Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 08. März 2017 - 9 A 890/16

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2017:0308.9A890.16.0A
bei uns veröffentlicht am08.03.2017

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die durch den Beklagten als Kommunalaufsicht erteilte Genehmigung einer Änderung ihrer Hauptsatzung.

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In seiner Sitzung vom 14.04.2016 beschloss der Stadtrat der Stadt A-Stadt nach der Beratung über einen von den Fraktionen DIE LINKE, CDU und SPD eingebrachten Antrag auf Änderung der Hauptsatzung die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt. Mit dieser erfolgte in § 4 (Entscheidungskompetenzen desStadtrates) die Einfügung der Ziffer 8 mit folgendem Inhalt

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„Die Eröffnung, Fortführung und Einstellung von gerichtlichen Verfahren sowie über dies betreffende Vergleiche, sofern diese nicht die laufende Verwaltung betreffen und einen Streitwert von 20.000 € übersteigen. Dies gilt insbesondere für Personalangelegenheiten.”

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Eine Abänderung des § 6 Absatz 4 erfolgte dahingehend, dass derHauptausschuss beschließt über:

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1. die Ernennung, Einstellung und Entlassung von Beamten sowie die Einstellung und Entlassung von Beschäftigten, über die nicht nur vorübergehende Übertragung einer anders bewerteten Tätigkeit bei einem Beschäftigten sowie die Festsetzung des Entgeltes, sofern kein Anspruch aufgrund eines Tarifvertrages besteht soweit ihnen nicht die Leitung von Dezernaten und Ämtern übertragen worden ist, jeweils im Einvernehmen mit dem Bürgermeister.

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2. über Rechtsgeschäfte i. S. v. § 45 Abs. 2 Nr. 7 und 10 KVG LSA, wenn der Vermögenswert10.000 Euro übersteigt (bisher: 50.000,00 Euro),

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3. über Rechtsgeschäfte i. S. v. § 45 Abs. 2 Nr. 16 KVG LSA, wenn der Vermögenswert5.000 € übersteigt (bisher: 15.000,00 Euro),

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5. über die Vergabe von Zuschüssen aus Programmen der Städtebauförderung, soweit der Betrag 5.000 € übersteigt (bisher: 15.000,00 Euro).

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6. die Eröffnung, Fortführung und Einstellung von gerichtlichen Verfahren sowie über dies betreffende Vergleiche, sofern diese nicht die laufende Verwaltung betreffen und einen Streitwert von 5.000 € übersteigen. Bei Streitwerten über 20.000 € entscheidet der Stadtrat. Dies gilt insbesondere in Personalangelegenheiten (Ziffer neu eingefügt).

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Der § 9 Abs. 1 Satz 2 über die Zuständigkeiten desBürgermeisters erhielt folgende Fassung:

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Zu den Geschäften der laufenden Verwaltung nach § 66 Abs. 1 Satz 3 KVG LSA gehören die regelmäßig wiederkehrenden Geschäfte, die nach bereits festgelegten Grundsätzen entschieden werden und keine wesentliche Bedeutung haben oder die im Einzelfall einen Vermögenswert von10.000 Euro nicht übersteigen (bisher: 25.000,00 Euro).

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Die Vorgängerregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 HS-2014, wonach dem Bürgermeister zur alleinigen Erledigung die Entscheidung über die Einstellung, Eingruppierung und Entlassung der Beschäftigten und Beamten in den Entgelt- bzw. Besoldungsgruppen bis 8 TVöD bzw. bis A 8 übertragen war, fiel mit der Änderung ersatzlos weg (siehe nun § 6 Abs. 4 Zif. 1). Im Übrigen verblieb es laut Regelung in der Hauptsatzung bei der Erledigungszuständigkeit des Bürgermeisters insoweit, als die in § 6 Abs. 4 Nr. 2 - 6 der Hauptsatzung bestimmten Wertgrenzen nicht überschritten werden.

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In der Sitzung begründeten die Fraktionen ihren Antrag. Soweit es auf den Inhalt entscheidungserheblich ankommt, wird an entsprechender Stelle hierzu näher ausgeführt werden.

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Die Bürgermeisterin der Klägerin legte noch in der Sitzung Widerspruch gegen den Ratsbeschluss ein und begründete diesen mit Schriftsatz vom 28.04.2016 mit einer Nachteiligkeit der Änderungen für die Stadt, denn es erfolge ein Eingriff in die innere Organisationsfreiheit. In seiner Sitzung vom 26.05.2016 fasste der Stadtrat erneut den Beschluss über die Änderung der Hauptsatzung. Dagegen legte die Bürgermeisterin am 01.06.2016 nochmals Widerspruch ein und erbat mit weiterem Schreiben vom 15.06.2016 die Entscheidung des Beklagten als Kommunalaufsicht. Dieser teilte der Bürgermeisterin mit, deren Widersprüche vom 28.04. und 01.06.2016 seien unbegründet. Die Beschlüsse des Stadtrates seien sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtmäßig ergangen. Mit demselben Schreiben forderte der Beklagte die Bürgermeisterin auf, die Genehmigung der 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung zu beantragen. Die Beantragung der Genehmigung erfolgte mit Schreiben vom 26.07.2016 und mit Bescheid vom 29.07.2016 erteilte der Beklagte die Genehmigung der 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung. Hiergegen erhob die Klägerin durch die Bürgermeisterin mit Schreiben vom 12.08.2016 Widerspruch, den sie wieder mit einer durch die Änderungssatzung erfolgenden Verletzung innerorganisatorischer Kompetenzen i. S. eines objektiven Rechtswidrigkeitsgrundes begründete. Der Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte diesen dem Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2016 wies dieses den Widerspruch als unzulässig zurück. Es liege in dem Widerspruchsverfahren gegen die Genehmigung der Hauptsatzungsänderung eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, welche einen Beschluss des Stadtrates voraussetze; dieser liege bisher nicht vor. Jedenfalls fehle es mangels Beschwer an einer Widerspruchsbefugnis. Die antragsgemäße Genehmigung der Satzungsänderung stelle einen begünstigenden Verwaltungsakt dar, welcher unter keinem Gesichtspunkt eine belastende Wirkung entfalten könne. Adressat des Widerspruches sei die Gemeinde, nicht ein einzelnes Organ derselben und es komme nicht darauf an, ob sich der Hauptverwaltungsbeamte in seinen Rechten verletzt sehe. Der Gesetzgeber habe über die Regelung des § 65 Abs. 3 S. 5 KVG LSA hinaus dem Hauptverwaltungsbeamten keine Möglichkeit eingeräumt, gegen Beschlüsse der Vertretung vorzugehen. Dieses Recht habe die Bürgermeisterin der Klägerin mit ihren Widersprüchen und der Vorlage zur Entscheidung durch den Beklagten ausgeübt. Die Verletzung von Organrechten des Bürgermeisters könne nur im Wege eines Organstreitverfahrens geltend gemacht werden.

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Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 02.11.2016, beim Gericht erstmalig erfasst am 20.12.2016, Klage erhoben mit der Begründung, die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung verstoße gegen geltendes Recht, so dass die Genehmigung nicht hätte erteilt werden dürfen. Sie übersandte dem Gericht ferner einen auf den 02.11.2016 datierten Faxsendebericht, auf welchem sich die Faxnummer des Verwaltungsgerichts Magdeburg als angewählte Rufnummer, eine übermittelte Seitenzahl von 60 sowie der Vermerk „Ergebnis OK” finden; als Erläuterung dieses Vermerks ist auf diesem Bericht hierzu „Kommunikation OK” angegeben.

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Die Klägerin macht zudem einen formellen Mangel der Satzung geltend, der zu deren Nichtigkeit führe. In der Stadt A-Stadt sei entgegen der in der Hauptsatzung vom 03.07.2014 vorgesehenen Bestimmung über die amtliche Bekanntmachung ab Februar 2015 die Verbreitung des Stadtanzeigers als amtliches Mitteilungsblatt geändert worden. Der „Stadtanzeiger A-Stadt” sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr direkt an alle Haushalte versandt, sondern nur noch an bestimmten, von der Verwaltung festgelegten Orten zur Mitnahme ausgelegt worden. Die vom Stadtrat der Klägerin seither beschlossenen Satzungen seien damit nicht mehr ordnungsgemäß bekannt gemacht und hätten keine Wirksamkeit entfaltet. Dies betreffe auch die 1. Änderungssatzung vom 05.03.2015, mit welcher eine Änderung der öffentlichen Bekanntmachung der Sitzungen des Stadtrates erfolgt sei. Im Übrigen habe es für die Klageerhebung durch die Bürgermeisterin keines Ratsbeschlusses bedurft, denn ihr komme die umfassende ausschließliche Vertretungsmacht für die Gemeinde zu, auch wenn intern ggf. Kompetenzen überschritten würden. Im Übrigen ergänzte die Klägerin das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren dahin, der Stadtrat habe sich bei seiner Tätigkeit auf die Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung zu beschränken und müsse die Möglichkeit der Aufgabenübertragung auf den Bürgermeister entsprechend der örtlichen Verhältnisse vollumfänglich nutzen. Er habe vorliegend bei seiner Entscheidung den Aufgabenumfang, die anfallende Verwaltungs- und Leistungsfähigkeit sowie das Haushaltsvolumen und die Haushaltsdisziplin nicht berücksichtigt.

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Die Klägerin beantragt,

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die Genehmigung der 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung vom 29.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 21.10.2016 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Genehmigungserteilung sei eine zureichende Ermittlung und Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage vorausgegangen. Die Bekanntmachungspraxis in der Stadt A-Stadt entspreche den rechtlichen Vorgaben, denn die Ausgestaltung des Amtsblattes, dessen Erscheinungshäufigkeit und Verteilung lägen im Ermessen des Bürgermeisters, der insoweit nur an die rechtsstaatlichen Grundsätze gebunden sei. Das Amtsblatt werde in der Stadt weiterhin bekannt gemacht i. S. d. § 18 der Hauptsatzung, die bloße Änderung der Verteilungspraxis begegne keinen rechtsstaatlichen Bedenken.

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Die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung ist bisher noch nicht bekannt gemacht.

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Die Bürgermeisterin der Klägerin führt in ihrer Funktion als Hauptverwaltungsbeamtin gesondert gegen den Stadtrat der Klägerin ein Organstreitverfahren betreffend die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung (9 A 881/16 MD).

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Der Stadtrat der Klägerin hat die hinter der Bürgermeisterin stehende Person nach Rechtshängigkeit des hiesigen Verfahrens vorläufig des Dienstes enthoben. Eine endgültige Entlassung ist bisher nicht erfolgt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Anfechtungsklage hat Erfolg. Die streitgegenständliche Genehmigung des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, denn dieser hat die Genehmigung der 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung zu Unrecht erteilt.

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1. Die Klage ist zulässig.

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a) Diese hat die Klägerin zwar nicht fristgerecht erhoben. Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides. Der Widerspruchsbescheid vom 21.10.2016 ging bei der Klägerin am 26.10.2016 ein. Die Frist zur Klageerhebung lief damit gemäß § 57 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB am 27.11.2016 ab. Bei dem erkennenden Gericht ging jedoch erstmals am 20.12.2016 und somit deutlich nach Ablauf der Klagefrist ein auf den 02.11.2016 datierter Klageschriftsatz ein. Die Klagefrist ist aber bei einer Klageübermittlung per Fax nur dann gewahrt, wenn der Schriftsatz vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.04.2006 - IV ZB 20/05 -, juris m. w. N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Anderes folgt auch nicht aus dem von der Klägerin vorgelegten Faxbericht vom 02.11.2016, der den Übertragungsvermerk „OK” enthält. Denn dieser dient nur dem Nachweis, dass der Schriftsatz vom Urheber auf den weg zum Empfänger gebracht wurde; ein Beweiswert dahingehend, dass das zu übermittelnde Schriftstück auch den Empfangsbereich des Adressaten erreicht hat, kommt einem solchen Faxbericht nicht zu (st. Rspr. des BGH, vgl. Urt. v. 07.12.1994 - VIII ZR 153/93 -, juris).

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Der Klägerin ist aber Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Gemäß § 60 Abs. 1 - 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier der Klagefrist) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen und die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

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Die Klägerin erhielt durch ihre schriftlichen und fernmündlichen Anfragen an das Verwaltungsgericht Magdeburg am 19.12. und 21.12.2016 Kenntnis davon, dass ihre Klageschrift nicht beim Gericht als Eingang vermerkt und bearbeitet worden war. Die Nachholung der versäumten Klageerhebung erfolgte hieraufhin mit Faxschreiben vom 20.12. und 22.12.2016, mit welchen die Klageschrift vom 02.11.2016 nebst Anlagen (60 Seiten insg.) übermittelt wurden. Die Klägerin hat mittels der Vorlage des Faxsendeberichts vom 02.11.2016 auch einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht. Wird ein fristgebundener Schriftsatz per Telefax übermittelt, genügt es für die Ausgangskontrolle, dass ein vom Faxgerät des Absenders ausgedrucktes Sendeprotokoll die ordnungsgemäße Übermittlung an den Adressaten belegt und dieses vor Fristablauf zur Kenntnis genommen wird. Trägt der Sendebericht den Vermerk "OK", kann es einem am Verfahren Beteiligten nicht als schuldhaftes Verhalten angelastet werden, wenn es bei dem elektronischen Übertragungsvorgang dennoch zu - nicht aus dem Sendeprotokoll ersichtlichen - Fehlern kommt (vgl. BGH, Beschlüsse v. 17.01.2006 - XI ZB 4/05 -, m. w. N; v. 11.12.2013 - XII ZB 229/13 -; v. 14.10.2010 - V ZB 112/10 -; v. 01.03.2016 – VIII ZB 57/15 -; alle juris). Sie liegt es hier. Die Klägerin hat den Faxbericht vom 02.11.2016 dem Gericht zum Nachweis übersandt, dass bereits am 02.11.2016 die Klageschrift und weitere Schriftstücke auf den weg gebracht wurden und dass für sie bzw. die für sie handelnde Bürgermeisterin mit dem in diesem Faxbericht enthaltenen Übertragungsvermerk „OK” und den weiteren Angabe (Übermittlung um 16:32 Uhr über einen Zeitraum von 7 Minuten und 15 Sekunden, Unterlagen im Umfang von sechzig Seiten) kein Anhalt für die Annahme bestand, dass ihre Klageschrift beim erkennenden Gericht nicht eingehen würde. Eine eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung ist für die Klägerin zwar nicht abgegeben; dem Erfordernis der Glaubhaftmachung ist der Auffassung des Gerichts jedoch bereits auf der Grundlage des von der Klägerin vorgelegten Faxberichtes genügt. Denn die vollständige Klageschrift, wie sie von der Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 22.12.2016 dem Gericht übermittelt wurde, umfasst mit allen Anlagen sechzig Seiten; die von der Klägerin zur Faxübermittlung angewählte Nummer ist die dem Faxgerät des Verwaltungsgerichts zugeordnete Faxnummer. Mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG ist den Anforderungen an den Nachweis, dass die Klägerin kein Verschulden an der Versäumung der Klagefrist trifft genügt.

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Die Klageschrift ist der Klägerin auch zuzurechnen. Dem steht nicht entgegen, dass der als Klageschrift eingereichte Schriftsatz jedenfalls in den dem Gericht vorliegenden Exemplaren nicht den Briefkopf der Klägerin, ggf. ergänzt um den Zusatz „Die Bürgermeisterin”, trägt. Denn dieser trägt die Unterschrift der Bürgermeisterin und ist im Übrigen vom Aufbau her wie die sonst offiziellen Schreiben der Klägerin gestaltet; so sind im rechten oberen Bereich das zuständige Amt, der zuständige Bearbeiter, Telefon- und Faxnummern und die Homepage-Adresse der Klägerin angegeben; oben auf dem Schriftstück ist als Absender auch „Stadt-HDL Personal” angegeben. Jedenfalls mit der Erkundigung über den Eingang im Dezember 2016 und der (erneuten) Übersendung der Unterlagen ist das Gericht überzeugt, dass die Klägerin dieses Schriftstück für und gegen sich gelten lässt.

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b) Die Anfechtungsklage ist vorliegend gemäß §§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO, 154 KVG LSA die statthafte Klageart. Diese setzt nur das auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtetes Begehren voraus; keine Voraussetzung der Statthaftigkeit ist, dass die Klage sich gegen einen Verwaltungsakt mit belastender Wirkung richtet. Die streitgegenständliche Genehmigung stellt sich gegenüber der Klägerin, die dem Beklagten als Kommunalaufsicht insoweit als individuelles Rechtssubjekt gegenüber tritt, als Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG dar, denn mit diesem werden Rechte der betreffenden Kommune begründet.

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c) Der Klägerin kommt auch die für die Erhebung der Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis zu. Mit ihrem Vortrag erscheint eine Rechtsverletzung durch die kommunalaufsichtsrechtliche Genehmigung der Hauptsatzungsänderung jedenfalls als möglich. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass eine typische Anfechtungskonstellation hier nicht gegeben ist, denn die Klägerin wendet sich gegen einen rechtsgewährenden Verwaltungsakt. Es stellt sich vorliegend hingegen nicht als widersprüchlich oder gar rechtsmissbräuchlich dar, dass die Klägerin nunmehr die Aufhebung der Genehmigung begehrt, deren Erlass sie zuvor als Voraussetzung für das Wirksamwerden ihres Ortsrechts beantragt hatte. Denn das Gericht berücksichtigt dabei, dass die Bürgermeisterin der Klägerin die ihr zukommenden Mittel der Rechtskontrolle mit ihren Widersprüchen gegen die Beschlüsse des Stadtrates mit der abschließenden Vorlage an die Kommunalaufsicht ausgeschöpft hatte (vgl. § 65 Abs. 3 S. 1 – 5 KVG LSA). Nach § 65 Abs. 1 KVG LSA bereitet der Hauptverwaltungsbeamte die Beschlüsse der Vertretung und ihrer Ausschüsse vor und führt sie aus. Nach Ablehnung ihres zweiten Widerspruchs durch den Stadtrat war die Bürgermeisterin mithin verpflichtet, die Genehmigung der Änderungssatzung beim Beklagten zu beantragen. Als Teil der unteren Staatsverwaltung unterliegt die Kommune jedoch der Bindung an die Gesetze (vgl. Art. 86 Abs. 1 LVerf LSA, §" 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 KVG LSA). Hieraus resultiert das wehrfähige Recht der betreffenden Gemeinde, sich gegen eine ihrer Ansicht nach zu Unrecht erteilte Genehmigung und so gegen die Verpflichtung zur Bekanntmachung rechtswidrigen Ortsrechts zu wehren. Denn nach der Genehmigungserteilung ist das beabsichtigte Ortsrecht in der Regel unverzüglich bekannt zu machen (§§ 65 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA), wodurch das Rechtssetzungsverfahren abgeschlossen und den Normen allgemeine Gültigkeit verliehen wird. Mit der Anfechtung der die Wirksamkeit solcher Rechtssetzungsakte mitbegründenden Genehmigung kann die Kommune jedoch der Manifestierung eines zu ihren Lasten gesetzeswidrigen Zustandes begegnen und diesen bei erfolgreicher Anfechtung beseitigen. Die Gefahr einer unzulässigen Popularklage besteht nicht, denn Maßstab ist allein die Gesamtheit des geltenden objektiven Rechts. Anders gewendet: Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung trotz rechtsgewährenden Verwaltungsakts besteht bei Rechtsstreitigkeiten der Kommune mit der Kommunalaufsicht immer dann, wenn die aufsichtsrechtliche Verfügung sich als objektiv rechtswidrig darstellt und die Kommune nachfolgend zu einem rechtsstaatswidrigen Handeln (hier: Bekanntmachung der 2. Änderungssatzung) veranlasst würde.

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d) Die Klageerhebung ist wirksam durch die Bürgermeisterin der Klägerin erfolgt. Dem steht nicht entgegen, dass der Stadtrat der Klägerin keinen Beschluss über die Führung des Prozesses gegen die Kommunalaufsicht gefasst hat (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 19 KVG LSA). Denn gemäß § 60 Abs. 2 KVG LSA repräsentiert und vertritt der Bürgermeister als Hauptverwaltungsbeamter die Kommune. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die organschaftliche Vertretungsmacht des Bürgermeisters im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt ist. Die Gemeinde wird durch seine Erklärungen grundsätzlich auch dann verpflichtet, wenn es an einem erforderlichen Beschluss der Gemeindevertretung fehlt (vgl. BGH, Urt. v. 20.04.1966 - V ZR 50/65 -; BGH, Urt. v. 16.11.1978 - III ZR 81/77 -; BGH, Urt. v. 20.09.1984 - III ZR 47/83 -; BGH, Urt. v. 4.11.1997 - VI ZR 348/96 -; Beschl. v. 18.03.2016 – V ZR 266/14 -; alle juris). Dies orientiert sich an der im Kommunalrecht anerkannten strikten Unterscheidung zwischen interner Willensbildung und externer Vertretungsbefugnis (BGH, Urt. v. 17.04.1997 - III ZR 98/96 -, juris) und an der herrschenden Meinung für die Vertretung juristischer Personen des Zivilrechts durch ihre Organe (BGH, Urt. v. 20.02.1979 - VI ZR 256/77 -, juris).

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2. Das Anfechtungsbegehren der Klägerin hat Erfolg. Die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung verstößt gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Willkürverbot und die im Kommunalverfassungsgesetz gesetzlich normierte Zuständigkeitsverteilung zwischen den gleichrangigen Gemeindeorganen Rat und Bürgermeister (vgl. § 7 Abs. 1 KVG LSA). Damit war die beabsichtigte Satzungsänderung nicht genehmigungsfähig.

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a) Satzungen, Beschlüsse und andere Maßnahmen der Kommune, die - wie hier die Hauptsatzung gemäß §§ 8 Abs. 2 S. 2, 10 Abs. 2 S. 2 KVG LSA - der Genehmigung der Kommunalaufsicht bedürfen, werden gemäß § 150 Abs. 1 S. 1 KVG LSA erst mit der Genehmigung wirksam. Die Kommunalaufsicht hat in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen sicherzustellen, dass deren Verwaltung im Einklang mit den Gesetzen erfolgt, § 143 Abs. 2 KVG LSA. Aus der Stellung des § 150 KVG LSA im Teil 8. unter der Überschrift „Aufsicht” folgt, dass der Kommunalaufsichtsbehörde bei der Entscheidung über die Genehmigung der kommunalen Satzung - hier der Hauptsatzung - die Funktion der Rechtsaufsicht zukommt. Der o. g. Genehmigungsvorbehalt ist damit Mittel der präventiven Rechtsaufsicht, Versagungsgründe können dabei nur in gesetzlichen Grundlagen enthalten sein. Die Genehmigung ist, aber auch nur dann, zu erteilen, wenn eine Genehmigungspflicht besteht und die von der Kommune beabsichtigte Maßnahme den geltenden Rechtsvorschriften entspricht (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 09.02.2000 - A 2 S 404/97 -, juris; Miller in: Bücken/Thielmeyer/Grimberg/Miller/Schneider/Wiegand/Gundlach/Fenzel, KVG LSA-Kommentar, LBW, § 150 S. 3 – 5, Stand 05/2015). Anders gewendet: Verstößt die Satzung der Kommune gegen geltendes Recht, ist durch die Kommunalaufsicht als Rechtsaufsicht die Erteilung der Genehmigung zu versagen.

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So liegt der Fall hier. Die Kammer hat zur fehlenden Vereinbarkeit der beabsichtigten Neuregelungen in der Hauptsatzung der Klägerin mit höherrangigem Recht in dem Verfahren 9 A 881/16 MD am 08.03.2017 wie folgt ausgeführt:

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„…Unter Berücksichtigung des Vorstehenden verstößt die hier in Rede stehende Entscheidung des Beklagten gegen das Willkürverbot und die gesetzlich normierte Zuständigkeitsverteilung zwischen Rat und Bürgermeister und verletzt die Klägerin in ihren organschaftlichen Rechten verletzt.

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aa) Eine Verletzung organschaftlicher Rechte der Klägerin wird durch die Neuregelungen in § 4 Nr. 8 und § 6 Abs. 4 Nr. 6 bewirkt. Dies schon deshalb, weil damit das der Bürgermeisterin nach § 60 Abs. 2 KVG LSA eingeräumte Recht zur Außenvertretung, zu der auch das Führen von Rechtsstreitigkeiten gehört, eingegriffen wird. Denn nach den beabsichtigten Regelungen kann sie nur noch solche Rechtsstreitigkeiten in eigener Verantwortung „führen”, deren Wert 5.000,00 Euro nicht übersteigt. Dass eine solche Beschränkung rechtlich überhaupt zulässig ist, begegnet bereits erheblichen Bedenken. Ihre kommunalverfassungsrechtliche Zulässigkeit unterstellt, ist dies jedoch auch im Lichte von § 45 Abs. 2 Nr. 19 KVG LSA zu beurteilen. Danach kann die Vertretung Entscheidungen über die Führung von Rechtsstreitigkeiten von erheblicher Bedeutung nicht übertragen. Die Erheblichkeit einer Rechtsstreitigkeit kann wertmäßig jedoch nicht abschließend bestimmt werden. Anders als die weiteren, im Katalog des § 45 Abs. 2 KVG LSA aufgezählten Angelegenheiten, beinhaltet die Nummer 19 keine ausdrückliche Öffnungsklausel i. S. e. wertmäßig zu bestimmenden Übertragungsmöglichkeit. Der Begriff der Erheblichkeit bedarf damit der Auslegung im Einzelfall, wobei bereits mit der Wortbedeutung eine gesteigerte Bedeutung der Angelegenheit zu fordern ist. Die betragsmäßige Bestimmung in der Hauptsatzung, wie sie hier vom Beklagten vorgenommen wurde, kann insoweit lediglich Indiz für die vom Gesetzeswortlaut geforderte Erheblichkeit sein; vielmehr sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zur Bewertung heranzuziehen (z. B. Häufigkeit, Schwierigkeit der Rechtsfrage; Belastung für den kommunalen Haushalt etc.). Denn es sind Rechtsstreitigkeiten denkbar, die sich dem Streitwert nach unterhalb dieses Grenzbetrages bewegen, gleichwohl jedoch für die Kommune von solcher Relevanz sein können, dass die Entscheidung durch die Vertretung zu treffen ist. So sind Rechtsstreitigkeiten mit der Kommunalaufsicht stets von erheblicher Bedeutung (vgl. Klang/Gundlach/Kirchmer, a.a. O. § 44 Rn. 26; Miller in: Bücken-Tielmeyer u. a., a. a. O., § 45 S. 9, Stand: 1.2016), selbst wenn diese dem Streitwert nach unterhalb der hier eingeführten Wertgrenze von 5.000,00 € liegen können. Gegen die Erforderlichkeit der wertmäßigen Bestimmung einer solchen Erheblichkeitsschwelle spricht vorliegend auch, dass die Hauptsatzungen der Stadt A-Stadt in ihren bisherigen Fassungen weder vor dem 03.07.2014 noch danach eine wertmäßig bestimmte Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Stadtrat und dem Hauptverwaltungsbeamten für diese Angelegenheiten vorsahen.

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Die Wertgrenze von 5.000,00 Euro für das Führen von Rechtsstreitigkeiten steht zudem im Widerspruch zu der in der Hauptsatzung insoweit für die vom Bürgermeister zu erledigenden Geschäfte der laufenden Verwaltung bestimmte Wertgrenze von 10.000,00 Euro. Denn mit dem Wortlaut der §§ 4 Nr. 8 und 6 Abs. 4 Nr. 6 i. V. m. § 9 Abs. 1 S. 2, 3 Nr. 2 erfolgt eine Verknüpfung zwischen dem Begriff der laufenden Verwaltung und dem Streitwert von 5.000 € als Abgrenzungskriterium dergestalt, dass die Zuständigkeit des Bürgermeisters zur Führung von Rechtsstreitigkeiten nur dann gegeben ist, wenn gerichtliche Verfahren Geschäfte der laufenden Verwaltung betreffen und einen Streitwert von 5.000,00 Euro nicht übersteigen, obwohl er Geschäfte der laufenden Verwaltung bis zu einem Vermögenswert von 10.000,00 Euro selbstständig erledigt. Sachliche Erwägungen für die Einführung einer und gerade dieser Wertgrenze für das Führen von Rechtsstreitigkeiten bzw. für die Divergenz der Wertgrenzen sind - auch mit der Begründung des Änderungsantrages der Fraktionen im Stadtrat – nicht festzustellen.

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bb) Sachgerechte Erwägungen für die streitgegenständliche Entscheidung über die Herabsetzung der Wertgrenzen(§§ 45 Abs. 2 Nr. 7, 10, 16, 66 Abs. 1 Ziffer 3 KVG LSA) sowie die Wahrnehmung personalrechtlicher Befugnisse zur Bestimmung derjenigen Angelegenheiten, die vom Bürgermeister eigenverantwortlich wahrzunehmen sind, sind nicht festzustellen. Als sachgerechte Erwägung kann jedenfalls nicht die Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen die Bürgermeisterin belastet werden, denn die Bestimmung von Wertgrenzen und die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen verfolgen unterschiedliche Ziele; erstere hat sich an der Arbeitsfähigkeit der Vertretung und der kommunalen Bedeutung bestimmter Angelegenheiten zu orientieren, nicht jedoch an der Qualität der Aufgabenerfüllung durch den Hauptverwaltungsbeamten. Sofern der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, der Entscheidung hätten sachliche Erwägungen zugrunde gelegen, fehlt es am Vorbringen diesbezüglicher Tatsachen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Gründe für die individuelle Entscheidung des einzelnen Mitglieds einer abschließenden Aufklärung nicht zugänglich sein dürften, denn diese sind in der Ausübung ihres Mandats grundsätzlich frei (§ 43 Abs. 1 KVG LSA). Die Klägerin hat jedoch umfangreich zu den die wertmäßige Bestimmung von Zuständigkeitsschranken beeinflussenden Faktoren vorgetragen. Dem ist der Beklagte nicht entgegengetreten.

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Den Protokollen zu den Beratungen über die Änderung der Hauptsatzung vom 14.04. und 26.05.2016 sind keine Ausführungen dafür zu entnehmen, dass er sich durch eine Änderung der tatsächlichen Umstände, wie sie im Jahr 2014 seiner Entscheidung über die Festlegung der Wertgrenzen zugrunde gelegen hatten, hat leiten lassen. Die Begründung des Antrages auf Änderung der Hauptsatzung lässt vielmehr den Schluss zu, dass die Entscheidung der Vertretung von Erwägungen getragen war, die sich nicht in den Grenzen des Willkürverbotes halten. Die Stadtratsfraktionen DIE LINKE, CDU und SPD haben die Einbringung ihres Änderungsantrages in der Sitzung vom 14.04.2016 damit begründet, dass sie in der letzten Zeit den Eindruck gewonnen hätte, die Entscheidungen der Klägerin seien von persönlichen Einstellungen und Überzeugungen geprägt, welche nichts mit der Führung einer Verwaltung und Aufgabenerfüllung der Klägerin zu tun habe. Die übertragenen Ermächtigungen würden nicht unter Abwägung objektiver Gegebenheiten zum Wohle der Stadt A-Stadt umgesetzt. In der Sitzung vom 26.05.2016 ist keine erneute Diskussion der Änderung erfolgt. Der Fokus der Änderung lag damit nicht auf der Wesentlichkeit der Angelegenheit für die Gemeinde, welche maßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung der Zuständigkeit der Vertretung hat; vielmehr vermag sich das Gericht des Eindrucks nicht zu erwehren, dass die nunmehr begründeten Zuständigkeiten als verkappte Disziplinarmaßnahme des Beklagten gegenüber der Klägerin wirken sollen.

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Diese Annahme rechtfertigt sich für das Gericht auch aus der vergleichenden Betrachtung mit den Wertgrenzen. Hierbei hat das Gericht die öffentlich über das Internet abrufbaren Hauptsatzungen anderer, der Klägerin der Größe und Bedeutung nach vergleichbarer Städte (z. B. Gardelegen, Köthen, Merseburg, Burg) betrachtet. Aus diesem Vergleich folgt, dass die nunmehr vom Beklagten bestimmten Beträge - im Einzelnen, aber auch in ihrer Gesamtheit - deutlich unterhalb der dort üblichen Wertschranken liegen. Sofern der Beklagte in diesem Zusammenhang den Vergleich mit den Wertgrenzen in anderen Gemeinden unter Verweis auf die Selbstverwaltungsfreiheit einer jeden Kommune zurückgewiesen hat, ist ihm insoweit zwar zuzugeben, dass diese Bestimmungen in der Entscheidungsfreiheit einer jeden Kommune stehen. Gleichwohl sind der gerichtlichen Bewertung solche Umstände nicht vollends entzogen, denn sie stellen jedenfalls ein Indiz für die Bewertung der Sachgerechtigkeit dar, zumal gesetzliche Vorgaben, welche als Maßstab dienen könnten, fehlen.

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Der Beklagte muss sich für die Sachwidrigkeit seiner Entscheidung auch entgegenhalten lassen, dass bereits die Hauptsatzung der Stadt A-Stadt HS-2002 Wertgrenzen enthielt, die ebenfalls deutlich höher lagen, dies mindestens um ein Drittel, überwiegend sogar noch mehr. Die Wertgrenzen in der HS-2014 gingen über diese teilweise sogar noch hinaus. Die tatsächlichen Gegebenheiten, die bei der ursprünglichen Wertfestlegung Berücksichtigung fanden, haben jedenfalls nicht ersichtlich eine wesentliche Änderung erfahren. Dass die bisherigen Wertgrenzen zur Bestimmung der Zuständigkeiten zwischen Rat, Hauptausschuss und Bürgermeister aus anderen Gründen unsachgemäß gewesen sind, ist ebenfalls nicht festzustellen. Dies hat der Beklagte auch nicht substantiiert geltend gemacht. Zur Überzeugung des Gerichts spricht dieser Umstand gegen die Annahme einer Anpassungsbedürftigkeit, wie sie vom Beklagten angestrebt wird.

45

Einer abschließenden Entscheidung über die sachgerechte Höhe der Wertgrenzen bedarf es nicht. Zu einer solchen ist das Gericht auch nicht berufen, denn dies fällt in die alleinige Zuständigkeit des Beklagten; entscheidungsgegenständlich ist nur die Frage, ob die Herabsetzung der Wertgrenzen und die Änderung der Zuständigkeiten im Vergleich zu den bisherigen Festlegungen in der Hauptsatzung den gesetzlichen Maßstäben für solche Entscheidungen gerecht wird. Dafür, dass die Änderung der Hauptsatzung nicht von sachgerechten Erwägungen getragen ist, spricht zudem der Umfang des Entzugs von Zuständigkeiten der Klägerin in eigener Verantwortung. Mag sich in Bezug auf eine einzelne Angelegenheit eine an der Funktionalität orientierte Sachgerechtigkeit ohne Weiteres einstellen, verlangt dies bei einer Vielzahl von Angelegenheiten schon nach einer besonderen Rechtfertigung.”

46

Diese Ausführungen macht sich die Kammer auch für das hiesige Verfahren, mit der Folge zu eigen, dass der festgestellte Verstoß der Änderungen der Hauptsatzung höherrangiges Recht verletzt.

47

b) War die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung aus den vorstehenden Gründen mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, ist auch die hier streitgegenständliche kommunalrechtliche Genehmigung rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten, weshalb ihr ein Aufhebungsanspruch zur Seite steht. Letzteres resultiert daraus, dass sie ansonsten gehalten wäre, die 2. Änderungssatzung bekannt zu machen, wodurch ein rechtswidriger Zustand eintreten würde.

48

Es kommt vorliegend mithin nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Beschlussfassung über die 2. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung auch deshalb, wie von der Klägerin geltend gemacht, an dem formellen Mangel leidet, weil sie in einer Sitzung beschlossen wurde, die nicht entsprechend der Vorschriften über die öffentliche Bekanntmachung (§§ 52 Abs. 4 KVG LSA, 18 Abs. 1 HS-2014) bekannt gemacht worden ist.

II.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

50

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. der Empfehlung gem. Ziffer 22.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wonach das klägerische Begehren mit 15.000,00 Euro zu bemessen war.


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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

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(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Vers

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(1) Für die Berechnung der Fristen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 188 Fristende


(1) Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist. (2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Fa

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(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit der Eröffnung oder Verkündung. (2) Für die Fristen gelten die Vorschriften der §§ 222, 224 Abs. 2 und 3, §§ 22

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 35 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemein

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit der Eröffnung oder Verkündung.

(2) Für die Fristen gelten die Vorschriften der §§ 222, 224 Abs. 2 und 3, §§ 225 und 226 der Zivilprozeßordnung.

(1) Für die Berechnung der Fristen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

(3) Bei der Berechnung einer Frist, die nach Stunden bestimmt ist, werden Sonntage, allgemeine Feiertage und Sonnabende nicht mitgerechnet.

(1) Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist.

(2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.

(3) Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 20/05
vom
25. April 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
_____________________
Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten
Schriftsatzes kommt es allein darauf an, ob die gesendeten Signale
noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts
vollständig empfangen (gespeichert) worden sind.
BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - IV ZB 20/05 - OLG Hamm
LG Hagen
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke
am 25. April 2006

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Februar 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 21.815,13 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Parteien streiten um die Leistung aus einer von der Klägerin bei der Beklagten genommenen Einbruchdiebstahlversicherung. Die Beklagte beruft sich unter anderem auf Obliegenheitsverletzungen und lehnt eine Eintrittspflicht ab.

2
Das Landgericht wies die Klage ab. Nach form- und fristgerechter Berufungseinlegung und Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis einschließlich 14. Juli 2004 übermittelten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem Berufungsgericht mit zwei Telefaxsendungen eine siebenseitige Berufungsbegründung nebst Anlagen. Eine erste Telefaxverbindung bestand nach einer Einzelverbindungsübersicht der D. T. am 14. Juli 2004 ab 23:55:40 h mit einer Dauer von vier Minuten 24 Sekunden, also bis am 15. Juli 2004 um 00:00:04 h. Mit ihr wurden die siebenseitige Berufungsbegründung sowie zwei Seiten Anlagen übermittelt. Eine zweite Telefaxverbindung am 15. Juli 2004 ab 00:02:08 h diente der Übermittlung weiterer Anlagen.
3
Das Telefaxgerät des Berufungsgerichts war so eingestellt, dass der Ausdruck einer Telefaxsendung erst nach dem Empfang sämtlicher Seiten der Sendung im Speicher dieses Geräts erfolgte. Das Gerät druckte sortiert aus, die zuletzt gesendete Seite zuerst und die zuerst gesendete Seite zuletzt. Bei der ersten Telefaxsendung wurden demgemäß - nach vollständigem Empfang der gesendeten technischen Signale - zunächst die zweite und die erste Seite der Anlagen, danach die Seite 7 der Berufungsbegründung mit der Wiedergabe der Unterschrift des unterzeichnenden Prozessbevollmächtigten und sodann die weiteren Seiten der Berufungsbegründung von Seite 6 bis Seite 1 gedruckt.
4
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

5
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Ein per Telefax übermittelter Schriftsatz sei grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen , in welchem das Telefaxgerät des Gerichts das Telefaxschreiben ausgedruckt habe. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei nur dann zu machen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das Telefaxgerät des Gerichts defekt gewesen oder falsch gehandhabt worden sei und die eingehenden Signale deshalb nicht sofort hätten ausgedruckt werden können. Darüber hinaus sei bei rechtzeitiger Telefaxsendung eine Ausnahme geboten, wenn ein Gericht die nachts eingehenden Telefaxsendungen zunächst lediglich speichern und erst am nächsten Morgen ausdrucken lasse. Solche Ausnahmefälle lägen hier jedoch nicht vor. Maßgeblich bleibe daher der Zeitpunkt des Ausdrucks. Da die Frist zur Berufungsbegründung mit Ablauf des 14. Juli 2004 geendet habe und die Berufungsbegründung bis zum Ablauf dieses Tages nicht vollständig ausgedruckt gewesen sei, habe die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist versäumt.
7
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Die a) Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und im Übrigen nach § 575 ZPO zulässig. Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung hinreichend dargetan , dass die Rechtsfrage, ob ein per Telefax übermittelter Schriftsatz bei störungsfreier Übermittlung und störungsfrei ausdruckendem Telefaxgerät des Gerichts erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist, in dem das Telefaxgerät des Gerichts ihn vollständig ausgedruckt hat, oder - wie die Rechtsbeschwerde meint - bereits mit dem vollständigen Empfang (Speicherung ) der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät des Gerichts, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 575 Abs. 3 Nr. 2 i.V. mit § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Diese kommt einer Rechtsfrage zu, wenn sie entscheidungserheblich , klärungsbedürftig und klärungsfähig ist und sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGHZ 152, 182, 191; 151, 221, 223 m.w.N.).
9
DerEntscheidungserheblichkeitst eht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht nicht ausdrücklich (positiv) festgestellt hat, dass die Übermittlung/Speicherung der gesendeten Signale der Seiten 1 bis 7 der Berufungsbegründung, auf die es allein ankommt, im Telefaxgerät des Berufungsgerichts vor Mitternacht abgeschlossen war. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu berücksichtigenden unstreitigen weiteren Übermittlungsfakten belegen dies. Die (erste) Telefaxverbindung war am 15. Juli 2004 um 00:00:04 h zu Ende, die mit ihr erfolgte Übermittlung der zwei Seiten Anlagen im Anschluss an die Übermittlung der siebenseitigen Berufungsbegründung hat mindestens fünf Sekunden in Anspruch genommen. Das folgert auch das Berufungsgericht aus den hier gegebenen Umständen. Der entsprechende vollständige Ausdruck kann erst nach Mitternacht erstellt worden sein.

10
b) Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
11
aa) Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und überwiegender Ansicht in der Literatur ein per Telefax übermittelter Schriftsatz grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist, in welchem das Telefaxgerät des Gerichts ihn vollständig ausgedruckt hat (BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94 - NJW 1994, 2097 unter II 2; vom 19. April 1994 - VI ZB 3/94 - NJW 1994, 1881 unter II 2 a; vom 12. Dezember 1990 - XII ZB 64/90 - VersR 1991, 894 unter 2 b; zum Fernschreiben vgl. BGHZ 105, 40, 42 f. u. 45; 101, 276, 279 f.; vgl. ferner BGH, Urteil vom 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - NJW 1995, 665 unter II 3 b bb aaa; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 519 Rdn. 4 und 10; Ball in Musielak, ZPO 4. Aufl. § 519 Rdn. 22; Feiber in MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl. § 233 Rdn. 104; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 519 Rdn. 20; Leipold in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 130 Rdn. 56; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. § 129 Rdn. 13; Zimmermann, ZPO 7. Aufl. § 519 Rdn. 8; offen geblieben in BGH, Beschluss vom 24. Juli 2003 - VII ZB 8/03 - NJW 2003, 3487 unter II 2 b). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird zugelassen , wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Telefaxgerät des Gerichts defekt war oder falsch gehandhabt wurde und deswegen die eingehenden Signale nicht oder nicht sofort (vollständig) ausgedruckt werden konnten, wenn also die Ursache für den Mangel der Lesbarkeit oder (der Vollständigkeit) des Ausdrucks in der Sphäre des Gerichts gelegen hat; was vom Empfangsgerät eines Gerichts aufgenommen und infolge eines Fehlers im Gerät oder bei dessen Bedienung nicht oder nicht sofort (vollständig) ausgedruckt worden sei, müsse aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauensschutzes so behandelt werden, als habe das Gerät es ordnungsgemäß ausgedruckt und als sei es auf diese Weise in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt (BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 1994 aaO; vom 19. April 1994 aaO unter II 2 a und b; vom 12. Dezember 1990 aaO; BGHZ 105, 40, 42 ff.; BGH, Urteil vom 14. März 2001 - XII ZR 51/99 - NJW 2001, 1581 unter 2 b; vgl. ferner BGH, Urteil vom 7. Dezember 1994 aaO; BGH, Beschluss vom 23. November 2004 - XI ZB 4/04 - NJW-RR 2005, 435 unter II 2; Albers, aaO; Ball, aaO; Gerken, aaO; Reichold, aaO; Zimmermann, aaO). In diesen Fällen wird schon bei vollständigem Empfang der gesendeten Signale im Telefaxgerät des Gerichts vor Fristablauf von einer rechtzeitigen Übermittlung des Schriftsatzes ausgegangen.
12
bb) Von dieser Rechtsprechung ist der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes mit seinem Beschluss vom 9. November 2004 (5 StR 380/04) nicht abgewichen. Er hat darin einen Beschluss des Landgerichts Hamburg "aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts" aufgehoben. Der Generalbundesanwalt hatte zunächst dargelegt, dass eine per Telefax übermittelte Rechtsmittelbegründungsschrift grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt zugegangen sei, in dem sie im Telefaxgerät des Gerichts ausgedruckt worden sei. Gleichwohl hatte er im konkreten Fall die von der Verteidigerin des Angeklagten per Telefax übermittelte (342 Seiten umfassende) Revisionsbegründungsschrift für fristgerecht eingegangen gehalten, nachdem die gesendeten Signale von den über einen Internspeicher verfügenden Telefaxgeräten des Landgerichts noch am letzten Tag der Frist vollständig empfangen worden waren, der Ausdruck des Schriftsatzes ab Blatt 90 jedoch erst am Folgetag nach Wie- derauffüllen der Papierfächer der beiden Geräte abgeschlossen werden konnte. Bei Papiermangel liege zwar - anders als in den Fällen des Papierstaus - keine technische Störung der Empfangsgeräte, wohl aber eine andere Verzögerung bei der Entgegennahme rechtzeitig in den Gewahrsam des Gerichts gelangter fristwahrender Schriftsätze vor, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts zu finden sei (Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. September 2004 - 5 StR 380/04 - S. 2 ff. unter Hinweis auf BVerfG NJW 1986, 244 = BVerfGE 69, 381, 385 f.; vgl. ferner Maul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. § 43 Rdn. 19; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. Vor § 42 Rdn. 18; Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 43 Rdn. 2).
13
cc) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wird vom Bundesfinanzhof geteilt. Auch nach seiner Auffassung ist ein dem Gericht per Telefax übermittelter Schriftsatz, wenn der Ausdruck nicht durch einen Fehler in der Funktion oder bei der Bedienung des Telefaxgeräts des Gerichts verzögert wurde, in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem er vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig ausgedruckt worden ist (BFH/NV 2004, 519 f.; BFH/NV 2004, 358; BFH/NV 1992, 532 f.; vgl. ferner BFHE 186, 491, 492 f.). In den vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen waren jedoch nicht nur der Ausdruck, sondern auch der (vollständige) Empfang (Speicherung) der übermittelten Signale jeweils erst nach Fristablauf abgeschlossen, so dass es bei seinen Entscheidungen auf die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage (letztlich) nicht angekommen war.
14
dd) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG NJW 1996, 2857 unter B I) und das Bundesarbeitsgericht (BAGE 90, 329, 331 f.) stellen demgegenüber auch bei nicht durch technische Störungen oder Bedienungsfeh- ler verzögertem Ausdruck für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes allein darauf ab, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) wurden. Dass der Ausdruck des Empfangenen bei Gericht (teilweise) erst nach Fristablauf erfolgt, wird nicht als erheblich angesehen. Auch diese Ansicht hat in der Literatur (Greger in Zöller, ZPO 25. Aufl. § 167 Rdn. 9; Gummer/Heßler in Zöller, ZPO 25. Aufl. § 519 Rdn. 18 d; von Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO 3. Aufl. § 57 Rdn. 16) Zustimmung gefunden.
15
ee) Der Senat gibt der letzteren Ansicht den Vorzug.
16
aaa)Diebisherige, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Ausdrucks abstellende Rechtsprechung wird den technischen Gegebenheiten der Telekommunikation nicht mehr gerecht. Sie geht zurück auf zwei Verfahren , in denen sich Parteien zur Wahrung von Fristen eines Fernschreibers bedient hatten (BGHZ 101, 276 ff.; 105, 40 ff.). Mit diesem Kommunikationsmittel wurde es dem rechtsuchenden Bürger ermöglicht, “auf einem schnellen und in der Regel sicheren Wege durch die Übermittlung von Signalen fristgebundene Eingaben an Behörden und Gerichte zu richten, die zeitgleich mit ihrem Eingeben beim Empfänger eingehen und dort ebenso zeitgleich wie eingegeben ausgedruckt werden“ (BGHZ 105, 40, 42).
17
Von “Eingabe“ und Ausdruck stets zu ein und demselben Zeitpunkt kann bei Telefaxgeräten heutiger Art jedoch nicht (mehr) ausgegangen werden. Sie sind regelmäßig mit verschiedenen Empfangseinstellungen ausgestattet und lassen sich vom jeweiligen Benutzer unterschiedlich programmieren. Man kann sie etwa so einstellen, dass der Ausdruck nicht während, sondern erst nach der (kompletten) Übertragung der Daten erfolgt. Je nach Einstellung können die Geräte dann unmittelbar nach Abschluss der Datenübertragung mit dem Ausdruck beginnen oder aber - bei entsprechendem Speicherchip - zunächst mehrere hundert “Seiten“ empfangen, speichern und sie Stunden oder sogar erst Tage später ausdrucken. In der gerichtlichen Praxis wird von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch gemacht. So werden beispielsweise beim Oberlandesgericht München nächtlich eingehende Telefaxsendungen regelmäßig erst am nächsten Morgen ausgedruckt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03 - NJW 2004, 2525 unter II 1). Das ist sinnvoll, weil dadurch ein möglicher Papierstau, der mehrstündige Unterbrechungen der Telefaxverbindung und hieraus resultierende Wiedereinsetzungsverfahren zur Folge haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2004 - XI ZB 4/04 - NJW-RR 435 ff.; Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - IV ZR 68/91 - NJW 1992, 244 f.), nicht stundenlang unbemerkt bleibt.
18
liegt Es auf der Hand, dass ein solcher gewollter Aufschub des Ausdrucks der Partei nicht zum Nachteil gereicht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 aaO). In Anbetracht der mittlerweile zur Verfügung stehenden vielfältigen Möglichkeiten, den Zeitpunkt des Ausdrucks eingegangener Telefaxsendungen auch bei Gericht den Bedürfnissen entsprechend zu variieren, erscheint es angezeigt, diesen Zeitpunkt bei der Beurteilung, ob ein per Telefax übermitteltes Dokument fristgerecht oder verspätet bei Gericht eingegangen ist, generell nicht mehr heranzuziehen und stattdessen auf den Zeitpunkt des vollständigen Empfangs (Speicherung ) der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät des Gerichts abzustellen. Dieser Zeitpunkt lässt sich in aller Regel zuverlässig bestimmen - wie hier mittels Einzelverbindungsübersicht des in Anspruch genommenen Dienstleisters D. T. , deren Zeitangaben mangels entgegenstehender Feststellungen der gesetzlichen Zeit im Sinne des Zeitgesetzes entsprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2003 aaO unter II 2 c und d) - und unterscheidet sich auch dadurch von demjenigen des Ausdrucks, der mitunter - wie im vorliegenden Fall - nicht einmal erfasst wird.
19
bbb) Dies steht im Einklang mit der fortschreitenden technischen Entwicklung, wie sie auch in der Zivilprozessordnung bereits berücksichtigt worden ist. Seit 1. August 2001 gibt § 130a ZPO der Bundesregierung und den Landesregierungen die Möglichkeit, elektronische Dokumente im Verkehr mit den Gerichten zuzulassen. Nach § 130a Abs. 3 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingereicht, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts es aufgezeichnet hat. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll hierfür derjenige Zeitpunkt maßgebend sein, in dem diese Einrichtung den “Schriftsatz“ gespeichert hat - und nicht der Zeitpunkt des Ausdrucks (BT-Drucks. 14/4987, S. 24; Greger, aaO § 130a Rdn. 6; Stadler in Musielak, ZPO 4. Aufl. § 130a Rdn. 5).
20
Telefax und Computerfax fallen zwar nach überwiegend vertretener Ansicht (Dästner, NJW 2001, 3469 f.; Leipold, aaO § 130a Rdn. 5; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 129 Rdn. 44 u. § 130a Rdn. 1; Greger, aaO Rdn. 2; a.A. Peters in MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl. § 130a Rdn. 2) nicht unter § 130a ZPO, weil die Gerichte bei der Schaffung der Vorschrift im Jahre 2001 bereits flächendeckend über Telekopieeinrichtungen verfügten und der Gesetzgeber nicht hinter bereits bestehende Übermittlungsmöglichkeiten zurückgehen oder diese Einschränkungen unterwerfen wollte (Dästner, aaO). Die Vorschrift erfasst daher nur solche elektronischen Dokumente wie z.B. E-Mails, deren Empfang und weitere Bearbeitung besondere technische und organisatorische Vorbereitungen bei den Gerichten erfordert (BT-Drucks. 14/5561, S. 20). Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass auch bei Telefax und Computerfax Dokumente auf elektronischem Wege übermittelt werden, es sich also auch hier (im weiteren Sinne) um elektronische Dokumente handelt (vgl. BT-Drucks. 14/4987, S. 19; BT-Drucks. 14/5561 aaO; GmS-OBG BGHZ 144, 160 ff.; BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086 ff.). Vor diesem Hintergrund vermag nicht zu überzeugen, dass es für die Bestimmung des Eingangszeitpunkts bei der Übermittlung durch Telefax (weiterhin) grundsätzlich auf den Ausdruck im Telefaxgerät des Gerichts ankommen soll, während man bei der Übermittlung durch E-Mail nicht auf den Ausdruck am Computer (der Geschäftsstelle) des Gerichts abstellt, sondern stets bereits die Speicherung im von Seiten des Gerichts dafür vorgesehenen Gerät genügen lässt.
21
ccc) Richtig ist zwar, dass erst dann, wenn ein Ausdruck vorliegt, das Gericht in der Lage ist, “von dem Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis zu nehmen“ (BGH, Beschluss vom 4. Mai 1994 aaO unter II 2). Auch vermag die elektronische Speicherung der Nachricht im Telefaxgerät des Gerichts nicht an die Stelle der Schriftform (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO) zu treten (so zutreffend Gerken aaO). Beides gibt aber keine Veranlassung, für die Bestimmung des Eingangszeitpunktes weiterhin an dem Zeitpunkt des vollständigen Ausdrucks durch das Telefaxgerät des Gerichts festzuhalten.
22
(1) Im Störungsfall - d.h. bei einem Fehler in der Funktion oder der Bedienung des Telefaxgeräts des Gerichts und einer dadurch bedingten Verzögerung des Ausdrucks - haben diese Erwägungen ihre Maßgeblichkeit ohnehin “aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauensschutzes“ (BGH, Beschluss vom 4. Mai 1994 aaO; BGHZ 105, 40, 45) bereits eingebüßt.
23
(2) Auch im Normalfall kann das Gericht bei der Übermittlung eines Schriftsatzes über einen von ihm eingerichteten Briefkasten nicht ohne weiteres von dem Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis nehmen. Der Schriftsatz muss vielmehr zuerst aus dem Briefkasten herausgeholt und in der Regel muss zunächst auch erst noch ein Briefumschlag entfernt werden, ehe das Gericht vom Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis nehmen und die Einhaltung der Form (§ 130 Nr. 6 ZPO) überprüfen kann. Gleichwohl ist anerkannt, dass für die Fristwahrung schon der rechtzeitige Einwurf des Schriftsatzes in den Briefkasten des Gerichts genügt (BGHZ 80, 62, 63 f.; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2004 - II ZB 18/03 - NJW-RR 2005, 75 unter II 2). Entnahme aus dem Briefkasten und Entfernen des Briefumschlages zählen bereits zur Weiterbearbeitung des Schriftsatzes durch das Gericht. Dem entspricht es, den Ausdruck durch ein Telefaxgerät des Gerichts ebenfalls lediglich als gerichtsinterne Weiterbearbeitung eines bereits im elektronischen Briefkasten - dem Speicher - eingegangenen Dokuments zu begreifen (vgl. Gummer/Heßler, aaO).

24
Die Senate des Bundesgerichtshofs haben auf Nachfrage mitgeteilt , dass sie an einer eventuell entgegenstehenden Rechtsprechung nicht festhalten.
25
ff) Die Klägerin hat mithin die Berufungsbegründungsfrist gewahrt. Der angefochtene Beschluss muss deshalb aufgehoben werden. Das gilt auch, soweit ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist, weil die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag lediglich hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Berufung gestellt hat; dieser Fall ist aber nicht eingetreten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05 - zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, unter II 2; vom 24. Juli 2003 aaO unter IV; vom 22. Oktober 1997 - VIII ZB 32/97 - NJW 1998, 1155 unter II 2).
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Hagen, Entscheidung vom 25.02.2004 - 2 O 397/03 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 25.02.2005 - 20 U 98/04 -

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.

(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 4/05
vom
17. Januar 2006
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Ellenberger
und Prof. Dr. Schmitt
am 17. Januar 2006

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 22. November 2004 aufgehoben.
Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 48.220,96 €

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat mit am 14. Juni 2004 zugestelltem Urteil vom 3. Juni 2004 die Vollstreckungsgegenklage des Klägers teilweise abgewiesen sowie der Widerklage der Beklagten im Wesentlichen stattgegeben. Nach Einlegung der Berufung am 14. Juli 2004 wurde die Beru- fungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 14. Oktober 2004 verlängert.
2
Am 13. Oktober 2004 gingen bei der Posteingangsstelle des Kammergerichts die ersten 33 Seiten der im Original 69 Seiten umfassenden Berufungsbegründung per Telefax ein. Das vollständige und auf der letzten Seite unterschriebene Original der Berufungsbegründungsschrift folgte am 19. Oktober 2004. Auf einen am 28. Oktober 2004 abgegangenen Hinweis des Vorsitzenden führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Telefax vom 3. November 2004 aus, er habe die Angelegenheit überprüft , es lägen zwei Faxmitteilungen vor, die eine ordnungsgemäße Übermittlung zweier Teile des Berufungsbegründungsschriftsatzes nachweislich belegten. Rein vorsorglich teile er mit, dass fristgebundene Schriftsätze, die zur Fristwahrung per Telefax übermittelt würden, stets auf einen ordnungsgemäßen Übermittlungsbericht hin kontrolliert würden. Erst dann sei der Versand abgeschlossen. Eine unvollständige Übermittlung sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit generell ausgeschlossen und es werde eine interne Prüfung des Gerichts nahe gelegt.
3
Eine daraufhin erfolgte Nachfrage des Berufungsgerichts bei der Posteingangsstelle ergab, dass laut Journal des Telefaxgerätes am 13. Oktober 2004 nach dem Eingang von 33 Seiten in einem neuen Übertragungsvorgang einige Minuten später lediglich weitere zwei Seiten aus dem Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen waren.
4
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 22. November 2004 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
5
Die Berufung sei innerhalb der Begründungsfrist nicht durch einen vollständigen und unterschriebenen Schriftsatz begründet worden. Per Telefax seien lediglich die ersten 33 Seiten der Berufungsbegründung am 13. Oktober 2004 bei Gericht eingegangen. Ausweislich des Journalberichts seien neben den ausgewiesenen 33 Seiten 21 Minuten später noch zwei weitere Seiten vom gleichen Absender eingegangen, die aber nicht zur Akte gelangt seien, also offenbar anders zuzuordnen gewesen seien. Jedenfalls könne es sich dabei nicht um die restlichen Seiten 34 bis 69 gehandelt haben.
6
Abgesehen davon, dass der Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt habe, sei vorsorglich darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für ein fehlendes Verschulden nicht ansatzweise vorgetragen worden seien.
7
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.


8
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
9
Die 1. gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
10
a) Indem das Berufungsgericht die Berufungsbegründung des Klägers als nicht fristgerecht angesehen hat, ist es allerdings entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2001 (XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045, 1046) abgewichen. In Übereinstimmung mit diesem Beschluss hat es aufgrund des Vortrages des Klägers Ermittlungen nach dem Eingang der fehlenden 36 Seiten der Berufungsbegründungsschrift angestellt. Wenn das Berufungsgericht aus dem Journal des gerichtlichen Telefaxgeräts den Schluss gezogen hat, die Berufungsbegründung sei nicht vollständig beim Empfangsgerät des Gerichts eingegangen und die Begründungsfrist deswegen nicht gewahrt, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Das Journal wies in zeitlichem Abstand von einigen Minuten nach dem Eingang der ersten 33 Seiten der Berufungsbegründung lediglich den Empfang von zwei weiteren Seiten aus dem Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers aus. Es enthielt keinerlei Hinweise für einen Papierstau oder eine sonstige Empfangsstörung. Vielmehr wurde im Zeitraum vor, zwischen und nach dem Empfang der beiden genannten Sendungen der kontinuierliche Empfang von Telefaxnachrichten anderer Sender ausgewiesen. Der im Journal ausgewiesene Diagnosecode befand sich identisch auch bei anderen empfangenen Sendungen, so dass das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine Veranlassung hatte, insofern von sich aus Ermittlungen anzustellen.
11
Indem b) das Berufungsgericht dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungs- frist verweigert hat, hat es aber das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger aus den unter Ziffer 2 folgenden Gründen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von überspannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen der Kläger nicht rechnen musste (vgl. dazu BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227 f.).
12
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
13
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht an einem fehlenden Antrag des Klägers. Ein Wiedereinsetzungsantrag braucht nicht ausdrücklich gestellt zu werden. Er kann vielmehr konkludent in einem Schriftsatz enthalten sein (vgl. BGHZ 63, 389, 392).
14
liegt So der Fall hier. Aus den Angaben im Schriftsatz vom 3. November 2004 folgt, dass der Kläger zwar in erster Linie von einer Wahrung der Berufungsbegründungsfrist ausging, zugleich aber eine Fristversäumung nicht ausschloss und daher hilfsweise einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen wollte, indem er vorsorglich Ausführungen zur ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle machte. Sämtliche die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen sind auch aktenkundig. Die versäumte Prozesshandlung war bereits mit Eingang der Berufungsbegründungschrift im Original am 19. Oktober 2004 nachgeholt worden.

15
Entgegen b) der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger auch hinreichend dargelegt, dass ihn kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist trifft. Mit Schriftsatz vom 3. November 2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen, dass aufgrund der von ihm selbst vorgenommenen Überprüfung des Vorgangs zwei Sendeberichte die ordnungsgemäße Übermittlung der Berufungsbegründung per Telefax belegten. Ferner hat er dargelegt, dass der Versendungsvorgang in seiner Kanzlei erst dann abgeschlossen sei, wenn Sendeberichte mit dem Vermerk "Ok" vorlägen. Aus diesem Vortrag ergibt sich eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle. Wird eine Rechtsmittelschrift per Telefax eingelegt, genügt für die Ausgangskontrolle , dass ein vom Faxgerät des Absenders ausgedrucktes Sendeprotokoll die ordnungsgemäße Übermittlung belegt und vor Fristablauf zur Kenntnis genommen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2002 - VII ZB 28/01, NJW-RR 2002, 999, 1000 und vom 21. Juli 2004 - XII ZR 27/03, NJW 2004, 3490, 3491; jeweils m.w.Nachw.). Kommt es beim elektronischen Übertragungsvorgang zu Fehlern, die aus dem Sendeprotokoll nicht ersichtlich sind, können sie einer Partei nicht als schuldhaftes Verhalten angelastet werden.
16
c) Der Kläger hat auch die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO, die frühestens mit Zugang des gerichtlichen Hinweises vom 21. Oktober 2004, der erst am 28. Oktober 2004 abgesandt worden ist, mit seinem Schriftsatz vom 3. November 2004 gewahrt. Die Tatsache, dass er die beiden in dem Schriftsatz erwähnten Sendeprotokolle, die seinen Vortrag belegen, erst mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2004 eingereicht hat, ist unschädlich, da es sich hierbei nicht um neuen Tatsachenvortrag han- delt, sondern um die Vorlage eines Nachweises, der den bisherigen Vortrag stützt. Die Glaubhaftmachung von Tatsachenvortag ist auch noch nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist zulässig (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO) und kann noch im Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1996 - VIII ZB 7/96, NJW 1996, 1682).
17
3. Dem Kläger war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren mit der Folge, dass die Verwerfung der Berufung gegenstandslos ist.
Nobbe Müller Joeres Ellenberger Schmitt
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 03.06.2004 - 33 O 360/02 -
KG Berlin, Entscheidung vom 22.11.2004 - 20 U 139/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 229/13
vom
11. Dezember 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze mittels Telefax muss der
Rechtsanwalt durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass der Sendebericht
nicht nur auf vollständige und fehlerfreie Übermittlung des Textes,
sondern auch auf die richtige Empfängernummer abschließend kontrolliert wird
(im Anschluss an Senatsbeschluss vom 31. März 2010 - XII ZB 166/09 - FamRZ
2010, 879). Die Überprüfung lediglich anhand einer geräteintern verwendeten
Kurzwahl steht dem nicht gleich.
BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 229/13 - OLG Rostock
AG Schwerin
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Dezember 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Familiensenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 25. März 2013 wird auf Kosten des Antragstellers verworfen. Beschwerdewert: 2.152 €

Gründe:

I.

1
Mit Beschluss vom 16. November 2012, der dem Antragsteller am 23. November 2012 zugestellt worden ist, hat das Familiengericht dessen gegen die Antragsgegnerin gerichteten Zahlungsantrag abgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Nach richterlichem Hinweis , dass die Beschwerde nicht innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist begründet worden sei, hat der Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er glaubhaft gemacht, sein Verfahrensbevollmächtigter habe die Beschwerdebegründung am 23. Januar 2013 fertig gestellt und unterschrieben und den Schriftsatz am selben Tag per Telefax gesendet, wobei er die in das Faxgerät eingespeicherte Kurzwahl des Beschwerdegerichts "OLG HRO" verwendet ha- be, welche geräteintern mit der Telefaxnummer des Beschwerdegerichts verknüpft sei. Durch einen Sendebericht, mit dem die Übermittlung der Sendung an den Empfänger "OLG HRO" bestätigt worden sei, habe der Bevollmächtigte sich von der ordnungsgemäßen Versendung des Telefaxes überzeugt. Auch andere Sendungen in anderen Rechtsangelegenheiten seien vor und nach der hier streitigen Sendung erfolgreich unter Verwendung der Kurzwahl "OLG HRO" an das Beschwerdegericht übermittelt worden.
2
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Die Beschwerdebegründungsfrist sei nicht schuldlos versäumt. Ausweislich des vom Empfangsgerät des Beschwerdegerichts aufgezeichneten Faxjournals sei zum angegebenen Zeitpunkt keine Sendung des Bevollmächtigten des Antragstellers eingegangen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers habe sich auch nicht anhand des Sendeberichts auf eine ordnungsgemäße Versendung des Telefaxes verlassen dürfen, weil allein aus einer Sendebestätigung an einen Empfänger mit der Kurzwahl "OLG HRO" nicht hervorgehe, welche Empfängernummer bei der Versendung verwendet worden sei. Für die korrekte Eingabe der Empfängernummer sei jedoch der Rechtsanwalt, der die Versendung persönlich vornehme, selbst verantwortlich.

II.

3
Die gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 FamFG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
4
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsteller weder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einem Beteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Verfahrensbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - FamRZ 2008, 1605 Rn. 6 mwN).
5
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Bedient sich der Verfahrensbevollmächtigte für die Übersendung des Schriftsatzes eines Telefaxgeräts, hat er das seinerseits Erforderliche getan, wenn er bei Verwendung eines funktionsfähigen Sendegeräts und korrekter Eingabe der Empfängernummer so rechtzeitig mit der Übertragung beginnt, dass unter normalen Umständen mit dem Abschluss der Übertagung bei Fristende zu rechnen ist (BVerfG NJW 1996, 2857, 2858; BGH Beschluss vom 1. Februar 2001 - V ZB 33/00 - NJW-RR 2001, 916).
6
Für die Ausgangskontrolle genügt es, wenn ein vom Faxgerät des Absenders ausgedrucktes Sendeprotokoll die ordnungsgemäße Übermittlung an den Adressaten belegt und dieses vor Fristablauf zur Kenntnis genommen wird. Trägt der Sendebericht den Vermerk "OK", kann es einem am Verfahren Betei- ligten nicht als schuldhaftes Verhalten angelastet werden, wenn es bei dem elektronischen Übertragungsvorgang dennoch zu Fehlern kommt (BGH Beschluss vom 17. Januar 2006 - XI ZB 4/05 - NJW 2006, 1518, 1519). Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schriftstück trotz eines mit einem "OK"-Vermerk versehenen Sendeprotokolls den Empfänger nicht erreicht, ist jedenfalls so gering , dass sich der Rechtsanwalt auf den "OK"-Vermerk verlassen darf (Senatsbeschluss vom 28. März 2001 - XII ZB 100/00 - VersR 2002, 1045, 1046).
7
Die Ausgangskontrolle muss sich allerdings auch darauf beziehen, dass bei der Versendung des Telefaxes die zutreffende Empfängernummer verwendet wurde (BGH Beschlüsse vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12 - MDR 2013, 1303; vom 30. Oktober 2012 - III ZB 51/12 - juris Rn. 6; vom 7. November 2012 - IV ZB 20/12 - NJW-RR 2013, 305 Rn. 9; vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11 - NJW-RR 2012, 1267 Rn. 7; vom 27. März 2012 - VI ZB 49/11 - NJW-RR 2012, 744 Rn. 7; vom 12. Mai 2010 - IV ZB 18/08 - NJW 2010, 2811; vom 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948; BAGE 79, 379 = NJW 1995, 2742). Diese Gewissheit kann das Sendeprotokoll nur vermitteln, wenn es nicht nur eine technisch fehlerfreie Versendung als solche belegt, sondern ebenfalls ausweist, an welche konkrete Empfängernummer das Telefax gesendet wurde. Nur der mit dieser Angabe versehene "OK"-Vermerk kann das Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Versendung an den zutreffenden Empfänger begründen.
8
Dem steht ein "OK"-Vermerk, der sich lediglich auf eine im Faxgerät hinterlegte Kurzwahl bezieht, nicht gleich. Denn ein Sendeprotokoll, das nur die verwendete Kurzwahl ausweist, ermöglicht keine verlässliche Überprüfung, ob die mit der Kurzwahl intendierte Empfängernummer tatsächlich angewählt wurde. Die Verwendung von Kurzwahlnummern birgt gewisse Risiken einerseits von technischen Fehlern bei der geräteinternen Zuordnung der anzuwählenden Nummer, andererseits von Bedienungsfehlern, beispielsweise einer versehent- lichen Umprogrammierung der Kurzwahlnummer, gegebenenfalls auch durch andere Gerätebenutzer. Dass sich eine der möglichen Fehlerquellen verwirklicht haben könnte, lässt sich mit hinreichender Sicherheit nur durch einen Sendebericht ausschließen, der die tatsächlich angewählte Telefaxnummer zu erkennen gibt.
9
3. Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller die Fristversäumung nicht ausreichend entschuldigt. Nach seinem eigenen Vorbringen hat sein Bevollmächtigter nicht überprüft, an welche Nummer das Telefaxgerät die Sendung verschickt hat, sondern sich allein darauf verlassen, dass die eingespeicherte Kurzwahl mit dem Kürzel "OLG HRO" im Moment der Versendung korrekt mit der Empfängernummer des Beschwerdegerichts verknüpft sei. Das genügt nicht, um Fehlerquellen der aufgezeigten Art hinreichend verlässlich auszuschließen und somit die Wahrscheinlichkeit, dass das Schriftstück den Empfänger nicht erreicht, so gering wie möglich und zumutbar zu halten (vgl. Senatsbeschluss vom 31. März 2010 - XII ZB 166/09 - FamRZ 2010, 879 Rn. 9).
10
Auch der Umstand, dass vorangegangene und nachfolgende Schriftstücke in anderen Rechtsangelegenheiten fehlerfrei unter Verwendung der Kurzwahl "OLG HRO" übermittelt werden konnten, entbindet nicht von einer gesonderten Kontrolle der korrekt angewählten Empfängernummer in jedem Einzelfall. Dose Weber-Monecke Schilling Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Schwerin, Entscheidung vom 16.11.2012 - 21 F 158/11 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 25.03.2013 - 10 UF 2/13 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 57/15
vom
1. März 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die unterbliebene Namensangabe der erkennenden Richter im Rubrum der getroffenen
Entscheidung wird jedenfalls in den Fällen, in denen kein Zweifel daran
bestehen kann, dass die Richter, die die Entscheidung unterzeichnet haben
, auch an ihr mitgewirkt haben, durch die Unterschriften der Richter ersetzt;
dann kann von einer stillschweigenden Verweisung auf die Unterschriften ausgegangen
werden (im Anschluss an BGH, Urteil vom 22. Dezember 1976
- IV ZR 11/76, NJW 1977, 377 unter I 2).
Wird ein fristgebundener Schriftsatz per Telefax übermittelt, genügt es für die
Ausgangskontrolle, dass ein vom Faxgerät des Absenders ausgedrucktes Sendeprotokoll
die ordnungsgemäße Übermittlung an den Adressaten belegt und
dieses vor Fristablauf zur Kenntnis genommen wird. Trägt der Sendebericht
den Vermerk "OK", kann es einem am Verfahren Beteiligten nicht als schuldhaftes
Verhalten angelastet werden, wenn es bei dem elektronischen Übertragungsvorgang
dennoch zu - nicht aus dem Sendeprotokoll ersichtlichen - Fehlern
kommt (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2006 - XI ZB
4/05, NJW 2006, 1518 Rn. 15 mwN; vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 229/13,
NJW-RR 2014, 316 Rn. 6; vom 14. Oktober 2010 - V ZB 112/10, juris Rn. 8).
BGH, Beschluss vom 1. März 2016 - VIII ZB 57/15 - LG Darmstadt
AG Darmstadt
ECLI:DE:BGH:2016:010316BVIIIZB57.15.0

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. März 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 13. August 2015 aufgehoben. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Darmstadt vom 14. April 2015 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29. April 2015 gewährt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: bis zu 30.000 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger macht nach der Zwangsräumung einer Mietwohnung Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend und begehrt zugleich die Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, bestimmte Gegenstände einschließ- lich eines Sparbuchs an die Beklagte herauszugegeben. Die Beklagte verlangt widerklagend die Feststellung, dass eine solche Verpflichtung bestehe.
2
Das Amtsgericht hat mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 21. April 2015 zugestellten Urteil der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist für die Berufungsbegründung ist antragsgemäß bis zum 21. Juli 2015 verlängert worden.
3
Am 20. Juli 2015 ist beim Landgericht vorab per Telefax ein mit "Berufungsbegründungsschrift" überschriebener Schriftsatz vom selben Tag eingegangen , dessen Übertragung auf der nicht vollständig übermittelten Seite 6 abgebrochen worden ist. Eine Unterschrift ist hierbei nicht übertragen worden. Das Telefax trägt Zeitaufdrucke von 16.25 Uhr bis 16.29 Uhr des Empfangsgeräts und von 16.27 Uhr bis 16.30 Uhr des Sendegeräts. Mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten per Telefax am selben Tag übermittelter Verfügung vom 21. Juli 2015 hat der Vorsitzende der Berufungskammer diesen von der unvollständigen Übermittlung unterrichtet. Am 23. Juli 2015 ist auf dem Postweg die 25-seitige Berufungsbegründung im Original beim Landgericht eingegangen.
4
Auf den am selben Tag erfolgten Hinweis des Vorsitzenden der Berufungskammer , im Hinblick auf den verspäteten Eingang der vollständigen Berufungsbegründung sei beabsichtigt, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen , hat die Beklagte mit beim Landgericht vorab per Telefax am 24. Juli 2015 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag unter Wiederholung ihrer Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
5
Sie hat ihr Wiedereinsetzungsbegehren im Wesentlichen damit begründet , dass das Faxgerät der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten keine Störung bei der Übermittlung der Berufungsbegründung angezeigt, sondern im Gegenteil eine um 16.55 Uhr erstellte Sendebestätigung mit der Bemerkung "Ergebnis OK" erstellt habe, ausweislich derer um 16.43 Uhr innerhalb von 11 Minuten und einer Sekunde 25 Seiten, also die vollständige Berufungsbegründung , per Telefax an das Landgericht übermittelt worden seien. Zur Glaubhaftmachung hat sie sich auf das auf der ersten Seite der gefaxten Berufungsbegründung aufgedruckte und dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügte Sendeprotokoll sowie auf die anwaltliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten berufen.
6
Eine daraufhin angestellte Rückfrage des Vorsitzenden der Berufungskammer beim Leiter der Wachtmeisterei hat ergeben, dass am 20. Juli 2015 beim Landgericht zwei von dem Faxgerät des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelte Sendungen eingegangen sind, nämlich beginnend um 16.24 Uhr sechs Seiten mit einer Übertragungszeit von 4 Minuten und 21 Sekunden und beginnend um 16.41 Uhr 20 Seiten mit einer Übertragungsdauer von 11 Minuten und 9 Sekunden. Der zweite Schriftsatz ist nicht zu den Akten gelangt. Sein Verbleib ist trotz Rückfragen innerhalb des Landgerichts ungeklärt geblieben.
7
Auf den Hinweis des Vorsitzenden der Berufungskammer, es scheine sich bei der 20 Seiten umfassenden Übertragung in Anbetracht der Seitenzahl wohl nicht um die 25 Seiten umfassende Berufungsbegründung gehandelt zu haben, hat die Beklagte ergänzend vorgetragen und von ihrem Prozessbevollmächtigen bestätigen lassen, dieser habe an diesem Tag nur einen Schriftsatz, nämlich die streitgegenständliche Berufungsbegründung, an das Landgericht gefaxt.
8
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 13. August 2015 den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - ausgeführt:
9
Eine Berufungsbegründung sei nicht innerhalb der Frist nach § 520 Abs. 2 ZPO beim Landgericht eingegangen. Der Beklagten sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Berufungskammer glaube der Darstellung der Beklagten nicht, dass die Übermittlung des am 20. Juli 2015 nach der Zeitangabe des Sendegeräts zwischen 16.27 Uhr und 16.30 Uhr übermittelten Telefaxes von diesem Gerät (unzutreffend) als fehlerfrei signalisiert worden sei. Denn dem stünden die vom Sendegerät ausgewiesenen Übertragungszeiten entgegen. Danach sei die um 16.27 Uhr begonnene Übermittlung nach einer Übertragungsdauer von elf Minuten und einer Sekunde um 16.43 Uhr erfolgreich abgeschlossen gewesen. Bei einer Übermittlungsdauer von elf Minuten und einer Sekunde hätte die Übertragung aber erst um 16.32 Uhr beginnen dürfen. Unter diesen Umständen könne es sich bei der unvollständig bei Gericht eingegangenen Übertragung und der behaupteten, als vollständig signalisierten Übermittlung nicht um denselben Vorgang gehandelt haben.
10
Der dieser Deutung widersprechende Vortrag der Beklagten, wonach am 20. Juli 2015 vom Büro ihres Prozessbevollmächtigten nur ein Telefax an das Landgericht versandt worden sei, sei nicht glaubhaft. Nahe liege es vielmehr, dass nach der zunächst nicht erfolgreich durchgeführten Übertragung von nur sechs Seiten der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsbegründung zwei Minuten später erneut per Telefax übersandt habe. Hierfür spreche auch das Empfangsprotokoll des Telefaxgerätes des Landgerichts, wonach ab 16.41 Uhr während eines Zeitraums von elf Minuten und neun Sekunden ein Telefax vom Anschluss des Prozessbevollmächtigten empfangen worden sein solle. Da ausweislich des Empfangsprotokolls des Landgerichts bei dieser zweiten Übertragung jedoch nur 20 - nicht zu den Akten gelangte - Seiten eingegangen seien, gehe die Kammer nicht davon aus, dass bei dieser zweiten Übermittlung die vollständige 25 Seiten umfassende Berufungsbegründung einschließlich der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt worden sei. Aus welchen Gründen das von der Beklagten vorgelegte Sendeprotokoll gleichwohl den Versand von 25 Seiten ausweise, lasse sich nicht nachvollziehen. Die sich hieraus ergebenden Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

11
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist (§ 233 ZPO).
12
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise er- schweren (st. Rspr.; vgl. BVerfG, AnwBl 2015, 976 f. mwN; BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 - VI ZB 78/11, NJW-RR 2013, 506 Rn. 6 mwN; vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 6).
13
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beklagten ist auf ihren rechtzeitig und ordnungsgemäß gestellten Antrag (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 ZPO) hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Bei seiner abweichenden Würdigung hat das Berufungsgericht die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung im Sinne von § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, § 294 ZPO überspannt und wesentliche tatsächliche Umstände nicht oder nicht ausreichend gewürdigt (§ 286 ZPO).
14
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der angefochtene Beschluss allerdings nicht schon deswegen aufzuheben, weil die entscheidenden Richter nicht im Rubrum des angefochtenenBeschlusses aufgeführt sind. Dabei kann dahin stehen, ob die für die Abfassung von Urteilen geltende Vorschrift des § 313 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, die neben den in § 315 ZPO verlangten Unterschriften der erkennenden Richter deren namentliche Angabe im Rubrum vorsieht, auf Beschlüsse entsprechend anwendbar ist. Denn die Unterschriften der Richter ersetzen die zusätzliche Namensangabe im Kopf des Urteils jedenfalls in den Fällen, in denen kein Zweifel bestehen kann, dass die Richter, die die Entscheidung unterzeichnet haben, auch an der Entscheidung mitgewirkt haben; dann kann von einer stillschweigenden Verweisung auf die Unterschriften ausgegangen werden (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1976 - IV ZR 11/76, NJW 1977, 377 unter I 2, insoweit in BGHZ 68, 43 nicht abgedruckt, mwN). So liegen die Dinge hier. Dass die unterzeichnenden Richter dabei nur mit ihrem Namen und nicht auch mit ihrer Funktionsbezeichnung angegeben sind, ist unschädlich. Die Rechtsbeschwerde macht nicht geltend, dass es sich bei ihnen nicht um die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der 25. Zivilkammer handelt , sondern rügt nur, dass sich dies nicht aus dem Beschluss selbst erschließt.
15
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) kein vollständiger, vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichneter Schriftsatz beim Gericht eingegangen. Jedoch hat das Berufungsgericht, das die Einhaltung der Begründungsfrist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen hat, seine Ermittlungen allein darauf beschränkt, ob ein ausweislich des Empfangsprotokolls des Telefaxgeräts des Berufungsgerichts am 20. Juli 2015 ab 16.41 Uhr eingegangener 20-seitiger Schriftsatz ausgedruckt wurde und zu den Akten oder in den Geschäftsgang gelangt ist. Dagegen hat es sich nicht mit der Frage befasst, ob eingegangene Daten im Empfangsgerät gespeichert worden und noch abrufbar vorhanden gewesen sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28. März 2001 - XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045 unter II 1; vgl. ferner Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 112/10, juris Rn. 5). Letztlich kann die Frage, ob das Berufungsgericht alle naheliegenden Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft hat, dahin stehen. Denn die Rechtsbeschwerde nimmt die getroffenen Feststellungen hin und der Beklagten ist gegen die festgestellte Versäumung der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
16
c) Die Beklagte hat hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie ohne ein eigenes oder ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen ist.
17
aa) Ein Prozessbevollmächtigter hat nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Bedient er sich für die Übersendung eines Telefaxgeräts, hat er das seinerseits Erforderliche getan, wenn er bei Verwendung eines funktionsfähigen Sendegeräts und korrekter Eingabe der Empfängernummer so rechtzeitig mit der Übertragung beginnt, dass unter normalen Umständen mit dem Abschluss der Übertragung bei Fristende zu rechnen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2011 - V ZB 33/00, NJW-RR 2001, 916 unter II 2; vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 229/13, NJW-RR 2014, 316 Rn. 5; vom 8. April 2014 - VI ZB 1/13, NJW 2014, 2047 Rn. 8; jeweils mwN).
18
Außerdem hat er sicherzustellen, dass vor Streichung der Frist im Fristenkalender eine Ausgangskontrolle erfolgt. Hierfür genügt es im Falle der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax aber, wenn ein vom Faxgerät des Absenders ausgedrucktes Sendeprotokoll die ordnungsgemäße Übermittlung an den Adressaten belegt und dieses vor Fristablauf zur Kenntnis genommen wird. Trägt der Sendebericht den Vermerk "OK", kann es einem am Verfahren Beteiligten nicht als schuldhaftes Verhalten angelastet werden, wenn es bei dem elektronischen Übertragungsvorgang dennoch zu - nicht aus dem Sendeprotokoll ersichtlichen - Fehlern kommt (BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2006 - XI ZB 4/05, NJW 2006, 1518 Rn. 15 mwN; vom 11.Dezember 2013 - XII ZB 229/13, aaO Rn. 6; vom 14. Oktober 2010 - V ZB 112/10, aaO Rn. 8). Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schriftstück trotz eines mit einem "OK"Vermerk versehenen Sendeberichts den Empfänger nicht erreicht, ist so gering, dass sich der Rechtsanwalt auf den "OK"-Vermerk verlassen darf (BGH, Beschlüsse vom 28. März 2001 - XII ZB 100/00, aaO unter II 2; vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 229/13, aaO). Bestätigt das Sendeprotokoll des verwendeten Telefaxgerätes durch den Vermerk "OK", gibt es für den Absender regelmäßig keine tragfähigen Anhaltspunkte, dass die Übermittlung dennoch fehlgeschlagen sein könnte, noch hat er Anlass, sich beim Berufungsgericht über den Eingang des Telefaxes zu erkundigen (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 112/10, aaO mwN).
19
bb) Den danach einzuhaltenden Anforderungen haben der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beziehungsweise seine mit dem Faxvorgang und der Ausgangskontrolle befassten Mitarbeiter entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts in vollem Umfang genügt.
20
(1) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat den Begründungsschriftsatz bereits einen Tag vor Fristablauf gefertigt. Für die Übermittlung dieses Schriftstücks ist ein Telefaxgerät benutzt worden, das keine Fehlermeldungen ausgewiesen, sondern um 16.55 Uhr eine Sendebestätigung erstellt hat, ausweislich derer um 16.43 Uhr während einer Dauer von elf Minuten und einer Sekunde erfolgreich 25 Seiten an das Faxgerät des Berufungsgerichts übermittelt worden sind. Diese Umstände, die den Schluss zulassen, dass die Störung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in dem Bereich eingetreten ist, für den die Partei - auch über § 85 Abs. 2 ZPO - verantwortlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 7; vom 19. Juni 2013 - V ZB 226/12, juris Rn. 12; jeweils mwN), hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten durch Vorlage des Sendeprotokolls mit "OK"-Vermerk, das zudem die erste Seite der Berufungsbegründung vollständig abbildet, und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht. Aufgrund dieses glaubhaft gemachten Sachverhalts durfte er ohne Weiteres davon ausgehen, dass der gesamte Berufungsbegründungsschriftsatz erfolgreich übertragen worden ist.
21
(2) Das Berufungsgericht, das dies verkannt und die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung überspannt hat, meint dagegen, aus - sich vermeintlich widersprechenden - Angaben auf der Sendebestätigung und den vom Sendegerät auf den sechs Seiten des Berufungsbegründungsschriftsatzes aufgedruckten Übermittlungszeiten sowie aus einem Vergleich der abweichenden Daten zwischen den Protokollen des Sendegeräts und des Empfangsgeräts ableiten zu können, dass die Darstellung der Beklagten nicht glaubhaft sei, sondern einiges dafür spreche, dass das Sendeprotokoll anlässlich eines zweiten Übertragungsversuchs, bei dem (nur) 20 Seiten übermittelt worden seien, erstellt worden sei.
22
Dabei verkennt das Berufungsgericht bereits, dass in einem solchen Fall der Prozessbevollmächtigte der Beklagten angesichts des "OK"-Vermerks auf dem Sendebericht davon hätte ausgehen dürfen, dass jedenfalls der zweite Übertragungsversuch erfolgreich gewesen ist. Denn aus dem Sendebericht hätte sich kein Hinweis ergeben, dass bei dem zweiten Übertragungsversuch nicht alle 25 Seiten beim Empfangsgerät eingegangen sind.
23
Außerdem hält das Berufungsgericht der Darstellung der Beklagten einen Geschehensablauf entgegen, der mit dem Inhalt des Sendeprotokolls, das die erfolgreiche Übertragung von 25 Seiten bestätigt hat, unter keinen Umständen in Einklang zu bringen ist. Demgegenüber lässt sich die Schilderung der Beklagten bei verständiger Würdigung durchaus mit den Angaben in den Protokollen der für den Übertragungsvorgang eingesetzten Sende- und Empfangsgeräte vereinbaren. Das Berufungsgericht hat bei seiner gegenteiligen Beurteilung unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte erfasst und insbesondere verkannt, dass es für die vermeintlichen Widersprüche in den Zeitangaben plausible Erklärungen gibt, die sich aus den Protokollen und dem übrigen Akteninhalt ableiten lassen.
24
(a) Das Berufungsgericht hat nicht erkannt, dass die auf der Sendebestätigung unter der Rubrik "Zeit" angegebene Uhrzeit 16.43 Uhr bei richtigem Verständnis nicht den Abschluss der elf Minuten und einer Sekunde andauernden Übertragungsdauer, sondern den Beginn der Übertragung kennzeichnet. Dies ergibt sich zum einen aus dem mit 16.55 Uhr angegebenen Zeitpunkt der Erstellung der Sendebestätigung. Zum anderen lässt sich dies bei verständiger Würdigung aus einem Abgleich der Protokolle von Sende- und Empfangsgerät herleiten. Wie der Aufdruck der Zeitangaben auf den zu den Akten gelangten sechs Seiten der Berufungsbegründung zeigt, hat die Übertragung dieser Seiten ausweislich der Zeitangaben des Sendegeräts um 16.27 Uhr undnach den Zeitangaben des Empfangsgeräts um 16.25 Uhr begonnen. Berücksichtigt man die sich daraus ergebende Zeitabweichung von (etwa) zwei Minuten zwischen den beiden Geräten und stellt man weiter in Rechnung, dass nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 20. Juli 2015 nur der Berufungsbegründungsschriftsatz - und zwar nur einmal - an das Berufungsgericht gefaxt worden ist, dann korrespondieren die weiteren Daten im Empfangsprotokoll , wonach zu der Startzeit von 16.41 Uhr eine elf Minuten und neun Sekunden andauernde Übertragung von 20 Seiten erfolgt ist, durchaus mit den im Sendeprotokoll enthaltenen Angaben, nach denen um 16.43 Uhr für die Dauer von elf Minuten und einer Sekunde eine Übermittlung erfolgt ist, wenn man die Zeitangabe 16.43 Uhr im Sendeprotokoll ebenfalls als Startzeit auffasst.
25
(b) Damit bleibt nur noch zu klären, weshalb die Sendebestätigung nicht - wie das Journal des Empfangsgeräts - eine Übertragung von nur 20 Seiten ausweist, sondern die Übertragung von 25 Seiten bestätigt. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich aber dadurch, dass das Empfangsgerät des Berufungsgerichts - aus welchen Gründen auch immer - eine in unmittelbarer Folge übermittelte Sendung in mehrere Tranchen aufgespaltet zu unterschiedlichen Zeiten empfangen und dies so auch dokumentiert hat, während das Sendegerät nach Abschluss der Sendung offenbar eine einheitliche Bestätigung ausgestellt hat.
26
(aa) Entsprechende Abläufe lassen sich besonders deutlich aus dem vollständig zu den Akten gelangten Wiedereinsetzungsantrag, der am 24. Juli 2015 per Fax an das Berufungsgericht übermittelt worden ist, ersehen. Dieser einschließlich der beigefügten Anlagen 31 Seiten umfassende Antrag ist ausweislich der auf dem Schriftsatz aufgedruckten Angaben des Sendegeräts in der Zeit von 10.04 Uhr bis 10.26 Uhr an das Berufungsgericht übertragen worden. Die vollständige Sendung ist aber in drei Phasen empfangen worden, wobei laut dem Journal des Empfangsgeräts insgesamt 33 Seiten eingegangen sind. Zunächst sind laut Empfangsprotokoll um 10.01 Uhr vierzehn Seiten eingegangen , die vom Empfangsgerät mit dem Aufdruck "P.001/014" versehen worden sind und deren Übermittlung ausweislich des Empfangsprotokolls neun Minuten in Anspruch genommen hat. Daran anschließend ist ab 10.10 Uhr (so der Aufdruck des Empfangsgeräts auf dem Schriftsatz) oder um 10.11 Uhr (so die Angaben im Empfangsprotokoll) mit einer Übertragungsdauer von vier Minuten und dreiundvierzig Sekunden ein weiterer Teil des Schriftsatzes eingegangen , der die aufgedruckte Bezeichnung "P.001/006" erhalten hat. Bei dieser zweiten Tranche ist die bei der ersten Übertragung zuletzt übermittelte Seite, nämlich die Seite 8 der nochmals beigefügten Berufungsbegründungsschrift, erneut empfangen worden.
27
Schließlich ist beginnend ab 10.17 Uhr der dritte Teil der übermittelten Sendung eingegangen, der 13 Seiten - darunter erneut die zuletzt übersandte Seite der zweiten Tranche (Seite 13 der Berufungsbegründungsschrift) - umfasste und die aufgedruckte Kennzeichnung "P.001/013" erhalten hat. Auf diese Weise hat das Telefaxgerät des Berufungsgerichts nicht die tatsächlich übermittelten 31 Seiten, sondern insgesamt 33 Seiten empfangen, aufgespalten in drei Phasen, wobei zwischen der zweiten und dritten Übermittlungsphase zehn Sendungen anderer Absender zwischengeschaltet worden sind.
28
(bb) Entsprechende Vorgänge lassen sich - soweit aktenkundig gemacht - bei der am 20. Juli 2015 per Fax übermittelten Berufungsbegründung feststellen. Die ersten sechs Seiten, die zu den Akten gelangt sind, tragen die Kennzeichnung "P.001/006" und sind ausweislich der vom Empfangsgerät auf den Schriftsatz aufgedruckten Zeitangabe ab 16.25 Uhr und ausweislich des Empfangsprotokolls beginnend ab 16.24 Uhr bei Gericht eingegangen. Um 16.41 Uhr sind nach den Angaben im Journal des Empfangsgeräts weitere - nicht zu den Akten gelangte - 20 Seiten vom Telefaxgerät des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingegangen. Wenn man berücksichtigt, dass dieses Telefaxgerät - zumindest in einigen Fällen - längere Sendungen offenbar in mehreren Teilschritten empfängt und weiter in Rechnung stellt, dass es dabei die zuletzt empfangene Seite der vorangehenden Tranche nochmals als empfangen ausweist, dann lassen sich die zwei am 20. Juli 2015 alseingegangen dokumentierten Sendungen von insgesamt 26 Seiten ohne Weiteres der vom Sendegerät bestätigten einmaligen Übermittlung von 25 Seiten zuordnen. Das Empfangsgerät hat offenbar die (zunächst nicht vollständig) übermittelte Seite 6 der Berufungsbegründung beim zweiten Teil der Sendung nochmals erhalten. Dies erklärt, warum statt des Zugangs von 25 Seiten der Empfang von 26 Seiten protokolliert worden ist.
29
(cc) Damit bleibt als Diskrepanz zwischen den beiden Protokollen nur der Umstand, dass der Sendebericht als Übertragungsbeginn 16.43 Uhr ausweist, während nach den Angaben im Empfangsprotokoll und nach dem Sendeaufdruck auf den zu den Akten gelangten sechs Seiten der Berufungsbegründung die erste Phase der Übermittlung schon um 16.24 Uhr beziehungsweise um 16.27 Uhr begonnen hat. Auch dieser scheinbare Widerspruch lässt sich aber auflösen, wenn man in Betracht zieht, dass die Sendebestätigung den Beginn der erfolgreichen Übertragung der (gesamten) Sendung auf den Zeitpunkt gelegt hat, ab dem das Empfangsgerät den Beginn des Eingangs der noch fehlenden Seiten der Berufungsbegründung (also nach den Angaben im Empfangsprotokoll ab 16.41 Uhr und nach der zwei Minuten hiervon abweichenden Zeiterfassung des Sendegeräts ab 16.43 Uhr) signalisiert hat.
30
c) Das Berufungsgericht hätte nach alledem die von ihm angesprochenen Ungereimtheiten nicht zum Anlass nehmen dürfen, an der Schlüssigkeit und der Glaubhaftmachung der Darstellung der Beklagten zu zweifeln, sondern hätte die beschriebenen Besonderheiten des Faxgeräts des Berufungsgerichts, die eine technische Fehlfunktion dieses Kommunikationsmittels oder jedenfalls eine Fehleranfälligkeit bei der Zuordnung eingehender Schriftsatzteile nahelegt, in Betracht ziehen müssen. Danach ist der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
31
d) Soweit die Rechtsbeschwerde weiter geltend macht, das Berufungsgericht habe seine Fürsorgepflicht verletzt, weil es den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 21. Juli 2015 erst um 17.33 Uhr und damit nach Büroschluss von dem unvollständig eingegangenen Schriftsatz unterrichtet habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Eine Partei kann im Hinblick auf den Geschäftsanfall bei Gericht nicht erwarten, dass dieses die Einhaltung der für eine Berufungsbegründungsschrift geltenden Frist- und Formvorschriften zeitnah nach Eingang des Schriftsatzes prüft (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 unter II 2 a). Letztlich kommt es auf diesen Gesichtspunkt aber nicht an, weil der Beklagten schon aus anderen Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol
Vorinstanzen:
AG Darmstadt, Entscheidung vom 14.04.2015 - 309 C 74/12 -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 13.08.2015 - 25 S 86/15 -

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 266/14 Verkündet am:
18. November 2016
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
GO BY Art. 38 Abs. 1
Die organschaftliche Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters einer bayerischen
Gemeinde ist im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt; infolgedessen
wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des ersten
Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet, die dieser ohne die erforderliche Beschlussfassung
des Gemeinderats vorgenommen hat.
BGH, Urteil vom 18. November 2016 - V ZR 266/14 - OLG Nürnberg
LG Ansbach
ECLI:DE:BGH:2016:181116UVZR266.14.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg - 4. Zivilsenat - vom 28. Oktober 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eine Große Kreisstadt in Bayern. Im Zuge der Verlegung zweier Bundesstraßen erwarb die beklagte Bundesrepublik Deutschland von einem Dritten im Jahr 1986 ein Grundstück, an dem eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in Gestalt eines Rohrleitungsrechts zugunsten der Klägerin bestand. Ausweislich der Bestellungsurkunde war die Klägerin verpflichtet, im Falle einer Wegmessung nicht betroffener Grundstücksteile die „Pfandfreigabe“ zu erklären.
2
Aus Neuvermessungen ging unter anderem ein Grundstück hervor, auf dem eine durch die Dienstbarkeit gesicherte Rohrleitungstrasse der Klägerin die Bundesstraße B 2 unterquert (Flurstück Nr. 2394/1). Am 30. April 1997 erklärte der damalige Oberbürgermeister der Klägerin als deren Vertreter gegenüber einem Notar unter anderem für dieses Grundstück die Pfandfreigabe. Daraufhin wurde das Rohrleitungsrecht im Grundbuch gelöscht. Als die Leitung im Jahr 2009 wegen Baumaßnahmen der Beklagten tiefer gelegt werden sollte, wurde die fehlende dingliche Sicherung der auf dem Flurstück Nr. 2394/1 verlaufenden Leitung bemerkt.
3
Die auf Wiedereintragung der Grunddienstbarkeit gerichtete Klage der Gemeinde hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ihr stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:


I.


4
Das Berufungsgericht lässt dahinstehen, ob es an einem Rechtsgrund für die Pfandfreigabe fehle, weil die Klägerin schuldrechtlich hierzu nicht verpflichtet gewesen sei oder weil sie die Pfandfreigabe wirksam angefochten habe. Einem auf Bereicherungsrecht gestützten Grundbuchberichtigungsanspruch stehe jedenfalls die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen.
5
Die Klägerin könne jedoch gemäß § 894 BGB Berichtigung des Grundbuchs verlangen. Die Unrichtigkeit ergebe sich daraus, dass die von dem Oberbürgermeister der Klägerin erklärte Pfandfreigabe mangels Vertretungsmacht unwirksam sei. Der Oberbürgermeister habe erkennbar im vermeintlichen Vollzug der Verpflichtung zur Freigabe aus dem Kaufvertrag gehandelt. Die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters - der in einer Großen Kreisstadt wie der Klägerin gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (BayGO) die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister führt - nach Art. 38 Abs. 1 BayGO bestehe nicht. Sie erstrecke sich nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO nur auf die laufenden Angelegenheiten, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen. Ob die Pfandfreigabe zu den laufenden Angelegenheiten zähle, könne dahinstehen, weil sie erhebliche Pflichten erwarten lasse. Auch aus § 10 der Geschäftsordnung des Stadtrats der Klägerin ergebe sich keine Vertretungsbefugnis. Die Befugnisse des Bürgermeisters würden hiernach zwar auf „die Entscheidung über den Erwerb, Veräußerung oder Verpfändung von Ver- mögensgegenständen (insbesondere von Grundstücken) bis zu einem Wert von 30.000 DM“ erstreckt. Hierzu zähle jedoch nicht der Verzicht auf ein Recht, der der Gemeinde nur Nachteile bringen könne; er habe zur Folge, dass nunmehr die Gemeinde die Kosten einer Trassenverlegung zu tragen habe. Der Oberbürgermeister sei allenfalls befugt gewesen, die vertragliche Freigabeverpflichtung zu vollziehen. Da sich diese gerade nicht auf das Flurstück Nr. 2394/1 beziehe , habe es eines Gemeinderatsbeschlusses bedurft, der sich aus den Grundakten nicht ergebe.

II.


6
Die Revision hat Erfolg. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung, wonach die von dem Oberbürgermeister der Klägerin hinsichtlich des Rohrleitungsrechts abgegebene Pfandfreigabeerklärung unwirksam ist, weil der nach der gemeindeinternen Zuständigkeitsverteilung erforderliche Gemeinderatsbeschluss fehlt, kann eine Unrichtigkeit des Grundbuchs im Sinne von § 894 BGB nicht angenommen werden.
7
1. Für das Kommunalrecht anderer Bundesländer entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die organschaftliche Vertretungsmacht des Bürgermeisters (bzw. des Landrats) im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt ist. Die Gemeinde wird durch seine Erklärungen grundsätzlich auch dann verpflichtet, wenn es an einem erforderlichen Beschluss der Gemeindevertretung fehlt (Senat, Urteil vom 20. April 1966 - V ZR 50/65, MDR 1966, 669: Baden-Württemberg; BGH, Urteil vom 16. November 1978 - III ZR 81/77, NJW 1980, 117, 118: Rheinland-Pfalz; BGH, Urteil vom 20. September 1984 - III ZR 47/83, BGHZ 92, 164, 169 f.: NordrheinWestfalen ; BGH, Urteil vom 6. März 1986 - VII ZR 235/84, BGHZ 97, 224, 226: Saarland; BGH, Urteil vom 17. April 1997 - III ZR 98/96, VersR 1998, 118; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89, 93 f.: DDRKommunalverfassung ). Dies orientiert sich an der im Kommunalrecht anerkannten strikten Unterscheidung zwischen interner Willensbildung und externer Vertretungsbefugnis (BGH, Urteil vom 17. April 1997 - III ZR 98/96, VersR 1998, 118 mwN) und an der herrschenden Meinung für die Vertretung juristischer Personen des Zivilrechts durch ihre Organe (BGH, Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 256/77, NJW 1980, 115). Von einer unbeschränkten Vertretungsmacht des Bürgermeisters geht auch das Bundesarbeitsgericht für die Länder Baden- Württemberg (BAGE 47, 179, 184 f.) und Sachsen (NJW 2002, 1287, 1289) aus.
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2. Ob diese Erwägungen auf das bayerische Kommunalrecht übertragbar sind, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsfrage bislang offen gelassen (Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 256/77, NJW 1980, 115; Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 539/05, wistra 2006, 306; Urteil vom 11. Juni 1992 - VII ZR 110/91, NJW-RR 1992, 1435 f. zu Art. 35 Abs. 1 BayLKrO).
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a) In ständiger Rechtsprechung verneinen die bayerischen Gerichte - wie das Berufungsgericht - eine unbeschränkte Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters (vgl. BayObLGZ 1952, 271 ff.; 1971, 252, 256; 1974, 81, 84; 1974, 374, 376; 1986, 112; 1997, 37, 41; BayObLG, BayVBl. 1973, 131, 313; 1974, 706; 1998, 122; BayVerfGH 25, 27, 43; BayVGH, BayVBl. 2012, 177 Rn. 30; 2012, 341; OLG München, MittBayNot 2009, 222 f.; 2012, 248 ff.; Beschluss vom 18. Juni 2010 - 34 Wx 65/10, juris Rn. 7; Beschlussvom 28. Januar 2013 - 34 Wx 390/12, juris Rn. 9; offen gelassen durch BayObLG, BayVBl. 1999, 473). Diese Ansicht hat auch das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 8. Dezember 1959 vertreten (3 AZR 348/56, juris Rn. 25; vgl. auch BAG, Urteil vom 18. Oktober 1990 - 2 AZR 157/90, juris Rn. 24 zu Art. 35 Abs. 1 BayLKrO - obiter dictum). Art. 38 Abs. 1 BayGO begründe lediglich das Vertretungsrecht des ersten Bürgermeisters, nicht aber seine Vertretungsmacht. Letztere ergebe sich aus Art. 37 BayGO, sofern das Rechtsgeschäft unter den dort genannten Voraussetzungen in seinen eigenen Zuständigkeitsbereich falle. Soweit dagegen der Gemeinderat als willensbildendes Organ der Gemeinde zu entscheiden habe (Art. 29 BayGO), werde die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters erst durch einen entsprechenden Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss be- gründet (vgl. nur BayObLGZ 1974, 81, 84; BayObLG, BayVBl. 1974, 706). Insoweit sei der erste Bürgermeister bloßes Vollzugsorgan (Art. 36 Abs. 1 BayGO). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu anderen Bundesländern sei wegen der Eigenständigkeit des jeweiligen Gemeinderechts nicht auf Bayern zu übertragen. Die jahrzehntelang dauernde tatsächliche Übung und in Bayern herrschende Meinung könne sich nicht nur auf das Gesetz, sondern auch auf die Gesetzesmaterialien und das Herkommen stützen (vgl. nur BayObLGZ 1986, 112, 114 f.; 1997, 37, 41). Entgegen dieser internen Zuständigkeitsverteilung vorgenommene zivilrechtliche Rechtsgeschäfte seien nach §§ 177 ff. BGB schwebend unwirksam (BayVGH, BayVBl. 2012, 177 Rn. 30 mwN).
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Dieser Ansicht folgen Teile der Rechtsliteratur (Masson, Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, (1952), Art. 38 BayGO Anm. 2; Steiner in: Berg/Knemeyer/Papier/Steiner, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl., S. 137, 145; Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 29 BayGO Rn. 25 [Stand Dezember 2014] und Art. 38 BayGO Rn. 3 [Stand November 2013]; Demharter, GBO, 29. Aufl., § 19 Rn. 85; Schaub in: Bauer/v. Oefele, GBO, 3. Aufl., AT VII Rn. 327 ff.; Wachsmuth in: Schulz/Wachsmuth/Zwick, Kommunalverfassungsrecht Bayern, Art. 38 BayGO Anm. 2.2 [Stand Juni 2013], anders allerdings Art. 36 BayGO Anm. 3.5 [Stand Mai 2015]; Boley, BayBgm 1953, 244 f. und 267; Wegmann, BayKommP 1997, 313, 316).
11
b) In weiten Teilen der Rechtsliteratur wird die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters dagegen im Grundsatz als unbeschränkt angesehen (Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, Art. 38 BayGO Erl. 2.1 [Stand Oktober 2013]; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern, Art. 38 GO Anm. 1.1 [Stand März 2015]; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 38 BayGO Rn. 3 [Stand Juli 2015]; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 257 Fn. 86; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., Rn. 369 und 433; Lange, Kommunalrecht, 2013, Kap. 8 Rn. 166 ff.; Lissack, Bayerisches Kommunalrecht, 3. Aufl., § 4 Rn. 36; Becker in: Becker/Heckmann/Kempen/Mansen, Öffentliches Recht in Bayern, 6. Aufl., Rn. 166; Burgi, Kommunalrecht, 3. Aufl., S. 173 f.; Schoch/Röhl, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl., Kommunalrecht Rn. 147 Fn. 448; Berroth, Die Vertretung der Gemeinde nach außen, 1964, S. 71 f.; Fritz, Vertrauensschutz im Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983, S. 63 f.; Karstendiek, Vertretungsmängel bei öffentlichen Auftraggebern, 1990, S. 63 ff.; Habermehl, DÖV 1987, 144, 147 Fn. 23; Reuter, DtZ 1997, 15, 16; Brötel, NJW 1998, 1676, 1679 ff.).
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3. Der Senat entscheidet die Rechtsfrage im Sinne der zweiten Ansicht. Die organschaftliche Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters einer bayerischen Gemeinde gemäß Art. 38 Abs. 1 BayGO ist im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt; infolgedessen wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des ersten Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet, die dieser ohne die erforderliche Beschlussfassung des Gemeinderats vorgenommen hat. Soweit der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 8. Dezember 1959 (3 AZR 348/56, juris) die gegenteilige Auffassung vertreten hat, hat der nunmehr zuständige Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf vorgeschaltete Anfrage des erkennenden Senats gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 RsprEinhG (Senat, Beschluss vom 18. März 2016 - V ZR 266/14, BayVBl 2016, 716 ff.) mitgeteilt, dass er hieran nicht festhält (BAG, Beschluss vom 22. August 2016 - 2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296). Im Ergebnis kann deshalb dahinstehen, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Nr. 1 BayGO vorlag oder ob sich aus der Geschäftsordnung der Klägerin eine Eigenentscheidungsbefugnis des ersten Bürgermeisters ergab.
13
Ob Beschränkungen Außenwirkung haben, ist durch Auslegung der die Vertretung regelnden Normen zu ermitteln; die Regelungen der bayerischen Gemeindeordnung weisen keine Besonderheiten auf, die eine von der Rechtslage in den anderen Bundesländern abweichende Reichweite der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters rechtfertigen könnten.
14
a) Unter der Überschrift „Verpflichtungsgeschäfte; Vertretung der Gemeinde nach außen“ regelt Art. 38 Abs. 1 BayGO, dass der erste Bürgermeister die Gemeinde nach außen vertritt. Nur dieser (und nicht der Gemeinderat) kann für die Gemeinde nach außen handeln. Aus dem Wortlaut der Norm ergeben sich keine Einschränkungen der Vertretungsbefugnis. Danach begründet sie im Zweifel nicht nur ein formelles Vertretungsrecht, sondern eine unbeschränkte organschaftliche Vertretungsmacht (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1977 - II ZR 236/75, MDR 1978, 388 f.) oder - mit anderen Worten - die materielle Befugnis zur Vornahme des betreffenden Geschäfts im Außenverhältnis.
15
b) Die systematische Auslegung ergibt nichts Gegenteiliges. Die Vorschriften der bayerischen Gemeindeordnung, die die Zuständigkeit von Gemeinderat und erstem Bürgermeister abgrenzen (Art. 29, 30 Abs. 2, Art. 36, 37 BayGO), regeln lediglich die gemeindeinterne Kompetenzverteilung. Insbesondere trifft Art. 36 Satz 1 BayGO, wonach der erste Bürgermeister die Beschlüsse des Gemeinderats vollzieht, keine Aussage über die in Art. 38 Abs. 1 BayGO eigenständig geregelte Vertretung der Gemeinde nach außen. Der Bestimmung lässt sich auch nicht entnehmen, dass der erste Bürgermeister „bloßes Vollzugsorgan“ ist. In Art. 29 BayGO wird er wie der Gemeinderat ausdrücklich als Hauptorgan bezeichnet. Als grundsätzlich gleichgewichtiges Hauptorgan neben dem Gemeinderat hat er einen eigenen, in Art. 37 BayGO positiv definierten Aufgabenbereich (Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung , Landkreisordnung und Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, Art. 38 BayGO Erl. 2.1 [Stand Mai 2006]; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 29 BayGO Rn. 1 [Stand Juli 2015]; Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 320 f.; ähnlich Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 29 BayGO Rn. 21 [Stand Dezember 2014]).
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c) Der Entstehungsgeschichte der bayerischen Gemeindeordnung lässt sich ein auf eine Beschränkung der Vertretungsmacht gerichteter Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen.
17
aa) Eine ausdrückliche Stellungnahme hierzu findet sich in den Gesetzesmaterialien nicht. Soweit in dem Regierungsentwurf zu Art. 39 Abs. 1 (entspricht Art. 38 Abs. 1 BayGO) ausgeführt wird, die Vertretung der Gemeinde im Rechtsverkehr sei herkömmlich Sache des ersten Bürgermeisters, der allerdings den betreffenden Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss dem Vertragspartner der Gemeinde oder dem beurkundenden Notar auf Verlangen nachzuweisen habe (Regierungsentwurf, Landtagsdrucksachen 1951/1952 Beilage 1140, S. 35), ist dies unergiebig (aA BayObLGZ 1952, 271, 274). Denn der Entwurf erfuhr im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch umfangreiche Änderungen, durch die die Stellung des ersten Bürgermeisters gegenüber dem Gemeinderat deutlich gestärkt wurde. So wird der erste Bürgermeister in allen Gemeinden vom Volk gewählt (Art. 17 BayGO), während der Regierungsentwurf eine direkte Wahl nur in Gemeinden bis zu 20.000 Einwohnern und für größere Gemeinden die Wahl durch den Gemeinderat vorgesehen hatte (Art. 17 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1 Satz 2). Art. 29 BayGO, wonach der Gemeinderat die Gemeinde verwaltet, soweit nicht der erste Bürgermeister selbständig ent- scheidet, erhielt die Überschrift „Hauptorgane“ (vgl. Sitzungsprotokoll der 60. Sitzung des Landtags vom 19. Dezember 1951, S. 1083, 1085). In Art. 30 Abs. 2 BayGO wurde die Passage eingefügt, wonach der Gemeinderat (nur) „im Rahmen des Art. 29“ über alle Angelegenheiten bestimmt, für die nicht beraten- de Ausschüsse bestellt sind (Sitzungsprotokoll der 60. Sitzung des Landtags vom 19. Dezember 1951, S. 1085). Dieser Einschub nimmt die in Art. 37 BayGO festgelegten selbständigen Befugnisse des ersten Bürgermeisters ausdrücklich vom Aufgabenbereich des Gemeinderates aus. Schließlich wurde dem Gemeinderat auf Einwendung des Bayerischen Senats die ursprünglich in Art. 38 Abs. 2 Sätzen 2 und 3 des Entwurfs vorgesehene Möglichkeit genommen , den von dem ersten Bürgermeister getätigten dringlichen Anordnungen und unaufschiebbaren Geschäften vorbehaltlich entstandener Rechte Dritter die Genehmigung zu versagen (vgl. Protokoll der Plenarsitzung des Bayerischen Senats vom 11. Januar 1952, Anlage 5, S. 7 und Sitzungsprotokoll der 66. Sitzung des Landtags vom 18. Januar 1952, S. 1305 f., 1310).
18
bb) Demgegenüber spricht der Vergleich mit den in dem Regierungsentwurf nicht erwähnten Vorgängerregelungen in den Gemeindeordnungen vom 17. Oktober 1927 (GVBl. S. 293) und vom 18. Dezember 1945 (GVBl. 1946 S. 225) eher für eine nunmehr unbeschränkte Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters im Außenverhältnis (Fritz, Vertrauensschutz im Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983, S. 64; aA BayObLGZ 1952, 271, 274). In diesen Vorgängerregelungen kam die außerhalb der Eigenentscheidungsbefugnis bestehende Abhängigkeit der Vertretungsmacht von der internen Willensbildung im Gesetzeswortlaut nämlich noch deutlich zum Ausdruck. Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 3 BayGO 1927 vollzog der erste Bürgermeister die Beschlüsse des Gemeinderats und vertrat „hierbei“ den Gemeinderat (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayGO 1945: die Gemeinde) nach außen. Deshalb wurde ein solcher Beschluss als Voraussetzung der Vertretungsmacht angesehen (vgl. Stöhsel/Stenger, Die neue bayerische Gemeindegesetzgebung, 1929, Art. 17 BayGO Anm. 5; Woerner, Kommentar zur bayerischen Gemeindeordnung vom 17. Oktober 1927, 1931, Art. 17 BayGO Anm. 11). Diese Einschränkung findet sich in der nunmehr geltenden Fassung des Art. 38 Abs. 1 BayGO gerade nicht mehr.
19
d) Signifikante Unterschiede zu dem Kommunalrecht der anderen Bundesländer , die nur in Bayern die Annahme einer beschränkten Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters im Außenverhältnis erlauben könnten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil entspricht die dualistische Struktur der bayerischen Kommunalverfassung derjenigen der baden-württembergischen Gemeindeordnung. Dieses Konzept der süddeutschen Kommunalverfassung ist in Abwandlungen inzwischen in den meisten Bundesländern übernommen worden (näher Wolff/Bachhof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl., § 97 Rn. 7; Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 12. Aufl., Rn. 292). Auch der badenwürttembergische Gemeinderat ist gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 GO BW Hauptorgan der Gemeinde. Gleichwohl ist die Vertretungsmacht des Bürgermeisters gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 GO BW unbeschränkt (vgl. Senat, Urteil vom 20. April 1966 - V ZR 50/65, MDR 1966, 669 sowie BAGE 47, 179 ff. zu § 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO BW). Selbst für das frühere nordrhein-westfälische Kommunalverfassungsrecht , das eine Allzuständigkeit des Gemeinderats (§ 28 GO NRW aF) und eine entsprechend schwächere Stellung des Gemeindedirektors vorsah, war die umfassende Außenvertretungsmacht des Gemeindedirektors anerkannt (eingehend OLG Köln, DVBl. 1960, 816, 817 f. mit Anm. Roemer; BGH, Urteil vom 20. September 1984 - III ZR 47/83, BGHZ 92, 164, 169 zu §§ 28, 55 GO NRW i.d.F. von 1969).
20
e) Entscheidend für die Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO als Einräumung einer umfassenden Vertretungsmacht im Außenverhältnis spricht - wie in den anderen Bundesländern auch - das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und angemessenem Verkehrsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1997 - III ZR 98/96, VersR 1998, 118; U. Stelkens, Verwaltungsprivatrecht , 2005, S. 207: sinnvolles Ordnungsprinzip; hierzu auch BAG, Beschluss vom 22. August 2016 - 2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296 Rn. 11).
21
aa) Der Erklärungsempfänger - in der Regel der Bürger - muss sich auf die Vertretungsbefugnis des für die Gemeinde nach außen handelnden Organs verlassen können. Demgegenüber bleibt es der Gemeinde unbenommen, gegen ihr pflichtwidrig handelndes Organ beamtenrechtliche Sanktionen zu verhängen bzw. Schadensersatzforderungen geltend zu machen. Es erscheint unangemessen , das Risiko fehlerhaften Organhandelns dem Erklärungsempfänger aufzubürden, der die Vorgänge bei der internen Willensbildung als außenstehender Dritter in aller Regel nicht erkennen kann. Insbesondere wird ein ausreichender Schutz nicht dadurch gewährleistet, dass er von der für die Gemeinde handelnden Person den Nachweis ihrer Befugnis zur Vornahme des betreffenden Geschäfts verlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1977 - II ZR 236/75, MDR 1978, 388; aA BayObLGZ 1952, 271, 274; 1974, 374, 376; 1986, 112, 115 mwN). Dabei verbleiben nämlich erhebliche Ungewissheiten. Wird dem Erklärungsempfänger die Ausfertigung eines Gemeinderatsbeschlusses vorgelegt (vgl. Art. 54 BayGO), müsste er überprüfen, ob dieser wirksam ist und das konkrete Rechtsgeschäft umfasst. Hat der Gemeinderat keinen Beschluss gefasst, kann eine schwierige Abgrenzung der gemeindeinternen Zuständigkeiten erforderlich sein, insbesondere im Hinblick auf die oft zweifelhafte Einordnung einer Rechtshandlung als Geschäft der laufenden Verwaltung (vgl. hierzu etwa BayObLGZ 1974, 374, 377). Dies ist umso problematischer, als sich die Gemeinde im Falle einer Fehleinschätzung unter Umständen noch Jahrzehnte später auf eine fehlende Vertretungsbefugnis des für sie handelnden Bürgermeisters berufen kann (vgl. z.B. BayObLG, MittBayNot 1997, 120 ff.).
22
bb) Vor denselben praktischen Schwierigkeiten und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit stehen nach der bislang in Bayern herrschenden Meinung die dortigen Grundbuchämter. Sie dürfen Eintragungen in das Grundbuch nur dann vornehmen, wenn die Vertretungsbefugnis des ersten Bürgermeisters in der Form des § 29 GBO nachgewiesen ist. Dementsprechend betrifft ein großer Teil der oben (unter II.2a)) zitierten Entscheidungen der bayerischen Gerichte die Frage, ob dieser Nachweis als erbracht anzusehen ist oder nicht (vgl. nur aus jüngerer Zeit OLG München, MittBayNot 2009, 222 f.; 2012, 248 ff.; Beschluss vom 18. Juni 2010 - 34 Wx 65/10, juris; Beschluss vom 28. Januar 2013 - 34 Wx 390/12, juris). Den Grundbuchämtern wird in diesem Zusammenhang ggf. die Auslegung von Gemeinderatsbeschlüssen abverlangt (vgl. z.B. OLG München, MittBayNot 2012, 248 ff.); sie haben strenge Anforderungen an die Beweisführung zu stellen und die Eintragung im Zweifel abzulehnen (BayOblGZ 1974, 374, 376 ff.). Nach der von dem Senat vorgenommenen Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO ist dieser Nachweis entbehrlich; es ist nicht Aufgabe der Grundbuchämter, die Einhaltung der gemeindlichen Zuständigkeitsordnung zu überwachen.
23
f) Schließlich kann den Überlegungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts , wonach die von den bayerischen Gerichten seit 1952 vorgenom- mene Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO zu der Entstehung von Gewohnheitsrecht geführt haben könnte (BayObLGZ 1986, 112, 115), nicht beigetreten werden. Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (vgl. nur Senat, Urteil vom 21. November 2008 - V ZR 35/08, NJW-RR 2009, 311 Rn. 12; BVerfGE 122, 248, 269). Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil der Bundesgerichtshof die Frage bereits 1966 für die sehr ähnlich gelagerte badenwürttembergische Gemeindeordnung anders entschieden und dies im Jahr 1979 für Bayern ausdrücklich offen gelassen hat; zudem wurden in der Rechtsliteratur schon frühzeitig Bedenken im Hinblick auf den Verkehrsschutz erhoben (vgl. z.B. Walz in Peters, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 1. Aufl. [1956] Bd. I, S. 235, 266 f.). Darüber hinaus hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem (auf Anfrage des erkennenden Senats in dieser Sache ergangenen) Beschluss vom 22. August 2016 (2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296 Rn. 11) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nach Art. 38 Abs. 1 BayGO nicht auf der Bildung einer Rechtsüberzeugung in den beteiligten Kreisen beruhe; da zu diesen auch Dritte gehörten, die in rechtsgeschäftliche Beziehungen zu den bayerischen Kommunen treten, dürfte schon wegen des Umfangs und der Unbestimmtheit dieses Personenkreises eine einheitlich als richtig angesehene Rechtsüberzeugung nicht feststellbar sein.

III.


24
Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
25
1. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützter Anspruch der Klägerin auf Berichtigung des Grundbuchs nicht verneinen.
26
a) Ein solcher Anspruch kann sich daraus ergeben, dass eine schuldrechtliche Verpflichtung der Klägerin zur Pfandfreigabe - also zur dinglichen Aufgabe des Rohrleitungsrechts (§ 875 Abs. 1 BGB) hinsichtlich des Flurstücks Nr. 2394/1 und zur Abgabe der darauf bezogenen Löschungsbewilligung - nicht bestand. Insoweit macht die Klägerin geltend, ihre Verpflichtung zur Pfandfreigabe habe sich nur auf die Wegmessung nicht betroffener Grundstücksteile bezogen; die Beklagte hat bestritten, dass die Pfandfreigabe irrtümlich erfolgte. Hiervon hängt ab, ob die Beklagte ihre vorteilhafte Buchposition ohne Rechtsgrund erlangt hat.
27
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Verjährung des Anspruchs nicht eingetreten.
28
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der im Jahr 1997 entstandene Anspruch zunächst der Verjährungsfrist von dreißig Jahren unterlag (§ 195 BGB aF). Ab dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2002 galt gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB die (kürzere) zehnjährige Verjährungsfrist des § 196 BGB nF, die von diesem Tag an zu berechnen war. Die Frist lief daher am Montag, dem 2. Januar 2012, ab. Dem für die Vertretung des Freistaats Bayern (als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland) zuständigen Landesamt für Finanzen wurde die im Dezember 2011 eingereichte Klage erst am 20. Januar 2012 zugestellt.
29
bb) Gleichwohl ist die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Klage gehemmt worden. Denn die Zustellung wirkt, anders als das Berufungsgericht meint, auf die vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgte Einreichung der Klage zurück, da sie „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO er- folgt ist. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen (vgl. nur Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14, NJW 2015, 2666 Rn. 5 mwN). Dieser Zeitraum ist nicht überschritten. Zuzurechnen ist der Klägerin zwar, dass in der Klageschrift das (unzuständige) Staatliche Bauamt Ansbach als Vertreterin der Beklagten benannt worden ist. Aber nach einem Hinweis des Gerichts hat sie bereits am 10. Januar 2012 die Zustellung der Klage an das (zuständige) Landesamt für Finanzen beantragt, deren Ausführung dem Gericht oblag. Da die hinzunehmende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen nach ständiger Rechtsprechung erst vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist an berechnet wird (vgl. Senat, Versäumnisurteil vom 25. September 2015 - V ZR 203/14, NJW 2016, 568 Rn. 11; BGH, Urteil vom 10. September 2015 - IX ZR 255/14, NJW 2016, 151 Rn. 15, jeweils mwN), hier also ab dem 2. Januar 2012, kommt es - anders als der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemeint hat - auf den fehlgeschlagenen Zustellungsversuch im Dezember 2011 nicht an.
30
c) Inhaltlich hat sich das Berufungsgericht mit diesem Anspruch - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang nicht befasst. Die insoweit getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um dem Revisionsgericht eine eigene Prüfung zu ermöglichen. Zwar geht das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang, nämlich bei der - nach den Ausführungen unter II.3. entbehrlichen - Prüfung, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO vorlag, davon aus, dass sich die Verpflichtung der Klägerin zu der Pfandfreigabe nicht auf das Flurstück Nr. 2394/1 bezog und der Bürgermeister irrtümlich auf das Rohrleitungsrecht verzichtet habe. Bei der entscheidenden Prüfung eines Anspruchs gemäß § 812 Abs. 1 BGB lässt es aber ausdrücklich offen, ob die Klägerin schuldrechtlich zu der Pfandfreigabe verpflichtet war. Das Berufungsgericht wird infolgedessen zunächst tragfähige Feststellungen zu den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu treffen haben , um auf dieser Grundlage zu beurteilen, ob ein Rechtsgrund für die Pfandfreigabe bestand oder nicht; die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit die Klägerin.
31
2. Darüber hinaus kann sich ein Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs aus der Anfechtung der Pfandfreigabeerklärung ergeben. Diese kann im Hinblick auf die Anfechtung der dinglich wirkenden Aufgabe des Rohrleitungsrechts (§ 875 Abs. 1 BGB) und der verfahrensrechtlichen Löschungsbewilligung ebenfalls einen Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen; daneben kann ein Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB bestehen.

Da die Anfechtung bei Abgabe der Anfechtungserklärung am 6. Mai 2010 jedenfalls nicht durch Zeitablauf ausgeschlossen war (Art. 229 § 6 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 EGBGB, § 121 Abs. 2 aF, § 121 Abs. 2 nF BGB), wird das Berufungsgericht ggf. Feststellungen zu der - von dem Landgericht verneinten - Einhaltung der Frist des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB treffen müssen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
LG Ansbach, Entscheidung vom 16.08.2013 - 2 O 1474/11 Öff -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 28.10.2014 - 4 U 1900/13 -

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.