Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 18. Mai 2018 - Au 6 E 18.394
Tenor
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller einstweilen eine Bescheinigung über die Einreichung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte auszustellen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt,, Prozesskostenhilfe bewilligt. Mehrkosten, die sich daraus ergeben, dass der Bevollmächtigte seinen Sitz nicht im Gerichtsbezirk hat, werden nicht erstattet.
Gründe
I.
II.
III.
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(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.
(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn
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ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder - 2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.
(1) Der Ausländer ist verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Die Ausländerbehörde kann ihm dafür eine angemessene Frist setzen. Sie setzt ihm eine solche Frist, wenn sie die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen fehlender oder unvollständiger Angaben aussetzt, und benennt dabei die nachzuholenden Angaben. Nach Ablauf der Frist geltend gemachte Umstände und beigebrachte Nachweise können unberücksichtigt bleiben. Der Ausländer, der eine ICT-Karte nach § 19b beantragt hat, ist verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde jede Änderung mitzuteilen, die während des Antragsverfahrens eintritt und die Auswirkungen auf die Voraussetzungen der Erteilung der ICT-Karte hat.
(2) Absatz 1 findet im Widerspruchsverfahren entsprechende Anwendung.
(3) Der Ausländer soll auf seine Pflichten nach Absatz 1 sowie seine wesentlichen Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz, insbesondere die Verpflichtungen aus den §§ 44a, 48, 49 und 81 hingewiesen werden. Im Falle der Fristsetzung ist er auf die Folgen der Fristversäumung hinzuweisen.
(4) Soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist, kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint sowie eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird. Kommt der Ausländer einer Anordnung nach Satz 1 nicht nach, kann sie zwangsweise durchgesetzt werden. § 40 Abs. 1 und 2, die §§ 41, 42 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Bundespolizeigesetzes finden entsprechende Anwendung.
(5) Der Ausländer, für den nach diesem Gesetz, dem Asylgesetz oder den zur Durchführung dieser Gesetze erlassenen Bestimmungen ein Dokument ausgestellt werden soll, hat auf Verlangen
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ein aktuelles Lichtbild nach Maßgabe einer nach § 99 Abs. 1 Nr. 13 und 13a erlassenen Rechtsverordnung vorzulegen oder bei der Aufnahme eines solchen Lichtbildes mitzuwirken und - 2.
bei der Abnahme seiner Fingerabdrücke nach Maßgabe einer nach § 99 Absatz 1 Nummer 13 und 13a erlassenen Rechtsverordnung mitzuwirken.
(6) Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 3 oder 4 sind, sind verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis mitzuteilen, dass die Ausbildung oder die Erwerbstätigkeit, für die der Aufenthaltstitel erteilt wurde, vorzeitig beendet wurde. Der Ausländer ist bei Erteilung des Aufenthaltstitels über seine Verpflichtung nach Satz 1 zu unterrichten.
(1) Freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, wird von Amts wegen innerhalb von sechs Monaten, nachdem sie die erforderlichen Angaben gemacht haben, eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern ausgestellt, die fünf Jahre gültig sein soll. Eine Bescheinigung darüber, dass die erforderlichen Angaben gemacht worden sind, erhält der Familienangehörige unverzüglich.
(2) Die zuständige Ausländerbehörde kann verlangen, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 drei Monate nach der Einreise glaubhaft gemacht werden. Für die Glaubhaftmachung erforderliche Angaben und Nachweise können von der zuständigen Meldebehörde bei der meldebehördlichen Anmeldung entgegengenommen werden. Diese leitet die Angaben und Nachweise an die zuständige Ausländerbehörde weiter. Eine darüber hinausgehende Verarbeitung oder Nutzung durch die Meldebehörde erfolgt nicht.
(3) Das Vorliegen oder der Fortbestand der Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Absatz 1 kann aus besonderem Anlass überprüft werden.
(4) Sind die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen oder liegen diese nicht vor, kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 festgestellt und bei Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, die Aufenthaltskarte eingezogen werden. § 4a Abs. 6 gilt entsprechend.
(5) Auf Antrag wird Unionsbürgern unverzüglich ihr Daueraufenthaltsrecht bescheinigt. Ihren daueraufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, wird innerhalb von sechs Monaten nach Antragstellung eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt.
(6) Für den Verlust des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 7 gilt Absatz 4 Satz 1 entsprechend.
(7) Bei Verleihung des Rechts nach § 3a Absatz 1 stellt die zuständige Behörde eine Aufenthaltskarte für nahestehende Personen, die nicht Unionsbürger sind, aus, die fünf Jahre gültig sein soll. Die Inhaber des Rechts dürfen eine Erwerbstätigkeit ausüben. Absatz 5 Satz 2 findet entsprechende Anwendung.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
Tatbestand
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Der Kläger, ein 1970 geborener togoischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seiner deutschen Ehefrau.
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Der Kläger kam im April 2000 nach Deutschland und betrieb ohne Erfolg zwei Asylverfahren. Eine im Januar 2003 geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, da er inzwischen nach Belgien weitergereist war. Dort stellte er zwei weitere Asylanträge, die ebenfalls abgelehnt wurden.
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Während seines Aufenthalts in Deutschland lernte der Kläger die 1947 geborene deutsche Staatsangehörige M. K. kennen, die er im Dezember 2003 in Belgien heiratete. Im Juni 2004 beantragte er bei der Deutschen Botschaft in Brüssel die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Die Botschaft verwies den Kläger zunächst an die Auslandsvertretung in Togo. Nachdem sich der Kläger im August 2005 erneut an die Botschaft in Brüssel wandte, lehnte sie den Antrag nach einer getrennten Ehegattenbefragung mit Bescheid vom 28. April 2006 ab. Sie begründete ihre Entscheidung mit ernsthaften Zweifeln an der Absicht der Ehegatten, eine langfristige familiäre Lebensgemeinschaft zu gründen.
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Die hiergegen gerichtete Klage hat beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Berufung des Klägers nach Vernehmung seiner Ehefrau und einer Bekannten der Eheleute mit Urteil vom 23. April 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger erfülle in zweifacher Hinsicht nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ehegattennachzug. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG setze die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug voraus, dass beide Ehegatten ernsthaft beabsichtigten, im Bundesgebiet eine auf Dauer angelegte eheliche Lebensgemeinschaft zu führen. Bestehe insoweit berechtigter Anlass für eine nähere Prüfung, trage der Ausländer die Darlegungs- und Beweislast. Vorliegend habe Anlass zu näherer Prüfung bestanden, da der Kläger nach der (konkludenten) Visumversagung im September 2004 fast ein Jahr seine Einreise nicht weiter betrieben habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestünden gewichtige Zweifel am Willen der Eheleute, eine eheliche Lebensgemeinschaft miteinander zu führen. Der Kläger erfülle im Übrigen auch nicht das Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.
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Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Berufungsgericht überspanne mit seinen Ausführungen zur Eheführungsabsicht die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast. Das Spracherfordernis verstoße gegen Art. 6 und 3 GG sowie gegen Art. 8 EMRK. Außerdem sei das Urteil insoweit wegen der Bezugnahme auf ein anderes, ihm nicht bekanntes, Urteil nicht mit Gründen versehen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu Recht verneint und den angefochtenen Ablehnungsbescheid als rechtmäßig bestätigt. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegt (1.) und § 27 Abs. 1 AufenthG der Erteilung des begehrten Visums entgegensteht (2.). Ob das klägerische Begehren daneben - wie vom Berufungsgericht angenommen - auch am Spracherfordernis des § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG scheitert, bedarf bei dieser Sachlage keiner Entscheidung (3.). Die Verfahrensrüge hat ebenfalls keinen Erfolg (4.).
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1. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Klagebegehren nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung des Klägers nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erfasst wird. Nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihren Familienangehörigen, nicht aber die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger.
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Auch die durch das Freizügigkeitsgesetz/EU umgesetzte Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 - sog. Unionsbürgerrichtlinie - gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 ("Berechtigte") nur für Unionsbürger, die sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben oder sich dort aufhalten, und deren Familienangehörige. Damit findet die Richtlinie keine Anwendung auf Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Folglich können deren Familienangehörige aus der Richtlinie kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht herleiten (EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - Rn. 31 ff.).
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Familienangehörige von Deutschen unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union allerdings dann den aus dem Freizügigkeitsrecht abgeleiteten unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Dies setzt aber voraus, dass der deutsche Ehegatte in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, dass die praktische Wirksamkeit seines Freizügigkeitsrechts als Unionsbürger es erfordert, seinem Ehepartner einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen (vgl. Senatsurteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 17.09 - NVwZ 2011, 495, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 10 ff.). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Deutschen die Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist (zum Meinungsstand vgl. Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 10), bedarf auch im vorliegenden Fall keiner abschließenden Klärung. Denn beim Kläger liegen die Voraussetzungen eines sog. Rückkehrerfalles im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht vor. Seine deutsche Ehefrau hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts insgesamt nur wenige Tage - zweimal im Zusammenhang mit der Eheschließung und ein weiteres Mal im Jahre 2005 - zu Besuchszwecken in Belgien aufgehalten. Mit diesen Reisen nach Belgien und der dortigen Heirat hat sie nicht in so nachhaltiger Weise von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, dem Kläger einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Ehefrau des Klägers bei ihren Kurzreisen nach Belgien durch Inanspruchnahme von Dienstleistungen von ihrem wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht in Gestalt der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die Anwendung der in den sog. Rückkehrerfällen entwickelten Grundsätze nicht mehr notwendig ein Gebrauchmachen des Unionsbürgers von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten voraus (zum wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht durch Erbringung von Dienstleistungen vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-60/00, Carpenter - Slg. 2002, I-6279). Vielmehr kann auch ein Gebrauchmachen von dem allgemeinen mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geeignet sein, die Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Familiennachzugsregeln zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Zhu und Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.). Dennoch genügt, wie die vom Gerichtshof entschiedenen Fälle zeigen, nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine "Mitnahme" des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht auch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Denn diese Grenze ist durch die kurzen Besuchsaufenthalte der Ehefrau in Belgien zweifellos nicht erreicht.
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Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs kann unter bestimmten Umständen allerdings auch bei Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, das Unionsrecht einer Aufenthaltsverweigerung im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers entgegenstehen (vgl. EuGH, Urteile vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - und vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - EuGRZ 2011, 142). In diesem Zusammenhang hat sich der Gerichtshof aber nicht der - weitergehenden - Forderung der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 30. September 2010 in der Rechtssache Zambrano angeschlossen. Die Generalanwältin ist für die Anerkennung eines unmittelbar aus dem Unionsbürgerstatus und dem Verbot umgekehrter Diskriminierung abgeleiteten bedingungslosen Aufenthaltsrechts eingetreten, auf das sich ein Unionsbürger gegenüber dem Staat seiner Staatsangehörigkeit auch ohne vorheriges Gebrauchmachen von seiner Freizügigkeit - einschließlich des damit verbundenen Anspruchs auf Familiennachzug nach unionsrechtlichen Regelungen - berufen kann. Der Gerichtshof betont demgegenüber, dass nach ständiger Rechtsprechung die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen auch weiterhin nicht auf Sachverhalte anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. Nach Auffassung des Gerichtshofs begründet aber allein der Umstand, dass ein Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, noch keinen rein innerstaatlichen Sachverhalt. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Art. 20 AEUV steht daher nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Auf die mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte, insbesondere auf das Recht aus Art. 21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, kann sich ein Unionsbürger auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen. Art. 21 AEUV ist hingegen nicht auf einen Unionsbürger anwendbar, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, sofern die Situation dieses Bürgers nicht von der Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats begleitet ist, die bewirken, dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbereichs der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder die Ausübung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen oder aufzuhalten, behindert würde (EuGH, Urteile vom 5. Mai 2011 a.a.O. Rn. 44 ff. und vom 8. März 2011 a.a.O. Rn. 42 ff.). In Anwendung dieser Grundsätze kommt der Gerichtshof in der Rechtssache McCarthy, in der es - wie hier - um die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers ging, zu dem Ergebnis, dass dem Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte nicht verwehrt oder die Ausübung des Rechts, sich gemäß Art. 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht behindert würde. Anders als in der Rechtssache Zambrano, die minderjährige Unionsbürger und die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für deren drittstaatsangehörigen Eltern betraf, bewirkt die Aufenthaltsverweigerung für den drittstaatsangehörigen Ehegatten nicht, dass der Unionsbürger verpflichtet wäre, das Hoheitsgebiet der Union zu verlassen. Aufgrund seiner Staatsangehörigkeit steht ihm im Herkunftsmitgliedstaat ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht zu. Daher fehlt es an einer Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte, auf die das Unionsrecht abstellt, und weist diese Situation mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinaus (vgl. im Einzelnen EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 a.a.O. Rn. 50 ff.). In einem solchen Fall sind etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2008 - Rs. C-127/08, Metock - NVwZ 2008, 1097 Rn. 78 und vom 5. Juni 1997 - Rs. C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet - Slg. 1997, I-3171 Rn. 23).
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Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auf Familienangehörige inländischer Unionsbürger, denen kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht, verstößt auch nicht nach nationalem Recht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der Verpflichtung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und der dadurch bedingten Betroffenheit unterschiedlicher Rechtskreise überhaupt gleiche oder vergleichbare Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1989 - 1 BvR 986/89 - NJW 1990, 1033 und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135 <159>). Denn die aus dem Nebeneinander von Unionsrecht und nationalem Recht entstehende Ungleichbehandlung ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Ist eine Übertragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Familienangehörige von inländischen Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, unionsrechtlich nicht geboten, liegen hinreichend gewichtige Gründe vor, dass in diesen Fällen die für alle nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer geltenden Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts zur Anwendung kommen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).
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2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.
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Nach § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG richtet sich die Erteilung eines nationalen Visums für einen längerfristigen Aufenthalt nach den für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Für den ausländischen Ehegatten eines Deutschen wird gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt.
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Mit der Regelung in § 27 Abs. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber für den Familiennachzug - wie bereits in § 17 Abs. 1 AuslG 1990 - die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen aufenthaltsrechtlichen Rechtswirkungen nachgezeichnet (BTDrucks 15/420 S. 80 f. zu § 27 AufenthG und BTDrucks 11/6321 S. 60 zu § 17 Abs. 1 AuslG 1990). Danach reicht allein das formale Band der Ehe nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten. Erst der Wille zur Herstellung bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. Dieser Wille muss, wie sich aus dem Wesen der Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ergibt, bei beiden Eheleuten bestehen (vgl. Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 7.09 - BVerwGE 136, 222 Rn. 15 m.w.N.).
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Für Anträge auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug folgt daraus, dass es entscheidend darauf ankommt, ob die Eheleute die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herstellen wollen, mithin nicht lediglich eine Scheinehe vorliegt. In diesem Zusammenhang sind die Behörden und Gerichte bei berechtigtem Anlass zur Prüfung befugt, ob der Wille der Ehepartner, die Ehe im Bundesgebiet zu führen, nur vorgeschützt ist. Diese Nachprüfung darf freilich nur unter Wahrung der Verfassungsgebote geschehen, die Menschenwürde und die Intimsphäre der Betroffenen zu achten und zu schützen (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). In diesem Rahmen ist sie auch mit Art. 12 EMRK - dem Recht auf Eheschließung - zu vereinbaren (vgl. EGMR, Urteil vom 14. Dezember 2010 - Nr. 34.848/07, O'Donoghue u.a. - NLMR 2010, 363).
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Für die innere Tatsache, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, trägt der Ausländer die materielle Beweislast, denn der Herstellungswille gehört beim Familiennachzug zu den für den Ausländer günstigen Tatsachen. Verbleiben hier nach Ausschöpfung der zugänglichen Beweisquellen auch bei nur einem Ehepartner Zweifel, trägt der Ausländer die Last des non liquet (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 17 f. m.w.N.).
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An dieser Beweislastverteilung hat sich durch die Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nichts geändert. Danach wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz in das Aufenthaltsgesetz neu eingefügten Ausschlusstatbestand hat der Gesetzgeber Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - nahezu wortgleich umgesetzt. Daneben können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie den Antrag auf Einreise zum Zweck der Familienzusammenführung u.a. dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen (mehr) bestehen. Von dieser Ermächtigung hat der nationale Gesetzgeber durch den - nicht nur in den von der Familienzusammenführungsrichtlinie erfassten Fällen des Nachzugs zu einem Drittstaatsangehörigen (vgl. Art. 1 der Richtlinie) zu beachtenden - Grundtatbestand des Familiennachzugs in § 27 Abs. 1 AufenthG Gebrauch gemacht. Aus der Entstehungsgeschichte der Familienzusammenführungsrichtlinie ergibt sich, dass der Versagungstatbestand in Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie die Regelung in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht verdrängen, sondern lediglich ergänzen soll. Unionsrechtlich ist es daher nicht ausgeschlossen, auch bei mangelnder Erweislichkeit einer Schein- oder Zweckehe eine Familienzusammenführung abzulehnen, wenn keine tatsächlichen ehelichen Bindungen bestehen oder ein entsprechender Wille nicht bei beiden Eheleuten feststellbar ist (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Auch der deutsche Gesetzgeber hat anlässlich der Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie den Versagungsgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG in das Aufenthaltsgesetz nur aufgenommen, um durch die ausdrückliche Normierung dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken und den Anreiz zur Schließung von Scheinehen zu nehmen (BTDrucks 16/5065 S. 3 und 152). Die Vorschrift sollte mit ihrer Signalwirkung hingegen keinesfalls die bisher bestehende Beweislastverteilung verändern, um nicht das gesetzgeberische Anliegen ins Gegenteil zu verkehren (BTDrucks 16/5498 S. 4 f.). Folglich ist § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nicht als abschließende Regelung zu verstehen. Bei Nichterweislichkeit einer Schein- oder Zweckehe verdrängt die Vorschrift daher nicht den Grundtatbestand des § 27 Abs. 1 AufenthG. Auch ändert sie nichts an der materiellen Beweislast des Ausländers für die Absicht der Eheleute, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 18 f.).
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Ausgehend von diesem Verständnis der Vorschriften ist die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der Grundlage seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass beide Ehepartner einander in der Anfangszeit ihrer Beziehung durchaus zugeneigt gewesen und vertraulich miteinander umgegangen seien, der Wunsch der Eheleute zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Laufe der Jahre aber immer weiter in den Hintergrund getreten sei (UA S. 10), lässt erkennen, dass es sich nicht die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit verschaffen konnte, dass die Voraussetzungen für eine Versagung nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG vorliegen. Die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug setzt nach § 27 Abs. 1 AufenthG jedoch voraus, dass beide Ehegatten (weiterhin) den Willen haben, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Diesbezüglich konnte das Berufungsgericht im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung ebenfalls nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit gewinnen. In diesem Zusammenhang hat es vor allem beim Kläger, aber auch bei seiner Ehefrau gegen einen Eheführungswillen sprechende Indizien festgestellt. Erste Anhaltspunkte fand es bezüglich des Klägers bereits in dessen aufenthaltsrechtlicher Vorgeschichte: Der Kläger hatte seinen mittlerweile 10-jährigen Aufenthalt in der Europäischen Union durch das Betreiben erfolgloser Asylverfahren erwirkt. Seine nachhaltigen Versuche, sich mit den Mitteln des Asylrechts ein ihm ansonsten verwehrtes Bleiberecht in Europa zu verschaffen, und sein Untertauchen zur Verhinderung der Abschiebung begründeten ein erhebliches Indiz dafür, dass er auch die eingegangene Ehe für aufenthaltsrechtliche Zwecke instrumentalisiere. Weitere Zweifel erschlossen sich dem Berufungsgericht aus dem Verhalten des Klägers gegenüber seiner Ehefrau im Zusammenhang mit seiner Ausreise nach Belgien. Nach deren Angaben sei er Anfang 2003 nicht mehr erreichbar gewesen. Erst viereinhalb Monate später habe er sich telefonisch auf Belgien gemeldet und ihr mitgeteilt, er wolle sie in Belgien heiraten. Hinzu kam für das Berufungsgericht, dass die Ehepartner einander seit dem letzten Besuch der Ehefrau in Belgien im November 2005 nicht mehr gesehen hatten. Es wertete die von der Ehefrau angeführten Hindernisse - wie die Versorgung ihrer Hunde und die Abneigung gegen das belgische Wohnheim - als nicht unüberwindlich. Insbesondere vermochte es jedenfalls keinen nachvollziehbaren Grund zu erkennen, warum die Ehefrau den Kläger viereinhalb Jahre lang überhaupt nicht mehr besucht habe. Dazu verwertete es, dass der Kläger seine Ehefrau nur sehr eingeschränkt an seinem Leben hatte teilhaben lassen. Es stellte fest, dass der Kläger seiner Ehefrau nichts über seine Kindheit erzählt und ihr auch nicht die wahren Gründe für seine Ausreise aus Togo genannt hatte. Auch hatte die Ehefrau zu den im Bundesgebiet lebenden Halbbrüdern und Bekannten des Klägers keinen Kontakt; sie hatte Besuchsreisen eines Freundes des Klägers nach Belgien nicht für eigene Besuche genutzt bzw. war nicht einmal regelmäßig über diese Besuche informiert.
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Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden; insbesondere wurde ihr mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG kein überzogener Maßstab zugrunde gelegt. Da dem Berufungsgericht nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweisquellen und eingehender Würdigung der Gesamtumstände erhebliche Zweifel bezüglich des bei beiden Ehegatten notwendigen Willens zur Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft verblieben, musste es zu Lasten des Klägers eine Beweislastentscheidung treffen.
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3. Scheitert die Erteilung eines nationalen Visums zum Ehegattennachzug schon an § 27 Abs. 1 AufenthG, bedarf keiner Entscheidung, ob einem Nachzugsanspruch daneben - wie vom Berufungsgericht angenommen - nach § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch entgegensteht, dass der Kläger sich nicht zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann.
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4. Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Sie ist mangels hinreichender Darlegung bereits unzulässig. Insoweit macht die Revision geltend, das Berufungsurteil verstoße gegen § 138 Nr. 6 VwGO, weil das Berufungsgericht bei seinen Ausführungen zum Spracherfordernis auf ein dem Kläger nicht bekanntes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg verweist.
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Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn "die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist". Dieser Revisionsgrund bezieht sich auf den notwendigen (formellen) Inhalt eines Urteils (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Danach müssen im Urteil diejenigen Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt werden, welche für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Sinn dieser Regelung ist es zum einen, die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten, und zum anderen, dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung deshalb nur, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe diese doppelte Funktion nicht mehr erfüllen können. Das ist nach der Rechtsprechung nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind (vgl. Urteil vom 28. November 2002 - BVerwG 2 C 25.01 - BVerwGE 117, 228 <230 f.> m.w.N.).
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Daran gemessen scheitert die Rüge fehlender Urteilsgründe bereits daran, dass sie sich nicht auf die Gesamtheit der die Entscheidung tragenden Gründe, sondern nur auf einen von zwei die Entscheidung selbstständig tragenden Begründungsstränge bezieht und nicht darlegt, weshalb das Urteil auch nicht mit Blick auf die die Entscheidung selbstständig tragende weitere Begründung den formellen Anforderungen des § 138 Nr. 6 VwGO genügt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht hinsichtlich des weiteren Versagungsgrundes fehlender Sprachkenntnisse die für seine Entscheidung maßgebenden Erwägungen zwar knapp, aber aus sich heraus hinreichend verständlich angegeben und nur ergänzend auf ein anderes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg verwiesen, das durch Datum und Aktenzeichen sowie unter Hinweis auf seine Veröffentlichung in juris näher bezeichnet war. Dies ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
Tatbestand
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Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.
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Die 1973 geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Republik Weißrussland. Sie reiste am 1. August 2007 mit einem zunächst bis zum 29. August 2007 gültigen Schengen-Visum nach Deutschland ein. Das Visum wurde später bis zum 30. September 2007 verlängert. Im Visumverfahren hatte die Klägerin gegenüber der deutschen Auslandsvertretung in Minsk angegeben, sie wolle in Deutschland eine Freundin besuchen. Am 6. September 2007 heiratete sie während einer Kurzreise nach Dänemark einen deutschen Staatsangehörigen, kehrte anschließend mit diesem nach Deutschland zurück und beantragte am 18. September 2007 bei der Ausländerbehörde des Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzugs. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 ab und drohte der Klägerin zugleich die Abschiebung an. Die Klägerin sei ohne das erforderliche nationale Visum eingereist, das man für auf Dauer gerichtete Aufenthaltszwecke benötige. Der Aufenthaltstitel könne auch nicht nach § 39 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - im Bundesgebiet beantragt werden. Diese Bestimmung verlange, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden seien. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, da der Anspruch mit der Heirat in Dänemark und damit vor der Einreise nach Deutschland entstanden sei. Von dem Erfordernis der Einholung eines nationalen Visums vom Ausland aus könne auch nicht im Rahmen des Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.
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Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum stehe dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. Denn die Klägerin könne die Aufenthaltserlaubnis nach § 39 Nr. 3 AufenthV auch vom Bundesgebiet aus einholen, da der Anspruch nach der Einreise entstanden sei. Unter "Einreise" im Sinne der Vorschrift sei nämlich die erste Einreise in den Schengen-Raum zu verstehen. Da die Klägerin bereits am 1. August 2007 in den Schengen-Raum eingereist sei, sei die Ehe nach der Einreise geschlossen worden.
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Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16. Juli 2009 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es: Zwar lägen die besonderen Voraussetzungen für einen Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG vor. Die Klägerin erfülle jedoch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil sie nicht mit dem für den beabsichtigten Daueraufenthalt erforderlichen Visum eingereist sei und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht habe. Sie sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV von diesem Erfordernis befreit. Denn ihr Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei nicht nach der Einreise entstanden. Es komme nach dieser Vorschrift auf die letzte vor der Antragstellung erfolgte Einreise in das Bundesgebiet an und nicht auf die Einreise in den Schengen-Raum. Dies ergebe sich u.a. aus dem Zweck der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs solle mit der Begrenzung der Privilegierung auf nach der Einreise entstandene Anspruchsfälle der missbräuchlichen Verwendung eines Schengen-Visums für einen von vornherein beabsichtigten langfristigen Aufenthalt entgegengewirkt werden. Dabei habe der Verordnungsgeber ausdrücklich die Heirat deutscher Staatsangehöriger in Dänemark vor Augen gehabt. Die Regelung begegne weder mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz noch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie Bedenken. Eine andere Auslegung der Vorschrift sei schließlich auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei nicht einschlägig, weil der Ehemann der Klägerin nicht von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten, von dem Visumerfordernis nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugunsten der Klägerin abzusehen, obwohl ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zustehe, sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Ermessensausübung sei es erforderlich, die legitimen Interessen des Ausländers gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Dem sei der Beklagte rechtsfehlerfrei nachgekommen. Er sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin das nationale Visumverfahren in offensichtlich missbräuchlicher Absicht umgangen habe und besondere Umstände, die eine vorübergehende Trennung von ihrem Ehemann mit Blick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRG als unzumutbar erscheinen ließen, weder dargetan noch ersichtlich seien.
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Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe den Begriff der Einreise in § 39 Nr. 3 AufenthV fehlerhaft ausgelegt und dessen europarechtliche Prägung außer Acht gelassen. Die Auslegung des Berufungsgerichts führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Eheschließungen in Deutschland im Vergleich zu Eheschließungen in anderen Schengen-Staaten. Sie werde auch dem durch Art. 6 GG gewährleisteten Schutz der Ehe einschließlich der Eheschließungsfreiheit nicht gerecht. Außerdem sei vorliegend das Ermessen der Ausländerbehörde, von der Durchführung eines Visumverfahrens abzusehen, im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits 1986 festgestellt, dass die Verweisung auf das Sichtvermerksverfahren unsinnig sei, wenn der weitere Aufenthalt des legal eingereisten Ausländers unbedenklich erlaubt werden könne.
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Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.
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Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 10. November 2010 darauf hingewiesen, dass die Klägerin ausweislich des in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs im Visumverfahren auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden ist. Die sich aus dem Visumvorgang ergebenden Umstände sind mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und von diesen nicht in Frage gestellt worden.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug ohne vorherige Durchführung eines nationalen Visumverfahrens verneint und den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig bestätigt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegt (1.), dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - nicht erfüllt (2.a) und weder nach § 39 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - hiervon befreit ist (2.b) noch verlangen kann, dass der Beklagte im Rahmen seines Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von dieser Erteilungsvoraussetzung absieht (2.c).
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1. Zunächst ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Klagebegehren nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung der Klägerin nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erfasst wird. Denn nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihrer Familienangehörigen, nicht aber die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger.
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Allerdings unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ausnahmsweise auch Familienangehörige von Deutschen den unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, nämlich dann, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Nach dieser Rechtsprechung kann sich der einem Drittstaat angehörende Ehegatte eines Unionsbürgers auch gegenüber dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen, wenn der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, der Ehegatte ihn in den anderen Mitgliedstaat begleitet hat oder ihm nachgezogen ist und sich mit ihm dort aufgehalten hat. Dies gilt auch, wenn die Ehe erst in dem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurde, und ist unabhängig von dem Zeitpunkt der Einreise und der Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts des Ehegatten in dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 27 ff., 45) oder dem anderen Mitgliedstaat (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-127/08, Metock - NVwZ 2008, 1097 Rn. 48 ff.). Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers, dass in diesen Fällen der drittstaatsangehörige Ehegatte bei einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat des Unionsbürgers auch dort ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht hat.
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Dieses Recht darf von den Mitgliedstaaten grundsätzlich keinen weiteren Voraussetzungen als dem Nachweis der Identität und der Ehe unterworfen werden. Insbesondere darf nicht ein "Aufenthaltsvisum zum Zweck der Familienzusammenführung" verlangt werden (EuGH, Urteil vom 14. April 2005 - Rs. C-157/03, Kommission/Spanien - Slg. 2005, I-2911 Rn. 28). Selbst die Einreise ohne ein zulässigerweise gefordertes Einreisevisum in Gestalt eines Schengen-Visums darf allenfalls zur Belegung mit Verwaltungssanktionen, nicht aber zur Versagung des Aufenthaltsrechts und erst recht nicht zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet führen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002 - Rs. C-459/99, MRAX - InfAuslR 2002, 417 Rn. 56 und 59). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Deutschen die Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind (vgl. Hailbronner, AuslR, § 1 FreizügG/EU Rn. 2 und 14; VG Darmstadt, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 5 L 492/10.DA - S. 4 f.; wohl auch OVG Bremen, Beschluss vom 17. August 2010 - 1 B 166/10 - InfAuslR 2011, 1) oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist (vgl. Epe, in: GK-AufenthG, § 1 FreizügG/EU Rn. 26), braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Aus Sicht des Senats sprechen durchaus gute Gründe für eine analoge Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU mit der Folge, dass bei Vorliegen eines sog. Rückkehrerfalles nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ausgeschlossen ist. Das würde allerdings nicht bedeuten, dass in allen Fällen des Nachzugsbegehrens von Drittstaatsangehörigen zu ihrem deutschen Ehegatten vor einer Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auch stets eine Feststellung über das Nichtbestehen eines Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU erforderlich wäre. Denn diese Regelung beruht auf der Vermutung eines Freizügigkeitsrechts zugunsten der in § 1 FreizügG/EU genannten Personen, die bei Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger gerade nicht besteht, und dürfte daher von einer entsprechenden Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Rückkehrerfällen ausgenommen sein.
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Die vorstehend aufgeworfene Rechtsfrage bedarf hier keiner abschließenden Klärung, weil bei der Klägerin die Voraussetzungen eines sog. Rückkehrerfalles im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht vorliegen. Denn ihr deutscher Ehemann hat durch die Kurzreise nach Dänemark und die dortige Heirat nicht in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, der Klägerin einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang der Ehemann der Klägerin bei seiner Kurzreise nach Dänemark durch Inanspruchnahme von Dienstleistungen von seinem wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht in Gestalt der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Anwendung der in den sog. Rückkehrerfällen entwickelten Grundsätze nicht mehr notwendig ein Gebrauchmachen des Unionsbürgers von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten voraus (zum wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht durch Erbringung von Dienstleistungen vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-60/00, Carpenter - Slg. 2002, I-6279). Vielmehr kann auch ein Gebrauchmachen von dem allgemeinen mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geeignet sein, die Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Familiennachzugsregeln zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.). Dennoch genügt, wie die vom EuGH entschiedenen Fälle zeigen, nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine "Mitnahme" des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (so auch die ganz überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung: VGH Mannheim, Beschluss vom 25. Januar 2010 - 11 S 2181/09 - InfAuslR 2010, 143; VGH München, Beschluss vom 29. September 2009 - 19 CS 09.1405 - juris Rn. 8; VG Darmstadt, Beschluss vom 23. Oktober 2009 - 5 L 557/09.DA(2) - InfAuslR 2010, 67; nachgehend VGH Kassel, Beschluss vom 22. Januar 2010 - 3 B 2948/09 - juris Rn. 16 ff.). Würde bereits jeder kurzfristige, von vornherein nicht auf eine gewisse Dauer angelegte Aufenthalt eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat - etwa zu touristischen Zwecken - für einen unionsrechtlich begründeten Nachzugsanspruch des mitreisenden drittstaatsangehörigen Ehegatten bei Rückkehr in den Heimatstaat ausreichen, liefe das Recht der Mitgliedstaaten zur Regelung von Einreise und Aufenthalt für den einem Drittstaat angehörenden Ehegatten oder sonstige Familienangehörige ihrer eigenen Staatsbürger weitgehend leer. Dieses Recht der Mitgliedstaaten hat der EuGH in seinen Entscheidungen aber immer wieder ausdrücklich anerkannt und betont, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 77 und vom 1. April 2008 - Rs. C-212/06, Gouvernement de la Communauté française etc. - Slg. 2008, I-1683 Rn. 39 m.w.N.). Insofern kann der Rechtsprechung des EuGH zu den Rückkehrerfällen eine Art Bagatellvorbehalt entnommen werden, nach dem - angesichts der erheblichen Rechtsfolgen des Gebrauchmachens von der Freizügigkeit im Rückkehrfall - auch dieses Gebrauchmachen selbst von einer gewissen Erheblichkeit bzw. Nachhaltigkeit sein muss. In die gleiche Richtung gehen auch die Überlegungen der Kommission zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Unionsrechts in diesem Zusammenhang, die die Begründung eines tatsächlichen und effektiven Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat, d.h. der Sache nach in der Regel einen Umzug des Unionsbürgers, für erforderlich hält (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 2. Juli 2009, KOM(2009) 313 endgültig, S. 19 f.).
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Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall ist durch den kurzfristigen, nur wenige Tage dauernden gemeinsamen Aufenthalt der Klägerin und ihres Ehemannes in Dänemark diese Grenze zweifellos nicht erreicht. Deshalb erübrigt sich auch eine Vorlage an den EuGH.
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Die Notwendigkeit einer solchen Vorlage ergibt sich auch nicht aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in der der Großen Kammer des EuGH zugewiesenen Rechtssache C-34/09 - Zambrano - vom 30. September 2010. Die Generalanwältin hat darin grundsätzlich die Frage aufgeworfen, ob ein Unionsbürger sich gegenüber dem Staat seiner Staatsangehörigkeit auch ohne vorheriges Gebrauchmachen von der Freizügigkeit auf seine Rechte als Unionsbürger - einschließlich des damit verbundenen Anspruchs auf Familiennachzug nach unionsrechtlichen Regeln - berufen kann. Nach ihrer Auffassung ist eine solche Inländerdiskriminierung unionsrechtlich unzulässig. Dies widerspricht allerdings der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des EuGH, nach der Unionsrecht auf rein innerstaatliche Sachverhalte keine Anwendung findet und über etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden ist (neben den oben zitierten Urteilen vom 25. Juli 2008 und 1. April 2008 auch Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs. C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet - Slg. 1997, I-3171 Rn. 23). Dies hat der EuGH auf einen ähnlichen Vorstoß der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 28. Juni 2007, Rn. 121 in der Rechtssache C-212/06 durch Urteil vom 1. April 2008 a.a.O., Rn. 37 bis 39 ausdrücklich bestätigt. Aus Sicht des Senats stellt sich angesichts dieser eindeutigen Rechtsprechung derzeit insoweit keine europarechtliche Zweifelsfrage.
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Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auf inländische Unionsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der Verpflichtung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und der dadurch bedingten Betroffenheit unterschiedlicher Rechtskreise überhaupt gleiche oder vergleichbare Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1989 - 1 BvR 986/89 - NJW 1990, 1033 und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135 <159>). Denn die aus dem Nebeneinander von Unionsrecht und nationalem Recht entstehende Ungleichbehandlung ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Ist eine Übertragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Familienangehörige von inländischen Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, unionsrechtlich nicht geboten, liegen hinreichend gewichtige Gründe vor, dass in diesen Fällen die für alle nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer geltenden Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts zur Anwendung kommen (vgl. Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 40).
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2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.
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Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zu einem Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG erfordert neben dem Vorliegen der dort genannten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich auch, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt ist, d.h. dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (Nr. 2). Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer nach § 39 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einzuholen, oder ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt.
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a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Sie ist nicht mit einem zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten nationalen Visum gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG eingereist und hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die für dessen Erteilung erforderlichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht.
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Die Klägerin ist mit einem Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und damit nicht unerlaubt im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist (vgl. zur Auslegung dieser Vorschrift: BTDrucks 15/420 S. 73 und BGH, Urteil vom 27. April 2005 - 2 StR 457/04 - NJW 2005, 2095). Für einen längerfristigen Aufenthalt ist aber gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG - vorbehaltlich der oben genannten Ausnahmen - ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird und der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (so auch die ganz überwiegende Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte: neben dem Berufungsurteil etwa VGH Kassel, Beschluss vom 16. März 2005 - 12 TG 298/05 - NVwZ 2006, 111; VGH Mannheim, Beschluss vom 14. März 2006 - 11 S 1797/05 - juris Rn. 12 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2008 - 13 ME 131/08 - juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 1 B 552/08 - juris Rn. 30; zur alten Rechtslage noch offenlassend, Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <267>). Für dieses Verständnis der Vorschrift spricht neben ihrer systematischen Stellung bei den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln auch der Sinn und Zweck der Regelung. Sie dient anders als § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht primär der Verhinderung oder Sanktion einer unerlaubten Einreise, sondern soll die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten (BTDrucks 15/420 S. 70). Diesem Zweck der Vorschrift wird eine weite, auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks erfassende Auslegung der Vorschrift am ehesten gerecht. Nur bei einem solchen Verständnis der Vorschrift erlangen im Übrigen die in § 39 Nr. 2, 3 und 6 AufenthV vorgesehenen Ausnahmen eine eigenständige Bedeutung. In den dort geregelten Fällen einer nachträglichen Änderung des Aufenthaltszwecks würde andernfalls schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Beantragung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zulässig sein.
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Da die Klägerin "nur" mit einem Schengen-Visum und nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist ist, fehlt es - ungeachtet des Umstandes, dass sie auch nicht die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung und Eheführung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat - an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
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b) Die Klägerin ist auch nicht nach den auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV ausnahmsweise berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, und damit von dem Visumerfordernis befreit.
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Die im Fall der Klägerin allein in Betracht kommende Regelung in § 39 Nr. 3 AufenthV ist in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (vgl. Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970) anzuwenden. Umstände, die es aus Gründen des Vertrauensschutzes gebieten würden, abweichend von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der aktuellen Rechtslage ausnahmsweise auf die zuvor geltende Rechtslage abzustellen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 - InfAuslR 2008, 129), liegen im Fall der Klägerin nicht vor. Denn die für die Anwendung der Vorschrift maßgebliche Eheschließung fand ebenso wie die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erst nach Inkrafttreten der Rechtsänderung statt, so dass es schon deshalb an einem unter Geltung der alten Rechtslage ins Werk gesetzten Vertrauen fehlt. Abgesehen davon kommt es, wie die folgenden Ausführungen zeigen, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei der Klägerin auch nicht entscheidend auf diese Rechtsänderung an.
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Nach § 39 Nr. 3 AufenthV in der hier anzuwendenden neuen Fassung kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. In der alten Fassung lautete der letzte Halbsatz: "..., sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind." Die Klägerin, für die allein die zweite Alternative der Vorschrift in Betracht kommt, war zwar bei der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug im Besitz eines gültigen Schengen-Visums für kurzfristige Aufenthalte, bei ihr liegen aber trotz der Heirat eines Deutschen nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV vor, weil sie den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat und deshalb die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, von der beim Familiennachzug gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen des behördlichen Ermessens abgesehen werden kann, nicht erfüllt.
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Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsgesetz - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen (Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 Rn. 24 m.w.N.). Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (a.a.O. Rn. 21 ff.). Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Sie hat bei der Beantragung des Schengen-Visums bei der deutschen Auslandsvertretung in Minsk im Juli 2007 falsche Angaben zum Zweck der Erlangung dieses Visums gemacht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie seinerzeit angegeben, nur zu Besuchszwecken einreisen zu wollen, obwohl sie, wie die Reisechronologie belegt, von vornherein dauerhaft in Deutschland bleiben wollte (UA S. 15 f.). Von diesen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren auszugehen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin ist ferner ausweislich des bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher und unvollständiger Angaben hingewiesen worden. Dies ist nach der Erörterung dieses Umstandes in der Revisionsverhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit hat die Klägerin den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sowohl in der zum Zeitpunkt der Beantragung des Visums geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) als auch in der jetzigen, seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes geltenden Fassung (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG) erfüllt.
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Dieser Ausweisungsgrund ist auch im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV zu berücksichtigen und steht der Annahme eines strikten Rechtsanspruchs im Sinne dieser Vorschrift entgegen. Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise angenommen wird, dass § 39 Nr. 3 AufenthV gerade bei einer Eheschließung nach der Einreise auch den Fall eines von vornherein beabsichtigten Daueraufenthalts erfassen solle und deshalb der Ausweisungsgrund, der auf dem entsprechenden Verstoß gegen die Visumvorschriften beruhe, bei Anwendung dieser Vorschrift außer Betracht bleiben müsse (so OVG Münster, Beschluss vom 16. September 2008 - 19 B 871/08 - im Anschluss an VG Aachen, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 8 L 445/07 - zu § 39 Nr. 5 AufenthV, juris), folgt der Senat dem nicht (ebenso die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung: vgl. nur OVG Münster, Beschluss vom 10. Juni 2010 - 18 B 606/10 - juris Rn. 8 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 - InfAuslR 2008, 444; VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2009 - 10 CS 09.853 - InfAuslR 2009, 291). Die Vorschrift des § 39 Nr. 3 AufenthV befreit nur von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG; die selbständige Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bleibt aber weiterhin zu beachten. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 39 Nr. 3 AufenthV. Diese Vorschrift soll nur diejenigen Ausländer begünstigen, die im Schengen-Visumverfahren zutreffende Angaben gemacht haben und bei denen sich aufgrund nach der Einreise eingetretener neuer Umstände der Aufenthaltszweck geändert hat. Sie soll aber nicht den Versuch privilegieren, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen. Andernfalls würde die bewusste Umgehung des Visumverfahrens folgenlos bleiben und dieses Verfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung entwertet. Dieser schon mit der ursprünglichen Fassung der Vorschrift verfolgte Regelungszweck (vgl. BRDrucks 731/04 S. 182 f.) wird in der Begründung der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz noch stärker zum Ausdruck gebracht (BTDrucks 15/5065 S. 240).
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Da § 39 Nr. 3 AufenthV schon mangels eines strikten Rechtsanspruchs der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht eingreift, kommt es auf die vom Berufungsgericht erörterte Auslegung des Begriffs der Einreise im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV nicht mehr an.
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c) Ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kommt auch nicht nach Satz 2 der Vorschrift in Betracht, da die Klägerin schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine solche Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde nicht erfüllt. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von dem Erfordernis eines Visumverfahrens nach Satz 1 abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ebenso wie im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV setzt die erste Alternative der Vorschrift einen strikten Rechtsanspruch voraus, der wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG im Fall der Klägerin nicht besteht. Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Vorschrift. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen besondere Umstände, die es der Klägerin unzumutbar machen, das Bundesgebiet vorübergehend zur Nachholung des Visumverfahrens zu verlassen, nicht vor (UA S. 16). Allein der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus.
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Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG der Klägerin im Fall einer Ausreise zur Nachholung des nationalen Visumverfahrens nicht mehr entgegengehalten werden kann.
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Die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid ist nach alledem ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Tatbestand
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Der Kläger, ein 1970 geborener togoischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seiner deutschen Ehefrau.
- 2
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Der Kläger kam im April 2000 nach Deutschland und betrieb ohne Erfolg zwei Asylverfahren. Eine im Januar 2003 geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, da er inzwischen nach Belgien weitergereist war. Dort stellte er zwei weitere Asylanträge, die ebenfalls abgelehnt wurden.
- 3
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Während seines Aufenthalts in Deutschland lernte der Kläger die 1947 geborene deutsche Staatsangehörige M. K. kennen, die er im Dezember 2003 in Belgien heiratete. Im Juni 2004 beantragte er bei der Deutschen Botschaft in Brüssel die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Die Botschaft verwies den Kläger zunächst an die Auslandsvertretung in Togo. Nachdem sich der Kläger im August 2005 erneut an die Botschaft in Brüssel wandte, lehnte sie den Antrag nach einer getrennten Ehegattenbefragung mit Bescheid vom 28. April 2006 ab. Sie begründete ihre Entscheidung mit ernsthaften Zweifeln an der Absicht der Ehegatten, eine langfristige familiäre Lebensgemeinschaft zu gründen.
- 4
-
Die hiergegen gerichtete Klage hat beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Berufung des Klägers nach Vernehmung seiner Ehefrau und einer Bekannten der Eheleute mit Urteil vom 23. April 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger erfülle in zweifacher Hinsicht nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ehegattennachzug. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG setze die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug voraus, dass beide Ehegatten ernsthaft beabsichtigten, im Bundesgebiet eine auf Dauer angelegte eheliche Lebensgemeinschaft zu führen. Bestehe insoweit berechtigter Anlass für eine nähere Prüfung, trage der Ausländer die Darlegungs- und Beweislast. Vorliegend habe Anlass zu näherer Prüfung bestanden, da der Kläger nach der (konkludenten) Visumversagung im September 2004 fast ein Jahr seine Einreise nicht weiter betrieben habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestünden gewichtige Zweifel am Willen der Eheleute, eine eheliche Lebensgemeinschaft miteinander zu führen. Der Kläger erfülle im Übrigen auch nicht das Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.
- 5
-
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Berufungsgericht überspanne mit seinen Ausführungen zur Eheführungsabsicht die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast. Das Spracherfordernis verstoße gegen Art. 6 und 3 GG sowie gegen Art. 8 EMRK. Außerdem sei das Urteil insoweit wegen der Bezugnahme auf ein anderes, ihm nicht bekanntes, Urteil nicht mit Gründen versehen.
Entscheidungsgründe
- 6
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Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu Recht verneint und den angefochtenen Ablehnungsbescheid als rechtmäßig bestätigt. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegt (1.) und § 27 Abs. 1 AufenthG der Erteilung des begehrten Visums entgegensteht (2.). Ob das klägerische Begehren daneben - wie vom Berufungsgericht angenommen - auch am Spracherfordernis des § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG scheitert, bedarf bei dieser Sachlage keiner Entscheidung (3.). Die Verfahrensrüge hat ebenfalls keinen Erfolg (4.).
- 7
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1. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Klagebegehren nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung des Klägers nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erfasst wird. Nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihren Familienangehörigen, nicht aber die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger.
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Auch die durch das Freizügigkeitsgesetz/EU umgesetzte Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 - sog. Unionsbürgerrichtlinie - gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 ("Berechtigte") nur für Unionsbürger, die sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben oder sich dort aufhalten, und deren Familienangehörige. Damit findet die Richtlinie keine Anwendung auf Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Folglich können deren Familienangehörige aus der Richtlinie kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht herleiten (EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - Rn. 31 ff.).
- 9
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Familienangehörige von Deutschen unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union allerdings dann den aus dem Freizügigkeitsrecht abgeleiteten unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Dies setzt aber voraus, dass der deutsche Ehegatte in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, dass die praktische Wirksamkeit seines Freizügigkeitsrechts als Unionsbürger es erfordert, seinem Ehepartner einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen (vgl. Senatsurteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 17.09 - NVwZ 2011, 495, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 10 ff.). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Deutschen die Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist (zum Meinungsstand vgl. Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 10), bedarf auch im vorliegenden Fall keiner abschließenden Klärung. Denn beim Kläger liegen die Voraussetzungen eines sog. Rückkehrerfalles im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht vor. Seine deutsche Ehefrau hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts insgesamt nur wenige Tage - zweimal im Zusammenhang mit der Eheschließung und ein weiteres Mal im Jahre 2005 - zu Besuchszwecken in Belgien aufgehalten. Mit diesen Reisen nach Belgien und der dortigen Heirat hat sie nicht in so nachhaltiger Weise von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, dem Kläger einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Ehefrau des Klägers bei ihren Kurzreisen nach Belgien durch Inanspruchnahme von Dienstleistungen von ihrem wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht in Gestalt der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die Anwendung der in den sog. Rückkehrerfällen entwickelten Grundsätze nicht mehr notwendig ein Gebrauchmachen des Unionsbürgers von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten voraus (zum wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht durch Erbringung von Dienstleistungen vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-60/00, Carpenter - Slg. 2002, I-6279). Vielmehr kann auch ein Gebrauchmachen von dem allgemeinen mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geeignet sein, die Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Familiennachzugsregeln zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Zhu und Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.). Dennoch genügt, wie die vom Gerichtshof entschiedenen Fälle zeigen, nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine "Mitnahme" des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht auch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Denn diese Grenze ist durch die kurzen Besuchsaufenthalte der Ehefrau in Belgien zweifellos nicht erreicht.
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Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs kann unter bestimmten Umständen allerdings auch bei Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, das Unionsrecht einer Aufenthaltsverweigerung im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers entgegenstehen (vgl. EuGH, Urteile vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - und vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - EuGRZ 2011, 142). In diesem Zusammenhang hat sich der Gerichtshof aber nicht der - weitergehenden - Forderung der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 30. September 2010 in der Rechtssache Zambrano angeschlossen. Die Generalanwältin ist für die Anerkennung eines unmittelbar aus dem Unionsbürgerstatus und dem Verbot umgekehrter Diskriminierung abgeleiteten bedingungslosen Aufenthaltsrechts eingetreten, auf das sich ein Unionsbürger gegenüber dem Staat seiner Staatsangehörigkeit auch ohne vorheriges Gebrauchmachen von seiner Freizügigkeit - einschließlich des damit verbundenen Anspruchs auf Familiennachzug nach unionsrechtlichen Regelungen - berufen kann. Der Gerichtshof betont demgegenüber, dass nach ständiger Rechtsprechung die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen auch weiterhin nicht auf Sachverhalte anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. Nach Auffassung des Gerichtshofs begründet aber allein der Umstand, dass ein Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, noch keinen rein innerstaatlichen Sachverhalt. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Art. 20 AEUV steht daher nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Auf die mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte, insbesondere auf das Recht aus Art. 21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, kann sich ein Unionsbürger auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen. Art. 21 AEUV ist hingegen nicht auf einen Unionsbürger anwendbar, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, sofern die Situation dieses Bürgers nicht von der Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats begleitet ist, die bewirken, dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbereichs der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder die Ausübung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen oder aufzuhalten, behindert würde (EuGH, Urteile vom 5. Mai 2011 a.a.O. Rn. 44 ff. und vom 8. März 2011 a.a.O. Rn. 42 ff.). In Anwendung dieser Grundsätze kommt der Gerichtshof in der Rechtssache McCarthy, in der es - wie hier - um die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers ging, zu dem Ergebnis, dass dem Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte nicht verwehrt oder die Ausübung des Rechts, sich gemäß Art. 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht behindert würde. Anders als in der Rechtssache Zambrano, die minderjährige Unionsbürger und die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für deren drittstaatsangehörigen Eltern betraf, bewirkt die Aufenthaltsverweigerung für den drittstaatsangehörigen Ehegatten nicht, dass der Unionsbürger verpflichtet wäre, das Hoheitsgebiet der Union zu verlassen. Aufgrund seiner Staatsangehörigkeit steht ihm im Herkunftsmitgliedstaat ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht zu. Daher fehlt es an einer Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte, auf die das Unionsrecht abstellt, und weist diese Situation mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinaus (vgl. im Einzelnen EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 a.a.O. Rn. 50 ff.). In einem solchen Fall sind etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2008 - Rs. C-127/08, Metock - NVwZ 2008, 1097 Rn. 78 und vom 5. Juni 1997 - Rs. C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet - Slg. 1997, I-3171 Rn. 23).
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Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auf Familienangehörige inländischer Unionsbürger, denen kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht, verstößt auch nicht nach nationalem Recht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der Verpflichtung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und der dadurch bedingten Betroffenheit unterschiedlicher Rechtskreise überhaupt gleiche oder vergleichbare Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1989 - 1 BvR 986/89 - NJW 1990, 1033 und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135 <159>). Denn die aus dem Nebeneinander von Unionsrecht und nationalem Recht entstehende Ungleichbehandlung ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Ist eine Übertragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Familienangehörige von inländischen Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, unionsrechtlich nicht geboten, liegen hinreichend gewichtige Gründe vor, dass in diesen Fällen die für alle nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer geltenden Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts zur Anwendung kommen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).
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2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.
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Nach § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG richtet sich die Erteilung eines nationalen Visums für einen längerfristigen Aufenthalt nach den für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Für den ausländischen Ehegatten eines Deutschen wird gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt.
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Mit der Regelung in § 27 Abs. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber für den Familiennachzug - wie bereits in § 17 Abs. 1 AuslG 1990 - die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen aufenthaltsrechtlichen Rechtswirkungen nachgezeichnet (BTDrucks 15/420 S. 80 f. zu § 27 AufenthG und BTDrucks 11/6321 S. 60 zu § 17 Abs. 1 AuslG 1990). Danach reicht allein das formale Band der Ehe nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten. Erst der Wille zur Herstellung bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. Dieser Wille muss, wie sich aus dem Wesen der Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ergibt, bei beiden Eheleuten bestehen (vgl. Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 7.09 - BVerwGE 136, 222 Rn. 15 m.w.N.).
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Für Anträge auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug folgt daraus, dass es entscheidend darauf ankommt, ob die Eheleute die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herstellen wollen, mithin nicht lediglich eine Scheinehe vorliegt. In diesem Zusammenhang sind die Behörden und Gerichte bei berechtigtem Anlass zur Prüfung befugt, ob der Wille der Ehepartner, die Ehe im Bundesgebiet zu führen, nur vorgeschützt ist. Diese Nachprüfung darf freilich nur unter Wahrung der Verfassungsgebote geschehen, die Menschenwürde und die Intimsphäre der Betroffenen zu achten und zu schützen (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). In diesem Rahmen ist sie auch mit Art. 12 EMRK - dem Recht auf Eheschließung - zu vereinbaren (vgl. EGMR, Urteil vom 14. Dezember 2010 - Nr. 34.848/07, O'Donoghue u.a. - NLMR 2010, 363).
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Für die innere Tatsache, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, trägt der Ausländer die materielle Beweislast, denn der Herstellungswille gehört beim Familiennachzug zu den für den Ausländer günstigen Tatsachen. Verbleiben hier nach Ausschöpfung der zugänglichen Beweisquellen auch bei nur einem Ehepartner Zweifel, trägt der Ausländer die Last des non liquet (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 17 f. m.w.N.).
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An dieser Beweislastverteilung hat sich durch die Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nichts geändert. Danach wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz in das Aufenthaltsgesetz neu eingefügten Ausschlusstatbestand hat der Gesetzgeber Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - nahezu wortgleich umgesetzt. Daneben können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie den Antrag auf Einreise zum Zweck der Familienzusammenführung u.a. dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen (mehr) bestehen. Von dieser Ermächtigung hat der nationale Gesetzgeber durch den - nicht nur in den von der Familienzusammenführungsrichtlinie erfassten Fällen des Nachzugs zu einem Drittstaatsangehörigen (vgl. Art. 1 der Richtlinie) zu beachtenden - Grundtatbestand des Familiennachzugs in § 27 Abs. 1 AufenthG Gebrauch gemacht. Aus der Entstehungsgeschichte der Familienzusammenführungsrichtlinie ergibt sich, dass der Versagungstatbestand in Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie die Regelung in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht verdrängen, sondern lediglich ergänzen soll. Unionsrechtlich ist es daher nicht ausgeschlossen, auch bei mangelnder Erweislichkeit einer Schein- oder Zweckehe eine Familienzusammenführung abzulehnen, wenn keine tatsächlichen ehelichen Bindungen bestehen oder ein entsprechender Wille nicht bei beiden Eheleuten feststellbar ist (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Auch der deutsche Gesetzgeber hat anlässlich der Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie den Versagungsgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG in das Aufenthaltsgesetz nur aufgenommen, um durch die ausdrückliche Normierung dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken und den Anreiz zur Schließung von Scheinehen zu nehmen (BTDrucks 16/5065 S. 3 und 152). Die Vorschrift sollte mit ihrer Signalwirkung hingegen keinesfalls die bisher bestehende Beweislastverteilung verändern, um nicht das gesetzgeberische Anliegen ins Gegenteil zu verkehren (BTDrucks 16/5498 S. 4 f.). Folglich ist § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nicht als abschließende Regelung zu verstehen. Bei Nichterweislichkeit einer Schein- oder Zweckehe verdrängt die Vorschrift daher nicht den Grundtatbestand des § 27 Abs. 1 AufenthG. Auch ändert sie nichts an der materiellen Beweislast des Ausländers für die Absicht der Eheleute, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen (vgl. Urteil vom 30. März 2010 a.a.O. Rn. 18 f.).
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Ausgehend von diesem Verständnis der Vorschriften ist die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der Grundlage seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass beide Ehepartner einander in der Anfangszeit ihrer Beziehung durchaus zugeneigt gewesen und vertraulich miteinander umgegangen seien, der Wunsch der Eheleute zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Laufe der Jahre aber immer weiter in den Hintergrund getreten sei (UA S. 10), lässt erkennen, dass es sich nicht die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit verschaffen konnte, dass die Voraussetzungen für eine Versagung nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG vorliegen. Die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug setzt nach § 27 Abs. 1 AufenthG jedoch voraus, dass beide Ehegatten (weiterhin) den Willen haben, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Diesbezüglich konnte das Berufungsgericht im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung ebenfalls nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit gewinnen. In diesem Zusammenhang hat es vor allem beim Kläger, aber auch bei seiner Ehefrau gegen einen Eheführungswillen sprechende Indizien festgestellt. Erste Anhaltspunkte fand es bezüglich des Klägers bereits in dessen aufenthaltsrechtlicher Vorgeschichte: Der Kläger hatte seinen mittlerweile 10-jährigen Aufenthalt in der Europäischen Union durch das Betreiben erfolgloser Asylverfahren erwirkt. Seine nachhaltigen Versuche, sich mit den Mitteln des Asylrechts ein ihm ansonsten verwehrtes Bleiberecht in Europa zu verschaffen, und sein Untertauchen zur Verhinderung der Abschiebung begründeten ein erhebliches Indiz dafür, dass er auch die eingegangene Ehe für aufenthaltsrechtliche Zwecke instrumentalisiere. Weitere Zweifel erschlossen sich dem Berufungsgericht aus dem Verhalten des Klägers gegenüber seiner Ehefrau im Zusammenhang mit seiner Ausreise nach Belgien. Nach deren Angaben sei er Anfang 2003 nicht mehr erreichbar gewesen. Erst viereinhalb Monate später habe er sich telefonisch auf Belgien gemeldet und ihr mitgeteilt, er wolle sie in Belgien heiraten. Hinzu kam für das Berufungsgericht, dass die Ehepartner einander seit dem letzten Besuch der Ehefrau in Belgien im November 2005 nicht mehr gesehen hatten. Es wertete die von der Ehefrau angeführten Hindernisse - wie die Versorgung ihrer Hunde und die Abneigung gegen das belgische Wohnheim - als nicht unüberwindlich. Insbesondere vermochte es jedenfalls keinen nachvollziehbaren Grund zu erkennen, warum die Ehefrau den Kläger viereinhalb Jahre lang überhaupt nicht mehr besucht habe. Dazu verwertete es, dass der Kläger seine Ehefrau nur sehr eingeschränkt an seinem Leben hatte teilhaben lassen. Es stellte fest, dass der Kläger seiner Ehefrau nichts über seine Kindheit erzählt und ihr auch nicht die wahren Gründe für seine Ausreise aus Togo genannt hatte. Auch hatte die Ehefrau zu den im Bundesgebiet lebenden Halbbrüdern und Bekannten des Klägers keinen Kontakt; sie hatte Besuchsreisen eines Freundes des Klägers nach Belgien nicht für eigene Besuche genutzt bzw. war nicht einmal regelmäßig über diese Besuche informiert.
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Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden; insbesondere wurde ihr mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG kein überzogener Maßstab zugrunde gelegt. Da dem Berufungsgericht nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweisquellen und eingehender Würdigung der Gesamtumstände erhebliche Zweifel bezüglich des bei beiden Ehegatten notwendigen Willens zur Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft verblieben, musste es zu Lasten des Klägers eine Beweislastentscheidung treffen.
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3. Scheitert die Erteilung eines nationalen Visums zum Ehegattennachzug schon an § 27 Abs. 1 AufenthG, bedarf keiner Entscheidung, ob einem Nachzugsanspruch daneben - wie vom Berufungsgericht angenommen - nach § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch entgegensteht, dass der Kläger sich nicht zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann.
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4. Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Sie ist mangels hinreichender Darlegung bereits unzulässig. Insoweit macht die Revision geltend, das Berufungsurteil verstoße gegen § 138 Nr. 6 VwGO, weil das Berufungsgericht bei seinen Ausführungen zum Spracherfordernis auf ein dem Kläger nicht bekanntes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg verweist.
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Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn "die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist". Dieser Revisionsgrund bezieht sich auf den notwendigen (formellen) Inhalt eines Urteils (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Danach müssen im Urteil diejenigen Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt werden, welche für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Sinn dieser Regelung ist es zum einen, die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten, und zum anderen, dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung deshalb nur, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe diese doppelte Funktion nicht mehr erfüllen können. Das ist nach der Rechtsprechung nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind (vgl. Urteil vom 28. November 2002 - BVerwG 2 C 25.01 - BVerwGE 117, 228 <230 f.> m.w.N.).
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Daran gemessen scheitert die Rüge fehlender Urteilsgründe bereits daran, dass sie sich nicht auf die Gesamtheit der die Entscheidung tragenden Gründe, sondern nur auf einen von zwei die Entscheidung selbstständig tragenden Begründungsstränge bezieht und nicht darlegt, weshalb das Urteil auch nicht mit Blick auf die die Entscheidung selbstständig tragende weitere Begründung den formellen Anforderungen des § 138 Nr. 6 VwGO genügt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht hinsichtlich des weiteren Versagungsgrundes fehlender Sprachkenntnisse die für seine Entscheidung maßgebenden Erwägungen zwar knapp, aber aus sich heraus hinreichend verständlich angegeben und nur ergänzend auf ein anderes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg verwiesen, das durch Datum und Aktenzeichen sowie unter Hinweis auf seine Veröffentlichung in juris näher bezeichnet war. Dies ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Die dargelegten Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das Prüfungsprogramm des Senats bestimmen, rechtfertigen nicht die vom Antragsgegner erstrebte Abänderung des angegriffenen Beschlusses.
3Das Verwaltungsgericht hat auf den gegen die Abschiebungsandrohung gerichteten Rechtsschutzantrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung seiner Klage 12 K 6626/14 (VG Köln) angeordnet. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, es spreche Überwiegendes dafür, dass die Abschiebungsandrohung nicht ‑ wie geschehen ‑auf das Aufenthaltsgesetz habe gestützt werden dürfen, da auf den Antragsteller als Ehemann und damit Familienangehörigen einer Unionsbürgerin das Freizügigkeitsgesetz/EU Anwendung finde (vgl. § 1 FreizügG/EU). Für die Anwendbarkeit dieses Gesetzes sei es nach dem Wortlaut des § 1 FreizügG/EU ohne Belang, ob sich der stammberechtigte Unionsbürger selbst im Bundesgebiet aufhalte. Gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU finde das Aufenthaltsgesetz in der vorliegenden Konstellation erst dann Anwendung, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt habe. Da es an einer dementsprechenden Feststellung fehle, sei es unerheblich, ob dem Antragsteller ein derartiges Freizügigkeitsrecht zustehe. Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die angegriffene Abschiebungsandrohung nicht auf das Aufenthaltsgesetz gestützt werden kann, weil das FreizügG/EU auf den Antragsteller Anwendung findet.
4Die Anwendungsbereiche des Aufenthaltsgesetzes einerseits und des Freizügigkeitsgesetzes/EU andererseits sind wie folgt voneinander abzugrenzen: Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG findet das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtsstellung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nimmt damit Ausländer aus dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes bereits dann aus, wenn deren Rechtsstellung vom Freizügigkeitsgesetz/EU (lediglich) geregelt wird. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob diese Ausländer nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU tatsächlich freizügigkeitsberechtigt sind. Dieser Befund wird bestätigt durch § 11 Abs. 2 FreizügG/EU. Danach findet das Aufenthaltsgesetz Anwendung, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat. Damit wird vom Gesetzgeber ausdrücklich vorausgesetzt, dass das Freizügigkeitsgesetz bis zur dementsprechenden Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU auch auf Ausländer anwendbar ist, die nicht freizügigkeitsberechtigt sind. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners bestimmt § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht lediglich eine hinreichende, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes,
5Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 6. März 2008 ‑ 3 Bs 281/07 ‑, juris Rn. 8; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. A. 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 7 m.w.N. sowie § 1 AufenthG Rn. 20; Kloesel/Christ/Häußer, § 11 FreizügG/EU Rn. 133 m.w.N.,
6so dass das Aufenthaltsgesetz erst dann anwendbar ist, wenn eine Feststellung nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU erfolgt ist. Dieses bereits nach dem Gesetzeswortlaut naheliegende Verständnis folgt auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs und dem Zweck der Bestimmung, die auf der Vermutung eines Freizügigkeitsrechts zugunsten des in Rede stehenden Personenkreises beruht.
7Vgl. BT-Drs. 15/420, S. 106; BVerwG, Urteile vom 16. November 2010 – 1 C 17.09 –, juris Rn. 11 und vom 11. Januar 2011 – 1 C 23.09 –, juris Rn. 12.
8Nicht zu folgen ist deshalb der vom Antragsgegner angeführten Entscheidung des OLG München,
9Beschluss vom 21. Juni 2007 – 34 Wx 63/07, 34 Wx 034 Wx 063/07 –, juris Rn. 16 f.,
10wonach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nur eine hinreichende Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Aufenthaltsgesetzes sei und dieses deshalb nur dann keine Anwendung finden soll, wenn ein Unionsbürger oder ein Familienmitglied tatsächlich Freizügigkeit nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU genießt.
11Unzutreffend auch HTK-Hoppe, § 1 FreizügG/EU Allgemeines Anm. 2.2. unter Bezugnahme auf OLG München, Beschluss vom 21. Juni 2007, a.a.O.
12Von der in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU vorgegebenen Freizügigkeitsvermutung erfasst werden mit Blick auf § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG die Ausländer, deren Rechtsstellung durch das FreizügigG/EU geregelt wird. Angesprochen werden damit diejenigen Personen, die in § 1 FreizügG/EU aufgeführt werden, denn diese Norm bestimmt den Anwendungs- und damit Regelungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes.
13Vgl. BT-Drs. 15/420, S. 106; BVerwG, Urteile vom 16. November 2010 – 1 C 17.09 –, juris Rn. 11 und vom 11. Januar 2011 – 1 C 23.09 –, juris Rn. 12.
14Die gesetzliche Vermutung für ein Freizügigkeitsrecht gilt deshalb für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen. Nach § 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, also nicht die Staatsangehörigen Deutschlands. Insoweit differenziert das Freizügigkeitsgesetz/EU zwischen den seinem Regelungsbereich unterfallenden und nach formalen Kriterien definierten Unionsbürgern und den in § 2 FreizügG/EU durch zusätzliche materielle Kriterien näher bestimmten freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern. Eine dementsprechende ausdrückliche Definition des Begriffs der seinem Regelungsbereich unterfallenden Familienangehörigen enthält das FreizügG/EU hingegen nicht.
15Eine derartige Definition wird insbesondere nicht durch § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU vorgenommen, wonach Familienangehöriger u.a. der Ehegatte der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Personen ist. Diese Bestimmung steht im unmittelbaren Kontext mit der Regelung der tatsächlichen Freizügigkeitsberechtigung von Familienangehörigen in § 3 Abs. 1 FreizügG/EU und stellt – weitergehend als § 1 FreizügG/EU – auf Seiten des Stammberechtigten mit der Bezugnahme auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU auf dessen tatsächliche Freizügigkeitsberechtigung ab. Sie regelt damit unmittelbar lediglich, wer Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ist. Die Definition des Familienangehörigen i.S.v. § 1 FreizügG/EU hat deshalb – ebenso wie die des Unionsbürgers – anhand formaler Kriterien in dem Sinne zu erfolgen, dass jedenfalls der Ehegatte eines Unionsbürgers als dementsprechender Familienangehöriger anzusehen ist. Dies entspricht im Übrigen auch der Definition in Art. 2 Nr. 2 a) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 (Unionsbürgerrichtline), deren Umsetzung das Freizügigkeitsgesetz/EU dient.
16Dem Gesetz lässt sich nichts für eine Einschränkung der Freizügigkeitsvermutung für Familienangehörige von Unionsbürgern in Konstellationen entnehmen, in denen der stammberechtigte Unionsbürger von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht und sich nicht nach Deutschland begeben hat.
17A.A. Hailbronner, Ausländerrecht, § 11 FreizügG/EU § 11 Rn. 46.
18Zwar setzt das Freizügigkeitsrecht der Familienangehörigen voraus, dass sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU), für die Freizügigkeitsvermutung kommt es aber – wie oben dargelegt – nicht darauf an, ob der betreffende Ausländer nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU tatsächlich freizügigkeitsberechtigt ist. Im FreizügG/EU wird innerhalb des Kreises der lediglich seinem Regelungsbereich unterfallenden Unionsbürger und deren Familienangehörigen keine weitere Differenzierung in dem Sinne vorgenommen, dass es in bestimmten Fällen zur Anwendung des Aufenthaltsgesetzes einer Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht bedürfte.
19Im Hinblick auf den weiteren Verfahrensgang weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass neben der nach einer etwaigen Feststellungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU zulässigen Anwendung des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich der Abschiebungsandrohung auch die Maßgaben des § 7 Abs. 1 FreizügG/EU zu beachten sein dürften. Die auf der Grundlage von § 11 Abs. 2 FreizüG/EU getroffene Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts dürfte nämlich eine Feststellung i.S.v. § 7 Abs. 1 FreizügG/EU sein, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht.
20Vgl. HessVGH, Beschluss vom 29. Dezember 2004 – 12 TG 3212/04 –, juris Rn. 7; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. A. 2013, § 7 FreizügG/EU Rn. 14; Kloesel/Christ/Häußer, § 7 FreizügG/EU Rn. 2; Hailbronner, Ausländerrecht, § 7 FreizügG/EU Rn. 16; HTK-Hoppe, § 11 FreizügG/EU Abs. 2 Anm. 4
21An eine dementsprechende Feststellung knüpft § 7 Abs. 1 FreizüG/EU besondere Folgen für die Länge der im Rahmen der Abschiebungsandrohung zu setzenden Ausreisefrist und ordnet überdies an, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aufschiebende Wirkung hat.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 GKG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Tatbestand
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Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen die Aufhebung einer gegen den Kläger ergangenen Abschiebungsandrohung, die das Verwaltungsgericht darauf gestützt hatte, dass für den Kläger allein der Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU eröffnet sei und daher dem Kläger die Abschiebung nicht ohne vorherige Feststellung des Nichtbestehens einer Freizügigkeitsberechtigung hätte angedroht werden dürfen.
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Der 1970 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 18. Mai 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte sodann zunächst mit seiner Lebensgefährtin, die die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, in einer gemeinsamen Wohnung. Er ist im Besitz eines bis zum 21. Mai 2017 gültigen spanischen Aufenthaltstitels nach der Richtlinie 2003/109/EG. Am 25. Juni 2014 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um einen Arbeitsplatz zu suchen. Am 6. Oktober 2014 erkannte der Kläger die Vaterschaft des noch ungeborenen Kindes seiner Lebensgefährtin an, das am 9. Oktober 2014 geboren wurde und die spanische Staatsangehörigkeit besitzt. Nach Anhörung des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung nach Spanien an. Zur Begründung führte sie aus, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorlägen. Am 19. Januar 2016 reiste der Kläger nach Spanien aus, um zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt zwischen dem 19. Januar 2016 und dem 11. Februar 2016 alsbald erneut in das Bundesgebiet einzureisen. Unter dem 11. Februar 2016 beantragte er vorsorglich erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Erteilung einer Duldung.
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Zur Begründung seiner fristgerecht gegen den Bescheid vom 13. Oktober 2014 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, er könne ein Aufenthaltsrecht von seinem Sohn ableiten, weil er im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 Ziff. 2 FreizügG/EU ein Familienangehöriger seines Sohnes sei.
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Das Verwaltungsgericht hat die in dem Bescheid vom 13. Oktober 2014 enthaltene Abschiebungsandrohung aufgehoben und die Klage hinsichtlich des Begehrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Das auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Begehren sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil der Kläger zurzeit aufgrund des Freizügigkeitsgesetzes/EU zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Mithin habe er gegenwärtig auch deshalb keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil sich seine Rechtsstellung nicht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG), sondern nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU beurteile. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG schließe einen Ausländer aus dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes unabhängig vom Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts bereits dann aus, wenn dessen Rechtsstellung vom Freizügigkeitsgesetz/EU (lediglich) geregelt werde. Auch bei einem Familienangehörigen eines Unionsbürgers, dessen Rechtsstellung vom Freizügigkeitsgesetz/EU (lediglich) geregelt werde, der nach den Vorgaben des Freizügigkeitsgesetzes/EU aber im Ergebnis nicht freizügigkeitsberechtigt sei, finde das Freizügigkeitsgesetz/EU so lange Anwendung, bis das Nichtbestehen oder der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt worden sei. Für Familienangehörige eines Unionsbürgers bestehe damit bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Freizügigkeitsrechts eine Freizügigkeitsvermutung. Für den Begriff des "Familienangehörigen" im Sinne des § 1 FreizügG/EU, der formell den Anwendungsbereich des Gesetzes regele, sei dabei nicht auf die Definition des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU zurückzugreifen, welche materielle Kriterien für das Freizügigkeitsrecht aufstelle. Es bedürfe daher nicht der Klärung, ob auch die materiellen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU vorlägen, was indes nicht der Fall sein dürfte, weil der erst im Oktober 2014 geborene spanische Sohn ersichtlich dem Kläger keinen Unterhalt gewähren könne. Für eine isolierte Anfechtung der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis fehle dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung sei bereits deswegen begründet, weil die Abschiebungsandrohung auf § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG und damit eine Norm gestützt worden sei, die hier nicht anwendbar sei. Eine Umdeutung der getroffenen Entscheidung in eine Abschiebungsandrohung nach § 7 FreizügG/EU i.V.m. § 59 AufenthG sei schon deshalb nicht möglich, weil die Beklagte das Nichtbestehen bzw. den Verlust des Freizügigkeitsrechts bislang nicht festgestellt habe.
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Mit ihrer (von dem Verwaltungsgericht zugelassenen) Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung der § 1 Abs. 2 Nr. 1, § 59 AufenthG und des § 1 FreizügG/EU und macht geltend, für die Auslegung des Begriffs "Familienangehöriger" im Sinne des § 1 FreizügG/EU, der für den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU maßgeblich sei, sei auf die Legaldefinition des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU zurückzugreifen; hiernach seien Verwandte in aufsteigender und in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen (nur) dann als Familienangehörige anzusehen, wenn ihnen durch den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger Unterhalt gewährt werde. Dies sei hier in Bezug auf den Kläger nicht der Fall.
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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und hebt hervor, dass das Freizügigkeitsgesetz/EU systematisch zwischen dem Anwendungsbereich (§ 1) und der materiellen Freizügigkeitsberechtigung (§ 3) unterscheide; ohne eine von der materiellen Freizügigkeitsberechtigung abgelöste, erweiterte Einbeziehung Familienangehöriger in den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU könne deren Aufenthaltsrecht beeinträchtigt werden und laufe das in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU auch für Familienangehörige zwingend vorgeschriebene Feststellungsverfahren leer.
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Der Vertreter des Bundesinteresses hält die Revision für begründet und betont, das Freizügigkeitsgesetz/EU folge in der Systematik der Unionsbürgerrichtlinie und stelle schon für den Anwendungsbereich auf den in § 3 Abs. 2 FreizügG/EU definierten Begriff des "Familienangehörigen" ab. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts führe zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass dann Auslandsvertretungen angehalten sein könnten, Einreise-Visa nur aufgrund eines familienrechtlich vorliegenden Verwandtschaftsverhältnisses auszustellen, obwohl die Voraussetzungen für ein freizügigkeitsrechtliches Verwandtschaftsverhältnis tatsächlich nicht gegeben sind.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige (Sprung-)Revision der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet. Mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, bei drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern sei der Anwendungsbereich nach § 1 FreizügG/EU unabhängig davon eröffnet, ob der Drittstaatsangehörige auch im Sinne des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU "Familienangehöriger" sei.
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Aufhebung der Abschiebungsandrohung in dem Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2014 durch das Verwaltungsgericht (Nr. 2 der Urteilsformel). Soweit das Verwaltungsgericht die Klage in Bezug auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen hat (Nr. 2 der Urteilsformel), hat der Kläger dies nicht mit Rechtsmitteln angegriffen.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 16.14 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 22 Rn. 14). Dabei sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 27.14 - NVwZ 2016, 71). Maßgeblich sind hiernach das Aufenthaltsgesetz - AufenthG - i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), und das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern = Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU - vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), beide zuletzt geändert durch das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780).
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2. Das Verwaltungsgericht hat die auf § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung in dem Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2014, deren Voraussetzungen im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen, zu Unrecht mit der Begründung aufgehoben, dass in Bezug auf den Kläger der Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU eröffnet sei und daher ohne eine - hier nicht erfolgte - Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Freizügigkeitsrechts eine Freizügigkeitsvermutung bestehe, welche einer Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG entgegenstehe.
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Für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche des Aufenthaltsgesetzes einerseits und des Freizügigkeitsgesetzes/EU andererseits hat das Verwaltungsgericht im rechtlichen Ansatz zwar zutreffend darauf abgestellt, dass das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer findet, deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes geregelt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) und sich der Anwendungsbereich des § 1 FreizügG/EU nicht nur auf Unionsbürger erstreckt, sondern auch deren Familienangehörige erfasst. Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sind aber bereits für die Bestimmung des Anwendungsbereichs (§ 1 FreizügG/EU) "Familienangehörige" nur die von § 3 Abs. 2 FreizügG/EU erfassten Personen; bei den in § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU benannten Personen fallen Anwendungsbereich (§ 1 FreizügG/EU) und das Recht auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 FreizügG/EU) insoweit zusammen. Dies folgt nicht schon eindeutig aus dem Wortlaut (2.1), wohl aber aus der Systematik (2.2) des Gesetzes und seinem Sinn und Zweck (2.3); Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Verwaltungsvollzug stehen dieser Auslegung im Ergebnis nicht durchgreifend entgegen (2.4).
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2.1 Der Wortlaut des § 1 FreizügG/EU stellt allein auf den Begriff des "Familienangehörigen" ab, ohne den hiervon erfassten Personenkreis eindeutig zu umschreiben. Einen klaren, eindeutigen Inhalt hat der Begriff "Familienangehöriger" weder im nationalen noch im Unionsrecht; Art. 4 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12) - FamilienzusammenführungsRL - fasst den Personenkreis anders als etwa Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158 S. 77) - UnionsbürgerRL. Das Freizügigkeitsgesetz/EU unterscheidet auch zwischen dem Anwendungsbereich (§ 1 FreizügG/EU) und dem Recht auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 FreizügG/EU) und schließt damit eine Auslegung nicht aus, nach der der vom Begriff des "Familienangehörigen" erfasste Personenkreis nach unterschiedlichen Grundsätzen zu bestimmen ist. Es liegt indes jedenfalls nicht nahe, dass der Gesetzgeber denselben Begriff in aufeinanderfolgenden Bestimmungen desselben Gesetzes mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt verwendet.
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2.2 Bereits die Systematik des Freizügigkeitsgesetzes/EU ergibt, dass der Begriff des "Familienangehörigen" auch für den Anwendungsbereich (§ 1 FreizügG/EU) durch § 3 Abs. 2 FreizügG/EU legaldefiniert wird und mithin für diesen Personenkreis bereits der Anwendungsbereich die materielle Freizügigkeitsberechtigung (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU) voraussetzt.
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a) § 3 Abs. 2 FreizügG/EU definiert den Begriff des "Familienangehörigen". Diese Legaldefinition ist allerdings nicht ausdrücklich auch auf den Begriff des "Familienangehörigen" in § 1 FreizügG/EU bezogen ("Familienangehörige im Sinne dieses Gesetzes sind...") und wählt auch sonst nicht die Regelungstechnik, einer Regelung über den Anwendungsbereich eine Reihe von Legaldefinitionen folgen zu lassen, die dann für das gesamte Gesetz gelten (s. etwa §§ 1, 2 AufenthG oder Art. 1, 2 UnionsbürgerRL); die systematische Stellung der Legaldefinition bei den Regelungen zum materiellen Recht auf Einreise und Aufenthalt oder ihr Wortlaut schließen nicht eindeutig aus, den Begriff des "Familienangehörigen" in § 1 FreizügG/EU anders und weiter zu fassen als in § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 FreizügG/EU.
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Der Wortlaut des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU enthält andererseits auch keine Einschränkung dahin, dass die dort vorgenommene Legaldefinition (nur) für die Anwendung der § 2 Abs. 1, § 3 FreizügG/EU gelten soll. Systematisch ist dann aber gerade bei einem auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff wie dem des Familienangehörigen davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Begriff "Familienangehöriger" in § 1 und § 2 Abs. 1, § 3 FreizügG/EU mit jeweils demselben Bedeutungsgehalt verwendet, und zwar dem in § 3 Abs. 2 FreizügG/EU näher bestimmten Inhalt. Allein aus der Trennung von Anwendungsbereich und Freizügigkeitsberechtigung folgt kein Anhaltspunkt für eine abweichende Auslegung.
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b) Für einen Gleichklang der Auslegung des Begriffs des "Familienangehörigen" in § 1 und § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2 FreizügG/EU spricht systematisch mit erheblichem Gewicht Art. 2 Nr. 2 UnionsbürgerRL. Für die Zwecke der Sicherung des Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen definiert Art. 2 Nr. 2 UnionsbürgerRL den Begriff des Familienangehörigen für die Richtlinie insgesamt und damit auch für den Regelungsgegenstand, und zwar in einer Weise, die inzwischen im Wortlaut weitestgehend und in der Sache vollständig in § 3 Abs. 2 FreizügG/EU aufgegriffen ist. Ohne klare und gewichtige Gegengründe ist dann aber davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber den Anwendungsbereich des zur Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie geschaffenen Gesetzes nicht auf Drittstaatsangehörige erweitert hat, die im Sinne der Richtlinie keine Familienangehörigen sind, und für den Anwendungsbereich den Begriff des "Familienangehörigen" in § 1 FreizügG/EU abweichend von Art. 2 Nr. 2 UnionsbürgerRL, § 3 Abs. 2 FreizügG/EU bestimmt hat.
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Allein der Umstand, dass dem nationalen Gesetzgeber unionsrechtlich nicht verwehrt sein mag, den Anwendungsbereich des nationalen Freizügigkeitsgesetzes weiter zu fassen und etwa auch auf solche Drittstaatsangehörige zu erstrecken, denen - ohne Familienangehörige im Sinne des Art. 2 Nr. 2 UnionsbürgerRL zu sein - nach Art. 3 Abs. 2 UnionsbürgerRL Einreise und Aufenthalt zu erleichtern ist, rechtfertigt hier keine andere Beurteilung. Denn für Drittstaatsangehörige, die von Art. 3 Abs. 2 UnionsbürgerRL erfasst, aber unionsrechtlich keine Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 Nr. 2 UnionsbürgerRL sind, regelt das Freizügigkeitsgesetz/EU den Nachzug gerade nicht (s.a. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 3 FreizügG/EU Rn. 28).
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c) Durchgreifend gegen einen Anwendungsbereich, der nicht an den Begriff des Familienangehörigen im Sinne des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU anknüpft, spricht, dass bei einem nicht weiter bestimmten (und dadurch eingegrenzten) Begriff des Familienangehörigen Besserstellungen bei Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (und partiell auch dem Visumrecht) in Betracht kommen, ohne dass für die Anwendung des Freizügigkeitsgesetzes/EU die materiellen Voraussetzungen in einem vorgelagerten Visumverfahren wirksam geprüft werden könnten. Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU sind diese Erleichterungen für Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, zwar insoweit eingeschränkt, als sie für die Einreise eines Visums nach den Bestimmungen für Ausländer bedürfen, für die das Aufenthaltsgesetz gilt. Hiervon wiederum ausgenommen sind indes drittstaatsangehörige Familienangehörige, die im Besitz eines anerkannten oder sonst zugelassenen Passes sind und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU), ebenso drittstaatsangehörige Personen, die im Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte (auch der eines anderen Mitgliedstaates der EU) sind (§ 2 Abs. 4 Satz 3 FreizügG/EU).
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d) Ein über Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2 FreizügG/EU hinausreichender Anwendungsbereich des Gesetzes ergibt sich auch nicht im Umkehrschluss aus § 4a Abs. 1 FreizügG/EU (aa), § 11 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU (bb), § 7 Abs. 1 FreizügG/EU (cc) oder § 5 Abs. 1, 2 oder 4 FreizügG/EU (dd).
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aa) Die Regelungen zum Daueraufenthaltsrecht (auch) von Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind (§ 4a Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU), setzen nicht voraus, dass alle Familienangehörigen unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU zumindest dem Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU unterfallen. Die Regelung hat einen beachtlichen Anwendungsbereich schon für Familienangehörige nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, bei denen über die familiäre Nähebeziehung hinaus keine Unterhaltsvoraussetzungen zu erfüllen und festzustellen sind. Überdies stellt sie klar, dass das Daueraufenthaltsrecht unabhängig vom Fortbestand der Voraussetzungen der § 3 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU sein soll.
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bb) § 11 Abs. 1 FreizügG/EU bezieht sich ausdrücklich auf "Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die nach § 2 Abs. 1 das Recht auf Einreise und Aufenthalt haben", lässt also keine (direkten) Rückschlüsse auf Personen zu, bei denen dies gerade nicht der Fall ist.
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§ 11 Abs. 2 FreizügG/EU betrifft Fälle, in denen die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat und verweist insoweit auf das Aufenthaltsgesetz, soweit das Freizügigkeitsgesetz/EU keine besonderen Regelungen trifft. Soweit in Bezug auf Familienangehörige die Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechtes nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU zugleich Rückwirkungen auf die Anwendbarkeit dieses Gesetzes dem Grunde nach hat, wäre § 11 Abs. 2 FreizügG/EU lediglich eine deklaratorische Regelung. Ein relevanter Anwendungsbereich für eine Feststellung des (anfänglichen) Nichtbestehens eines Freizügigkeitsrechts bleibt auch bei Familienangehörigen in all den Fällen, in denen nicht die Stellung als Familienangehöriger im Sinne des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU in Zweifel steht, sondern die Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers selbst, von dem das Recht auf Einreise und Aufenthalt abgeleitet wird.
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cc) § 7 Abs. 1 FreizügG/EU, nach dem Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen ausreisepflichtig sind, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, erfasst von vornherein nicht Verwandte oder sonstige Drittstaatsangehörige, die im Rechtssinne (§ 3 Abs. 2 FreizügG/EU) keine Familienangehörigen sind.
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dd) Nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU kann in Fällen, in denen die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder diese nicht vorliegen, der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt und bei Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, die Aufenthaltskarte eingezogen werden. Dass diese Voraussetzungen "nicht" vorliegen, erfasst dem Wortlaut nach neben Fällen, in denen das Recht auf Einreise und Aufenthalt "nicht mehr" besteht, auch solche, in denen dieses Recht "von vornherein" nie bestanden hat. Hieraus folgt bereits in all den Fällen, in denen keine Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ausgestellt worden ist, aber - wie im vorliegenden Fall - feststeht, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. §§ 3, 4 FreizügG/EU nicht vorliegen, schon keine umfassende Freizügigkeitsvermutung unabhängig vom Vorliegen eines materiellen Rechts auf Einreise und Aufenthalt. Der in § 5 Abs. 1 FreizügG/EU verwendete Begriff des "freizügigkeitsberechtigten" Familienangehörigen und die in § 5 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU geregelten Prüf- und Mitwirkungsrechte ergeben für den Anwendungsbereich keinen erweiterten Begriff des "Familienangehörigen". Denn sie beschränken sich im Kern auf eine punktuelle Regelung zur Ausstellung eines Nachweises für ein geltend gemachtes Recht auf Einreise und Aufenthalt und die Rückabwicklung der Ausstellung einer Aufenthaltskarte bei veränderter Sachlage. Sie sollen den durch die Aufenthaltskarte geschaffenen Rechtsschein materieller Aufenthaltsberechtigung und die materielle Rechtslage (Bestehen eines Aufenthaltsrechts) wieder in Einklang bringen.
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2.3 Sinn und Zweck der Schaffung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und dessen Entstehungsgeschichte sprechen jedenfalls nicht positiv dafür, den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU auf drittstaatsangehörige Personen zu erstrecken, die nicht im Sinne des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU Familienangehörige sind.
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Das Freizügigkeitsgesetz/EU setzt die Unionsbürgerrichtlinie um, die ihrerseits darauf zielte, die seinerzeit jeweils in bereichsspezifischen, einzelnen Richtlinien ausgearbeiteten Ansätze des Freizügigkeitsrechts zusammenzufassen (BT-Drs. 15/420, 65, 101 s.a. BT-Drs. 16/5065, 1 ff., 208). Dies spricht eher für denn gegen einen Gleichlauf im Anwendungsbereich. Entsprechendes gilt für den durch die Abschaffung der Aufenthaltserlaubnispflicht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen verfolgten Zweck, für die meisten Freizügigkeitsberechtigten ein nachhaltiges Zeichen fortschreitender Integration und Angleichung der Rechtsstellung der Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Deutschland zu setzen und so für Hunderttausende von Unionsbürgern zu einer spürbaren Verwaltungsvereinfachung beizutragen (BT-Drs. 15/420, 101); eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Personen und damit der angestrebten Erleichterungen auf solche Drittstaatsangehörige, denen gerade kein Recht auf Einreise und Aufenthalt zugestanden wird, ist damit nicht verbunden.
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Aus den Gesetzmaterialien ergeben sich keine klaren Hinweise darauf, dass der nationale Gesetzgeber auch für die Familienangehörigen von Unionsbürgern, denen er nach § 2 Abs. 1, §§ 3 und 4 FreizügG/EU gerade kein Recht auf Einreise und Aufenthalt zugebilligt hat, über einen erweiterten Begriff des Familienangehörigen in § 1 FreizügG/EU eine umfassende Freizügigkeitsvermutung hätte begründen wollen. In der allgemeinen Begründung zur Neufassung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger in Deutschland ist ausgeführt, dass "Unionsbürger im Regelfall freizügigkeitsberechtigt sind, (...) bei Drittstaatsangehörigen keine Vermutung für eine Freizügigkeitsberechtigung (besteht), da sie in den meisten Fällen nicht freizügigkeitsberechtigt sind" (BT-Drs. 15/420, 101 f.). Soweit in der Einzelbegründung zu der Neufassung des § 11 FreizügG/EU ausgeführt ist, dass "für den in § 1 beschriebenen Personenkreis zunächst eine Vermutung der Freizügigkeit" gilt (BT-Drs. 15/420, 106), klärt dies nicht, unter welchen Voraussetzungen Verwandte freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger zu dem von § 1 FreizügG/EU erfassten Personenkreis gehören.
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2.4 Diese Auslegung bewirkt auch für den Verwaltungsvollzug keine Rechtsunsicherheit oder Rechtsunklarheit, die bei materiell nicht zur Einreise berechtigten Familienangehörigen (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2 FreizügG/EU) eine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs des Freizügigkeitsgesetzes/EU geböten.
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Eine erweiternde Auslegung begünstigte zwar Drittstaatsangehörige, weil sie für diesen Personenkreis eine Freizügigkeitsvermutung aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses auch dann auslöste, wenn materiell (eindeutig) keine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehöriger besteht, und eine Ausreisepflicht nur und erst dann bestünde, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Bei Familienangehörigen, die materiell kein Freizügigkeitsrecht haben, besteht indes hierfür kein überzeugender Grund, zumal Verwandte nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU stets in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen sind und die Unionsbürgerrichtlinie der Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts durch Unionsbürger, nicht primär der Herstellung und Wahrung der Familieneinheit dient.
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Demgegenüber gewährleistet die Beschränkung bereits des Anwendungsbereichs des Freizügigkeitsgesetzes/EU eine effektivere ausländerbehördliche Kontrolle, ob ein drittstaatsangehöriger Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist. Dies entlastet die Ausländerbehörde von der förmlichen Ermessensentscheidung zur Verlustfeststellung (§ 5 Abs. 4 FreizügG/EU). Die schutzwürdigen Belange des Drittstaatsangehörigen bleiben dadurch gewahrt, dass er sich gegenüber ausländerbehördlichen Maßnahmen, welche sich allein auf das Aufenthaltsgesetz stützen, auf ein etwa bestehendes Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1, §§ 3 und 4 FreizügG/EU berufen kann. In Fällen, in denen sich die tatsächlichen Voraussetzungen für ein solches Recht auf Einreise und Aufenthalt (etwa die Gewährung von Unterhalt) im Zeitverlauf immer wieder wandeln und bewirken, dass der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen nach unterschiedlichen Rechtsgrundlagen zu beurteilen ist, bleibt es der Ausländerbehörde unbenommen, zur Rechtsklarheit aufenthaltsrechtliche Anordnungen vorsorglich auch mit der ausdrücklichen Feststellung zu verbinden, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU nicht besteht.
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3. Gründe, den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung von 2008 (ABl. C 115 S. 47) - AEUV - anzurufen, bestehen nicht. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Aufenthaltsgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU berührt allein Fragen des nationalen Rechts und ist unionsrechtlich weder durch die materiellrechtlichen Regelungen zum Freizügigkeitsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, das durch die hier nach nationalem Recht aufgeworfenen Abgrenzungsfragen unberührt bleibt, vorgeprägt noch werden Zweifelsfragen zu den Verfahrensgarantien und Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts (Art. 27 ff. Unionsbürgerrichtlinie) aufgeworfen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.
(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Ausländer,
- 1.
deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist, - 2.
die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, - 3.
soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können.
(1) Die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungsandrohungen, Aussetzungen der Abschiebung und Abschiebungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen und der Befristung ihrer Wirkungen sowie begünstigende Maßnahmen, die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren und Befreiungen von der Passpflicht, Entscheidungen über Kosten und Gebühren, bleiben wirksam. Ebenso bleiben Maßnahmen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit Sicherheitsleistungen wirksam, auch wenn sie sich ganz oder teilweise auf Zeiträume nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beziehen. Entsprechendes gilt für die kraft Gesetzes eingetretenen Wirkungen der Antragstellung nach § 69 des Ausländergesetzes.
(2) Auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 wird die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Der angemessene Unterhalt der Familie umfasst alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen.
(2) Der Unterhalt ist in der Weise zu leisten, die durch die eheliche Lebensgemeinschaft geboten ist. Die Ehegatten sind einander verpflichtet, die zum gemeinsamen Unterhalt der Familie erforderlichen Mittel für einen angemessenen Zeitraum im Voraus zur Verfügung zu stellen.
(3) Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1613 bis 1615 sind entsprechend anzuwenden.
(4) Ist ein Ehegatte nicht in der Lage, die Kosten eines Rechtsstreits zu tragen, der eine persönliche Angelegenheit betrifft, so ist der andere Ehegatte verpflichtet, ihm diese Kosten vorzuschießen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Das Gleiche gilt für die Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren, das gegen einen Ehegatten gerichtet ist.
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. April 2017 durch die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
- 1
- Die geschiedene Antragstellerin macht einen Anspruch auf Verfahrenskostenvorschuss geltend.
- 2
- Die Beteiligten, die am 9. Oktober 1987 geheiratet hatten, trennten sich im Februar 2003. Der Scheidungsantrag wurde der Antragstellerin am 4. Juni 2004 zugestellt. Zum Verbund machte sie unter anderem die Folgesache Zugewinnausgleich anhängig. Am 3. Juni 2011 gab das Amtsgericht einem Antrag des Antragsgegners auf vorzeitige Aufhebung der Zugewinngemeinschaft statt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin blieb ohne Erfolg. Die Folgesache Zugewinnausgleich wurde daraufhin mit Beschluss des Amtsge- richts vom 2. Mai 2012 abgetrennt und als selbständiges Zugewinnausgleichsverfahren weitergeführt. Seit 30. Juli 2012 sind die Beteiligten rechtskräftig geschieden. Durch Beweisbeschluss vom 9. Dezember 2015 legte das Amtsgericht im Zugewinnausgleichsverfahren der Antragstellerin einen Sachverständigenvorschuss in Höhe von 10.000 € auf.
- 3
- Im Wege einer einstweiligen Anordnung vom 12. Februar 2009 hatte das Amtsgericht den Antragsgegner im Scheidungsverbund verpflichtet, einen Prozesskostenvorschuss in Höhe von 59.363,15 € zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 30. August 2011 beantragte die Antragstellerin, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, sämtliche zur Fortführung und Beendigung des güterrechtlichen Verfahrens anfallenden Sachverständigengebühren und die Kosten des Anordnungsverfahrens im Wege des Verfahrenskostenvorschusses zu zahlen. Hilfsweise begehrte sie die Feststellung, dass der Antragsgegner hinsichtlich der noch anfallenden Gerichts- und Sachverständigenkosten gegenüber der Antragstellerin verfahrenskostenvorschusspflichtig ist. Diese Anträge wies das Amtsgericht zurück.
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- Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2012, dem Antragsgegner zugestellt am 24. Juli 2012, hat die Antragstellerin hinsichtlich der zukünftigen Gerichts- und Sachverständigenkosten im Zugewinnausgleichsverfahren in der Hauptsache einen Feststellungsantrag erhoben. Insoweit begehrt sie zuletzt neben der Feststellung der Verfahrenskostenvorschusspflicht des Antragsgegners für alle im güterrechtlichen Verfahren noch anfallenden Gerichts- und Sachverständigenkosten die Zahlung eines Verfahrenskostenvorschusses in Höhe von 10.000 € für die Sachverständigenkosten aus dem Beweisbeschluss vom 9. Dezember 2015.
- 5
- Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Antragsgegner hinsichtlich der im güterrechtlichen Verfahren noch anfallenden Gerichts- und Sachverständigenkosten bis zu einem Betrag von 47.943,45 € verfahrenskostenvorschusspflichtig ist. Auf die hiergegen gerichteten Beschwerden beider Beteiligter hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung der Beschwerde der Antragstellerin den Antrag der Antragstellerin insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren Antrag vollumfänglich weiterverfolgt.
II.
- 6
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie das Beschwerdegericht in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG). Der Senat ist an die Zulassung gebunden.
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- In der Sache ist die Rechtsbeschwerde indessen nicht begründet.
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- 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Antragstellerin könne weder im Wege des Leistungsantrags den geforderten Verfahrenskostenvorschuss verlangen, noch habe sie Anspruch auf die Feststellung, der Antragsgegner schulde ihr einen Verfahrenskostenvorschuss in unbegrenzter Höhe oder bis zu einer Höhe von 47.943,45 €. Soweit sie einen Leistungsantrag erhebe, gebe es keine gesetzliche Grundlage für einen Verfahrenskostenvorschuss, weil die Ehe der Beteiligten bereits rechtskräftig geschieden worden sei. Der Anspruch auf Verfahrenskostenvorschuss sei unterhaltsrechtlicher Natur. Ein solcher Anspruch werde in § 1360 a Abs. 4 BGB allein für den Familienunterhalt postuliert. Die Anordnung einer entsprechenden Anwendung in § 1361 Abs. 4 BGB beziehe sich nur auf den Tren- nungsunterhalt. Für den nachehelichen Unterhalt, der als Nachwirkung früherer ehelicher Verantwortung nur unter den Voraussetzungen der §§ 1570 ff. BGB geschuldet sei, habe der Gesetzgeber bewusst keine Regelung für einen Verfahrenskostenvorschuss getroffen.
- 9
- Eine Säumnis des Antragsgegners dahingehend, dass er etwa den vor Rechtskraft der Scheidung zuerkannten Vorschuss bis zur Rechtskraft nicht gezahlt oder sich hinsichtlich des Vorschusses in Verzug befunden hätte, liege hier nicht vor. Auch sei vorliegend nicht ein Antrag auf Vorschuss rechtshängig geworden, über den bis zur rechtskräftigen Entscheidung noch nicht entschieden worden sei. Das Amtsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich der Antragsgegner zumindest in Höhe eines Betrages von 47.943,45 € hinsichtlich des Verfahrenskostenvorschusses in Verzug befunden habe. Wenn die Antragstellerin auch in dem Verfahren, das zu der einstweiligen Anordnung vom 12. Februar 2009 über 59.363,15 € führte, insgesamt 107.306,60 € an Verfahrenskostenvorschuss verlangt habe, sei der weitergehende Antrag nicht rechtshängig geblieben. Auch der auf Feststellung gerichtete Antrag vom 30. August 2011 sei vom Amtsgericht zurückgewiesen worden. Und der Feststellungsantrag vom 18. Juli 2012 habe wegen des anderen Verfahrensgegenstands keine Rechtshängigkeit hinsichtlich des Leistungsantrags über 10.000 € begründen können.
- 10
- Durch den Feststellungsantrag habe auch kein Leistungsanspruch begründet werden können, da § 256 ZPO keinen sachlich-rechtlichen Anspruch gewähre, sondern nur für bestehende sachlich-rechtliche Ansprüche unter bestimmten Voraussetzungen eine besondere Rechtsschutzform gewähre. Dass der Antragsgegner nach der Gesetzesänderung im Jahr 2009 von der Möglichkeit der vorzeitigen Aufhebung des Güterstands Gebrauch gemacht habe, lasse keine Arglist oder Säumnis des Antragsgegners erkennen. Im Übrigen setze ein Anspruch auf Verfahrenskostenvorschuss einen konkreten Bedarf wegen einer entstandenen Verpflichtung zur Zahlung von Verfahrens- oder Rechtsanwaltskosten voraus. Eine solche Verpflichtung habe aber unstreitig für die Antragstellerin vor Rechtskraft der Scheidung über die ihr bereits zugesprochenen - und vom Antragsgegner gezahlten - 59.363,15 € hinaus nicht bestanden. Ein Feststellungsinteresse hinsichtlich eines Verfahrenskostenvorschusses in unbegrenzter Höhe oder bis zu einer Höhe von 47.943,45 € bestehe daher nicht. Schließlich wäre der Feststellungsantrag der Antragstellerin auch unbegründet, da die im Rahmen des § 1360 a Abs. 4 BGB erforderliche Billigkeitsabwägung derzeit mangels konkreter Anhaltspunkte nicht vorgenommen werden könnte.
- 11
- 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
- 12
- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats schuldet ein geschiedener Ehegatte seinem früheren Ehegatten keinen Verfahrenskostenvorschuss. Zwar umfasst das Maß des Anspruchs auf nachehelichen Ehegattenunterhalt nach § 1578 BGB - ebenso wie im Fall des Familienunterhalts nach § 1360 a Abs. 1 BGB - grundsätzlich den gesamten Lebensbedarf. Gleichwohl ist dem Ehegatten in § 1360 a Abs. 4 BGB ausdrücklich ein über diesen allgemeinen Lebensbedarf hinausgehender Anspruch auf Zahlung eines Verfahrenskostenvorschusses zugebilligt worden. Diese Regelung ist indessen nach ihrem Wortlaut auf den Familienunterhalt - und durch die Bezugnahme in § 1361 Abs. 4 Satz 4 BGB auf den Trennungsunterhalt - beschränkt. Für den nachehelichen Unterhalt ist § 1360 a Abs. 4 BGB auch nicht entsprechend anwendbar, weil diese unterhaltsrechtliche Beziehung nicht in gleichem Umfang Ausdruck einer besonderen Verantwortung des Verpflichteten für den Berechtigten ist, die derjenigen von Ehegatten vergleichbar ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. November 2009 - XII ZB 46/09 - FamRZ 2010, 189 Rn. 8 und vom 23. März 2005 - XII ZB 13/05 - FamRZ 2005, 883, 885 sowie Senatsurteil BGHZ 89, 33, 39 f. = FamRZ 1984, 148 f. aA [für abgetrennte Folgesachen]: beck-online. Großkommentar/Preisner [Stand: 1. April 2017] § 1360 a Rn. 212; Palandt/ Brudermüller BGB 76. Aufl. § 1360 a Rn. 10).
- 13
- b) Ob eine Vorschusspflicht für eine im Verbund anhängig gemachte Folgesache auch nach deren Abtrennung und nach Rechtskraft der Scheidung fortbestehen kann, wenn zuvor rechtzeitig ein entsprechender Antrag gestellt wurde und der Berechtigte damit alles zur Verwirklichung seines Anspruchs getan hat (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 431 zur Weiterverfolgung des Vorschussanspruchs im Unterhaltsrechtstreit des Kindes gegen den Vater nach Beendigung der Instanz; OLG Frankfurt FamRZ 1993, 1465) oder wenn der Verpflichtete sich hinsichtlich des Vorschusses in Verzug befand (vgl. dazu OLG Frankfurt MDR 2005, 590 f. mwN), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
- 14
- Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein weiterer Verfahrenskostenvorschussanspruch der Antragstellerin vor Rechtskraft der Scheidung nicht entstanden ist. Ein Vorschuss nach §§ 1361 Abs. 4 Satz 4, 1360 a Abs. 4 Satz 1 BGB kann nur verlangt werden, wenn und solange (vgl. dazu Senatsbeschluss BGHZ 94, 316, 321 = FamRZ 1985, 802, 803) der bedürftige Ehegatte selbst dem Gericht (oder seinem Rechtsanwalt) gegenüber vorschusspflichtig ist. Die Vorauszahlungspflicht der Antragstellerin für die Sachverständigenkosten ist aber nicht bereits dadurch eingetreten, dass sie die güterrechtliche Folgesache zum Verbund anhängig gemacht hat, sondern nach §§ 112 Nr. 2, 113 Abs. 1 FamFG, 402, 379 ZPO, 16 FamGKG erst durch die Anordnung der Vorschusszahlung im Beweisbeschluss vom 9. Dezember 2015 (vgl. Meyer GKG/FamGKG 15. Aufl. § 16 FamGKG Rn. 1, § 17 GKG Rn. 24). Zu diesem Zeitpunkt waren die Beteiligten bereits über zwei Jahre rechtskräftig geschieden und jegliche Vorschusspflicht des Antragsgegners damit erloschen.
- 15
- c) Schließlich konnte die Antragstellerin einen Verfahrenskostenvorschuss auch nicht dadurch erlangen, dass sie sechs Tage vor Rechtskraft der Scheidung einen entsprechenden Feststellungsantrag erhoben hat. Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dieser Antrag mangels Feststellungsinteresses bei einer erst nach der Rechtskraft der Scheidung angeordneten Vorauszahlungspflicht unzulässig ist. Denn ein Feststellungsantrag nach § 256 ZPO setzt ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis voraus.
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 19.10.2012 - 568 F 7777/12 -
OLG München, Entscheidung vom 27.04.2016 - 12 UF 98/13 -