zur Stellungnahme vom 4.9.2015) heißt es, dass die Äußerung im Dezember 2014 und damit nach Vollzug der Einbürgerung erfolgte. Die in der Akte des LKA Baden-Württemberg dokumentierte Aussage dürfte für sich genommen – insbesondere auch wegen ihrer inhaltlichen Widersprüchlichkeit – daher nicht als Anhaltspunkt reichen. Der Sachverhalt wäre ggf. in einem Hauptsacheverfahren durch Vernehmung der Frau H als Zeugin aufzuklären.

18

(c) Bei der Gewahrsamnahme des Antragstellers am 10. Oktober 2014 handelt es sich um einen Vorgang, der nach dem Vollzug der Einbürgerung stattfand und damit isoliert betrachtet nicht herangezogen werden kann. Im Übrigen bestehen nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller im Oktober 2014 an den gewaltsamen Ausschreitungen zwischen kurdischen Volkszugehörigen und Angehörigen der islamistischen Szene in St. Georg beteiligt hat. Die Ausschreitungen fanden am 7. und 8. Oktober 2014 statt. Der Antragsteller wurde laut Polizeibericht am 10. Oktober 2014 vor der Moschee „M“ nach Beendigung des dortigen Freitagsgebetes „als Teil einer relevanten Personengruppe festgestellt“ und aufgrund einer bei ihm aufgefundenen Sturmhaube in Gewahrsam genommen, weil befürchtet wurde, dass er „bei weiteren Zusammenrottungen seine Identität durch das Tragen der Sturmhaube verschleiern will“. Es ist nicht erkennbar, inwiefern der Antragsteller ein konkretes Verhalten beabsichtigt haben könnte, das den o.g. Bestrebungen förderlich gewesen wäre. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es am 10. Oktober 2014 überhaupt zu Ausschreitungen – wie am 7. und 8. Oktober 2014 – gekommen ist oder kommen sollte (vgl. auch Lageinformation aktuelle Entwicklung Kurden vs. IS, Gerichtsakte 19 K 3103/15, Bl. 108 ff.). Die Personenkontrollen am 10. Oktober 2014 hat die Polizei offenbar unter dem Eindruck der Geschehnisse vom 7. und 8. Oktober 2014 durchgeführt. Die bloße Anwesenheit des Antragstellers vor einer Moschee in einem Gebiet, in dem es Tage zuvor zu Ausschreitungen gekommen ist, dürfte für sich genommen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine Unterstützungshandlung darstellen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass bei dem Antragsteller eine Sturmhaube gefunden wurde. Im Eilverfahren 19 E 3104/15 hatte der Antragsteller vorgetragen, dass es sich bei der angeblichen Sturmhaube um einen Gesichtsschutz handele, den er beim Kart fahren kurz vor der Gewahrsamnahme getragen habe. Auch der weitere Vortrag des Antragstellers, er habe den Imbiss seines Vaters besuchen wollen, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Dieser ist nur wenige hundert Meter von der Moschee entfernt. Eine Berücksichtigung der Gewahrsamnahme wäre nur im Rahmen einer Gesamtschau mit Blick auf die vom Antragsteller gegenüber den Polizisten getätigten Äußerungen (Erkundigung nach Uhrzeit und Himmelsrichtung zur Orientierung Richtung Mekka) möglich, soweit es um die Konversion des Antragstellers zum Islam geht (siehe dazu unten).

19

(d) Tatsächliche Anhaltspunkte für Unterstützungshandlungen des Antragstellers für verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen dürften sich aber aus dessen Aktivitäten im Internet ergeben.

20

Es spricht aufgrund der Stellungnahme des LfV vom 4. September 2015 vieles dafür, dass das Profil „A R“ dem Antragsteller zuzuordnen ist. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass jemand aus dem Bekannten- oder Freundeskreis des Antragstellers die Profile bei Facebook und ask.fm eingerichtet hatte. Das LfV hat aber herausgearbeitet, dass der Name „A R“ auch von einem Profil auf der Plattform ask.fm benutzt worden ist, bei dem ein Foto des Antragstellers als Profilbild sichtbar war. Laut eines Gesprächsvermerks des LfV (Beleg 5 zur Stellungnahme vom 4.9.2015) haben zudem der Vater und der Onkel des Antragstellers geäußert, dass die problematischen Inhalte auf der Facebook-Seite „nur aus Spaß im Rahmen seiner letzten Geburtstagsfeier hochgeladen worden“ seien, was als weiteres Indiz dafür herangezogen werden kann, dass das Profil tatsächlich dem Antragsteller zuzuordnen ist. Zudem wurden sämtliche Facebook-Profile gelöscht, nachdem der LfV den Vater und den Onkel des Antragstellers Ende Januar 2015 mit den problematischen Inhalten konfrontiert hatte. Gleichwohl besteht über die Zuordnung des Profils „A R“ nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine Gewissheit.

21

Das Facebook-Profil „A R“ weist eine Vielzahl an Einträgen und Bildern sowie „Likes“ für solche Einträge und Bilder auf, die gewaltverherrlichend die Kämpfer des IS glorifizieren und den bewaffneten Jihad als Pflicht jedes gläubigen Muslims darstellen. Unter anderem wurde am 25. Oktober 2014 als Profilbild das Bild eines bewaffneten Jihadisten veröffentlicht, der vor einer schwarzen Flagge mit arabischen Schriftzeichen (womöglich der Flagge des IS) und Flammen steht. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich der Antragsteller selbst als eine Art „Glaubenskrieger“ ansieht. Am 23. Oktober 2014 wurde ein Bild eingestellt, das eine neue Form der Evolution suggeriert, die beim Kleinkind beginnt und in der Zuwendung zum Glauben mündet, zum „Glaubenskrieger“ führt und ihr Finale im Märtyrertum (symbolisiert durch einen grünen Vogel) findet. Es finden sich „Likes“ für Einträge von Personen, die nach Syrien gereist sind, um sich dort dem IS anzuschließen, z.B. für einen Eintrag von M B vom 20. Januar 2015, in dem dieser in Syrien gefallene „Märtyrer“ würdigt und „Likes“ für Bilder, mit denen Siege von „Glaubenskriegern“ in Syrien gefeiert werden. Es findet sich weiter ein „Like“ für den IS-Propaganda-Film „The Flames of War“, der massive Gewaltdarstellungen enthält. Weiter finden sich „Likes“ für die Organisationen „Lies! Hamburg“, „Hamburg Dawah Movement“, „Boko Haram“, „al-Nusra-Front“, „Jesus im Islam Hamburg“ sowie sonstige Inhalte mit Bezug zum Islam.

22

Der Unterstützungsbegriff des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dürfte derartige Sympathiewerbung für terroristische Aktivitäten Dritter als öffentliche Befürwortung von verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen umfassen. Diese Art von Sympathiewerbung, bei der der allgemeinen Verurteilung der Gräueltaten des IS das Bild eines gerechtfertigten und notwendigen Kampfes entgegensetzt wird, dürfte sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten des IS auswirken. Durch das Veröffentlichen von entsprechenden Inhalten in sozialen Netzwerken nimmt das radikale Gedankengut an Verbreitung zu. Der Veröffentlichende betätigt sich damit als Teil der Propagandamaschinerie der verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen. Dies dürfte nicht nur für eigene Einträge, sondern auch für „Likes“ gelten. Einträge, die mit einem „Like“ versehen werden, sind danach auf der Facebook-Seite desjenigen sichtbar, der den Eintrag „geliked“ hat. Die Möglichkeit der jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, weitere Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen bzw. „Kämpfer“ anzuwerben, erhöht sich. Die potentielle Gefährlichkeit des jihadistischen Salafismus wird dadurch gefestigt und ihr Gefährdungspotential gestärkt, denn die Radikalisierung potentieller „Glaubenskrieger“ verläuft oftmals über das Internet. Hierzu heißt es im Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 34 f.:

23

„2014 stand die salafistische Szene im Mittelpunkt der Beobachtung des Hamburger Verfassungsschutzes. Die Zahl der Salafisten, die den bewaffneten Jihad (Heiliger Krieg) befürworten stieg um mehr als das Dreifache von 70 auf 240 an. Zusammen mit den in Hamburg aktiven politischen Salafisten beträgt das salafistische Gesamtpotenzial mittlerweile rund 400 Personen (2013: 240). Der Anstieg insbesondere der jihadistisch orientierten Salafisten ist sowohl auf eine verbesserte Einblickstiefe des Verfassungsschutzes nach einer weiteren Schwerpunktsetzung seit Sommer 2014 als auch auf eine schnell zunehmende Radikalisierung speziell jüngerer Erwachsener zurückzuführen.

24

Eine entscheidende Rolle bei der Radikalisierung kommt den Ereignissen in den Krisenregionen Syrien und Irak zu, medial transportiert über soziale Netzwerke. Insbesondere junge Menschen, die auf der Suche nach Vorbildern sind und die zum Beispiel in Familien ohne Vater aufwachsen, ohne Integration in ihr soziales Umfeld sind und Brüche in ihrer Biografie haben, möglicherweise auch Probleme in der Schule, bei der Ausbildung oder der Arbeitsstelle, lassen sich für die militärischen Erfolge des „Islamischen Staates“ (IS) begeistern und haben der jihadistischen Szene einen Zulauf verschafft.
(….)

25

Diese rasante Steigerung ist auch auf die erfolgreichen Propagandastrategien der Salafisten zurückzuführen, mit denen sie in professioneller Weise für ihre Ziele werben. Vor allem über das Internet werden die salafistischen Ideologieinhalte in Form von Webseiten und Videosequenzen transportiert. Als weitere Aktionsformen werden im Rahmen der „Straßenmission“ unter anderem Infotische auf öffentlichen Plätzen und Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Gerade für junge Menschen stellen diese Propagandastrategien die ersten Berührungspunkte zum Salafismus dar.“

26

Nach Angaben des LfV soll der Antragsteller über das Profil „A R“ zudem schwerpunktmäßig mit Personen befreundet sein, die der jihadistisch-salafistischen Szene in Hamburg zugeordnet werden können. Persönliche Kontakte oder Freundschaften des Betroffenen mit Personen, die sicherheitsgefährdende Aktivitäten entfalten, können tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG bilden. Erforderlich ist aber, dass die Freundschaft gerade auf einer Übereinstimmung der politisch-gesellschaftlichen Anschauungen beruht und der Betroffene mit der Einstellung des Freundes/der Kontaktperson sympathisiert und diese gutheißt (vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 17.6.2010 – 5 K 1466/09, juris Rn. 21). Ob dies hier der Fall ist, kann vom Gericht derzeit nicht abschließend bewertet werden, da sich weitergehende Erkenntnisse über die einzelnen Personen nicht in den Stellungnahmen des LfV befinden. Auffällig ist aber, dass es sich bei den Kontakten offenbar – zumindest teilweise – nicht nur um bloße Internetbekanntschaften handelt. Einige der Facebook-Freunde, die vom LfV der jihadistisch-salafistischen Szene zugerechnet werden, gehören auch nach Angaben der Familie des Antragstellers zu seinen besten Freunden (und wohnen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft).

27

Diese Handlungen dürften auch gegen den Antragsteller verwendet werden können. Zwar sind nach Angaben des LfV die Facebook-Aktivitäten vor allem bei der Auswertung des Facebook-Profils (erst) am 26. Januar 2015 festgestellt worden. Viele der veröffentlichten Beiträge stammen aus der Zeit nach Vollzug der Einbürgerung am 12. September 2014. Auch soweit vor dem 12. September 2014 veröffentlichte Beiträge mit einem „Like“ versehen worden sind, ist nicht auszuschließen, dass dies erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen ist. In den meisten Fällen ist den vom LfV gefertigten Ausdrucken das Datum des „Like“ nicht zu entnehmen. Dasselbe gilt überwiegend für den Zeitpunkt der Aufnahme der Freundschaften zu vermeintlichen Mitgliedern der jihadistisch-salafistischen Szene. Unklarheiten in Bezug auf den Zeitpunkt einer Unterstützungshandlung dürften zu Lasten der Antragsgegnerin gehen.

28

Folgende Inhalte stammen aber ohne Zweifel aus einem Zeitraum vor dem Vollzug der Einbürgerung:

29

Zunächst finden sich diverse Inhalte, die Sympathien für den muslimischen Glauben zum Ausdruck bringen, wie z.B. die Veröffentlichung eines Profilfotos am 3. April 2014 mit der Inschrift „Ich bezeuge, dass niemand mit Recht angebetet wird außer Allah und dass Muhammad Sallallamu Alleihi wa Sallam der Gesandte Allahs ist“, eines Profilfotos am 11. Juni und 21. August 2013 mit der Inschrift „Ich bin ein Muslim, der Islam ist perfekt, ich bin es nicht. Wenn ich einen Fehler mache, so gib mir die Schuld, nicht dem Islam…“ und eines Profilfotos am 27. Juni 2013 mit der Inschrift „La ilaha illa Allah“. Diese Beiträge deuten als solche nicht auf Unterstützungshandlungen hin. Der Umstand, dass der Antragsteller zum Islam konvertiert sein könnte, dürfte aber im Rahmen einer Gesamtschau als Indiz einzubeziehen sein (siehe dazu unten).

30

Mit einigen Facebook-Freunden ist „A R“ bereits seit 2013 befreundet. Inwieweit einzelne dieser Personen der jihadistisch-salafistischen Szene zugeordnet werden können, wäre in einem Hauptsacheverfahren näher zu untersuchen. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass im Freundesbereich des Profils Überschneidungen mit dem Klarnamenprofil des Antragstellers bestehen (teilweise ebenfalls seit 2013) und auch diese Personen laut LfV der jihadistisch-salafistischen Szene angehören sollen.

31

Im Juni 2013 wurden die Facebook-Seiten „PierreVogel.de“ und „Al-Haqq News“ mit einem „Like“ versehen. Pierre Vogel ist ein deutscher salafistischer Prediger, der vom evangelischen Christentum zum sunnitischen Islam konvertiert ist (vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundes 2013, S. 225; Verfassungsschutzbericht Hamburg 2013, S. 31; s.a. Wikipedia-Eintrag „Pierre Vogel“, Abruf v. 19.2.2016). Er war Mitglied des inzwischen aufgelösten salafistischen Vereins „Einladung zum Paradies“ (kurz EZP), der vom Verfassungsschutz beobachtet wurde (vgl. Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 139). Bei „Al Haqq“ dürfte es sich um „Asa’ib Ahl al-Haqq“ handeln, eine paramilitärisch geführte, schiitische Extremistengruppe im Irak und Syrien (vgl. http://www.theguar-dian.com/world/2014/mar/12/iraq-battle-dead-valley-peace-syria; s.a. Wikipedia-Eintrag „Asa’ib Ahl al-Haqq“, Abruf jeweils v. 19.2.2016).

32

Auf einem am 24. August 2014 eingestellten Profilbild, das mit „A R al Indi“ (der Zusatz „al Indi“ könnte auf die indischen Wurzeln der Familie des Antragstellers hindeuten) überschrieben ist, wird ein muskulöser Mann in schwarzer Kleidung, mit schwarzem Bart und dunkler Sonnenbrille dargestellt. Es soll sich wohl um eine Art „Glaubenskrieger“ handeln. Gewissermaßen hinter oder auf der linken Schulter des Mannes ist ein schwarzes Banner zu erkennen. Das schwarze Banner ist eine Flagge, die von vielen islamistischen Terrororganisationen wie al-Qaida sowie dem IS benutzt wird (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/kobane-islamischer-staat-macht-angst-mit-schwarzer -flagge-a-995797.html.; s.a. Wikipedia-Eintrag „Schwarzes Banner“, Abruf jeweils v. 19.2.2016). Auf dem Gürtel des Mannes befinden sich zwei gekreuzte Säbel. Die Säbel gelten als ein Symbol des Islam und als Erkennungszeichen islamischer Kämpfer (vgl. Wikipedia-Eintrag „Scimitar“ – Synonym für Säbel –, Abruf v. 19.2.2016). Mit der Darstellung des portraitierten Mannes als nahezu übernatürlich stark wird suggeriert, dass man als „Glaubenskrieger“ so sei – womöglich gar zu neuer Stärke finde, wenn man für den IS kämpfe. Ein derartiges Bild kann andere junge Männer, die auf der Suche nach Orientierung im Leben sind, beeinflussen und sie dazu bringen, sich einer radikalen islamistischen Gruppierung wie dem IS anzuschließen (s.o. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014 zur von islamistischer Propaganda in sozialen Netzwerken im Internet ausgehenden Gefahr).

33

Die ohne Zweifel vor dem Vollzug der Einbürgerung veröffentlichten Inhalte und „Likes“ dürften bereits für die Bejahung von relevanten Unterstützungshandlungen genügen. Die Anhaltspunkte gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG müssen nach Art und Gewicht geeignet sein, eine dauernde Identifikation des Betroffenen mit den verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen zu indizieren (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 98). Dieses Mindestmaß an Nachhaltigkeit dürfte mit Blick auf die vor dem 12. September 2014 veröffentlichten Inhalte und „Likes“ erfüllt sein. Zwischen den „Likes“ für „PierreVogel.de“ und „Al Haqq“ im Juni 2013 und der Veröffentlichung des Profilbildes im August 2014 ist mehr als ein Jahr vergangen. Letzteres Bild ist – wie dargelegt – eindeutig dahingehend zu interpretieren, dass sich der Veröffentlichende mit radikalen islamistischen Gruppierungen wie dem IS identifiziert.

34

Selbst wenn man diese einzelnen Anhaltspunkte für sich genommen nicht ausreichen ließe, genügt es aber jedenfalls, dass die Gesamtschau aller vorhandenen Anhaltspunkte die Annahme der Unterstützung verfassungsfeindlicher und extremistischer Bestrebungen rechtfertigt (vgl. VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 32). Insoweit darf im Rahmen einer Gesamtschau auf die sonstigen Einträge, „Likes“ und Kontakte des Antragstellers bei Facebook wohl ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung zurückgegriffen werden. Mit dem Verbot der Heranziehung verfassungsfeindlicher und extremistischer Unterstützungshandlungen, die erst nach Vollzug der Einbürgerung vorgenommen werden, soll der Gefahr begegnet werden, dass eine Einbürgerung zurückgenommen wird, obwohl sich der Betroffene erst nach seiner Einbürgerung aufgrund eines Sinneswandels radikalisiert. Zeigt sich bei Betrachtung von Aktivitäten vor der Einbürgerung und danach hingegen – wie vorliegend – eine gewisse Konstanz, besteht diese Gefahr nicht. Die späteren Aktivitäten zeigen nur, dass der Antragsteller auch nach dem Vollzug seiner Einbürgerung in seinem radikalen Gedankengut verhaftet gewesen sein dürfte.

35

Ähnlich zu beurteilen sind insoweit die Auszüge aus dem ask.fm-Profil von „A R“. Dass das Profil dem Antragsteller zuzuordnen ist, hat der LfV plausibel dargelegt, ohne dass der Nachweis zum gegenwärtigen Zeitpunkt als geführt gilt. Folgende Indizien sprechen aber dafür: Der Profilinhaber gibt an, dass er aus Indien komme (die Familie des Antragstellers hat nach eigenen Angaben indische Wurzeln) und „sehr nah dran“ an zwei benannten Personen wohne, die tatsächlich in der Nachbarschaft des Antragstellers wohnten. Zudem besuche er eine Moschee am Hauptbahnhof (tatsächlich wurde er am 10. Oktober 2014 vor einer Moschee in der Nähe des Hauptbahnhofes angetroffen, siehe oben). Auf dem Gruppenbild der ask.fm-Gruppe „I f D“, in der sich nach Angaben des LfV Profile jihadistischer Salafisten zusammengeschlossen hatten, findet sich ein Bild des Antragstellers mit dem Namenszug „A R“. Die Einträge auf dem Profil dürften teilweise von ca. Anfang September 2014 (vgl. Ausdruck vom 1.10.2014) stammen. Inhaltlich befassen sich die Einträge im Wesentlichen mit allgemeinen Fragen zum Islam und der Auslegung des Korans.

36

(e) Weiter liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zum Islam konvertiert ist. Damit wird das Argument des Antragstellers, er sei Hindu und unterstütze schon deswegen keine jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, entkräftet. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich unabhängig von den vermeintlichen Internetaktivitäten des Antragstellers. Im Verfahren 19 E 3104/15 hatte der Schulleiter des von dem Antragsteller besuchten Gymnasiums eine E-Mail vorgelegt, in der der Antragsteller und ein Schulkollege darum bitten, an Freitagen den Unterricht früher verlassen zu dürfen, um am Gebet in einer Moschee teilnehmen zu dürfen. An der Aussagekraft der E-Mail bestehen aber Zweifel, da der Schulkollege später eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, wonach es bei der Freistellung nur um ihn und nicht um den Antragsteller gegangen sei. Der Antragsteller sei gläubiger Hindu und nicht zum Islam konvertiert. Die Eltern des Antragstellers sind nach eigenen Angaben Hindus. Der Vater und der Onkel haben geäußert, von einer Konversion des Antragstellers nichts bemerkt zu haben. Auf der anderen Seite haben sie im Rahmen einer Befragung anlässlich der Konfrontation mit möglichen Plänen des Antragstellers, nach Syrien auszureisen, angegeben, der Reisepass des Antragstellers sei vorsorglich aufgrund „eines unguten Gefühls“ in einem Bankschließfach deponiert worden und bei dem Antragsteller könne nicht ausgeschlossen werden, dass er sich „den falschen Freunden“ angeschlossen habe. Der Sachverhalt bedürfte insoweit weiterer Aufklärung in einem Hauptsacheverfahren. Könnte dem Antragsteller nachgewiesen werden, dass er zum Islam konvertiert ist, würde dieser Umstand – auch in Verbindung mit den wohl anlässlich seiner Gewahrsamnahme vor der Moschee am 10. Oktober 2014 getätigten Aussagen (Erkundigung nach Uhrzeit und Himmelsrichtung zur Orientierung Richtung Mekka) – den Verdacht erhärten, dass die Einträge auf dem Facebook- und dem ask.fm-Profil tatsächlich von ihm stammen und der Unterstützung jihadistisch-salafistischer Bestrebungen dienen sollten.

37

b. Soweit die Einbürgerung danach rechtswidrig ist, ist sie auch durch arglistige Täuschung i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG erwirkt worden. Als arglistige Täuschung wird bereits die wahrheitswidrige Beantwortung einer an den Einbürgerungsbewerber gestellten Frage angesehen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 41). In seiner Befragung zum Einbürgerungsantrag vom 14. April 2014 hat der Antragsteller sämtliche Fragen, die darauf abzielten festzustellen, ob er verfassungsfeindliche oder extremistische Bestrebungen unterstützt hat, mit „nein“ angekreuzt. Zugleich hat er eine entsprechende Loyalitätserklärung abgegeben. Wenn er die Unterstützungshandlungen erst nach Abgabe der Erklärung, aber noch vor Vollzug der Einbürgerung aufgenommen haben sollte, hätte er die Antragsgegnerin darüber aufklären müssen. Für die Begehungsform der arglistigen Täuschung in der Alternative des Verschweigens von Tatsachen reicht es, dass der Betreffende Tatsachen verschweigt und dabei weiß oder in Kauf nimmt, dass diese verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Behörde erheblich sind oder sein können (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 3.12.2012 – 11 K 1038/12, Rn. 42 f.). Zudem hat der Antragsteller bei Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde am 12. September 2014 die Erklärung unterschrieben, dass sich keine Veränderungen seiner persönlichen Verhältnisse ergeben hätten, die der Einbürgerung entgegenstehen könnten. In der Niederschrift über die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde vom 12. September 2014 hat der Antragsteller u.a. die Erklärung unterschrieben, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekenne.

38

Der Antragsteller dürfte seine Einbürgerung durch die Falschbeantwortung der Fragen bzw. das Verschweigen dieser Umstände auch arglistig erwirkt haben. Es dürfte für den Antragsteller aus Laiensicht völlig klar gewesen sein, dass seine Einbürgerung ausgeschlossen gewesen wäre, wenn der Antragsgegnerin die Umstände, aus denen sich der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ergeben hätte, offenbar geworden wären.

39

3. Obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme gemäß § 35 Abs. 1 StAG vorliegen dürften, dürfte der Bescheid aber jedenfalls derzeit ermessensfehlerhaft i.S.v. § 114 Satz 1 VwGO sein und wäre zumindest von daher aufzuheben. § 35 Abs. 1 StAG stellt die Entscheidung der Behörde in ihr Ermessen, ohne dass eine bestimmte Entscheidung intendiert ist (a.). Ob die Antragsgegnerin dementgegen von einem intendierten Ermessen ausgegangen ist und bereits deswegen ein Ermessensfehler vorliegt, kann dahinstehen (b.). Denn jedenfalls hat sie ihr Ermessen auch im Übrigen nicht ordnungsgemäß ausgeübt (c.). Das Gericht war weder gehalten, der Antragsgegnerin im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Möglichkeit einzuräumen, ihre Ermessenserwägungen zu ergänzen, noch dazu in der Lage, zu antizipieren, ob die Antragsgegnerin den Ermessensfehler im Widerspruchsverfahren heilen wird (d.).

40

a. Die Rücknahmeentscheidung ergeht gemäß § 35 Abs. 1 StAG nach freiem Ermessen. Die Ermessensausübung ist durch das Gesetz nicht dahin intendiert, dass von einem Erlass nur ausnahmsweise dann abgesehen werden darf, wenn besondere, berücksichtigungsfähige und gewichtige Gründe dies rechtfertigen. Für die Auffassung, dass etwa nur eine den Fällen des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbare Härte ein Absehen von der Rücknahme rechtfertigen kann, bietet das StAG keine Grundlage (vgl. ausführlich OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 657 f.; VG Wiesbaden, Urt. v. 15.6.2015 – 6 K 168/15, NVwZ-RR 2015, 915, 916). Auch wenn dem Begünstigten „Vertrauensschutz“ aufgrund arglistiger Täuschung zu versagen sein sollte, würde dies nicht zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf „Null“ führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1978 – 3 C 18.77, BVerwGE 57, 1, 4 Rn. 133). Die Behörde hat im Rahmen ihrer Ermessensausübung die nach Lage der Dinge maßgeblichen privaten Belange und die öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 108 f.; s.a. Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 35 StAG Rn. 42 f.). Bei der Identifizierung der schutzwürdigen privaten Belange ist insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet in das Ermessen einzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.2.2008 – 5 C 4/07, NVwZ 2008, 685, 686; vgl. auch OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 659 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2007 – 13 S 2885/06, juris Rn. 30; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.10.2006 – 5 B 15.03, juris Rn. 27). Ein weiterer zu berücksichtigender Umstand ist die Integration des Betroffenen in die deutschen Lebensverhältnisse (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9. 9. 2003 – 1 C 6/03, NVwZ 2004, 487, 489). Insbesondere die Gesamtdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ist regelmäßig – und dies gilt in besonderem Maße, wenn sie von langjähriger Erwerbstätigkeit begleitet wird – ein aussagekräftiger Indikator für die Integration in das gesellschaftliche Umfeld, deren Förderung durch Einräumung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten ein Hauptanliegen der Einbürgerung ist. Die Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts als ein je nach zeitlichem Umfang und Begleitumständen mehr oder minder gewichtiger privater Belang trägt daher dazu bei, die privaten Belange und das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände einzelfallbezogen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 659 f.). Genauso können die sich für den Betroffenen ergebenden Unsicherheiten bei der Fortsetzung des Aufenthalts im Bundesgebiet und die Folgen der möglichen Rückkehr in das Herkunftsland zu berücksichtigen sein.

41

b. Offen bleiben kann, ob Prämisse der Ermessensausübung der Antragsgegnerin die Annahme war, dass § 35 Abs. 1 StAG ein intendiertes Ermessen vorgibt und schon deswegen ein Ermessensfehler vorliegt. Darauf deuten einige Formulierungen in der Begründung des Bescheides hin. Die Antragsgegnerin formuliert auf S. 6 des Bescheides, die Maßnahme sei „Notwendigkeit dessen, dass eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämissen auf Missachtung ihrer selbst setzen darf (…)“. „Zu berücksichtigende schutzwürdige Interessen des Begünstigten, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten“, lägen nicht vor. Die Rücknahme bedeute „auch aus anderen Gründen keine außergewöhnliche Härte, die die Entscheidung zu Gunsten des Begünstigten beeinflussen könnte.“ Es entsteht der Eindruck, dass die Antragsgegnerin meint, die von ihr zu treffende Ermessensentscheidung müsse in der Regel zur Rücknahme der Einbürgerung führen und nur besondere Gründe könnten ausnahmsweise ein Absehen von einer Rücknahme rechtfertigen.

42

c. Jedenfalls hat es die Antragsgegnerin versäumt, die gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechenden – den konkreten Einzelfall prägenden – persönlichen schutzwürdigen Belange des Antragstellers in ihre Ermessensentscheidung einzustellen. Den besonderen Lebensumständen des Antragstellers wird die Begründung der Antragsgegnerin nicht gerecht. So dürfte ein durchgreifender Ermessensfehler bereits darin zu sehen sein, dass die Antragsgegnerin die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers (über zehn Jahre, davor Aufenthaltsgestattung/Duldungen) in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt hat. Diesen Umstand erwähnt die Antragsgegnerin auf S. 7 der Begründung des Bescheides lediglich in dem Kontext, dass auch zwischenzeitlich die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG nicht vorlägen. Ebenso wenig verhält sie sich zu der eventuellen Abwägungsrelevanz der Tatsache, dass der Antragsteller, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebt (auch seine Eltern und sein Bruder leben hier), das Gymnasium besucht, voraussichtlich in diesem Jahr sein Abitur absolvieren wird und somit bedeutende Integrationsleistungen erbracht hat. Zudem lässt die Antragsgegnerin die möglichen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Rücknahme der Einbürgerung für den Antragsteller außer Betracht. Die Antragsgegnerin weist zwar daraufhin, dass mit der Rücknahme der Einbürgerung zugleich die früher erteilte Aufenthaltserlaubnis erlischt und nicht rückwirkend auflebt, stellt diesen Umstand aber nicht als einen Belang, der gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechen könnte, in die Abwägung ein. Vielmehr deutet sie mit der Äußerung an, dass – wie auch der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers befürchtet –, dem Antragsteller nach Vollzug der Rücknahme der Einbürgerung nicht ohne Weiteres erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden würde. Dass dem Antragsteller deshalb unter Umständen eine Abschiebung in sein Herkunftsland Afghanistan, dessen Staatsangehörigkeit er weiter besitzt, drohen könnte, und welche Folgen damit für den Antragsteller, der mit den dortigen Lebensverhältnissen nicht vertraut ist, verbunden wären, lässt die Antragsgegnerin außen vor.

43

d. Das Gericht war nicht gehalten, der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren die Möglichkeit zu geben, gemäß § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen insoweit zu ergänzen und den Ermessensfehler zu heilen. Für eine Anwendung dieser Vorschrift dürfte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kein Bedarf bestehen (vgl. VGH Wiesbaden, Beschl. v. 26.3.04 – 8 TG 721/04, juris Rn. 42; zweifelnd VG Chemnitz, Beschl. v. 29.1.1999 – 1 K 1996/96, NVwZ-RR 1998, 414). Für die Frage, ob ein der Behörde eingeräumtes Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden ist, ist nämlich nicht entscheidend auf den Erstbescheid, sondern maßgeblich auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung, also auf den hier noch nicht ergangenen Widerspruchsbescheid (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abzustellen. Soweit es im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache ankommt, sind indes die Chancen für die Heilung des Ermessensmangels zu berücksichtigen (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 114 Rn. 12e). Wie hier die Antragsgegnerin ihr Ermessen im Widerspruchsverfahren – auch vor dem Hintergrund womöglich zu leistender weiterer Sachaufklärung im Verwaltungsverfahren – ausüben wird, kann das Gericht allerdings nicht antizipieren. Es ist jedenfalls nicht so, dass aufgrund besonderer Umstände des Falles ausgeschlossen ist, dass die Antragsgegnerin bei sachgemäßer Ausübung ihres Ermessens zu einem anderen Ergebnis als im Ausgangsbescheid kommen könnte. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse und vor dem Hintergrund, dass die Unterstützungshandlungen des Antragstellers – mögen sie auch tatbestandsgemäß sein – im Vergleich zu anderen denkbaren Unterstützungshandlungen (z.B. aktive Mitarbeit in einer Organisation) weniger schwer wiegen.

44

4. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Verfügung überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. An der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht kein öffentliches Interesse, vielmehr steht das öffentliche Interesse einer Vollziehung entgegen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külp-mann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 967 m.w.N.; s.a. BVerwG, Beschl. v. 18.10.2005 – 6 VR 5/05, NVwZ 2006, 214, 215). Dass die Möglichkeit besteht, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren ihr Ermessen ordnungsgemäß ausübt und damit den mit Blick auf die Verfügung vom 6. November 2015 bestehenden Ermessensfehler heilt, ändert hieran nichts (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 B 89/09, juris Rn. 11). Es besteht auch keine Veranlassung für eine zeitliche Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO im Vorgriff auf einen möglichen rechtmäßigen Widerspruchsbescheid bis zu dessen Erlass (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 B 89/09, juris Rn. 14). Die Antragsgegnerin kann nämlich, wenn durch den Erlass eines rechtmäßigen Widerspruchsbescheids erstmals ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts begründet wird, einen Antrag auf Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wegen veränderter Umstände nach § 80 Abs. 7 VwGO stellen.

II.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 42.1 Streitwertkatalog (abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 164). In einem Hauptsachestreitverfahren wäre wegen der Bedeutung einer Einbürgerung der Streitwert in Höhe des doppelten Auffangstreitwertes festzusetzen. Dieser Betrag ist in Anbetracht der Vorläufigkeit dieses Verfahrens wiederum zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkataloges).

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. November 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. November 2015 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

2

Die Antragsgegnerin hat zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in ihrer Verfügung vom 6. November 2015 entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend schriftlich begründet. Die im Rahmen des Eilverfahrens vorzunehmende vorläufige Interessenabwägung – zwischen dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit und dem geltend gemachten öffentlichen Interesse an der baldigen Wirkung der Rücknahme der Einbürgerung – fällt aber zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn nach einer – dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechenden – summarischen Prüfung (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 81; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 125, 152, 158) dürfte die genannte Verfügung, mit der nach § 35 Abs. 1 StAG die Einbürgerung des Antragstellers in den deutschen Staatsverband rückwirkend auf den 12. September 2014 zurückgenommen wurde, jedenfalls derzeit rechtswidrig sein. Zwar dürften die formellen (1.) und die materiellen (2.) Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Entscheidung ist aber ermessensfehlerhaft ergangen (3.). Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin (4.).

3

1. Die formellen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung vom 12. September 2014 waren erfüllt. Insbesondere erfolgte die Rücknahme, die am 9. November 2015 im Wege der Zustellung des Bescheides bekanntgegeben wurde, innerhalb der Fünf-Jahresfrist nach § 35 Abs. 3 StAG. Der Antragsteller war auch – mit Schreiben vom 6. Juli 2015 – zur beabsichtigten Rücknahme angehört worden.

4

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG dürften ebenfalls vorliegen: Die Einbürgerung dürfte rechtswidrig gewesen sein (a.) und der Antragsteller dürfte sie durch arglistige Täuschung erwirkt haben (b.).

5

a. Die nach § 10 StAG vorgenommene (Anspruchs-)Einbürgerung des Antragstellers dürfte nach summarischer Prüfung rechtswidrig i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG gewesen sein. Zwar dürfte es nicht an einer der Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG fehlen (aa.). Der Einbürgerung dürfte aber das Einbürgerungsverbot des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengestanden haben (bb.).

6

aa. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe am 12. September 2014 dürften sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG vorgelegen haben. Insbesondere dürfte es nicht an dem gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erforderlichen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Erklärung zu etwaigen verfassungsfeindlichen oder extremistischen Aktivitäten (sog. Loyalitätserklärung) fehlen. Hierbei dürfte es sich bloß um eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung handeln (vgl. zum Folgenden Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht – GK-StAR, Stand: Oktober 2014, § 10 StAG Rn. 134 ff., insbesondere Rn. 135 m.w.N. auch zur Gegenansicht und Rn. 136, 141 ff. mit entstehungsgeschichtlichen Argumenten; siehe ferner VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 41 ff.). Wenn bereits im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen und zu entscheiden wäre, ob das abgegebene Bekenntnis bzw. die Loyalitätserklärung inhaltlich zutreffend ist, würde § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG keine eigenständige Bedeutung haben. Dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG – über die Anforderungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hinaus – eine verfassungsfreundliche Gesinnung als materielle Voraussetzung der Einbürgerung konstituiert, dürfte nicht nahe liegen. Jenseits innerer, nicht überprüfbarer mentaler Vorbehalte kann die Frage, ob ein Bekenntnis oder eine Loyalitätserklärung „wahrheitsgemäß“ ist, sinnvoll nur anhand tatsächlicher Anhaltspunkte geprüft und entschieden werden und zwar im Rahmen der Prüfung von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.

7

bb. Nach Aktenlage dürfte der Einbürgerung zum Zeitpunkt ihres Vollzuges am 12. September 2014 ein Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengestanden haben. Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung u.a. dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden. Die in dieser Vorschrift zum Einbürgerungsverbot zusammengefassten Voraussetzungen bezwecken, dass mit Blick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ein bloßes „Lippenbekenntnis“ nicht für die Einbürgerung ausreicht. Die Vorschrift bewirkt eine Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter weit in das Vorfeld konkreter Sicherheitsgefährdungen. Zweck der Bestimmung ist es, die Einbürgerung etwa von radikalen Islamisten auch dann verhindern zu können, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können, aber zumindest der begründete Verdacht besteht, dass Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützt werden, die für den deutschen Staat wesentlich sind (vgl. BT-Drs. 14/533, S. 18 f. zur gleich lautenden Vorgängerregelung des bis zum 31.12.2004 geltenden § 86 Nr. 2 AuslG; BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 15).

8

Bei summarischer Prüfung dürften zumindest im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vorgebrachten Anknüpfungstatsachen und vor dem Hintergrund der herabgesetzten Anforderungen an ihren Nachweis tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen (1) unterstützt (2) hat.

9

(1) Bei den Bestrebungen, mit denen sich der Antragsteller beschäftigt haben soll, handelt es sich um verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 lit. c) BVerfSchG solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Nachweis, dass eine Organisation derartige Ziele verfolgt, hat als geführt zu gelten, wenn und sobald sie vereinsrechtlich verboten worden ist (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 71). Dies ist mit Blick auf die jihadistisch-salafistische Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) der Fall. Mit Verfügung vom 12. September 2014 hat der Bundesminister des Innern die Betätigung des IS verboten (vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 21.4.2015 – 1 K 14.1546, juris Rn. 36 zur terroristischen Betätigung des IS gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.). Der IS verfolgt zudem Bestrebungen, die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Derartige Bestrebungen liegen bereits dann vor, wenn eine Organisation zwar nicht im Bundesgebiet Gewalt anwendet, wohl aber im Herkunftsland – wie hier in Syrien und im Irak – gewaltförmig agiert. Zu den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik Deutschland gehört das Bestreben, Gewaltanwendung jedenfalls außerhalb von staatlich getragenen bewaffneten Interventionen nach Maßgabe der UN-Charta als Mittel der Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Interessen und Ziele umfassend zu bannen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 30.9.2004 – 10 K 6189/03, juris Rn. 30). Aufgrund der Aufrufe des IS an seine Unterstützer, im westlichen Ausland Anschläge zu begehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 26 f., 32; siehe auch die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, zu denen sich der IS bekannte), verfolgt der IS gleichzeitig Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.

10

Der jihadistische Salafismus stellt auch im Übrigen eine Bestrebung dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist (vgl. VG Aachen, Urt. v. 19.11.2015 – 5 K 480/14, juris Rn. 72; VG Minden, Urt. v. 27.10.2015 – 8 K 1220/15, juris Rn. 27 ff.). Der Salafismus verfolgt das Ziel, Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als „gottgewollte" Ordnung angesehen und propagiert wird, umzugestalten und befürwortet dabei die Anwendung von Gewalt (entgegen § 4 Abs. 2 lit. f] BVerfSchG: Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft). Für Salafisten ist Allah der einzige Souverän und die Scharia das von ihm offenbarte – und damit einzig legitime – Gesetz (entgegen § 4 Abs. 2 lit. b] BVerfSchG: Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht). Demokratie ist in ihren Augen eine falsche „Religion". Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung (vgl. § 4 Abs. 2 lit. a] und lit. d] BVerfSchG) ist demnach unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, Gleichberechtigung, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. zum Vorstehenden Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 40 f.; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 137 f.). Auch weitere von dem Antragsteller vermeintlich bei Facebook mit einem „Like“ versehene Organisationen verfolgen derartige Bestrebungen: Bei der „al-Nusra-Front“ handelt es sich um einen Ableger der Terrororganisation al-Qaida (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 33 f.). Die in Nigeria äußerst brutal agierende Organisation „Boko Haram“ legte im März 2015 ihren Treueeid auf den selbsternannten IS-Kalifen Baghdadi ab (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 36). Die Hamburger „Dawa“(= Missionierung)-Gruppen werden ebenso wie die Gruppen „Lies! Hamburg“ und „Jesus im Islam“ aufgrund ihrer Nähe zur salafistischen Szene vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 43 ff.).

11

(2) Aufgrund der summarischen Prüfung und Würdigung der in den vorliegenden Akten enthaltenen Feststellungen kommt das Gericht zu dem Schluss, dass ungeachtet verschiedener Zweifel in tatsächlicher Hinsicht vieles dafür spricht, dass der Antragsteller bereits im Zeitraum vor der Einbürgerung derartige Bestrebungen unterstützt hat.

12

Ausgehend vom obengenannten Zweck der Bestimmung, einer Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter, ist eine Unterstützung jede eigene Handlung, die für Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18; OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64; vgl. auch VGH München, Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01 1805, juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dazu zählt jedes Tätigwerden auch eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotential stärkt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64). Als Unterstützungshandlungen gelten etwa die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01.1805, juris Rn. 32; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 96.2). Auf einen beweis- oder messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an, weil schon die Erhöhung des Gefährdungspotentials dieser Bestrebungen verhindert werden soll (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 5.12.2007 – 1 K 1851/06, juris Rn. 20). Die Handlung muss dem Betroffenen nicht subjektiv vorwerfbar sein (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.4.2008 – 5 N 19.06, juris Rn. 9; VGH Mannheim, Urt. v. 10.11.2005 – 12 S 1696/05, juris Rn. 26). Daher ist auch unerheblich, ob die maßgeblichen Handlungen strafrechtlich relevant sind (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 65). Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24.08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18).

13

Das Vorliegen einer Unterstützungshandlung muss nicht mit dem üblichen Grad der Gewissheit festgestellt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr ein tatsachengestützter hinreichender Verdacht (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 66 f.). Allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch bezeichenbare, konkrete Tatsachen gestützt sind, genügen nicht. Die Annahme darf nicht „aus der Luft" gegriffen bzw. willkürlich sein. Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine entsprechende Annahme rechtfertigen, sind konkrete auf den Einbürgerungsbewerber bezogene Umstände, die von der Einbürgerungsbehörde dargelegt und einer Beweisführung zugänglich gemacht werden müssen.

14

Für die Rücknahme unbeachtlich sind dabei Aktivitäten, die der Eingebürgerte erst nach Vollzug der Einbürgerung aufnimmt. Sie indizieren ohne Hinzutreten weiterer, dann aber selbständig zu beurteilender Umstände wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Sinneswandels auch nicht, dass der Eingebürgerte weitere (nicht bekannte) Aktivitäten bereits vor der Einbürgerung entfaltet hat (vgl. GK-StAR, § 10 StAG Rn. 155). Ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Eingebürgerte erst (und nur) nach Vollzug der Einbürgerung verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt hat, ist die Einbürgerung rechtmäßig. Die Rücknahme gemäß § 35 StAG scheidet dann aus. Der Widerruf einer rechtmäßigen Einbürgerung ist vor dem Hintergrund von Art. 16 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Insoweit ist vorliegend zu unterscheiden zwischen Aktivitäten, die vor dem Zeitpunkt des Einbürgerungsvollzugs – hier dem 12. September 2014 – und solchen, die erst danach entfaltet wurden. Der weitestgehend pauschale Verweis der Antragsgegnerin auf die Klageerwiderung in dem parallel anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren 19 K 3103/15, in dem sich der Antragsteller u.a. gegen die Entziehung seines Passes wendet, ist deshalb nicht zielführend. Im Rahmen der §§ 7, 8 PassG kommt es anders als im Rahmen von § 35 StAG darauf an, ob im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung (bzw. im Klageverfahren im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Betroffene die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Bei der Passentziehung handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. § 35 StAG ermöglicht hingegen die Rücknahme erschlichener oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkter Einbürgerungen und die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände (vgl. eingehend BVerfG, Urt. v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04, juris).

15

Gemessen an diesen Maßstäben liegen Anknüpfungstatsachen für Unterstützungshandlungen im obigen Sinn vor. Hierzu im Einzelnen:

16

(a) Der Umstand, dass der Antragsteller dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) seit Ende 2014 in Zusammenhang mit einer im Internet aktiven Dawah-Gruppe mit Bezug zum IS bekannt gewesen ist, wie es im Bescheid zur Passentziehung heißt, ist zwar kein relevanter Anknüpfungspunkt, denn nähere Angaben dazu, inwiefern der Antragsteller diese Gruppe unterstützt hat, liegen nicht vor.

17

(b) Auch eine von der Antragsgegnerin behauptete Ausreisebereitschaft des Antragstellers nach Syrien – um sich dort dem IS anzuschließen – dürfte als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Unterstützungshandlung nicht ausreichen. Die Ausreisebereitschaft wird von der Antragsgegnerin ausschließlich auf die Aussage einer Frau H gestützt, mit der der Antragsteller über verschiedene Kommunikationsplattformen im Internet Kontakt gehabt haben soll. Nach Angaben des LKA Baden-Württemberg sei Frau H selbst Sympathisantin des IS. Im Telefonbuch ihres Mobiltelefons wurde eine Nummer gefunden, die dem Antragsteller zuzuordnen ist. Frau H konnte in ihrer Zeugenbefragung teilweise zutreffende Angaben über den Antragsteller machen (Alter, Wohnort, Aussehen, Herkunft). Es erscheint danach durchaus plausibel, dass sie Kontakt zu dem Antragsteller hatte und er ihr gegenüber geäußert hat, nach Syrien reisen zu wollen, obwohl der IS „schlecht“ sei. Während sich in der Akte des LKA Baden-Württemberg von anderen Chats, die Frau H mit Sympathisanten des IS geführt haben soll, Screenshots finden, ist dies für den vermeintlichen Chat mit dem Antragsteller jedoch nicht der Fall. Es ist auch nicht klar, ob Frau H die Äußerung in einem WhatsApp-Chat, über ask.fm oder über ein anderes Portal oder einen anderen Kommunikationsweg getätigt hat. Aus der Akte des LKA Baden-Württemberg zur Befragung von Frau H am 19. Dezember 2014 ergibt sich zudem nicht, wann (vor oder nach Vollzug der Einbürgerung) das entsprechende Gespräch stattgefunden haben soll. In einem Gesprächsvermerk des LfV (Beleg 5 zur Stellungnahme vom 4.9.2015) heißt es, dass die Äußerung im Dezember 2014 und damit nach Vollzug der Einbürgerung erfolgte. Die in der Akte des LKA Baden-Württemberg dokumentierte Aussage dürfte für sich genommen – insbesondere auch wegen ihrer inhaltlichen Widersprüchlichkeit – daher nicht als Anhaltspunkt reichen. Der Sachverhalt wäre ggf. in einem Hauptsacheverfahren durch Vernehmung der Frau H als Zeugin aufzuklären.

18

(c) Bei der Gewahrsamnahme des Antragstellers am 10. Oktober 2014 handelt es sich um einen Vorgang, der nach dem Vollzug der Einbürgerung stattfand und damit isoliert betrachtet nicht herangezogen werden kann. Im Übrigen bestehen nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller im Oktober 2014 an den gewaltsamen Ausschreitungen zwischen kurdischen Volkszugehörigen und Angehörigen der islamistischen Szene in St. Georg beteiligt hat. Die Ausschreitungen fanden am 7. und 8. Oktober 2014 statt. Der Antragsteller wurde laut Polizeibericht am 10. Oktober 2014 vor der Moschee „M“ nach Beendigung des dortigen Freitagsgebetes „als Teil einer relevanten Personengruppe festgestellt“ und aufgrund einer bei ihm aufgefundenen Sturmhaube in Gewahrsam genommen, weil befürchtet wurde, dass er „bei weiteren Zusammenrottungen seine Identität durch das Tragen der Sturmhaube verschleiern will“. Es ist nicht erkennbar, inwiefern der Antragsteller ein konkretes Verhalten beabsichtigt haben könnte, das den o.g. Bestrebungen förderlich gewesen wäre. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es am 10. Oktober 2014 überhaupt zu Ausschreitungen – wie am 7. und 8. Oktober 2014 – gekommen ist oder kommen sollte (vgl. auch Lageinformation aktuelle Entwicklung Kurden vs. IS, Gerichtsakte 19 K 3103/15, Bl. 108 ff.). Die Personenkontrollen am 10. Oktober 2014 hat die Polizei offenbar unter dem Eindruck der Geschehnisse vom 7. und 8. Oktober 2014 durchgeführt. Die bloße Anwesenheit des Antragstellers vor einer Moschee in einem Gebiet, in dem es Tage zuvor zu Ausschreitungen gekommen ist, dürfte für sich genommen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine Unterstützungshandlung darstellen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass bei dem Antragsteller eine Sturmhaube gefunden wurde. Im Eilverfahren 19 E 3104/15 hatte der Antragsteller vorgetragen, dass es sich bei der angeblichen Sturmhaube um einen Gesichtsschutz handele, den er beim Kart fahren kurz vor der Gewahrsamnahme getragen habe. Auch der weitere Vortrag des Antragstellers, er habe den Imbiss seines Vaters besuchen wollen, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Dieser ist nur wenige hundert Meter von der Moschee entfernt. Eine Berücksichtigung der Gewahrsamnahme wäre nur im Rahmen einer Gesamtschau mit Blick auf die vom Antragsteller gegenüber den Polizisten getätigten Äußerungen (Erkundigung nach Uhrzeit und Himmelsrichtung zur Orientierung Richtung Mekka) möglich, soweit es um die Konversion des Antragstellers zum Islam geht (siehe dazu unten).

19

(d) Tatsächliche Anhaltspunkte für Unterstützungshandlungen des Antragstellers für verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen dürften sich aber aus dessen Aktivitäten im Internet ergeben.

20

Es spricht aufgrund der Stellungnahme des LfV vom 4. September 2015 vieles dafür, dass das Profil „A R“ dem Antragsteller zuzuordnen ist. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass jemand aus dem Bekannten- oder Freundeskreis des Antragstellers die Profile bei Facebook und ask.fm eingerichtet hatte. Das LfV hat aber herausgearbeitet, dass der Name „A R“ auch von einem Profil auf der Plattform ask.fm benutzt worden ist, bei dem ein Foto des Antragstellers als Profilbild sichtbar war. Laut eines Gesprächsvermerks des LfV (Beleg 5 zur Stellungnahme vom 4.9.2015) haben zudem der Vater und der Onkel des Antragstellers geäußert, dass die problematischen Inhalte auf der Facebook-Seite „nur aus Spaß im Rahmen seiner letzten Geburtstagsfeier hochgeladen worden“ seien, was als weiteres Indiz dafür herangezogen werden kann, dass das Profil tatsächlich dem Antragsteller zuzuordnen ist. Zudem wurden sämtliche Facebook-Profile gelöscht, nachdem der LfV den Vater und den Onkel des Antragstellers Ende Januar 2015 mit den problematischen Inhalten konfrontiert hatte. Gleichwohl besteht über die Zuordnung des Profils „A R“ nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine Gewissheit.

21

Das Facebook-Profil „A R“ weist eine Vielzahl an Einträgen und Bildern sowie „Likes“ für solche Einträge und Bilder auf, die gewaltverherrlichend die Kämpfer des IS glorifizieren und den bewaffneten Jihad als Pflicht jedes gläubigen Muslims darstellen. Unter anderem wurde am 25. Oktober 2014 als Profilbild das Bild eines bewaffneten Jihadisten veröffentlicht, der vor einer schwarzen Flagge mit arabischen Schriftzeichen (womöglich der Flagge des IS) und Flammen steht. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich der Antragsteller selbst als eine Art „Glaubenskrieger“ ansieht. Am 23. Oktober 2014 wurde ein Bild eingestellt, das eine neue Form der Evolution suggeriert, die beim Kleinkind beginnt und in der Zuwendung zum Glauben mündet, zum „Glaubenskrieger“ führt und ihr Finale im Märtyrertum (symbolisiert durch einen grünen Vogel) findet. Es finden sich „Likes“ für Einträge von Personen, die nach Syrien gereist sind, um sich dort dem IS anzuschließen, z.B. für einen Eintrag von M B vom 20. Januar 2015, in dem dieser in Syrien gefallene „Märtyrer“ würdigt und „Likes“ für Bilder, mit denen Siege von „Glaubenskriegern“ in Syrien gefeiert werden. Es findet sich weiter ein „Like“ für den IS-Propaganda-Film „The Flames of War“, der massive Gewaltdarstellungen enthält. Weiter finden sich „Likes“ für die Organisationen „Lies! Hamburg“, „Hamburg Dawah Movement“, „Boko Haram“, „al-Nusra-Front“, „Jesus im Islam Hamburg“ sowie sonstige Inhalte mit Bezug zum Islam.

22

Der Unterstützungsbegriff des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dürfte derartige Sympathiewerbung für terroristische Aktivitäten Dritter als öffentliche Befürwortung von verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen umfassen. Diese Art von Sympathiewerbung, bei der der allgemeinen Verurteilung der Gräueltaten des IS das Bild eines gerechtfertigten und notwendigen Kampfes entgegensetzt wird, dürfte sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten des IS auswirken. Durch das Veröffentlichen von entsprechenden Inhalten in sozialen Netzwerken nimmt das radikale Gedankengut an Verbreitung zu. Der Veröffentlichende betätigt sich damit als Teil der Propagandamaschinerie der verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen. Dies dürfte nicht nur für eigene Einträge, sondern auch für „Likes“ gelten. Einträge, die mit einem „Like“ versehen werden, sind danach auf der Facebook-Seite desjenigen sichtbar, der den Eintrag „geliked“ hat. Die Möglichkeit der jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, weitere Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen bzw. „Kämpfer“ anzuwerben, erhöht sich. Die potentielle Gefährlichkeit des jihadistischen Salafismus wird dadurch gefestigt und ihr Gefährdungspotential gestärkt, denn die Radikalisierung potentieller „Glaubenskrieger“ verläuft oftmals über das Internet. Hierzu heißt es im Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 34 f.:

23

„2014 stand die salafistische Szene im Mittelpunkt der Beobachtung des Hamburger Verfassungsschutzes. Die Zahl der Salafisten, die den bewaffneten Jihad (Heiliger Krieg) befürworten stieg um mehr als das Dreifache von 70 auf 240 an. Zusammen mit den in Hamburg aktiven politischen Salafisten beträgt das salafistische Gesamtpotenzial mittlerweile rund 400 Personen (2013: 240). Der Anstieg insbesondere der jihadistisch orientierten Salafisten ist sowohl auf eine verbesserte Einblickstiefe des Verfassungsschutzes nach einer weiteren Schwerpunktsetzung seit Sommer 2014 als auch auf eine schnell zunehmende Radikalisierung speziell jüngerer Erwachsener zurückzuführen.

24

Eine entscheidende Rolle bei der Radikalisierung kommt den Ereignissen in den Krisenregionen Syrien und Irak zu, medial transportiert über soziale Netzwerke. Insbesondere junge Menschen, die auf der Suche nach Vorbildern sind und die zum Beispiel in Familien ohne Vater aufwachsen, ohne Integration in ihr soziales Umfeld sind und Brüche in ihrer Biografie haben, möglicherweise auch Probleme in der Schule, bei der Ausbildung oder der Arbeitsstelle, lassen sich für die militärischen Erfolge des „Islamischen Staates“ (IS) begeistern und haben der jihadistischen Szene einen Zulauf verschafft.
(….)

25

Diese rasante Steigerung ist auch auf die erfolgreichen Propagandastrategien der Salafisten zurückzuführen, mit denen sie in professioneller Weise für ihre Ziele werben. Vor allem über das Internet werden die salafistischen Ideologieinhalte in Form von Webseiten und Videosequenzen transportiert. Als weitere Aktionsformen werden im Rahmen der „Straßenmission“ unter anderem Infotische auf öffentlichen Plätzen und Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Gerade für junge Menschen stellen diese Propagandastrategien die ersten Berührungspunkte zum Salafismus dar.“

26

Nach Angaben des LfV soll der Antragsteller über das Profil „A R“ zudem schwerpunktmäßig mit Personen befreundet sein, die der jihadistisch-salafistischen Szene in Hamburg zugeordnet werden können. Persönliche Kontakte oder Freundschaften des Betroffenen mit Personen, die sicherheitsgefährdende Aktivitäten entfalten, können tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG bilden. Erforderlich ist aber, dass die Freundschaft gerade auf einer Übereinstimmung der politisch-gesellschaftlichen Anschauungen beruht und der Betroffene mit der Einstellung des Freundes/der Kontaktperson sympathisiert und diese gutheißt (vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 17.6.2010 – 5 K 1466/09, juris Rn. 21). Ob dies hier der Fall ist, kann vom Gericht derzeit nicht abschließend bewertet werden, da sich weitergehende Erkenntnisse über die einzelnen Personen nicht in den Stellungnahmen des LfV befinden. Auffällig ist aber, dass es sich bei den Kontakten offenbar – zumindest teilweise – nicht nur um bloße Internetbekanntschaften handelt. Einige der Facebook-Freunde, die vom LfV der jihadistisch-salafistischen Szene zugerechnet werden, gehören auch nach Angaben der Familie des Antragstellers zu seinen besten Freunden (und wohnen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft).

27

Diese Handlungen dürften auch gegen den Antragsteller verwendet werden können. Zwar sind nach Angaben des LfV die Facebook-Aktivitäten vor allem bei der Auswertung des Facebook-Profils (erst) am 26. Januar 2015 festgestellt worden. Viele der veröffentlichten Beiträge stammen aus der Zeit nach Vollzug der Einbürgerung am 12. September 2014. Auch soweit vor dem 12. September 2014 veröffentlichte Beiträge mit einem „Like“ versehen worden sind, ist nicht auszuschließen, dass dies erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen ist. In den meisten Fällen ist den vom LfV gefertigten Ausdrucken das Datum des „Like“ nicht zu entnehmen. Dasselbe gilt überwiegend für den Zeitpunkt der Aufnahme der Freundschaften zu vermeintlichen Mitgliedern der jihadistisch-salafistischen Szene. Unklarheiten in Bezug auf den Zeitpunkt einer Unterstützungshandlung dürften zu Lasten der Antragsgegnerin gehen.

28

Folgende Inhalte stammen aber ohne Zweifel aus einem Zeitraum vor dem Vollzug der Einbürgerung:

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Zunächst finden sich diverse Inhalte, die Sympathien für den muslimischen Glauben zum Ausdruck bringen, wie z.B. die Veröffentlichung eines Profilfotos am 3. April 2014 mit der Inschrift „Ich bezeuge, dass niemand mit Recht angebetet wird außer Allah und dass Muhammad Sallallamu Alleihi wa Sallam der Gesandte Allahs ist“, eines Profilfotos am 11. Juni und 21. August 2013 mit der Inschrift „Ich bin ein Muslim, der Islam ist perfekt, ich bin es nicht. Wenn ich einen Fehler mache, so gib mir die Schuld, nicht dem Islam…“ und eines Profilfotos am 27. Juni 2013 mit der Inschrift „La ilaha illa Allah“. Diese Beiträge deuten als solche nicht auf Unterstützungshandlungen hin. Der Umstand, dass der Antragsteller zum Islam konvertiert sein könnte, dürfte aber im Rahmen einer Gesamtschau als Indiz einzubeziehen sein (siehe dazu unten).

30

Mit einigen Facebook-Freunden ist „A R“ bereits seit 2013 befreundet. Inwieweit einzelne dieser Personen der jihadistisch-salafistischen Szene zugeordnet werden können, wäre in einem Hauptsacheverfahren näher zu untersuchen. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass im Freundesbereich des Profils Überschneidungen mit dem Klarnamenprofil des Antragstellers bestehen (teilweise ebenfalls seit 2013) und auch diese Personen laut LfV der jihadistisch-salafistischen Szene angehören sollen.

31

Im Juni 2013 wurden die Facebook-Seiten „PierreVogel.de“ und „Al-Haqq News“ mit einem „Like“ versehen. Pierre Vogel ist ein deutscher salafistischer Prediger, der vom evangelischen Christentum zum sunnitischen Islam konvertiert ist (vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundes 2013, S. 225; Verfassungsschutzbericht Hamburg 2013, S. 31; s.a. Wikipedia-Eintrag „Pierre Vogel“, Abruf v. 19.2.2016). Er war Mitglied des inzwischen aufgelösten salafistischen Vereins „Einladung zum Paradies“ (kurz EZP), der vom Verfassungsschutz beobachtet wurde (vgl. Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 139). Bei „Al Haqq“ dürfte es sich um „Asa’ib Ahl al-Haqq“ handeln, eine paramilitärisch geführte, schiitische Extremistengruppe im Irak und Syrien (vgl. http://www.theguar-dian.com/world/2014/mar/12/iraq-battle-dead-valley-peace-syria; s.a. Wikipedia-Eintrag „Asa’ib Ahl al-Haqq“, Abruf jeweils v. 19.2.2016).

32

Auf einem am 24. August 2014 eingestellten Profilbild, das mit „A R al Indi“ (der Zusatz „al Indi“ könnte auf die indischen Wurzeln der Familie des Antragstellers hindeuten) überschrieben ist, wird ein muskulöser Mann in schwarzer Kleidung, mit schwarzem Bart und dunkler Sonnenbrille dargestellt. Es soll sich wohl um eine Art „Glaubenskrieger“ handeln. Gewissermaßen hinter oder auf der linken Schulter des Mannes ist ein schwarzes Banner zu erkennen. Das schwarze Banner ist eine Flagge, die von vielen islamistischen Terrororganisationen wie al-Qaida sowie dem IS benutzt wird (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/kobane-islamischer-staat-macht-angst-mit-schwarzer -flagge-a-995797.html.; s.a. Wikipedia-Eintrag „Schwarzes Banner“, Abruf jeweils v. 19.2.2016). Auf dem Gürtel des Mannes befinden sich zwei gekreuzte Säbel. Die Säbel gelten als ein Symbol des Islam und als Erkennungszeichen islamischer Kämpfer (vgl. Wikipedia-Eintrag „Scimitar“ – Synonym für Säbel –, Abruf v. 19.2.2016). Mit der Darstellung des portraitierten Mannes als nahezu übernatürlich stark wird suggeriert, dass man als „Glaubenskrieger“ so sei – womöglich gar zu neuer Stärke finde, wenn man für den IS kämpfe. Ein derartiges Bild kann andere junge Männer, die auf der Suche nach Orientierung im Leben sind, beeinflussen und sie dazu bringen, sich einer radikalen islamistischen Gruppierung wie dem IS anzuschließen (s.o. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014 zur von islamistischer Propaganda in sozialen Netzwerken im Internet ausgehenden Gefahr).

33

Die ohne Zweifel vor dem Vollzug der Einbürgerung veröffentlichten Inhalte und „Likes“ dürften bereits für die Bejahung von relevanten Unterstützungshandlungen genügen. Die Anhaltspunkte gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG müssen nach Art und Gewicht geeignet sein, eine dauernde Identifikation des Betroffenen mit den verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen zu indizieren (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 98). Dieses Mindestmaß an Nachhaltigkeit dürfte mit Blick auf die vor dem 12. September 2014 veröffentlichten Inhalte und „Likes“ erfüllt sein. Zwischen den „Likes“ für „PierreVogel.de“ und „Al Haqq“ im Juni 2013 und der Veröffentlichung des Profilbildes im August 2014 ist mehr als ein Jahr vergangen. Letzteres Bild ist – wie dargelegt – eindeutig dahingehend zu interpretieren, dass sich der Veröffentlichende mit radikalen islamistischen Gruppierungen wie dem IS identifiziert.

34

Selbst wenn man diese einzelnen Anhaltspunkte für sich genommen nicht ausreichen ließe, genügt es aber jedenfalls, dass die Gesamtschau aller vorhandenen Anhaltspunkte die Annahme der Unterstützung verfassungsfeindlicher und extremistischer Bestrebungen rechtfertigt (vgl. VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 32). Insoweit darf im Rahmen einer Gesamtschau auf die sonstigen Einträge, „Likes“ und Kontakte des Antragstellers bei Facebook wohl ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung zurückgegriffen werden. Mit dem Verbot der Heranziehung verfassungsfeindlicher und extremistischer Unterstützungshandlungen, die erst nach Vollzug der Einbürgerung vorgenommen werden, soll der Gefahr begegnet werden, dass eine Einbürgerung zurückgenommen wird, obwohl sich der Betroffene erst nach seiner Einbürgerung aufgrund eines Sinneswandels radikalisiert. Zeigt sich bei Betrachtung von Aktivitäten vor der Einbürgerung und danach hingegen – wie vorliegend – eine gewisse Konstanz, besteht diese Gefahr nicht. Die späteren Aktivitäten zeigen nur, dass der Antragsteller auch nach dem Vollzug seiner Einbürgerung in seinem radikalen Gedankengut verhaftet gewesen sein dürfte.

35

Ähnlich zu beurteilen sind insoweit die Auszüge aus dem ask.fm-Profil von „A R“. Dass das Profil dem Antragsteller zuzuordnen ist, hat der LfV plausibel dargelegt, ohne dass der Nachweis zum gegenwärtigen Zeitpunkt als geführt gilt. Folgende Indizien sprechen aber dafür: Der Profilinhaber gibt an, dass er aus Indien komme (die Familie des Antragstellers hat nach eigenen Angaben indische Wurzeln) und „sehr nah dran“ an zwei benannten Personen wohne, die tatsächlich in der Nachbarschaft des Antragstellers wohnten. Zudem besuche er eine Moschee am Hauptbahnhof (tatsächlich wurde er am 10. Oktober 2014 vor einer Moschee in der Nähe des Hauptbahnhofes angetroffen, siehe oben). Auf dem Gruppenbild der ask.fm-Gruppe „I f D“, in der sich nach Angaben des LfV Profile jihadistischer Salafisten zusammengeschlossen hatten, findet sich ein Bild des Antragstellers mit dem Namenszug „A R“. Die Einträge auf dem Profil dürften teilweise von ca. Anfang September 2014 (vgl. Ausdruck vom 1.10.2014) stammen. Inhaltlich befassen sich die Einträge im Wesentlichen mit allgemeinen Fragen zum Islam und der Auslegung des Korans.

36

(e) Weiter liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zum Islam konvertiert ist. Damit wird das Argument des Antragstellers, er sei Hindu und unterstütze schon deswegen keine jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, entkräftet. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich unabhängig von den vermeintlichen Internetaktivitäten des Antragstellers. Im Verfahren 19 E 3104/15 hatte der Schulleiter des von dem Antragsteller besuchten Gymnasiums eine E-Mail vorgelegt, in der der Antragsteller und ein Schulkollege darum bitten, an Freitagen den Unterricht früher verlassen zu dürfen, um am Gebet in einer Moschee teilnehmen zu dürfen. An der Aussagekraft der E-Mail bestehen aber Zweifel, da der Schulkollege später eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, wonach es bei der Freistellung nur um ihn und nicht um den Antragsteller gegangen sei. Der Antragsteller sei gläubiger Hindu und nicht zum Islam konvertiert. Die Eltern des Antragstellers sind nach eigenen Angaben Hindus. Der Vater und der Onkel haben geäußert, von einer Konversion des Antragstellers nichts bemerkt zu haben. Auf der anderen Seite haben sie im Rahmen einer Befragung anlässlich der Konfrontation mit möglichen Plänen des Antragstellers, nach Syrien auszureisen, angegeben, der Reisepass des Antragstellers sei vorsorglich aufgrund „eines unguten Gefühls“ in einem Bankschließfach deponiert worden und bei dem Antragsteller könne nicht ausgeschlossen werden, dass er sich „den falschen Freunden“ angeschlossen habe. Der Sachverhalt bedürfte insoweit weiterer Aufklärung in einem Hauptsacheverfahren. Könnte dem Antragsteller nachgewiesen werden, dass er zum Islam konvertiert ist, würde dieser Umstand – auch in Verbindung mit den wohl anlässlich seiner Gewahrsamnahme vor der Moschee am 10. Oktober 2014 getätigten Aussagen (Erkundigung nach Uhrzeit und Himmelsrichtung zur Orientierung Richtung Mekka) – den Verdacht erhärten, dass die Einträge auf dem Facebook- und dem ask.fm-Profil tatsächlich von ihm stammen und der Unterstützung jihadistisch-salafistischer Bestrebungen dienen sollten.

37

b. Soweit die Einbürgerung danach rechtswidrig ist, ist sie auch durch arglistige Täuschung i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG erwirkt worden. Als arglistige Täuschung wird bereits die wahrheitswidrige Beantwortung einer an den Einbürgerungsbewerber gestellten Frage angesehen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 41). In seiner Befragung zum Einbürgerungsantrag vom 14. April 2014 hat der Antragsteller sämtliche Fragen, die darauf abzielten festzustellen, ob er verfassungsfeindliche oder extremistische Bestrebungen unterstützt hat, mit „nein“ angekreuzt. Zugleich hat er eine entsprechende Loyalitätserklärung abgegeben. Wenn er die Unterstützungshandlungen erst nach Abgabe der Erklärung, aber noch vor Vollzug der Einbürgerung aufgenommen haben sollte, hätte er die Antragsgegnerin darüber aufklären müssen. Für die Begehungsform der arglistigen Täuschung in der Alternative des Verschweigens von Tatsachen reicht es, dass der Betreffende Tatsachen verschweigt und dabei weiß oder in Kauf nimmt, dass diese verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Behörde erheblich sind oder sein können (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 3.12.2012 – 11 K 1038/12, Rn. 42 f.). Zudem hat der Antragsteller bei Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde am 12. September 2014 die Erklärung unterschrieben, dass sich keine Veränderungen seiner persönlichen Verhältnisse ergeben hätten, die der Einbürgerung entgegenstehen könnten. In der Niederschrift über die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde vom 12. September 2014 hat der Antragsteller u.a. die Erklärung unterschrieben, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekenne.

38

Der Antragsteller dürfte seine Einbürgerung durch die Falschbeantwortung der Fragen bzw. das Verschweigen dieser Umstände auch arglistig erwirkt haben. Es dürfte für den Antragsteller aus Laiensicht völlig klar gewesen sein, dass seine Einbürgerung ausgeschlossen gewesen wäre, wenn der Antragsgegnerin die Umstände, aus denen sich der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ergeben hätte, offenbar geworden wären.

39

3. Obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme gemäß § 35 Abs. 1 StAG vorliegen dürften, dürfte der Bescheid aber jedenfalls derzeit ermessensfehlerhaft i.S.v. § 114 Satz 1 VwGO sein und wäre zumindest von daher aufzuheben. § 35 Abs. 1 StAG stellt die Entscheidung der Behörde in ihr Ermessen, ohne dass eine bestimmte Entscheidung intendiert ist (a.). Ob die Antragsgegnerin dementgegen von einem intendierten Ermessen ausgegangen ist und bereits deswegen ein Ermessensfehler vorliegt, kann dahinstehen (b.). Denn jedenfalls hat sie ihr Ermessen auch im Übrigen nicht ordnungsgemäß ausgeübt (c.). Das Gericht war weder gehalten, der Antragsgegnerin im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Möglichkeit einzuräumen, ihre Ermessenserwägungen zu ergänzen, noch dazu in der Lage, zu antizipieren, ob die Antragsgegnerin den Ermessensfehler im Widerspruchsverfahren heilen wird (d.).

40

a. Die Rücknahmeentscheidung ergeht gemäß § 35 Abs. 1 StAG nach freiem Ermessen. Die Ermessensausübung ist durch das Gesetz nicht dahin intendiert, dass von einem Erlass nur ausnahmsweise dann abgesehen werden darf, wenn besondere, berücksichtigungsfähige und gewichtige Gründe dies rechtfertigen. Für die Auffassung, dass etwa nur eine den Fällen des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbare Härte ein Absehen von der Rücknahme rechtfertigen kann, bietet das StAG keine Grundlage (vgl. ausführlich OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 657 f.; VG Wiesbaden, Urt. v. 15.6.2015 – 6 K 168/15, NVwZ-RR 2015, 915, 916). Auch wenn dem Begünstigten „Vertrauensschutz“ aufgrund arglistiger Täuschung zu versagen sein sollte, würde dies nicht zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf „Null“ führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1978 – 3 C 18.77, BVerwGE 57, 1, 4 Rn. 133). Die Behörde hat im Rahmen ihrer Ermessensausübung die nach Lage der Dinge maßgeblichen privaten Belange und die öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 108 f.; s.a. Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 35 StAG Rn. 42 f.). Bei der Identifizierung der schutzwürdigen privaten Belange ist insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet in das Ermessen einzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.2.2008 – 5 C 4/07, NVwZ 2008, 685, 686; vgl. auch OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 659 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2007 – 13 S 2885/06, juris Rn. 30; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.10.2006 – 5 B 15.03, juris Rn. 27). Ein weiterer zu berücksichtigender Umstand ist die Integration des Betroffenen in die deutschen Lebensverhältnisse (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9. 9. 2003 – 1 C 6/03, NVwZ 2004, 487, 489). Insbesondere die Gesamtdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ist regelmäßig – und dies gilt in besonderem Maße, wenn sie von langjähriger Erwerbstätigkeit begleitet wird – ein aussagekräftiger Indikator für die Integration in das gesellschaftliche Umfeld, deren Förderung durch Einräumung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten ein Hauptanliegen der Einbürgerung ist. Die Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts als ein je nach zeitlichem Umfang und Begleitumständen mehr oder minder gewichtiger privater Belang trägt daher dazu bei, die privaten Belange und das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände einzelfallbezogen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 659 f.). Genauso können die sich für den Betroffenen ergebenden Unsicherheiten bei der Fortsetzung des Aufenthalts im Bundesgebiet und die Folgen der möglichen Rückkehr in das Herkunftsland zu berücksichtigen sein.

41

b. Offen bleiben kann, ob Prämisse der Ermessensausübung der Antragsgegnerin die Annahme war, dass § 35 Abs. 1 StAG ein intendiertes Ermessen vorgibt und schon deswegen ein Ermessensfehler vorliegt. Darauf deuten einige Formulierungen in der Begründung des Bescheides hin. Die Antragsgegnerin formuliert auf S. 6 des Bescheides, die Maßnahme sei „Notwendigkeit dessen, dass eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämissen auf Missachtung ihrer selbst setzen darf (…)“. „Zu berücksichtigende schutzwürdige Interessen des Begünstigten, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten“, lägen nicht vor. Die Rücknahme bedeute „auch aus anderen Gründen keine außergewöhnliche Härte, die die Entscheidung zu Gunsten des Begünstigten beeinflussen könnte.“ Es entsteht der Eindruck, dass die Antragsgegnerin meint, die von ihr zu treffende Ermessensentscheidung müsse in der Regel zur Rücknahme der Einbürgerung führen und nur besondere Gründe könnten ausnahmsweise ein Absehen von einer Rücknahme rechtfertigen.

42

c. Jedenfalls hat es die Antragsgegnerin versäumt, die gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechenden – den konkreten Einzelfall prägenden – persönlichen schutzwürdigen Belange des Antragstellers in ihre Ermessensentscheidung einzustellen. Den besonderen Lebensumständen des Antragstellers wird die Begründung der Antragsgegnerin nicht gerecht. So dürfte ein durchgreifender Ermessensfehler bereits darin zu sehen sein, dass die Antragsgegnerin die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers (über zehn Jahre, davor Aufenthaltsgestattung/Duldungen) in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt hat. Diesen Umstand erwähnt die Antragsgegnerin auf S. 7 der Begründung des Bescheides lediglich in dem Kontext, dass auch zwischenzeitlich die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG nicht vorlägen. Ebenso wenig verhält sie sich zu der eventuellen Abwägungsrelevanz der Tatsache, dass der Antragsteller, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebt (auch seine Eltern und sein Bruder leben hier), das Gymnasium besucht, voraussichtlich in diesem Jahr sein Abitur absolvieren wird und somit bedeutende Integrationsleistungen erbracht hat. Zudem lässt die Antragsgegnerin die möglichen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Rücknahme der Einbürgerung für den Antragsteller außer Betracht. Die Antragsgegnerin weist zwar daraufhin, dass mit der Rücknahme der Einbürgerung zugleich die früher erteilte Aufenthaltserlaubnis erlischt und nicht rückwirkend auflebt, stellt diesen Umstand aber nicht als einen Belang, der gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechen könnte, in die Abwägung ein. Vielmehr deutet sie mit der Äußerung an, dass – wie auch der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers befürchtet –, dem Antragsteller nach Vollzug der Rücknahme der Einbürgerung nicht ohne Weiteres erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden würde. Dass dem Antragsteller deshalb unter Umständen eine Abschiebung in sein Herkunftsland Afghanistan, dessen Staatsangehörigkeit er weiter besitzt, drohen könnte, und welche Folgen damit für den Antragsteller, der mit den dortigen Lebensverhältnissen nicht vertraut ist, verbunden wären, lässt die Antragsgegnerin außen vor.

43

d. Das Gericht war nicht gehalten, der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren die Möglichkeit zu geben, gemäß § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen insoweit zu ergänzen und den Ermessensfehler zu heilen. Für eine Anwendung dieser Vorschrift dürfte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kein Bedarf bestehen (vgl. VGH Wiesbaden, Beschl. v. 26.3.04 – 8 TG 721/04, juris Rn. 42; zweifelnd VG Chemnitz, Beschl. v. 29.1.1999 – 1 K 1996/96, NVwZ-RR 1998, 414). Für die Frage, ob ein der Behörde eingeräumtes Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden ist, ist nämlich nicht entscheidend auf den Erstbescheid, sondern maßgeblich auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung, also auf den hier noch nicht ergangenen Widerspruchsbescheid (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abzustellen. Soweit es im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache ankommt, sind indes die Chancen für die Heilung des Ermessensmangels zu berücksichtigen (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 114 Rn. 12e). Wie hier die Antragsgegnerin ihr Ermessen im Widerspruchsverfahren – auch vor dem Hintergrund womöglich zu leistender weiterer Sachaufklärung im Verwaltungsverfahren – ausüben wird, kann das Gericht allerdings nicht antizipieren. Es ist jedenfalls nicht so, dass aufgrund besonderer Umstände des Falles ausgeschlossen ist, dass die Antragsgegnerin bei sachgemäßer Ausübung ihres Ermessens zu einem anderen Ergebnis als im Ausgangsbescheid kommen könnte. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse und vor dem Hintergrund, dass die Unterstützungshandlungen des Antragstellers – mögen sie auch tatbestandsgemäß sein – im Vergleich zu anderen denkbaren Unterstützungshandlungen (z.B. aktive Mitarbeit in einer Organisation) weniger schwer wiegen.

44

4. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Verfügung überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. An der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht kein öffentliches Interesse, vielmehr steht das öffentliche Interesse einer Vollziehung entgegen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külp-mann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 967 m.w.N.; s.a. BVerwG, Beschl. v. 18.10.2005 – 6 VR 5/05, NVwZ 2006, 214, 215). Dass die Möglichkeit besteht, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren ihr Ermessen ordnungsgemäß ausübt und damit den mit Blick auf die Verfügung vom 6. November 2015 bestehenden Ermessensfehler heilt, ändert hieran nichts (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 B 89/09, juris Rn. 11). Es besteht auch keine Veranlassung für eine zeitliche Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO im Vorgriff auf einen möglichen rechtmäßigen Widerspruchsbescheid bis zu dessen Erlass (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 B 89/09, juris Rn. 14). Die Antragsgegnerin kann nämlich, wenn durch den Erlass eines rechtmäßigen Widerspruchsbescheids erstmals ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts begründet wird, einen Antrag auf Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wegen veränderter Umstände nach § 80 Abs. 7 VwGO stellen.

II.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 42.1 Streitwertkatalog (abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 164). In einem Hauptsachestreitverfahren wäre wegen der Bedeutung einer Einbürgerung der Streitwert in Höhe des doppelten Auffangstreitwertes festzusetzen. Dieser Betrag ist in Anbetracht der Vorläufigkeit dieses Verfahrens wiederum zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkataloges).

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. November 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. November 2015 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

2

Die Antragsgegnerin hat zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in ihrer Verfügung vom 6. November 2015 entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend schriftlich begründet. Die im Rahmen des Eilverfahrens vorzunehmende vorläufige Interessenabwägung – zwischen dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit und dem geltend gemachten öffentlichen Interesse an der baldigen Wirkung der Rücknahme der Einbürgerung – fällt aber zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn nach einer – dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechenden – summarischen Prüfung (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 81; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 125, 152, 158) dürfte die genannte Verfügung, mit der nach § 35 Abs. 1 StAG die Einbürgerung des Antragstellers in den deutschen Staatsverband rückwirkend auf den 12. September 2014 zurückgenommen wurde, jedenfalls derzeit rechtswidrig sein. Zwar dürften die formellen (1.) und die materiellen (2.) Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Entscheidung ist aber ermessensfehlerhaft ergangen (3.). Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin (4.).

3

1. Die formellen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung vom 12. September 2014 waren erfüllt. Insbesondere erfolgte die Rücknahme, die am 9. November 2015 im Wege der Zustellung des Bescheides bekanntgegeben wurde, innerhalb der Fünf-Jahresfrist nach § 35 Abs. 3 StAG. Der Antragsteller war auch – mit Schreiben vom 6. Juli 2015 – zur beabsichtigten Rücknahme angehört worden.

4

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG dürften ebenfalls vorliegen: Die Einbürgerung dürfte rechtswidrig gewesen sein (a.) und der Antragsteller dürfte sie durch arglistige Täuschung erwirkt haben (b.).

5

a. Die nach § 10 StAG vorgenommene (Anspruchs-)Einbürgerung des Antragstellers dürfte nach summarischer Prüfung rechtswidrig i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG gewesen sein. Zwar dürfte es nicht an einer der Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG fehlen (aa.). Der Einbürgerung dürfte aber das Einbürgerungsverbot des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengestanden haben (bb.).

6

aa. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe am 12. September 2014 dürften sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG vorgelegen haben. Insbesondere dürfte es nicht an dem gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erforderlichen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Erklärung zu etwaigen verfassungsfeindlichen oder extremistischen Aktivitäten (sog. Loyalitätserklärung) fehlen. Hierbei dürfte es sich bloß um eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung handeln (vgl. zum Folgenden Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht – GK-StAR, Stand: Oktober 2014, § 10 StAG Rn. 134 ff., insbesondere Rn. 135 m.w.N. auch zur Gegenansicht und Rn. 136, 141 ff. mit entstehungsgeschichtlichen Argumenten; siehe ferner VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 41 ff.). Wenn bereits im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen und zu entscheiden wäre, ob das abgegebene Bekenntnis bzw. die Loyalitätserklärung inhaltlich zutreffend ist, würde § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG keine eigenständige Bedeutung haben. Dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG – über die Anforderungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hinaus – eine verfassungsfreundliche Gesinnung als materielle Voraussetzung der Einbürgerung konstituiert, dürfte nicht nahe liegen. Jenseits innerer, nicht überprüfbarer mentaler Vorbehalte kann die Frage, ob ein Bekenntnis oder eine Loyalitätserklärung „wahrheitsgemäß“ ist, sinnvoll nur anhand tatsächlicher Anhaltspunkte geprüft und entschieden werden und zwar im Rahmen der Prüfung von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.

7

bb. Nach Aktenlage dürfte der Einbürgerung zum Zeitpunkt ihres Vollzuges am 12. September 2014 ein Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengestanden haben. Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung u.a. dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden. Die in dieser Vorschrift zum Einbürgerungsverbot zusammengefassten Voraussetzungen bezwecken, dass mit Blick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ein bloßes „Lippenbekenntnis“ nicht für die Einbürgerung ausreicht. Die Vorschrift bewirkt eine Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter weit in das Vorfeld konkreter Sicherheitsgefährdungen. Zweck der Bestimmung ist es, die Einbürgerung etwa von radikalen Islamisten auch dann verhindern zu können, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können, aber zumindest der begründete Verdacht besteht, dass Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützt werden, die für den deutschen Staat wesentlich sind (vgl. BT-Drs. 14/533, S. 18 f. zur gleich lautenden Vorgängerregelung des bis zum 31.12.2004 geltenden § 86 Nr. 2 AuslG; BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 15).

8

Bei summarischer Prüfung dürften zumindest im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vorgebrachten Anknüpfungstatsachen und vor dem Hintergrund der herabgesetzten Anforderungen an ihren Nachweis tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen (1) unterstützt (2) hat.

9

(1) Bei den Bestrebungen, mit denen sich der Antragsteller beschäftigt haben soll, handelt es sich um verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 lit. c) BVerfSchG solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Nachweis, dass eine Organisation derartige Ziele verfolgt, hat als geführt zu gelten, wenn und sobald sie vereinsrechtlich verboten worden ist (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 71). Dies ist mit Blick auf die jihadistisch-salafistische Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) der Fall. Mit Verfügung vom 12. September 2014 hat der Bundesminister des Innern die Betätigung des IS verboten (vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 21.4.2015 – 1 K 14.1546, juris Rn. 36 zur terroristischen Betätigung des IS gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.). Der IS verfolgt zudem Bestrebungen, die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Derartige Bestrebungen liegen bereits dann vor, wenn eine Organisation zwar nicht im Bundesgebiet Gewalt anwendet, wohl aber im Herkunftsland – wie hier in Syrien und im Irak – gewaltförmig agiert. Zu den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik Deutschland gehört das Bestreben, Gewaltanwendung jedenfalls außerhalb von staatlich getragenen bewaffneten Interventionen nach Maßgabe der UN-Charta als Mittel der Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Interessen und Ziele umfassend zu bannen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 30.9.2004 – 10 K 6189/03, juris Rn. 30). Aufgrund der Aufrufe des IS an seine Unterstützer, im westlichen Ausland Anschläge zu begehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 26 f., 32; siehe auch die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, zu denen sich der IS bekannte), verfolgt der IS gleichzeitig Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.

10

Der jihadistische Salafismus stellt auch im Übrigen eine Bestrebung dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist (vgl. VG Aachen, Urt. v. 19.11.2015 – 5 K 480/14, juris Rn. 72; VG Minden, Urt. v. 27.10.2015 – 8 K 1220/15, juris Rn. 27 ff.). Der Salafismus verfolgt das Ziel, Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als „gottgewollte" Ordnung angesehen und propagiert wird, umzugestalten und befürwortet dabei die Anwendung von Gewalt (entgegen § 4 Abs. 2 lit. f] BVerfSchG: Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft). Für Salafisten ist Allah der einzige Souverän und die Scharia das von ihm offenbarte – und damit einzig legitime – Gesetz (entgegen § 4 Abs. 2 lit. b] BVerfSchG: Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht). Demokratie ist in ihren Augen eine falsche „Religion". Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung (vgl. § 4 Abs. 2 lit. a] und lit. d] BVerfSchG) ist demnach unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, Gleichberechtigung, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. zum Vorstehenden Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 40 f.; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 137 f.). Auch weitere von dem Antragsteller vermeintlich bei Facebook mit einem „Like“ versehene Organisationen verfolgen derartige Bestrebungen: Bei der „al-Nusra-Front“ handelt es sich um einen Ableger der Terrororganisation al-Qaida (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 33 f.). Die in Nigeria äußerst brutal agierende Organisation „Boko Haram“ legte im März 2015 ihren Treueeid auf den selbsternannten IS-Kalifen Baghdadi ab (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 36). Die Hamburger „Dawa“(= Missionierung)-Gruppen werden ebenso wie die Gruppen „Lies! Hamburg“ und „Jesus im Islam“ aufgrund ihrer Nähe zur salafistischen Szene vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 43 ff.).

11

(2) Aufgrund der summarischen Prüfung und Würdigung der in den vorliegenden Akten enthaltenen Feststellungen kommt das Gericht zu dem Schluss, dass ungeachtet verschiedener Zweifel in tatsächlicher Hinsicht vieles dafür spricht, dass der Antragsteller bereits im Zeitraum vor der Einbürgerung derartige Bestrebungen unterstützt hat.

12

Ausgehend vom obengenannten Zweck der Bestimmung, einer Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter, ist eine Unterstützung jede eigene Handlung, die für Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18; OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64; vgl. auch VGH München, Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01 1805, juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dazu zählt jedes Tätigwerden auch eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotential stärkt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64). Als Unterstützungshandlungen gelten etwa die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01.1805, juris Rn. 32; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 96.2). Auf einen beweis- oder messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an, weil schon die Erhöhung des Gefährdungspotentials dieser Bestrebungen verhindert werden soll (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 5.12.2007 – 1 K 1851/06, juris Rn. 20). Die Handlung muss dem Betroffenen nicht subjektiv vorwerfbar sein (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.4.2008 – 5 N 19.06, juris Rn. 9; VGH Mannheim, Urt. v. 10.11.2005 – 12 S 1696/05, juris Rn. 26). Daher ist auch unerheblich, ob die maßgeblichen Handlungen strafrechtlich relevant sind (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 65). Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24.08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18).

13

Das Vorliegen einer Unterstützungshandlung muss nicht mit dem üblichen Grad der Gewissheit festgestellt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr ein tatsachengestützter hinreichender Verdacht (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 66 f.). Allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch bezeichenbare, konkrete Tatsachen gestützt sind, genügen nicht. Die Annahme darf nicht „aus der Luft" gegriffen bzw. willkürlich sein. Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine entsprechende Annahme rechtfertigen, sind konkrete auf den Einbürgerungsbewerber bezogene Umstände, die von der Einbürgerungsbehörde dargelegt und einer Beweisführung zugänglich gemacht werden müssen.

14

Für die Rücknahme unbeachtlich sind dabei Aktivitäten, die der Eingebürgerte erst nach Vollzug der Einbürgerung aufnimmt. Sie indizieren ohne Hinzutreten weiterer, dann aber selbständig zu beurteilender Umstände wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Sinneswandels auch nicht, dass der Eingebürgerte weitere (nicht bekannte) Aktivitäten bereits vor der Einbürgerung entfaltet hat (vgl. GK-StAR, § 10 StAG Rn. 155). Ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Eingebürgerte erst (und nur) nach Vollzug der Einbürgerung verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt hat, ist die Einbürgerung rechtmäßig. Die Rücknahme gemäß § 35 StAG scheidet dann aus. Der Widerruf einer rechtmäßigen Einbürgerung ist vor dem Hintergrund von Art. 16 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Insoweit ist vorliegend zu unterscheiden zwischen Aktivitäten, die vor dem Zeitpunkt des Einbürgerungsvollzugs – hier dem 12. September 2014 – und solchen, die erst danach entfaltet wurden. Der weitestgehend pauschale Verweis der Antragsgegnerin auf die Klageerwiderung in dem parallel anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren 19 K 3103/15, in dem sich der Antragsteller u.a. gegen die Entziehung seines Passes wendet, ist deshalb nicht zielführend. Im Rahmen der §§ 7, 8 PassG kommt es anders als im Rahmen von § 35 StAG darauf an, ob im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung (bzw. im Klageverfahren im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Betroffene die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Bei der Passentziehung handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. § 35 StAG ermöglicht hingegen die Rücknahme erschlichener oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkter Einbürgerungen und die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände (vgl. eingehend BVerfG, Urt. v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04, juris).

15

Gemessen an diesen Maßstäben liegen Anknüpfungstatsachen für Unterstützungshandlungen im obigen Sinn vor. Hierzu im Einzelnen:

16

(a) Der Umstand, dass der Antragsteller dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) seit Ende 2014 in Zusammenhang mit einer im Internet aktiven Dawah-Gruppe mit Bezug zum IS bekannt gewesen ist, wie es im Bescheid zur Passentziehung heißt, ist zwar kein relevanter Anknüpfungspunkt, denn nähere Angaben dazu, inwiefern der Antragsteller diese Gruppe unterstützt hat, liegen nicht vor.

17

(b) Auch eine von der Antragsgegnerin behauptete Ausreisebereitschaft des Antragstellers nach Syrien – um sich dort dem IS anzuschließen – dürfte als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Unterstützungshandlung nicht ausreichen. Die Ausreisebereitschaft wird von der Antragsgegnerin ausschließlich auf die Aussage einer Frau H gestützt, mit der der Antragsteller über verschiedene Kommunikationsplattformen im Internet Kontakt gehabt haben soll. Nach Angaben des LKA Baden-Württemberg sei Frau H selbst Sympathisantin des IS. Im Telefonbuch ihres Mobiltelefons wurde eine Nummer gefunden, die dem Antragsteller zuzuordnen ist. Frau H konnte in ihrer Zeugenbefragung teilweise zutreffende Angaben über den Antragsteller machen (Alter, Wohnort, Aussehen, Herkunft). Es erscheint danach durchaus plausibel, dass sie Kontakt zu dem Antragsteller hatte und er ihr gegenüber geäußert hat, nach Syrien reisen zu wollen, obwohl der IS „schlecht“ sei. Während sich in der Akte des LKA Baden-Württemberg von anderen Chats, die Frau H mit Sympathisanten des IS geführt haben soll, Screenshots finden, ist dies für den vermeintlichen Chat mit dem Antragsteller jedoch nicht der Fall. Es ist auch nicht klar, ob Frau H die Äußerung in einem WhatsApp-Chat, über ask.fm oder über ein anderes Portal oder einen anderen Kommunikationsweg getätigt hat. Aus der Akte des LKA Baden-Württemberg zur Befragung von Frau H am 19. Dezember 2014 ergibt sich zudem nicht, wann (vor oder nach Vollzug der Einbürgerung) das entsprechende Gespräch stattgefunden haben soll. In einem Gesprächsvermerk des LfV (Beleg 5 zur Stellungnahme vom 4.9.2015) heißt es, dass die Äußerung im Dezember 2014 und damit nach Vollzug der Einbürgerung erfolgte. Die in der Akte des LKA Baden-Württemberg dokumentierte Aussage dürfte für sich genommen – insbesondere auch wegen ihrer inhaltlichen Widersprüchlichkeit – daher nicht als Anhaltspunkt reichen. Der Sachverhalt wäre ggf. in einem Hauptsacheverfahren durch Vernehmung der Frau H als Zeugin aufzuklären.

18

(c) Bei der Gewahrsamnahme des Antragstellers am 10. Oktober 2014 handelt es sich um einen Vorgang, der nach dem Vollzug der Einbürgerung stattfand und damit isoliert betrachtet nicht herangezogen werden kann. Im Übrigen bestehen nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller im Oktober 2014 an den gewaltsamen Ausschreitungen zwischen kurdischen Volkszugehörigen und Angehörigen der islamistischen Szene in St. Georg beteiligt hat. Die Ausschreitungen fanden am 7. und 8. Oktober 2014 statt. Der Antragsteller wurde laut Polizeibericht am 10. Oktober 2014 vor der Moschee „M“ nach Beendigung des dortigen Freitagsgebetes „als Teil einer relevanten Personengruppe festgestellt“ und aufgrund einer bei ihm aufgefundenen Sturmhaube in Gewahrsam genommen, weil befürchtet wurde, dass er „bei weiteren Zusammenrottungen seine Identität durch das Tragen der Sturmhaube verschleiern will“. Es ist nicht erkennbar, inwiefern der Antragsteller ein konkretes Verhalten beabsichtigt haben könnte, das den o.g. Bestrebungen förderlich gewesen wäre. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es am 10. Oktober 2014 überhaupt zu Ausschreitungen – wie am 7. und 8. Oktober 2014 – gekommen ist oder kommen sollte (vgl. auch Lageinformation aktuelle Entwicklung Kurden vs. IS, Gerichtsakte 19 K 3103/15, Bl. 108 ff.). Die Personenkontrollen am 10. Oktober 2014 hat die Polizei offenbar unter dem Eindruck der Geschehnisse vom 7. und 8. Oktober 2014 durchgeführt. Die bloße Anwesenheit des Antragstellers vor einer Moschee in einem Gebiet, in dem es Tage zuvor zu Ausschreitungen gekommen ist, dürfte für sich genommen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine Unterstützungshandlung darstellen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass bei dem Antragsteller eine Sturmhaube gefunden wurde. Im Eilverfahren 19 E 3104/15 hatte der Antragsteller vorgetragen, dass es sich bei der angeblichen Sturmhaube um einen Gesichtsschutz handele, den er beim Kart fahren kurz vor der Gewahrsamnahme getragen habe. Auch der weitere Vortrag des Antragstellers, er habe den Imbiss seines Vaters besuchen wollen, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Dieser ist nur wenige hundert Meter von der Moschee entfernt. Eine Berücksichtigung der Gewahrsamnahme wäre nur im Rahmen einer Gesamtschau mit Blick auf die vom Antragsteller gegenüber den Polizisten getätigten Äußerungen (Erkundigung nach Uhrzeit und Himmelsrichtung zur Orientierung Richtung Mekka) möglich, soweit es um die Konversion des Antragstellers zum Islam geht (siehe dazu unten).

19

(d) Tatsächliche Anhaltspunkte für Unterstützungshandlungen des Antragstellers für verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen dürften sich aber aus dessen Aktivitäten im Internet ergeben.

20

Es spricht aufgrund der Stellungnahme des LfV vom 4. September 2015 vieles dafür, dass das Profil „A R“ dem Antragsteller zuzuordnen ist. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass jemand aus dem Bekannten- oder Freundeskreis des Antragstellers die Profile bei Facebook und ask.fm eingerichtet hatte. Das LfV hat aber herausgearbeitet, dass der Name „A R“ auch von einem Profil auf der Plattform ask.fm benutzt worden ist, bei dem ein Foto des Antragstellers als Profilbild sichtbar war. Laut eines Gesprächsvermerks des LfV (Beleg 5 zur Stellungnahme vom 4.9.2015) haben zudem der Vater und der Onkel des Antragstellers geäußert, dass die problematischen Inhalte auf der Facebook-Seite „nur aus Spaß im Rahmen seiner letzten Geburtstagsfeier hochgeladen worden“ seien, was als weiteres Indiz dafür herangezogen werden kann, dass das Profil tatsächlich dem Antragsteller zuzuordnen ist. Zudem wurden sämtliche Facebook-Profile gelöscht, nachdem der LfV den Vater und den Onkel des Antragstellers Ende Januar 2015 mit den problematischen Inhalten konfrontiert hatte. Gleichwohl besteht über die Zuordnung des Profils „A R“ nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine Gewissheit.

21

Das Facebook-Profil „A R“ weist eine Vielzahl an Einträgen und Bildern sowie „Likes“ für solche Einträge und Bilder auf, die gewaltverherrlichend die Kämpfer des IS glorifizieren und den bewaffneten Jihad als Pflicht jedes gläubigen Muslims darstellen. Unter anderem wurde am 25. Oktober 2014 als Profilbild das Bild eines bewaffneten Jihadisten veröffentlicht, der vor einer schwarzen Flagge mit arabischen Schriftzeichen (womöglich der Flagge des IS) und Flammen steht. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich der Antragsteller selbst als eine Art „Glaubenskrieger“ ansieht. Am 23. Oktober 2014 wurde ein Bild eingestellt, das eine neue Form der Evolution suggeriert, die beim Kleinkind beginnt und in der Zuwendung zum Glauben mündet, zum „Glaubenskrieger“ führt und ihr Finale im Märtyrertum (symbolisiert durch einen grünen Vogel) findet. Es finden sich „Likes“ für Einträge von Personen, die nach Syrien gereist sind, um sich dort dem IS anzuschließen, z.B. für einen Eintrag von M B vom 20. Januar 2015, in dem dieser in Syrien gefallene „Märtyrer“ würdigt und „Likes“ für Bilder, mit denen Siege von „Glaubenskriegern“ in Syrien gefeiert werden. Es findet sich weiter ein „Like“ für den IS-Propaganda-Film „The Flames of War“, der massive Gewaltdarstellungen enthält. Weiter finden sich „Likes“ für die Organisationen „Lies! Hamburg“, „Hamburg Dawah Movement“, „Boko Haram“, „al-Nusra-Front“, „Jesus im Islam Hamburg“ sowie sonstige Inhalte mit Bezug zum Islam.

22

Der Unterstützungsbegriff des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dürfte derartige Sympathiewerbung für terroristische Aktivitäten Dritter als öffentliche Befürwortung von verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen umfassen. Diese Art von Sympathiewerbung, bei der der allgemeinen Verurteilung der Gräueltaten des IS das Bild eines gerechtfertigten und notwendigen Kampfes entgegensetzt wird, dürfte sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten des IS auswirken. Durch das Veröffentlichen von entsprechenden Inhalten in sozialen Netzwerken nimmt das radikale Gedankengut an Verbreitung zu. Der Veröffentlichende betätigt sich damit als Teil der Propagandamaschinerie der verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen. Dies dürfte nicht nur für eigene Einträge, sondern auch für „Likes“ gelten. Einträge, die mit einem „Like“ versehen werden, sind danach auf der Facebook-Seite desjenigen sichtbar, der den Eintrag „geliked“ hat. Die Möglichkeit der jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, weitere Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen bzw. „Kämpfer“ anzuwerben, erhöht sich. Die potentielle Gefährlichkeit des jihadistischen Salafismus wird dadurch gefestigt und ihr Gefährdungspotential gestärkt, denn die Radikalisierung potentieller „Glaubenskrieger“ verläuft oftmals über das Internet. Hierzu heißt es im Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 34 f.:

23

„2014 stand die salafistische Szene im Mittelpunkt der Beobachtung des Hamburger Verfassungsschutzes. Die Zahl der Salafisten, die den bewaffneten Jihad (Heiliger Krieg) befürworten stieg um mehr als das Dreifache von 70 auf 240 an. Zusammen mit den in Hamburg aktiven politischen Salafisten beträgt das salafistische Gesamtpotenzial mittlerweile rund 400 Personen (2013: 240). Der Anstieg insbesondere der jihadistisch orientierten Salafisten ist sowohl auf eine verbesserte Einblickstiefe des Verfassungsschutzes nach einer weiteren Schwerpunktsetzung seit Sommer 2014 als auch auf eine schnell zunehmende Radikalisierung speziell jüngerer Erwachsener zurückzuführen.

24

Eine entscheidende Rolle bei der Radikalisierung kommt den Ereignissen in den Krisenregionen Syrien und Irak zu, medial transportiert über soziale Netzwerke. Insbesondere junge Menschen, die auf der Suche nach Vorbildern sind und die zum Beispiel in Familien ohne Vater aufwachsen, ohne Integration in ihr soziales Umfeld sind und Brüche in ihrer Biografie haben, möglicherweise auch Probleme in der Schule, bei der Ausbildung oder der Arbeitsstelle, lassen sich für die militärischen Erfolge des „Islamischen Staates“ (IS) begeistern und haben der jihadistischen Szene einen Zulauf verschafft.
(….)

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Diese rasante Steigerung ist auch auf die erfolgreichen Propagandastrategien der Salafisten zurückzuführen, mit denen sie in professioneller Weise für ihre Ziele werben. Vor allem über das Internet werden die salafistischen Ideologieinhalte in Form von Webseiten und Videosequenzen transportiert. Als weitere Aktionsformen werden im Rahmen der „Straßenmission“ unter anderem Infotische auf öffentlichen Plätzen und Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Gerade für junge Menschen stellen diese Propagandastrategien die ersten Berührungspunkte zum Salafismus dar.“

26

Nach Angaben des LfV soll der Antragsteller über das Profil „A R“ zudem schwerpunktmäßig mit Personen befreundet sein, die der jihadistisch-salafistischen Szene in Hamburg zugeordnet werden können. Persönliche Kontakte oder Freundschaften des Betroffenen mit Personen, die sicherheitsgefährdende Aktivitäten entfalten, können tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG bilden. Erforderlich ist aber, dass die Freundschaft gerade auf einer Übereinstimmung der politisch-gesellschaftlichen Anschauungen beruht und der Betroffene mit der Einstellung des Freundes/der Kontaktperson sympathisiert und diese gutheißt (vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 17.6.2010 – 5 K 1466/09, juris Rn. 21). Ob dies hier der Fall ist, kann vom Gericht derzeit nicht abschließend bewertet werden, da sich weitergehende Erkenntnisse über die einzelnen Personen nicht in den Stellungnahmen des LfV befinden. Auffällig ist aber, dass es sich bei den Kontakten offenbar – zumindest teilweise – nicht nur um bloße Internetbekanntschaften handelt. Einige der Facebook-Freunde, die vom LfV der jihadistisch-salafistischen Szene zugerechnet werden, gehören auch nach Angaben der Familie des Antragstellers zu seinen besten Freunden (und wohnen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft).

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Diese Handlungen dürften auch gegen den Antragsteller verwendet werden können. Zwar sind nach Angaben des LfV die Facebook-Aktivitäten vor allem bei der Auswertung des Facebook-Profils (erst) am 26. Januar 2015 festgestellt worden. Viele der veröffentlichten Beiträge stammen aus der Zeit nach Vollzug der Einbürgerung am 12. September 2014. Auch soweit vor dem 12. September 2014 veröffentlichte Beiträge mit einem „Like“ versehen worden sind, ist nicht auszuschließen, dass dies erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen ist. In den meisten Fällen ist den vom LfV gefertigten Ausdrucken das Datum des „Like“ nicht zu entnehmen. Dasselbe gilt überwiegend für den Zeitpunkt der Aufnahme der Freundschaften zu vermeintlichen Mitgliedern der jihadistisch-salafistischen Szene. Unklarheiten in Bezug auf den Zeitpunkt einer Unterstützungshandlung dürften zu Lasten der Antragsgegnerin gehen.

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Folgende Inhalte stammen aber ohne Zweifel aus einem Zeitraum vor dem Vollzug der Einbürgerung:

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Zunächst finden sich diverse Inhalte, die Sympathien für den muslimischen Glauben zum Ausdruck bringen, wie z.B. die Veröffentlichung eines Profilfotos am 3. April 2014 mit der Inschrift „Ich bezeuge, dass niemand mit Recht angebetet wird außer Allah und dass Muhammad Sallallamu Alleihi wa Sallam der Gesandte Allahs ist“, eines Profilfotos am 11. Juni und 21. August 2013 mit der Inschrift „Ich bin ein Muslim, der Islam ist perfekt, ich bin es nicht. Wenn ich einen Fehler mache, so gib mir die Schuld, nicht dem Islam…“ und eines Profilfotos am 27. Juni 2013 mit der Inschrift „La ilaha illa Allah“. Diese Beiträge deuten als solche nicht auf Unterstützungshandlungen hin. Der Umstand, dass der Antragsteller zum Islam konvertiert sein könnte, dürfte aber im Rahmen einer Gesamtschau als Indiz einzubeziehen sein (siehe dazu unten).

30

Mit einigen Facebook-Freunden ist „A R“ bereits seit 2013 befreundet. Inwieweit einzelne dieser Personen der jihadistisch-salafistischen Szene zugeordnet werden können, wäre in einem Hauptsacheverfahren näher zu untersuchen. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass im Freundesbereich des Profils Überschneidungen mit dem Klarnamenprofil des Antragstellers bestehen (teilweise ebenfalls seit 2013) und auch diese Personen laut LfV der jihadistisch-salafistischen Szene angehören sollen.

31

Im Juni 2013 wurden die Facebook-Seiten „PierreVogel.de“ und „Al-Haqq News“ mit einem „Like“ versehen. Pierre Vogel ist ein deutscher salafistischer Prediger, der vom evangelischen Christentum zum sunnitischen Islam konvertiert ist (vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundes 2013, S. 225; Verfassungsschutzbericht Hamburg 2013, S. 31; s.a. Wikipedia-Eintrag „Pierre Vogel“, Abruf v. 19.2.2016). Er war Mitglied des inzwischen aufgelösten salafistischen Vereins „Einladung zum Paradies“ (kurz EZP), der vom Verfassungsschutz beobachtet wurde (vgl. Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 139). Bei „Al Haqq“ dürfte es sich um „Asa’ib Ahl al-Haqq“ handeln, eine paramilitärisch geführte, schiitische Extremistengruppe im Irak und Syrien (vgl. http://www.theguar-dian.com/world/2014/mar/12/iraq-battle-dead-valley-peace-syria; s.a. Wikipedia-Eintrag „Asa’ib Ahl al-Haqq“, Abruf jeweils v. 19.2.2016).

32

Auf einem am 24. August 2014 eingestellten Profilbild, das mit „A R al Indi“ (der Zusatz „al Indi“ könnte auf die indischen Wurzeln der Familie des Antragstellers hindeuten) überschrieben ist, wird ein muskulöser Mann in schwarzer Kleidung, mit schwarzem Bart und dunkler Sonnenbrille dargestellt. Es soll sich wohl um eine Art „Glaubenskrieger“ handeln. Gewissermaßen hinter oder auf der linken Schulter des Mannes ist ein schwarzes Banner zu erkennen. Das schwarze Banner ist eine Flagge, die von vielen islamistischen Terrororganisationen wie al-Qaida sowie dem IS benutzt wird (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/kobane-islamischer-staat-macht-angst-mit-schwarzer -flagge-a-995797.html.; s.a. Wikipedia-Eintrag „Schwarzes Banner“, Abruf jeweils v. 19.2.2016). Auf dem Gürtel des Mannes befinden sich zwei gekreuzte Säbel. Die Säbel gelten als ein Symbol des Islam und als Erkennungszeichen islamischer Kämpfer (vgl. Wikipedia-Eintrag „Scimitar“ – Synonym für Säbel –, Abruf v. 19.2.2016). Mit der Darstellung des portraitierten Mannes als nahezu übernatürlich stark wird suggeriert, dass man als „Glaubenskrieger“ so sei – womöglich gar zu neuer Stärke finde, wenn man für den IS kämpfe. Ein derartiges Bild kann andere junge Männer, die auf der Suche nach Orientierung im Leben sind, beeinflussen und sie dazu bringen, sich einer radikalen islamistischen Gruppierung wie dem IS anzuschließen (s.o. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014 zur von islamistischer Propaganda in sozialen Netzwerken im Internet ausgehenden Gefahr).

33

Die ohne Zweifel vor dem Vollzug der Einbürgerung veröffentlichten Inhalte und „Likes“ dürften bereits für die Bejahung von relevanten Unterstützungshandlungen genügen. Die Anhaltspunkte gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG müssen nach Art und Gewicht geeignet sein, eine dauernde Identifikation des Betroffenen mit den verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen zu indizieren (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 98). Dieses Mindestmaß an Nachhaltigkeit dürfte mit Blick auf die vor dem 12. September 2014 veröffentlichten Inhalte und „Likes“ erfüllt sein. Zwischen den „Likes“ für „PierreVogel.de“ und „Al Haqq“ im Juni 2013 und der Veröffentlichung des Profilbildes im August 2014 ist mehr als ein Jahr vergangen. Letzteres Bild ist – wie dargelegt – eindeutig dahingehend zu interpretieren, dass sich der Veröffentlichende mit radikalen islamistischen Gruppierungen wie dem IS identifiziert.

34

Selbst wenn man diese einzelnen Anhaltspunkte für sich genommen nicht ausreichen ließe, genügt es aber jedenfalls, dass die Gesamtschau aller vorhandenen Anhaltspunkte die Annahme der Unterstützung verfassungsfeindlicher und extremistischer Bestrebungen rechtfertigt (vgl. VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 32). Insoweit darf im Rahmen einer Gesamtschau auf die sonstigen Einträge, „Likes“ und Kontakte des Antragstellers bei Facebook wohl ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung zurückgegriffen werden. Mit dem Verbot der Heranziehung verfassungsfeindlicher und extremistischer Unterstützungshandlungen, die erst nach Vollzug der Einbürgerung vorgenommen werden, soll der Gefahr begegnet werden, dass eine Einbürgerung zurückgenommen wird, obwohl sich der Betroffene erst nach seiner Einbürgerung aufgrund eines Sinneswandels radikalisiert. Zeigt sich bei Betrachtung von Aktivitäten vor der Einbürgerung und danach hingegen – wie vorliegend – eine gewisse Konstanz, besteht diese Gefahr nicht. Die späteren Aktivitäten zeigen nur, dass der Antragsteller auch nach dem Vollzug seiner Einbürgerung in seinem radikalen Gedankengut verhaftet gewesen sein dürfte.

35

Ähnlich zu beurteilen sind insoweit die Auszüge aus dem ask.fm-Profil von „A R“. Dass das Profil dem Antragsteller zuzuordnen ist, hat der LfV plausibel dargelegt, ohne dass der Nachweis zum gegenwärtigen Zeitpunkt als geführt gilt. Folgende Indizien sprechen aber dafür: Der Profilinhaber gibt an, dass er aus Indien komme (die Familie des Antragstellers hat nach eigenen Angaben indische Wurzeln) und „sehr nah dran“ an zwei benannten Personen wohne, die tatsächlich in der Nachbarschaft des Antragstellers wohnten. Zudem besuche er eine Moschee am Hauptbahnhof (tatsächlich wurde er am 10. Oktober 2014 vor einer Moschee in der Nähe des Hauptbahnhofes angetroffen, siehe oben). Auf dem Gruppenbild der ask.fm-Gruppe „I f D“, in der sich nach Angaben des LfV Profile jihadistischer Salafisten zusammengeschlossen hatten, findet sich ein Bild des Antragstellers mit dem Namenszug „A R“. Die Einträge auf dem Profil dürften teilweise von ca. Anfang September 2014 (vgl. Ausdruck vom 1.10.2014) stammen. Inhaltlich befassen sich die Einträge im Wesentlichen mit allgemeinen Fragen zum Islam und der Auslegung des Korans.

36

(e) Weiter liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zum Islam konvertiert ist. Damit wird das Argument des Antragstellers, er sei Hindu und unterstütze schon deswegen keine jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, entkräftet. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich unabhängig von den vermeintlichen Internetaktivitäten des Antragstellers. Im Verfahren 19 E 3104/15 hatte der Schulleiter des von dem Antragsteller besuchten Gymnasiums eine E-Mail vorgelegt, in der der Antragsteller und ein Schulkollege darum bitten, an Freitagen den Unterricht früher verlassen zu dürfen, um am Gebet in einer Moschee teilnehmen zu dürfen. An der Aussagekraft der E-Mail bestehen aber Zweifel, da der Schulkollege später eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, wonach es bei der Freistellung nur um ihn und nicht um den Antragsteller gegangen sei. Der Antragsteller sei gläubiger Hindu und nicht zum Islam konvertiert. Die Eltern des Antragstellers sind nach eigenen Angaben Hindus. Der Vater und der Onkel haben geäußert, von einer Konversion des Antragstellers nichts bemerkt zu haben. Auf der anderen Seite haben sie im Rahmen einer Befragung anlässlich der Konfrontation mit möglichen Plänen des Antragstellers, nach Syrien auszureisen, angegeben, der Reisepass des Antragstellers sei vorsorglich aufgrund „eines unguten Gefühls“ in einem Bankschließfach deponiert worden und bei dem Antragsteller könne nicht ausgeschlossen werden, dass er sich „den falschen Freunden“ angeschlossen habe. Der Sachverhalt bedürfte insoweit weiterer Aufklärung in einem Hauptsacheverfahren. Könnte dem Antragsteller nachgewiesen werden, dass er zum Islam konvertiert ist, würde dieser Umstand – auch in Verbindung mit den wohl anlässlich seiner Gewahrsamnahme vor der Moschee am 10. Oktober 2014 getätigten Aussagen (Erkundigung nach Uhrzeit und Himmelsrichtung zur Orientierung Richtung Mekka) – den Verdacht erhärten, dass die Einträge auf dem Facebook- und dem ask.fm-Profil tatsächlich von ihm stammen und der Unterstützung jihadistisch-salafistischer Bestrebungen dienen sollten.

37

b. Soweit die Einbürgerung danach rechtswidrig ist, ist sie auch durch arglistige Täuschung i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG erwirkt worden. Als arglistige Täuschung wird bereits die wahrheitswidrige Beantwortung einer an den Einbürgerungsbewerber gestellten Frage angesehen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 41). In seiner Befragung zum Einbürgerungsantrag vom 14. April 2014 hat der Antragsteller sämtliche Fragen, die darauf abzielten festzustellen, ob er verfassungsfeindliche oder extremistische Bestrebungen unterstützt hat, mit „nein“ angekreuzt. Zugleich hat er eine entsprechende Loyalitätserklärung abgegeben. Wenn er die Unterstützungshandlungen erst nach Abgabe der Erklärung, aber noch vor Vollzug der Einbürgerung aufgenommen haben sollte, hätte er die Antragsgegnerin darüber aufklären müssen. Für die Begehungsform der arglistigen Täuschung in der Alternative des Verschweigens von Tatsachen reicht es, dass der Betreffende Tatsachen verschweigt und dabei weiß oder in Kauf nimmt, dass diese verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Behörde erheblich sind oder sein können (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 3.12.2012 – 11 K 1038/12, Rn. 42 f.). Zudem hat der Antragsteller bei Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde am 12. September 2014 die Erklärung unterschrieben, dass sich keine Veränderungen seiner persönlichen Verhältnisse ergeben hätten, die der Einbürgerung entgegenstehen könnten. In der Niederschrift über die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde vom 12. September 2014 hat der Antragsteller u.a. die Erklärung unterschrieben, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekenne.

38

Der Antragsteller dürfte seine Einbürgerung durch die Falschbeantwortung der Fragen bzw. das Verschweigen dieser Umstände auch arglistig erwirkt haben. Es dürfte für den Antragsteller aus Laiensicht völlig klar gewesen sein, dass seine Einbürgerung ausgeschlossen gewesen wäre, wenn der Antragsgegnerin die Umstände, aus denen sich der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ergeben hätte, offenbar geworden wären.

39

3. Obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme gemäß § 35 Abs. 1 StAG vorliegen dürften, dürfte der Bescheid aber jedenfalls derzeit ermessensfehlerhaft i.S.v. § 114 Satz 1 VwGO sein und wäre zumindest von daher aufzuheben. § 35 Abs. 1 StAG stellt die Entscheidung der Behörde in ihr Ermessen, ohne dass eine bestimmte Entscheidung intendiert ist (a.). Ob die Antragsgegnerin dementgegen von einem intendierten Ermessen ausgegangen ist und bereits deswegen ein Ermessensfehler vorliegt, kann dahinstehen (b.). Denn jedenfalls hat sie ihr Ermessen auch im Übrigen nicht ordnungsgemäß ausgeübt (c.). Das Gericht war weder gehalten, der Antragsgegnerin im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Möglichkeit einzuräumen, ihre Ermessenserwägungen zu ergänzen, noch dazu in der Lage, zu antizipieren, ob die Antragsgegnerin den Ermessensfehler im Widerspruchsverfahren heilen wird (d.).

40

a. Die Rücknahmeentscheidung ergeht gemäß § 35 Abs. 1 StAG nach freiem Ermessen. Die Ermessensausübung ist durch das Gesetz nicht dahin intendiert, dass von einem Erlass nur ausnahmsweise dann abgesehen werden darf, wenn besondere, berücksichtigungsfähige und gewichtige Gründe dies rechtfertigen. Für die Auffassung, dass etwa nur eine den Fällen des § 8 Abs. 2 StAG vergleichbare Härte ein Absehen von der Rücknahme rechtfertigen kann, bietet das StAG keine Grundlage (vgl. ausführlich OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 657 f.; VG Wiesbaden, Urt. v. 15.6.2015 – 6 K 168/15, NVwZ-RR 2015, 915, 916). Auch wenn dem Begünstigten „Vertrauensschutz“ aufgrund arglistiger Täuschung zu versagen sein sollte, würde dies nicht zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf „Null“ führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1978 – 3 C 18.77, BVerwGE 57, 1, 4 Rn. 133). Die Behörde hat im Rahmen ihrer Ermessensausübung die nach Lage der Dinge maßgeblichen privaten Belange und die öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 108 f.; s.a. Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 35 StAG Rn. 42 f.). Bei der Identifizierung der schutzwürdigen privaten Belange ist insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet in das Ermessen einzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.2.2008 – 5 C 4/07, NVwZ 2008, 685, 686; vgl. auch OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 659 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2007 – 13 S 2885/06, juris Rn. 30; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.10.2006 – 5 B 15.03, juris Rn. 27). Ein weiterer zu berücksichtigender Umstand ist die Integration des Betroffenen in die deutschen Lebensverhältnisse (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9. 9. 2003 – 1 C 6/03, NVwZ 2004, 487, 489). Insbesondere die Gesamtdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ist regelmäßig – und dies gilt in besonderem Maße, wenn sie von langjähriger Erwerbstätigkeit begleitet wird – ein aussagekräftiger Indikator für die Integration in das gesellschaftliche Umfeld, deren Förderung durch Einräumung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten ein Hauptanliegen der Einbürgerung ist. Die Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts als ein je nach zeitlichem Umfang und Begleitumständen mehr oder minder gewichtiger privater Belang trägt daher dazu bei, die privaten Belange und das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände einzelfallbezogen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 24.2.2011 – 1 A 327/10, NVwZ-RR 2011, 654, 659 f.). Genauso können die sich für den Betroffenen ergebenden Unsicherheiten bei der Fortsetzung des Aufenthalts im Bundesgebiet und die Folgen der möglichen Rückkehr in das Herkunftsland zu berücksichtigen sein.

41

b. Offen bleiben kann, ob Prämisse der Ermessensausübung der Antragsgegnerin die Annahme war, dass § 35 Abs. 1 StAG ein intendiertes Ermessen vorgibt und schon deswegen ein Ermessensfehler vorliegt. Darauf deuten einige Formulierungen in der Begründung des Bescheides hin. Die Antragsgegnerin formuliert auf S. 6 des Bescheides, die Maßnahme sei „Notwendigkeit dessen, dass eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämissen auf Missachtung ihrer selbst setzen darf (…)“. „Zu berücksichtigende schutzwürdige Interessen des Begünstigten, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten“, lägen nicht vor. Die Rücknahme bedeute „auch aus anderen Gründen keine außergewöhnliche Härte, die die Entscheidung zu Gunsten des Begünstigten beeinflussen könnte.“ Es entsteht der Eindruck, dass die Antragsgegnerin meint, die von ihr zu treffende Ermessensentscheidung müsse in der Regel zur Rücknahme der Einbürgerung führen und nur besondere Gründe könnten ausnahmsweise ein Absehen von einer Rücknahme rechtfertigen.

42

c. Jedenfalls hat es die Antragsgegnerin versäumt, die gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechenden – den konkreten Einzelfall prägenden – persönlichen schutzwürdigen Belange des Antragstellers in ihre Ermessensentscheidung einzustellen. Den besonderen Lebensumständen des Antragstellers wird die Begründung der Antragsgegnerin nicht gerecht. So dürfte ein durchgreifender Ermessensfehler bereits darin zu sehen sein, dass die Antragsgegnerin die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers (über zehn Jahre, davor Aufenthaltsgestattung/Duldungen) in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt hat. Diesen Umstand erwähnt die Antragsgegnerin auf S. 7 der Begründung des Bescheides lediglich in dem Kontext, dass auch zwischenzeitlich die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG nicht vorlägen. Ebenso wenig verhält sie sich zu der eventuellen Abwägungsrelevanz der Tatsache, dass der Antragsteller, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebt (auch seine Eltern und sein Bruder leben hier), das Gymnasium besucht, voraussichtlich in diesem Jahr sein Abitur absolvieren wird und somit bedeutende Integrationsleistungen erbracht hat. Zudem lässt die Antragsgegnerin die möglichen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Rücknahme der Einbürgerung für den Antragsteller außer Betracht. Die Antragsgegnerin weist zwar daraufhin, dass mit der Rücknahme der Einbürgerung zugleich die früher erteilte Aufenthaltserlaubnis erlischt und nicht rückwirkend auflebt, stellt diesen Umstand aber nicht als einen Belang, der gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechen könnte, in die Abwägung ein. Vielmehr deutet sie mit der Äußerung an, dass – wie auch der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers befürchtet –, dem Antragsteller nach Vollzug der Rücknahme der Einbürgerung nicht ohne Weiteres erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden würde. Dass dem Antragsteller deshalb unter Umständen eine Abschiebung in sein Herkunftsland Afghanistan, dessen Staatsangehörigkeit er weiter besitzt, drohen könnte, und welche Folgen damit für den Antragsteller, der mit den dortigen Lebensverhältnissen nicht vertraut ist, verbunden wären, lässt die Antragsgegnerin außen vor.

43

d. Das Gericht war nicht gehalten, der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren die Möglichkeit zu geben, gemäß § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen insoweit zu ergänzen und den Ermessensfehler zu heilen. Für eine Anwendung dieser Vorschrift dürfte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kein Bedarf bestehen (vgl. VGH Wiesbaden, Beschl. v. 26.3.04 – 8 TG 721/04, juris Rn. 42; zweifelnd VG Chemnitz, Beschl. v. 29.1.1999 – 1 K 1996/96, NVwZ-RR 1998, 414). Für die Frage, ob ein der Behörde eingeräumtes Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden ist, ist nämlich nicht entscheidend auf den Erstbescheid, sondern maßgeblich auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung, also auf den hier noch nicht ergangenen Widerspruchsbescheid (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abzustellen. Soweit es im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache ankommt, sind indes die Chancen für die Heilung des Ermessensmangels zu berücksichtigen (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 114 Rn. 12e). Wie hier die Antragsgegnerin ihr Ermessen im Widerspruchsverfahren – auch vor dem Hintergrund womöglich zu leistender weiterer Sachaufklärung im Verwaltungsverfahren – ausüben wird, kann das Gericht allerdings nicht antizipieren. Es ist jedenfalls nicht so, dass aufgrund besonderer Umstände des Falles ausgeschlossen ist, dass die Antragsgegnerin bei sachgemäßer Ausübung ihres Ermessens zu einem anderen Ergebnis als im Ausgangsbescheid kommen könnte. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse und vor dem Hintergrund, dass die Unterstützungshandlungen des Antragstellers – mögen sie auch tatbestandsgemäß sein – im Vergleich zu anderen denkbaren Unterstützungshandlungen (z.B. aktive Mitarbeit in einer Organisation) weniger schwer wiegen.

44

4. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Verfügung überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. An der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht kein öffentliches Interesse, vielmehr steht das öffentliche Interesse einer Vollziehung entgegen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külp-mann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 967 m.w.N.; s.a. BVerwG, Beschl. v. 18.10.2005 – 6 VR 5/05, NVwZ 2006, 214, 215). Dass die Möglichkeit besteht, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren ihr Ermessen ordnungsgemäß ausübt und damit den mit Blick auf die Verfügung vom 6. November 2015 bestehenden Ermessensfehler heilt, ändert hieran nichts (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 B 89/09, juris Rn. 11). Es besteht auch keine Veranlassung für eine zeitliche Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO im Vorgriff auf einen möglichen rechtmäßigen Widerspruchsbescheid bis zu dessen Erlass (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 – 1 B 89/09, juris Rn. 14). Die Antragsgegnerin kann nämlich, wenn durch den Erlass eines rechtmäßigen Widerspruchsbescheids erstmals ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts begründet wird, einen Antrag auf Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wegen veränderter Umstände nach § 80 Abs. 7 VwGO stellen.

II.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 42.1 Streitwertkatalog (abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 164). In einem Hauptsachestreitverfahren wäre wegen der Bedeutung einer Einbürgerung der Streitwert in Höhe des doppelten Auffangstreitwertes festzusetzen. Dieser Betrag ist in Anbetracht der Vorläufigkeit dieses Verfahrens wiederum zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkataloges).

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint;
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde;
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll;
4.
die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will;
5.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

Ist ein Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder ist seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben, so kann die Behörde die auf Grund dieses Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern. Der Inhaber und, sofern er nicht der Besitzer ist, auch der Besitzer dieser Urkunden oder Sachen sind zu ihrer Herausgabe verpflichtet. Der Inhaber oder der Besitzer kann jedoch verlangen, dass ihm die Urkunden oder Sachen wieder ausgehändigt werden, nachdem sie von der Behörde als ungültig gekennzeichnet sind; dies gilt nicht bei Sachen, bei denen eine solche Kennzeichnung nicht oder nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit oder Dauerhaftigkeit möglich ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.