Verwaltungsgericht Koblenz Urteil, 12. Apr. 2011 - 7 K 1059/10.KO

ECLI:ECLI:DE:VGKOBLE:2011:0412.7K1059.10.KO.0A
12.04.2011

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Tenor

Der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 10. August 2010 wird insoweit aufgehoben, als er die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 10. Dezember 2007 aufhebt.

Der Beklagte und die Beigeladene haben jeweils die Hälfte der Gerichtskosten und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen; ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Beigeladenen bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen Widerspruchsbescheid, mit dem eine ihm vom Beklagten erteilte Baugenehmigung auf den Widerspruch der Beigeladenen hin teilweise aufgehoben wurde.

2

Die Beigeladene und der Kläger sind Eigentümer benachbarter, südlich der M.-Straße in K. gelegener und zur Mosel hin ausgerichteter Grundstücke. Die Parzelle der Beigeladenen (Flur … Flurstück Nr. 27) ist mit einem (vermieteten) Wohnhaus bebaut, das auf seiner zum klägerischen Grundstück (Flur … Flurstück Nr. 28) gelegenen Ostseite hin von der M.-Straße aus in einer Tiefe von ca. 10 m bebaut ist. Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich von K.

3

Der Beklagte erteilte dem Kläger, Inhaber eines Weinbaubetriebes, unter dem 21. Juni 2007 einen Bauvorbescheid für den Neubau eines Wohnhauses und Weinkellers auf der Parzelle 28. Der Bauvorbescheid ist der Beigeladenen nicht bekanntgegeben worden, ebensowenig wurde sie im Verwaltungsverfahren beteiligt.

4

Im Oktober 2007 beantragte der Kläger für die Parzelle 28 die Baugenehmigung für den „Neubau eines Wohnhauses mit Weinlagerkeller und Geräteraum in zwei Bauabschnitten: erster Bauabschnitt: Keller und Erdgeschoss (Weinbaubetrieb), zweiter Bauabschnitt: Ober- und Dachgeschoss (Wohnung)“. Ausweislich der genehmigten Planunterlagen ist auf der Westseite zum Grundstück der Beigeladenen hin eine grenzständige Bebauung vorgesehen. Im Kellergeschoss befinden sich ein Flaschenlager und ein Arbeitsraum, das Erdgeschoss ist für landwirtschaftliche Geräte und Fahrzeuge vorgesehen. Ober- und Dachgeschoss dienen der Wohnnutzung. Das Kellergeschoss erstreckt sich entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf einer Gesamttiefe von 22,40 m, das Erdgeschoss wird in einer Tiefe – von der Straße aus gemessen – von 18,20 m bebaut; das Obergeschoss weist eine grenzständige Tiefe von 12,90 m auf.

5

Der Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 10. Dezember 2007 (im vereinfachten Genehmigungsverfahren) die Baugenehmigung für das beantragte Vorhaben. Der – auch im Genehmigungsverfahren nicht beteiligten – Beigeladenen wurde die Genehmigung nicht zugestellt.

6

Der Kläger teilte dem Beklagten unter dem 18. Februar 2008 den Beginn der Bauarbeiten mit. Ausweislich eines Aktenvermerks sprach der Bruder der Beigeladenen, Herr F., am 20. Februar 2008 bei der Baubehörde vor und äußerte Bedenken wegen der Statik der Bauausführung.

7

Am 17. Mai 2010 legte die Beigeladene Widerspruch gegen die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 10. Dezember 2007 ein. Sie wies darauf hin, erst jetzt Kenntnis von dem Umfang des Bauvorhabens erlangt zu haben, da sie im Genehmigungsverfahren nicht beteiligt worden sei. Im Jahre 2008 habe der Kläger lediglich den Keller errichtet und sie sei zunächst davon ausgegangen, dass es dabei verbliebe. Außerdem bewohne sie das Hausanwesen auf der Parzelle 27 nicht selbst, sondern habe es vermietet. Ihr Bruder habe auf eigene Veranlassung und nicht als Vertreter gehandelt. Im Übrigen sei er auch bei dessen Vorsprache bei der Baubehörde nicht darüber informiert worden, in welchen Ausmaßen das Gebäude tatsächlich geplant sei. Erst am 16. Mai 2010 habe sie anlässlich eines Besuches bei ihren Mietern von diesen erfahren, dass auf der gesamten Grundstücksgrenze eine Halle in einer Höhe von 3,50 m errichtet werde. Hierdurch werde ihre gesamte Gartenfläche eingemauert. Der Bauherr habe nach Errichtung der Kellerfläche die Baustelle über einen längeren Zeitraum still liegen gelassen und im Jahre 2009 sei keinerlei Bautätigkeit erfolgt; erst durch die Arbeiten ab dem 16. Mai 2010 habe sie sichere Kenntnis von der Erteilung einer Baugenehmigung über den tatsächlichen Umfang des Vorhabens erlangt.

8

Der Kreisrechtsausschuss des Beklagten hob durch Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 die Baugenehmigung vom 10. Dezember 2007 – mit Ausnahme des Kellergeschosses – auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Die nach den Grundsätzen von Treu und Glauben maßgebliche Jahresfrist für die Einlegung des Widerspruchs sei lediglich hinsichtlich des Kellergeschosses abgelaufen, nicht aber hinsichtlich des übrigen Bauvorhabens ab dem Erdgeschoss. Denn diesbezüglich habe die Beigeladene sichere Kenntnis vom Bauvorhaben und dessen möglichen Auswirkungen auf ihr Grundstück erst aufgrund der Errichtung des Erdgeschosses gehabt. Hierbei sei auch zu beachten, dass Anfang der 90er Jahre auf einem nahegelegenen Grundstück an der M.-Straße vom Vater des Klägers ein Weinkeller ohne weitere Aufbauten errichtet worden sei. Für die Beigeladene habe daher aus nachbarlicher Sicht keine begründete Veranlassung bestanden, schon bei der Errichtung des Kellergeschosses aktiv zu werden. Soweit der Widerspruch zulässig sei, verstoße die Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften.

9

Der Kläger hat am 23. August 2010 Klage erhoben, zu deren Begründung er unter anderem vorträgt: Der Widerspruch sei mehr als zwei Jahre nach Beginn der Baumaßnahmen erfolgt und damit verfristet. Aufgrund des Umfanges der bis Sommer 2008 erfolgten Bauarbeiten hätte die Beigeladene der Sache nachgehen und sich erkundigen müssen. Gegen ein schutzwürdiges Vertrauen spreche auch die Beschreibung des Vorhabens auf dem Bauschild (sogenannter Roter Punkt) als „Neubau Wohnhaus mit Weinlagerkeller und Geräteraum“. Auch habe er im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Bauarbeiten im Februar 2008 die Beigeladene informiert. Wenn sein Vater in den 90er Jahren eine auf einen Keller beschränkte Baumaßnahme durchgeführt habe, so könne hieraus nicht auf ein entsprechendes Vorhaben bei ihm, dem Kläger, geschlossen werden. Im Übrigen sei die Baugenehmigung auch materiell rechtmäßig.

10

Der Kläger beantragt,

11

den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 aufzuheben, soweit die ihm unter dem 10. Dezember 2007 erteilte Baugenehmigung aufgehoben wurde.

12

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

13

Er ist dem Vorbringen des Klägers schriftsätzlich unter Wiederholung und Vertiefung der im Widerspruchsbescheid ausgeführten Gründe entgegengetreten.

14

Die Beigeladene beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Widerspruchsfrist habe erst im Mai 2010 zu laufen begonnen, da sie erst dann die Möglichkeit der Kenntnisnahme von ihrer Beeinträchtigung gehabt habe. Zu jener Zeit sei eine hohe Wand unmittelbar an ihrer Terrasse errichtet worden, die den Eindruck des Eingeschlossenseins entstehen lasse. Sodann habe sie unverzüglich Widerspruch eingelegt. Sie sei nicht am Baugenehmigungsverfahren beteiligt worden und der Bauherr habe sie niemals über Art und Umfang des Vorhabens in Kenntnis gesetzt. Sie habe nie erklärt, dass sie gegen die vorgesehene Wohnetage nichts habe. Am Tag des Beginns der Bauarbeiten für den Keller, am 18. Februar 2008, habe der Kläger lapidar mitgeteilt, er würde nun anfangen. Unterlagen oder das Bauvorhaben insgesamt erläuternde Pläne habe man ihr nicht vorgelegt. Nach Errichtung des Kellergeschosses habe sich ihre Terrasse noch 15 cm oberhalb der Oberkante des errichteten Kellers befunden und die Möglichkeit einer Beeinträchtigung durch die Baumaßnahme sei noch nicht gegeben gewesen. Da die Familie des Klägers auf einem ebenfalls an der M.-Straße gelegenen Grundstücks Anfang der 90er Jahre bereits einen Weinkeller ohne weitere Aufbauten errichtet gehabt habe, habe sie, die Beigeladene, darauf vertrauen dürfen, dass neben ihr ein ebensolcher Keller entstehen solle. Dazu habe weiter das zweijährige Ruhen der Baumaßnahme beigetragen. Von der Vorsprache ihres Bruders beim Bauamt habe sie nichts gewusst. Dieser habe eigenverantwortlich und ohne Abstimmung gehandelt. Im Übrigen sei diesem im Bauamt auch kein Plan gezeigt oder erläutert worden. Daneben sei die Baugenehmigung in materieller Hinsicht rechtswidrig; das Vorhaben füge sich von seiner Höhe und Tiefe nicht in die nähere Umgebung ein und es liege ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie 4 Hefte Verwaltungsakten Bezug genommen; diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

18

Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet.

19

Der Kläger hat eine nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthafte Anfechtungsklage erhoben. Denn der Widerspruchsbescheid enthält für ihn eine erstmalige Beschwer, da die erteilte Baugenehmigung vom 10. Dezember 2007 teilweise aufgehoben wurde. Die Anfechtungsklage erfüllt ferner die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen.

20

Die Klage ist auch begründet, da der Widerspruchsbescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Baugenehmigung vom 10. Dezember 2007 wurde nämlich zu Unrecht teilweise aufgehoben, da der Widerspruch der Beigeladenen wegen Versäumung der Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Gänze unzulässig war.

21

Die Kammer geht zunächst mit dem Kreisrechtsausschuss davon aus, dass in der vorliegenden Fallgestaltung eines dreipoligen Rechtsverhältnisses die Widerspruchsbehörde nicht über den verspäteten Widerspruch eines Dritten zu Lasten des Begünstigten sachlich entscheiden darf. Die Situation ist hier nämlich anders als im Bereich der sogenannten zweipoligen Rechtsverhältnisse, wo es lediglich um die Beziehung zwischen einer Behörde und dem durch den Verwaltungsakt Betroffenen geht. Dort mag der Widerspruchsbehörde auch im Falle eines verfristeten Widerspruchs eine Sachentscheidungskompetenz zustehen (vgl. zum Meinungsstand Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 70 Rdnr. 9). Bei der hier streitigen Baugenehmigung geht es jedoch um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, die den Kläger begünstigt und die Beigeladene belastet. Wenn eine Baugenehmigung nicht innerhalb der Frist des § 70 VwGO angefochten wird, erlangt sie Unanfechtbarkeit und erwächst in Bestandskraft. Diese vermittelt dem durch die Genehmigung Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition, die nur dann entzogen werden darf, wenn hierfür eine besondere Ermächtigungsgrundlage besteht. Die Widerspruchsvorschriften in den §§ 68 ff. VwGO enthalten eine solche Ermächtigungsgrundlage nicht. Eine Befugnis ergibt sich auch nicht aus der Rücknahmeregel in § 50 VwVfG; diese setzt nämlich voraus, dass der Widerspruch zulässig ist. Eine Widerspruchsbehörde darf daher über den gegen eine Baugenehmigung nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingelegten Nachbarwiderspruch nicht mehr sachlich entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.08.1982 – 4 C 42/79 –, NVwZ 1983, 285).

22

Der von der Beigeladenen am 17. Mai 2010 eingelegte Widerspruch ist wegen Fristversäumnis unzulässig. Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde:

23

Die Baugenehmigung vom 10. Dezember 2007 ist – ebenso wie der Bauvorbescheid vom 21. Juni 2007 – der Beigeladenen weder zugestellt noch sonst bekanntgegeben worden. Daher lief ihr gegenüber nicht in unmittelbarer Anwendung der §§ 57, 58 und 70 VwGO eine Frist für die Einlegung des Widerspruchs. Etwas anderes ergibt sich jedoch aus den Grundsätzen von Treu und Glauben. Hiergegen hat die Beigeladene dadurch verstoßen, dass sie erst rund zwei Jahre nach dem Beginn der Bauarbeiten bzw. dem Ende der Fertigstellung des Kellergeschosses Widerspruch einlegte. Das Recht eines Nachbarn, sich gegen ein Bauvorhaben zu wenden, kann nicht nur in materiell-rechtlicher Hinsicht verwirkt werden, sondern auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Aufgrund des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist regelmäßig auf eine sich an § 70 Abs. 1 Satz 1, § 58 Abs. 2 VwGO orientierende Jahresfrist abzustellen (vgl. BVerwGE 44, 294). Hierbei geht es einmal um die Fallgestaltung, dass der Grenznachbar von der erteilten Baugenehmigung, obschon sie ihm nicht amtlich bekanntgegeben worden ist, auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt hat. Dann muss er sich in aller Regel nach Treu und Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekanntgegeben worden. Daneben gibt es die Fallgestaltung, dass der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber – etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde – Gewissheit zu verschaffen. Dann läuft für ihn die Frist des § 70 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des Widerspruchs von dem Zeitpunkt ab, in dem er zuverlässige Kenntnis von der Genehmigung hätte erlangen müssen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 22.01.2004 – 1 A 10989/03.OVG – und 20.05.1999 – 1 A 12573/98.OVG –).

24

Hier kann offenbleiben, ob die Beigeladene zuverlässige Kenntnis vom Inhalt der dem Kläger erteilten Baugenehmigung bereits im Jahre 2008 erlangt hatte. Insbesondere kommt es auch nicht darauf an, ob ihr Bruder bevollmächtigt war und eine von ihm möglicherweise erlangte Kenntnis der Beigeladenen zugerechnet werden müsste. Denn der Beigeladenen selbst hätte sich spätestens nach Fertigstellung der Arbeiten am Kellergeschoss, etwa Mitte 2008, das Vorliegen einer Baugenehmigung für ein größeres Gebäude als das bisher errichtete Geschoss aufdrängen müssen.

25

Das Kellergeschoss erstreckt sich – etwas zurückgesetzt von der M.-Straße – entlang der gesamten gemeinsamen Grundstücksgrenze zur Beigeladenen bis an das Ende der Parzelle 28. Damit war das Vorhaben hinsichtlich seiner nachbarliche Interessen berührenden Bautiefe erkennbar. Die Beigeladene konnte ersehen, dass – von einem Teilstück an der nördlichen Grundstücksseite zur M.-Straße hin abgesehen – an der gesamten Ostseite ihres Grundstücks ein Bauvorhaben errichtet wurde, das die Bebauungstiefe ihrer Parzelle deutlich überschreitet. Lediglich auf einer Länge von ca. 7,50 m im Bereich der M.-Straße decken sich ihr Wohnhaus und das Vorhaben des Klägers, das sich darüberhinaus auf einer Länge von rd. 15 m nach Süden hin am unbebauten Teil der Parzelle 27 entlang grenzständig erstreckt. Bereits dieses Anfang 2008 errichtete Kellerbauwerk musste der Beigeladenen Anlass geben, sich über das vom Kläger beabsichtigte Gesamtvorhaben, insbesondere über das Maß der Bebauung, näher zu informieren. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung ist ein Bauvorhaben mit der Errichtung des Kellers typischerweise nicht beendet, sondern erst begonnen. Im Anschluss an den Bau eines Kellergeschosses muss regelmäßig mit weiteren Aufbauten gerechnet werden. Ob diese tatsächlich genehmigt sind, in welchem Umfang dies der Fall ist oder ob es beim Kellergeschoss bleibt, hat der Nachbar nach den Grundsätzen von Treu und Glauben letztlich bei der Baubehörde zu erfragen.

26

Auch wenn der Kläger als Bauherr selbst ihr keine detaillierte Auskunft gegeben haben sollte, was offenbleiben kann, so war die Beigeladene mithin gehalten, sich an die zuständige Baubehörde zu wenden. Aufgrund des an der Baustelle gemäß § 53 Abs. 3 LBauO angebrachten Bauschildes (sogenannter Roter Punkt) hätte Anlass bestanden, sich darüber zu informieren, ob der Beklagte eine Baugenehmigung für mehr als ein Kellergeschoss erteilt hatte. Diese Erkundigungspflicht gilt unabhängig davon, dass die Beigeladene – ob zu Recht oder zu Unrecht – nicht am Baugenehmigungsverfahren beteiligt worden war. Denn die Nichtbeteiligung setzt den für den Lauf der Widerspruchsfrist maßgeblichen Grundsatz von Treu und Glauben unter Nachbarn nicht außer Kraft.

27

Ohne Erfolg beruft sich die Beigeladene darauf, dass der Vater des Klägers in den 90er Jahren in der M.-Straße ein Bauvorhaben errichtet hat, das sich auf einen „Keller“ beschränkte. Hieraus erwächst keinerlei Vertrauenstatbestand in dem Sinne, dass auch der Kläger ein vergleichbares Vorhaben errichten würde. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein Winzer lediglich kellergeschossige Gebäude errichten würde. Im Gegenteil zeigen bereits die Bauunterlagen betreffend das Vorhaben des Vaters des Klägers (CL 174/91), dass schon damals an ein höheres Bauwerk gedacht wurde. In den Plänen findet sich skizziert der Umriss eines aufstehenden Gebäudes mit dem Vermerk „spätere Aufbaumöglichkeit“. Wenn lediglich ein Kellergeschoss errichtet wird, so ist regelmäßig mit weiteren Aufbauten zu rechnen.

28

Schließlich ist nichts dafür vorgetragen oder nach Aktenlage ersichtlich, dass der Beigeladenen eine Nachfrage bei der Baubehörde unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre.

29

Die Beigeladene hätte daher spätestens Mitte 2008 von der dem Kläger erteilten Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis erlangen können und müssen, so dass die Widerspruchsfrist spätestens Mitte 2009 ablief und der im Mai 2010 eingelegte Widerspruch wegen Ablaufs der Jahresfrist verspätet war. Damit kann offenbleiben, ob die dem Kläger erteilte Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist und gegen Nachbarrechte der Beigeladenen verstößt.

30

Über die Aufhebung des Widerspruchsbescheides im tenorierten Umfang hinaus war nicht noch der Widerspruch der Beigeladenen zurückzuweisen. Dem steht zum einen die ausdrückliche Antragstellung des Klägers entgegen, an die das Gericht nach § 88 VwGO gebunden ist. Zum anderen stellt der Widerspruch einen bei der Verwaltung eingelegten Rechtsbehelf dar, der von dieser zu bescheiden ist. Gemäß § 121 VwGO folgt aus der Rechtskraft des den Widerspruchbescheid aufhebenden Urteils allerdings, dass die Widerspruchsbehörde einen inhaltsgleichen Widerspruchsbescheid nicht mehr erlassen darf. Damit ist dem Rechtsschutz des durch den Widerspruchsbescheid beschwerten Bürgers ausreichend entsprochen. Die Zurückweisung des Widerspruchs käme einem Verwaltungshandeln gleich, das in der Prozessordnung nicht vorgesehen ist und daher dem Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2, Abs. 3 GG widersprechen würde. Sie ist auch nicht aus Gründen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG geboten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.05.2001 – 8 A 10085/01.OVG –).

31

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 und § 162 Abs. 3 VwGO.

32

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO, § 709 ZPO.

33

Beschluss

34

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.000 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

35

Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit derBeschwerde angefochten werden.

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(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende F

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Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,1.die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und2.im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

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(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.

(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.

§ 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 4 sowie § 49 Abs. 2 bis 4 und 6 gelten nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch oder der Klage abgeholfen wird.

(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit der Eröffnung oder Verkündung.

(2) Für die Fristen gelten die Vorschriften der §§ 222, 224 Abs. 2 und 3, §§ 225 und 226 der Zivilprozeßordnung.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.

(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.

(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.