Tenor

Es wird festgestellt, dass die am 8.7.2017 gegen 17:00 Uhr verfügte und am 9.7.2017 um 17:50 Uhr beendete Ingewahrsamnahme des Klägers rechtswidrig war.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner am 8.7.2017 angeordneten und am 9.7.2017 beendeten Ingewahrsamnahme.

2

Am 7. und 8.7.2017 richtete die Bundesrepublik Deutschland in Hamburg den sog. G20 Gipfel, ein Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs von 20 bedeutenden Industrie- und Schwellenländern, in Hamburg aus. Dieses Ereignis hatte eine Vielzahl von kritischen Veranstaltungen hervorgerufen, neben friedlich verlaufenen Versammlungen und Aufzügen auch solche, die einen gewalttätigen und unfriedlichen Verlauf genommen hatten. Insbesondere hatten in den frühen Morgenstunden des 7.7.2017 in der Art von Einsatzkommandos organisierte vermummte Personen im Ortsteil Ottensen zahlreiche Fahrzeuge in Brand gesteckt und in ganzen Straßenzügen Fensterscheiben von Banken und Geschäften eingeschlagen. In der Nacht auf den 8.7.2017 war es im Bereich der Sternschanze zu schweren Krawallen und Plünderungen gekommen. Dabei hatte die Polizei zeitweise die Kontrolle über das Viertel verloren. Die Polizei machte für jene Vorfälle insbesondere aus dem Ausland eingereiste „Autonome“ verantwortlich.

3

Der polizeilich in Berlin gemeldete Kläger befand sich zusammen mit einer Gruppe von 14 anderen italienischen Staatsangehörigen, darunter einem Mitglied des Parlaments der Europäischen Union, am 8.7.2017 gegen 16:00 Uhr im Kreuzungsbereich Holstenwall/Ludwig-Erhard-Straße. Im Umfeld des Millerntors fand zur gleichen Zeit die Abschlussveranstaltung einer von mehreren 10.000 Teilnehmern besuchten Versammlung statt, welche von einem Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke unter dem Titel „Grenzenlose Solidarität statt G20“ angemeldet worden war. Die bis in die Abendstunden des 8.7.2017 andauernde Versammlung verlief friedlich.

4

Am 8.7.2017 gegen 16:00 Uhr übermittelte die Dienststelle LKA 7 der Beklagten unter der Überschrift „Auftrag zur offensiven Überprüfung italienischer Staatsangehöriger“ folgende Mitteilung an die eingesetzten Polizeikräfte:

5

„Aufgrund gesicherter Erkenntnisse, dass angereiste italienische Staatsangehörige sich für den heutigen Tag zur Begehung schwerer Straftaten im Hamburger Stadtgebiet verabredet haben, werden die eingesetzten Kräfte gebeten um 1. offensive Feststellung der Identität von Personen im Umfeld der demonstrativen Ereignisse gegen den G20 Gipfel, bei denen Hinweise vorliegen, dass es sich um Italiener handelt sowie 2. Mitteilung der festgestellten Personalien über den UA-Entscheider“.

6

Kurz nach 16:00 Uhr fiel einem im Bereich der Abschlusskundgebung eingesetzten Polizeibeamten, Herrn A., Zugführer in der von dem Zeugen B. geführten Hundertschaft, die italienisch sprechende Gruppe auf, in welcher sich der Kläger befand. Herr A. leitete die von einer Umschließung der Gruppe durch Polizeibeamte begleitete Überprüfung der Gruppe ein. Dieses polizeiliche Vorgehen war von der Bühne der Abschlussveranstaltung aus bemerkt und kritisch kommentiert worden. Als sich daraufhin eine zunehmende Zahl von Versammlungsteilnehmern ostentativ ablehnend zu diesem Vorgehen zu verhalten begann, ordnete der Zeuge B., der kurz zuvor die oben genannte Mitteilung über Funk empfangen hatte, die Ingewahrsamnahme des Klägers und der übrigen angetroffenen italienischen Staatsangehörigen an. Den Betroffenen wurde auf Englisch mitgeteilt, sie seien „under arrest“. Sie wurden mit Transportfahrzeugen über verschiedene Stationen in die „Gefangenensammelstelle“ in Hamburg-Harburg verbracht, welche gegen 19:40 Uhr erreicht wurde. Hier musste sich der Kläger entkleiden, er wurde durchsucht, angehört und in einer Zelle eingeschlossen. Bei der Eingabe der Personalien des Klägers in polizeiliche Auskunftssysteme wurde festgestellt, dass gegen ihn wegen einer „Blockupy“-Aktion im August 2016 in Berlin Strafantrag wegen Hausfriedenbruchs gestellt worden war. Zu einem Strafverfahren war es nicht gekommen. Ansonsten lagen gegen den Kläger und gegen die sonstigen Angehörigen aus jener Gruppe keine polizeilichen Erkenntnisse vor.

7

In den frühen Morgenstunden des 9.7.2017 stellte die Beklagte bei der für die Gefangenensammelstelle zuständigen Haftabteilung des Amtsgerichts Hamburg den Antrag, die Fortdauer der Freiheitsentziehung des Klägers bis zum 10.7.2017 6:00 Uhr richterlich anzuordnen. Zur Begründung wurde auf die gewaltsam verlaufenden Auseinandersetzungen sowie auf vorliegende Erkenntnisse verwiesen, wonach italienische Staatsangehörige Straftaten erheblichen Ausmaßes planen würden. Bei der Überprüfung des Klägers und seiner Gruppe seien umfangreiche schwarze Wechselkleidung und Regenkleidung zum Schutz vor dem Einsatz von Wasserwerfern festgestellt worden. Die Beteiligten hätten diverses Kartenmaterial von Hamburg mit den Sicherheitszonen des Messegeländes sowie Aktionskarten zum Block G20 mit Anlaufstellen bei sich gehabt. Weiterhin hätten sich einzelne Teilnehmer Telefonnummern des anwaltlichen Notdienstes auf die Arme geschrieben.

8

Nach den von der Beklagten vorgelegten Einsatzunterlagen wurden beim Kläger eine schwarze Regenjacke sowie ein schwarzer „Bauchbeutel“ festgestellt.

9

Eine Entscheidung des Amtsgerichts über den Antrag erging nicht.

10

Der Kläger wurde am 9.7.2017 um 17:50 Uhr entlassen.

11

Mit seiner am 16.11.2017 erhobenen Klage beanstandet der Kläger das polizeiliche Vorgehen. Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme hätten nicht vorgelegen. Diese Maßnahme habe sich nicht, wie von § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG gefordert, als unerlässlich dargestellt, um die unmittelbar bevorstehende Begehung und Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern. Konkrete Tatsachen, die eine solche Annahme hätten begründen können, hätten nicht vorgelegen. Alleiniger Grund für die Ingewahrsamnahme sei offensichtlich das Führen von Gesprächen in italienischer Sprache gewesen. Der Beklagten hätten keinerlei Erkenntnisse darüber vorgelegen, dass sich der Kläger oder andere Mitglieder der Personengruppe an dem Geschehen am Morgen des 7.7.2017 im Ortsteil Ottensen oder an den Ausschreitungen in der Nacht vom 7. auf den 8.7.2017 im Schanzenviertel beteiligt hätten. Die Teilnehmer dieser Personengruppe hätten keinerlei Gegenstände, die zur Begehung von Straftaten geeignet gewesen seien könnten, mit sich geführt. Den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen lasse sich entnehmen, dass die handelnden Beamten gar nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Begehung von Straftaten ausgegangen seien. Es seien seitens der eingesetzten Beamten keine Versuche unternommen worden, angeblichen Gefahren durch mildere Mittel, wie etwa Aufenthaltsverboten oder Platzverweisen, zu begegnen. Die Ingewahrsamnahme sei ferner rechtswidrig gewesen, weil nicht die nach dem Gesetz erforderliche unverzügliche richterliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit und Fortdauer herbeigeführt worden sei.

12

Der Kläger beantragt,

13

festzustellen, dass seine am 8.7.2017 gegen 17:00 Uhr verfügte und am 9.7.2017 um 17:50 Uhr beendete Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Sie wendet ein, die beanstandeten Maßnahmen hätten auf Erkenntnissen über die hohe Bereitschaft zur Durchführung militanter Aktionen der linksextremistischen/autonomen Szene beruht. Danach seien die Brandstiftungen und Sachbeschädigungen am Morgen des 7.7.2017 von Italienern, mutmaßlich Angehörigen der äußerst militanten Gruppe „Autonomia Diffusa“, verübt worden. Bei den Vorfällen in der Nacht vom 7. auf den 8.7.2017 in der Sternschanze seien maßgeblich italienische Staatsangehörige beteiligt gewesen. Es hätten zudem Erkenntnisse vorgelegen, dass italienische Staatsangehörige Wurfgegenstände an verschiedenen Standorten deponiert hätten und Pyrotechnik sowie passive Schutzausrüstung mit sich führten. Es habe davon ausgegangen werden müssen, dass es nach dem Aufzug am 8.7.2017 erneut zu Auseinandersetzungen mit Polizeikräften kommen werde. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hätten gerade italienische Staatsangehörige solche Auseinandersetzungen gesucht. Bei der Überprüfung des Klägers und der anderen in Gewahrsam genommenen Personen sei schwarze Wechselbekleidung gefunden worden. Dies sowie die vorgefundenen Aktionskarten und Hinweiszettel zum Umgang mit polizeilichem Zwang hätten die vorgenannte Annahme bestätigt. Den genannten polizeilichen Erkenntnissen in Gestalt eines „Behördenzeugnisses“ sei eine große Aussagekraft zu unterstellen. Die handelnden Polizeibeamten hätten zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme davon ausgehen dürfen, dass Straftaten des Klägers von erheblichem Gewicht unmittelbar bevorstünden. Von dem äußersten Erfordernis der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit könne je nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und der Schwere der Straftat abgesehen werden. Nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken seien an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der zu erwartenden Schaden sei. Im Hinblick auf die seinerzeit vorliegenden Erkenntnisse zu von italienischen Staatsangehörigen verübten und zu erwartenden Taten und wegen von den Mitgliedern der Gruppe mitgeführter schwarzer Wechselbekleidung, des Kartenmaterials, der Hinweise zum Umgang mit polizeilichem Zwang, der von zahlreichen Mitgliedern auf die Unterarme geschriebenen Nummer des anwaltlichen Notdienstes sowie wasserfest verpackter Ausweispapiere seien erhebliche Schäden und Gefahren für Leib, Leben und Eigentum Dritter zu befürchten gewesen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts seien deshalb auch nur geringe Anforderungen zu stellen gewesen.

17

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.

18

Bezug genommen wird ferner auf die von der Beklagten zur Akte gereichten Sachvorgänge.

19

Die Kammer hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 18.4.2018 über die Voraussetzungen und den Hergang der Ingewahrsamnahme des Klägers und der anderen betroffenen Personen Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C. und B. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

I.

21

Die Klage ist zulässig.

1.

22

Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.

23

Streitgegenständlich ist eine zur Gefahrenabwehr getroffene polizeiliche Maßnahme. Damit liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. Die Befugnisnormen für das Tätigwerden der Beklagten ergeben sich aus dem Landesrecht, nämlich dem Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 14.3.1966 (HmbGVBl. S. 77 –m. spät. Änd.) (SOG). Eine Zuweisung an ein anderes Gericht durch Landesrecht, wie von § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO ermöglicht, ist nicht erfolgt. Zwar ordnet § 13a Abs. 2 Satz 1 SOG die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg für richterliche Entscheidungen über Ingewahrsamnahmen an. Indes bleibt es gemäß § 13a Abs. 2 Satz 4 SOG für die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.

2.

24

Die Klage ist als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO statthaft.

25

a. Die sog. Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, ist hingegen nicht eröffnet.

26

Diese Klage setzt voraus, dass ein Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage angegriffen worden war und dieser sich nach Klagerhebung erledigt hat. Hier fehlt es an beiden Voraussetzungen. Die Ingewahrsamnahme nach § 13 SOG ist kein Verwaltungsakt. Sie ergeht nicht im Sinne von § 35 Satz 1 HmbVwVfG zur Regelung eines Einzelfalls. Sie stellt sich vielmehr als Realakt, genauer als eine in zeitlicher Folge ergehende Vielzahl von Realakten, dar, die bewirken, dass der betroffenen Person die Freiheit, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen, genommen wird. § 13 SOG ist somit nicht auf die Bewirkung von Rechtsfolgen, sondern einzig auf den tatsächlichen Erfolg, den Gewahrsam über die betroffene Person zu erlangen, gerichtet (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 15.9.2014 – 2 K 2225/14 – juris Rn 4; a.A., die Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage bejahend, etwa VG Neustadt (Weinstraße), Urt. v. 6.9.2017 – 5 K 783/16.NW – juris Rn 27). Wenn, wie vorliegend durch den Zeugen B., die Ingewahrsamnahme zuvor ausdrücklich angeordnet worden ist, liegt hierin ebenfalls kein Verwaltungsakt. Diese Erklärung ist nicht auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet, sondern ist als innerbehördliche Weisung an die handelnden Polizeibediensteten – hier Herrn A. und die ihm zugeordneten Polizeibeamten – gerichtet (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 15.9.2014, ebenda).

27

Neben der fehlenden Verwaltungsaktqualität der Ingewahrsamnahme scheitert die Anwendung der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO daran, dass sich die Maßnahme bereits vor Klagerhebung und nicht erst im Laufe des Rechtsstreits erledigt hatte. Die von Teilen der Rechtsprechung bejahte Möglichkeit einer analogen Anwendung der Bestimmung (etwa VG Neustadt, Urt. v. 6.9.2017, ebenda) ist nicht eröffnet, weil es an der hierfür vorauszusetzenden planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes fehlt. Eine Regelungslücke könnte allenfalls im Hinblick auf den ansonsten nicht gegebenen effektiven Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG, bejaht werden. Das kann indes nicht angenommen werden, weil die (allgemeine) Feststellungsklage nach § 43 VwGO den Rechtsschutz gegen vorprozessual erledigte Maßnahmen von Trägern hoheitlicher Gewalt ermöglicht.

28

b. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Feststellungsklage sind erfüllt.

29

Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. So verhält es sich hier.

30

aa. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist gegeben. Hierunter sind nach allgemeiner Auffassung diejenigen rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen unter-einander, unter Umständen auch in Bezug auf eine Sache, ergeben (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 29.4.2015 – 17 K 1672/13 – juris Rn 65 m.w.Nw.). Es steht außer Frage, dass durch die Ingewahrsamnahme nach § 13 SOG, einer Norm des öffentlichen Rechts, ein Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten als Rechtsträgerin der Polizei und dem in Gewahrsam genommenen Kläger begründet worden ist. Das Begehren des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festzustellen, ist der Sache nach darauf gerichtet, das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme und damit das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 2. Alternative VwGO festzustellen.

31

bb. An dieser Feststellung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse. Zwar bezieht sich die Klage auf ein vergangenes Rechtsverhältnis, doch ist ein solches Rechtsschutzbegehren nach allgemeiner Auffassung zulässig, sofern ein Rechtsschutzbedürfnis in Gestalt eines Feststellungsinteresses fortbesteht (VG Hamburg, Urt. v. 20.10.2011 – 17 K 3395/08 – juris Rn 20). Ein derartiges fortwährendes Bedürfnis ist in Fällen in der Vergangenheit liegender gewichtiger Grundrechtseingriffe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets anzuerkennen. Ein anderes Verständnis wäre mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar (vgl. OVG Hamburg, Urt. vom 4.6.2009 – 4 Bf 213/07 – juris Rn. 33 m. Nw. der verfassungsger. Rspr.) Eine Freiheitsentziehung ist ein schwerwiegender Grundrechtseingriff. Er muss insbesondere dann zur gerichtlichen Kontrolle gestellt werden können, wenn die gemäß Art. 104 Abs. 2 Sätze 1 u. 2 GG (sowie § 13a Abs. 1 Satz 1 SOG) grundsätzlich verpflichtend vorgesehene richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit oder Fortdauer der Freiheitsentziehung unterblieben ist.

32

cc. Die in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelte Nachrangigkeit der Feststellungsklage steht ebenfalls nicht entgegen, weil der Kläger seine Rechte ersichtlich weder durch Gestaltungs- noch durch Leistungsklage verfolgen könnte.

II.

33

Die Klage ist begründet. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme des Klägers am 8./9.7.2017 lagen nicht vor. Die Maßnahme war daher rechtswidrig.

34

Die Voraussetzungen für die polizeiliche Ingewahrsamnahme sind gesetzlich in § 13 SOG bestimmt. Vorliegend kommt einzig der in § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG geregelte Verhinderungs- oder Unterbindungsgewahrsam in Betracht. Danach darf eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn diese Maßnahme unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern.

35

Die auf der genannten rechtlichen Grundlage erfolgte Ingewahrsamnahme des Klägers war hier bereits deshalb rechtswidrig, weil der Anwendungsbereich des Polizei- und Ordnungsrechts durch höherrangiges Recht verschlossen war (1.). Zudem waren die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG nicht erfüllt (2.). Schließlich ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme noch aus der von der Beklagten nicht unverzüglich eingeholten richterlichen Entscheidung über die Freiheitsentziehung (3.).

1.

36

Die Beklagte durfte gegen den Kläger nicht nach Maßgabe des Polizeirechts vorgehen, weil er unter dem Schutz des durch die Verfassung gewährleisteten Versammlungsrechts stand. In diesen Schutzbereich durfte die Beklagte nicht unter Berufung auf das allgemeine Polizeirecht eingreifen.

37

a. Der Kläger war Grundrechtsträger (aa) und stand zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG (bb).

38

aa. Es spricht viel dafür, den Kläger als Träger des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG anzusehen.

39

Danach haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Zwar ist der Kläger kein Deutscher im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG. Doch dürfte ihm gleichwohl der durch Art. 8 GG vermittelte Schutz zustehen. Ein anderes Rechtsverständnis würde dem in Art. 18 Satz 1 AEUV geregelten europarechtlichen Diskriminierungsverbot in Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit widersprechen. Hierin läge zugleich eine Kollision mit der „europafreundlichen“ Ausrichtung des Grundgesetzes. Die Präambel des Grundgesetzes sowie Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG öffnen die deutsche Verfassung in Richtung auf ein vereintes Europa. Dies ist nicht nur eine programmatische Aussage, sondern zugleich der Auftrag an alle der Rechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG unterliegenden Stellen, das Recht so zu fassen, auszulegen und anzuwenden, dass es mit diesem verfassungsrechtlichen Ansatz sowie dem positiven Recht der Europäischen Union in Einklang steht (vgl. etwa Jarras in Jarras/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 23 Rn 13). Dies dürfte konkret bedeuten, dass die nach dem Wortlaut der Verfassung allein Deutschen vorbehaltenen Grundrechte auf die Bürger anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union jedenfalls dann unmittelbar anzuwenden sind, wenn das europäische Recht, wie vorliegend der Fall, eine Diskriminierung ver- und damit eine Gleichbehandlung gebietet.

40

bb. Dies muss indes nicht abschließend entschieden werden. Denn nach unbestrittener Auffassung steht den Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten insoweit jedenfalls das „Auffanggrundrecht“ aus Art. 2 Abs 1 GG zu (vgl. etwa Höfling in Sachs, Grundgesetz. 6. Aufl. 2011, Art. 8 Rn. 46). Der Verweis auf den bloßen Schutz durch das einfache Recht (Höfling, a.a.O. Rn 46a) wird dem hohen Rang der Rechtsgemeinschaft der die Europäische Union bildenden Mitgliedstaaten und dem Auftrag des Grundgesetzes, auf ein vereintes Europa hinzuwirken, zwar schwerlich gerecht (vgl. Jarras, a.a.O. Art 19 Rn 12). Doch ist die Frage der verfassungsrechtlichen Anbindung des auch den Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zustehenden Rechts auf Versammlungsfreiheit dann rein verfassungsdogmatischer Natur, wenn sie als solche – und sei es unter Verweis auf Art. 2 Abs. 1 GG – bejaht wird.

41

cc. Der Kläger stand als Grundrechtsträger konkret unter dem Schutz des Grundrechtes, weil er zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme friedlich und ohne Waffen an einer ebensolchen Versammlung teilnahm.

42

Dass die unter dem Motto „Grenzenlose Solidarität statt G20“ stehende Versammlung am 8.7.2017 die genannten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllte, nämlich friedlich und unbewaffnet verlief, ist unbestritten. Auch der Kläger verhielt sich zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme friedlich, und er war unbewaffnet. Es entspricht gefestigter verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass unter den genannten Voraussetzungen ein Versammlungsteilnehmer grundsätzlich keinen staatlichen Maßnahmen unterworfen werden darf, welche, wie ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme, seine Teilnahme an einer Versammlung beenden (vgl. etwas BVerfG, Beschl. v. 30.4.2007 – 1 BvR 1090/06 – Rn 40; VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986 – 12 VG 2442/86 – NVwZ 87, 829, 831 f.; VG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.2010 – 18 K 3033/09 – juris Rn 64). Mit dieser „Polizeifestigkeit“ der Versammlungen wird der großen Bedeutung des Versammlungsrechts, das für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend ist (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226, zit. n. juris Rn 63), Rechnung getragen. Daher muss der Staat und muss die Polizei als prägnanteste Erscheinungsform der staatlichen Exekutive die Versammlungsfreiheit nicht nur ertragen, sondern aktiv Vorsorge dafür treffen, dass die Bürger das ihnen durch die Verfassung gewährte Recht, durch „die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen (...) ihren Standpunkt“ zu dokumentieren (BVerfG, Urt. v. 2.2.2011, ebenda), optimal verwirklichen können. Dies schließt es aus, gegen einzelne Versammlungsteilnehmer, die, wie der Kläger, friedlich und unbewaffnet sind, auf polizeirechtlicher Grundlage vorzugehen, solange nicht die Versammlung als solche aufgelöst oder der betroffene Teilnehmer ausdrücklich von ihr ausgeschlossen worden ist (BVerfG, Beschl. v. 30.4.2007, a.a.O. Rn 40).

43

(1) Diese Schutzwirkung der Versammlungsfreiheit kam dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme zu. Dass er zunächst – ebenso wie die anderen ebenfalls in Gewahrsam genommenen Mitglieder der Gruppe – Teilnehmer an der besagten Versammlung gewesen war, steht außer Frage und muss nicht näher dargelegt werden. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung ist diese Schutzwirkung auch nicht etwa dadurch erloschen, dass sich der Kläger aus der Versammlung herausbegeben hätte.

44

Grundsätzlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG weit zu fassen. Er erstreckt sich auf den gesamten Vorgang des Sich – Versammelns. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass er namentlich den Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung umfasst (BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991 – 1 BvR 772/90 – BVerfGE 84, 203 zit. n. juris Rn 16). Ob der grundrechtliche Schutz auch die gesamte Phase des Abzugs von einer Versammlung umfasst (so VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986 a.a.O.), bedarf keiner näheren Erörterung. Denn der Kläger und die mit ihm in Gewahrsam genommenen Landsleute hatten nach ihrem nach außen hin erkennbaren Verhalten jene Versammlung keineswegs verlassen. Das galt zum einen in rein räumlicher Hinsicht. Sie hatten sich, wie allein die Ansprache von der Bühne auf ihre Absonderung durch die Polizeibeamten und die sich daraufhin ereignende Formierung anderer Versammlungsteilnehmer belegt, keineswegs so weit von der eigentlichen Versammlung entfernt, dass dies als definitive Beendigung der Versammlungsteilnahme zu deuten gewesen wäre. Ein solches Verständnis ihres Verhaltens lag auch deshalb fern, weil sehr große, von zehntausenden von Menschen besuchte und gebildete Versammlungen einen gleichsam pulsierenden Charakter haben. Sie sind durch zahllose Hin- und Wegbewegungen einzelner Teilnehmer gekennzeichnet, die etwa dadurch hervorgerufen werden, dass bestimmten Grundbedürfnissen wie Essen und Trinken oder Verrichtung der Notdurft nachgekommen oder einfach eine Phase der Erholung eingeschaltet wird. Es würde das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG aushöhlen, wenn man seinen Schutz Personen, die sich im Umfeld einer Versammlung derart bewegen, versagen würde. Insofern sprach bei objektiver Betrachtung nichts für die Annahme, der Kläger und die übrigen Mitglieder der Gruppe hätten die Versammlung seinerzeit etwa endgültig verlassen. Die tätig gewordenen Beamten hätten bei der gebotenen versammlungsfreundlichen Betrachtung vielmehr von einer allenfalls kurzfristigen Absonderung des Klägers von der Versammlung und der beabsichtigten oder zumindest vorbehaltenen Rückkehr zu ihr auszugehen gehabt. Ob die in Gewahrsam genommene Gruppe ihrerseits als den Grundrechtsschutz aus Art. 8 GG genießende Versammlung anzusehen gewesen wäre, muss daher nicht vertieft erörtert werden.

45

(2) Der versammlungsrechtliche Schutz des Klägers war auch nicht etwa dadurch erloschen, dass er durch die an der Ingewahrsamnahme beteiligten Polizisten von der Versammlung ausgeschlossen worden wäre.

46

Die Möglichkeit eines solchen Ausschlusses ist in § 18 Abs. 3 VersammlG geregelt, wonach die Polizei Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen kann. Hier lagen offenkundig bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein solches Vorgehen nicht vor, weil der Kläger ebenso wenig wie seine Landsleute im vorgenannten Sinne als Störer der Versammlung in Erscheinung getreten war. Die eingesetzten Polizeibeamten haben zudem keine Erklärung abgegeben, die als Ausschluss von der Versammlung zu bewerten gewesen wäre. Wegen der mit einem solchen Ausschluss verbundenen erheblichen Rechtswirkungen sind an seine Klarheit und Verständlichkeit große Anforderungen zu stellen. Die Beklagte behauptet nicht, dass eine derartige Erklärung seinerzeit ausdrücklich abgegeben worden wäre. Es kann in ihr Tätigwerden auch keineswegs ein solcher Ausschluss hineingedeutet werden. Zwar hatten die Beamten, wie der Zeuge B. bekundet hat, den Kläger und seine Landsleute umstellt. Diese Abschließung kann jedoch nicht als konkludenter Ausschluss aus der Versammlung gesehen werden. Ein derartiger Erklärungsinhalt wäre für den Kläger nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit erkennbar gewesen (vgl. a. VG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.2010 -18 K 3033/09 – juris Rn. 61; VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986, a.a.O.). Zudem wollte die Beklagte eine solche Erklärung gar nicht abgeben. Dies wäre aus ihrer Sicht bereits deshalb unnötig gewesen, weil sie den Kläger gar nicht mehr als Versammlungsteilnehmer ansah.

2.

47

Unabhängig davon, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers bereits wegen der Schutzwirkungen des Grundrechts (aus Art. 8 Abs. 1 oder aus Art. 2 Abs. 1 GG) rechtswidrig war, waren zudem die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG nicht erfüllt.

48

a. Bei der gerichtlichen Bewertung ist auf den Zeitpunkt des konkreten polizeilichen Tätigwerdens abzustellen (ex-ante-Betrachtung). Dabei kommt der Beklagten bei der Frage, ob die Ingewahrsamnahme des Klägers unerlässlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern, kein Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr unterliegt dies in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Es ist Sache des angerufenen Gerichts, die erforderliche Bewertung im Rahmen der uneingeschränkten Überprüfung der Rechtsanwendung der Behörden zu treffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.4.2017 – 2 BvR 1754/14 – juris Rn 46). Die dem Gericht somit obliegende Überprüfung führt zu der zwingenden Erkenntnis, dass die Beklagte die Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme des Klägers zu Unrecht bejaht hat.

49

b. Die Annahme, eine Ingewahrsamnahme sei gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern, setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der gleichlautenden Bestimmung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG voraus, dass im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme begründeten, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde (BVerfG, Beschl. v. 20.4.2017, ebenda). Solche Tatsachen existierten in Bezug auf den Kläger nicht. Sie lagen weder in Gestalt unmittelbarer Tatsachen noch in Form indizieller Tatsachen (vgl. hierzu eingehend VGH Kassel, Beschl. v. 1.2.2017 – 8 A 2105/14.Z – juris Rn. 49 ff.) vor.

50

aa. Zu Unrecht misst die Beklagte dabei den ihr vorliegenden und dem Gericht vorgelegten allgemeinen Erkenntnissen über gewalttätige Ausschreitungen beim G20 Gipfel, die insbesondere belegten, dass die Gewalttaten am Morgen des 7.7. und in der folgenden Nacht maßgeblich hochorganisierten militanten Gruppen italienischer Staatsangehöriger anzulasten seien, die Qualität von Tatsachen zu. Tatsachen sind dem Beweise zugängliche Erscheinungen der Außenwelt, die unmittelbar oder mittelbar Rückschlüsse auf bestimmte Einstellungen oder Geschehnisse zulassen. Die in Rede stehenden Erkenntnisse der Beklagten erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Sie sind bereits keine Erscheinung der Außenwelt, sondern sind von der Beklagten „in die Welt gesetzt“. Sie geben auch keine Tatsachen wieder. Vielmehr erschöpfen sie sich in allgemeinen Bewertungen, die, wie der Zeuge C. erklärt hat, ausschließlich auf Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz beruhten. Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz sind typischerweise unkonkret und in ihrem sachlichen Gehalt nicht überprüfbar. Sie stellen die Wiedergabe bestimmter Inhalte dar, die von unbenannten Informanten und aus sonstigen Quellen, die nicht offengelegt werden (können), stammen. In diese Wiedergabe fließen auf nicht rekonstruierbare Weise eigene Einschätzungen und Bewertungen des Amtes ein. Solche Berichte sind daher auch nicht dem Beweis zugänglich. Wollte man sie als Tatsachengrundlage für den weitreichenden Freiheitseingriff der Ingewahrsamnahme ausreichen lassen, stünde es letzten Endes zur Disposition der Polizei bzw. der Exekutive, die Voraussetzungen für ihr Tätigwerden selbst zu schaffen. Sie entschiede derart ohne Bindung an gesetzliche Vorgaben über die Grenzen der Freiheit des Bürgers, indem sie sich die Maßstäbe dafür selbst zurechtlegte (vgl. a. OVG Hamburg, Urt. v. 4.6.2009 – 4 Bf 213/07 – juris Rn 57).

51

Derartige Informationen gewinnen keineswegs dadurch an sachlichem Gehalt und rücken sie in die Nähe von Tatsachen, dass sie als „Behördenzeugnis“ qualifiziert werden. Der Versuch des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, derartigen Behördenzeugnissen die Qualität von (notariellen) Urkunden und einen entsprechenden Beweiswert beizumessen, entbehrt jeder Grundlage. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, nicht aber der Exekutive, Voraussetzungen und Grenzen für massive Freiheitseingriffe festzulegen (OVG Hamburg, ebenda).

52

bb. Konkrete Tatsachen, welche die Ingewahrsamnahme des Klägers gerechtfertigt hätten, lagen nicht vor. Er war offenkundig friedlich. Auch soweit die Beklagte seinem äußeren Erscheinungsbild entnommen haben will, dass von ihm die tatbestandlichen gewichtigen Störungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar ausgehen würden, ist dies nicht gerechtfertigt. Die von der Beklagten angeführte „schwarze Wechselbekleidung“ wurde bei dem Kläger nicht gefunden. Mit diesem Begriff spielt die Beklagte offenkundig auf die schweren Rechtsbrüche an, die sich am frühen Morgen des Vortages im Stadtteil Ottensen ereignet hatten. Dort waren die Täter zunächst in unauffälliger Alltagskleidung am Tatort erschienen, und hatten unmittelbar vor Tatbegehung einheitlich schwarze Kleidung angelegt und ihr Gesichter mit schwarzen Masken zu vermummt. So verhielt es sich bei dem Kläger nicht. Er war nach den vorliegenden Erkenntnissen insofern schwarz gekleidet als er eine schwarze Regenjacke (bei sich) trug. Eine Gesichtsmaske führte kein Mitglied der Gruppe mit. Wenn man annimmt, dass das äußere Erscheinungsbild des Klägers und der übrigen italienischen Mitglieder Gruppe durch schwarze Kleidung bestimmt wurde, worauf die Äußerung des Zeugen B., sie seien „szenetypisch“ gekleidet gewesen, hindeutet, würde auch dies nicht als Indiz für eine unfriedliche, ja gewalttätige Einstellung und schon gar nicht als Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende, (allein) durch die Ingewahrsamnahme zu unterbindende Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat bewertet werden können. Nach den Umständen liegt es nahe, in der schwarzen Farbe die Bekundung einer fundamental oppositionellen Haltung zu der „Politik“ zu sehen, welche durch den G20 Gipfel repräsentiert und symbolisiert und von den kritischen Demonstranten für Kriege, soziale Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung und sonstige Unzuträglichkeiten der Weltlage verantwortlich gemacht wurde. Das ist jedoch ohne weiteres legitim und bildet als „gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen“ (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, a.a.O. Rn 63) die eigentliche Funktion des durch die Verfassung geschützten Versammlungsrechts. Auch wer schwarze Kleidung trägt, genießt den Schutz des Grundgesetzes, solange er, wie der Kläger, friedlich und unbewaffnet ist.

53

cc. Die Tatsache, dass der Kläger als italienischer Staatsangehöriger mit seinen Landsleuten in seiner Muttersprache kommunizierte, ist für sich genommen gefahrenabwehrrechtlich offensichtlich irrelevant. Relevanz erhielt dies für die handelnden Beamten erst durch den von der Polizeiführung der Beklagten stammenden zitierten „Auftrag zur offensiven Überprüfung italienischer Staatsangehöriger“ vom 8.7.2017. Der Zeuge B. hat bekundet, dass er diesen unmittelbar vor der Anordnung der Ingewahrsamnahme über Funk empfangenen Auftrag als klaren Warnhinweis verstanden hatte, der ihn zu polizeilichem Vorgehen gegen eine primär durch ihre Staatsangehörigkeit definierte Gruppe aufrief. Nach Auffassung des Gerichts hat die Polizeiführung hierdurch den entscheidenden Impuls für das folgende rechtswidrige Handeln der nachgeordneten Beamten gesetzt. Ohne den genannten Auftrag hätten die Beamten keinen Anlass gehabt, gegen die sich im Randbereich der Versammlung aufhaltende italienisch sprechende Gruppe vorzugehen. Die Polizeiführung hat damit gegen die sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts treffende Verpflichtung zu versammlungsfreundlichem Verhalten (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – BVerfGE 69, 315, zit. n. juris Rn 83) verstoßen. Denn sie hat den „Auftrag zur offensiven Überprüfung italienischer Staatsangehöriger“ mit Bezug auf eine soeben stattfindende offenkundig friedliche Versammlung mit mehr als 50.000 Teilnehmern erteilt. Es musste für jeden verständigen Polizeibeamten mit Leitungsfunktion erkennbar sein, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auch auf die Versammlung haben würde. Italienische Staatsangehörige wurden ohne tragfähige Erkenntnisse zu Anscheinsstörern erklärt, und schon die in § 12 SOG als besondere polizeiliche Maßnahme geregelte Feststellung ihrer Personalien hätte einen rechtswidrigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedeutet.

54

dd. Schließlich waren auch die vom Zeugen B. bekundeten weiteren Umstände, nämlich dass von der Veranstaltungsbühne auf das polizeiliche Vorgehen gegenüber dem Kläger und seinen Landsleuten aufmerksam gemacht und dass der Versammlungsleiter persönlich aktiv wurde, keine die Ingewahrsamnahme rechtfertigenden Tatsachen. Die Kammer kann nicht nachvollziehen, inwiefern dem Hinweis von der Veranstaltungsbühne die Bedeutung, die ihm der Zeuge B. zugemessen hat, beigelegt werden könnte. Wenn der Zeuge hierin ein Indiz dafür sah, dass ihm bedeutende (gefährliche) Personen „ins Netz“ gegangen seien, belegt dies, dass er gleichsam blind dem ihm soeben übermittelten Warnhinweis der Polizeiführung Folge leistete. Bei verständiger Würdigung ist hingegen nicht anzunehmen, dass bei einer friedlichen Versammlung die Versammlungsleitung tätig werden würde, um Straftäter und schwere Ordnungsstörer vor dem polizeilichen Zugriff zu bewahren. Das Gleiche gilt für das Verhalten des Versammlungsleiters, des damaligen Bundestagsabgeordneten V. Dass dieser sich ausdrücklich um jene Gruppe italienischer Staatsangehöriger gekümmert hat, könnte bei lebensnaher Betrachtung eher daran gelegen haben, dass eine Abgeordnete des Europäischen Parlaments aus der gleichen Parteienfamilie zu der Gruppe zählte. Einen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Bejahung der von § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG vorausgesetzten qualifizierten Gefahr ließ sich den von dem Zeugen B. bekundeten Umständen jedenfalls nicht entnehmen.

55

ee. Ebenso wenig wird man bei verständiger Würdigung in der auf die Unterarme (einzelner Teilnehmer der Gruppe) erfolgten Notierung der Nummer des seinerzeit gebildeten anwaltlichen Notdienstes sowie den mitgeführten Hinweisen über das Verhalten bei polizeilichem Zwang Indizien für ein bevorstehendes gewalttätiges Verhalten sehen können. Das lässt sich bereits mit dem auf der Hand liegenden Hinweis entkräften, dass das streitgegenständliche Verhalten der Beklagten einen eindrucksvollen Beleg für die Berechtigung derartiger vorsorglicher Maßnahmen darstellt.

56

ff. Nichts anderes gilt für die wasserfeste Verpackung der Ausweispapiere. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern darin ein Hinweis auf bevorstehende schwere Straftaten wie Brandstiftungen, Plünderungen oder Sachbeschädigungen gesehen werden kann. Vielmehr dürften der Kläger und seine Landsleute befürchtet haben, in den Wirkungsbereich von Wasserwerfern zu geraten, was wiederum bei den Aufzügen und Versammlungen anlässlich des G20-Gipfels keineswegs nur gewalttätigen Teilnehmern widerfahren ist. Ob der Kläger ebenso wie seine gleichfalls in Gewahrsam genommenen Landsleute bereit gewesen sein mag, eine kritische Haltung zu dem G20-Gipfel und der hierdurch symbolisierten Politik gleichsam in erster Reihe zu bekunden, was das Risiko, von Wasserwerfern getroffen zu werden, erhöht hätte, kann auf sich beruhen. Eine solche Bereitschaft ist jedenfalls nicht ohne weitere, hier nicht ersichtliche Anhaltspunkte mit der Bereitschaft gleichzusetzen, die vom Gesetz für die in Rede stehende Maßnahme geforderten Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu begehen.

57

c. Die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme des Klägers und seiner Landsleute wird zudem dadurch unterstrichen, dass die tätig gewordenen Beamten der Beklagten solche Umstände, die offensichtlich gegen die Zurechnung der Betroffenen zu den Kreisen der am 7./8.Juli in Erscheinung getretenen Gewalttäter sprachen, unberücksichtigt gelassen haben. Der Kläger war, wie ausgeführt, Teilnehmer einer friedlichen Versammlung, während die genannten Straftaten keinen solchen Versammlungsbezug aufwiesen. Die Straftaten am Morgen des Vortages wurden fern jeder Versammlung von in Form von in Einsatzkommandos gezielt agierenden Tätern begangen. Die Auswüchse in der Nacht auf den 8.7.2017 in der Sternschanze wurden von einem auf Gewalt und Plünderung ausgerichteten Mob verübt. Es erscheint als geradezu abwegig anzunehmen, dass solche Personen sich mit Ausweispapieren und Verhaltenshinweisen für den Fall polizeilichen Zwanges zur Tatbegehung aufgemacht und schließlich die Identitätsüberprüfung und anschließende Ingewahrsamnahme durch die Polizei „lammfromm“ über sich ergehen lassen hätten. Sie hätten zudem schwerlich mit einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments in persönlicher Verbindung gestanden.

58

d. Die von der Beklagten angeführte Schwere der mit der Ingewahrsamnahme vermeintlich vorgebeugten Straftaten führt zu keiner anderen Bewertung.

59

aa. Die Kammer folgt der Auslegung, welche die Beklagte dem anerkannten polizeirechtlichen Grundsatz beimisst, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts desto geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer die zu verhütenden Straftaten wiegen, nicht. Wenn die Beklagte hierin einen „das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken“ sieht, wonach bei schweren Straftaten an deren Eintrittswahrscheinlichkeit „nur geringe Anforderungen zu stellen“ seien (S. 7 vierter Absatz ihres Schriftsatzes vom 22.9.2017), verkennt sie, dass jedenfalls ein durch Tatsachen begründeter Bezug der in Anspruch genommenen Störer zu derartigen Straftaten sowie eine ebenso begründete Eintrittswahrscheinlichkeit bestehen muss. Die Tatsache, dass die von der Beklagten angeführten Straftaten, an denen auch zu den G20- Protesten angereiste Ausländer beteiligt gewesen sein mögen, ohne Frage außerordentlich schwer wiegend waren, kann nicht dazu führen, auf sämtliche Eingriffsvoraussetzungen für die streitgegenständliche weitreichende polizeiliche Maßnahme zu verzichten. Das ist unvereinbar mit dem im Rechtsstaatsgrundsatz des Grundgesetzes verwurzelten Prinzip des Vorbehaltes und Vorranges des Gesetzes. Indem das Gesetz der Polizei die Befugnis zu weitreichenden Freiheitseingriffen verleiht, sichert es zugleich die Freiheitssphäre des Bürgers dadurch, dass es den Eingriff an bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen bindet. Für den hier in Rede stehenden weitgehenden Freiheitseingriff des Unterbindungsgewahrsams ist dies gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SOG die restriktive Voraussetzung der „unmittelbar bevorstehenden“ Gefahr, zu deren Abwendung der Freiheitseingriff „unerlässlich“ sein muss. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „unmittelbar bevorstehenden Gefahr“ ist durch eine gefestigte Rechtsprechung verbindlich ausgefüllt. Das Bundesverfassungsgericht verweist in seiner oben (unter 2. b) bereits zitierten Entscheidung auf diese Rechtsprechung, wonach es insoweit konkreter Tatsachen bedarf, die die Annahme begründen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde (Beschl. v. 20.4.2017, – 2 BvR 1754/14 – juris Rn 46). Die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung löst die genannten Eingriffsvoraussetzungen auf und negiert damit auf nicht hinnehmbare Weise das Prinzip der Gesetzesbindung der Exekutive. Die Grundanforderung des Gesetzes, dass eine Straftat (bzw. eine qualifizierte Ordnungswidrigkeit) als räumlich-zeitlich bestimmter Fall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, duldet keine Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs (vgl. etwa VGH Kassel, Beschl. v. 1.2.2017 – 8 A 2105.14.Z.0A – juris Rn 54ff, 56).

60

bb. In Bezug auf den Kläger lagen bereits keinerlei Tatsachen für eine von ihm zu erwartende konkretisierbare Straftat/Ordnungswidrigkeit vor. Fehlt es hieran, kann auch keine Rede davon sein, eine vergleichbare Tat habe unmittelbar bevorgestanden. Das in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 SOG gebildete Regelbeispiel, dass er früher mehrfach in vergleichbarer Lage bei der Begehung einer vergleichbaren Straftat in Erscheinung getreten wäre und nach den Umständen eine Wiederholung der Straftat bevorstehe, erfüllte der Kläger unstreitig nicht. Folgerichtig kann unter keinem Gesichtspunkt festgestellt werden, die angegriffene Maßnahme der Beklagten sei zur Vermeidung einer tatbestandlichen qualifizierten Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wie vom Gesetz gefordert unerlässlich gewesen.

3.

61

Schließlich ist noch festzustellen, dass sich die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zudem daraus ergibt, dass die nach § 13a Abs. 1 Satz 1 SOG hierfür grundsätzlich erforderliche richterliche Entscheidung nicht unverzüglich eingeholt wurde. Unverzüglich bedeutet, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschl. v. 2.11.2016 – 1 BvR 289/15 – juris Rn. 22 m.w.Nw.). Die Beklagte hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass diese Voraussetzungen vorgelegen hätten. Das muss indes nicht vertieft dargelegt werden, weil die Rechtswidrigkeit der vom Kläger angegriffenen Maßnahme aus den vorgenannten Gründen bereits feststeht. Das Gericht hat deshalb auch auf die Vernehmung der weiteren Zeugen und die nähere Aufklärung der Umstände der Ingewahrsamnahme verzichtet.

III.

62

Als unterliegender Teil hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme.

2

Am 16. August 2015 gegen 2:21 Uhr kam es wegen einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen zu einem Polizeieinsatz der Polizeiinspektion A-Stadt 2 bei der A-Tankstelle in der A-Straße in A-Stadt am .... Der Kläger, ein Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika, der zu diesem Zeitpunkt bei den US-Streitkräften in B-Stadt stationiert war, gehörte zu den am Einsatzort von den Polizeibeamten angetroffenen Personen.

3

Gemäß dem Rapporteintrag der Polizeiinspektion A-Stadt 2 vom 16. August 2015 seien beim Eintreffen der Polizeibeamten vor Ort ein Geschädigter mit Namen C mit einer stark blutenden Wunde an der Stirn sowie drei andere Personen angetroffen worden. Weiterhin sei über die gesamte Fläche der Tankstelle Blut festgestellt worden. Verschiedenes Inventar der Tankstelle sei bei der Schlägerei zu Bruch gegangen. Nachdem der Geschädigte sich geweigert habe, in ein deutsches Krankenhaus gebracht zu werden und mehrere Platzverweise erteilt worden seien, sei es zu einer Widerstandshandlung durch den Kläger gekommen. Hierbei sei ein Polizeibeamter durch einen Fingerbiss verletzt worden. Im Anschluss an die Sachverhaltsaufnahme seien alle Personen an die Military Police überstellt worden.

4

In dem zusätzlichen Einsatzbericht von Polizeikommissar L von der Polizeiinspektion A-Stadt 2 vom 19. August 2015 heißt es weiter, sowohl Herr C als auch alle anderen Personen hätten vor Ort die Angaben zu den Gründen der Tat verweigert. Herr C habe lediglich angegeben, dass es sich bei den vor Ort befindlichen Personen um seine Freunde handeln würde, die alle beim amerikanischen Militär in B-Stadt stationiert seien. Auf Grund der Verletzungen des Herrn C sei ein Krankenwagen verständigt worden. Als dieser vor Ort eingetroffen und Herr C durch die Sanitäter erstversorgt worden sei, sei die Stimmung der Beteiligten umgeschlagen, weshalb diese hätten in Gewahrsam genommen werden sollen. Im Rahmen dieser Maßnahme sei es zu einem Widerstandsdelikt des Herrn O gekommen. Daraufhin sei die Militär-Polizei der US-Streitkräfte hinzugezogen und die Personen diesen übergeben worden.

5

In einer gesonderten Stellungnahme vom 19. August 2015 führte der an dem Einsatz beteiligte Polizeikommissar P aus, der Kläger habe zunächst versucht, in den Krankenwagen zu gelangen, in welchem die verletzte Person der Körperverletzung (Herr C) behandelt worden sei. Da er dort den Einsatz der Rettungskräfte behindert habe, sei ihm ein Platzverweis in englischer Sprache erteilt worden. Aufgrund dessen, dass sich der Kläger sehr aggressiv und unkooperativ gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten verhalten und sich nicht vom Rettungswagen entfernt habe, sei vorgesehen gewesen, ihn mittels Handschellen zu fixieren und einen Durchsetzungsgewahrsam durchzuführen. Weiterhin habe nicht ausgeschlossen werden können, dass er die eingesetzten Beamten angreifen und verletzen würde.

6

Als gegenüber dem Kläger die Ingewahrsamnahme ausgesprochen worden sei, habe dieser versucht, über die Fahrspuren und Straßenbahngleise auf der A-Straße zu flüchten. Fußläufig sei er von mehreren Polizeibeamten verfolgt worden. Auf der Fahrbahn sei der Kläger durch ihn (Herrn P) festgehalten und zu Boden gebracht worden. Hierbei habe er sich sein linkes Knie und die linke Hüfte geprellt. Gleichzeitig habe ihm der Kläger in den kleinen Finger der rechten Hand gebissen. Den Biss habe er mittels einfacher körperlicher Gewalt gelöst, indem er dem Kläger dreimal gegen den Kiefer geschlagen habe. Daraufhin habe der Kläger den Biss gelöst. Im Anschluss daran sei der Kläger durch weitere Polizeibeamte am Boden fixiert und mittels Handschellen gefesselt worden.

7

Dem Kläger war am 16. August 2015 um 5.21 Uhr eine Blutprobe entnommen worden, die einen Blutalkoholwert von 1,34 Promille ergeben hatte.

8

Im Dezember 2015 stellte die Staatsanwaltschaft Frankenthal das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein und gab es an die US-Behörden ab.

9

In dem anschließenden Zivilgerichtsverfahren, in dem sowohl Polizeikommissar P von dem Kläger als auch der Kläger von Polizeikommissar P Schmerzensgeld wegen des genannten Vorfalls verlangten, wies das Landgericht Frankenthal Klage und Widerklage mit Urteil vom 24. Mai 2017 – 3 O 409/16 – nach Durchführung einer Beweisaufnahme ab.

10

Zuvor hatte der Kläger, der inzwischen in die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt ist, am 13. September 2016 Klage zum erkennenden Gericht erhoben. Er führt aus, er sei am 16. August 2015 auf einer privaten Feier in A-Stadt gewesen. Sein Freund C sei an der neben der Feierstelle gelegenen A- Tankstelle von mehreren Dunkelhäutigen attackiert worden. Die Kassiererin der Tankstelle habe die Rettungskräfte alarmiert. Kurz vor Eintreffen der Einsatzkräfte seien die Dunkelhäutigen in unterschiedliche Richtungen davongelaufen. Freunde hätten ihn über die erfolgten Verletzungen von Herrn C informiert. Er sei zur Tankstelle gegangen und habe seinen Freund blutend im Rettungswagen liegen sehen. Er sei einige Zeit am Rettungswagen geblieben. Die Blutung habe gefühlte 15 Minuten lang nicht gestillt werden können. Er habe dann gefragt, ob Lebensgefahr bestehe. Die medizinische Helferin habe ihm geantwortet. In diesem Moment seien die Polizeibeamten auf den Kläger zugetreten. Ein uniformierter Polizeibeamter habe ihn mit den Worten „Sie stehen unter Arrest“ begrüßt. Sodann hätten ihn die Polizeibeamten zu Boden geschlagen. Gemeinschaftlich hätten sie ihn erheblich verletzt. Er habe die Provokationen und Gewalttätigkeiten der Polizeibeamten über sich ergehen lassen. Die Handlung sei mit der Kamera seines Mobiltelefons aufgenommen worden.

11

Der Polizeibeamte P habe ihm dreimal gegen den Kiefer geschlagen. Polizeikommissar L habe mit dem rechten Arm gegen das Schulterblatt des Klägers geschlagen, anschließend sei sein Gesicht nach unten auf den Asphalt gedrückt worden. Daraus resultierten Schürfwunden an der Stirn und der Wange. Er sei von den Polizeibeamten gemeinschaftlich gefesselt worden. Er habe versucht zu fliehen, sei aber von den Polizeibeamten eingeholt worden, die ihm weitere Verletzungen zugefügt hätten. Sodann sei er fixiert worden. Seine Freunde hätten dies gesehen. Anschließend sei die amerikanische Militärpolizei gekommen und habe ihn vor weiteren Gewalttätigkeiten der Polizeibeamten bewahrt. Auf dem Polizeirevier habe man ihm dann widerrechtlich eine Blutprobe abgenommen.

12

Das Vorgehen der Polizei gegen ihn sei rechtswidrig gewesen. Wer einem verletzten, blutenden Freund am Rettungswagen Beistand leiste, tue Gutes. Dies habe kein Polizeibeamter zu pervertieren. Keiner habe in dieses Freundschaftsverhältnis einzugreifen.

13

Er habe ein erhebliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme, da zum einen der Polizeibeamte P gegen ihn vorgehe und zum anderen der Beklagte zivilrechtliche Forderungen gegen ihn erhebe. Auch habe er wegen des Vorfalls dienstrechtliche Schwierigkeiten gehabt.

14

Der Vorfall habe seine Menschenwürde und mithin seine Psyche attackiert. Die Bilder des Vorfalls gingen ihm nicht aus dem Kopf. Er erinnere sich immer wieder an die Schmerzen. Es seien derbe Entwürdigungen gewesen. Dass es die Justiz, insbesondere die Staatsanwaltschaft, bis heute nicht zu einem rechtsstaatlichen Verfahren gebracht habe, erlege ihm einen Rechtfertigungsdruck auf. Es bestehe ein berechtigtes Interesse an der korrekten juristischen Aufarbeitung.

15

Der Kläger beantragt,

16

festzustellen, dass der Polizeieinsatz am 16. August 2015 gegen ihn, den Kläger, auf dem Gelände der A-Tankstelle in A-Stadt, A-Straße, rechtswidrig war.

17

Der Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Er führt aus, entgegen der Ansicht des Klägers bestehe kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, insbesondere nicht aufgrund des durch Herrn Polizeikommissar P betriebenen Zivilverfahrens gegen den Kläger. Das von der Rechtsprechung anerkannte Präjudizinteresse im Rahmen von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog sei lediglich in den Fällen anzunehmen, in welchen die Erledigung des Verwaltungsaktes erst nach Klagerhebung eingetreten sei. Im Fall des Klägers liege jedoch die umgekehrte Situation vor. Dieser habe erst Klage erhoben, nachdem sich der Verwaltungsakt erledigt gehabt habe. Zudem sei es nicht der Kläger, der einen zivilrechtlichen Anspruch vor Gericht verfolge, sondern vielmehr der durch den Kläger geschädigte Polizeibeamte.

20

Soweit der Kläger behaupte, dass ein „berechtigtes Interesse an der korrekten juristischen Aufarbeitung“ bestehe, und er psychisch unter dem vor einem Jahr zurückliegenden Ausspruch der Polizeibeamten leide, sei in diesem Vortrag kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu erkennen.

21

In Fällen der vorliegenden Art, in denen sich der Verwaltungsakt typischerweise erledige, könne grundsätzlich ein Interesse an einer Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vorliegen, soweit durch den Verwaltungsakt in Grundrechte eingegriffen werde und durch die Erledigung ein rechtsfreier Raum eröffnet würde, der mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 20 GG nicht zu vereinbaren wäre. Im konkreten Fall des Klägers werde jedoch das polizeiliche Handeln in zwei weiteren Verfahren überprüft. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung sei zuständigkeitshalber an die US-Justizverbindungsstelle abgegeben worden. Dort werde über die Strafbarkeit der Widerstandshandlung des Klägers sowie Körperverletzung und inzident auch über das polizeiliche Handeln befunden.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze, die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die beigezogene Akte des Landgerichts Frankenthal in der Sache 3 O …/16 und die beigezogene Strafakte ….. Js ……../15 verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2017.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist zulässig (I.), in der Sache aber unbegründet (II.).

24

I. Die Klage ist zulässig.

25

1. Die Klage, die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des durch Beamte der Polizeiinspektion A-Stadt 2 vorgenommenen Polizeieinsatzes am 16. August 2015 gegen den Kläger auf dem Gelände der A-Tankstelle in A-Stadt am ..., A-Straße, gerichtet ist, ist zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – statthaft.

26

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in den Fällen, in denen sich – wie hier – der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat, entsprechende Anwendung (vgl. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 10993/13 –, LKRZ 2014, 363).

27

Vorliegend erfüllen nicht nur der Platzverweis und die angeordnete Ingewahrsamnahme (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. März 2011 – 1 S 2513/10 –, VBlBW 2011, 350), sondern auch das polizeiliche Verhalten mittels Anwendung körperlichen Zwangs die Merkmale eines Verwaltungsakts (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 10993/13 –, LKRZ 2014, 363).

28

2. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht der Umstand entgegen, dass die Klage erst mehr als ein Jahr nach dem Vorfall vom 16. August 2015 eingereicht worden ist. Hat sich ein Verwaltungsakt vor Eintritt der Bestandskraft erledigt, so ist eine Klage, die auf Feststellung seiner Rechtswidrigkeit gerichtet ist, nicht an die Fristen der §§ 74 Abs. 1 bzw. 58 Abs. 2 VwGO gebunden (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 – 6 C 7/98 –, NVwZ 2000, 63).

29

3. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.

30

Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein und ergibt sich nach der Rechtsprechung insbesondere aus den Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung sowie unter bestimmten Bedingungen auch aus der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch. Die gerichtliche Feststellung muss geeignet sein, die betroffene Position des Klägers zu verbessern (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 2 C 27/15 –, NVwZ-RR 2017, 381). Dies ist vorliegend der Fall.

31

3.1. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse lässt sich allerdings nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Bedeutung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 –, NVwZ 2013, 1481). Demgemäß besteht kein berechtigtes Feststellungsinteresse bei nur vager Möglichkeit einer Wiederholung oder bei Ungewissheit, ob künftig gleiche tatsächliche Verhältnisse vorliegen werden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 11202/13.OVG –, juris).

32

Eine konkrete Wiederholungsgefahr scheidet hier bereits deshalb aus, weil der Kläger inzwischen in die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt ist und es damit nicht hinreichend wahrscheinlich ist, dass er künftig wieder in eine Lage geraten wird, die hinsichtlich der maßgebliche Umstände dem vorliegenden Fall im Wesentlichen entspricht.

33

3.2. Der Kläger kann sein Feststellungsinteresse auch nicht daraus herleiten, dass der an dem Einsatz beteiligte Polizeikommissar P vor dem Landgericht Frankenthal gegen ihn, den Kläger, sowie er im Wege der Widerklage gegen Herrn P zivilrechtliche Forderungen erhoben haben. Dies gilt ebenso für den Fall, dass der Kläger noch beabsichtigen sollte, einen Schadensersatzanspruch gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen Amtspflichtverletzung der Beamten anlässlich des Polizeieinsatzes am 16. August 2015 geltend zu machen. In beiden Fällen handelt es sich um Ansprüche, die in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fallen. Beruft sich ein Kläger im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage darauf, diese diene der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses oder sonstiger Ersatzansprüche, so ist ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur gegeben, wenn sich der streitgegenständliche Verwaltungsakt nicht bereits vor der Klageerhebung erledigt hat (BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1989 – 8 C 30/87 –, NJW 1989, 2486; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Januar 2009 – 10 A 10805/08 –, DVBl 2009, 659). Für diesen Fall ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Partei, die – auch im Sinne des Primärrechtsschutzes (vgl. § 839 Abs. 3 Bürgerliches GesetzbuchBGB –) – gezwungen war, vor dem Verwaltungsgericht zu klagen, um den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern, nicht ohne Not um die Früchte des bisherigen Prozesses gebracht werden darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1998 – 4 C 14/96 –, NVwZ 1998, 1295). Diese Konstellation ist hier ersichtlich nicht gegeben, da die verschiedenen Maßnahmen der Polizeibeamten anlässlich des Polizeieinsatzes am 16. August 2015 sich unmittelbar danach erledigt hatten.

34

3.3. Die Kammer hat ferner erhebliche Zweifel, ob ein berechtigtes Feststellungsinteresse hier unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung des Klägers gegeben ist.

35

Ein Rehabilitierungsinteresse begründet ein berechtigtes Feststellungsinteresse, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist. Dafür reicht es nicht aus, dass der Betroffene den erledigten Verwaltungsakt als diskriminierend empfunden hat. Maßgebend ist vielmehr, ob abträgliche Nachwirkungen des erledigten Verwaltungsaktes fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes wirksam begegnet werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1999 – 2 A 5/98 –, NVwZ 2000, 574). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (s. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 –, NVwZ 2013, 1481; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 10993/13 –, LKRZ 2014, 363).

36

Eine diskriminierende bzw. stigmatisierende Wirkung kann sich nicht nur aus der Art des Verwaltungsaktes, seiner Begründung und den Umständen seines Erlasses ergeben, sondern auch aus der Art und Weise seines Vollzugs (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 113 Rn. 143). Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtmäßigkeit von Grundverwaltungsakt und Vollstreckungsmaßnahmen rechtlich getrennt zu prüfen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967 – I C 49.64 –, BVerwGE 26, 161). Der Vollzug eines Verwaltungsaktes kann gleichwohl Bedeutung für die Beurteilung der Frage von dessen Außenwirkung und des dadurch eingetretenen Ansehensverlusts haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 –, NVwZ 2013, 1481).

37

Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung am 6. September 2017 an.

38

Die Kammer hat erhebliche Bedenken, bei objektiver Betrachtung ein berechtigtes Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung des Klägers zu begründen. Der Vorfall liegt über zwei Jahre zurück. Anhaltspunkte, dass von den angegriffenen Maßnahmen der Polizeibeamten noch eine in der Gegenwart andauernde Stigmatisierung des Klägers ausgehen könnte, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen, sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist inzwischen in die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt. Zwar hat er behauptet, er habe wegen des Vorfalls dienstrechtliche Schwierigkeiten gehabt. Dies hat er aber nicht einmal ansatzweise näher präzisiert. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal hat das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung – StPO – eingestellt und an die US-Behörden abgegeben. Dass die US-Behörden wegen dieses Vorfalls in der Folgezeit strafrechtlich gegen ihn Ermittlungen aufgenommen hätten, hat der Kläger nicht behauptet.

39

3.4. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse liegt aber jedenfalls im Hinblick auf einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff vor.

40

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz – GG – verbürgte Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen gewichtiger, allerdings in zeitlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, NJW 2004, 2510; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 2017 – 7 B 1/16 –, juris).

41

Tiefgreifende Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz – wie in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 – 4 (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 104 Abs. 2 und 3 (Freiheitsentziehung) – vorbeugend dem Richter vorbehalten hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Februar 1999 – 2 BvR 804/97 –, NJW 1999, 3773 zur Freiheitsentziehung zur Durchsetzung eines Platzverweises). Tiefgreifende Grundrechtseingriffe wurden in der Rechtsprechung weiterhin bejaht bei Eingriffen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967 – I C 49.64 –, BVerwGE 26, 161).

42

Hiervon ausgehend kann sich der Kläger auf ein berechtigtes Feststellungsinteresse im Hinblick auf einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff berufen. Kurzfristig sich erledigende polizeiliche Maßnahmen – Platzverweis, angeordnete Festnahme und Anwendung unmittelbaren Zwangs – liegen vor. Während des Polizeieinsatzes am 16. August 2015 konnte der Kläger auch keinen Rechtsschutz gegen die getroffenen Maßnahmen erreichen. Nach seiner Darstellung wurde der Kläger bei dem Tumult nach dem Platzverweis von Polizeivollzugsbeamten geschlagen. Er hat vorgetragen, die Beamten hätten ihn ohne hinreichenden Grund mit Gewalt misshandelt. Sollte dies wirklich zutreffen, so wäre er durch eine obrigkeitliche Maßnahme in seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sowie seines Rechts auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 GG verletzt worden. Diese geltend gemachten Grundrechtsverletzungen sind nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen.

43

II. Die Klage ist aber unbegründet. Die gegen den Kläger ergriffenen polizeilichen Maßnahmen waren rechtmäßig.

44

1. Der von Beamten der Polizeiinspektion A-Stadt 2 an der A-Tankstelle in der A-Straße in A-Stadt am ... in der Nacht des 16. August 2015 ausgesprochene Platzverweis findet seine Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG –. Danach können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person zeitlich befristet von einem Ort verweisen oder ihr zeitlich befristet das Betreten eines Ortes verbieten. Die Maßnahme kann insbesondere gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Polizei, der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindern.

45

Die Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Platzverweises lagen vor.

46

1.1. In formeller Hinsicht konnte der Platzverweis gegenüber dem Kläger gemäß § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – mündlich ergehen.

47

Ein mündlicher Verwaltungsakt geht zu, wenn der Betroffene die Erklärung vernommen und als solche verstanden hat. Sprachunkenntnis und Sprachschwierigkeiten des Betroffenen – bei dem Kläger handelt es sich um einen amerikanischen Staatsbürger, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist – können durch Verwendung einer Fremdsprache beseitigt werden (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 96). Dies ist hier erfolgt, da die Polizeibeamten den Platzverweis in englischer Sprache ausgesprochen haben („Go“).

48

1.2. Selbst wenn der im Bekanntgabezeitpunkt alkoholisierte Kläger die Anordnung des Platzverweises nicht vollständig erfasst haben sollte, bestehen keine Zweifel am Wirksamwerden der Grundverfügung ihm gegenüber gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. § 43 Abs. 1 VwVfG. Nach der Rechtsprechung reicht es zur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts aus, dass die Behörde seinen Inhalt willentlich dem Adressaten zur Kenntnis bringt. Zur Kenntniserlangung bedarf es lediglich der Handlungsfähigkeit des Empfängers gemäß § 12 VwVfG, die mit seiner Geschäftsfähigkeit nach bürgerlichem Recht einhergeht (vgl. dazu im Einzelnen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. August 2009 – 5 E 967/09 –, juris).

49

Danach war der mündlich ausgesprochene Verwaltungsakt wirksam geworden, weil die Polizeibeamten nach den für sie erkennbaren Umständen davon ausgingen, der Kläger habe seinen Ausführungen folgen können.

50

1.3. Die Polizeibeamten der Polizeiinspektion A-Stadt 2 waren auch sachlich (§ 13 Abs. 1 POG) und örtlich (§ 78, 77 Abs. 2 POG i.V.m. der Landesverordnung über die Dienstbezirke und die Gliederung der Polizeipräsidien sowie die sachliche Zuständigkeit des Wasserschutzpolizeiamtes – PolPrV –) zuständig, dem Kläger einen Platzverweis zu erteilen.

51

1.4. Auch die materiellen Anforderungen des § 13 Abs. 1 POG sind erfüllt.

52

Da der Platzverweis ausschließlich der Gefahrenabwehr dient, ist im Rückschluss aus § 9 POG eine im Einzelfall bestehende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich. Eine Gefahr ist gegeben, wenn eine Sachlage besteht, die aus der objektiven ex-ante-Sicht der Behörde bei verständiger Würdigung in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an einem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit führen wird (vgl. Roos/Lenz, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz, 4. Auflage 2011, § 9 Rn. 17 m.w.N.). Die Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes hängen dabei von der Größe des Schadens und der Wertigkeit des zu schützenden Rechtsgutes ab. Je bedeutender und höherrangiger das bedrohte Rechtsgut ist, desto niedriger sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2012 – 6 C 12/11 –, NJW 2012, 2676). Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes bedarf es einer Prognose auf der Basis der zum Zeitpunkt der polizeilichen Entscheidung (ex ante) erkennbaren Umstände.

53

Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist u.a. die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen. Die Polizei ist dazu berufen, den ordnungsmäßigen Betrieb der staatlichen Einrichtungen vor Störungen von außen zu sichern, unabhängig davon, ob diese einen Straftatbestand oder Bußgeldtatbestand erfüllen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Januar 1997 – 5 B 2601/96 –, NJW 1997, 1596). Stören oder behindern Dritte eine polizeiliche Maßnahme, stellt dies eine konkrete Gefahr für das Funktionieren einer staatlichen Einrichtung und damit für die öffentliche Sicherheit dar (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 10993/13 –, LKRZ 2014, 363 m.w.N.). Dabei beurteilt sich die Frage, ob eine präventiv-polizeiliche Maßnahme erforderlich ist, nach den Verhältnissen und dem Erkenntnisstand zurzeit ihres Erlasses (sog. ex-ante-Betrachtung, vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1975 - 1 C 35.70 -, juris, Rn. 32 = BVerwGE 49, 36).

54

Hiervon ausgehend durften die Beamten der Polizeiinspektion A-Stadt 2 in der Nacht des 16. August 2015 gegenüber dem Kläger einen Platzverweis aussprechen.

55

Aus den Feststellungen des Landgerichts Frankenthal in seinem Urteil vom 24. Mai 2017 – 3 O …/16 – sowie in dem Protokoll über die öffentliche Sitzung vom 15. März 2017, in der sowohl der Kläger zu dem Sachverhalt am 16. August 2015 informatorisch angehört als auch insgesamt sechs Zeugen vernommen wurden, ergibt sich zweifelsfrei, dass der Kläger, bei dem später ein Alkoholpegel von 1,34 Promille festgestellt wurde, in der besagten Nacht die Rettungskräfte, die nach ihrem Eintreffen auf dem Tankstellengelände den verletzten C dem Rettungswagen ärztlich versorgten, aggressiv störte.

56

Die Kammer darf von diesen Feststellungen ausgehen, da der Kläger Besonderheiten nicht vorgetragen hat und gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen des Landgerichts Frankenthal in dem geführten Zivilprozess nicht ersichtlich sind (vgl. für den Strafprozess BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 1997 – 1 B 34/97 –, GewArch 1997, 242; Bay. VGH, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 19 CS 06.2210 –, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2. Februar 2016 – 12 ME 142/16 –, juris zur Bindung an Strafurteile bei der Entziehung der Fahrerlaubnis).

57

Soweit die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2017 behauptet hat, der Kläger sei berechtigt gewesen, seinen Freund im Rettungswagen aufzusuchen, sei aber rechtswidriger Weise daran von den Rettungskräften und Polizeibeamten gehindert worden, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Die Rettungskräfte waren zu der Tankstelle in der A-Straße in A-Stadt am ... gerufen worden, weil es dort nach einem Zwischenfall einen Verletzten – Herrn C – gegeben hatte. Gemäß § 22 Abs. 6 Rettungsdienstgesetz – RettDG – in der Fassung des Gesetzes vom 18. Juni 2013 (GVBl. Seite 254) gilt für die im Rettungsdienst eingesetzten Rettungshelfer, Rettungssanitäter, Rettungsassistenten und Notärzte die Regelungen des durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Dezember 2010 (GVBl. Seite 567) geänderten § 25 des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes – LBKG – entsprechend. Danach veranlasst der Einsatzleiter nach pflichtgemäßem Ermessen die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 LBKG). Der Einsatzleiter führt die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durch, soweit diese nicht von der Polizei oder anderen zuständigen Stellen getroffen werden, und kann insbesondere das Betreten des Einsatzgebiets oder einzelner Einsatzbereiche verbieten, Personen von dort verweisen und das Einsatzgebiet oder einzelne Einsatzbereiche sperren und räumen lassen, soweit dies zur Abwehr von Gefahren nach § 1 Abs. 1 erforderlich ist (§ 25 Abs. 1 Satz 4 LBKG). Er hat die Befugnisse eines Vollstreckungsbeamten nach dem III. Abschnitt des ersten Teiles des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes (§ 25 Abs. 1 Satz 5 LBKG).

58

Somit wären bereits die Rettungskräfte berechtigt gewesen, gegenüber dem Kläger einen Platzverweis zu erteilen. Jedenfalls war der (offensichtlich mehrmals) gegenüber dem Kläger ausgesprochene Platzverweis durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion A-Stadt 2 rechtmäßig, da der alkoholisierte Kläger ganz offenkundig die eingesetzten Rettungskräfte bei ihrer Arbeit störte. Dass der Kläger vorgibt, er habe nur seinem Freund beistehen wollen, dies dürfe kein Polizeibeamter „pervertieren“, ist vor diesem Hintergrund haltlos.

59

2. Die Anordnung der Ingewahrsamnahme ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

60

Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme ist die Vorschrift des § 14 Abs. 1 POG. Danach kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn 1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet, 2. das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung zu verhindern, 3. das unerlässlich ist, um eine Platzverweisung oder ein Aufenthaltsverbot nach § 13 durchzusetzen, oder 4. das unerlässlich ist, um private Rechte zu schützen, und eine Festnahme und Vorführung nach den §§ 229 und 230 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches zulässig wäre.

61

2.1. In formeller Hinsicht kann zunächst auf die Ausführungen zu 1.1. und 1.2. verwiesen werden. Die Anordnung der Ingewahrsamnahme erfolgte in englischer Sprache („You are under arrest“ (s. Blatt 4 des Protokolls über die öffentliche Sitzung des Landgerichts Frankenthal vom 15. März 2017) und konnte somit vom Kläger verstanden werden.

62

Der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 POG bedurfte es nicht, weil anzunehmen war, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen würde (§ 15 Abs. 1 Satz 2 POG).

63

2.2. Materiell waren zumindest die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Nr. 3 POG gegeben.

64

2.2.1. Es lag ein polizeilicher Gewahrsam im Sinne des § 14 Abs. 1 POG vor. Gewahrsam bedeutet, dass die Polizei einer Person ihre Freiheit entzieht, sie in Verwahrung nimmt und sie daran hindert, sich zu entfernen (VG München, Urteil vom 12. Oktober 2016 – M 7 K 14.2128 –, juris). Die Freiheitsentziehung ist abzugrenzen von der Freiheitsbeschränkung, bei der die Bewegungsfreiheit des Betroffenen vorübergehend eingeschränkt ist. Ab wann eine Freiheitsentziehung gemäß Art. 104 Abs. 2 GG (und nicht bloß eine Freiheitsbeschränkung) und damit ein Gewahrsam nach Polizeirecht vorliegt, richtet sich nach der Intensität des Eingriffs (sogenannter materieller Gewahrsamsbegriff). Eine Freiheitsentziehung setzt mindestens voraus, dass die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 2002 – 2 BvR 2292/00 –, BVerfGE 105, 239). Danach lag hier ein Gewahrsam vor, denn der Kläger wurde am 16. August 2015 zwischen 2 und 3 Uhr durch Polizeibeamte auf dem Gelände der Tankstelle in der A-Straße in A-Stadt am ... am Boden fixiert und mittels Handschellen gefesselt und bis kurz vor 6 Uhr, als er den US-Streitkräften auf der Dienststelle übergeben wurde, festgehalten. Bei dieser Zeitdauer hatte der Eingriff in die Freiheitsrechte eine solche Intensität erreicht, dass eine Freiheitsentziehung gegeben war (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 12. Januar 2017 – 3 K 141/16 –, juris unter Bezugnahme auf Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Auflage 2015, § 26 Rn. 29: ab einer Stunde).

65

2.2.2. Die Ingewahrsamnahme des Klägers war im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Anordnung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – 5 A 1045/09 –, juris) zur Durchsetzung des zuvor angeordneten Platzverweises erforderlich. Die Rechtmäßigkeit der hier zu beurteilenden polizeilichen Maßnahme bestimmt sich allein nach der Gefahrenlage, wie sie sich den Polizeibeamten bei fehlerfreier ex ante-Prognose darstellte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. März 2011 – 1 S 2513/10 –, VBlBW 2011, 350). Später eingetretene Umstände können daher grundsätzlich keine Berücksichtigung finden.

66

Die von den Polizeibeamten am 16. August 2015 gegenüber dem Kläger erklärte Ingewahrsamnahme hält einer Überprüfung am Maßstab der ex ante-Prognose stand. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landgerichts Frankenthal sowohl von den Rettungskräften als auch von den Polizeibeamten zunächst höflich aufgefordert worden, sich von dem Rettungswagen und dessen unmittelbarer Umgebung zu entfernen. Dies hatte jedoch keinen Erfolg, so dass die Polizeibeamten mehrfach einen förmlichen Platzverweis gegenüber dem Kläger aussprachen, dem dieser jedoch nicht Folge leistete, weil er der unzutreffenden Auffassung war, ein Zugangsrecht zu seinem Freund im Rettungswagen zu haben. Um nicht länger die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit stören zu können, war die Ingewahrsamnahme des Klägers zur Durchsetzung des Platzverweises unerlässlich.

67

Ob im Hinblick auf den Umstand, dass der Kläger in der Nacht des 16. August 2015 auch stark alkoholisiert war, daneben auch die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 1 POG als Rechtsgrundlage in Betracht kam (vgl. Roos/Lenz, a.a.O., § 14 Rn. 9), bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung.

68

3. Die Anwendung des unmittelbaren Zwangs durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion A-Stadt 2 findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 57, 58 POG. Gemäß § 57 Abs. 1 POG gelten die §§ 2 bis 6 Abs. 1 und die §§ 10, 14 bis 16, 61 bis 67 und 83 bis 85 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz – LVwVG –, wenn die Polizei einen Verwaltungsakt vollstreckt, mit dem eine Handlung, eine Duldung oder eine Unterlassung gefordert wird. Ist die Polizei nach diesem Gesetz, dem Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz oder anderen Rechtsvorschriften zur Anwendung unmittelbaren Zwanges befugt, gelten für die Art und Weise der Anwendung die §§ 58 bis 66 und, soweit sich aus diesen nichts Abweichendes ergibt, die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes (§ 57 Abs. 2 POG). Die Ausführung unmittelbaren Zwanges erfolgt durch Polizeibeamte (§ 57 Abs. 3 POG).

69

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verwaltungszwang nach den genannten Vorschriften waren hier gegeben.

70

Der ausgesprochene Platzverweis sowie die angeordnete Ingewahrsamnahme waren gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar und konnten nach § 2 Nr. 2, § 62 Abs. 1 Nr. 3 LVwVG, § 58 POG mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden.

71

Die Polizeibeamten haben unmittelbaren Zwang in Form von körperlicher Gewalt gegen den Kläger angewendet (vgl. § 58 Abs. 2 POG), indem sie diesen, als er sich der Festnahme entziehen wollte, festhielten und, nachdem der Kläger anlässlich der Festnahme den Polizeikommissar P in den Finger gebissen hatte, schlugen, am Boden fixierten und ihm Handschellen anlegten (s. dazu die Feststellungen des Landgerichts Frankenthal im Verfahren 3 O …/16).

72

Diese Maßnahmen waren rechtmäßig, insbesondere auch verhältnismäßig. Die Verhältnismäßigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges ist aus der ex-ante-Sicht der handelnden Polizeibeamten zu beurteilen. Ein anderes geeignetes, den Kläger weniger belastendes Zwangsmittel stand nicht zur Verfügung. Wie die an dem Vorfall beteiligten Polizeibeamten in der Sitzung des Landgerichts Frankenthal vom 15. März 2017 übereinstimmend ausgesagt haben, war der Kläger von den am 16. August 2015 auf dem Tankstellengelände anwesenden Personen besonders aggressiv und uneinsichtig, weshalb zunächst ein Platzverweis und anschließend die Anordnung der Ingewahrsamnahme ausgesprochen wurde. Weil der Kläger sich der Ingewahrsamnahme widersetzte, durften ihn die Polizeibeamten unter Anwendung unmittelbaren Zwangs festsetzen.

73

Der Umstand, dass der Kläger nach dem Beißvorfall mehrmals von Polizeibeamten geschlagen, auf dem Boden fixiert und gefesselt wurde, war ersichtlich darauf zurück zu führen, dass der Kläger seinerseits mit Gewalt sich der Festnahme entziehen wollte (s. dazu die Feststellungen des Landgerichts Frankenthal im Verfahren 3 O …/16).

74

Es bedurfte auch keiner vorherigen Androhung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 POG vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs. Zum einen ließen die Umstände eine Androhung nicht zu (§ 61 Abs. 1 Satz 2 POG), zumal der Kläger stark alkoholisiert und uneinsichtig war. Zum anderen war die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig (§ 61 Abs. 1 Satz 2 POG).

75

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

76

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

77

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG –).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Klägerinnen nicht kraft Gesetzes verpflichtet sind, das von dem Beklagten veranstaltete Fernsehprogramm „NDR Fernsehen“ sowie das von dem Beklagten mitveranstaltete Fernsehprogramm „Das Erste“ unentgeltlich zu verbreiten.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für jeden Gläubiger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der jeweils festzusetzenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kabelnetze betreibenden Klägerinnen begehren in erster Linie die Feststellung, gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Vertragsschluss wegen der Netzeinspeisung von ihm veranstalteter und mitveranstalteter Fernsehprogramme zu besitzen; hilfsweise wollen sie weitere auf die Verbreitung bezogene Feststellungen erlangen. Widerklagend erstrebt der Beklagte die Feststellung, die auf den Abschluss solcher Verträge gerichteten Angebote der Klägerinnen seien aus im Einzelnen geltend gemachten Gründen unzulässig.

2

Die Klägerinnen betreiben regionale Breitbandkabelnetze im Zuständigkeitsbereich der drei beigeladenen Landesmedienanstalten. Der Beklagte ist eine der in der ARD zusammengeschlossenen öffentlich-rechtlich verfassten Landesrundfunkanstalten. Er veranstaltet u.a. das Fernsehprogramm „NDR Fernsehen“ und ist Mitveranstalter des Fernsehprogramms „Das Erste“.

3

Die Klägerinnen verbreiten diese Programme neben weiteren öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rundfunkprogrammen in ihren Netzen, mit denen sie ihren Endkunden darüber hinaus zahlreiche weitere Telekommunikationsdienstleistungen anbieten. Unter den vom Beklagten genutzten Verbreitungswegen für die streitgegenständlichen Programme – terrestrische Verbreitung (DVBT), Verbreitung über Satellit sowie per Internet (Streaming) – erreichen die Netze der Klägerinnen mit über 40 % die relativ meisten Rundfunkteilnehmer. In der Vergangenheit hatte der Beklagte – wie sämtliche anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – mit den Klägerinnen über die Verbreitung ihrer Programme privatrechtliche Verträge geschlossen. Darin waren (für sämtliche Rundfunkanstalten) Einspeisegebühren in Höhe von rund ... Mio. Euro jährlich und bestimmte technische Modalitäten zur Einspeisung der Signale in die Netze der Klägerinnen vereinbart. Diese Verträge hat der Beklagte – wie sämtliche anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter – zum 31.12.2012 gekündigt. Die Wirksamkeit der Kündigungen greifen die Klägerinnen – bislang erfolglos – vor den Zivilgerichten an. Die technische Einspeisung der streitgegenständlichen Programme in die Netze der Klägerinnen erfolgt ungeachtet dessen unverändert auf die vertraglich vereinbarte Weise.

4

Die Klägerinnen haben dem Beklagten wiederholt und vergeblich Vertragsangebote über den Abschluss neuer Einspeiseverträge unterbreitet.

5

Am 30.4.2013 haben die Klägerinnen die vorliegende Klage anhängig gemacht. Sie machen geltend, der Beklagte sei wie die anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach dem gesetzlichen Auftrag verpflichtet, die Verbreitung ihrer Programme über ihre Breitbandkabelnetze, das sog. „Fernsehkabel“, sicherzustellen. Die privilegierte rechtliche Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine finanzielle Ausstattung durch die von allen Haushalten erhobenen Rundfunkbeiträge werde durch seine Aufgabe zur Versorgung der Bevölkerung mit vielfältigen Programmen und insbesondere der Grundversorgung mit Rundfunkprogrammen gerechtfertigt. Daher gehörten gemäß §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 19 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) nicht nur die Herstellung, sondern auch die Verbreitung ihrer Programme zu dem ihm obliegenden gesetzlichen Auftrag. Nach § 19 RStV könne der Beklagte dieser Aufgabe durch Nutzung geeigneter Übertragungswege nachkommen. Damit sei ihm ein Ermessen eröffnet, welches er nach dem Zweck der Ermessenseinräumung und unter Berücksichtigung ihrer Grundrechte auszuüben habe. Dabei komme es entscheidend auf die tatsächlichen Gegebenheiten des Rundfunkempfangs an. Daher könne auf die Verbreitung über die von ihnen betriebenen Netze, die mit Abstand populärste Art der Verbreitung, schlechthin nicht verzichtet werden. Dies gelte auch unter dem gemäß § 19 Satz 2 RStV maßgeblichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Der von ihnen angebotene Verbreitungsweg sei erheblich preisgünstiger als die Verbreitung über andere Infrastrukturen. Solange ein ganz wesentlicher Anteil der Rundfunkhaushalte die Programme über das Kabelnetz empfange, sei das Ermessen des Beklagten, ob er diesen Verbreitungsweg nutzen wolle, auf die allein rechtmäßige Auswahlentscheidung, nämlich die Verpflichtung seine Programme über ihre Netze zu verbreiten, reduziert. Mangels hoheitlicher Mittel zur Erfüllung dieser Verpflichtung müsse der Beklagte zur Erfüllung dieser Aufgabe mit ihnen zivilrechtliche Einspeiseverträge schließen.

6

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Vorschriften über die Plattformregulierung. In § 52b RStV und den entsprechenden landesgesetzlichen Pflichten für den mit analogen Programmen belegten Bereich des Kabels sei ihre Verpflichtung statuiert, bestimmte Kapazitäten für die in den Vorschriften näher bestimmten Programme bereitzuhalten und den jeweiligen Programmveranstaltern die Einspeisung dieser Programme zu angemessenen Bedingungen anzubieten. Das ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 52b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RStV, wonach sie als Plattformbetreiber sicherzustellen hätten, dass die erforderlichen Kapazitäten für die dort bezeichneten Programme „zur Verfügung stehen“. Hierin sei keine Pflicht zur Einspeisung oder Verbreitung der Programme zu erkennen. Ebenso wenig wie die privaten Rundfunkveranstalter könnten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit dem in § 52b RStV geregelten Must-Carry-Status ihrer Programme einen Anspruch auf kostenlose Verbreitung begründen. Dass der rundfunkrechtlichen Ausgestaltung keine Verpflichtung zur unentgeltlichen Verbreitung zugrunde liege, ergebe sich insbesondere auch daraus, dass bestimmte Programme des Bürgerfunks (offene Kanäle) nach den Landesmediengesetzen ausdrücklich kostenlos einzuspeisen seien. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass alle übrigen Programmveranstalter sich gerade nicht auf einen Anspruch auf kostenlose Verbreitung berufen könnten, sondern für die Einspeisung ein angemessenes Entgelt zu zahlen hätten. Für ihren hieraus folgenden Anspruch auf Abschluss entsprechender Einspeiseverträge sei es unerheblich, dass der Rundfunkauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht in ihrem Interesse, sondern im Interesse der Allgemeinheit bestehe. Denn die Einschränkung ihrer grundrechtlich geschützten Kabelbelegungsfreiheit wäre unverhältnismäßig, wenn die Rundfunkanstalten nicht zur Einspeisung der zur Verbreitung vorgesehenen Must-Carry-Programme verpflichtet wären. Bestünde für den Beklagten keine Pflicht zum Vertragsschluss, würde der verfassungsrechtliche Grund für ihre Angebotspflicht entfallen.

7

Darüber hinaus sei es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit den anderen von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Erfüllung ihres Verbreitungsauftrags genutzten Telekommunikationsdienstleistern geboten, dass der Beklagte mit ihnen, ebenso wie mit den Betreibern der anderen Verbreitungswege, entgeltliche Verträge schließe.

8

Die Klägerinnen beantragen,

9

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, mit ihnen einen Vertrag über die Verbreitung des von ihm veranstalteten Fernsehprogramms „NDR Fernsehen“ sowie des von ihm mitveranstalteten Fernsehprogramms „Das Erste“ unter Einschluss der Regelung eines für die Verbreitung zu entrichtenden Einspeiseentgelts zu schließen,

10

hilfsweise festzustellen, dass sie ohne Abschluss eines solchen Vertrags nicht verpflichtet sind, das von dem Beklagten veranstaltete Fernsehprogramm „NDR Fernsehen“ sowie das von dem Beklagten mitveranstaltete Fernsehprogramm „Das Erste“ zu verbreiten,

11

weiter hilfsweise festzustellen, dass sie nicht kraft Gesetzes verpflichtet sind, das von dem Beklagten veranstaltete Fernsehprogramm „NDR Fernsehen“ sowie das von dem Beklagten mitveranstaltete Fernsehprogramm „Das Erste“ unentgeltlich zu verbreiten.

12

Der Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Er wendet ein, die Klage sei bereits unzulässig. Die begehrte Feststellung sei jedenfalls im Hinblick auf die Entgeltlichkeit keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Damit sei schon der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. Den Klägerinnen fehle auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Sie setzten sich mit der vorliegenden Klage in Widerspruch zu den parallel betriebenen zivilrechtlichen Streitigkeiten. Würde der Einspeisevertrag, wie dort von den Klägerinnen geltend gemacht, fortbestehen, sei für die hier begehrte Feststellung von vornherein kein Raum. Im Hinblick darauf sei die Feststellungsklage auch subsidiär, weil der in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelte Grundsatz rechtswegübergreifend gelte. In offenkundiger Ermangelung eines subjektiven öffentlichen Rechts fehle den Klägerinnen die Klagebefugnis für den Hauptantrag. Der Antrag sei zudem entgegen § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO unbestimmt, weil völlig unklar bleibe, was mit dem Begriff der Entgeltlichkeit gemeint sei. Die Klägerinnen erhielten von ihm und den anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern wertvolle Programmsignale, worin aktuell bereits eine „Entgeltlichkeit“, nämlich das Zurverfügungstellen eines werthaltigen Produktes, zu sehen sei. Im Falle einer antragsgemäßen Verurteilung wäre es ihm mangels Vorgaben zum Inhalt des Vertrages unmöglich, das Urteil zu befolgen und umzusetzen. Eine Befriedung des Rechtsstreits wäre nicht erreicht.

15

Die Klage sei überdies unzulässig, weil „Das Erste“ als Gemeinschaftsprogramm von allen ARD-Rundfunkanstalten veranstaltet werde. Es könne daher auch nur von allen diesen Anstalten gemeinschaftlich zur Verfügung gestellt werden. Insoweit sei er nicht passiv legitimiert, vielmehr bestehe eine notwendige Streitgenossenschaft.

16

Der Hauptantrag sei jedenfalls unbegründet. Für die geltend gemachte Verpflichtung fehle es an jedem Rechtsgrund. Es bestehe allenfalls seine rein objektiv-rechtliche Verpflichtung zur Verbreitung der von ihm veranstalteten Programme. Eine solche Verpflichtung könnten die Klägerinnen nicht durchsetzen, dies obliege der für ihn bestehenden Rechtsaufsicht. Der Grundversorgungsauftrag enthalte keine subjektiv-rechtliche Dimension. Er diene unter keinem Gesichtspunkt auch dem Schutz der Klägerinnen. Nach der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der hierzu ergangenen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ziele der Grundversorgungsauftrag allein auf die Versorgung der Bevölkerung als Allgemeinheit. Ein abgrenzbarer Kreis Begünstigter sei nicht zu erkennen. Dies treffe auch auf die in § 19 RStV erfolgte einfachgesetzliche Ausgestaltung zu. Die den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zugewiesene Autonomie in der Veranstaltung von Rundfunk umfasse notwendigerweise auch die Modalitäten der Verbreitung der im Einzelnen veranstalteten Programme. Im Rahmen seiner Ausgestaltungskompetenz habe der Gesetzgeber sichergestellt, dass die Klägerinnen als markt- und meinungsmächtige Plattformbetreiber nicht den Rezipienten insbesondere die Vielfalt sichernden öffentlich-rechtlichen Programme vorenthielten, indem er ihnen Must-Carry-Pflichten auferlegt habe. Eine Pflicht der Rundfunkanstalten zur Zahlung von Einspeiseentgelten habe er dabei nicht normiert. Dies sei auch folgerichtig. Denn eine Zahlungspflicht könne zu nichts anderem führen als zu einer Subventionierung des Geschäftsmodells der Klägerinnen. Dieses profitiere aber ohnehin schon von der Verbreitung der werthaltigen öffentlich-rechtlichen Programme. Einem weiteren Wertzufluss in Form von Einspeiseentgelten fehle es an jeder sachlichen Rechtfertigung. Darin liege auch nicht etwa eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf andere mit der Verbreitung befasste Dienstleister. Denn im Gegensatz zu diesen verfügten die Klägerinnen über Endkundenbeziehungen, aus denen sie sich, wie die tatsächlichen Verhältnisse zeigten, außerordentlich auskömmlich finanzieren könnten.

17

Aus der Vorschrift des § 19 RStV könnten die Klägerinnen bereits deshalb nichts für sich herleiten, weil der den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dort eingeräumte Spielraum nicht als Ermessen aufzufassen sei. Hinsichtlich der technischen Ausgestaltung des Verbreitungsauftrages könne er davon ausgehen, dass die Erreichbarkeit der „Kabelkunden“ zum einen durch das wirtschaftliche Eigeninteresse der Klägerinnen an der gewinnbringenden Verbreitung und Vermarktung der wertvollen öffentlich-rechtlichen Programme und andererseits durch die gesetzlichen Must-Carry-Verpflichtungen hinlänglich abgesichert sei.

18

Aus den von den Klägerinnen in Anspruch genommenen Grundrechten aus Art. 12 GG und Art. 14 GG ergebe sich ebenfalls nichts für einen Kontrahierungsanspruch. Diese Grundrechte seien prinzipiell als reine Abwehrrechte gegenüber dem Staat ausgestaltet. Er sei jedoch selbst Grundrechtsträger. Soweit aus Art. 12 GG überhaupt Teilhaberechte abzuleiten seien, seien diese an den Gesetzgeber adressiert. Individualansprüche kämen allenfalls bei evidenter Verletzung eines Verfassungsauftrages in Betracht. Aus den Must-Carry-Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages lasse sich ebenso wenig ein Vergütungsanspruch oder ein Anspruch auf Vertragsschluss herleiten. Dies gelte schon deshalb, weil sie sich zur Frage eines solchen Anspruches offenkundig gar nicht äußern würden. Vielmehr verpflichte die Regelung des § 52b Abs. 1 Satz 1 lit. a RStV die Klägerinnen zur unbedingten Weiterverbreitung der öffentlich-rechtlichen Programme. Diese Verpflichtung umfasse nicht nur die Bereitstellung von Kapazität im Sinne einer bloßen Vorhaltung („must provide“), sondern sie fordere die tatsächliche Einspeisung und Verbreitung der Programme über die Netze der Klägerinnen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Norm („zur Verfügung stehen“ und „zu verbreiten“) sowie aus der Systematik, der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschriften. An den Abschluss eines Einspeisevertrages oder auch nur einer Vergütungsregelung sei die Verbreitungsverpflichtung nicht geknüpft. Darüber hinaus sei für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Klägerinnen schon deshalb nichts ersichtlich, weil den Klägerinnen ihre Berufsausübung – die Belieferung und Vermarktung von Rundfunksignalen an Betreiber nachgelagerter Netze und Haushalte – gerade erst durch die Überlassung der wertvollen öffentlich-rechtlichen Programmsignale ermöglicht werde. Damit erhielten die Klägerinnen von ihm eine Leistung, die ihnen erst ihr Geschäftsmodell ermögliche. Schließlich würde die Annahme eines Kontrahierungszwangs auch unmittelbar in Grundrechte der Rundfunkveranstalter eingreifen. Dies würde zum einen einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit darstellen, für den eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich sei. Wollte man hingegen eine Vergütungspflicht annehmen, würde das zu einer enormen Belastung der Allgemeinheit führen. Denn jedes Unternehmen, welches über Telekommunikationsnetze und mehr als 10.000 angeschlossene Wohnungen verfüge, könne dann für die Verbreitung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme eine Vergütung verlangen. Dies sei angesichts der Vielzahl entsprechender Betreiber und Anbieter, von denen bislang niemand ein Einspeiseentgelt erhalten habe, ein naheliegendes und wirtschaftlich folgenreiches Risiko. Der von den Klägerinnen in Anspruch genommene Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei von vornherein nicht verletzt, weil die Klägerinnen im Gegensatz zu den anderen „Verbreitungsdienstleistern“ über Endkundenbeziehungen verfügten.

19

Die Hilfsanträge seien ebenfalls unzulässig. Er sei der falsche Klagegegner. Richtiger Klagegegner der Feststellungsklage sei derjenige, dem gegenüber das Rechtsverhältnis oder, wie hier, das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden solle. Die Must-Carry-Pflichten der Klägerinnen bestünden indes nicht ihm gegenüber. Er habe sich nie eines eigenen Anspruches gegen die Klägerinnen berühmt. Vielmehr bestünden diese Verpflichtungen lediglich im Verhältnis zu den jeweils zuständigen Beigeladenen. Die Feststellungsklage sei auch nicht im Hinblick auf ein Drittrechtsverhältnis zulässig. Das Bundesverwaltungsgericht habe dies für Fälle zugelassen, in denen die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Beklagten und einem Dritten begehrt wurde. Vorliegend solle jedoch das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Klägerinnen und einem Dritten, nämlich der jeweiligen Landesmedienanstalt, festgestellt werden. Deshalb sei auch kein Feststellungsinteresse der Klägerinnen gerade ihm gegenüber anzuerkennen. Die Klage sei auch hinsichtlich der Hilfsanträge deshalb unzulässig, weil die ARD-Rundfunkanstalten in Bezug auf diese Klagegegenstände eine notwendige Streitgenossenschaft bildeten.

20

Jedenfalls seien auch die Hilfsanträge unbegründet. Die Klägerinnen seien nämlich gesetzlich verpflichtet, die streitgegenständlichen Programme in ihre Netze einzuspeisen, soweit ihnen in diesen Netzen Must-Carry-Status zukomme. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass die von den Klägerinnen mit Haupt- und Hilfsanträgen begehrten Feststellungen angesichts der rundfunk- und kartellrechtlichen Unzulässigkeit der Erhebung von Einspeiseentgelten ins Leere liefen. Die Klägerinnen könnten die von ihnen begehrten Einspeiseentgelte nicht geltend machen, da sie hierdurch gegen das Angemessenheitsgebot des § 52d Satz 2 RStV, das Missbrauchsverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB sowie die Diskriminierungsverbote aus § 52d RStV, § 19 GWB verstießen.

21

Widerklagend beantragt der Beklagte und Widerkläger für den Fall des Erfolgs der Klägerinnen im Haupt- oder einem Hilfsantrag,

22

festzustellen, dass die Forderung eines Entgelts für die Einspeisung und Weiterverbreitung der Programme „NDR Fernsehen“ und „DasErste“ über die Netze der Klägerinnen unzulässig ist,

23

hilfsweise festzustellen, dass die Forderung eines Entgelts für die Einspeisung und Weiterverbreitung der Programme „NDR Fernsehen“ und „DasErste“ über die Netze der Klägerinnen unzulässig ist, solange und soweit dieses Entgelt der Höhe nach dem Saldo aus den Einspeiseentgelten und der Rückvergütung, die die privaten Rundfunkveranstalter der RTL-Gruppe und der ProSieben.SAT 1 Media-Gruppe von den Klägerinnen erhalten, je erreichter Wohneinheit übersteigt.

24

Die Klägerinnen und Widerbeklagten treten dem entgegen und beantragen,

25

die Widerklage abzuweisen.

26

Die Beigeladenen stellen ausdrücklich keinen Antrag.

27

In der Sache ziehen sie das Bestehen eines Feststellungsinteresses der Klägerinnen in Bezug auf den Hauptantrag nicht in Zweifel. Allerdings sei dieser Antrag wohl unzulässig, weil man die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage gegenüber den anhängigen zivilgerichtlichen Leistungsklagen als nachrangig anzusehen haben werde. Der Hauptantrag sei jedenfalls unbegründet, weil sich die Klägerinnen auf kein ihre Feststellungen tragendes subjektives öffentliches Recht stützen könnten. Sämtliche öffentlich-rechtlichen Normen, welche die Klägerinnen anführten, bestünden im Allgemeininteresse und vermittelten ihnen keine subjektiven Rechtspositionen. Hinsichtlich der Hilfsanträge sei das Bestehen eines der Feststellung fähigen Rechtsverhältnisses zu dem Beklagten zu bezweifeln. Zulässigkeitszweifel würden sich weiter daraus ergeben, dass die Klägerinnen die Möglichkeit hätten, die von ihnen vorliegend aufgeworfenen Rechtsfragen auch durch sie, die Beigeladenen, im Rahmen eines auf Erlass eines entsprechendes Feststellungsbescheids gerichteten Verwaltungsverfahrens klären zu lassen. Materiell-rechtlich sei es hingegen zweifelhaft, ob die Klägerinnen einer gesetzlichen Verpflichtung zur unentgeltlichen Verbreitung der streitgegenständlichen Programme unterlägen.

28

Wegen der Einzelheiten des sehr umfangreichen Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf deren Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

29

Über die Frage der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges hat die Kammer mit Beschluss vom 28.5.2014 bejahend vorab entschieden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 8.10.2014 (4 So 62/14) zurückgewiesen.

30

Das Gericht hat mit den Klägerinnen und dem Beklagten die Sach- und Rechtslage am 28.5.2014 erörtert. Auf die Verhandlungsniederschrift (Bl. 625 ff. d.A.) wird Bezug genommen.

31

Mit Beschluss vom 14.10.2014 hat die Kammer die für das Verbreitungsgebiet der Klägerinnen zuständigen drei Landesmedienanstalten beigeladen.

32

Am 29.4.2015 hat die Kammer über den Rechtsstreit mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

33

Die Klägerinnen können mit ihrem Hauptantrag nicht durchdringen. Das hiermit angebrachte Feststellungsbegehren ist zulässig, aber unbegründet (1.). Der erste Hilfsantrag ist ebenfalls abzuweisen. Er ist bereits unzulässig (2.). Hingegen ist das mit dem zweiten Hilfsantrag verfolgte Rechtsschutzbegehren der Klägerinnen zulässig und begründet (3.). Die Widerklage ist mit beiden Anträgen unzulässig und daher abzuweisen (4.).

34

1. Der Hauptantrag ist zulässig (a), aber unbegründet (b).

35

a) Der Hauptantrag ist zulässig.

36

aa) Für das Feststellungsbegehren der Klägerinnen ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, für die eine anderweitige Gerichtswegzuständigkeit nicht vorgeschrieben ist. Weiterer Ausführungen hierzu bedarf es nicht, weil der diesbezügliche Beschluss der Kammer vom 28.5.2014 nach der die Beschwerde des Beklagten zurückweisenden Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts rechtskräftig geworden ist. Zwischenzeitlich ist die in den angeführten Entscheidungen vertretene Auffassung auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.3.2015 – 6 B 58/14 – juris).

37

bb) Zweifel an der Zulässigkeit der Klage sind nicht wegen der vom Beklagten geltend gemachten Unbestimmtheit des Antrages veranlasst. Was unter einem „für die Verbreitung zu entrichtenden Einspeiseentgelt“ zu verstehen ist, ist eindeutig, nämlich die Gegenleistung für die von den Klägerinnen erbrachte Telekommunikationsdienstleistung. Hierdurch wird der angestrebte Vertrag kategorial als entgeltlicher gekennzeichnet. Die bloße Überlassung der Programmsignale durch den Beklagten würde ersichtlich nicht die Kategorie der Entgeltlichkeit erfüllen. Im Übrigen wäre es nach der in § 13 Satz 2 RStV enthaltenen Bewertung – dem Verbot, für vom Verbreitungsauftrag umfasste Programme ein besonderes Entgelt zu verlangen – ohnehin ausgeschlossen, die Programmsignalüberlassung als Entgelt anzusehen.

38

Dass in dem Klagantrag „Entgeltlichkeit“ als bloße Kategorie und nicht etwa als bezifferter Betrag enthalten ist, begründet ebenfalls keine Unbestimmtheit. Über die Höhe eines solchen Entgelts wäre im vorliegenden Verfahren offenkundig nicht zu befinden. Hierin kann mithin keine Unbestimmtheit des Antrages liegen.

39

cc) Die Klagebefugnis der Klägerinnen ist unter dem Gesichtspunkt eines ihr Begehren stützenden subjektiven Rechts nicht zu bezweifeln. Ob ein solches besteht, ist gerade wesentlicher sachlicher Inhalt des Rechtsstreits. Hierüber ist daher im Rahmen der Begründetheit der Klage und nicht bereits bei der Prüfung ihrer Zulässigkeit zu befinden.

40

dd) Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht der von Amts wegen zu berücksichtigende Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG entgegen. Die Vorschrift dient der Prozessökonomie und zugleich der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen. Sie setzt voraus, dass der identische Streitgegenstand bereits zur Entscheidung durch ein anderes Gericht bzw. eine andere Gerichtsbarkeit gestellt worden ist. Daran fehlt es hier. Die von dem Beklagten insoweit genannten parallelen zivilgerichtlichen Verfahren betreffen einen anderen Streitgegenstand, nämlich die Frage der Wirksamkeit der Kündigung zivilrechtlicher Verträge. Dieser Streitgegenstand ist nicht identisch mit dem vorliegenden Rechtsschutzbegehren, welches auf die Feststellung eines öffentlich-rechtlichen Kontrahierungszwanges gerichtet ist (vgl. a. OVG Hamburg, a.a.O., juris Rn 16). Einander widersprechende Gerichtsentscheidungen sind folglich nicht zu besorgen.

41

ee) Ferner bezieht sich die Klage auf ein im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO der Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten. Nach der Rechtsbehauptung der Klägerinnen soll sich aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften oder Rechtsinstituten die Verpflichtung des Beklagten ergeben, mit ihnen einen (zivilrechtlichen) Vertrag zu schließen. Ein derartiger öffentlich-rechtlicher Kontrahierungszwang würde unmittelbar Rechte bzw. Pflichten zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten begründen und stellt danach ein der (positiven) Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis dar. Das diesbezügliche Feststellungsinteresse der Klägerinnen wird auch von dem Beklagten zu recht nicht in Zweifel gezogen.

42

ff) Die Feststellungsklage ist auch nicht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Danach kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit die Klägerinnen ihre Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen können oder hätten verfolgen können. Die hiermit ausgesprochene Subsidiarität wirkt rechtswegübergreifend. Indes sind die parallelen zivilgerichtlichen Streitigkeiten entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorrangig. Dies folgt unmittelbar daraus, dass sie, wie ausgeführt, einen anderen Streitgegenstand betreffen. Die Klägerinnen können daher in diesem Verfahren auch keinen gleichwertigen und im Sinne der in Rede stehenden Vorschrift vorrangig zu verfolgenden Rechtsschutz erlangen. Denn ein der materiellen Rechtskraft zugänglicher Ausspruch des Inhalts, dass zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten ein öffentlich-rechtlicher Kontrahierungszwang besteht, ist in den zivilgerichtlichen Verfahren nicht zu erlangen.

43

gg) Der Zulässigkeit der Klage kann schließlich auch nicht mit Erfolg der vom Beklagten geltend gemachte Einwand der fehlenden Passivlegitimation im Hinblick auf das Fernsehprogramm „Das Erste“ entgegen gehalten werden.

44

(1) Zwar handelt es sich bei diesem Fernsehprogramm fraglos um ein von allen in der eigener Rechtspersönlichkeit ermangelnden ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten gemeinschaftlich veranstaltetes Programm (vgl. § 11b Abs. 1 Ziff. 1 RStV). Doch folgt hieraus keine notwendige Streitgenossenschaft der übrigen Mitveranstalter. Dies dürfte schon deshalb gelten, weil insoweit ein der Gesamthand entsprechendes Rechtsverhältnis der in der ARD zusammengeschlossenen Anstalten anzunehmen ist. Im Außenverhältnis dürfte mithin jede Landesrundfunkanstalt als Veranstalter des Gemeinschaftsprogramms aufzufassen sein (vgl. Binder in Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 11b RStV Rn. 63).

45

(2) Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Denn aus dem Antrag der Klägerinnen ergibt sich, dass sie gerade auf die rundfunkrechtliche Position des Beklagten als Mitveranstalter des Gemeinschaftsprogramms Bedacht nehmen. Es ist daher nicht zu erkennen, weshalb sie gehindert sein sollten, einzelne Landesrundfunkanstalten – und damit auch den Beklagten – auf den Abschluss eines solchen Vertrages als Mitveranstalter des Gemeinschaftsprogramms in Anspruch zu nehmen. Ob die Klägerinnen parallel sämtliche oder nur einzelne Landesrundfunkanstalten verklagen oder sich auf die vorliegende Klage konzentrieren, steht ihnen im Rahmen ihrer prozessualen Dispositionsbefugnis frei.

46

b) Der zulässige Hauptantrag ist jedoch unbegründet. Weder aus Vorschriften des einfachen Rechts noch aus den von den Klägerinnen in Anspruch genommenen verfassungsrechtlichen Normen lässt sich ein subjektives öffentliches Recht – und eine entsprechende Verpflichtung des Beklagten – auf den Abschluss eines die streitgegenständlichen Fernsehprogramme betreffenden Einspeisevertrages herleiten.

47

aa) Als einfachgesetzliche Grundlage für das Feststellungsbegehren der Klägerinnen kommen von vornherein nur die Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrages in Betracht. Kraft Übernahme dieses Vertragswerks in gleichlautenden Landesgesetzen wirkt er als bundeseinheitlich geltendes Landesrecht. Nur diese Normen können einschlägig sein, weil der Beklagte die streitgegenständlichen Fernsehprogramme ebenso wie die anderen Landesrundfunkanstalten unstreitig und unzweifelhaft nur noch in der Form digitaler Signale ausstrahlt. Die daneben geltenden Rundfunkgesetze der Länder betreffen indes nur die Übermittlung analoger Signale und scheiden daher als mögliche Grundlage für den geltend gemachten Anspruch aus.

48

bb) Der Rundfunkstaatsvertrag enthält keine Vorschrift, aus der sich unmittelbar und ausdrücklich eine Verpflichtung der Klägerinnen als Plattformanbieter (§ 52 RStV) und des Beklagten als Rundfunkveranstalter ergäbe, einen Vertrag über die Einspeisung und Verbreitung von dem Beklagten (mit)veranstalteter Programme gegen Entgelt zu schließen. Das ist, wie auch die Klägerinnen nicht in Abrede stellen, offenkundig und muss daher nicht weiter ausgeführt werden.

49

cc) Das nach dem Begehren der Klägerinnen festzustellende Rechtsverhältnis lässt sich indes auch nicht mittelbar aus Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages herleiten. Der Rechtsauffassung der Klägerinnen, aus dem Versorgungsauftrag des Beklagten als öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter ergebe sich (in Zusammenschau mit verfassungsrechtlichen Vorgaben) ein solches Rechtsverhältnis, vermag die Kammer nicht zu folgen.

50

(1) Allerdings folgt die Kammer den von den Klägerinnen aufgestellten Prämissen: Aus dem in § 11 Absätze 1 und 2 RStV beschriebenen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist die wesentliche Legitimation für deren Existenz und damit für ihre bevorzugte rechtliche und ökonomische Ausstattung herzuleiten. Die überragende Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seiner Verpflichtung zur Vielfalt und inhaltlichen Qualität – namentlich Objektivität und Unparteilichkeit – für die Meinungs- und Willensbildung der demokratischen Gesellschaft ist in der Rundfunkrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder betont und ausdifferenziert worden. Die Verpflichtung des Beklagten auf die Erfüllung dieses Auftrages beinhaltet fraglos auch die Sorge für die in § 19 RStV angesprochene Verbreitung der Programme. Beides, Veranstaltung und Verbreitung, wird nach allgemeiner Auffassung von der Verfassungsverbürgung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG umfasst (vgl. etwa Jarass, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 51 m.w.Nw.). Es obliegt dem Beklagten daher sicherzustellen, dass die von ihm (mit)veranstalteten Programme die Rundfunkteilnehmer auch tatsächlich erreichen. Maßgeblich ist dabei auf das tatsächliche Rezeptionsverhalten der Rundfunkteilnehmer abzustellen (vgl. nur Binder, a.a.O. Rn. 7, 48). Es steht insofern für die Kammer außer Frage, dass aus diesem Grund der Verbreitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die von den Klägerinnen betriebenen Brandbandkabelnetze eine hohe rechtliche Relevanz zukommt.

51

(2) Den hieraus von den Klägerinnen gezogenen Schlussfolgerungen vermag sich das Gericht jedoch nicht anzuschließen. Denn bei den genannten Vorgaben handelt es sich um eine dem Beklagten ausschließlich im gesellschaftlichen und damit öffentlichen Interesse obliegende Verpflichtung zur Erfüllung seines Verbreitungsauftrages. Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgerichtig von der Programmautonomie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter umfasst. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die von den Klägerinnen zur Stützung ihres Begehrens in den Blick genommene Bestimmung des § 19 Satz 1 RStV zu verstehen, wonach die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten (und die anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter) ihrem gesetzlichen Auftrag (vgl. § 11 RStV) durch Nutzung geeigneter Übertragungswege nachkommen können. Aus dem rechtlichen Begriff „können“ lässt sich demnach keine Verpflichtung der Normadressaten begründen, bei der konkreten Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages auf subjektive Rechte Dritter im Sinne einer Ermessensbetätigung Bedacht zu nehmen.

52

Vielmehr stellt die Vorschrift zum einen klar, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter nicht etwa gehalten sind, die Verbreitung ihrer Programme ausschließlich durch eigene Mittel und Einrichtungen sicherzustellen. Vielmehr  k ö n n e n  sie hierbei die ganze Palette der zur Verfügung stehenden geeigneten Übertragungswege nutzen. Das „können“ ist insofern als weitgehend deklaratorische Ermächtigung zu verstehen. Zugleich beinhaltet die Bestimmung eine Selbstverpflichtung der (Haushalts)Gesetzgeber, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor allem zukunftsgerichtet die finanziellen, technischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür zu gewähren, ihrem Versorgungsauftrag in einer ständigem Wandel unterliegenden Medienlandschaft angemessen nachkommen zu können. Damit will das Gesetz offenkundig die Erfüllung des Versorgungsauftrages sicherstellen. Insofern setzt das Normverständnis nicht nur die diesbezügliche Autonomie der Rundfunkanstalten voraus, sondern stärkt sie in der Tendenz im Sinne einer Zukunftssicherung. Das ist von Verfassungs wegen geboten, weil sich der Grundversorgungsauftrag nur erfüllen lässt, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in materieller aber auch technischer Hinsicht in seiner künftigen Entwicklung gesichert ist (vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 5.2.1991 – sechstes Rundfunkurteil – BVerfGE 83. 238, zit. n. juris Rn. 406). Die Vorschrift des § 19 RStV dient unmittelbar dem Zweck der in diesem Sinne technischen Zukunftssicherung (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 418 zu einer insoweit inhaltsgleichen Regelung des nordrhein-westfälischen Rundfunkrechts). Schon deshalb kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Autonomie der öffentlich-rechtlichen Veranstalter in irgendeiner Weise einschränken wollte. Eine Einschränkung würde es jedoch fraglos bedeuten, die Norm als klassische verwaltungsrechtliche Ermessensvorschrift zu lesen. Es wäre deshalb gleichsam ein normimmanenter Widerspruch, die autonomen Handlungsmöglichkeiten der Rundfunkanstalten einerseits zu sichern und auszuweiten und sie auf der anderen Seite durch die Festlegung auf ein – wie stets im Verwaltungsrecht – bei der konkreten Erfüllung und Umsetzung ihres Versorgungsauftrages pflichtgemäß zu betätigendes Ermessen festzulegen.

53

Sofern vereinzelt in der Literatur geäußert wird, in § 19 Satz 1 RStV sei ein „Ermessen“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter verankert (etwa Hartstein, Rundfunkstaatsvertrag, 1999, § 19 Rn. 8) wird dies im untechnischen Sinne als Einräumung unterschiedlicher Handlungsoptionen zu verstehen sein. Jede andere Auslegung wäre, ohne durch den Normwortlaut erzwungen zu sein, mit dem Normzweck und der Regelungssystematik nicht zu vereinbaren.

54

dd) Doch selbst wenn man im von den Klägerinnen vertretenen Sinne die Vorschrift als Ermessensnorm verstehen wollte, könnten die Klägerinnen daraus nichts für ihren Rechtsstandpunkt herleiten.

55

(1) Nach der (in allen Landesverwaltungsverfahrensgesetzen gleichlautenden) Vorschrift des § 40 VwVfG ist der Adressat einer Ermessensnorm verpflichtet, dieses Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zweck eines etwaigen Ermessens in § 19 Satz 1 RStV könnte es jedoch allenfalls sein, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zwecks Verbreitung ihrer Programme auf die Nutzung geeigneter Übertragungswege festzulegen. Den Klägerinnen wird ohne weiteres zu konzedieren sein, dass die von ihnen betriebenen Breitbandkabelnetze geeignete Übertragungswege darstellen. Man mag ferner zugunsten der Klägerinnen annehmen, dass diese Übertragungswege durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter im Zuge einer Ermessensbetätigung infolge des tatsächlichen Rezeptionsverhaltens der Rundfunkteilnehmer schlechterdings nicht ausgeblendet werden dürften. Doch träfe den Beklagten selbst dann nicht der Vorwurf ermessenswidrigen Verhaltens, weil er diese gleichsam in der Natur der Sache liegenden Festlegungen bei einer etwaigen Ermessensbetätigung unberücksichtigt gelassen hätte. Vielmehr ist rein empirisch festzustellen, dass der Beklagte den von den Klägerinnen vorgehaltenen Übertragungsweg (weiterhin) im Sinne von § 19 RStV tatsächlich nutzt. Er verhindert keineswegs, dass die betreffenden Programme in Gestalt digitaler Signale in die Netze der Klägerinnen gelangen. Er verhält sich diesbezüglich, wie im Erörterungstermin unstreitig gestellt wurde, sogar ungeachtet der Kündigung der Einspeiseverträge weiterhin kooperativ. Insofern wäre selbst bei einer „subjektiv-rechtlichen Aufladung“ der Norm kein Ermessensfehler des Beklagten und damit keine Verletzung der Klägerinnen in eigenen subjektiven Rechten festzustellen.

56

(2) Die Frage, welche rechtlichen Implikationen mit der „Nutzung geeigneter Übertragungswege“ für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter und die Betreiber der jeweiligen Übertragungsinfrastrukturen verbunden sind, hat der Rundfunkstaatsvertragsgesetzgeber ersichtlich nicht angesprochen. Dazu besteht auch keine Notwendigkeit, weil dies von vornherein außerhalb seines Regelungsprogramms läge. Es fehlt insbesondere an jedem Anhaltspunkt dafür, dass er in die für die freiheitliche Rechts- und Wirtschaftsordnung konstitutive Privatautonomie habe regulierend eingreifen wollen, um einen rundfunkrechtlichen Kontrahierungszwang zu schaffen. Ganz abgesehen davon, dass es für einen derartigen gleichsam doppelten Freiheitseingriff, einmal in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und zum anderen in die spezifische Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG, an jeder inneren Rechtfertigung fehlen würde, hätte für den Normgeber auch in rein tatsächlicher Hinsicht nicht der geringste Anlass bestanden, einen derartigen Kontrahierungszwang zu regeln oder auch nur vorauszusetzen. Denn die tatsächliche Umsetzung und Miterfüllung des dem Beklagten obliegenden Versorgungsauftrages durch Inanspruchnahme (auch) der von den Klägerinnen betriebenen Netze war in der Vergangenheit ohne die geringste Notwendigkeit des Rekurses auf § 19 Satz 1 RStV durch zivilrechtliche Verträge umgesetzt worden.

57

ee) Verfassungsrecht gebietet keine andere Bewertung. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährte Freiheit der Berufsausübung und nicht etwa das durch Art. 14 GG verbürgte Eigentumsrecht. Der aktuelle Betrieb der Netze ist als „dynamischer“ Erwerbsvorgang anzusehen. Alle diesbezüglich relevanten Verhaltensweisen werden vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst, während Art. 14 GG „statisch“ die Gesamtheit der erworbenen Rechtspositionen umfasst.

58

Freilich erschöpft sich der Gehalt der grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen nicht in einer bloßen Abwehr staatlicher Eingriffe. Er kann unter bestimmten Voraussetzungen auch Rechte auf Teilhabe gewähren. Für das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht der Berufsausübungsfreiheit ist anerkannt, dass für die Grundrechtsträger aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 GG auch ein Anspruch auf Marktzulassung und chancengleiche Teilhabe am Marktgeschehen erwachsen kann (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 10.12.2013 – 8 C 5/12 – juris Rn. 42 f). Doch können die Klägerinnen hieraus nichts für ihr Begehren herleiten. Weder entscheidet der Beklagte als solcher noch die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter in rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Hinsicht über einen Marktzugang, noch ist das Begehren der Klägerinnen als auf einen Marktzugang gerichtet zu bewerten.

59

(1) Der Beklagte disponiert in keiner Weise darüber, dass die Klägerinnen sich privatautonom am Markt der Telekommunikationsdienstleistungen betätigen können. Das ist rein empirisch offenkundig und bedarf keiner näheren Darlegung, denn die Klägerinnen haben unabhängig von irgendwelchen Entscheidungen des Beklagten an diesem Markt eine überaus starke wirtschaftliche Stellung.

60

(2) Die Klägerinnen erstreben in Wahrheit auch keineswegs den allgemeinen Marktzugang als von dem Beklagten zu treffende Entscheidung. Sie erstreben vielmehr im Rahmen des bestehenden Marktes eine auf das Herstellen einer rechtlichen Sonderverbindung mit ihnen gerichtete Entscheidung des Beklagten, der ebenso wie sie selber Teilnehmer dieses Marktes ist. Die Entscheidung eines Marktteilnehmers, ob er mit einem anderen Marktteilnehmer einen Vertrag eingeht, ist jedoch offenkundig weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht identisch mit einer solchen über den Marktzugang. Die Freiheit zu dieser Entscheidung ist, wie bereits angesprochen, von der Rechtsordnung sowohl in Form der allgemein wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie, als auch in der speziellen Ausprägung der Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG, geschützt.

61

(3) Es wäre verfassungsdogmatisch schlechthin nicht begründbar, in diesen Freiheitsspielraum unter Berufung auf ein anderes Freiheitsrecht massiv beschränkend einzugreifen. Es ist nicht im Ansatz erkennbar, dass bei einem Kontrahierungszwang diese grundlegenden Freiheitsverbürgungen und die grundrechtlich geschützten Positionen der Klägerinnen im Sinne praktischer Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden könnten. Vielmehr liegt hier der für eine freiheitlich verfasste Gesellschaft gerade kennzeichnende Regelfall vor, dass ein Marktakteur, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, allein an rundfunkpolitischen und medienökonomischen Erwägungen orientiert und nicht etwa durch rechtliche Regelungen gebunden, darüber entscheidet, ob er mit anderen Marktakteuren, den Klägerinnen als Betreiberinnen von Breitbandkabelnetzen, rechtliche Sonderverbindungen eingeht oder nicht.

62

(4) Der von den Klägerinnen ebenfalls angeführte allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, gebietet keine andere Bewertung. Es ist von vornherein zweifelhaft, ob der Beklagte als Grundrechtsträger überhaupt etwaigen durch Art. 3 Abs. 1 GG geschaffenen Bindungen unterliegt. Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob die von dem Beklagten angeführte Rechtfertigung dafür, mit anderen Telekommunikationsdienstleistern hinsichtlich der Verbreitung seiner Programme (weiterhin) Verträge zu schließen, dass diese nämlich über keine Endkundenbeziehungen verfügten, sachlich zutreffend und ggf. als tragfähiges rechtliches Differenzierungsmerkmal zu bewerten ist. Denn es ist anerkannt, dass eine Ungleichbehandlung, welche allein die Folge privatautonom ausgehandelter Verträge ist, von vornherein der Bewertung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG entzogen ist (vgl. BVerfG Urt. v.10.1.1995 – 1 BvF 1/90 - BVerfGE, 92, 26, zit. n. juris Rn. 91). Die Vertragsfreiheit hat grundsätzlich Vorrang (so bereits BAG, Urt. v. 4.5.1962, BAGE 13, 103, zit. n. juris Rn. 12.).

63

Zusammengefasst ist somit festzustellen, dass den Klägerinnen durch Vorschriften des öffentlichen Rechts kein Anspruch vermittelt wird, mit dem Beklagten einen Vertrag über die Verbreitung der streitgegenständlichen Programme zu schließen. Dem Beklagten ist es in seiner (verfassungs)rechtlich geschützten Stellung als privatautonom agierender Marktteilnehmer und zusätzlich in seiner Stellung als Träger der speziellen Rundfunkfreiheit unbenommen, seine Entscheidung, über die Verbreitung seiner Programme entgeltliche Verträge einzugehen, allein an rundfunkpolitischen und medienökonomischen Erwägungen zu orientieren. Er wird sie entsprechend in der medienpolitischen Diskussion zu vertreten und ggf. gegenüber Aufsichtsgremien zu begründen haben. Der Beklagte unterliegt dabei jedoch keiner rechtlichen Bindung, welche den Klägerinnen subjektive öffentliche Rechte vermitteln könnte.

64

2. Mit ihrem ersten Hilfsantrag können die Klägerinnen ebenfalls nicht durchdringen. Ihr Begehren festzustellen, dass sie ohne Abschluss eines Verbreitungsvertrages nicht verpflichtet seien, die streitgegenständlichen Fernsehprogramme zu verbreiten, ist bereits unzulässig. Diesbezüglich fehlt es an einem der Feststellung gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zugänglichen Rechtsverhältnis.

65

Hierunter sind nach allgemeiner Auffassung diejenigen rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander, unter Umständen auch in Bezug auf eine Sache, ergeben (vgl. etwa Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO 4. Aufl. 2014, § 43 Rn 7 m.w.Nw.).

66

Ob zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten in Bezug auf die streitgegenständliche Verpflichtung zur Verbreitung der fraglichen Fernsehprogramme überhaupt rechtliche Beziehungen bestehen, oder ob diese nicht, wie der Beklagte einwendet, allein zwischen den Klägerinnen und den Beigeladenen existieren, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Erörterung. Denn jedenfalls liegt hinsichtlich des zur gerichtlichen Feststellung gestellten Merkmales „ohne einen solchen Vertrag“ kein feststellungsfähiger Gegenstand vor.

67

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist der Rechtsordnung gerade keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zum Abschluss eines privatrechtlichen Verbreitungsvertrages zu entnehmen. Mithin fehlt es an einer öffentlich-rechtlichen Norm, welche die Notwendigkeit eines Vertragsschlusses ausspricht. Damit liegt auch die Frage, wie sich die Rechtslage ohne einen solchen Vertragsschluss darstellt, außerhalb des Regelungsprogramms öffentlich-rechtlicher Normen. Es handelt sich mit der von den Klägerinnen erstrebten Feststellung der Sache nach vielmehr um eine bloße rechtliche Schlussfolgerung, dass nämlich ohne vorherigen Vertragsschluss für sie keine Verbreitungspflicht bezogen auf die streitgegenständlichen Programme bestehe. Eine solche Schlussfolgerung wird aber von vornherein nicht durch Normen des öffentlichen Rechts determiniert. Zudem würde sie sich auf einen nicht gesondert feststellungsfähigen Teilaspekt beziehen. Unterstellt, die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer Verbreitungspflicht der Klägerinnen sei (auch) im Verhältnis zu dem Beklagten grundsätzlich feststellungsfähig, würde gleichwohl mit der aufgeworfenen Frage „ohne einen solchen Vertrag“ lediglich ein einzelnes Element des Rechtsverhältnisses angesprochen sein. Das aber ist einer verwaltungsgerichtlichen Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO nicht zugänglich (vgl. etwa Sodan, a.a.O. Rn 28).

68

3. Der zweite Hilfsantrag der Klägerinnen führt jedoch zum Erfolg. Er erweist sich als zulässig (a) und begründet (b).

69

a) Unter Zulässigkeitsgesichtspunkten hält es die Kammer allein für problematisch, ob mit der zur gerichtlichen Feststellung gestellten Frage, dass die Klägerinnen nicht kraft Gesetzes verpflichtet seien, die streitgegenständlichen Fernsehprogramme unentgeltlich zu verbreiten, ein der Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis gerade gegenüber dem Beklagten angesprochen ist. Das ist nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zu bejahen.

70

Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Feststellung gemäß § 43 Abs. 1 1. Alternative VwGO kann, wie bereits angesprochen, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein, welches durch die rechtlichen Beziehungen gekennzeichnet ist, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 26.1.1996, BVerwGE 100, 262, zit. n. juris Rn 10). Dabei haben sich rechtliche Beziehungen nur dann zu einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis konkretisiert, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, ebenda). Sämtliche dieser Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

71

aa) Es geht den Klägerinnen um die Feststellung des Nichtbestehens einer Verpflichtung, für die entscheidend eine öffentlich-rechtliche Norm, nämlich die Vorschrift des § 52b RStV, maßgeblich ist. Fraglich ist, ob diese Norm die Klägerinnen unmittelbar und voraussetzungslos verpflichtet, die streitgegenständlichen Programme zu verbreiten. Entscheidend ist somit ersichtlich die Frage, ob die Klägerinnen kraft gesetzlicher Regelung etwas Bestimmtes, die Verbreitung der Programme, auf eine bestimmte Weise, nämlich unentgeltlich, tun müssen, oder ob sie dies nicht zu tun brauchen, weil das Gesetz keine diesbezügliche Verpflichtung ausspricht.

72

bb) Diese Frage betrifft auch das Verhältnis der Klägerinnen zu dem Beklagten. Denn eine etwaige gesetzliche Inpflichtnahme der Klägerinnen wäre, wie nicht weiter ausgeführt werden muss, kein Selbstzweck, sondern diente zur Erfüllung des dem Beklagten im öffentlichen Interesse obliegenden Auftrages, (auch) die streitgegenständlichen Programme zu verbreiten. Es geht demnach um die Frage, ob und in welchem Umfang in grundrechtlich geschützte Positionen der Klägerinnen durch Gesetz eingegriffen wird, um eine dem Beklagten obliegende öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Nimmt das Gesetz jedoch einen Privaten in die Pflicht, um den im Interesse der Allgemeinheit liegenden Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers zu erfüllen, werden hierdurch unmittelbar öffentlich-rechtliche Beziehungen zwischen den genannten Beteiligten begründet.

73

cc) Unerheblich ist es für die hier anzustellende Zulässigkeitserwägung, ob ein der Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis nicht auch zwischen den Klägerinnen und den Beigeladenen besteht. Das wird unter Einbeziehung ihrer Organe im Hinblick auf die Reglung der §§ 35 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 5 RStV ohne weiteres zu bejahen sein. Das Bestehen des vorgenannten ebenfalls feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses der Klägerinnen zu dem Beklagten und die hieran anknüpfende Eröffnung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes werden hierdurch jedoch nicht berührt. Mehrpolige Rechtsverhältnisse sind der Rechtsordnung in zahlreichen Zusammenhängen bekannt.

74

dd) Ferner ist es für die Bejahung der Zulässigkeit nicht etwa, wie der Beklagte meint, entscheidend, ob er sich bestimmter Rechtspositionen berühmt. Nach allgemeiner Auffassung, welcher die vorgenannte Definition entspricht, ist es lediglich erforderlich, dass die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts und damit auch die Frage ihrer Reichweite bezogen auf einen bereits überschaubaren Sachverhalt streitig ist. Das aber ist im vorliegenden Fall, wie schon die sehr ausführlichen gerade dieser Frage gewidmeten gegensätzlichen Rechtsausführungen der Beteiligten belegen, eindeutig der Fall.

75

ee) Das Bestehen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses kann auch nicht etwa deshalb in Zweifel gezogen werden, weil der Beklagte über keine exekutiven Kompetenzen zur etwaigen Durchsetzung einer unentgeltlichen Verbreitungspflicht der Klägerinnen verfügt.

76

Zum einen reicht es für die Bejahung eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses aus, allein auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Pflicht des Rechtsschutzsuchenden abzustellen (vgl. etwa Sodan, a.a.O. Rn 10). Zum anderen ist der erwähnte Umstand der verfassungsrechtlich begründeten Besonderheit geschuldet, dass der Beklagte in Ansehung der Erfüllung seines besonderen Auftrags staatsfern organisiert zu sein hat (BVerfG, Urt. v. 25.3.2014 – 1 BvF 1/11 – juris Rn. 43 ff). Damit wäre es unvereinbar, ihm auf die Erfüllung seines Auftrages bezogene exekutive Kompetenzen zuzusprechen. Folgerichtig sind diese vom Rundfunkstaatsvertragsgesetzgeber den Landesmedienanstalten, mithin den Beigeladenen, verliehen worden. Diese Besonderheit ändert indes nichts daran, dass die Klägerinnen die berechtigte Frage aufwerfen, ob sie durch das Gesetz in die unbedingte Pflicht genommen werden, zur Erfüllung des im überragenden öffentlichen Interesse bestehenden Versorgungsauftrages des Beklagten durch unentgeltliche Verbreitung seiner Programme beizutragen, oder ob dies nicht der Fall ist.

77

ff) Prozessökonomische Erwägungen gebieten keine andere Bewertung. Die Reichweite der gesetzlichen Inpflichtnahme der Klägerinnen zwecks Erfüllung des dem Beklagten obliegenden Auftrags muss grundsätzlich auch im Lichte des durch Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten effektiven Rechtsschutzes gerade gegenüber diesem Rechtsträger zur verwaltungsgerichtlichen Klärung gestellt werden können. Es gibt keine tragfähigen prozessökonomischen Erwägungen, mit denen sich begründen ließe, diese Feststellung allein im Verhältnis zu den Beigeladenen erreichen zu können. Es ist im Gegenteil gerade prozessökonomisch, dies im Zusammenhang mit dem von den Klägerinnen gestellten Hauptantrag gegenüber dem Beklagten zu klären. Denn der zweite Hilfsantrag ist in wesentlicher Hinsicht die Kehrseite der mit dem Hauptantrag verfolgten Rechtsbehauptung, es bestehe eine im öffentlichen Recht wurzelnde Verpflichtung zum Abschluss eines Verbreitungsvertrages. Auf diesen Gesichtspunkt haben die Beigeladenen zutreffend hingewiesen. Der enge und unmittelbare sachliche Zusammenhang des Hilfsantrages zu der mit dem Hauptantrag aufgeworfenen Frage liegt auf der Hand: Es geht um die Feststellung, ob, auf welche Weise und in welchem Umfang die Rechtsordnung die Erfüllung des dem Beklagten obliegenden Versorgungsauftrags unter dem Gesichtspunkt der Verbreitung seiner Programme sicherstellt. Auch wegen dieses engen sachlichen Zusammenhanges wäre es gerade nicht prozessökonomisch, die hier zu entscheidende Rechtsfrage einem gesonderten Verfahren, welches die Klägerinnen im Verhältnis zu den Beigeladenen einzuleiten hätten, zu überantworten.

78

gg) Selbst wenn man der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht folgen wollte, wäre ein der Feststellung fähiges Rechtsverhältnis vorliegend jedenfalls nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für sogenannte Drittrechtsverhältnisse zu bejahen. Nach herrschender Meinung, welcher auch das erkennende Gericht folgt, kann nämlich Gegenstand der Feststellungsklage sowohl ein Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und einem Dritten als auch ein solches zwischen dem Kläger und einem Dritten sein (vgl. etwa Sodan, a.a.O. Rn 37). Der von dem Beklagten vertretenen Rechtsmeinung, es könne sich insoweit nur um Rechtsverhältnisse handeln, welche zwischen ihm als Beklagten und einem Dritten bestehen, ist nicht zu folgen. Um in einer Konstellation wie der vorliegenden die unnötige Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes möglichst auszuschließen, mithin aus prozessökonomischen Erwägungen, wird dabei ein spezifisches berechtigtes Feststellungsinteresse verlangt. Zu fordern ist daher, dass ein individuelles Feststellungsinteresse gerade gegenüber dem Beklagten besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.1997 – 8 C 23/96 – juris Rn. 17). Das aber ist vorliegend schon deshalb zu bejahen, weil erfahrungsgemäß der Beklagte das tatsächliche Verbreitungsverhalten der Breitbandkabelnetzbetreiber gleichsam mit Argusaugen beobachtet und jede seiner Meinung nach nicht gerechtfertigte Nichterfüllung der ebenfalls seiner Meinung nach bestehenden unbedingten Verbreitungspflicht durch die Klägerinnen unmittelbar gegenüber den Beigeladenen mit dem Ziel einer rundfunkrechtlichen Sanktionierung geltend machen wird.

79

hh) Der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage, § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO, steht dem Begehren der Klägerinnen ebenfalls nicht entgegen.

80

Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerinnen ihre Rechte gleich effektiv durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen könnten. Ob der von den Beigeladenen in die Diskussion gebrachte Weg zur rechtlichen Klärung der hier zur Feststellung gestellten Rechtsfragen, nämlich die Einleitung eines auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts gerichteten Verfahrens ihnen gegenüber, rechtlich gangbar wäre, erscheint als zweifelhaft. Eine gesetzliche Grundlage hierfür vermag die Kammer nicht zu erkennen. Es bedürfte indes einer solchen auch für den Erlass feststellender Verwaltungsakte jedenfalls dann, wenn sie auch belastende Auswirkungen entfalten könnten (vgl. nur Jarass, a.a.O. Art. 20 Rn.49). Doch muss das nicht weiter erörtert werden. Zum einen ist es, wie ausgeführt, gerade prozessökonomisch, die Frage im Verhältnis zu dem Beklagten zu klären. Zum anderen wäre mit einem präventiven Feststellungsbegehren der Klägerinnen gegenüber den Beigeladenen auch keine der nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorrangigen Rechtsschutzformen eröffnet.

81

b) Die zulässige Klage ist auch begründet.

82

§ 52b Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 lit. a RStV ist keine Verpflichtung der Klägerinnen zu entnehmen, die streitgegenständlichen Programme unentgeltlich zu verbreiten.

83

Nach der genannten Vorschrift haben die Klägerinnen als Plattformanbieter innerhalb einer technischen Kapazität im Umfang von höchstens einem Drittel der für digitale Verbreitung von Rundfunk zur Verfügung stehenden Gesamtkapazität sicherzustellen, dass die erforderlichen Kapazitäten für die bundesweite Verbreitung der gesetzlich bestimmten beitragsfinanzierten Programme sowie für die dritten Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „zur Verfügung stehen“. Die im Rahmen der dritten Programme verbreiteten Landesfenster sind nur innerhalb der Länder zu verbreiten, für die sie gesetzlich bestimmt sind.

84

aa) Bereits nach dem Normwortlaut wird keine gesetzliche Pflicht der Klägerinnen zur unentgeltlichen Verbreitung der streitgegenständlichen Programme begründet.

85

(1) Nach seinem Wortlaut nimmt das Gesetz die Klägerinnen als Plattformbetreiber in die Pflicht. Die Reichweite dieser Verpflichtung ergibt sich aus den vom Gesetzgeber verwendeten Verben. Danach haben die Klägerinnen „sicherzustellen“, dass die abstrakt umschriebenen technischen Kapazitäten ihrer Netze für die vom Gesetz benannten Zwecke „zur Verfügung stehen“. Ein ausdrücklich auf die Verbreitung der Programme gerichteter Normbefehl ist damit nicht ersichtlich. Wer als Netzbetreiber sicherzustellen hat, dass bestimmte Netzkapazitäten zwecks Verbreitung (auch) der streitgegenständlichen Programme zur Verfügung stehen, unterliegt nach allgemeinem Sprachverständnis keiner Verpflichtung zur Verbreitung der benannten Programme, sondern lediglich einer solchen zur Kapazitätsvorhaltung. Der Gesetzgeber verpflichtet die Klägerinnen mit anderen Worten dazu, in dem abstrakt beschriebenen Umfang ihre Netzkapazitäten nicht anderweitig ökonomisch zu nutzen, sondern sie für die im öffentlichen Interesse privilegierten Zwecke der Verbreitung (auch) der streitgegenständlichen Fernsehprogramme zu reservieren.

86

(2) Die Kammer vermag dem Normwortlaut auch keine implizit geregelte unbedingte Verbreitungspflicht zu entnehmen.

87

Unter der Geltung des im Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG, wurzelnden Grundsatzes der Normenklarheit sind an die eindeutige Fassung belastender, in Freiheitsrechte eingreifender gesetzlicher Bestimmungen hohe Anforderungen zu stellen. Der Normadressat muss Art und Umfang seiner Normunterworfenheit so konkret erkennen können, dass er sein Verhalten daran orientieren kann. Das Gleiche gilt unter dem Aspekt der diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.6.2008 – 1 BvR 394/04 – juris Rn. 23). In Ansehung dessen lässt der Normwortlaut keine andere Deutung als die einer Verpflichtung der Klägerinnen zur Kapazitätsreservierung bzw. zur Kapazitätsvorhaltung zu.

88

Dass das Gesetz, worauf der Beklagte hinweist, in § 52b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a 2. Halbsatz RStV regelt, dass die im Rahmen der dritten Programme verbreiteten Landesfenster „nur innerhalb der Länder zu verbreiten“ seien, für welche sie gesetzlich bestimmt seien, rechtfertigt die Annahme einer implizit geregelten Verbreitungspflicht nicht. Das Gericht folgt dem Beklagten nicht, der hierin einen Widerspruch insofern sieht, als das Gesetz damit eine Verbreitungsverpflichtung für die Landesfenster angeordnet habe, während es, bei der hier vertretenen Auslegung, im Übrigen nur eine Vorhaltepflicht geregelt habe. Denn die Wendung „zu verbreiten“ ist keineswegs zwingend als Normbefehl zu verstehen. Es ist nicht ausgeschlossen, sondern liegt vielmehr nahe, sie rein deskriptiv in dem Sinne aufzufassen, dass bestimmte Programme eben nur zur Verbreitung in einem bestimmten Sendegebiet vorgesehen sind. Keineswegs ist damit mit der für einen Normbefehl erforderlichen Klarheit geregelt, dass das Gesetz selbst unmittelbar eine Verbreitungsverpflichtung begründen will.

89

bb) Systematische Erwägungen bestätigen die Richtigkeit dieser Auslegung.

90

(1) Dies wird, worauf neben den Klägerinnen auch die Beigeladenen zutreffend hinweisen, bereits durch den Umstand nahegelegt, dass der Gesetzgeber die Frage der Entgeltlichkeit in § 52d RStV angesprochen und einer Angemessenheitskontrolle unterstellt hat. Es unterstreicht ferner die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung, dass das Gesetz in § 52d Satz 5 RStV ausdrücklich auf die landesrechtlichen Sondervorschriften für Offene Kanäle Bezug nimmt, in denen durchweg die Unentgeltlichkeit der Verbreitung dieser Inhalte geregelt ist.

91

(2) Die Richtigkeit der Normauslegung durch die Kammer ergibt sich weiterhin aus verfassungssystematischen Erwägungen. Hätte der Normgeber eine unmittelbare Verbreitungspflicht der Klägerinnen als Plattformanbieter anordnen wollen, hätte er zugleich regeln müssen, ob dies unentgeltlich oder gegen angemessene Entschädigung bzw. angemessenes Entgelt zu erfolgen hat. Das folgt bereits aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Normenklarheit. Es muss für den Normunterworfenen hinlänglich deutlich werden, in welchem Umfang er im öffentlichen Interesse in die Pflicht genommen wird. Zum Umfang der Inpflichtnahme zählt unmittelbar auch die Frage der Entgeltlichkeit einer im öffentlichen Interesse zu erbringenden Leistung. Das jedenfalls dann, wenn diese, wie es hier der Fall ist, ihrem Wesen nach einen bezifferbaren Marktwert hat. Die Relevanz des kategorialen Unterschiedes der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit einer Leistung für eine Rechts- und Wirtschaftsordnung, die wesentlich auf dem Prinzip der Privatautonomie beruht und die privatnützige Erwerbstätigkeit ebenso schützt wie die Privatnützigkeit des Eigentums, liegt auf der Hand und muss nicht vertieft dargelegt werden.

92

Daher verfängt auch der Einwand des Beklagten nicht, die in Rede stehende Belastung sei für die Klägerinnen angesichts der von ihnen insgesamt erwirtschafteten Umsätze unerheblich. Schon die tatsächliche Stichhaltigkeit dieses Argumentes wird im Hinblick auf die in den früheren Einspeiseverträgen mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern vereinbarten Vergütungen zu bezweifeln sein. Einen Betrag von mehr als ... Mio. Euro als Äquivalent für die Programmverbreitung wird man kaum als unerheblich ansehen können. Im Übrigen trifft dieser Einwand nicht die rechtlich entscheidende Kategorie. Es geht um die Bestimmtheit einer abstrakt-generellen Regelung und die hiermit verbundene Frage, ob ein für deren Eingriffsintensität wesentlicher Aspekt, die Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit einer Inpflichtnahme, aus verfassungsrechtlichen Gründen regelungsbedürftig wäre. Was insoweit als erhebliche oder unerhebliche Belastung anzusehen ist, bedarf der Regelung durch den Gesetzgeber. Allein ihm obliegt es, die schutzwürdigen Interessen des Grundrechtsinhabers und die Belange des Gemeinwohls zu einem gerechten Ausgleich und in ein abgewogenes Verhältnis zu bringen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 25.8.1999 – 1 BvR 1499/97 – juris Rn. 9 m.w.Nw.).

93

Auch aus diesen Erwägungen folgt, dass das vom Beklagten vertretene Normverständnis unzutreffend ist. Wollte man in die bestehende Regelung des § 52b Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 RStV eine Verpflichtung der Klägerinnen zur unentgeltlichen Verbreitung (auch) der streitgegenständlichen Programme hineinlesen, würde die Bestimmung aus den dargelegten Gründen dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Normklarheit nicht genügen. Zudem wäre dem rechtsstaatlichen Prinzip des Gesetzesvorbehalts nicht entsprochen, wonach jeder wesentliche Eingriff in Grundrechte auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes beruhen muss. Eine Gesetzesauslegung, die im Ergebnis zu einer verfassungsrechtlich defizitären gesetzlichen Regelung führen würde, verbietet sich jedoch nach Auffassung der Kammer gleichsam von selbst.

94

cc) Die von dem Beklagten vertretene Gesetzesauslegung im Sinne einer gesetzesunmittelbaren Verbreitungspflicht wird auch nicht etwa durch den Sinn und Zweck der in § 52b RStV geregelten Plattformbelegung gefordert.

95

(1) Die Norm dient der Vielfaltssicherung. Sie soll, kurz gesagt, gewährleisten, dass die im öffentlichen Interesse (zu Recht) für unverzichtbar gehaltenen „privilegierten“ Programme (auch) des Beklagten Berücksichtigung finden und nicht etwa durch möglicherweise ökonomisch einträglichere Inhalte verdrängt werden. Doch bedarf es hierzu nicht der von dem Beklagten für gegeben gehaltenen unmittelbaren gesetzlichen Verpflichtung der Klägerinnen als Plattformanbieter zur unentgeltlichen Verbreitung der streitgegenständlichen Programme.

96

(2) Allerdings ist dem Beklagten darin zu folgen, dass es zur Erreichung des Vielfalt sichernden Gesetzeszweckes keineswegs ausreichen würde, wenn die naturgemäß primär ihren privatnützigen ökonomischen Interessen folgenden Plattformanbieter Kapazitäten lediglich vorhielten. Selbstverständlich kommt es entscheidend auf das Ergebnis an. Das Gesetz will und muss sicherstellen, dass die vorzuhaltenden Kapazitäten auch tatsächlich zur Verbreitung der „privilegierten“ Programme genutzt werden und diese von den Rundfunkteilnehmern tatsächlich empfangen werden können. Doch lässt diese am Normzweck orientierte und für sich genommen unmittelbar einleuchtende Erwägung keineswegs den Schluss zu, der Gesetzgeber habe damit auch eine unbedingte gesetzliche Verpflichtung zur unentgeltlichen Verbreitung begründen wollen oder dies sachgerechter Weise tun müssen. Einer solchen gesetzesunmittelbaren Verpflichtung bedürfte es nämlich dann nicht, wenn aus der Sicht des Normgebers die Erfüllung des Gesetzeszwecks auf andere Weise hinlänglich sichergestellt wäre. Genau das ist vorliegend jedoch der Fall.

97

Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, dass die Verpflichtung der Plattformanbieter zur Kapazitätsvorhaltung ausreichen würde, um die Erfüllung des von ihm verfolgten Vielfaltszwecks sicherzustellen. Denn in der Kapazitätsreservierungsverpflichtung liegt ein unmittelbarer ökonomischer Appell an die erwerbsorientierten Plattformbetreiber, die fraglichen Ressourcen nicht etwa „brachliegen“ zu lassen, sondern sie für die Verbreitung der „privilegierten“ Programme zu nutzen. Nach der hier angesprochenen ökonomischen Logik würde dies den Abschluss entsprechender Verträge mit den öffentlich-rechtlichen Programmveranstaltern erfordern, was ein aus der gesetzgeberischen Sicht naheliegendes – und empirisch im Übrigen langjährig bewährtes – Modell wäre, um die im öffentlichen Interesse erforderliche Verbreitung der Programme (auch) des Beklagten rechtlich abzusichern.

98

(3) Ein solches Normverständnis würde zudem dem grundsätzlich unter der Geltung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gebotenen Prinzip des geringsten erforderlichen Eingriffs entsprechen. Die Verpflichtung zur Kapazitätsreservierung greift in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrechte der Plattformbetreiber ein, insofern sie deren rechtlich geschützten „statischen“ Eigentumsbestand betrifft. Wie auch von den Klägerinnen nicht in Abrede gestellt, ist der hierin liegende Eingriff eine zulässige Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gemeinwohlbindung des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG. Eine solche verfassungsunmittelbare Beschränkung durch das Gemeinwohl kennt das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Eine gesetzesunmittelbare Verpflichtung der Klägerinnen zur unentgeltlichen Verbreitung würde jedoch einen Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht der Plattformanbieter auf freie Berufsausübung bedeuten, insofern es „dynamisch“ ihre aktuelle Erwerbstätigkeit, die Berechtigung, ihre Netze gewinnbringend zu betreiben, beträfe. Eines solch weitreichenden Eingriffes bedarf es überdies unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten dann nicht, wenn der im Allgemeininteresse verfolgte gesetzgeberische Zweck der Vielfaltssicherung auch auf weniger eingriffsintensive Weise erreicht werden könnte. Eben dies wird jedoch mit der zur Überzeugung der Kammer allein zutreffenden Auslegung des Gesetzes bewirkt. Anstelle der gesetzlichen Verpflichtung zur unentgeltlichen Verbreitung setzt die Regelung des § 52b Abs. 1 Satz 1 RStV auf die Erfüllung des Gesetzeszwecks durch ökonomischen Anreiz. Die Tauglichkeit dieses Ansatzes hat sich in der Vergangenheit erwiesen.

99

(4) Demgegenüber verfängt der Einwand des Beklagten nicht, die vermeintliche „Must-Carry-Pflicht“ der Klägerinnen schaffe taugliche und marktkonforme Rahmenbedingungen für die Auswahl unter verschiedenen Verbreitungsmodellen. Mit den Klägerinnen ist festzustellen, dass eine solche Regelung dies gerade nicht leisten würde. Sie würde nämlich den Verzicht des Beklagten und der anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter auf den Abschluss von Einspeiseverträgen für die Netze der Klägerinnen ökonomisch gerade prämieren. Abgesehen davon bezweckt die fragliche Regelung auch keineswegs die Sicherung einer Vielfalt an Verbreitungsmodellen, sondern schlicht die Sicherung der Verbreitung (auch) der streitgegenständlichen Programme. Dazu aber bedarf es keiner gesetzesunmittelbaren unentgeltlichen Verbreitungspflicht.

100

(5) Vor diesem Hintergrund hält die Kammer die Reduzierung der Gesetzesauslegung auf zwei vermeintlich gegenläufige Kategorien, die einer bloßen Vorhaltepflicht („must provide“) und die einer Verbreitungspflicht („must carry“) für unergiebig und nicht zielführend. Beide Kategorien sind vielmehr komplementär zu verstehen. Die Plattformbetreiber sollen Kapazitäten vorhalten, damit eben auf diese Weise das im Interesse der Vielfaltssicherung bestehende gesetzgeberische Anliegen der Programmverbreitung erfüllt wird. Dabei überlässt das Gesetz indes, vorbehaltlich der in § 52d RStV geregelten Entgeltkontrolle, die konkrete Ausgestaltung der Verbreitung der privatautonomen Entscheidung der Plattformanbieter auf der einen und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter auf der anderen Seite. Man mag insofern von einem „Shall-Carry-Status“ der in § 52b Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 lit. a RStV genannten Programme sprechen. Der vielfach und auch von den Beteiligten verwendete Begriff des „must carry“ ist vor dem Hintergrund der hier vertretenen Gesetzesauslegung missverständlich und in der Sache deshalb unangebracht, weil er das differenzierte, sachgerechte, effektive und verfassungsrechtlich gebotenen Beschränkungen verpflichtete Regelungsprogramm des Rundfunkstaatsvertrags verfehlt.

101

dd) Dieses Normverständnis entspricht schließlich auch dem Willen des Rundfunkstaatsvertragsgesetzgebers. Das kann mit hinlänglicher Eindeutigkeit den Gesetzesmaterialien entnommen werden. So heißt es in der amtlichen Begründung zum Zehnten Änderungsgesetz zum Rundfunkstaatsvertrag vom 22.7.2008 zu § 52d wie folgt:

102

„Der Inhalt des Verbreitungsvertrages, insbesondere das zu zahlende Entgelt, ist wesentliche Grundlage für die tatsächliche Einspeisung eines Programms und daher entscheidender Faktor für eine vielfältige Belegung der Plattform“ (Bürgerschafts-Drucksache 19/466, S. 27).“

103

Dies lässt keine Zweifel daran zu, dass der Gesetzgeber der privatautonomen Absicherung des Vielfaltszieles den Vorzug vor einer hoheitlichen Eingriffslösung gegeben hat. Hieran anknüpfend werden, soweit ersichtlich, auch im Schrifttum keine Zweifel an der sich aus der Rechtslage ergebenden Notwendigkeit geäußert, die (ökonomischen) Modalitäten der Nutzung der Übertragungswege vertraglich zu regeln (vgl. etwa Binder, a.a.O. § 19 Rn. 58; Jahn in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2014, § 52b RStV Rn. 5).

104

Zusammengenommen steht damit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass durch den für die Verbreitung von Rundfunkprogrammen in digitaler Form maßgeblichen Rundfunkstaatsvertrag keine Verpflichtung der Klägerinnen begründet wird, die streitgegenständlichen Programme unentgeltlich zu verbreiten. Dem hierauf gerichteten Feststellungsbegehren ist mithin zu entsprechen.

105

4. Die von dem Beklagten erhobene Widerklage muss erfolglos bleiben, weil sie bereits unzulässig ist. Es fehlt diesem Rechtsschutzbegehren bereits das allgemeine, auch für eine als Widerklage erhobene Feststellungsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

106

Dieses ist nicht anzuerkennen, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, welche das subjektive oder objektive Interesse an der begehrten gerichtlichen Rechtsschutzgewährung entfallen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.1989 – 9 C 44/87 – BVerwGE 81, 164, zit. n. juris Rn. 9). So verhält es sich bei den von dem widerklagenden Beklagten begehrten Feststellungen, dass die Forderung eines Entgeltes für die Einspeisung und Weiterverbreitung der streitgegenständlichen Programme über die Netze der Klägerinnen unzulässig sei, bzw. nach Maßgabe bestimmter medienökonomischer Parameter unzulässig sei. Der Beklagte ist bei der aktuell bestehenden Sachlage auf die erstrebte verwaltungsgerichtliche Feststellung unter keinem stichhaltigen Gesichtspunkt angewiesen.

107

a) Wie vorstehend dargelegt, verhalten sich rundfunkrechtliche Normen zu der Frage der rechtlichen Ausgestaltung und Umsetzung der Verbreitung der (auch) vom Beklagten veranstalteten Programme durch die Klägerinnen als Plattformanbieter nicht. Vielmehr belässt es die Rundfunkrechtsordnung aus wohlerwogenen Gründen dabei, dies der privatautonomen Ausgestaltung der beteiligten Akteure, vorliegend der Klägerinnen und des Beklagten, zu überlassen. Der Beklagte ist zur Erfüllung der sich ihm auch insoweit stellenden Aufgaben von der Rechtsordnung sowohl in ökonomischer als auch in rechtlicher Hinsicht angemessen ausgestattet worden. Da der Beklagte zudem noch über beträchtliche publizistische Wirkungsmacht verfügt, ist er als durchaus einflussreicher und mächtiger Marktteilnehmer anzusehen. So wie er keineswegs Anlass sah, davor zurückzuschrecken, die langjährige Praxis der Verbreitungsverträge mit den Klägerinnen und den anderen Breitbandkabelnetzbetreibern aufzukündigen, wird der Beklagte und Widerkläger auch imstande sein, eine von ihm als „unzulässig“ bewertete Entgeltforderung der Klägerinnen abzulehnen. Es ist ein alltäglicher und üblicher Vorgang im durch Vertragsschlüsse geprägten Wirtschaftsleben, wenn ein Marktteilnehmer die von ihm als seinen Interessen nicht entsprechend erachtete Forderung eines anderen Teilnehmers oder ein auf Abschluss eines Vertrages gerichtetes Angebot dieses anderen Teilnehmers schlicht ablehnt. Es ist nicht zu erkennen, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt der Beklagte nicht darauf verwiesen werden könnte, mit der Forderung der Klägerinnen nach einem Entgelt, welche in Form der von ihnen unterbreiteten Angebote auf Abschluss von (neuen) Verbreitungsverträgen erhoben wird, ebenso zu verfahren. Der Beklagte ist angesichts der bestehenden Rechts- und Sachlage nicht darauf angewiesen, sich gleichsam die Richtigkeit oder Berechtigung der Zurückweisung des entsprechenden Angebots der Klägerinnen etwa verwaltungsgerichtlich bestätigen zu lassen. Dies ist umso weniger veranlasst, als seine entsprechende Entscheidung nicht allein als privatautonom getroffene zu qualifizieren ist, sondern, wie dargelegt und vom Beklagten zu Recht in Anspruch genommen, eine Ausübung seiner Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG darstellt.

108

b) Für eine präventive Inhaltskontrolle der auf Abschluss eines Vertrages gerichteten Angebote der Klägerinnen auf ihre ökonomische Angemessenheit nach Maßgabe der Regelung des § 52d RStV, wie sie der Beklagte der Sache nach begehrt, ist aktuell kein Raum. Bereits im Ansatz dürfte dieses Anliegen von der Norm nicht gedeckt sein. Sie bezweckt nicht etwa die Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs und entsprechend die Wahrung der ökonomischen Belange eines Marktteilnehmers, sondern allein die Sicherung der Medien- und Meinungsvielfalt (vgl. etwa Wagner, in Hahn/Vesting, a.a.O., § 52 d RStV Rn 9 m.w.Nw.). Abgesehen davon ist der Beklagte weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht einer unabweisbar bestehenden Entgeltforderung der Klägerinnen ausgesetzt, die er nur unter Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Feststellungsrechtsschutzes abwehren könnte.

109

Dem Beklagten ist deshalb das rechtsschutzwürdige Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung über das widerklagend vorgebrachte Feststellungsbegehren abzusprechen.

II.

110

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative VwGO.

111

Die tenorierte Verteilung der Kosten entspricht dem streitwertorientierten Ausmaß des jeweiligen Obsiegens und Unterlegens der Klägerinnen/Widerbeklagten und des Beklagten/Widerklägers. Die Beigeladenen sind von der Kostenverteilung auszunehmen, weil sie keine eigenen Anträge gestellt haben, § 154 Abs. 3 1. Halbsatz VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, § 162 Abs. 3 VwGO.

112

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 709 ZPO.

III.

113

Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

(2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.

(2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen.

(3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 20. Januar 2014 - 1 T 8/14 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die gerichtliche Kontrolle einer präventiven Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin aufgrund von § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG während eines Castor-Transports.

I.

2

1. Nach eigenen Angaben war die Beschwerdeführerin französische Meisterin im Sportklettern und nutzt ihre Fähigkeiten, um mit Kletteraktionen ihren Protest gegen Atomkraft zum Ausdruck zu bringen.

3

Am 16. Dezember 2010 gegen 8:30 Uhr, während eines Castor-Transports in das Zwischenlager Lubmin, begab sich die Beschwerdeführerin in einer Achter-Gruppe an den für den Transport vorgesehenen Gleisabschnitt Greifswald-Lubmin und bestieg - wie drei weitere Personen - mit Seilen gesichert einen in Nähe der Gleise befindlichen Baum. Dass auch die übrigen Angehörigen der Gruppe auf nahegelegene Bäume kletterten, konnte von der Polizei verhindert werden. Um 10:30 Uhr traf eine Spezialeinheit der Polizei ein, um die Beschwerdeführerin zu bergen. Die "Kletteraktivisten" hatten zu diesem Zeitpunkt ein Transparent entrollt und sangen "Anti-Atomkraft-Lieder". Als die Beschwerdeführerin auch nach Auflösung der Versammlung nicht vom Baum kletterte, wurde sie gegen 12:00 Uhr von der Spezialeinheit wieder auf den Boden geholt und in Gewahrsam genommen. Ihre Kletterausrüstung wurde sichergestellt. Gegen 14:00 Uhr traf sie in der Gefangenensammelstelle in Wolgast ein. Die Sammelstelle war in einer Lagerhalle eingerichtet worden, die mit Hilfe von hohen Gittern in einzelne Zellen unterteilt worden war. Gegen 20:00 Uhr kletterte die Beschwerdeführerin, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, an den Verstrebungen der Halle nach oben. Nachdem sie gegen 20:35 Uhr in ihre Zelle zurückgekehrt war, wurde sie gegen 20:50 Uhr entlassen. Eine richterliche Entscheidung wurde nicht eingeholt.

4

2. a) Die Beschwerdeführerin beantragte beim Amtsgericht Wolgast die Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich der Art und Weise rechtswidrig gewesen sei.

5

Der Baum, den sie bestiegen habe, habe sich nicht auf der Bahnanlage, sondern außerhalb des in der Eisenbahnordnung definierten "Regellichtraums" befunden. Sie habe dort lediglich Lieder gesungen und Fragen von Reportern beantwortet. Nachdem die Polizei sie vom Baum geholt habe, sei ihre Kletterausrüstung beschlagnahmt worden. In der Sammelstelle seien die Gefangenen "in Käfigen" untergebracht worden. In der Halle sei es sehr laut und dauerbeleuchtet gewesen, sodass sie keine Ruhe habe finden können. Zum Essen sei "nur Wurst", nichts Vegetarisches gereicht worden. Ihr Rucksack sei trotz der darin befindlichen Ausweispapiere einer anderen Person zugeordnet worden. Das darin mitgebrachte Essen habe sie deshalb erst nach mehrmaliger Forderung gegen 18:30 Uhr erhalten. Auf ihre wiederholte Frage nach einer richterlichen Entscheidung habe sie nur vage Antworten erhalten. Aus Protest gegen die Umstände des Gewahrsams sei sie an die Hallendecke geklettert. Nachdem sie wieder heruntergekommen sei, habe sich ihre Freilassung dadurch verzögert, dass die Polizei die beschlagnahmte Kletterausrüstung nicht habe finden können. Die Versammlung der "Kletteraktivisten" sei nicht ordnungsgemäß aufgelöst, sondern von den sofort bei Eintreffen der Aktivisten herbeigeeilten Polizisten "gesprengt" worden.

6

Ihre "Kletteraktion" habe keine Gefahr für die Allgemeinheit begründet, weil "Aktionen mit Einsatz von Klettertechnik an und oberhalb der Bahnlinie außerhalb des Regellichtraumes" weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit darstellten. Auch sie selbst sei nicht gefährdet gewesen, weil sie durch Seile gesichert gewesen sei. Selbst wenn die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit unmittelbar bevorgestanden hätte, wäre die Ingewahrsamnahme zu deren Verhinderung nicht "unerlässlich" im Sinne der polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlage gewesen. Die Beschwerdeführerin sei "amtsbekannt". Deshalb wisse die Polizei, dass sie sich friedlich verhalte und sich stets professionell sichere. Nachdem ihre Kletterausrüstung beschlagnahmt war, habe ihr kein Sicherungsmaterial mehr zur Verfügung gestanden. Auf die Schnelle bis zur Durchfahrt des Zuges eine neue Ausrüstung zu besorgen, wäre nicht möglich gewesen. Als milderes Mittel hätte deshalb die Sicherstellung der Kletterausrüstung verbunden mit einem Platzverweis ausgereicht. Schließlich sei gegen den Richtervorbehalt und das Unverzüglichkeitsgebot verstoßen worden. Um Einhaltung dieser grundgesetzlichen Vorgaben habe sich die Polizei nicht einmal bemüht.

7

b) Mit angegriffenem Beschluss vom 17. Februar 2012 stellte das Amtsgericht - nach Anhörung der Beschwerdeführerin - fest, dass ihre Ingewahrsamnahme in der Zeit von 17:00 bis 20:00 Uhr rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen wies es den Antrag zurück.

8

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin sei im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG unerlässlich gewesen, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Die acht Personen, zu denen die Beschwerdeführerin gehört habe, hätten eine umfangreiche Kletterausrüstung bei sich getragen. Aus der Art und Weise ihres Auftretens, insbesondere dem Ort des Geschehens, habe die Polizei schließen können, dass es ihnen darauf angekommen sei, den herannahenden Zug anzuhalten oder zumindest so lange wie möglich zu verzögern. Aus polizeilicher Vorsicht sei es geboten gewesen anzunehmen, dass sich die Gruppe nicht auf plakative Aktionen wie das Entrollen von Transparenten beschränken würde, sondern die mitgeführte Ausrüstung nutzen werde, um am Bahnkörper Hindernisse zu bereiten. Dies hätte den Tatbestand des § 315 Abs. 1 StGB erfüllt. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht auf Art. 8 GG berufen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin sich überhaupt friedlich habe versammeln wollen. Jedenfalls sei die Versammlung der acht Aktivisten nach § 15 Abs. 1 und 3 VersG aufgelöst worden. Ein milderes Mittel als die Ingewahrsamnahme habe der Polizei nicht zur Verfügung gestanden, um die Gefahr abzuwenden. Ein Platzverweis hätte nicht ausgereicht. Den Polizisten sei bekannt gewesen, dass die Beschwerdeführerin gegen den Transport war und sich trotz widriger Witterungsverhältnisse an das Gleis begeben hatte, um unter Einsatz ihres Körpers die Fahrt des Zuges zu stoppen oder zu verzögern. Es sei daher naheliegend gewesen anzunehmen, dass sie trotz eines Platzverweises erneut versuchen würde, das Gleis zu erreichen. Ob sie dies tatsächlich mit oder ohne weitere Kletterausrüstung vorgehabt habe, sei unerheblich.

9

Die Rüge der Zustände in der Gefangenensammelstelle sei unbegründet. Der Richter habe die Einrichtung selbst am Vortag besichtigt. Er könne bestätigen, dass die Abtrennungen mit Gittern den Untergebrachten keine persönliche Abgeschiedenheit erlaubt hätten, dies sei für den wenige Stunden dauernden Aufenthalt aber zumutbar. Eine speziell auf ihre Wünsche ausgerichtete Ernährung habe die Beschwerdeführerin nicht erwarten können.

10

Allerdings sei nicht erkennbar, warum die Beschwerdeführerin nach ihrem Eintreffen in der Gefangenensammelstelle entgegen § 40 BPolG nicht unverzüglich einem Richter vorgeführt worden sei. Unter normalen Umständen werde eine Zeit von zwei bis drei Stunden als ausreichend angesehen, um einen Antrag an das zuständige Amtsgericht zu stellen. Angesichts der besonderen Umstände wäre im Fall der Beschwerdeführerin auch eine Vorführung bis 17:00 Uhr noch als unverzüglich anzusehen gewesen. Denn zunächst habe die Beschwerdeführerin selbst ihre Vorführung vor einen Richter verzögert, indem sie den Baum nicht freiwillig verlassen, sondern sich von der Polizei habe herunterholen lassen. Eine weitere Verzögerung habe sich nach der Stellungnahme der Bundespolizei aus einem Widerstandsakt eines weiteren Mitglieds der Gruppe ergeben. Schließlich hätten die gerichtsbekannten schlechten Wetterverhältnisse den Transport der Beschwerdeführerin in die Gefangenensammelstelle verzögert. Lege man dann für die Aufnahme der Beschwerdeführerin in der Sammelstelle, ihre Vernehmung und die Antragstellung bei Gericht eine weitere Stunde zugrunde, hätte bis 17:00 Uhr ein Antrag an das Amtsgericht gestellt werden können. Eine rechtswidrige Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin liege nicht mehr vor, solange sie aus ihrer Zelle entwichen sei und sich in den Konstruktionselementen der Halle aufgehalten habe. Die sich daraus ergebenden Verzögerungen habe sie sich selbst zuzuschreiben.

11

3. a) Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde zum Landgericht Stralsund.

12

Die Versammlung am Bahngleis sei nicht ordnungsgemäß aufgelöst worden. Gleich morgens seien die noch auf dem Boden befindlichen Aktivisten festgenommen worden. Die Durchsage, die Polizei löse die Versammlung auf, sei erst gegen 11:00 Uhr erfolgt. Für diese Auflösung habe kein Grund bestanden. Es habe kein allgemeines Versammlungsverbot gegeben und die Versammlung sei friedlich gewesen. Das Baumklettern habe weder Straf- noch Ordnungswidrigkeitstatbestände erfüllt. Die Voraussetzungen von § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG hätten nicht vorgelegen. Selbst wenn die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gedroht hätte, was nicht der Fall gewesen sei, wäre die Ingewahrsamnahme zu deren Verhinderung nicht unerlässlich gewesen. Die Annahme, die Beschwerdeführerin werde sich an einen Platzverweis nicht halten, sei durch nichts belegt. Gegen die Räumung aus dem Baum habe sie keinen Widerstand geleistet. Sie habe den Beamten ausdrücklich erklärt, dass sie sich an einen Platzverweis halten werde, weil sie bereits zehn Stunden, drei davon in einem Baum, draußen bei minus 10 Grad Celsius verbracht habe; sie sei müde gewesen und die Aktion sei aus ihrer Sicht gelungen gewesen, da die Presse gekommen sei und sie Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erhalten habe. In der Vergangenheit habe sie nie zwei Kletteraktionen nacheinander durchgeführt. Das sei auch gar nicht möglich, schon gar nicht nach Beschlagnahme ihrer Ausrüstung. Aus diesen Gründen habe das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ihre von 1:15 bis 3:00 Uhr dauernde Ingewahrsamnahme nach einer Kletteraktion am Gleisbett während eines Nukleartransports im Jahr 2008 für rechtswidrig erklärt.

13

Vor der Abfahrt in die Gefangenensammelstelle habe die Beschwerdeführerin stundenlang im Polizeifahrzeug warten müssen. Dies sei durch die Wetterverhältnisse nicht zu erklären. Die Unterbringung in einem Käfig in der Gefangenensammelstelle sei menschenunwürdig gewesen. Es habe das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für einen Haftraum zu fordernde Tageslicht gefehlt. Zudem habe die Beschwerdeführerin Anspruch auf gesundheitserhaltende Unterbringung. Dazu gehöre vegetarische Ernährung. Weil sie an chronischer Gelenkentzündung leide, verursache die in Fleisch enthaltene Arachidonsäure ihr Schmerzen. Die Dauer des Gewahrsams sei willkürlich lang gewesen. Bereits um 8:00 Uhr morgens habe die Polizei beschlossen, die Beschwerdeführerin festzunehmen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte das Amtsgericht verständigt werden können. Soweit das Amtsgericht meine, sie habe sich die aus ihrer erneuten Kletteraktion ergebenden Verzögerungen hinsichtlich ihrer Freilassung selbst zuzuschreiben, sei dem entgegenzuhalten, dass ihre Freilassung dadurch nicht verzögert, sondern vielmehr beschleunigt worden sei.

14

b) Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Januar 2014 - den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugegangen am 10. April 2014 - wies das Landgericht die Beschwerde als unbegründet zurück.

15

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin sei nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG "rechtmäßig und unerlässlich" gewesen. Es habe "konkret die unmittelbare Gefahr" bestanden, dass die Beschwerdeführerin eine Straftat nach § 315 Abs. 1 StGB begehen werde. Die Polizei habe davon ausgehen dürfen, dass sie mit den anderen Kletterern eine Aktion plane, bei der zumindest einer der Kletterer sich in den Regellichtraum über den Schienen auf der Höhe der Lokomotive abseilen und dadurch ein Hindernis oder einen ähnlich gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr im Sinne des § 315 Abs. 1 StGB bewirken würde. Konkrete Anhaltspunkte für den unmittelbar bevorstehenden Beginn einer solchen Aktion hätten bereits aufgrund der von der Beschwerdeführerin mitgeführten Kletterausrüstung bestanden. Da sich Aktivisten auf beiden Seiten der Gleise befunden hätten, sei es ihnen auch möglich gewesen, ein Seil über die Gleise zu spannen. Die Einlassung der Beschwerdeführerin, sie habe, schon um eine Selbstgefährdung zu vermeiden, kein Hindernis bereiten wollen, sei eine Schutzbehauptung. Die Beschwerdeführerin habe selbst eingeräumt, in der Vergangenheit auch Kletteraktionen über Bahngleise durchgeführt zu haben. Sie sei - polizeibekannt - eine professionelle Kletteraktivistin, die in der Vergangenheit bereits mehrfach durch Abseilaktionen für Aufsehen gesorgt habe. Anfang 2008 habe sie einen Castor-Transport auf dem Weg nach Rotterdam für sieben Stunden dadurch zum Stehen gebracht, dass sie in einer Seilkonstruktion über den Gleisen gehangen habe. Nach einem Zeitungsbericht, der auf der Internetseite der Beschwerdeführerin verlinkt sei, habe sie dazu heimlich ein Seil über die Schienen gespannt und sich mit einem zweiten Seil bis zur Höhe der Lok abgeseilt. In Gefahr sei sie dabei nicht gewesen, weil sie sich jederzeit hätte hochziehen und den Zug "durchrauschen" lassen können.

16

Auch nach der Bergung der Beschwerdeführerin habe die Polizei eine weitere Kletterabsicht befürchten müssen. Die Sicherstellung der Kletterausrüstung verbunden mit einem Platzverweis wäre deshalb nicht ausreichend gewesen. Angesichts der professionellen Vorbereitung durch die Gruppe von Aktivisten habe die Polizei davon ausgehen dürfen, dass auch Vorbereitungen für "Ersatzaktionen" getroffen worden seien. Es würde die Darlegungsanforderungen für die Polizei überspannen, wenn eine Ingewahrsamnahme nur zulässig wäre, wenn schon Material für Ersatzmaßnahmen gefunden worden sei. Dass sich die Beschwerdeführerin vor ihrer Bergung bereits mehrere Stunden im Baum befunden habe, habe nicht ausgeschlossen, dass sie eine weitere Aktion durchführen würde. Schließlich sei sie in der Gefangenensammelstelle gegen 20:00 Uhr erneut geklettert.

17

Die Dauer des Gewahrsams sei bis 17:00 Uhr nicht zu beanstanden. Unabhängig davon, dass die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin bereits um 8:52 Uhr erklärt worden sei, habe sie erst nach der Bergung um 12:00 Uhr verwirklicht werden können. Der Zeitraum von zwei Stunden für die Verbringung in die Gefangenensammelstelle sei angesichts der Wetterverhältnisse mit erheblichem Schneefall und erheblichen Schneeverwehungen "hinreichend". Die Kammer schließe sich der Auffassung des Amtsgerichts an, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin bis 17:00 Uhr hätte veranlasst werden können. Zu Recht habe das Amtsgericht die Rechtswidrigkeit des Gewahrsams auch nur für den Zeitraum von 17:00 bis 20:00 Uhr ausgesprochen, denn aufgrund der Kletteraktion der Beschwerdeführerin in der Gefangenensammelstelle gegen 20:00 Uhr sei weder ihre Entlassung noch eine richterliche Vorführung möglich gewesen. Nachdem sie in ihre Zelle zurückgekehrt sei, sei sie in einem angemessenen Zeitraum entlassen worden.

18

Die Art und Weise der Unterbringung in der Gefangenensammelstelle habe nicht gegen "Menschen- und Grundrechte" der Beschwerdeführerin verstoßen. Die Einrichtung sei nur auf den Zeitraum bis zur richterlichen Vorführung ausgelegt gewesen. Deshalb seien die vom Bundesverfassungsgericht für Hafträume aufgestellten Maßstäbe nicht anwendbar.

19

4. a) Gegen diesen Beschluss erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge. Die Behauptung des Landgerichts, es habe die konkrete Gefahr bestanden, dass sie eine Straftat nach § 315 Abs. 1 StGB begehen werde, sei pauschal und keinesfalls ausreichend gegenüber ihrem detailreichen Vorbringen. Ihr Vortrag, insbesondere dass ihre "Kletteraktion" weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit dargestellt habe und dass die Ingewahrsamnahme zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit unverhältnismäßig gewesen sei, sei ignoriert worden. Sie wiederholte ihr Vorbringen, dass sie den Beamten, die die Festnahme durchführten, mitgeteilt habe, dass sie sich an den Platzverweis halten werde und verwies zur Begründung unter anderem auf die winterlichen Wetterbedingungen und ihre Erschöpfung.

20

b) Mit Beschluss vom 30. Juli 2014, zugegangen am 13. August 2014, wies das Landgericht die Anhörungsrüge als jedenfalls unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin greife in der Sache die rechtlichen Bewertungen der Kammer an. Soweit sie rüge, die Kammer habe sich mit ihrem Vorbringen nicht hinreichend auseinandergesetzt, sei darauf hinzuweisen, dass Art. 103 Abs. 1 GG nicht erfordere, alle Einzelpunkte des Parteivorbringens in den Entscheidungsgründen ausdrücklich abzuhandeln.

II.

21

1. Mit ihrer am 10. Mai 2014 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die polizeiliche Maßnahme, den Beschluss des Amtsgerichts und den die Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Landgerichts. Sie rügt ausdrücklich beziehungsweise der Sache nach eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 EMRK, Art. 5 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 10 EMRK, Art. 8 GG in Verbindung mit Art. 11 EMRK, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 GG.

22

In ihre Grundrechte sei ohne gesetzliche Grundlage eingegriffen worden, weil die Voraussetzungen einer Ingewahrsamnahme nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG nicht erfüllt gewesen seien. Die Gerichte gingen von der konkreten Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Straftat nach § 315 Abs. 1 StGB aus, ohne dies "konkret zu belegen". Die Feststellungen des Gerichts seien pauschal und keinesfalls ausreichend. Die Ingewahrsamnahme sei - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b EMRK hätten nicht vorgelegen - nicht "unerlässlich" gewesen. Ein Platzverweis verbunden mit einer Sicherstellung der Kletterausrüstung wäre zur Gefahrenabwehr ausreichend gewesen. Das Landgericht habe ungeprüft Informationen aus einem Zeitungsartikel übernommen. Bei der in diesem Artikel beschriebenen "Blockade" habe es sich um die Aktion gehandelt, nach der das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Ingewahrsamnahme für unverhältnismäßig erklärt und das Amtsgericht Steinfurt sie vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen habe.

23

Ferner sei gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz (Art. 104 Abs. 2 GG) verstoßen worden, weil versäumt worden sei, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Verzögerungen könnten nicht mit den Witterungsverhältnissen gerechtfertigt werden. Auch die Fortdauer ihrer Ingewahrsamnahme nach 20:00 Uhr sei verfassungswidrig.

24

Art. 8 GG sei verletzt, weil die Versammlung der "Kletteraktivisten" erst aufgelöst worden sei, nachdem die Hälfte ihrer Teilnehmer bereits in Gewahrsam genommen worden sei. Durch die Auflösung der Versammlung sei sie an der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) gehindert worden. Die Art und Weise der Unterbringung habe ihre Menschenwürde und ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Die Unterbringung in "lärmigen Käfigen ohne Privatsphäre" sei menschenunwürdig gewesen. Das angebotene Fleisch hätten "90 % der Gefangenen" aus politischen oder gesundheitlichen Gründen nicht essen können.

25

Das Landgericht habe überdies Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Dazu wiederholt die Beschwerdeführerin ihren Vortrag aus der Anhörungsrüge.

26

2. Das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Bundesregierung hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen:

27

a) Es bestünden bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Weil das Landgericht in dem die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss Bedenken an deren Zulässigkeit geäußert habe, hätte es nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG der Darlegung bedurft, dass die Beschwerdeführerin dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gerecht geworden sei, indem sie den Rechtsweg in gehöriger Weise erschöpft und die ihr zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung oder Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen genutzt habe.

28

b) Überdies sei die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG rechtmäßig gewesen und habe diese nicht in ihren Grundrechten verletzt. Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der Wertungen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b EMRK.

29

Nach der konkreten Situation, in der die Beschwerdeführerin und die übrigen Mitglieder der Gruppe angetroffen worden seien, seien die Polizeibeamten zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin zusammen mit den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe unmittelbar im Begriff gewesen sei, zumindest einen nach § 315 Abs. 2 StGB strafbaren Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr und eine zumindest versuchte Nötigung nach § 240 Abs. 1 und 2 StGB zu begehen sowie nach § 64b Abs. 2 Nr. 5 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) ein Fahrthindernis zu bereiten, indem sie ein Seil über die Gleise spannen und sich ein Mitglied der Gruppe über den Gleisen bis auf Zughöhe abseilen würde.

30

Die Berechtigung dieser Gefahrenprognose gelte umso mehr, als die Beschwerdeführerin polizeibekannt bereits in der Vergangenheit mit einschlägigen Abseilaktionen auf sich aufmerksam gemacht habe. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin anlässlich dieser früheren Kletteraktionen nicht strafrechtlich verfolgt worden sei, sei unerheblich, denn auf die strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts bei rückwirkender Betrachtung komme es für die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG als Gefahrenabwehrmaßnahme nicht an.

31

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin sei auch unerlässlich im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG gewesen. Das Unerlässlichkeitserfordernis setze voraus, dass andere Maßnahmen gleich geeignet und effektiv seien und führe nicht dazu, dass die Polizei statt der Ingewahrsamnahme Maßnahmen von geringerer Eingriffsintensität auf das Risiko hin vornehmen müsse, dass diese die Gefahrenlage nicht mit hinreichender Sicherheit beenden würden. Insbesondere verlange es nicht, dass die Polizei zunächst eine minderschwere Maßnahme versuchen müsse und erst nach deren Fehlschlagen zu einer Ingewahrsamnahme greifen dürfe. Andere Maßnahmen als die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin hätten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit unterbinden zu können. Die Beschwerdeführerin habe im Rahmen der durchgeführten Aktion eine beträchtliche Entschlossenheit zutage gelegt, die bei lebensnaher ex-ante-Betrachtung habe erwarten lassen, dass sie ohne die Ingewahrsamnahme von ihrem Vorhaben, den Castor-Transport zu behindern, nicht ablassen, sondern eine der von der Polizei beendeten Aktion vergleichbare Folgeaktion unternehmen werde. Nachdem die Beschwerdeführerin der Versammlungsauflösung und der sich daraus unmittelbar kraft Gesetzes ergebenden Verpflichtung, sich sofort zu entfernen (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 VersG), nicht freiwillig nachgekommen sei, sondern im Baum verharrt habe und von einer Spezialeinheit der Polizei habe geborgen werden müssen, hätten die Polizisten keinen Grund zu der Annahme gehabt, sie werde einem Platzverweis Folge leisten. Dass die Beschwerdeführerin angebe, die Aktion sei für sie schon deshalb erfolgreich gewesen, weil die Presse gekommen sei und sie Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erhalten habe, ändere nichts daran, dass sie ihr eigentliches Ziel, einen Beitrag zur Verzögerung des Castor-Transports zu leisten, noch nicht erreicht gehabt habe. Den Hinweis auf die Kälte habe das Landgericht zu Recht nicht als Beleg dafür angesehen, dass die Beschwerdeführerin sich einem Platzverweis gebeugt hätte, denn die Witterungsverhältnisse hätten sie auch nicht veranlasst, freiwillig vom Baum herunterzusteigen. Auch die Sicherstellung der von der Beschwerdeführerin und den anderen Mitgliedern der Gruppe mitgeführten Kletterausrüstung sei kein geeignetes Mittel gewesen, um die Wiederholung einer Kletteraktion zu verhindern. Zwar könne es an der faktischen Möglichkeit einer Folgeaktion fehlen, wenn die Behinderungsmaßnahme einen hohen logistischen oder technischen Vorbereitungsaufwand erfordere. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Das Überspannen der Gleise mit Seilen und das anschließende Abseilen könne von erfahrenen Kletterern in vergleichsweise kurzer Zeit organisiert werden - vorausgesetzt, das erforderliche Material sei vorher deponiert worden oder werde von Helfern gebracht. Konkreter Kenntnis der Polizei von Ersatzmaterial habe es nicht bedurft. Das Landgericht habe zutreffend angenommen, dass dies die Darlegungslast der Polizei überspannen würde.

32

3. Die Beschwerdeführerin hat der Stellungnahme der Bundesregierung insbesondere entgegengehalten:

33

Sie habe gar keine Seile bei sich gehabt, von denen sie eines hätte über die Gleise spannen und eines hätte verwenden können, um sich abzuseilen. Schon deshalb hätten keine konkrete Anhaltspunkte auch nur für den Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr nach § 315 Abs. 1 und 2 StGB vorgelegen. Hätte sie die Absicht und das notwendige Material gehabt, um sich abzuseilen, wäre ihr dies in der Zeit von der Baumbesteigung gegen 8:30 Uhr bis zum Beginn der Bergung um 11:20 Uhr möglich gewesen. Der Baum, auf den sie geklettert sei, habe sich zudem in mehreren Metern Abstand von den Gleisen befunden. Rechts oder links einer Bahnanlage - und damit außerhalb dieser - in einem Baum zu sitzen, um in Sichtweite des Objekts des Protestes zu demonstrieren, sei nicht strafbar, sondern die Wahrnehmung von Grundrechten.

34

Die Behauptung, die Beschwerdeführerin habe an anderer Stelle weitere Kletterausrüstung deponiert gehabt, erfolge "ins Blaue hinein", ohne dass es dafür Hinweise gebe. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin gegen 20:00 Uhr in der Gefangenensammelstelle geklettert sei, könne nicht herangezogen werden, um die Gefahr einer wiederholten Kletteraktion am Gleisbett im Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme zu begründen. Erstens habe sie mit der Kletteraktion in der Gefangenensammelstelle gegen ihr willkürliches Festhalten ohne richterliche Entscheidung protestiert. Zweitens habe das erst nachträgliche Geschehen für die maßgebliche ex-ante-Prognose keine Rolle gespielt. Drittens sei das Klettern in einer Halle mit Metallstangen nicht mit dem Klettern auf einen Baum vergleichbar. Für das Klettern in der Halle habe man kein Seil gebraucht, für das Klettern auf einen Baum dagegen schon.

35

4. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens wurde beigezogen.

III.

36

Soweit die Beschwerdeführerin die polizeiliche Maßnahme und den Beschluss des Amtsgerichts angreift, sind die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde nicht erfüllt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>; 96, 245 <248>; BVerfGK 12, 189 <196>). Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Das Beschwerdegericht hat in vollem Umfang über den Prozessgegenstand entschieden. Damit sind die polizeiliche Maßnahme und der vorhergehende Beschluss des Amtsgerichts prozessual überholt (vgl. BVerfGK 10, 134 <138>).

IV.

37

Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen den die Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Landgerichts wendet, ist die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen.

38

1. Die am 10. Mai 2014 eingegangene und bis zum Abschluss des Anhörungsrügeverfahrens im Allgemeinen Register geführte Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG erhoben worden, ohne dass es darauf ankommt, ob die Anhörungsrüge zu dem nach § 90 Abs. 2 BVerfGG zu erschöpfenden Rechtsweg gehörte und geeignet war, die Verfassungsbeschwerdefrist offenzuhalten. Wäre die Anhörungsrüge nicht dazu geeignet gewesen, hätte die Monatsfrist mit Zugang der Beschwerdeentscheidung bei dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 10. April 2014 begonnen (§ 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) und mit Ablauf des 12. Mai 2014 geendet (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Damit wäre die Verfassungsbeschwerde auch in diesem Fall innerhalb der Frist erhoben worden.

39

2. Der Zulässigkeit steht auch weder der in § 90 Abs. 2 BVerfGG enthaltene Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>), noch ist die Beschwerdeführerin ihrer diesbezüglichen Darlegungsobliegenheit nicht nachgekommen (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 11 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Februar 2016 - 1 BvR 3078/15 -, juris, Rn. 6).

40

Die Frage der ordnungsgemäßen Rechtswegerschöpfung betrifft die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, deren Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen und über die es allein zu entscheiden hat. Aus der fachgerichtlichen Verwerfung eines Rechtsbehelfs als unzulässig kann daher nicht automatisch geschlossen werden, der Rechtsweg sei nicht ordnungsgemäß erschöpft worden (vgl. BVerfGE 128, 90 <99 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Januar 2014 - 1 BvR 1126/11 -, juris, Rn. 18). Wenn das Fachgericht die betreffenden Zulässigkeitsanforderungen in verfassungswidriger Weise - etwa unter Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes oder das Willkürverbot - überspannt hat, kann die vom Fachgericht angenommene Unzulässigkeit einem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerfGK 13, 181 <185>; 16, 409 <409>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Januar 2014 - 1 BvR 1126/11 -, juris, Rn. 11, 18; Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2015, § 90 Rn. 168). Hat ein Fachgericht dagegen ungeachtet der Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs in der Sache entschieden, indem es den Rechtsbehelf zwar als unzulässig angesehen, aber hilfsweise Ausführungen zur Begründetheit gemacht oder die Frage nach der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs ausdrücklich offengelassen und nur dessen Begründetheit geprüft hat, kann die Unzulässigkeit des fachgerichtlichen Rechtsbehelfs dem Beschwerdeführer ebenfalls nicht als Grund für die Unzulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde entgegengehalten werden. Denn in diesem Fall hat der Rechtsbehelf das mit dem Gebot der Rechtswegerschöpfung verfolgte Ziel - dem Bundesverfassungsgericht durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial zu verschaffen und ihm die Fall- und Rechtsanschauung der Gerichte zu vermitteln (vgl. BVerfGE 86, 15 <27>; 114, 258 <279>) - in der Regel erreicht (vgl. BVerfGK 13, 181 <185>; 13, 409 <415>; 19, 157 <162>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 2013 - 2 BvR 2784/12 -, juris, Rn. 19; Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2015, § 90 Rn. 168).

41

Danach steht der Zulässigkeit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass das Landgericht die Anhörungsrüge, ihre Gebotenheit zur Rechtswegerschöpfung und Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes unterstellt, als "jedenfalls unbegründet" zurückgewiesen hat. Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin hat das Landgericht veranlasst, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit dem gerügten Gehörsverstoß auseinanderzusetzen und damit das mit dem Gebot der Rechtswegerschöpfung verfolgte Ziel erreicht.

42

Einer über das Vorbringen der Beschwerdeführerin hinausgehenden Darlegung, dass der Rechtsweg in der gehörigen Weise erschöpft wurde, bedurfte es - entgegen der Auffassung der Bundesregierung - nicht. Die Beschwerdeführerin hat ihre Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren sowie die jeweils darauf ergangenen Entscheidungen vorgelegt und dem Bundesverfassungsgericht damit die Prüfung der Rechtswegerschöpfung und der Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes ermöglicht (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 11 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Februar 2016 - 1 BvR 3078/15 -, juris, Rn. 6).

43

3. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch das Landgericht rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Auslegung und Anwendung des § 26 FamFG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG durch das Landgericht werden der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht gerecht.

44

a) Art. 19 Abs. 4 GG verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, das heißt auf eine umfassende Prüfung des Verfahrensgegenstandes (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 129, 1 <20>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2017 - 2 BvR 2584/12 -, juris, Rn. 18). Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten Interessen nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfGK 9, 390 <395>; 9, 460 <463>; 13, 472 <476>; 13, 487 <493>; 17, 429 <430 f.>; 19, 157 <164>; 20, 107 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2017 - 2 BvR 2584/12 -, juris, Rn. 18).

45

aa) Die Gewährleistung schließt einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen der Individualrechtssphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt ein (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 101, 106 <122 f.>; stRspr). Ein solcher Rechtsschutz ist von besonderer Bedeutung, wenn es um die Abwehr von Grundrechtsverletzungenoder um die Durchsetzung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen zugunsten des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt geht (vgl. BVerfGE 60, 253 <266>; 101, 106 <123>). Zur Effektivität des Rechtsschutzes gegenüber der öffentlichen Gewalt gehört es, dass das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnisse besitzt, um drohende Rechtsverletzungen abzuwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen zu beheben (vgl. BVerfGE 61, 82 <111>; 101, 106 <123>; stRspr). Das schließt grundsätzlich eine Bindung des Gerichts an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen aus (vgl. BVerfGE 15, 275 <282>; 84, 34 <49>; 101, 106 <123>). Das Gericht muss die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123>).

46

bb) Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG kann die Bundespolizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit ist den Polizeibehörden kein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Frage, ob bei der im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme begründeten, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung. Dass das Merkmal "unmittelbar bevorstehend" wie der Gefahrbegriff im Allgemeinen eine Prognose verlangt, gibt für die Annahme eines Beurteilungsspielraums nichts her. Die prognostischen Elemente sind vielmehr Elemente der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs und rechtfertigen keine Kontrollbeschränkung der Gerichte. Ihre Konkretisierung ist von Verfassungs wegen Sache der Rechtsprechung, die die Rechtsanwendung der Behörden insoweit uneingeschränkt nachzuprüfen hat (vgl. BVerfGE 103, 142 <157> m.w.N. zur "Gefahr im Verzug" nach Art. 13 Abs. 2 GG; OLG Celle, Beschluss vom 14. September 2011 - 22 W 2/11 -, juris, Rn. 15 m.w.N. zu § 18 NdsSOG).

47

b) Das Landgericht hat durch die Art und Weise seiner Befassung mit dem Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerin das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Dezember 2005 - 2 BvR 447/05 -, juris, Rn. 64 f.). Es hat bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 26 FamFG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG das Vorbringen der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang nicht ausreichend berücksichtigt und seine Entscheidung auf eine nicht tragfähige Würdigung gestützt.

48

aa) Die Beschwerdeführerin hat gerügt, dass man sie in Gewahrsam genommen habe, obgleich eine "Ersatzaktion" nach ihrer Bergung und der Sicherstellung ihrer Kletterausrüstung nicht zu befürchten gewesen sei. Zur Begründung hat sie in ihrem Antrag vom 12. Januar 2011, in ihrer Beschwerdeschrift vom 10. April 2012 und in ihrer Anhörungsrüge vom 23. April 2014 unter anderem auf die zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahmeherrschenden strengen winterlichen Wetterbedingungen verwiesen. In dem Beschluss des Amtsgerichts heißt es dazu, dass es geschneit und ein "kräftiger Wind" geweht habe, dazu hätten die Temperaturen "weit unter dem Gefrierpunkt" gelegen. Die Beschwerdeführerin hat ferner angegeben, dass sie erschöpft gewesen sei, nachdem sie zuvor "bereits über 10 Stunden in der Kälte bei minus 10 Grad verbracht [habe], 3 davon in einem Baum". Sie habe den Beamten, die ihre Festnahme durchführten, mitgeteilt, dass sie sich an einen Platzverweis halten werde, müde sei und ins Warme wolle. Den damit von der Beschwerdeführerin für die gerichtliche Überprüfung der polizeilichen Prognoseentscheidung relevanten vorgetragenen Umständen ist das Gericht nicht nachgegangen. Die Entscheidung enthält keine hinreichende Begründung dafür, warum ein Platzverweis als milderes Mittel vor dem Hintergrund dieses Vorbringens und der besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend gewesen wäre. Das Gericht verweist insoweit lediglich darauf, dass die Beschwerdeführerin am Abend des Tages ihrer Ingewahrsamnahme - acht Stunden nach ihrer Bergung und nachdem sie etwa sechs Stunden in einer warmen Halle verbracht hatte - erneut an den Verstrebungen der Halle, in der sich die Gefangenensammelstelle befand, nach oben geklettert sei. Diese Erwägung, die auf ein lange nach der Ingewahrsamnahme eingetretenes Ereignis abstellt, ist jedoch für die ex ante anzustellende Gefahrenprognose, mit der die Ingewahrsamnahme zu begründen ist, ohne Bedeutung. Es kann letztlich offen bleiben, ob der Verweis des Landgerichts auf die "professionelle Vorbereitung" der Kletteraktion durch die Gruppe und die daraus gefolgerte "Vorbereitung einer Ersatzaktion" durch das Gericht verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, denn diese Argumentation bezieht den Vortrag der Beschwerdeführerin zu ihrer körperlichen Verfassung und den meteorologischen Bedingungen ebenfalls nicht ein.

49

bb) Das Gericht hat auch den Vortrag der Beschwerdeführerin, sie habe in der Vergangenheit niemals zwei Kletteraktionen nacheinander durchgeführt und die durch das Eingreifen der Bundespolizei beendete Aktion sei aus ihrer Sicht bereits deshalb gelungen, da die Presse gekommen und ihr Protest auf diese Weise sichtbar geworden sei, nicht ausreichend berücksichtigt. Der Beschluss enthält keine Feststellungen dazu, ob diese Umstände der Polizei zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme bekannt gewesen sind, und setzt sich im Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht mit diesem Vortrag auseinander. Auch dieses Vorbringen ist aber von Relevanz für die Beurteilung der Frage, ob eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit aus der maßgeblichen ex-ante-Perspektive drohte.

50

4. Da der angegriffene Beschluss des Landgerichts schon wegen eines Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keinen Bestand hat, braucht nicht entschieden zu werden, ob der Beschluss weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Beschwerdeführerin verletzt.

V.

51

Nach §§ 93c Abs. 2, 95 Abs. 2 BVerfGG ist der Beschluss aufzuheben und ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Stralsund zurückzuverweisen.

VI.

52

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Die Bundespolizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies

1.
zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet,
2.
unerläßlich ist, um eine Platzverweisung nach § 38 durchzusetzen, oder
3.
unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

(2) Die Bundespolizei kann Minderjährige, die der Obhut des Personensorgeberechtigten widerrechtlich entzogen wurden oder sich dieser entzogen haben, in Gewahrsam nehmen, damit sie dem Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zugeführt werden können.

(3) Die Bundespolizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen, Jugendstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt oder einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 des Strafgesetzbuches aufhält, in Gewahrsam nehmen, damit sie in die Anstalt zurückgebracht werden kann.

(4) Die Bundespolizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, um einem Ersuchen, das eine Freiheitsentziehung zum Inhalt hat, nachzukommen.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

1. Der Beschwerdeführer nahm im Juni 2013 an einer Demonstration zum Thema "Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika" in Frankfurt am Main teil. Nach den Feststellungen der Fachgerichte legten einige Versammlungsteilnehmer bereits vor Beginn des Aufzugs Vermummung an und führten verbotene Gegenstände mit. Gegen 12:30 Uhr setzte sich der Aufzug in Bewegung. Die Sicht in zwei Teile des Aufzugs wurde durch zusammengeknotete Transparente sowie immer wieder aufgespannte Regenschirme verhindert. Seitlich führten die Teilnehmer dort mit Kunststoffplatten verstärkte und mit Halteschlaufen versehene Styroporschilde mit. Nicht zugelassene Pyrotechnik wurde gezündet und Teilnehmer begannen, schwarze Oberbekleidung anzulegen. Einige Personen zogen selbstgefertigte Plastikvisiere vor ihr Gesicht. Holzstangen und Seile wurden als Seitenschutz zum Einsatz gebracht und umschlossen einen Teil des Aufzugs in Verbindung mit den Schildern und den Transparenten U-förmig. Im weiteren Verlauf wurden Pyrotechnik und mit Farbe gefüllte Flaschen und Beutel auf Einsatzkräfte geworfen. Um 12:49 Uhr wurde dieser Teil der Versammlung gestoppt und von dem übrigen Aufzug abgetrennt, indem 943 Personen durch Polizeiketten eingeschlossen wurden. Unter ihnen befand sich auch der Beschwerdeführer. Nachdem eine Einigung zwischen der Polizei und den Versammlungsteilnehmern über das weitere Vorgehen nicht zustande kam, ordnete die Polizei im Einvernehmen mit der Versammlungsbehörde um 14:40 Uhr an, die eingeschlossenen Personen von der Versammlung auszuschließen. Die Polizei errichtete 15 Video-Durchlassstellen, durch die die Eingeschlossenen die Umschließung verlassen konnten, wo zunächst ihre Identität festgestellt, ihre mitgeführten Sachen durchsucht und sie erkennungsdienstlich behandelt (Videografierung) wurden und ihnen sodann ein Aufenthaltsverbot für den Innenstadtbereich Frankfurt am Main erteilt wurde. Bei Durchführung der polizeilichen Maßnahmen kam es wiederholt zu teilweise erheblichem Widerstand gegen die eingesetzten Polizeikräfte, die mit Regenschirmen und Holzlatten attackiert wurden. Pro Minute konnte die Identität von drei Personen festgestellt werden. Der Beschwerdeführer konnte den Polizeikessel gegen 17:30 Uhr verlassen.

2

2. In der Folge wurde ein gegen den Beschwerdeführer eingeleitetes Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Beschwerdeführer beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung, der Identitätsfeststellung und der Durchsuchung. Zugleich beantragte er wiederholt Akteneinsicht insbesondere auch in das Videomaterial zum Polizeieinsatz.

3

3. Nach Verweisung durch den Verwaltungsgerichtshof stellte das Amtsgericht mit angegriffenem Beschluss vom 24. September 2014 analog § 98 Abs. 2 StPO fest, dass die erfolgte Freiheitsentziehung gemäß §§ 163b, 163c StPO rechtmäßig gewesen sei. In dem eingekesselten Versammlungsteil hätten sich ganz überwiegend Verdächtige einer Vielzahl von während des bisherigen Demonstrationsverlaufs verübten Straftaten befunden. Da sich auch der Beschwerdeführer in dieser Personengruppe befunden habe, habe auch gegen ihn ein Anfangsverdacht wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, das Sprengstoffgesetz oder wegen Widerstandshandlungen bestanden. In Ansehung des unfriedlichen Verlaufs der Demonstration und der Vielzahl der Verdächtigen sei die Feststellung von deren Identität und damit auch der des Beschwerdeführers anders als durch Festhalten nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich gewesen. Das Festhalten sei auch lediglich bis zum Passieren der zum Zwecke der Identitätsfeststellung eingerichteten Videodurchlassstelle und damit nicht länger als zur Feststellung der Identität unerlässlich erfolgt. Eine Vorführung vor den Richter sei bereits faktisch erst nach Passieren des Kesselausgangs möglich gewesen.

4

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 30. Dezember 2014 verwarf das Landgericht die Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts als unbegründet. Allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Teil der Personengruppe gewesen sei, aus der heraus Straftaten verübt wurden, begründe konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er nicht frei vom Verdacht der Beteiligung an einer Straftat gewesen sei. Die polizeiliche Maßnahme sei auch verhältnismäßig gewesen. Aufgrund der dezidierten und umfassenden polizeilichen Dokumentation über den Einsatzverlauf der Demonstration könne kein Zweifel bestehen, dass von der eingeschlossenen Demonstrationsgruppe eine Vielzahl strafrechtlich relevanter Aktionen ausgegangen sei, ohne dass die Polizeibeamten in dem dynamischen Geschehen einer Großdemonstration in der Lage gewesen sein konnten, jeden potentiellen Störer oder gar Straftäter aus einem ersichtlich gewaltbereiten Block gezielt herauszudeuten. Aus der schriftlichen Dokumentation ergebe sich auch eine vielfältig abgestufte Vorgehensweise der Polizei, die in ständigem Dialog mit dem Versammlungsleiter und dessen Rechtsvertreterin gestanden habe, bevor die Einsatzleitung den formalen Teilausschluss verfügt habe. Durch die Einrichtung von 15 Video-Durchlassstellen habe sich die Dauer der Einschließung deutlich reduziert. Die Feststellung der Identität sei ferner vor dem Ergehen einer richterlichen Entscheidung zu erwarten gewesen, da eine Vorführung vor den Richter ebenfalls erst nach Passieren des Kesselausgangs faktisch möglich gewesen wäre.

5

Das Landgericht schloss zudem aus, dass sich durch die Inaugenscheinnahme des 1-Terabyte (ca. 300 DVD) bemessenden Videomaterials ein für die relevante Rechtsfrage abweichender Sachverhalt ergeben könnte, weswegen dem Beschwerdeführer keine weitere Akteneinsicht zu gewähren sei. Aufgrund des vorhandenen Aktenmaterials sowie der Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Videostelle passiert habe, stehe fest, dass er Teil der Personengruppe gewesen sei, aus der Straftaten hervorgingen. Deswegen habe ihm gegenüber ein konkreter Anfangsverdacht bestanden. Dies werde von dem Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt. Für die zu entscheidende Rechtsfrage stehe der Sachverhalt damit vollständig fest, weshalb keine Notwendigkeit bestehe, weitergehende Akteneinsicht in das von der Polizei gefertigte Videomaterial zu gewähren, zumal dies kein Aktenbestandteil sei.

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5. Mit angegriffenem Beschluss vom 27. Januar 2015 wies das Landgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers als unbegründet zurück.

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6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 103 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG.

8

Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil Amtsgericht und Landgericht über die Anträge entschieden hätten, ohne vorher die beantragte vollständige Akteneinsicht zu gewähren und den Beschwerdeführer persönlich anzuhören. Das Landgericht hätte das gesamte Videomaterial beiziehen müssen.

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Art. 8 GG werde verletzt, da die Anwendung des allgemeinen Polizeirechts nicht möglich sei, solange eine Versammlung nicht aufgelöst oder einzelne Versammlungsteilnehmer ausgeschlossen seien. Die Einkesselung habe auch nicht auf eine Ermächtigungsgrundlage der Strafprozessordnung gestützt werden können. Die Polizei habe zu Zwecken der Gefahrenabwehr gehandelt. Im Übrigen habe kein Verdacht im Sinne des § 163b Abs. 1 StPO gegen den Beschwerdeführer vorgelegen; dass er sich innerhalb der umschlossenen Gruppe aufgehalten habe, reiche dafür nicht aus.

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Schließlich sei Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG verletzt, da die Einkesselung für den Beschwerdeführer mit einer von 12:49 Uhr bis circa 17:30 Uhr andauernden Freiheitsentziehung verbunden gewesen sei. Für diese habe keine Ermächtigungsgrundlage existiert. Zudem sei der Richtervorbehalt des Art. 104 GG nicht beachtet worden.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten.

12

1. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts, wonach die polizeiliche Abspaltung eines Teils der Versammlung und das kollektive Festhalten der hiervon betroffenen Versammlungsteilnehmer zum Zwecke der Strafverfolgung ihre Grundlage in §§ 163b, 163c StPO finden, weshalb eine rechtswidrige Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nicht festzustellen sei, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

13

a) Die Verfassung gewährleistet lediglich das Recht, sich "friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Das ist Vorbedingung für die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Mittel zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess und für eine freiheitliche Demokratie unverzichtbar (vgl. BVerfGE 69, 315 <359 f.>). Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (BVerfGE 69, 315 <361>).

14

Besteht danach für eine Versammlung trotz Ausschreitungen nur einer Minderheit der Teilnehmer der Schutz des Art. 8 GG fort, muss sich dies auf die Anwendung grundrechtsbeschränkender Rechtsnormen auswirken. Dies gilt insbesondere auch für die Anwendung des § 163b StPO und des § 163c StPO, wenn es zu Abspaltungen eines Teils der Versammlung vom restlichen Demonstrationszug kommt, um eine spätere Strafverfolgung zu ermöglichen. Zwar schließt es die unter Gesetzesvorbehalt stehende Versammlungsfreiheit nicht aus, gegen Teile der Versammlung repressive Maßnahmen der Strafverfolgung zu ergreifen. Bei solchen Grundrechtseingriffen haben die staatlichen Organe aber die grundrechtsbeschränkenden Normen der StPO im Lichte der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>).

15

Konkret bedeutet dies für § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO, wonach die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen dürfen, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist, und der Verdächtige festgehalten werden darf, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann, dass der Verdacht auf einer hinreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen sowie individuell bezogen auf den konkreten Versammlungsteilnehmer bestehen muss. Nicht genügend für den Verdacht ist die bloße Teilnahme an einer Versammlung, aus der heraus durch einzelne andere oder eine Minderheit Gewalttaten begangen werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 37/82 -, juris, Rn. 33). Da sich Gewalttätigkeiten bei Großdemonstrationen kaum jemals ganz ausschließen lassen, träfe andernfalls nahezu jeden Versammlungsteilnehmer das Risiko, allein wegen des Gebrauchmachens von der Versammlungsfreiheit - schon während der Versammlung - Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <361>). Die Notwendigkeit eines auf den konkreten Versammlungsteilnehmer bezogenen Verdachts schließt es allerdings nicht aus, auch gegen eine ganze Gruppe von Versammlungsteilnehmern nach § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO vorzugehen, wenn sich aus deren Gesamtauftreten ein Verdacht auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern der Gruppe ergibt und das Vorgehen die übrigen Versammlungsteilnehmer so weit wie möglich ausspart.

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b) Diesen Maßgaben werden die fachgerichtlichen Entscheidungen vorliegend gerecht. Zwar konnten weder das Amtsgericht noch das Landgericht feststellen, dass sich der Beschwerdeführer unfriedlich verhalten hätte; der Entscheidung des Landgerichts ist auch nicht zu entnehmen, dass die Versammlung im Ganzen unfriedlich verlaufen wäre. Gleichwohl begegnet die Annahme der Fachgerichte, das Abspalten des Beschwerdeführers als Teil einer Gruppe vom übrigen Versammlungsaufzug und sein Festhalten zur Identitätsfeststellung seien nach § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO gerechtfertigt gewesen, da er als Teil der Gruppe einer Straftat verdächtig gewesen sei, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

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Dies gilt zunächst für die grundsätzliche Einstufung der Freiheitsentziehung als repressive Maßnahme zur Verfolgung von Straftaten. Angesichts des - mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffenen - Verweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs ist nicht ersichtlich, dass der fachgerichtliche Wertungsrahmen bei der Beurteilung der Maßnahmen der Polizei überschritten worden wäre.

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Hinsichtlich der Wahrnehmung des Beschwerdeführers als Verdächtigem im Sinne des § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO begründen die Fachgerichte diese mit der Feststellung, der Beschwerdeführer sei Teil einer Personengruppe gewesen, aus der heraus Straftaten begangen worden seien. Wie dabei aus den fachgerichtlichen Ausführungen und aus den Unterlagen folgt, die dem Bundesverfassungsgericht vorliegen, bildeten sich unmittelbar nach Aufzugsbeginn vor und hinter dem Lautsprecherwagen zwei Blöcke. Der Block vor dem Lautsprecherwagen führte seitlich Transparente mit, die in U-Form um den Block verliefen und mit Seilen und Fahnenstangen miteinander verbunden waren. Unter den Transparenten führte der Block Schutzschilde mit und baute einen Seitenschutz auf. Angehörige dieses Blocks trugen Schutzbrillen und selbstgefertigte Plastikvisiere. Aus dem Block wurden Regenschirme verteilt und geöffnet, so dass sich auch ein Sichtschutz nach oben ergab. Der Block hinter dem Lautsprecherwagen führte ebenfalls an beiden Seiten verbundene Transparente mit; diese so verbundenen Transparente wurden seitlich hochgehalten. Die Teilnehmer dieses Blocks waren komplett schwarz gekleidet, wobei der Umfang der Vermummung zunahm und ebenfalls Plastikvisiere getragen wurden. Beide Blöcke liefen dicht gestaffelt. Aus beiden Blöcken wurden Flaschen und Pyrotechnik auf die Einsatzkräfte geworfen. Im vorderen Block wurden Farbbeutel verteilt.

19

Geht die Polizei gegen eine sich dergestalt mittels dichtgedrängter Staffelung, Sichtschutz und Vermummung vom übrigen Versammlungsgeschehen abhebende Gruppe, aus der heraus eine Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen werden, auf Grundlage des § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO vor, da sie einen Anfangsverdacht gegen alle Mitglieder dieser Gruppe als begründet ansieht und bestätigen die Fachgerichte dieses Vorgehen, verstößt dies nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Die zu diesem Teil des Aufzugs gehörenden Personen zeigen ein planvoll-systematisches Zusammenwirken mit einer Vielzahl von Gewalttätern und erwecken den Eindruck der Geschlossenheit, so dass die Einsatzkräfte davon ausgehen durften, dass Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten gefordert und bestärkt würden und nur eine sehr geringe Zahl friedlicher Versammlungsteilnehmer durch die Einkesselung vom Rest der Versammlung ausgeschlossen und festgehalten werde. Dies ist verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn die Polizei - wie vorliegend - ohne Aufschub nach der Kesselbildung in Verhandlungen mit der Versammlungsleitung eintritt, um eine Fortsetzung des Aufzugs sowohl für den vom Polizeikessel betroffenen friedlichen Versammlungsteil als auch für einzelne friedliche Versammlungsteilnehmer innerhalb der eingeschlossenen Demonstrationsgruppe zu ermöglichen.

20

Vor dem Hintergrund des Art. 8 GG begegnet auch die fachgerichtliche Feststellung, ein Festhalten des Beschwerdeführers sei allein bis zum Passieren einer der zum Zwecke der Identitätsfeststellung eingerichteten Video-Durchlassstellen und damit nicht länger als zur Feststellung der Identität unerlässlich erfolgt (§ 163c Abs. 1 Satz 1 StPO), angesichts der großen Zahl von Verdächtigen, der unverzüglichen Aufnahme von Verhandlungen mit der Versammlungsleitung zur Fortsetzung des Aufzugs, der sich daran unmittelbar anschließenden Einrichtung von 15 Video-Durchlassstellen, die die Feststellung der Identität von drei Personen pro Minute und noch vor Ort ermöglichten, sowie der Tatsache, dass Teile der von der polizeilichen Maßnahme betroffenen Gruppe durch erhebliche körperliche Widerstandshandlungen gegen die eingesetzten Polizeikräfte selbst zu einer Verlängerung der Gesamtdauer der durchgeführten Maßnahmen beigetragen haben, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

21

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG, indem sie gemäß § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO davon ausgegangen sind, dass eine unverzügliche Vorführung vor den Richter zum Zwecke der Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung unterbleiben konnte, da die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde als zur Feststellung der Identität notwendig wäre.

22

Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet für jede nicht auf richterlicher Anordnung beruhende Freiheitsentziehung, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen, wobei "unverzüglich" dahin auszulegen ist, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239 <249>). Die Ausnahme von der Vorführpflicht nach § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO für den Fall, dass bis zur Erlangung der richterlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit vergeht als bis zur Feststellung der Identität, ist danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

23

So lagen die Dinge hier, da die Identitätsfeststellung noch vor Ort, unmittelbar im Anschluss an die gescheiterten Verhandlungen über eine Fortsetzung des Aufzugs und mittels 15 Durchlassstellen für 943 Personen erfolgte, das Verlassen des Kessels sich also unmittelbar an die Identitätsfeststellung anschloss. Unter diesen Umständen durfte von der Zulässigkeit einer Identitätsfeststellung vor Ergehen einer richterlichen Entscheidung ausgegangen werden.

24

3. Die Fachgerichte haben auch nicht dadurch gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG verstoßen, dass sie es unterlassen haben, das polizeiliche Videomaterial beizuziehen.

25

a) Die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Freiheit der Person, gebieten es, im fachgerichtlichen Verfahren den entscheidungserheblichen Sachverhalt hinreichend aufzuklären (vgl. BVerfGE 83, 24 <33 f.>). Das gilt angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht (vgl. BVerfGK 7, 87 <100>).

26

Hier bewegt sich die Art und Weise sowie die Reichweite der Amtsermittlung in den Ausgangsverfahren innerhalb dieses fachgerichtlichen Wertungsrahmens. Sie war auch ausreichend, weil das Vorbringen des Beschwerdeführers in den Ausgangsverfahren das Ergebnis der Amtsermittlung nicht in Zweifel gezogen hat. Nach der nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung der Fachgerichte musste ein Verdacht im Sinne des § 163b Abs. 1 StPO gegen den Beschwerdeführer nicht daran scheitern, dass dieser tatsächlich keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Ausreichend war insoweit bereits seine Zugehörigkeit zu einer sich vom übrigen Demonstrationsgeschehen deutlich abhebenden Gruppe, aus der heraus eine Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen wurden.

27

b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht dadurch verletzt, dass die Gerichte das - für sie nicht entscheidungserhebliche - Videomaterial nicht beigezogen haben und dem Beschwerdeführer insoweit auch keine Akteneinsicht gewähren konnten. Aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG lässt sich kein Anspruch auf Erweiterung des Akteninhalts herleiten (vgl. BVerfGE 63, 45 <59 f.>).

28

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.