Landgericht Traunstein Beschluss, 06. Apr. 2017 - 4 T 273/17

bei uns veröffentlicht am06.04.2017

Tenor

1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 10.01.2017 angeordneten und bis 19.01.2017 vollzogenen Haft wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.

4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Betroffene ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er reiste im September 2016 unter Verwendung von falschen Personalien und einer gefälschtem rumänischen Identitätskarte nach Deutschland ein. Am 27.10.2016 wurde er anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung in Nürnberg festgenommen, wobei er sich mit einer gefälschten rumänischen Identitätskarte und einem gefälschten rumänischem Führerschein auf den Namen OVACIUC Roman, geb. 02.12.1980, auswies (vgl. Bl. 22 der Akte 58 XIV 34/16 des Amtsgerichts Nürnberg).

Mit Schreiben vom 27.10.2016 beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Nürnberg gegen den Betroffenen die Verhängung von Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 13.01.2017 (Bl. 1/6, 58 XIV 34/16). Der Betroffene sei Anfang September 2016 unter Verwendung von Aliaspersonalien sowie einer gefälschten rumänischen ID-Karte in das Bundesgebiet eingereist. Der Betroffene solle aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden. Nach Auskunft der ZAB Oberbayern dauere die Beschaffung eines Heimreisedokuments ca. zwei Monate. Nach Auskunft der PI Schubwesen in München sei eine Abschiebung voraussichtlich mit einer Vorlaufzeit von zwei Wochen durchführbar. Die beteiligte Behörde legte u. a. eine polizeiliche Beschuldigtenvernehmung vom 27.10.2016 (Bl. 15/21, 58 XIV 34/16) und einen Bescheid betreffend die Anordnung der Abschiebung vom 27.10.2016 (Bl. 34/41, 58 XIV 34/16) vor. Aus der Vernehmung ergibt sich, dass der Betroffene im September 2016 mit einer rumänischen Identitätskarte, die er in der Ukraine gekauft hatte, nach Deutschland einreiste.

Nach persönlicher Anhörung vom 27.10.2016 (Bl. 46/48, 58 XIV 34/16) ordnete das Amtsgericht Nürnberg mit Beschluss vom 27.10.2016 (Bl. 50/54, 58 XIV 34/16) gegen den Betroffenen Sicherungshaft an (Ziffer 1), die spätestens mit Ablauf des 10.01.2017 endet (Ziffer 2). Die durch den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Beschluss vom 24.11.2016 zurück (Az. 18 T 8139/16, Bl. 69/76, 58 XIV 34/16).

Mit Schreiben vom 09.01.2017 (Bl. 1/7 der Akte 1 XIV 9/17 des Amtsgerichts Mühldorf am Inn) beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Mühldorf a. Inn die Verlängerung der Sicherungshaft bis 20.01.2017. Sie führt aus, dass die Abschiebung am 09.01.2017 hätte erfolgen sollen. Der Heimreiseschein sei am 03.01.2017 durch die ZAB Oberbayern per Einschreiben an die Bundespolizei am Flughafen München verschickt worden, dort jedoch nicht eingetroffen. Die ZAB Oberbayern werde nun versuchen, bei den ukrainischen Behörden einen neuen Heimreiseschein zu erhalten. Dieser könne bis Ende der Woche ausgestellt werden. Eine erneute Abschiebung mit Flug könne am 19.01.2017 erfolgen.

Mit Beschluss vom 09.01.2017 gab das Nürnberg das Verfahren ohne vorherige Anhörung an das Amtsgericht Mühldorf am Inn ab (§ 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

Am 09.01.2017 bestimmte der Richter des Amtsgerichts Mühldorf am Inn Termin zur Anhörung des Betroffenen auf den 10.01.2017. Die Verfügung enthält keine schriftliche Anordnung der Terminmitteilung an den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen durch den Richter, jedoch folgenden Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle vom 09.01.2017: „TM an Rechtsanwalt F. per Fax“. Ein Faxausdruck betreffend die Terminmitteilung an den Verfahrensbevollmächtigten befindet sich nicht in der Akte.

Nach persönlicher Anhörung vom 10.01.2017 (Protokoll Bl. 35/36) verlängerte das Amtsgericht Mühldorf a. Inn mit Beschluss vom 10.01.2017 (Bl. 37/39) die mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 27.10.2016 bis 10.01.2017 angeordnete Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 20.01.2017.

Mit Fax vom 10.01.2017 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn vom 10.01.2017 Beschwerde ein, beantragte die Rechtswidrigkeit festzustellen und beantragte die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter seiner Beiordnung (Bl. 40/41). Mit Schriftsatz vom 19.01.2017 (Bl. 48/49) begründete der Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerde. Er rügte u. a. den Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, da er vom Anhörungstermin nicht benachrichtigt worden sei, obwohl er seit dem 08.11.2016 den Betroffenen vertrete. Ferner rügte er einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Die gescheiterte Übersendung des Heimreisescheins sei nicht dem Betroffenen anzulasten.

Mit Beschluss vom 23.01.2017 (Bl. 55/57) übernahm das Amtsgericht Mühldorf a. Inn das Verfahren vom Amtsgericht Nürnberg (Ziffer 1), half der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn vom 10.01.2017 nicht ab (Ziffer 2), legte das Verfahren dem Landgericht zur Entscheidung vor (Ziffer 3) und gewährte dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe (Ziffer 4).

Mit Schriftsatz vom 30.01.2017 (Bl. 61) beantragte der Verfahrensbevollmächtigte nochmals die Rechtswidrigkeit festzustellen. Die beteiligte Behörde nahm mit Schreiben vom 01.02.2017 Stellung (Bl. 62/63). Sie teilte mit, dass der Betroffene am 19.01.2017 abgeschoben wurde.

Auf Aufforderung durch das Beschwerdegericht nahm der Geschäftsstellenmitarbeiter des Amtsgerichts Mühldorf am Inn am 17.02.2017 zu dem Erledigungsvermerk vom 09.01.2017 Stellung (Bl. 70/71). Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen äußerte sich hierzu mit Schriftsatz vom 07.03.2017 (Bl. 74).

II.

1. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Gegen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung durch Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 10.01.2017 ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Diese wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt und ist zulässig. Da sich das Beschwerdeverfahren wegen der am 19.01.2017 erfolgten Abschiebung erledigt hat, kann nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft begehrt werden.

2. Der Feststellungsantrag ist unbegründet.

a) Das Amtsgericht Mühldorf am Inn war für den Erlass des Beschlusses nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zuständig, weil der Betroffene dort inhaftiert war. Der Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn ist nicht deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht Nürnberg vor der Abgabe an das Amtsgericht Mühldorf am Inn den Betroffenen nicht angehört hat (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Auch wenn man deshalb von einer Unzuständigkeit des Amtsgerichts Mühldorf am Inn ausginge, würde dies nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses führen (§ 2 Abs. 3 FamFG).

b) Der Beschluss über die Haftverlängerung ist nicht rechtswidrig, weil der Verfahrensbevollmächtigte nicht am Anhörungstermin teilnehmen konnte.

Das Amtsgericht Mühldorf a. Inn hat das Recht des Verfahrensbevollmächtigten an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen zu können (vgl. BGH vom 10.07.2014, V ZB 32/14) nicht verletzt. Für das zur Entscheidung über den Haftverlängerungsantrag berufene Amtsgericht Mühldorf a. Inn war ersichtlich, dass der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird. Zwar ging das Original der Akte des Amtsgerichts Nürnberg (Az. 58 XIV 34/16), aus der sich die Bevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten ergibt, auf dem Postwege erst am 11.01.2017 beim Amtsgericht Mühldorf a. Inn ein. Allerdings gelangte noch am 09.01.2017 per Fax eine durch den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen im Erstverfahren gegenüber dem Landgericht Nürnberg-Fürth abgegebene Beschwerdebegründung zu den Akten des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn (Bl. 27/28). Daraus war ersichtlich, dass dieser den Betroffenen vertritt.

Aufgrund des Erledigungsvermerks der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Mühldorf am Inn und der Stellungnahme des Geschäftsstellenbeamten vom 17.02.2017 geht die Kammer davon aus, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen der Anhörungstermin per Fax mitgeteilt wurde. Warum trotzdem die Terminmitteilung nicht in die Hände des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen gelangt ist, kann nicht aufgeklärt werden.

Die Kammer ist der Auffassung, dass die Haftanordnung auch dann nicht für rechtswidrig zu erklären ist, wenn die Benachrichtigung für den Anhörungstermin vor dem Amtsgericht Mühldorf am Inn am 10.01.2017 tatsächlich nicht in die Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten gelangt sein sollte. Der in Hannover ansässige Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hat nicht vorgetragen, dass er bei rechtzeitiger Kenntnis von dem Termin dort erschienen wäre. Selbst wenn man von einem Verfahrensverstoß ausginge, hätte sich dieser nicht ausgewirkt. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH führt eine Verletzung von Verteidigungsrechten (insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör) nur dann zur Beendigung der Haft bzw. zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. BGH vom 22.10.2015, V ZB 79/15). Dies ist hier nicht der Fall.

c) Der Betroffene ist aufgrund der im September 2016 erfolgten unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Seine Einreise war unerlaubt, da er den erforderlichen Pass nach § 3 AufenthG oder Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthG nicht besaß (§ 14 Abs. 1 AufenthG). Die vollziehbare Ausreisepflicht besteht darüber hinaus aufgrund der mit Bescheid vom 27.10.2016 angeordneten Abschiebung.

d) Der Verlängerung der Abschiebehaft lag ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde vom 09.01.2017 zugrunde.

Für Verlängerungsanträge gelten die Vorschriften über die Anordnung entsprechend (§ 425 Abs. 3 FamFG). Für Abschiebehaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 - 5 FamFG). Inhalt und Umfang der erforderlichen Darlegung bestimmen sich nach dem Zweck des Begründungserfordernisses. Es soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (BGH vom 22. Juli 2010, V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH vom 15.09.2011, FGPrax 2011, 317).

(1) Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 09.01.2017 geht hervor, dass der Betroffene in sein Heimatland, in die Ukraine, abgeschoben werden soll.

(2) Die beteiligte Behörde hat die beantragte Dauer der Haft begründet. Sie hat dargelegt, dass von den ukrainischen Behörden ein neuer Heimreiseschein beschafft werden muss, was in der laufenden Woche nicht mehr möglich ist und deshalb der Flug in der folgenden Woche am 19.01.2017 erfolgen wird.

e) Es bestand der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG. Danach kann ein konkreter Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr bestehen, wenn der Ausländer über seine Identität täuscht, insbesondere durch Vorgeben einer falschen Identität. Der Betroffene ist nach eigenen Angaben durch Verwendung einer gefälschten rumänischen Identitätskarte nach Deutschland eingereist. Bei seiner Festnahme am 27.10.2017 hat er sich damit und mit einem gefälschten rumänischen Führerschein ausgewiesen. Nach Auffassung der Kammer wäre bei einer Entlassung des Betroffenen damit zu rechnen gewesen, dass er unter falscher Identität untertaucht.

f) Der Beschleunigungsgrundsatz ist nicht verletzt worden.

Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (vgl. BGH vom 17.10.2013, V ZB 172/12).

Hiergegen hat die beteiligte Behörde nicht verstoßen. Nach den Ausführungen der beteiligten Behörde wurde der von den ukrainischen Behörden ausgestellte Heimreiseschein am 03.01.2017 durch das ZAB Oberbayern per Einschreiben an die Bundespolizei am Flughafen in München versandt. Nachforschungen bei der Deutschen Post ergaben, dass die Postsendung am 09.01.2017 noch nicht ausgeliefert war (vgl. Aktenvermerk des Mitarbeiters der beteiligten Behörde vom 09.01.2017, Bl. 17). Ein Verschulden der beteiligten Behörde oder einer sonstigen zum Vollzug eingeschalteten Behörde, für deren Verschulden die beteiligte Behörde einstehen müsste (vgl. BGH a.a.O.), ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Verfahrensverzögerung auf die Deutsche Post zurückzuführen ist. Nach Auffassung der Kammer kann deren Verschulden beim Transport der Postsendung, in der sich der Heimreiseschein befand, nicht der beteiligten Behörde zugerechnet werden. Die Kammer teilt nicht die Auffassung, des Beschwerdeführers, dass die beteiligte Behörde zur Übermittlung einen Kurierdienst hätte einschalten müssen.

g) Die Abschiebehaft wurde in der für Bayern zuständigen zentralen Abschiebehafteinrichtung in Mühldorf am Inn vollzogen (§ 62a Abs. 1 AufenthG).

3. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war zurückzuweisen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO). Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BGH vom 20.05.2016, V ZB 140/15). Die Beschwerde war nicht erfolgreich.

Die Verfahrenskostenhilfe war auch nicht wegen der Schwierigkeit der Rechtslage zu gewähren. Da das Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte. Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen. (vgl. BGH a.a.O.). Solche schwierigen Rechtsfragen waren hier nicht zu klären.

Die vom Amtsgericht Mühldorf am Inn mit Beschluss vom 23.01.2017 (Ziffer 4) gewährte Verfahrenskostenhilfe betraf das Verfahren vor dem Amtsgericht, nicht das Beschwerdeverfahren. Über die Verfahrenskostenhilfe wird für jede Instanz gesondert entschieden (§ 76 Abs. 1 FamFG; § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

4. Eine persönliche Anhörung im Beschwerdeverfahren konnte nicht mehr erfolgen, da bei Eingang des Beschwerdeverfahrens der Betroffene schon abgeschoben war.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG

6. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Traunstein Beschluss, 06. Apr. 2017 - 4 T 273/17

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 84 Rechtsmittelkosten


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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 58 Abschiebung


(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Si

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 58 Statthaftigkeit der Beschwerde


(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. (2) Der Beurteilung des Beschwerd

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 4 Erfordernis eines Aufenthaltstitels


(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 62 Statthaftigkeit der Beschwerde nach Erledigung der Hauptsache


(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführ

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 417 Antrag


(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. (2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:1.die Identität des Betroffenen,2.den gewöhnlichen Aufent

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 2 Begriffsbestimmungen


(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist. (2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 63 Beschwerdefrist


(1) Die Beschwerde ist, soweit gesetzlich keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Frist von einem Monat einzulegen. (2) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn sie sich gegen folgende Entscheidungen richtet: 1

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 76 Voraussetzungen


(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist. (2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskosten

Zivilprozessordnung - ZPO | § 119 Bewilligung


(1) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders. In einem höheren Rechtszug ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn d

Gerichts- und Notarkostengesetz - GNotKG | § 61 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Geschäftswert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden bei einer Rechtsbeschwerde innerhalb der Frist für die Begründung An

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 3 Passpflicht


(1) Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Für den Aufenthalt im B

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 14 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum


(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er 1. einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,2. den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,2a. zwar ein nach § 4 erforderliche

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 62a Vollzug der Abschiebungshaft


(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rech

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 106 Einschränkung von Grundrechten


(1) Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt. (2) Das Verfahren bei Freih

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 23 Verfahrenseinleitender Antrag


(1) Ein verfahrenseinleitender Antrag soll begründet werden. In dem Antrag sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben sowie die Personen benannt werden, die als Beteiligte in Betracht kommen. Der Antrag soll in geeignete

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 3 Verweisung bei Unzuständigkeit


(1) Ist das angerufene Gericht örtlich oder sachlich unzuständig, hat es sich, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, durch Beschluss für unzuständig zu erklären und die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen. Vor der Verweisung si

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 2 Örtliche Zuständigkeit


(1) Unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten ist das Gericht zuständig, das zuerst mit der Angelegenheit befasst ist. (2) Die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts bleibt bei Veränderung der sie begründenden Umstände erhalten. (3) Gerichtliche

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 425 Dauer und Verlängerung der Freiheitsentziehung


(1) In dem Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist eine Frist für die Freiheitsentziehung bis zur Höchstdauer eines Jahres zu bestimmen, soweit nicht in einem anderen Gesetz eine kürzere Höchstdauer der Freiheitsentziehung

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Tenor Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschuss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 31. Januar 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die sofortige Beschwerde

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(1) Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

(2) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ist über die Fortdauer der Zurückweisungshaft oder der Abschiebungshaft zu entscheiden, so kann das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft oder Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird.

(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.

(1) Die Beschwerde ist, soweit gesetzlich keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Frist von einem Monat einzulegen.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn sie sich gegen folgende Entscheidungen richtet:

1.
Endentscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung oder
2.
Entscheidungen über Anträge auf Genehmigung eines Rechtsgeschäfts.

(3) Die Frist beginnt jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

(2) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ist über die Fortdauer der Zurückweisungshaft oder der Abschiebungshaft zu entscheiden, so kann das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft oder Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird.

(1) Ist das angerufene Gericht örtlich oder sachlich unzuständig, hat es sich, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, durch Beschluss für unzuständig zu erklären und die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen. Vor der Verweisung sind die Beteiligten anzuhören.

(2) Sind mehrere Gerichte zuständig, ist die Sache an das vom Antragsteller gewählte Gericht zu verweisen. Unterbleibt die Wahl oder ist das Verfahren von Amts wegen eingeleitet worden, ist die Sache an das vom angerufenen Gericht bestimmte Gericht zu verweisen.

(3) Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Er ist für das als zuständig bezeichnete Gericht bindend.

(4) Die im Verfahren vor dem angerufenen Gericht entstehenden Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht anfallen.

(1) Unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten ist das Gericht zuständig, das zuerst mit der Angelegenheit befasst ist.

(2) Die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts bleibt bei Veränderung der sie begründenden Umstände erhalten.

(3) Gerichtliche Handlungen sind nicht deswegen unwirksam, weil sie von einem örtlich unzuständigen Gericht vorgenommen worden sind.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschuss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 31. Januar 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Görlitz vom 21. November 2013 zurückgewiesen worden ist.

Auf die vorgenannte Beschwerde wird festgestellt, dass der Beschuss des Amtsgerichts Görlitz vom 21. November 2013 den Betroffenen auch insoweit in seinen Rechten verletzt hat, wie es den Haftzeitraum ab dem 28. November 2013 betrifft.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein georgischer Staatsangehöriger, wurde am 23. Oktober 2013 von Beamten der beteiligten Behörde ohne Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik aufgegriffen. Er hatte zuvor sowohl in Frankreich als auch in Lettland einen Asylantrag gestellt.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung die Inhaftierung des Betroffenen bis längstens 21. November 2013 zur Vorbereitung einer geplanten Zurückschiebung an. Auf weiteren Antrag der beteiligten Behörde vom 18. November 2013 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 21. November 2013 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach Lettland bis zum 3. Dezember 2013 angeordnet. Den Haftantrag hat es dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am 21. November 2013 um 9.16 Uhr per Telefax zusammen mit der Bestimmung des Termins zur Anhörung des Betroffenen auf 13.00 Uhr desselben Tages übersandt. Der Verfahrensbevollmächtigte teilte dem Amtsgericht um 9.51 Uhr per Telefax mit, dass er das Gericht keinesfalls bis 13.00 Uhr, sondern allenfalls nach 15.15 Uhr erreichen könne. Die Anhörung des Betroffenen erfolgte - ohne vorherige Kontaktaufnahme mit dem Verfahrensbevollmächtigten - um 13.30 Uhr.

3

Bis zum 27. November 2013 war der Betroffene in einer Justizvollzugsanstalt und danach in Polizeigewahrsam untergebracht. Er wurde am 2. Dezember 2013 nach Lettland zurückgeschoben.

4

Auf seine Beschwerde hat das Landgericht - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts den Betroffenen vom 21. November 2013 bis zum 27. November 2013 in seinen Rechten verletzt hat. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene den vollständigen Erfolg seiner Beschwerde erreichen.

II.

5

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war der Haftantrag zulässig. Das Amtsgericht habe nicht gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot verstoßen. Ihm sei auch kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens vorzuwerfen. Dem Betroffenen habe es frei gestanden, darauf zu bestehen, dass seine Anhörung durch das Amtsgericht in Anwesenheit seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten stattfinde. Von diesem Recht habe er keinen Gebrauch gemacht. Bis zur Anhörung habe er keinen Kontakt in einer für ihn verständlichen Sprache zu seinem Verfahrensbevollmächtigten gehabt. Ein irgendwie geartetes Vertrauensverhältnis habe zwischen beiden nicht bestanden. Zudem habe für den Verfahrensbevollmächtigten die Möglichkeit bestanden, schriftsätzlich Erklärungen zu dem Haftantrag abzugeben.

6

Die Haftanordnung habe den Betroffenen jedoch in dem Zeitraum vom 21. November 2013 bis zum 27. November 2013 wegen der Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt in seinen Rechten verletzt.

III.

7

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 Abs. 1 und 2 FamFG). Sie ist begründet. Die Haftanordnung hat den Betroffenen insgesamt in seinen Rechten verletzt, weil seine Anhörung durch das Amtsgericht - wie er in der Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend rügt - nicht ordnungsgemäß war.

8

1. Einem Verfahrensbevollmächtigten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2012 - V ZB 117/11 Rn. 4, juris; Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10 Rn. 10, juris). Das ist hier nicht erfolgt. Zwar ist dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen der auf den 21. November 2013 um 13.00 Uhr bestimmte Anhörungstermin mitgeteilt worden. Diese Mitteilung erfolgte aber erst etwa 3 ½ Stunden vor dem Termin. Dass der Verfahrensbevollmächtigte innerhalb des verbleibenden Zeitraums weder mit dem Auto noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln das Amtsgericht erreichen konnte, hat er diesem rund eine halbe Stunde später mitgeteilt; zugleich hat er darauf hingewiesen, dass die frühestmögliche Ankunft am Gerichtssitz um 15.15 Uhr war. Bei verständiger Würdigung dieser Angaben hätte das Amtsgericht in dem Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten einen Verlegungsantrag sehen müssen und deshalb nicht ohne weiteres die Anhörung durchführen dürfen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10 Rn. 10, juris). Es hat deshalb gegen den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, welcher dem Betroffenen garantiert, sich zur Wahrung seiner Rechte in dem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen, und ihm das Recht zubilligt, diesen Bevollmächtigten zu der Anhörung hinzuzuziehen (BVerfG, StV 1994, 552 f.; NJW 1993, 2301 f. - jeweils zur mündlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren).

9

2. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts kann nicht festgestellt werden, dass der Betroffene von seinem Recht, in Anwesenheit seines Verfahrensbevollmächtigten angehört zu werden, keinen Gebrauch gemacht hat. In dem Protokoll der Anhörung ist nicht vermerkt, dass er über dieses Recht belehrt wurde. Dort heißt es nur, dass er „- nach prozessordnungsgemäßer Belehrung -: Was soll ich unter den gegebenen Bedingungen sagen. Ich habe diesen Antrag zur Kenntnis genommen und fertig.“ erklärt hat. Welchen Inhalt die Belehrung hatte, erschließt sich nicht. Die Erklärung des Betroffenen enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Belehrung auch das Recht auf Anwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten umfasste.

10

3. Ebenfalls anders als das Beschwerdegericht meint, ist es unerheblich, ob vor der Anhörung zwischen dem Betroffenen und seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten ein "irgendwie geartetes" Vertrauensverhältnis bestand. Das Recht des Verfahrensbevollmächtigten zur Teilnahme an dem Anhörungstermin und das Recht des Betroffenen zur Anhörung in Anwesenheit seines Bevollmächtigten setzen ein solches Verhältnis nicht voraus.

11

4. Schließlich hält es das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft für ausreichend, dass der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen schriftsätzlich zu dem Haftantrag habe Stellung nehmen können. Das Recht auf Teilnahme an dem Anhörungstermin wird nicht gewahrt, wenn lediglich die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme besteht (vgl. BVerfG, StV 1994, 552 f.).

12

5. Nach alledem war die Anhörung des Betroffenen fehlerhaft. Die Haftanordnung hat ihn somit insgesamt und nicht nur zum Teil, wie das Beschwerdegericht meint, in seinen Rechten verletzt.

IV.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann                          Lemke                          Schmidt-Räntsch

                          Czub                          Kazele

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 79/15
vom
22. Oktober 2015
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
WÜK Art. 36
Die versäumte oder fehlerhafte Belehrung nach Art. 36 WÜK oder vergleichbaren
bilateralen Abkommen führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, wenn
das Verfahren ohne den Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können
(Aufgabe von Senat, Beschluss vom 18. November 2010
- V ZB 165/10, FGPrax 2011, 99).
BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15 - LG Kassel
AG Kassel
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Oktober 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. SchmidtRäntsch
und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 4. Mai 2015 und der Beschluss des Landgerichts Kassel - 3. Zivilkammer - vom 13. Mai 2015 den Betroffenen bis zum 27. Mai 2015 in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Hessen auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene reiste am 15. Januar 2014 unerlaubt aus Italien nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Eine Recherche in dem europäischen Asylantragsregister EURODAC ergab, dass er schon ein Jahr zuvor in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Deshalb richteten die deutschen Behörden am 21. März 2014 ein Rücküberstellungsersuchen an Italien, auf welches die italienischen Behörden bis zum 5. April 2014 nicht antworteten. Der Betroffene versuchte seine Rücküberstellung nach Italien mit Eilanträgen bei den Verwal- tungsgerichten zu verhindern, was ihm nicht gelang. Am 29. Juli 2014 brach das zuständige Bundesamt das Rücküberstellungsverfahren ab, nachdem es von den italienischen Behörden erfahren hatte, dass der Betroffene in Italien über subsidiären Schutzstatus verfüge und ihm daher ein Aufenthaltsrecht in Italien zustehe. Es stellte mit Bescheid vom 15. August 2014 fest, dass dem Betroffenen in Deutschland kein Asyl zusteht, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Ein Versuch, die Abschiebung am 27. März 2015 zu vollziehen, scheiterte daran, dass der Betroffene zunächst nicht anzutreffen war, sich später seiner Abschiebung nach Italien widersetzte und ein Flug für einen Polizeibeamten , der ihn nach Italien begleitete, nicht gebucht war. Er erhielt eine Duldung und wurde, als er sich am 4. Mai 2015 erneut wegen der Verlängerung der Duldung bei der zuständigen Behörde meldete, festgenommen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. Mai 2015 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 15. Juni 2015 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 13. Mai 2015 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Entlassung aus der Haft am 28. Mai 2015 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen.

II.

3
Das Beschwerdegericht hält die Haftordnung für rechtmäßig. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Hafthindernisse bestünden nicht. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liege vor, weil sich der Betroffene dem ersten Abschiebungsversuch entzogen habe.

III.

4
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Haftanordnung ist rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.
5
1. Das ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht schon daraus, dass § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG als Grund für die Anordnung von Haft bei Anordnung und während der Dauer der Haft nicht anwendbar war.
6
a) Es ist zwar richtig, dass die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2015 (ABl. EU Nr. L 180 S. 31 - Dublin-III-Verordnung) vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) am 1. August 2015 nur auf die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG gestützt werden konnte, nicht dagegen auf die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und der damals geltenden Nr. 5 AufenthG (Senat, Beschlüsse vom 26. Juni 2014 - V ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 23, 31 und vom 22. Oktober 2014 - V ZB 124/14, NVwZ 2015, 607 Rn. 11 f.). Es spricht manches dafür, dass das auch für den Haftgrund nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gilt, auf den die Haftanordnung hier gestützt ist. Das muss aber nicht entschieden werden.
7
b) Gegen den Betroffenen ist Haft nicht zur Sicherung seiner Rücküberstellung nach Italien gemäß der Dublin-III-Verordnung, sondern zur Sicherung seiner Abschiebung dorthin angeordnet worden. Auf eine Abschiebung war § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in der seinerzeit geltenden Fassung uneingeschränkt anwendbar.
8
aa) Zunächst kam allerdings keine Abschiebung, sondern nur eine Rücküberstellung in Betracht, weil nicht das deutsche Bundesamt über den Asylan- trag des Betroffenen zu entscheiden hatte, sondern die italienischen Behörden. Italien hatte ihm nämlich Schutz gewährt und war deshalb nach Art. 12 DublinIII -Verordnung für die Bearbeitung auch dieses Antrags zuständig. Im weiteren Verlauf des Rücküberstellungsverfahrens soll die Zuständigkeit aber auf das deutsche Bundesamt übergegangen sein, möglicherweise deshalb, weil die Frist für den Vollzug der Rücküberstellung nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-IIIVerordnung verstrichen war. Dann wäre über den Asylantrag nach deutschem Asylrecht zu entscheiden und dieser als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Denn ein Asylsuchender, dem - wie hier dem Betroffenen - in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Schutz gewährt worden ist, hat keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland; sein Antrag ist unzulässig (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13, BVerwGE 150, 29 Rn. 29).
9
bb) Ein Betroffener, dem in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Asyl gewährt und dessen weiterer Asylantrag in Deutschland als unzulässig zurückgewiesen worden ist, ist nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in diesen Mitgliedstaat abzuschieben, wenn die Durchführung sichergestellt ist. Denn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind nach § 26a Abs. 2 AsylVfG sichere Drittstaaten. Zur Sicherung einer solchen Abschiebung kann Haft unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG angeordnet werden. Das strebte die beteiligte Behörde an.
10
2. Die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung folgt auch nicht aus einem etwaigen Fehler bei der gebotenen Belehrung - hier - nach Art. 36 WÜK und vergleichbaren Vorschriften bilateraler Abkommen.
11
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats führten solche Verstöße zwar ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung (Beschlüsse vom 18. November 2010 - V ZB 165/10, FGPrax 2011, 99 Rn. 4, vom 14. Juli 2011 - V ZB 275/10, FGPrax 2011, 257 Rn. 6 und vom 30. Oktober 2013 - V ZB 33/13, juris Rn. 6). Daran hält der Senat aber nicht mehr fest.
12
b) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats führt eine Verletzung von Verteidigungsrechten (insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör) nur dann zur Beendigung der Haft bzw. zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (näher Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 10 [rechtliches Gehör] und vom 4. Dezember 2014 - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rn. 5 [Belehrung über den Rechtsmittelverzicht]). Diese Änderung der Rechtsprechung beruht auf dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. September 2013 (Rs. C-383/13 - PPU - G. und R., ECLI:EU:C:2013:533). Danach darf das nationale Gericht die Anordnung von Haft zur Sicherung einer Abschiebung nach Art. 15 der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. Nr. L 348, S. 98) wegen eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nur dann aufheben, wenn es der Ansicht ist, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (EuGH, aaO, Rn. 45). Die von dem Gerichtshof aufgestellten Grundsätze gelten nicht nur für die Haft zur Sicherung der Abschiebung, sondern auch für die Haft zur Beendigung eines illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, weil sie eine unterschiedliche Behandlung der Verletzung von Verteidigungsrechten nicht erlauben (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 11). Zu den Verteidigungsrechten gehört die Belehrung nach Art. 36 WÜK und vergleichbaren Regelungen, die dem Betroffenen die Möglichkeit bieten soll, seinen Heimatstaat um Hilfe zu bitten.
Auch ein Verstoß gegen die Pflicht zu dieser Belehrung führt zur Rechtswidrigkeit der Haft nur, wenn das Verfahren bei pflichtgemäßem Vorgehen zu einem anderen Ergebnis hätten führen können. Das hat der Betroffene darzulegen.
13
c) Daran fehlt es hier. Der Betroffene hat zwar einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 WÜK gerügt. Er hat aber nicht dargelegt, dass das Verfahren bei Beachtung der Regelung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Deshalb führt ein etwaiger Verstoß gegen die Belehrungspflicht nicht zur Rechtswidrigkeit der Haft.
14
3. Die Haftanordnung war aber rechtswidrig, weil der Haftantrag unzulässig war.
15
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - V ZB 165/13, juris Rn. 5, vom 9. Oktober 2014 - V ZB 127/13, FGPrax 2015, 39 Rn. 6, vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 15, vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10, vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4 und vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15).

16
b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht gerecht.
17
aa) Sie hat darin zwar dargelegt, dass die Rückkehr des Betroffenen nach Italien im Wege der Rücküberstellung nach der Dublin-III-Verordnung betrieben , das Verfahren dann aber als Abschiebung nach Italien fortgesetzt worden ist. Weshalb es zu diesem Wechsel des Verfahrens kam, hat sie nicht erläutert. Darauf kam es aber entscheidend an.
18
bb) Welche Haftgründe in Betracht kamen, hing seinerzeit davon ab, ob die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag schon auf die deutschen Behörden übergangen war oder noch bei den italienischen Behörden lag. Im ersten Fall wäre das Rücküberstellungsverfahren beendet gewesen. Zur Sicherung der Abschiebung hätte dann uneingeschränkt auf die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zurückgegriffen werden können. War die Zuständigkeit dagegen noch nicht auf die deutschen Behörden übergangen, war das Rücküberstellungsverfahren nach der Dublin-III-Verordnung noch nicht beendet. Haft hätte dann nur nach Maßgabe von Art. 28 Abs. 2 der Dublin-IIIVerordnung angeordnet werden dürfen. Danach setzte die Haft eine erhebliche Fluchtgefahr voraus, deren Gründe nach Art. 2 Buchstabe n der Verordnung durch die Mitgliedstaaten gesetzlich festzulegen sind. Dieser Vorgabe genügte § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG seinerzeit nur mit Einschränkungen, weshalb die Haft zur Sicherung einer Rücküberstellung, wie eingangs dargelegt, seinerzeit nicht auf alle Haftgründe nach dieser Vorschrift gestützt werden konnte. Ohne eine Angabe zu dem Wechsel der Zuständigkeit ließ sich nicht feststellen, welchem Regime die Haftanordnung unterlag.
19
cc) Diese entscheidende Angabe fehlte in dem Haftantrag. Sie ist von der beteiligten Behörde im weiteren Verfahren nicht nachgeholt und von dem Beschwerdegericht auch nicht, was möglich gewesen wäre (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 23), selbst festgestellt worden. Deshalb durften weder die Haft noch ihre Fortdauer angeordnet werden.

IV.

20
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG. Stresemann Schmidt-Räntsch Weinland Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Kassel, Entscheidung vom 04.05.2015 - 700 XIV 316/15 B -
LG Kassel, Entscheidung vom 13.05.2015 - 3 T 246/15 -

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen sie die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 48 Abs. 2).

(2) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle kann in begründeten Einzelfällen vor der Einreise des Ausländers für den Grenzübertritt und einen anschließenden Aufenthalt von bis zu sechs Monaten Ausnahmen von der Passpflicht zulassen.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1.
einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,
2.
den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,
2a.
zwar ein nach § 4 erforderliches Visum bei Einreise besitzt, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert wird, oder
3.
nach § 11 Absatz 1, 6 oder 7 nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8.

(2) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden können Ausnahme-Visa und Passersatzpapiere ausstellen.

(1) In dem Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist eine Frist für die Freiheitsentziehung bis zur Höchstdauer eines Jahres zu bestimmen, soweit nicht in einem anderen Gesetz eine kürzere Höchstdauer der Freiheitsentziehung bestimmt ist.

(2) Wird nicht innerhalb der Frist die Verlängerung der Freiheitsentziehung durch richterlichen Beschluss angeordnet, ist der Betroffene freizulassen. Dem Gericht ist die Freilassung mitzuteilen.

(3) Für die Verlängerung der Freiheitsentziehung gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung entsprechend.

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

(1) Ein verfahrenseinleitender Antrag soll begründet werden. In dem Antrag sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben sowie die Personen benannt werden, die als Beteiligte in Betracht kommen. Der Antrag soll in geeigneten Fällen die Angabe enthalten, ob der Antragstellung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Urkunden, auf die Bezug genommen wird, sollen in Urschrift oder Abschrift beigefügt werden. Der Antrag soll von dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten unterschrieben werden.

(2) Das Gericht soll den Antrag an die übrigen Beteiligten übermitteln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/10
vom
22. Juli 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Werden in der Begründung des Haftantrags die Tatsachen, auf denen die
Ausreisepflicht des Betroffenen beruht, nicht oder falsch vorgetragen, leidet die
richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel,
der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt.
BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Lemke, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Rinkler Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 bewilligt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 30. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Niedersachsen auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene reiste erstmalig Anfang 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein von ihm am 6. Februar 2008 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 5. März 2008 als unzulässig zurückgewiesen und die Überstellung des Betroffenen nach Art. 18 Dublin II-Verordnung in die Slowakische Republik angeordnet, in der der Betroffene zuvor ebenfalls Asyl beantragt hatte. Die Überstellung scheiterte, weil der Betroffene die Aufnahmeein-richtung, in der er untergebracht war, verließ und danach sein Aufenthalt für die Behörden unbekannt war.
2
Nach Ankündigung einer Rücküberstellung des Betroffenen aus dem Königreich der Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland hob das Bundesamt am 5. Oktober 2009 den Bescheid vom 5. März 2008 auf und kündigte eine neue Entscheidung über den Asylantrag an, weil eine Überstellung des Betroffenen in die Slowakische Republik infolge Zeitablaufs nicht mehr zulässig war. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 wurde der Asylantrag vom 6. Februar 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Betroffene zum Verlassen des Bundesgebietes binnen einer Woche aufgefordert und eine Abschiebung nach Georgien angedroht. Dieser Bescheid wurde der Aufnahmeeinrichtung, in der der Betroffene im Jahr 2008 untergebracht war, mit der Bitte um Aushändigung übersandt und ging dort am 9. Oktober 2009 ein. In der Rückantwort teilte die Aufnahmeeinrichtung dem Bundesamt mit, dass der Betroffene die Einrichtung am 21. Januar 2009 verlassen habe und sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei.
3
Nach Überstellung des Betroffenen aus den Niederlanden ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens zum 28. Februar 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 20. Februar 2010 wurde der Betroffene abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Landgerichts und der Haftanordnung des Amtsgerichts festzustellen.

II.

4
Das Beschwerdegericht hat den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG bejaht und ein Abschiebungshindernis auf Grund des Asylantrags des Betroffenen vom 6. Februar 2008 verneint. Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG sei mit dem Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 erloschen, der nach § 10 Abs. 2 AsylVfG als am 12. Oktober 2009 zu-gestellt gelte, so dass der Betroffene seit dem 20. Oktober 2009 vollziehbar ausreisepflichtig sei.

III.

5
Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (dazu: Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727) und gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG ist begründet.
6
1. Die Abschiebungshaft durfte von dem Amtsgericht schon deshalb nicht angeordnet und von dem Beschwerdegericht nicht bestätigt werden, weil es an einem wirksamen Antrag der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung fehlt.
7
a) Das Vorliegen eines zulässigen Antrages der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 417 FamFG ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat, Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rn. 7; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 12, juris).
8
Der Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 14, juris). Für die Abschiebungs - und Zurückschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG).
9
b) Die Begründung des Haftantrags der Beteiligten zu 2 vom 25. November 2010 genügt diesen Anforderungen nicht.
10
aa) In dem Antrag fehlt die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG erforderliche Angabe der Tatsachen, aus denen sich die Ausreisepflicht des Betroffenen ergab. Die den Antrag stellende Behörde muss dazu aufzeigen, dass dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht zusteht. Hierfür ist der Grund der Ausreisepflicht zu bezeichnen, zu dessen Sicherung die Abschiebungshaft angeordnet werden soll. Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem vollziehbaren Bescheid, muss die Behörde in dem Haftantrag auf diesen Bescheid Bezug nehmen (vgl. Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 4; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 417 Rn. 8).
11
Dem entspricht der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht, weil in diesem nur der bereits aufgehobene Bescheid des Bundesamtes vom 5. März 2008, jedoch nicht der Bescheid vom 7. Oktober 2009 erwähnt ist, aus dem allein sich die Ausreisepflicht des Betroffenen im Zeitpunkt der Beantragung der Abschiebungshaft ergeben konnte.
12
bb) Den Anforderungen an die Begründung des Haftantrags wird auch nicht dadurch genügt, dass nach der Akte der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009 dem Haftantrag beilag. Die Behörde muss nämlich in dem Antrag selbst die die Verlassenspflicht begründenden Tatsachen bezeichnen. Nur dann ist gewährleistet, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge, FamFG, § 417 Rn. 14).
13
cc) Eine mögliche Heilung eines unvollständigen schriftlichen Haftantrags durch eine zu Protokoll des Haftrichters erklärte Ergänzung der Begründung (dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 17, juris) ist hier nicht erfolgt, weil nach dem Protokoll der Anhörung vom 30. November 2009 von der Beteiligten zu 2 niemand zugegen war, dem Betroffenen allein der Haftantrag bekannt gegeben wurde und er sich dazu äußern konnte.
14
dd) Auf einen unvollständigen Antrag darf keine Haft angeordnet werden; vielmehr ist der Antrag - wenn keine Nachbesserung erfolgt - als unzulässig zu verwerfen (Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 6; Bassenge/Roth/Gottwald , FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 418 FamFG Rn. 5).
15
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand, weil es auch in der Beschwerdeinstanz an einem ordnungsgemäßen Haftantrag gefehlt hat (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 24). Die Beteiligte zu 2 hat nur den Haftantrag vom 25. November 2010 gestellt.
16
Die Mängel in jenem Haftantrag sind auch nicht durch die davon abweichenden Ausführungen in den Schriftsätzen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz behoben worden, in denen die Beteiligte zu 2 zur Begründung der Ausreisepflicht des Betroffenen sich auf den Bescheid des Bundesamtes vom 5. Oktober 2009 gestützt, und auf dessen Einwand, ihm sei dieser Bescheid unbekannt gewesen, sich auf die Zustellungsfiktionen in § 10 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 4 Satz 4 AsylVfG berufen hat. Bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine unverzichtbare Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 19, juris).
17
3. Da ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 417 FamFG nicht mit der Argumentation für unbeachtlich erklärt werden kann, dass die Freiheitsentziehung materiell zu Recht angeordnet worden sei (BVerfG NVwZRR 2009, 304, 305), kommt es auf alle weiteren Ausführungen der Beteiligten nicht an.

IV.

18
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Niedersachen, als derjenigen Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG) zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
19
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Krüger Lemke RinBGH Dr. Stresemann ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Krüger Czub Roth Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 30.11.2009 - 44 XIV 144/09 -
LG Hannover, Entscheidung vom 19.01.2010 - 28 T 62/09 -

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 172/12
vom
17. Oktober 2013
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Oktober 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Czub, die Richterin Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 12. Juli 2012 und der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 6. September 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Sachsen auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, ist nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags seit September 2005 vollziehbar ausreisepflichtig. Seine für Juni 2008 vorgesehene Abschiebung nach Vietnam scheiterte , weil er nicht mehr anzutreffen und sein Aufenthalt unbekannt war. Am 11. Juli 2012 wurde der Betroffene von der Polizei aufgegriffen. Nach Feststellung seiner Identität beantragte die beteiligte Behörde die Anordnung von Sicherungshaft bis zum 19. September 2012.
2
Das Amtsgericht hat am 12. Juli 2012 die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 19. September 2012 angeordnet. In dem Termin zur Anhörung des Betroffenen am 6. September 2012 vor dem Landgericht legte dessen Verfahrensbevollmächtigter unter anderem notarielle Erklärungen des Betroffenen, mit der dieser die Vaterschaft für ein im Jahr 2010 in Emden geborenes Kind anerkannte, sowie eine Zustimmung der Kindesmutter zur Vaterschaftsanerkennung vor. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. September 2012 die Beschwerde zurückgewiesen. Am 7. September 2012 hat der Betroffene per Telefax bei dem Landgericht eine Mitteilung der Ausländerbehörde des Landratsamts mit dem Inhalt eingereicht, dass Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG vorlägen und der Betroffene nach seiner Haftentlassung bei der Behörde zur Wiederanmeldung vorsprechen möge. Das Landgericht hat dem Betroffenen mitgeteilt, dass der Beschluss bereits vor Eingang des Telefaxschreibens durch Übergabe an die Geschäftsstelle erlassen und das Beschwerdeverfahren damit abgeschlossen sei. Das Landratsamt hat später Bedenken gegen die Richtigkeit seiner zuvor mitgeteilten Ansicht geäußert, dann jedoch die Duldung ausgesprochen. Der Betroffene ist schließlich am 12. September 2012 auf Anordnung der beteiligten Behörde aus der Abschiebungshaft entlassen worden, weil die Ausländerbehörde des Landkreises eine Duldung erteilt hatte.
3
Der Betroffene beantragt in der Rechtsbeschwerdeinstanz die Feststellung , durch die Haftanordnung und den Beschluss des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts rechtmäßig gewesen sei. Es habe ein den Begründungsanforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG entsprechender Haftantrag vorgelegen, da die beteiligte Behörde zur vollziehbaren Ausreisepflicht, zu dem Vorliegen von Haftgründen vorgetragen und auch mitgeteilt habe, wann die Abschiebung voraussichtlich vollzogen werden könne. Da der Haftantrag dem Betroffenen eröffnet und übersetzt worden sei, sei er auch in der Lage gewesen, zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen. Es bestehe der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 AufenthG. Aus dem Vorbringen über seine minderjährige, in Deutschland lebende Tochter ergäben sich keine ausreichenden familiären Beziehungen , die darauf schließen ließen, dass sich der Betroffene der Abschiebung nicht erneut entziehen werde.
5
Seine Abschiebung nach Vietnam sei mit einem Charterflug am 18. September 2012 vorgesehen, für den der Betroffene auch angemeldet sei. Die beteiligte Behörde habe die Abschiebung des Betroffenen auch mit der notwendigen Beschleunigung betrieben. Sie habe dargelegt, dass eine Abschiebung mit dem am 7. August 2012 durchgeführten Charterflug nicht möglich gewesen sei, da die von der Bundespolizei für jenen Flug bestimmte Anmeldefrist bis zum 4. Juli 2012 bei der Feststellung der Identität des Betroffenen am 12. Juli 2012 bereits verstrichen gewesen sei.

III.

6
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts und durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden.
7
1. Der Feststellungsantrag ist zunächst für den Zeitraum bis zur Anhörung durch das Beschwerdegericht (am 6. September 2012) begründet. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
8
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).
9
b) Der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 12. Juli 2012 entsprach diesen Anforderungen nicht. In diesem hatte die Behörde zwar auf die vorgesehene Durchführung der Abschiebung des Betroffenen nach Vietnam in von der Bundespolizei organisierten Charterflügen hingewiesen, aber nicht die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach Vietnam und deren Vorliegen dargelegt. Eine solche Darlegung gemäß dem Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über die Rückübernahme von vietnamesischen Staatsangehörigen (Rückübernahmeabkommen nebst Durchführungsprotokoll vom 21. Juli 1995, BGBl. 1995 II, S. 744) ist - wie von der Rechtsbeschwerde zutreffend bemerkt - erst mit dem Schriftsatz an das Beschwerdegericht vom 31. August 2012 erfolgt.
10
c) Der Mangel des Haftantrags, auf dem die Haftanordnung des Amtsgerichts beruhte, wurde nicht schon mit diesem, den Haftantrag ergänzenden Vorbringen der beteiligten Behörde, sondern erst mit der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht behoben. Die mit einem unzulässigen Haftantrag einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 GG kann in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft dadurch geheilt werden, dass die Behörde die unvollständige Begründung ihres Haftantrags ergänzt und der Betroffene hierzu in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8). Das ist hier erst am 6. September 2012 geschehen.
11
2. Der Betroffene ist jedoch auch durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden. Dies führt hier dazu, dass der Feststellungsantrag analog § 62 FamFG insgesamt - somit auch für den Zeitraum von dem Erlass der Beschwerdeentscheidung am 7. September 2012 bis zur Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 12. September 2012 - begründet ist.
12
a) Das Beschwerdegericht hat verfahrensfehlerhaft einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Abschiebungshaftsachen verneint.
13
aa) Es hat sich zu vergewissern, ob die Abschiebung zügig durchgeführt wird. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf es nur dann aufrechterhalten , wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (st. Rspr. vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173, Rn. 21; Beschluss vom 1. März 2012 - V ZB 206/11, FGPrax 2012, 133, 134 Rn. 15; Beschluss vom 11. Oktober 2012 - V ZB 104/12, Rn. 7, juris).
14
bb) Das Beschwerdegericht hat dies zwar im Grundsatz nicht verkannt, seine Entscheidung aber verfahrensfehlerhaft allein auf das Vorbringen der beteiligten Behörde gestützt, dass eine frühere Abschiebung des Betroffenen mit dem am 7. August 2012 durchgeführten Charterflug nicht mehr möglich gewesen sei. Darin liegt jedoch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts (§ 26 FamFG). Das Beschwerdegericht durfte sich, angesichts des Vorbringens des Betroffenen, dass die von der Bundespolizei gesetzte „Anmelde- frist“ von einem Monat nicht verständlich sei, nicht mit der Erklärung der betei- ligten Behörde über die von ihr bei der Bundespolizei einzuhaltende Anmeldefrist für Abschiebungen nach Vietnam begnügen. Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen nämlich auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er selbst die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1174 Rn. 16; BVerfGE 10, 302, 310; 83, 24, 33).
15
Eigene Feststellungen, warum es der Einhaltung einer Frist von über einem Monat zwischen der Anmeldung zur Abschiebung nach Vietnam und deren Durchführung auch bei inhaftierten Ausländern bedarf, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Solche Ermittlungen zu den Gründen einer von deutschen Behörden gesetzten Anmeldefrist, die zu einer Verlängerung der Haftdauer um bis zu einem Monat führen, waren nicht deshalb entbehrlich, weil die Abschiebung nicht von der beteiligten Behörde, sondern von der Bundespolizei durchgeführt wird. Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot durch die die Abschiebung vollziehende Bundesbehörde sind den für die Anträge auf Abschiebungshaft zuständigen Ausländerbehörden der Länder und der Kreise zuzu- rechnen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 111/10, NVwZ 2011, 1214, 1215 Rn. 13; Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315, 317 Rn. 25). Die notwendigen Erläuterungen zu der erforderlichen Zeitspanne von der Beantragung bis zur Durchführung der Abschiebung durch die damit beauftragte Bundespolizei sind von dem Tatrichter entweder über die beteiligte Behörde oder direkt von der Bundesbehörde anzufordern.
16
cc) Der gerügte Verfahrensmangel stellt sich auch nicht als im Ergebnis unerheblich dar. Zwar hat nach Art. 2 Nr. 4 des Protokolls zur Durchführung des Rückübernahmeabkommens die deutsche Seite der vietnamesischen Seite vierzehn Tage vor dem Flug die Liste der von den vietnamesischen Behörden bereits als Staatsangehörige anerkannten Rückkehrer mitzuteilen; die Notwendigkeit einer Frist von über einem Monat zwischen der Anmeldung und der Abschiebung eines inhaftierten Vietnamesen in sein Heimatland ergibt sich daraus jedoch nicht.
17
b) Der Senat kann über den Feststellungsantrag abschließend entscheiden , da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Einer Aufhebung und Zurückverweisung an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG), die grundsätzlich dann vorzunehmen ist, wenn die Feststellung einer Rechtsverletzung wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen weitere Ermittlungen erfordert, bedarf es hier ausnahmsweise nicht. Der weitere Vollzug der Haft über den 7. September 2012 hinaus stellte sich als eine Verletzung der Rechte des Betroffenen dar, weil das für die Erteilung einer Duldung zuständige Landratsamt an diesem Tag Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG bejahte, die schließlich am 12. September 2012 zur Haftentlassung des Betroffenen auf Anordnung der beteiligten Behörde führten. Das Beschwerdegericht hat diese Tatsache in seinem Beschluss deshalb nicht mehr berücksichtigt, weil der Beschluss in dem Zeitpunkt, in welchem dem Gericht die Einschätzung des Landratsamts mitgeteilt worden ist, bereits durch Übergabe an die Geschäftsstelle (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG) erlassen und damit für das Beschwerdegericht bindend geworden war (vgl. Keidel/Meyer-Holtz, FamFG, 17. Aufl., § 38 Rn. 88, 90).
18
Der Senat hat jedoch neue unstreitige und aus den Akten ersichtliche Tatsachen zu berücksichtigen (vgl. BayObLG, FamRZ 2001, 1245, 1246; Keidel /Meyer-Holtz, FamFG, 17. Auflage, § 74 Rn. 16 f.; vgl. auch Senat, Urteil vom 3. April 1998 - V ZR 143/97, NJW-RR 1998, 1284 zum Revisionsverfahren ). Danach ist festzustellen, dass auch der weitere Vollzug der Abschiebungshaft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Allerdings schließt eine Duldung nach § 60a AufenthG weder die Anordnung noch den weiteren Vollzug der Abschiebungshaft schlechthin aus, weil die Duldung nur den Vollzug der Abschiebung aussetzt, sie aber dem Ausländer kein Recht zum Aufenthalt gibt und seine Pflicht zur Ausreise unberührt lässt. Mit Rücksicht auf die Geltungsdauer einer Duldung besteht jedoch stets Anlass zur Prüfung, ob die Abschiebung noch innerhalb von drei Monaten seit Anordnung der Haft (§ 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) durchgeführt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27, 28 Rn. 12 f.). Eine solche Prüfung führt hier angesichts des weiteren Ablaufs dazu, dass die Haft hätte aufgehoben werden müssen. Die beteiligte Behörde, die nach Landesrecht (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SächsAAZVO) nur für die Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber, jedoch nicht für die Erteilung von Duldungen zuständig ist, hat die Haftentlassung des Betroffenen am 12. September 2012 verfügt, weil sie nach ihrem Vorbringen erst in diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem endgültigen Willensentschluss des für die Erteilung der Duldung zuständigen Landratsamts erlangte. Nach der in der Akte befindlichen Mitteilung des Landratsamts an den Betroffenen vom 7. September 2012 ist indessen davon auszugehen, dass das Landratsamt, wäre es auch für die Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts des Betroffenen zuständig, bereits an diesem Tage dessen Entlassung aus der Haft verfügt hätte. Verzögerungen bei der Haftentlassung, die auf die landesrechtliche Aufteilung behördlicher Zuständigkeiten zurückzuführen sind, gehen jedoch nicht zu Lasten des Ausländers.

IV.

19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO. Stresemann Schmidt-Räntsch Czub Weinland Kazele
Vorinstanzen:
AG Chemnitz, Entscheidung vom 12.07.2012 - 211 XIV 85/12 (B) -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 06.09.2012 - 3 T 416/12 -

(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.

(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.

(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.

(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 140/15
vom
20. Mai 2016
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) Art. 9 Abs. 6

a) Fragt der Betroffene in einer Anhörung in einer Freiheitsentziehungssache
(§ 420 Abs. 1 FamFG) nach einem Anwalt, ist dies im Zweifel als Antrag
auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe
auszulegen.

b) Unterlässt das Gericht eine Entscheidung über einen solchen Antrag,
führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, wenn Verfahrenskostenhilfe
im Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu bewilligen gewesen
wäre (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom 12. September 2013
- V ZB 121/12, InfAuslR 2014, 6).

c) Aus Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments
und des Rats vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) ergibt sich
kein Recht des Betroffenen auf Beiordnung eines Rechtsanwalts auch
ohne Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung gegen einen Haftantrag.
ECLI:DE:BGH:2016:200516BVZB140.15.0
BGH, Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15 - LG Münster AG Borken
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richter Dr. Kazele und Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 21. September 2015 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:


I.


1
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 30. Juli 2015 gegen den Betroffenen nach dessen Anhörung Abschiebungshaft bis zum 29. September 2015 an. Die gegen den Haftanordnungsbeschluss des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde und den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der zwischenzeitlich nach Georgien abgeschoben worden ist, die Feststellung erreichen, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt zu sein.

II.


2
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Entscheidung des Amtsgerichts nicht verfahrensfehlerhaft ergangen. Der Betroffene sei in dem Anhörungstermin vor dem Amtsgericht darüber informiert worden, dass er jederzeit einen Rechtsanwalt habe konsultieren können. Er habe aber keinen Rechtsanwalt benannt, den er hätte anrufen wollen. Ebenso wenig habe er die 15-minütige Unterbrechung der Anhörung bis zur Verkündung des angefochtenen Beschlusses genutzt, um einen Rechtsanwalt anzurufen. Da er nicht erklärt habe, über kein Geld zu verfügen, habe das Amtsgericht auch keinen Anlass gehabt, ihn auf die Möglichkeit der Beantragung von Verfahrenskostenhilfe hinzuweisen. Es habe davon ausgehen können, dass der Betroffene auf sein Recht auf anwaltlichen Beistand im Anhörungstermin habe verzichten wollen.

III.


3
Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 Abs. 1 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg. Die Haftanordnung des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten. Insbesondere folgt die Rechtswidrigkeit entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht daraus, dass der Betroffene während seiner Anhörung nicht anwaltlich vertreten war.
4
1. Allerdings weist die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts einen Verfahrensfehler auf.
5
a) Ausweislich des in der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Protokolls der Anhörung „fragte der Betroffene nach einem Anwalt“. Es liegt bei verständiger Würdigung dieser Frage nahe, hierin die konkludente Stellung eines Antrags auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe zu sehen (§ 76 Abs. 1, § 78 Abs. 2 FamFG). Sie zielte erkennbar auf ein Tätigwerden des Gerichts und beschränkte sich nicht auf die Bitte, dem Betroffenen (nur) die Gelegenheit einzuräumen, sich selbst und auf eigene Kosten eine anwaltliche Vertretung zu beschaffen. Es lagen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene über die finanziellen Möglichkeiten verfügte, ohne staatliche Unterstützung einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Dass er gegenüber dem Amtsgericht nicht ausdrücklich erklärt hat, kein Geld zu haben, steht, anders, als das Beschwerdegericht meint, der konkludenten Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht entgegen, da auch diese Erklärung in der Bitte um einen Anwalt konkludent enthalten ist. Schließlich spricht für eine dahingehende Auslegung der Erklärung - mittelbar - auch die Frage des Betroffenen unmittelbar nach Bekanntmachung der Haftanordnung , warum er keinen Anwalt erhalten habe. Über den Verfahrenskostenhilfeantrag hätte entschieden werden müssen.
6
b) Das Verfahren des Amtsgerichts wäre aber auch dann zu beanstanden , wenn die Frage nach einem Anwalt nur zum Ziel gehabt hätte, einen Wahlanwalt kontaktieren zu können. In diesem Fall hätte sich das Amtsgericht nicht auf den schlichten Hinweis an den Betroffenen, er können sich jederzeit anwaltlicher Hilfe bedienen, beschränken dürfen. Ebensowenig hätte es genügt, die Anhörung für 15 Minuten für eine Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt zu unterbrechen. Der in dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnde Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert dem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmäch- tigten seiner Wahl vertreten zu lassen und billigt ihm das Recht zu, diesen Bevollmächtigten zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; siehe auch BVerfG, StV 1994, 552 f.; NJW 1993, 2301 f. - jeweils zur mündlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren). Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur theoretisch Kontakt zu einem Wahlanwalt aufnehmen kann, sondern eine solche Kontaktaufnahme effektiv möglich ist. Aus dem Protokoll der Anhörung ist jedoch - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet - nicht ersichtlich, in welcher Weise der Betroffene einen Wahlanwalt hätte beauftragen können. Ein Telefonbuch oder eine Liste mit Rechtsanwälten lag ihm nicht vor. Sein Mobiltelefon sollte ihm erst nach Aufnahme in die Abschiebehafteinrichtung wieder ausgehändigt werden. Ein Angebot, von einem freien Fernsprecher im Gerichtsgebäude oder vom Richterzimmer aus zu telefonieren, ist ebenfalls nicht protokolliert.
7
c) Keinesfalls konnte das Amtsgericht nach der 15-minütigen Unterbrechung davon ausgehen, dass der Betroffene auf anwaltlichen Beistand verzichten wollte, wie das Beschwerdegericht annimmt. An einen solchen Verzicht sind strenge Anforderungen zu stellen, die hier nicht erfüllt sind. Auch nach der Unterbrechung der Anhörung stand die Bitte des Betroffenen um einen Anwalt im Raum. Sowohl zur Gewährung rechtlichen Gehörs als auch zur Wahrung eines fairen Verfahrens hätte das Amtsgericht zumindest bei dem Betroffenen nachfragen müssen, ob die Kontaktaufnahme zu einem Anwalt erfolgreich war und ob er weiter auf der Teilnahme eines Anwalts bestehe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Möglichkeit einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erörtert werden müssen.
8
2. Der Verfahrensfehler des Amtsgerichts führt hier jedoch nicht zur Rechtwidrigkeit der Haft, so dass sich die Entscheidung des Beschwerdegerichts aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 74 Abs. 2 FamFG).
9
a) Grundsätzlich kommt die Aufhebung der Haftanordnung oder (nach Erledigung) die Feststellung der Rechtswidrigkeit wegen eines Verfahrensfehlers nur in Betracht, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Grund hierfür ist, dass gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Rechtsbeschwerde nur darauf gestützt werden kann, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht. Dies erfordert , wenn - wie hier - kein Fall eines absoluten Beschwerdegrundes i.S.d. § 72 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 547 ZPO vorliegt, entsprechende Darlegungen in der Rechtsbeschwerde zur Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung. Hieran fehlt es. Dass der Betroffene bei der von ihm gewünschten anwaltlichen Vertretung während der Anhörung tatsächliche oder rechtliche Umstände mit der Folge vorgebracht hätte, dass die Haftanordnung nicht ergangen oder von dem Beschwerdegericht aufgehoben worden wäre, ergibt sich aus der Begründung der Rechtsbeschwerde nicht.
10
b) Da gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden kann, kommt es auf die Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers allerdings nicht an, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift eine Voraussetzung für den Erlass der freiheitsentziehenden Maßnahme darstellt. Dies ist bei der erstinstanzlich gebotenen Anhörung des Betroffenen (§ 420 Abs.1 FamFG) der Fall. Fehlt sie, führt dies ohne Rücksicht auf die inhaltliche Richtigkeit der Haftanordnung zu deren Rechtswidrigkeit. Rechtlich gleich zu behandeln ist der Fall, dass eine Anhörung zwar stattgefunden hat, hierbei dem Gericht jedoch ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, der die Grundlagen der Anhörung betrifft und ihr den Charakter einer „Nichtanhörung“ verleiht (vgl. näher Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, juris Rn. 26). Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. September 2013 (Rs. C-383/13 - PPU - G. and R., ECLI:EU:C:2013:533 Rn. 44 f.) ändert an dieser Unterscheidung nichts, weil der deutsche Gesetzgeber unionsrechtlich nicht gehindert ist, die persönliche Anhörung des Betroffenen als eine Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft einzuführen (Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, juris Rn. 25).
11
c) Der Verfahrensfehler des Amtsgerichts hat aber nicht ein solches Ge- wicht, dass die Anhörung als „Nichtanhörung“ zu qualifizieren wäre.
12
aa) Dies gilt zunächst für den Fall, dass die Frage des Betroffenen nach einem Anwalt naheliegend als konkludenter Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (§ 76 Abs. 1 FamFG) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu verstehen wäre und das Amtsgericht deshalb verfahrenswidrig über einen solchen Antrag nicht entschieden hat.
13
(1) Nach der Rechtsprechung des Senats ist einem unbemittelten Betroffenen , dem nach § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist, in der Regel auch ein Rechtsanwalt nach § 78 Abs. 2 FamFG beizuordnen. Hat das Gericht dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe bewilligt, den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts jedoch rechtsfehlerhaft abgelehnt und die Anhörung des Betroffenen ohne Beisein eines Rechtsanwalts durchgeführt, drückt eine solche Anhörung der Anordnung oder der Fortsetzung der Haft den Makel der Grundrechtsverletzung (Art. 104 Abs. 1 GG) auf (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 12. September 2013 - V ZB 121/12, InfAuslR 2014, 6 Rn. 11).
14
(2) Hier hätte das Amtsgericht jedoch bereits den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückweisen müssen, so dass die Anwesenheit eines Anwalts während der Anhörung nicht geboten war.
15
(a) Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO setzt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus , dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Da das Prozesskostenhilfe - bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht zwar die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte (vgl. nur BVerfG, NJW 2013, 1148, 1150; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZB 624/12, NJW 2013, 2198 Rn. 8 mwN). Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen.
16
(b) Vorliegend bot die Rechtsverteidigung des Betroffenen aber keine Aussicht auf Erfolg, weil sämtliche Voraussetzungen für die Haftanordnung vorlagen und sich auch keine zweifelhaften Rechts- oder Tatsachenfragen stellten, die unter dem Gesichtspunkt der in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auch ohne Vorliegen von Erfolgsaussicht im engeren Sinne gebieten würde.
17
(c) Aus Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) ergibt sich kein weitergehendes Recht des Betroffenen auf Beiordnung eines Rechtsanwalts auch ohne Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung. Nach ihrem Wortlaut wird die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nur für den Fall „einer gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnung“ gefordert, nicht jedoch bereits für die Verteidigung gegen einen von der Behörde gestellten Haftantrag. Unabhängig davon entspricht die derzeitige Regelung der Verfahrenskostenhilfe den Vorgaben des Art. 9 Abs. 6 bis 8 der Richtlinie. Gemäß Art. 9 Abs. 8 b) der Richtlinie können die Mitgliedsstaaten nämlich vorsehen, dass Antragstellern hinsichtlich der Gebühren und anderen Kosten keine günstigere Behandlung zuteil wird, als sie den eigenen Staatsangehörigen in Fragen der Rechtsberatung im Allgemeinen gewährt wird. So verhält es sich bei den Vorschriften der § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 ZPO; sie setzen eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung voraus und gelten in gleicher Weise für deutsche und ausländische Staatsangehörige.
18
Der Senat ist nicht verpflichtet, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV vorzulegen, da die zitierten Vorschriften der Richtlinie in dem hier interessierenden Zusammenhang klar und eindeutig sind. Bei solchen Vorschriften besteht eine unionsrechtliche Pflicht zur Vorlage nicht (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 - C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rn. 16).
19
bb) Die Grundlagen der gemäß § 420 Abs. 1 FamFG vorgeschriebenen Anhörung sind auch dann nicht berührt, wenn die Frage des Betroffenen nach einem Anwalt als Bitte zu verstehen gewesen wäre, ihm die Kontaktaufnahme mit einem Wahlanwalt zu ermöglichen.

20
(1) Allerdings weist die Rechtsbeschwerde im Ausganspunkt zu Recht darauf hin, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens einem Betroffenen garantiert , sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und ihm das Recht zubilligt, diesen Bevollmächtigten zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; siehe auch BVerfG, StV 1994, 552 f.; NJW 1993, 2301 f.; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, NJW 2001, 2533, 2534 - jeweils zur mündlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, indem es etwa einen Verlegungsantrag des Bevollmächtigten nicht berücksichtigt , kann dies nach der Rechtsprechung des Senats zur Rechtswidrigkeit der Haft führen (Senat, aaO, Rn. 12).
21
(2) Hier lässt sich jedoch bereits nicht feststellen, dass der Betroffene in der Lage gewesen wäre, einen Wahlanwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an der Anhörung teilzunehmen, wenn das Amtsgericht ihm ein Telefonbuch oder eine Liste mit Rechtsanwälten zur Verfügung gestellt hätte und ihn hätte telefonieren lassen. Dass er bereits im Zeitpunkt der Anhörung anwaltlich vertreten war, wird in der Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Ebensowenig wird dargelegt, ob der Betroffene über die finanziellen Mittel verfügte, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen. Hiergegen spricht der im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, der eine Bedürftigkeit des Betroffenen voraussetzt. Da schließlich der Betroffene keinen Rechtsanwalt benennt, der zu seiner unentgeltlichen Vertretung bereit gewesen wäre, kann nicht angenommen werden, dass das Amtsgericht durch seine Verfahrensweise die Teilnahme eines Rechtsanwalts an der Anhörung vereitelt hat.
22
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Kazele
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
AG Borken, Entscheidung vom 30.07.2015 - 29 XIV (B) 15/15 -
LG Münster, Entscheidung vom 21.09.2015 - 5 T 558/15 -

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders. In einem höheren Rechtszug ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat.

(2) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen umfasst alle Vollstreckungshandlungen im Bezirk des Vollstreckungsgerichts einschließlich des Verfahrens auf Abgabe der Vermögensauskunft und der eidesstattlichen Versicherung.

Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Geschäftswert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden bei einer Rechtsbeschwerde innerhalb der Frist für die Begründung Anträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Wert ist durch den Geschäftswert des ersten Rechtszugs begrenzt. Dies gilt nicht, soweit der Gegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist Gegenstandswert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.