Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 05. Juni 2018 - 17 K 1823/18
Gericht
Tenor
Es wird festgestellt, dass die am 8.7.2017 gegen 17:00 Uhr verfügte und am 9.7.2017 um 17:50 Uhr beendete Ingewahrsamnahme des Klägers rechtswidrig war.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner am 8.7.2017 angeordneten und am 9.7.2017 beendeten Ingewahrsamnahme.
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Am 7. und 8.7.2017 richtete die Bundesrepublik Deutschland in Hamburg den sog. G20 Gipfel, ein Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs von 20 bedeutenden Industrie- und Schwellenländern, in Hamburg aus. Dieses Ereignis hatte eine Vielzahl von kritischen Veranstaltungen hervorgerufen, neben friedlich verlaufenen Versammlungen und Aufzügen auch solche, die einen gewalttätigen und unfriedlichen Verlauf genommen hatten. Insbesondere hatten in den frühen Morgenstunden des 7.7.2017 in der Art von Einsatzkommandos organisierte vermummte Personen im Ortsteil Ottensen zahlreiche Fahrzeuge in Brand gesteckt und in ganzen Straßenzügen Fensterscheiben von Banken und Geschäften eingeschlagen. In der Nacht auf den 8.7.2017 war es im Bereich der Sternschanze zu schweren Krawallen und Plünderungen gekommen. Dabei hatte die Polizei zeitweise die Kontrolle über das Viertel verloren. Die Polizei machte für jene Vorfälle insbesondere aus dem Ausland eingereiste „Autonome“ verantwortlich.
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Der polizeilich in Berlin gemeldete Kläger befand sich zusammen mit einer Gruppe von 14 anderen italienischen Staatsangehörigen, darunter einem Mitglied des Parlaments der Europäischen Union, am 8.7.2017 gegen 16:00 Uhr im Kreuzungsbereich Holstenwall/Ludwig-Erhard-Straße. Im Umfeld des Millerntors fand zur gleichen Zeit die Abschlussveranstaltung einer von mehreren 10.000 Teilnehmern besuchten Versammlung statt, welche von einem Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke unter dem Titel „Grenzenlose Solidarität statt G20“ angemeldet worden war. Die bis in die Abendstunden des 8.7.2017 andauernde Versammlung verlief friedlich.
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Am 8.7.2017 gegen 16:00 Uhr übermittelte die Dienststelle LKA 7 der Beklagten unter der Überschrift „Auftrag zur offensiven Überprüfung italienischer Staatsangehöriger“ folgende Mitteilung an die eingesetzten Polizeikräfte:
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„Aufgrund gesicherter Erkenntnisse, dass angereiste italienische Staatsangehörige sich für den heutigen Tag zur Begehung schwerer Straftaten im Hamburger Stadtgebiet verabredet haben, werden die eingesetzten Kräfte gebeten um 1. offensive Feststellung der Identität von Personen im Umfeld der demonstrativen Ereignisse gegen den G20 Gipfel, bei denen Hinweise vorliegen, dass es sich um Italiener handelt sowie 2. Mitteilung der festgestellten Personalien über den UA-Entscheider“.
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Kurz nach 16:00 Uhr fiel einem im Bereich der Abschlusskundgebung eingesetzten Polizeibeamten, Herrn A., Zugführer in der von dem Zeugen B. geführten Hundertschaft, die italienisch sprechende Gruppe auf, in welcher sich der Kläger befand. Herr A. leitete die von einer Umschließung der Gruppe durch Polizeibeamte begleitete Überprüfung der Gruppe ein. Dieses polizeiliche Vorgehen war von der Bühne der Abschlussveranstaltung aus bemerkt und kritisch kommentiert worden. Als sich daraufhin eine zunehmende Zahl von Versammlungsteilnehmern ostentativ ablehnend zu diesem Vorgehen zu verhalten begann, ordnete der Zeuge B., der kurz zuvor die oben genannte Mitteilung über Funk empfangen hatte, die Ingewahrsamnahme des Klägers und der übrigen angetroffenen italienischen Staatsangehörigen an. Den Betroffenen wurde auf Englisch mitgeteilt, sie seien „under arrest“. Sie wurden mit Transportfahrzeugen über verschiedene Stationen in die „Gefangenensammelstelle“ in Hamburg-Harburg verbracht, welche gegen 19:40 Uhr erreicht wurde. Hier musste sich der Kläger entkleiden, er wurde durchsucht, angehört und in einer Zelle eingeschlossen. Bei der Eingabe der Personalien des Klägers in polizeiliche Auskunftssysteme wurde festgestellt, dass gegen ihn wegen einer „Blockupy“-Aktion im August 2016 in Berlin Strafantrag wegen Hausfriedenbruchs gestellt worden war. Zu einem Strafverfahren war es nicht gekommen. Ansonsten lagen gegen den Kläger und gegen die sonstigen Angehörigen aus jener Gruppe keine polizeilichen Erkenntnisse vor.
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In den frühen Morgenstunden des 9.7.2017 stellte die Beklagte bei der für die Gefangenensammelstelle zuständigen Haftabteilung des Amtsgerichts Hamburg den Antrag, die Fortdauer der Freiheitsentziehung des Klägers bis zum 10.7.2017 6:00 Uhr richterlich anzuordnen. Zur Begründung wurde auf die gewaltsam verlaufenden Auseinandersetzungen sowie auf vorliegende Erkenntnisse verwiesen, wonach italienische Staatsangehörige Straftaten erheblichen Ausmaßes planen würden. Bei der Überprüfung des Klägers und seiner Gruppe seien umfangreiche schwarze Wechselkleidung und Regenkleidung zum Schutz vor dem Einsatz von Wasserwerfern festgestellt worden. Die Beteiligten hätten diverses Kartenmaterial von Hamburg mit den Sicherheitszonen des Messegeländes sowie Aktionskarten zum Block G20 mit Anlaufstellen bei sich gehabt. Weiterhin hätten sich einzelne Teilnehmer Telefonnummern des anwaltlichen Notdienstes auf die Arme geschrieben.
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Nach den von der Beklagten vorgelegten Einsatzunterlagen wurden beim Kläger eine schwarze Regenjacke sowie ein schwarzer „Bauchbeutel“ festgestellt.
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Eine Entscheidung des Amtsgerichts über den Antrag erging nicht.
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Der Kläger wurde am 9.7.2017 um 17:50 Uhr entlassen.
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Mit seiner am 16.11.2017 erhobenen Klage beanstandet der Kläger das polizeiliche Vorgehen. Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme hätten nicht vorgelegen. Diese Maßnahme habe sich nicht, wie von § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG gefordert, als unerlässlich dargestellt, um die unmittelbar bevorstehende Begehung und Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern. Konkrete Tatsachen, die eine solche Annahme hätten begründen können, hätten nicht vorgelegen. Alleiniger Grund für die Ingewahrsamnahme sei offensichtlich das Führen von Gesprächen in italienischer Sprache gewesen. Der Beklagten hätten keinerlei Erkenntnisse darüber vorgelegen, dass sich der Kläger oder andere Mitglieder der Personengruppe an dem Geschehen am Morgen des 7.7.2017 im Ortsteil Ottensen oder an den Ausschreitungen in der Nacht vom 7. auf den 8.7.2017 im Schanzenviertel beteiligt hätten. Die Teilnehmer dieser Personengruppe hätten keinerlei Gegenstände, die zur Begehung von Straftaten geeignet gewesen seien könnten, mit sich geführt. Den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen lasse sich entnehmen, dass die handelnden Beamten gar nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Begehung von Straftaten ausgegangen seien. Es seien seitens der eingesetzten Beamten keine Versuche unternommen worden, angeblichen Gefahren durch mildere Mittel, wie etwa Aufenthaltsverboten oder Platzverweisen, zu begegnen. Die Ingewahrsamnahme sei ferner rechtswidrig gewesen, weil nicht die nach dem Gesetz erforderliche unverzügliche richterliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit und Fortdauer herbeigeführt worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass seine am 8.7.2017 gegen 17:00 Uhr verfügte und am 9.7.2017 um 17:50 Uhr beendete Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie wendet ein, die beanstandeten Maßnahmen hätten auf Erkenntnissen über die hohe Bereitschaft zur Durchführung militanter Aktionen der linksextremistischen/autonomen Szene beruht. Danach seien die Brandstiftungen und Sachbeschädigungen am Morgen des 7.7.2017 von Italienern, mutmaßlich Angehörigen der äußerst militanten Gruppe „Autonomia Diffusa“, verübt worden. Bei den Vorfällen in der Nacht vom 7. auf den 8.7.2017 in der Sternschanze seien maßgeblich italienische Staatsangehörige beteiligt gewesen. Es hätten zudem Erkenntnisse vorgelegen, dass italienische Staatsangehörige Wurfgegenstände an verschiedenen Standorten deponiert hätten und Pyrotechnik sowie passive Schutzausrüstung mit sich führten. Es habe davon ausgegangen werden müssen, dass es nach dem Aufzug am 8.7.2017 erneut zu Auseinandersetzungen mit Polizeikräften kommen werde. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hätten gerade italienische Staatsangehörige solche Auseinandersetzungen gesucht. Bei der Überprüfung des Klägers und der anderen in Gewahrsam genommenen Personen sei schwarze Wechselbekleidung gefunden worden. Dies sowie die vorgefundenen Aktionskarten und Hinweiszettel zum Umgang mit polizeilichem Zwang hätten die vorgenannte Annahme bestätigt. Den genannten polizeilichen Erkenntnissen in Gestalt eines „Behördenzeugnisses“ sei eine große Aussagekraft zu unterstellen. Die handelnden Polizeibeamten hätten zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme davon ausgehen dürfen, dass Straftaten des Klägers von erheblichem Gewicht unmittelbar bevorstünden. Von dem äußersten Erfordernis der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit könne je nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und der Schwere der Straftat abgesehen werden. Nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken seien an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der zu erwartenden Schaden sei. Im Hinblick auf die seinerzeit vorliegenden Erkenntnisse zu von italienischen Staatsangehörigen verübten und zu erwartenden Taten und wegen von den Mitgliedern der Gruppe mitgeführter schwarzer Wechselbekleidung, des Kartenmaterials, der Hinweise zum Umgang mit polizeilichem Zwang, der von zahlreichen Mitgliedern auf die Unterarme geschriebenen Nummer des anwaltlichen Notdienstes sowie wasserfest verpackter Ausweispapiere seien erhebliche Schäden und Gefahren für Leib, Leben und Eigentum Dritter zu befürchten gewesen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts seien deshalb auch nur geringe Anforderungen zu stellen gewesen.
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Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.
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Bezug genommen wird ferner auf die von der Beklagten zur Akte gereichten Sachvorgänge.
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Die Kammer hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 18.4.2018 über die Voraussetzungen und den Hergang der Ingewahrsamnahme des Klägers und der anderen betroffenen Personen Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C. und B. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).
I.
- 21
Die Klage ist zulässig.
1.
- 22
Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
- 23
Streitgegenständlich ist eine zur Gefahrenabwehr getroffene polizeiliche Maßnahme. Damit liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. Die Befugnisnormen für das Tätigwerden der Beklagten ergeben sich aus dem Landesrecht, nämlich dem Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 14.3.1966 (HmbGVBl. S. 77 –m. spät. Änd.) (SOG). Eine Zuweisung an ein anderes Gericht durch Landesrecht, wie von § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO ermöglicht, ist nicht erfolgt. Zwar ordnet § 13a Abs. 2 Satz 1 SOG die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg für richterliche Entscheidungen über Ingewahrsamnahmen an. Indes bleibt es gemäß § 13a Abs. 2 Satz 4 SOG für die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.
2.
- 25
a. Die sog. Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, ist hingegen nicht eröffnet.
- 26
Diese Klage setzt voraus, dass ein Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage angegriffen worden war und dieser sich nach Klagerhebung erledigt hat. Hier fehlt es an beiden Voraussetzungen. Die Ingewahrsamnahme nach § 13 SOG ist kein Verwaltungsakt. Sie ergeht nicht im Sinne von § 35 Satz 1 HmbVwVfG zur Regelung eines Einzelfalls. Sie stellt sich vielmehr als Realakt, genauer als eine in zeitlicher Folge ergehende Vielzahl von Realakten, dar, die bewirken, dass der betroffenen Person die Freiheit, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen, genommen wird. § 13 SOG ist somit nicht auf die Bewirkung von Rechtsfolgen, sondern einzig auf den tatsächlichen Erfolg, den Gewahrsam über die betroffene Person zu erlangen, gerichtet (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 15.9.2014 – 2 K 2225/14 – juris Rn 4; a.A., die Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage bejahend, etwa VG Neustadt (Weinstraße), Urt. v. 6.9.2017 – 5 K 783/16.NW – juris Rn 27). Wenn, wie vorliegend durch den Zeugen B., die Ingewahrsamnahme zuvor ausdrücklich angeordnet worden ist, liegt hierin ebenfalls kein Verwaltungsakt. Diese Erklärung ist nicht auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet, sondern ist als innerbehördliche Weisung an die handelnden Polizeibediensteten – hier Herrn A. und die ihm zugeordneten Polizeibeamten – gerichtet (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 15.9.2014, ebenda).
- 27
Neben der fehlenden Verwaltungsaktqualität der Ingewahrsamnahme scheitert die Anwendung der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO daran, dass sich die Maßnahme bereits vor Klagerhebung und nicht erst im Laufe des Rechtsstreits erledigt hatte. Die von Teilen der Rechtsprechung bejahte Möglichkeit einer analogen Anwendung der Bestimmung (etwa VG Neustadt, Urt. v. 6.9.2017, ebenda) ist nicht eröffnet, weil es an der hierfür vorauszusetzenden planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes fehlt. Eine Regelungslücke könnte allenfalls im Hinblick auf den ansonsten nicht gegebenen effektiven Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG, bejaht werden. Das kann indes nicht angenommen werden, weil die (allgemeine) Feststellungsklage nach § 43 VwGO den Rechtsschutz gegen vorprozessual erledigte Maßnahmen von Trägern hoheitlicher Gewalt ermöglicht.
- 28
b. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Feststellungsklage sind erfüllt.
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Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. So verhält es sich hier.
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aa. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist gegeben. Hierunter sind nach allgemeiner Auffassung diejenigen rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen unter-einander, unter Umständen auch in Bezug auf eine Sache, ergeben (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 29.4.2015 – 17 K 1672/13 – juris Rn 65 m.w.Nw.). Es steht außer Frage, dass durch die Ingewahrsamnahme nach § 13 SOG, einer Norm des öffentlichen Rechts, ein Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten als Rechtsträgerin der Polizei und dem in Gewahrsam genommenen Kläger begründet worden ist. Das Begehren des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festzustellen, ist der Sache nach darauf gerichtet, das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme und damit das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 2. Alternative VwGO festzustellen.
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bb. An dieser Feststellung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse. Zwar bezieht sich die Klage auf ein vergangenes Rechtsverhältnis, doch ist ein solches Rechtsschutzbegehren nach allgemeiner Auffassung zulässig, sofern ein Rechtsschutzbedürfnis in Gestalt eines Feststellungsinteresses fortbesteht (VG Hamburg, Urt. v. 20.10.2011 – 17 K 3395/08 – juris Rn 20). Ein derartiges fortwährendes Bedürfnis ist in Fällen in der Vergangenheit liegender gewichtiger Grundrechtseingriffe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets anzuerkennen. Ein anderes Verständnis wäre mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar (vgl. OVG Hamburg, Urt. vom 4.6.2009 – 4 Bf 213/07 – juris Rn. 33 m. Nw. der verfassungsger. Rspr.) Eine Freiheitsentziehung ist ein schwerwiegender Grundrechtseingriff. Er muss insbesondere dann zur gerichtlichen Kontrolle gestellt werden können, wenn die gemäß Art. 104 Abs. 2 Sätze 1 u. 2 GG (sowie § 13a Abs. 1 Satz 1 SOG) grundsätzlich verpflichtend vorgesehene richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit oder Fortdauer der Freiheitsentziehung unterblieben ist.
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cc. Die in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelte Nachrangigkeit der Feststellungsklage steht ebenfalls nicht entgegen, weil der Kläger seine Rechte ersichtlich weder durch Gestaltungs- noch durch Leistungsklage verfolgen könnte.
II.
- 33
Die Klage ist begründet. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme des Klägers am 8./9.7.2017 lagen nicht vor. Die Maßnahme war daher rechtswidrig.
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Die Voraussetzungen für die polizeiliche Ingewahrsamnahme sind gesetzlich in § 13 SOG bestimmt. Vorliegend kommt einzig der in § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG geregelte Verhinderungs- oder Unterbindungsgewahrsam in Betracht. Danach darf eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn diese Maßnahme unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern.
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Die auf der genannten rechtlichen Grundlage erfolgte Ingewahrsamnahme des Klägers war hier bereits deshalb rechtswidrig, weil der Anwendungsbereich des Polizei- und Ordnungsrechts durch höherrangiges Recht verschlossen war (1.). Zudem waren die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG nicht erfüllt (2.). Schließlich ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme noch aus der von der Beklagten nicht unverzüglich eingeholten richterlichen Entscheidung über die Freiheitsentziehung (3.).
1.
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Die Beklagte durfte gegen den Kläger nicht nach Maßgabe des Polizeirechts vorgehen, weil er unter dem Schutz des durch die Verfassung gewährleisteten Versammlungsrechts stand. In diesen Schutzbereich durfte die Beklagte nicht unter Berufung auf das allgemeine Polizeirecht eingreifen.
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a. Der Kläger war Grundrechtsträger (aa) und stand zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG (bb).
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aa. Es spricht viel dafür, den Kläger als Träger des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG anzusehen.
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Danach haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Zwar ist der Kläger kein Deutscher im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG. Doch dürfte ihm gleichwohl der durch Art. 8 GG vermittelte Schutz zustehen. Ein anderes Rechtsverständnis würde dem in Art. 18 Satz 1 AEUV geregelten europarechtlichen Diskriminierungsverbot in Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit widersprechen. Hierin läge zugleich eine Kollision mit der „europafreundlichen“ Ausrichtung des Grundgesetzes. Die Präambel des Grundgesetzes sowie Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG öffnen die deutsche Verfassung in Richtung auf ein vereintes Europa. Dies ist nicht nur eine programmatische Aussage, sondern zugleich der Auftrag an alle der Rechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG unterliegenden Stellen, das Recht so zu fassen, auszulegen und anzuwenden, dass es mit diesem verfassungsrechtlichen Ansatz sowie dem positiven Recht der Europäischen Union in Einklang steht (vgl. etwa Jarras in Jarras/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 23 Rn 13). Dies dürfte konkret bedeuten, dass die nach dem Wortlaut der Verfassung allein Deutschen vorbehaltenen Grundrechte auf die Bürger anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union jedenfalls dann unmittelbar anzuwenden sind, wenn das europäische Recht, wie vorliegend der Fall, eine Diskriminierung ver- und damit eine Gleichbehandlung gebietet.
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bb. Dies muss indes nicht abschließend entschieden werden. Denn nach unbestrittener Auffassung steht den Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten insoweit jedenfalls das „Auffanggrundrecht“ aus Art. 2 Abs 1 GG zu (vgl. etwa Höfling in Sachs, Grundgesetz. 6. Aufl. 2011, Art. 8 Rn. 46). Der Verweis auf den bloßen Schutz durch das einfache Recht (Höfling, a.a.O. Rn 46a) wird dem hohen Rang der Rechtsgemeinschaft der die Europäische Union bildenden Mitgliedstaaten und dem Auftrag des Grundgesetzes, auf ein vereintes Europa hinzuwirken, zwar schwerlich gerecht (vgl. Jarras, a.a.O. Art 19 Rn 12). Doch ist die Frage der verfassungsrechtlichen Anbindung des auch den Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zustehenden Rechts auf Versammlungsfreiheit dann rein verfassungsdogmatischer Natur, wenn sie als solche – und sei es unter Verweis auf Art. 2 Abs. 1 GG – bejaht wird.
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cc. Der Kläger stand als Grundrechtsträger konkret unter dem Schutz des Grundrechtes, weil er zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme friedlich und ohne Waffen an einer ebensolchen Versammlung teilnahm.
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Dass die unter dem Motto „Grenzenlose Solidarität statt G20“ stehende Versammlung am 8.7.2017 die genannten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllte, nämlich friedlich und unbewaffnet verlief, ist unbestritten. Auch der Kläger verhielt sich zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme friedlich, und er war unbewaffnet. Es entspricht gefestigter verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass unter den genannten Voraussetzungen ein Versammlungsteilnehmer grundsätzlich keinen staatlichen Maßnahmen unterworfen werden darf, welche, wie ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme, seine Teilnahme an einer Versammlung beenden (vgl. etwas BVerfG, Beschl. v. 30.4.2007 – 1 BvR 1090/06 – Rn 40; VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986 – 12 VG 2442/86 – NVwZ 87, 829, 831 f.; VG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.2010 – 18 K 3033/09 – juris Rn 64). Mit dieser „Polizeifestigkeit“ der Versammlungen wird der großen Bedeutung des Versammlungsrechts, das für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend ist (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226, zit. n. juris Rn 63), Rechnung getragen. Daher muss der Staat und muss die Polizei als prägnanteste Erscheinungsform der staatlichen Exekutive die Versammlungsfreiheit nicht nur ertragen, sondern aktiv Vorsorge dafür treffen, dass die Bürger das ihnen durch die Verfassung gewährte Recht, durch „die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen (...) ihren Standpunkt“ zu dokumentieren (BVerfG, Urt. v. 2.2.2011, ebenda), optimal verwirklichen können. Dies schließt es aus, gegen einzelne Versammlungsteilnehmer, die, wie der Kläger, friedlich und unbewaffnet sind, auf polizeirechtlicher Grundlage vorzugehen, solange nicht die Versammlung als solche aufgelöst oder der betroffene Teilnehmer ausdrücklich von ihr ausgeschlossen worden ist (BVerfG, Beschl. v. 30.4.2007, a.a.O. Rn 40).
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(1) Diese Schutzwirkung der Versammlungsfreiheit kam dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme zu. Dass er zunächst – ebenso wie die anderen ebenfalls in Gewahrsam genommenen Mitglieder der Gruppe – Teilnehmer an der besagten Versammlung gewesen war, steht außer Frage und muss nicht näher dargelegt werden. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung ist diese Schutzwirkung auch nicht etwa dadurch erloschen, dass sich der Kläger aus der Versammlung herausbegeben hätte.
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Grundsätzlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG weit zu fassen. Er erstreckt sich auf den gesamten Vorgang des Sich – Versammelns. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass er namentlich den Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung umfasst (BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991 – 1 BvR 772/90 – BVerfGE 84, 203 zit. n. juris Rn 16). Ob der grundrechtliche Schutz auch die gesamte Phase des Abzugs von einer Versammlung umfasst (so VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986 a.a.O.), bedarf keiner näheren Erörterung. Denn der Kläger und die mit ihm in Gewahrsam genommenen Landsleute hatten nach ihrem nach außen hin erkennbaren Verhalten jene Versammlung keineswegs verlassen. Das galt zum einen in rein räumlicher Hinsicht. Sie hatten sich, wie allein die Ansprache von der Bühne auf ihre Absonderung durch die Polizeibeamten und die sich daraufhin ereignende Formierung anderer Versammlungsteilnehmer belegt, keineswegs so weit von der eigentlichen Versammlung entfernt, dass dies als definitive Beendigung der Versammlungsteilnahme zu deuten gewesen wäre. Ein solches Verständnis ihres Verhaltens lag auch deshalb fern, weil sehr große, von zehntausenden von Menschen besuchte und gebildete Versammlungen einen gleichsam pulsierenden Charakter haben. Sie sind durch zahllose Hin- und Wegbewegungen einzelner Teilnehmer gekennzeichnet, die etwa dadurch hervorgerufen werden, dass bestimmten Grundbedürfnissen wie Essen und Trinken oder Verrichtung der Notdurft nachgekommen oder einfach eine Phase der Erholung eingeschaltet wird. Es würde das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG aushöhlen, wenn man seinen Schutz Personen, die sich im Umfeld einer Versammlung derart bewegen, versagen würde. Insofern sprach bei objektiver Betrachtung nichts für die Annahme, der Kläger und die übrigen Mitglieder der Gruppe hätten die Versammlung seinerzeit etwa endgültig verlassen. Die tätig gewordenen Beamten hätten bei der gebotenen versammlungsfreundlichen Betrachtung vielmehr von einer allenfalls kurzfristigen Absonderung des Klägers von der Versammlung und der beabsichtigten oder zumindest vorbehaltenen Rückkehr zu ihr auszugehen gehabt. Ob die in Gewahrsam genommene Gruppe ihrerseits als den Grundrechtsschutz aus Art. 8 GG genießende Versammlung anzusehen gewesen wäre, muss daher nicht vertieft erörtert werden.
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(2) Der versammlungsrechtliche Schutz des Klägers war auch nicht etwa dadurch erloschen, dass er durch die an der Ingewahrsamnahme beteiligten Polizisten von der Versammlung ausgeschlossen worden wäre.
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Die Möglichkeit eines solchen Ausschlusses ist in § 18 Abs. 3 VersammlG geregelt, wonach die Polizei Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen kann. Hier lagen offenkundig bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein solches Vorgehen nicht vor, weil der Kläger ebenso wenig wie seine Landsleute im vorgenannten Sinne als Störer der Versammlung in Erscheinung getreten war. Die eingesetzten Polizeibeamten haben zudem keine Erklärung abgegeben, die als Ausschluss von der Versammlung zu bewerten gewesen wäre. Wegen der mit einem solchen Ausschluss verbundenen erheblichen Rechtswirkungen sind an seine Klarheit und Verständlichkeit große Anforderungen zu stellen. Die Beklagte behauptet nicht, dass eine derartige Erklärung seinerzeit ausdrücklich abgegeben worden wäre. Es kann in ihr Tätigwerden auch keineswegs ein solcher Ausschluss hineingedeutet werden. Zwar hatten die Beamten, wie der Zeuge B. bekundet hat, den Kläger und seine Landsleute umstellt. Diese Abschließung kann jedoch nicht als konkludenter Ausschluss aus der Versammlung gesehen werden. Ein derartiger Erklärungsinhalt wäre für den Kläger nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit erkennbar gewesen (vgl. a. VG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.2010 -18 K 3033/09 – juris Rn. 61; VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986, a.a.O.). Zudem wollte die Beklagte eine solche Erklärung gar nicht abgeben. Dies wäre aus ihrer Sicht bereits deshalb unnötig gewesen, weil sie den Kläger gar nicht mehr als Versammlungsteilnehmer ansah.
2.
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Unabhängig davon, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers bereits wegen der Schutzwirkungen des Grundrechts (aus Art. 8 Abs. 1 oder aus Art. 2 Abs. 1 GG) rechtswidrig war, waren zudem die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG nicht erfüllt.
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a. Bei der gerichtlichen Bewertung ist auf den Zeitpunkt des konkreten polizeilichen Tätigwerdens abzustellen (ex-ante-Betrachtung). Dabei kommt der Beklagten bei der Frage, ob die Ingewahrsamnahme des Klägers unerlässlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern, kein Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr unterliegt dies in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Es ist Sache des angerufenen Gerichts, die erforderliche Bewertung im Rahmen der uneingeschränkten Überprüfung der Rechtsanwendung der Behörden zu treffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.4.2017 – 2 BvR 1754/14 – juris Rn 46). Die dem Gericht somit obliegende Überprüfung führt zu der zwingenden Erkenntnis, dass die Beklagte die Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme des Klägers zu Unrecht bejaht hat.
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b. Die Annahme, eine Ingewahrsamnahme sei gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern, setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der gleichlautenden Bestimmung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG voraus, dass im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme begründeten, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde (BVerfG, Beschl. v. 20.4.2017, ebenda). Solche Tatsachen existierten in Bezug auf den Kläger nicht. Sie lagen weder in Gestalt unmittelbarer Tatsachen noch in Form indizieller Tatsachen (vgl. hierzu eingehend VGH Kassel, Beschl. v. 1.2.2017 – 8 A 2105/14.Z – juris Rn. 49 ff.) vor.
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aa. Zu Unrecht misst die Beklagte dabei den ihr vorliegenden und dem Gericht vorgelegten allgemeinen Erkenntnissen über gewalttätige Ausschreitungen beim G20 Gipfel, die insbesondere belegten, dass die Gewalttaten am Morgen des 7.7. und in der folgenden Nacht maßgeblich hochorganisierten militanten Gruppen italienischer Staatsangehöriger anzulasten seien, die Qualität von Tatsachen zu. Tatsachen sind dem Beweise zugängliche Erscheinungen der Außenwelt, die unmittelbar oder mittelbar Rückschlüsse auf bestimmte Einstellungen oder Geschehnisse zulassen. Die in Rede stehenden Erkenntnisse der Beklagten erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Sie sind bereits keine Erscheinung der Außenwelt, sondern sind von der Beklagten „in die Welt gesetzt“. Sie geben auch keine Tatsachen wieder. Vielmehr erschöpfen sie sich in allgemeinen Bewertungen, die, wie der Zeuge C. erklärt hat, ausschließlich auf Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz beruhten. Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz sind typischerweise unkonkret und in ihrem sachlichen Gehalt nicht überprüfbar. Sie stellen die Wiedergabe bestimmter Inhalte dar, die von unbenannten Informanten und aus sonstigen Quellen, die nicht offengelegt werden (können), stammen. In diese Wiedergabe fließen auf nicht rekonstruierbare Weise eigene Einschätzungen und Bewertungen des Amtes ein. Solche Berichte sind daher auch nicht dem Beweis zugänglich. Wollte man sie als Tatsachengrundlage für den weitreichenden Freiheitseingriff der Ingewahrsamnahme ausreichen lassen, stünde es letzten Endes zur Disposition der Polizei bzw. der Exekutive, die Voraussetzungen für ihr Tätigwerden selbst zu schaffen. Sie entschiede derart ohne Bindung an gesetzliche Vorgaben über die Grenzen der Freiheit des Bürgers, indem sie sich die Maßstäbe dafür selbst zurechtlegte (vgl. a. OVG Hamburg, Urt. v. 4.6.2009 – 4 Bf 213/07 – juris Rn 57).
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Derartige Informationen gewinnen keineswegs dadurch an sachlichem Gehalt und rücken sie in die Nähe von Tatsachen, dass sie als „Behördenzeugnis“ qualifiziert werden. Der Versuch des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, derartigen Behördenzeugnissen die Qualität von (notariellen) Urkunden und einen entsprechenden Beweiswert beizumessen, entbehrt jeder Grundlage. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, nicht aber der Exekutive, Voraussetzungen und Grenzen für massive Freiheitseingriffe festzulegen (OVG Hamburg, ebenda).
- 52
bb. Konkrete Tatsachen, welche die Ingewahrsamnahme des Klägers gerechtfertigt hätten, lagen nicht vor. Er war offenkundig friedlich. Auch soweit die Beklagte seinem äußeren Erscheinungsbild entnommen haben will, dass von ihm die tatbestandlichen gewichtigen Störungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar ausgehen würden, ist dies nicht gerechtfertigt. Die von der Beklagten angeführte „schwarze Wechselbekleidung“ wurde bei dem Kläger nicht gefunden. Mit diesem Begriff spielt die Beklagte offenkundig auf die schweren Rechtsbrüche an, die sich am frühen Morgen des Vortages im Stadtteil Ottensen ereignet hatten. Dort waren die Täter zunächst in unauffälliger Alltagskleidung am Tatort erschienen, und hatten unmittelbar vor Tatbegehung einheitlich schwarze Kleidung angelegt und ihr Gesichter mit schwarzen Masken zu vermummt. So verhielt es sich bei dem Kläger nicht. Er war nach den vorliegenden Erkenntnissen insofern schwarz gekleidet als er eine schwarze Regenjacke (bei sich) trug. Eine Gesichtsmaske führte kein Mitglied der Gruppe mit. Wenn man annimmt, dass das äußere Erscheinungsbild des Klägers und der übrigen italienischen Mitglieder Gruppe durch schwarze Kleidung bestimmt wurde, worauf die Äußerung des Zeugen B., sie seien „szenetypisch“ gekleidet gewesen, hindeutet, würde auch dies nicht als Indiz für eine unfriedliche, ja gewalttätige Einstellung und schon gar nicht als Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende, (allein) durch die Ingewahrsamnahme zu unterbindende Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat bewertet werden können. Nach den Umständen liegt es nahe, in der schwarzen Farbe die Bekundung einer fundamental oppositionellen Haltung zu der „Politik“ zu sehen, welche durch den G20 Gipfel repräsentiert und symbolisiert und von den kritischen Demonstranten für Kriege, soziale Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung und sonstige Unzuträglichkeiten der Weltlage verantwortlich gemacht wurde. Das ist jedoch ohne weiteres legitim und bildet als „gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen“ (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, a.a.O. Rn 63) die eigentliche Funktion des durch die Verfassung geschützten Versammlungsrechts. Auch wer schwarze Kleidung trägt, genießt den Schutz des Grundgesetzes, solange er, wie der Kläger, friedlich und unbewaffnet ist.
- 53
cc. Die Tatsache, dass der Kläger als italienischer Staatsangehöriger mit seinen Landsleuten in seiner Muttersprache kommunizierte, ist für sich genommen gefahrenabwehrrechtlich offensichtlich irrelevant. Relevanz erhielt dies für die handelnden Beamten erst durch den von der Polizeiführung der Beklagten stammenden zitierten „Auftrag zur offensiven Überprüfung italienischer Staatsangehöriger“ vom 8.7.2017. Der Zeuge B. hat bekundet, dass er diesen unmittelbar vor der Anordnung der Ingewahrsamnahme über Funk empfangenen Auftrag als klaren Warnhinweis verstanden hatte, der ihn zu polizeilichem Vorgehen gegen eine primär durch ihre Staatsangehörigkeit definierte Gruppe aufrief. Nach Auffassung des Gerichts hat die Polizeiführung hierdurch den entscheidenden Impuls für das folgende rechtswidrige Handeln der nachgeordneten Beamten gesetzt. Ohne den genannten Auftrag hätten die Beamten keinen Anlass gehabt, gegen die sich im Randbereich der Versammlung aufhaltende italienisch sprechende Gruppe vorzugehen. Die Polizeiführung hat damit gegen die sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts treffende Verpflichtung zu versammlungsfreundlichem Verhalten (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – BVerfGE 69, 315, zit. n. juris Rn 83) verstoßen. Denn sie hat den „Auftrag zur offensiven Überprüfung italienischer Staatsangehöriger“ mit Bezug auf eine soeben stattfindende offenkundig friedliche Versammlung mit mehr als 50.000 Teilnehmern erteilt. Es musste für jeden verständigen Polizeibeamten mit Leitungsfunktion erkennbar sein, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auch auf die Versammlung haben würde. Italienische Staatsangehörige wurden ohne tragfähige Erkenntnisse zu Anscheinsstörern erklärt, und schon die in § 12 SOG als besondere polizeiliche Maßnahme geregelte Feststellung ihrer Personalien hätte einen rechtswidrigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedeutet.
- 54
dd. Schließlich waren auch die vom Zeugen B. bekundeten weiteren Umstände, nämlich dass von der Veranstaltungsbühne auf das polizeiliche Vorgehen gegenüber dem Kläger und seinen Landsleuten aufmerksam gemacht und dass der Versammlungsleiter persönlich aktiv wurde, keine die Ingewahrsamnahme rechtfertigenden Tatsachen. Die Kammer kann nicht nachvollziehen, inwiefern dem Hinweis von der Veranstaltungsbühne die Bedeutung, die ihm der Zeuge B. zugemessen hat, beigelegt werden könnte. Wenn der Zeuge hierin ein Indiz dafür sah, dass ihm bedeutende (gefährliche) Personen „ins Netz“ gegangen seien, belegt dies, dass er gleichsam blind dem ihm soeben übermittelten Warnhinweis der Polizeiführung Folge leistete. Bei verständiger Würdigung ist hingegen nicht anzunehmen, dass bei einer friedlichen Versammlung die Versammlungsleitung tätig werden würde, um Straftäter und schwere Ordnungsstörer vor dem polizeilichen Zugriff zu bewahren. Das Gleiche gilt für das Verhalten des Versammlungsleiters, des damaligen Bundestagsabgeordneten V. Dass dieser sich ausdrücklich um jene Gruppe italienischer Staatsangehöriger gekümmert hat, könnte bei lebensnaher Betrachtung eher daran gelegen haben, dass eine Abgeordnete des Europäischen Parlaments aus der gleichen Parteienfamilie zu der Gruppe zählte. Einen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Bejahung der von § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG vorausgesetzten qualifizierten Gefahr ließ sich den von dem Zeugen B. bekundeten Umständen jedenfalls nicht entnehmen.
- 55
ee. Ebenso wenig wird man bei verständiger Würdigung in der auf die Unterarme (einzelner Teilnehmer der Gruppe) erfolgten Notierung der Nummer des seinerzeit gebildeten anwaltlichen Notdienstes sowie den mitgeführten Hinweisen über das Verhalten bei polizeilichem Zwang Indizien für ein bevorstehendes gewalttätiges Verhalten sehen können. Das lässt sich bereits mit dem auf der Hand liegenden Hinweis entkräften, dass das streitgegenständliche Verhalten der Beklagten einen eindrucksvollen Beleg für die Berechtigung derartiger vorsorglicher Maßnahmen darstellt.
- 56
ff. Nichts anderes gilt für die wasserfeste Verpackung der Ausweispapiere. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern darin ein Hinweis auf bevorstehende schwere Straftaten wie Brandstiftungen, Plünderungen oder Sachbeschädigungen gesehen werden kann. Vielmehr dürften der Kläger und seine Landsleute befürchtet haben, in den Wirkungsbereich von Wasserwerfern zu geraten, was wiederum bei den Aufzügen und Versammlungen anlässlich des G20-Gipfels keineswegs nur gewalttätigen Teilnehmern widerfahren ist. Ob der Kläger ebenso wie seine gleichfalls in Gewahrsam genommenen Landsleute bereit gewesen sein mag, eine kritische Haltung zu dem G20-Gipfel und der hierdurch symbolisierten Politik gleichsam in erster Reihe zu bekunden, was das Risiko, von Wasserwerfern getroffen zu werden, erhöht hätte, kann auf sich beruhen. Eine solche Bereitschaft ist jedenfalls nicht ohne weitere, hier nicht ersichtliche Anhaltspunkte mit der Bereitschaft gleichzusetzen, die vom Gesetz für die in Rede stehende Maßnahme geforderten Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu begehen.
- 57
c. Die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme des Klägers und seiner Landsleute wird zudem dadurch unterstrichen, dass die tätig gewordenen Beamten der Beklagten solche Umstände, die offensichtlich gegen die Zurechnung der Betroffenen zu den Kreisen der am 7./8.Juli in Erscheinung getretenen Gewalttäter sprachen, unberücksichtigt gelassen haben. Der Kläger war, wie ausgeführt, Teilnehmer einer friedlichen Versammlung, während die genannten Straftaten keinen solchen Versammlungsbezug aufwiesen. Die Straftaten am Morgen des Vortages wurden fern jeder Versammlung von in Form von in Einsatzkommandos gezielt agierenden Tätern begangen. Die Auswüchse in der Nacht auf den 8.7.2017 in der Sternschanze wurden von einem auf Gewalt und Plünderung ausgerichteten Mob verübt. Es erscheint als geradezu abwegig anzunehmen, dass solche Personen sich mit Ausweispapieren und Verhaltenshinweisen für den Fall polizeilichen Zwanges zur Tatbegehung aufgemacht und schließlich die Identitätsüberprüfung und anschließende Ingewahrsamnahme durch die Polizei „lammfromm“ über sich ergehen lassen hätten. Sie hätten zudem schwerlich mit einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments in persönlicher Verbindung gestanden.
- 58
d. Die von der Beklagten angeführte Schwere der mit der Ingewahrsamnahme vermeintlich vorgebeugten Straftaten führt zu keiner anderen Bewertung.
- 59
aa. Die Kammer folgt der Auslegung, welche die Beklagte dem anerkannten polizeirechtlichen Grundsatz beimisst, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts desto geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer die zu verhütenden Straftaten wiegen, nicht. Wenn die Beklagte hierin einen „das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken“ sieht, wonach bei schweren Straftaten an deren Eintrittswahrscheinlichkeit „nur geringe Anforderungen zu stellen“ seien (S. 7 vierter Absatz ihres Schriftsatzes vom 22.9.2017), verkennt sie, dass jedenfalls ein durch Tatsachen begründeter Bezug der in Anspruch genommenen Störer zu derartigen Straftaten sowie eine ebenso begründete Eintrittswahrscheinlichkeit bestehen muss. Die Tatsache, dass die von der Beklagten angeführten Straftaten, an denen auch zu den G20- Protesten angereiste Ausländer beteiligt gewesen sein mögen, ohne Frage außerordentlich schwer wiegend waren, kann nicht dazu führen, auf sämtliche Eingriffsvoraussetzungen für die streitgegenständliche weitreichende polizeiliche Maßnahme zu verzichten. Das ist unvereinbar mit dem im Rechtsstaatsgrundsatz des Grundgesetzes verwurzelten Prinzip des Vorbehaltes und Vorranges des Gesetzes. Indem das Gesetz der Polizei die Befugnis zu weitreichenden Freiheitseingriffen verleiht, sichert es zugleich die Freiheitssphäre des Bürgers dadurch, dass es den Eingriff an bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen bindet. Für den hier in Rede stehenden weitgehenden Freiheitseingriff des Unterbindungsgewahrsams ist dies gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SOG die restriktive Voraussetzung der „unmittelbar bevorstehenden“ Gefahr, zu deren Abwendung der Freiheitseingriff „unerlässlich“ sein muss. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „unmittelbar bevorstehenden Gefahr“ ist durch eine gefestigte Rechtsprechung verbindlich ausgefüllt. Das Bundesverfassungsgericht verweist in seiner oben (unter 2. b) bereits zitierten Entscheidung auf diese Rechtsprechung, wonach es insoweit konkreter Tatsachen bedarf, die die Annahme begründen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde (Beschl. v. 20.4.2017, – 2 BvR 1754/14 – juris Rn 46). Die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung löst die genannten Eingriffsvoraussetzungen auf und negiert damit auf nicht hinnehmbare Weise das Prinzip der Gesetzesbindung der Exekutive. Die Grundanforderung des Gesetzes, dass eine Straftat (bzw. eine qualifizierte Ordnungswidrigkeit) als räumlich-zeitlich bestimmter Fall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, duldet keine Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs (vgl. etwa VGH Kassel, Beschl. v. 1.2.2017 – 8 A 2105.14.Z.0A – juris Rn 54ff, 56).
- 60
bb. In Bezug auf den Kläger lagen bereits keinerlei Tatsachen für eine von ihm zu erwartende konkretisierbare Straftat/Ordnungswidrigkeit vor. Fehlt es hieran, kann auch keine Rede davon sein, eine vergleichbare Tat habe unmittelbar bevorgestanden. Das in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 SOG gebildete Regelbeispiel, dass er früher mehrfach in vergleichbarer Lage bei der Begehung einer vergleichbaren Straftat in Erscheinung getreten wäre und nach den Umständen eine Wiederholung der Straftat bevorstehe, erfüllte der Kläger unstreitig nicht. Folgerichtig kann unter keinem Gesichtspunkt festgestellt werden, die angegriffene Maßnahme der Beklagten sei zur Vermeidung einer tatbestandlichen qualifizierten Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wie vom Gesetz gefordert unerlässlich gewesen.
3.
- 61
Schließlich ist noch festzustellen, dass sich die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zudem daraus ergibt, dass die nach § 13a Abs. 1 Satz 1 SOG hierfür grundsätzlich erforderliche richterliche Entscheidung nicht unverzüglich eingeholt wurde. Unverzüglich bedeutet, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschl. v. 2.11.2016 – 1 BvR 289/15 – juris Rn. 22 m.w.Nw.). Die Beklagte hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass diese Voraussetzungen vorgelegen hätten. Das muss indes nicht vertieft dargelegt werden, weil die Rechtswidrigkeit der vom Kläger angegriffenen Maßnahme aus den vorgenannten Gründen bereits feststeht. Das Gericht hat deshalb auch auf die Vernehmung der weiteren Zeugen und die nähere Aufklärung der Umstände der Ingewahrsamnahme verzichtet.
III.
- 62
Als unterliegender Teil hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Annotations
(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
(2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.
(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.
(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.
(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.
(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.
(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.
(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.
(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.
(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.
(2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen.
(3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Bundespolizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies
- 1.
zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet, - 2.
unerläßlich ist, um eine Platzverweisung nach § 38 durchzusetzen, oder - 3.
unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.
(2) Die Bundespolizei kann Minderjährige, die der Obhut des Personensorgeberechtigten widerrechtlich entzogen wurden oder sich dieser entzogen haben, in Gewahrsam nehmen, damit sie dem Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zugeführt werden können.
(3) Die Bundespolizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen, Jugendstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt oder einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 des Strafgesetzbuches aufhält, in Gewahrsam nehmen, damit sie in die Anstalt zurückgebracht werden kann.
(4) Die Bundespolizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, um einem Ersuchen, das eine Freiheitsentziehung zum Inhalt hat, nachzukommen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.