Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. Okt. 2016 - 7 Sa 76/16

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2016:1020.7SA76.16.0A
bei uns veröffentlicht am20.10.2016

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 27. Januar 2016, Az. 4 Ca 644/15, wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt noch über Annahmeverzugsvergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013.

2

Die 1956 geborene, verheiratete und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtige Klägerin war seit dem Jahr 2001 bei Y. Z., Inhaber der Firma Y. Z. e. K. (im Folgenden: Insolvenzschuldner) als Filialleiterin beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.344,80 € (nach Angaben des Beklagten 2.392,00 €) in Teilzeit. Sie hat einen Grad der Behinderung von 40 und ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Dem Arbeitsverhältnis lagen ein Anstellungsvertrag aus dem Jahr 2001 (Bl. 161 d. A.), die Checkliste für Neueinstellungen vom 21. Juni 2001 (Bl. 98 f. d. A.) sowie die Betriebs- und Hausordnung (Bl. 100 ff. d. A.) zugrunde.

3

Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Ulm - Insolvenzgericht - vom 28. März 2012 (Bl. 194 f. d. A.) das Insolvenzverfahren eröffnet und der hiesige Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

4

Unter dem 28. Juni 2012 vereinbarten der Beklagte als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma Y. Z. e. K. und der Wirtschaftsprüfer W. S. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma Z. QX GmbH und der Gesamtbetriebsrat der Firma Y. Z. e. K. sowie der Firma Z. QX GmbH einen Interessenausgleich gemäß §§ 111 ff. BetrVG und § 125 InsO vom 28. Juni 2012 (im Folgenden: Interessenausgleich).

5

In "§ 4 Maßnahmen zur Umsetzung" des Interessenausgleichs heißt es unter Ziffer "2. Freistellungen und Kündigungen":

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"Nachdem der Insolvenzverwalter derzeit nicht in der Lage ist, die Auslauflöhne zu bezahlen, werden die Mitarbeiter, die nicht zur Abwicklung des Unternehmens erforderlich sind, freigestellt. (…)

7

Das Arbeitsentgelt für die Kündigungsfrist ist eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Absatz 1 Ziffer 2 InsO) und gelangt zur Auszahlung, soweit noch hinreichend Masse vorhanden ist (von der Agentur für Arbeit gewährte Leistungen werden in Abzug gebracht).

8

Die Insolvenzverwalter verzichten auf die Einrede von tariflichen Ausschluss- und Verjährungsfristen."

9

"§ 6 Ausschlussklauseln, Verjährungsfristen"lautet:

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"Die Insolvenzverwalter verzichten auf die Einrede von tariflichen beziehungsweise einzelvertraglichen Ausschlussfristen, sowie auf die gesetzlichen Verjährungsfristen, auch für Ansprüche der Arbeitnehmer, die aus rückständigen Vergütungs- sowie Urlaubsansprüchen der Arbeitnehmer vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens resultieren."

11

Seit der Einstellung des Geschäftsbetriebs zum 30. Juni 2012 war die Klägerin von ihrer Arbeitsleistung durch den Beklagten freigestellt.

12

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin erstmals mit Datum vom 6. August 2012 mit Zustimmung des Integrationsamtes zum Ablauf des 30. November 2012. Das Arbeitsgericht Trier gab der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage der Klägerin durch Urteil vom 7. März 2013 statt (Az. 4 Ca 1223/12). Das Urteil wurde dem Beklagten am 28. März 2013 zugestellt. Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt.

13

Mit Schreiben vom 31. August 2012 zeigte der Insolvenzverwalter beim Amtsgericht Ulm - Insolvenzgericht - drohende Masseunzulänglichkeit an. Dies wurde durch das Amtsgericht Ulm mit Beschluss vom 3. September 2012 (Bl. 96 f. d. A.) bekannt gemacht.

14

Der Beklagte sprach am 28. August 2013 zum 30. November 2013 eine erneute Kündigung aus. Auch gegen diese erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Der Rechtsstreit wurde durch gerichtlichen Vergleich vom 6. April 2014 dahingehend beendet, dass das Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 30. November 2013 geendet hat.

15

Die Klägerin bezog in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2013 Arbeitslosengeld I in Höhe von monatlich 1.246,80 € (Leistungsnachweis der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit L. vom 4. März 2014, Bl. 37 d. A.).

16

Mit der vorliegenden Klage vom 21. Mai 2015, dem Beklagten zugestellt am 8. Juni 2016, verfolgte die Klägerin Annahmeverzugsvergütungsansprüche zunächst für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis zum 30. November 2013, zuletzt für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013.

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Die Klägerin ist der Ansicht,
für die Zeit nach dem erstmöglichen Kündigungstermin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit stehe ihr Annahmeverzugsvergütung zu. Der Insolvenzverwalter habe es versäumt, hier erneut zu kündigen. Deswegen sei eine Neumasseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO entstanden. Dies gelte auch dann, wenn eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung erfolgt sei. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der Kündigungsfrist im Insolvenzverfahren nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit frühestens zum 30. November 2012 kündigen können. Der Ausspruch einer unwirksamen Kündigung stehe der Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht entgegen. Die Entscheidung des LAG München vom 21. Juli 2005, Az. 4 Sa 243/05, betreffe lediglich die Frage der Pflichtwidrigkeit des Handelns des Insolvenzverwalters unter dem Gesichtspunkt der Schadensersatzpflicht nach § 61 S. 1 InsO.

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Ihre Annahmeverzugsvergütungsansprüche für die Zeit nach dem ersten Termin, an dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit habe kündigen können, gälten als Masseverbindlichkeiten im Sinn des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt werde.

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Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an sie 23.448,-€ brutto abzüglich der auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche in Höhe von 12.468,-€ netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 8. Juni 2015 zu zahlen.

21

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat vorgetragen,
der Insolvenzverwalter habe nach erfolgter Masseunzulänglichkeitsanzeige nicht unmittelbar erneut kündigen müssen. Vielmehr habe er davon ausgehen dürfen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 6. August 2012 zum 30. November 2012 sein Ende finden würde. Mit Zustellung der Klage am 5. September 2012 habe er davon Kenntnis erlangt, dass die Klägerin gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben habe. Zwar sei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 7. März 2013 keine Berufung eingelegt worden, die Meinung des Arbeitsgerichts, eine wirksame Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG liege nicht vor, sei jedoch grob falsch. Es könne dahingestellt bleiben, inwieweit ein wirksamer Gesamtbetriebsrat zwischen den beiden Firmen Z. QX GmbH und Y. Z. e. K. gewählt worden sei, jedoch habe bei Y. Z. e. K. zumindest ein wirksamer Betriebsrat und damit auch ein wirksam begründeter Gesamtbetriebsrat bestanden. Wäre dieser nicht gebildet, so wäre dennoch keine Anhörung des Einzelbetriebsrats für die Massenentlassung geboten gewesen, da sich die einzelnen Betriebe teilweise über verschiedene Arbeitsamtsbezirke erstreckten. Er habe deshalb von keiner evidenten Unwirksamkeit der Kündigung ausgehen können. Daher sei er nach den Ausführungen des LAG München in seinem Urteil vom 21. Juli 2005, Az. 4 Sa 243/05, nicht verpflichtet gewesen, vorsorglich nachzukündigen. Das LAG München habe diese Rechtsprechung auch nicht nur im Zusammenhang einer persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters ausgesprochen.

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Zudem seien Vergütungsansprüche eines Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 8. Mai 2014 – 6 AZR 246/12) nur dann als Neumasseverbindlichkeiten einzustufen, wenn der Insolvenzverwalter auch eine Arbeitsleistung für die Masse habe entgegennehmen können. Die Klägerin sei jedoch unstreitig seit dem 1. Juli 2012 unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt gewesen.

25

Das Arbeitsgericht Trier hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 23.448,00 € brutto abzüglich der auf die Bundesagentur übergegangenen Ansprüche in Höhe von 12.468,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Juni 2015 zu zahlen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Klage sei zulässig. Die Klägerin berufe sich auf eine Neumasseverbindlichkeit. Die Klage habe auch in der Sache Erfolg. Es handele sich bei den streitgegenständlichen Beträgen um Neumasseverbindlichkeiten im Sinn des § 209 Abs. 2 InsO. Die geltend gemachte Forderung sei eine Verbindlichkeit aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit habe kündigen können. Der Insolvenzverwalter habe frühestmöglich nach Masseunzulänglichkeitsanzeige nach Anhörung des Betriebsrats und Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zum 31. Januar 2013 kündigen können. Hierbei komme es nicht darauf an, dass der Insolvenzverwalter bereits zuvor eine Kündigung, bezüglich derer das Kündigungsschutzverfahren noch anhängig gewesen sei, ausgesprochen habe. Dies sei vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit geschehen. Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit lege das Gesetz in § 209 Abs. 2 InsO jedoch dem Insolvenzverwalter die Entscheidung auf, ob er das Dauerschuldverhältnis weiter bestehen lassen oder kündigen möchte. Tue er letzteres nicht, so ordne § 209 Abs. 2 InsO eine bevorzugte Gläubigerstellung an. Die seitens des Beklagten zitierte Rechtsprechung des LAG München sei im Hinblick auf die Rechtsfragen nicht deckungsgleich mit dem Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits. Das LAG München habe sich insbesondere mit der Haftung des Insolvenzverwalters befasst.

26

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Trier (Bl. 47 ff. d. A.) Bezug genommen.

27

Das genannte Urteil ist dem Beklagten am 12. Februar 2016 zugestellt worden. Der Beklagte hat hiergegen mit einem am 1. März 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit am 10. Mai 2016 beim Landesarbeitsgericht innerhalb der durch Beschluss vom 11. April 2016 bis zum 12. Mai 2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangenem Schriftsatz vom 9. Mai 2016 begründet.

28

Zur Begründung der Berufung macht der Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie der Schriftsätze vom 18. Oktober 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 72 ff., 136 ff., 148 d. A.), zusammengefasst geltend,
bei den Forderungen der Klägerin ab dem 1. Februar 2013 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30. November 2013 handele es sich nicht um Neumasseverbindlichkeiten. Das Arbeitsgericht setze sich mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2014 nur dahingehend auseinander, dass, soweit im Streit stehe, ob es sich um eine Neumasseverbindlichkeit oder keine handele, dies im Wege der Leistungsklage verfolgt werden könne. Insbesondere setze sich das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung nicht mit der Frage auseinander, inwieweit es hierbei nur die Entstehung von Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Verbindung mit § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO habe sehen wollen, oder ob diese Grundsätze auch für freigestellte Mitarbeiter des Insolvenzverwalters gälten.

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Die Entscheidung des LAG München beziehe sich auf zwingend deckungsgleiche Rechtsfragen, wie sie auch hier vorlägen. Dieses Urteil sei auch dann anzuwenden, wenn es um die Frage gehe, inwieweit überhaupt Neumasseverbindlichkeiten entstünden. Das Arbeitsgericht setze sich nicht mit der Frage auseinander, inwieweit ein evidenter Grund vorgelegen habe, der zur Rechtsunwirksamkeit der vor Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit geführt habe. Die vom Arbeitsgericht bezüglich der Kündigung vom 6. August 2012 aufgeführten Gründe seien nicht tragend und führten insbesondere auch nicht zu einer evident unwirksamen Kündigung. Das erstinstanzliche Urteil stehe zumindest im Widerspruch zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31. März 2004, das ausdrücklich auch eine Kündigung als ausreichend gelten lasse, die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit ausgesprochen worden sei.

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Die Ansprüche der Klägerin seien aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Geltendmachung gemäß § 16 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel Rheinland-Pfalz (im Folgenden: MTV) verfallen. Das Arbeitsverhältnis unterliege den tarifvertraglichen Bestimmungen des Einzelhandels in Rheinland-Pfalz. Dies ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag, einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vom 21. Juni 2016 („Checkliste für Neueinstellungen“) sowie der Betriebs- und Hausordnung. Im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien zum Ablauf des 30. November 2013 habe die Ausschlussfrist am 7. März 2014 zu laufen begonnen. Die Klägerin habe daher ihre Lohnforderungen spätestens am 7. September 2014 gegenüber dem Beklagten schriftlich geltend machen müssen.

31

Soweit das Landesarbeitsgericht die Klage nicht allein aufgrund der Versäumung der Ausschlussfristen zurückweise und die Berufung zurückweise, da nach Meinung des Landesarbeitsgerichts das Urteil des Landesarbeitsgerichts München nicht anwendbar sei, sei die Revision zuzulassen.

32

Der Beklagte beantragt,

33

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 27. Januar 2016, Az. 4 Ca 644/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

34

Die Klägerin beantragt,

35

die Berufung zurückzuweisen.

36

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 30. Juni 2016, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 121 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.

37

Bei den Annahmeverzugsvergütungsansprüchen der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013 handele es sich um Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 S. 2 InsO. Solche Neumasseverbindlichkeiten stellten auch Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis dar für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit habe kündigen können. Für die Frage der frühesten Kündigungsmöglichkeit sei allein die objektive Lage entscheidend. Der Beklagte sei nach der maßgeblichen objektiven Lage auch nicht gehindert gewesen, nach dem 31. August 2012 erneut eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auszusprechen und hierfür alle formellen Voraussetzungen herbeizuführen. Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter durch sein Handeln habe verhindern können, gälten als Neumasseverbindlichkeiten. Diesem Ergebnis stehe auch die Rechtsprechung des LAG München im Urteil vom 21. Juli 2005 nicht entgegen. Diese Entscheidung betreffe die Frage der Pflichtwidrigkeit des Handelns des Insolvenzverwalters im Rahmen einer eventuellen Schadensersatzpflicht nach § 61 Abs. 1 InsO, die zu trennen sei von der Frage, ob es sich bei Annahmeverzugsvergütungsansprüchen um Neumasseverbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 2 S. 2 InsO handele.

38

Ihre Ansprüche seien auch nicht aufgrund einer geltenden Ausschlussfrist verfallen. Im Interessenausgleich vom 28. Juni 2012 habe der Beklagte auf die Einrede von tariflichen Ausschluss- und Verjährungsfristen verzichtet.

39

Der Beklagte erwidert,
soweit sich die Klägerin darauf berufe, dass Ausschluss- und Verjährungsfristen keine Anwendung fänden, möge sich die Klägerin entscheiden, ob sie sich der Meinung des Arbeitsgerichts Trier anschließe, das den Interessenausgleich für unwirksam ansehe, da kein Gesamtbetriebsrat für QX und YZ habe gebildet werden können, oder ob sie die Meinung vertrete, dass zumindest für YZ ein wirksamer Gesamtbetriebsrat gebildet worden sei, so dass zumindest insoweit ein wirksamer Interessenausgleich und somit auch ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren vorliege. Folge man der Ansicht des Arbeitsgerichts Trier, liege kein wirksamer Interessenausgleich vor, so dass die Ausschlussfristen Anwendung fänden, soweit solche wirksam vereinbart worden seien.

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Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 20. Oktober 2016 (Bl. 163 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

41

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

42

In der Sache hatte die Berufung des Beklagten keinen Erfolg.

I.

43

Die Klage ist hinsichtlich der von der Klägerin als Neumasseverbindlichkeiten geltend gemachten Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013 zulässig. Das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO gilt nur für Altmassegläubiger im Sinn des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Verbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 InsO sind grundsätzlich auch nach der Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter mit einer Leistungsklage zu verfolgen (BAG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 6 AZR 246/12 - AP InsO § 209 Nr. 6 Rz. 13; vom 30. Mai 2006 - 1 AZR 25/05 - NZA 2006, 1122; vom 31. März 2004 - 10 AZR 254/03 - BeckRS 2004, 30801897; vom 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02 - NZI 2003, 619, 620, jeweils m. w. N.). Den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Wege der Feststellungsklage verfolgen können, hat der Beklagte nicht erhoben.

II.

44

Die Klage ist auch begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei den Annahmeverzugsvergütungsansprüchen der Klägerin in der geltend gemachten Höhe für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013 um Neumasseverbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 InsO handelt. Sie sind auch nicht gemäß § 16 MTV verfallen.

45

1. Die vom Beklagten vor Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit ausgesprochene Kündigung vom 6. August 2012 hat das Arbeitsgericht Trier für unwirksam erklärt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Vergleichs erst mit Ablauf des 30. November 2013. Die Klägerin kann daher für den streitgegenständlichen Zeitraum Annahmeverzugsvergütung in unstreitiger Höhe abzüglich des von ihr bezogenen Arbeitslosengeldes gemäß §§ 611, 615 BGB beanspruchen.

46

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei den Annahmeverzugsvergütungsansprüchen der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013 um Neumasseverbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO handelt. Diese Ansprüche stammen aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, an dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Sie gelten daher als Masseverbindlichkeiten im Sinn des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und sind so zu behandeln, als wären sie nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer wie die Klägerin von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt wird.

47

a) Der Beklagte hat am 31. August 2012 dem Insolvenzgericht die drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt. Dies wurde vom Insolvenzgericht durch Beschluss vom 3. September 2012 bekannt gemacht. Sobald Masseunzulänglichkeit droht oder eintritt, hat der Insolvenzverwalter zwei Möglichkeiten: Benötigt er ein Arbeitsverhältnis für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr, hat er das Dauerschuldverhältnis unverzüglich zu kündigen, wenn er sich nicht schadensersatzpflichtig nach § 61 InsO machen will. Benötigt er den Arbeitnehmer jedoch noch, um die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens fortzuführen, wird er so behandelt, als hätte er eine neue Masseverbindlichkeit erst begründet, denn es stand in seiner Macht, den Eintritt dieser Verbindlichkeit durch rechtzeitige Kündigung zu verhindern. Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ("konnte") ergibt, ist für die Frage der frühesten Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend. Gemeint ist nicht ein tatsächliches, sondern ein rechtliches Können. Der Insolvenzverwalter hat zunächst die (formellen) Voraussetzungen, die anderenfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätten, wie die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG oder die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gemäß § 85 SGB IX, herbeizuführen (BAG, Urteil vom 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - NZA 2006, 162, 165 Rz. 31 m. w. N.; vom 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02 - NZI 2003, 619, 621).

48

Im vorliegenden Fall hätte der Beklagte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 31. August 2012 die Kündigung - wie das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung ausgeführt hat - spätestens zum 31. Januar 2013 nach Anhörung des Integrationsamtes (§§ 85, 88 Abs. 1, Abs. 5, 89 Abs. 1 SGB IX und zeitgleicher Anhörung des Betriebsrats sowie unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist gemäß § 113 S. 2 InsO (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02 - NZI 2003, 619, 621) wirksam aussprechen können.

49

b) Dabei ist unerheblich, dass der Insolvenzverwalter bereits vor der Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 6. August 2012 gekündigt hatte, weil diese Kündigung nach dem rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 7. März 2013 unwirksam war. Der Ausspruch einer unwirksamen Kündigung steht der Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO auch dann nicht entgegen, wenn bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit über die Wirksamkeit dieser Kündigung noch nicht arbeitsgerichtlich entschieden war (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Juni 2014 - 2 Sa 24/14 - BeckRS 2014, 73109 m. w. N.).

50

Dies ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift, nach dem es sich um eine Kündigung des Insolvenzverwalters nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit handeln muss und der damit bei der Rangordnung von Forderungen im Insolvenzverfahren eine Zäsur durch die Anzeige der Massearmut setzt.

51

Das folgt auch aus dem Zweck der in § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO getroffenen Differenzierung, der dahingeht, Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen dann wie vom Insolvenzverwalter neu begründete Verbindlichkeiten zu behandeln, wenn der Insolvenzverwalter die Möglichkeit hatte, ihre Entstehung durch Kündigung des Dauerschuldverhältnisses zu verhindern. Entscheidend ist, ob der Insolvenzverwalter für die Begründung der Verbindlichkeit verantwortlich ist. So genannte oktroyierte, aufgezwungene Verbindlichkeiten werden als Altmasseverbindlichkeiten behandelt. Verbindlichkeiten, deren Entstehung der Insolvenzverwalter verhindern konnte, gelten als Neumasseverbindlichkeiten. Der Beklagte war nach der maßgeblichen objektiven Lage rechtlich nicht gehindert, nach der am 31 August 2012 erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit alle formellen Voraussetzungen zum Ausspruch einer wirksamen Kündigung herbeizuführen, so dass er das Arbeitsverhältnis im Laufe des Monats Oktober 2012 zum 31. Januar 2013 hätte kündigen können. Diese Möglichkeit nahm der Beklagte nicht wahr, so dass die Klägerin die Zahlung von Vergütung für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013 als Neumasseforderung verlangen kann.

52

Ob der Beklagte angenommen hat, bereits die früheren Kündigungen hätten das Arbeitsverhältnis beendet - woran angesichts des erstinstanzlichen Obsiegens der Klägerin zumindest Zweifel bestanden haben dürften - ist nicht entscheidungserheblich. Für die Frage, ob der Insolvenzverwalter Neumasseverbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO dadurch begründet hat, dass er ein Dauerschuldverhältnis nicht zum frühestmöglichen Termin gekündigt hat, kommt es auf den subjektiven Kenntnisstand nicht an. Grundsätzlich ist für die Frage der frühesten Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend (vgl. BAG, Urteil vom 31. März 2004 - 10 AZR 254/03 - BeckRS 2004, 30801897; Urteil vom 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02 - NZI 2003, 619).

53

c) Entgegen der Auffassung der Berufung ist unerheblich, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum von ihrer Arbeitsleistung freigestellt war. Die Ansprüche erhalten dadurch nicht den Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dies folgt insbesondere nicht aus § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO, der den Masseverbindlichkeiten im Sinn des Abs. 1 Nr. 2 auch diejenigen aus einem Dauerschuldverhältnis gleichstellt, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Eine Freistellung verhindert lediglich die Rechtsfolge des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO, nicht jedoch die des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO (BAG, Urteil vom 31. März 2004 - 10 AZR 254/03 - BeckRS 2004, 30801897). § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO rechtfertigt den Umkehrschluss, dass die bis zum ersten Kündigungstermin entstehenden Ansprüche aus einem Dauerschuldverhältnis Altmasseverbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO sind (vgl. BAG, Urteil vom 30. Mai 2006 - 1 AZR 25/05 - NZA 2006, 1122, 1123 Rn. 12; vom 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02 - NZI 2003, 619, 620, jeweils m. w. N.).

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Etwas anderes ergibt sich gerade nicht aus den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts vom 31. März 2004 (10 AZR 253/03 - NZA 2004, 1093, 1097 sowie 10 AZR 254/03 - BeckRS 2004, 30801897). Soweit das Bundesarbeitsgericht in diesen Entscheidungen ausführt, "hierdurch wären im Fall des Klägers nur die Ansprüche erfasst gewesen, die entstanden wären, wenn der Beklagte das Arbeitsverhältnis vor oder unverzüglich nach Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit gekündigt hätte", hat es sich konkret auf den Fall der dortigen Klägerin bezogen und keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt. Es bezieht es sich außerdem ausdrücklich auf Ansprüche für "die Zeit der Kündigungsfrist", nicht auf die - im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen - Ansprüche für die Zeit nach dem 1. Termin, zu dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit hätte kündigen können.

55

Auch aus der von dem Beklagten herangezogenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 (4 Sa 243/05 - BeckRS 2009, 68016) folgt nichts anderes (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Juli 2016 - 6 Sa 23/16 - juris; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Juni 2014 - 2 Sa 24/14 - BeckRS 2014, 73109). Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts München, dass ein Insolvenzverwalter nicht verpflichtet sei, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ein Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut zu kündigen, wenn zuvor bereits eine Kündigung ausgesprochen worden und diese nicht von vornherein als evident unwirksam anzusehen sei, betrifft die Frage der Pflichtwidrigkeit des Handelns des Insolvenzverwalters unter dem Gesichtspunkt einer Schadensersatzpflicht nach § 61 S. 1 InsO. Das LAG München geht davon aus, dass eine eventuelle Schadensersatzansprüche im Sinn des § 61 S. 1 InsO vermeidende Pflicht zur unverzüglichen Kündigung nicht mehr benötigter Dauerschuldverhältnisse nach Masseunzulänglichkeitsanzeige gemäß § 208 InsO durch den Insolvenzverwalter dann entfallen muss, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Anzeige gemäß § 208 InsO jedenfalls faktisch nicht mehr bestand, weil es bereits gekündigt war aus Gründen, die nachvollziehbar und zur Rechtfertigung der Kündigung grundsätzlich nicht ungeeignet waren. Letzteres schließt nach Auffassung des LAG München damit eine Pflichtwidrigkeit des Handelns des Insolvenzverwalters bei der Begründung von (Neu-)Masseverbindlichkeiten im Sinn des § 61 S. 1 InsO aus. Es betrifft hingegen nicht die Frage, ob es sich bei den streitgegenständlichen Annahmeverzugsvergütungsansprüchen um Neumasseverbindlichkeiten im Sinn von § 209 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt.

56

Vor diesem Hintergrund waren nur die Ansprüche der freigestellten Klägerin nach Ausspruch der bereits vor Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit erfolgten Kündigungen bis zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Kündigung im Sinn des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinn des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

57

Die Höhe der geltend gemachten Ansprüche ist zwischen den Parteien nicht streitig.

58

2. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht gemäß § 16 Ziffer 1 und 2 MTV verfallen. Nach § 16 Ziffer 2 in Verbindung mit Ziffer 1 Buchst. c MTV verfallen alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, sofern sie nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden.

59

Die Annahmeverzugsvergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013 sind solche "übrigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis". Nach § 9 Ziffer 1 S. 1 MTV sind die Vergütung und alle gleich bleibenden monatlichen Bezüge nachträglich am Ende des Monats auszubezahlen, für die sie zu leisten sind. Die streitgegenständlichen Annahmeverzugsvergütungsansprüche wären - die Anwendbarkeit der tariflichen Vorschriften unterstellt - bei ihrer erstmaligen Geltendmachung mit Zustellung der Klageschrift im vorliegenden Rechtsstreit an den Beklagten am 8. Juni 2016 bereits gemäß § 16 MTV verfallen gewesen.

60

Letztlich kann aber dahin stehen, ob die tariflichen Ausschlussfristen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden. Jedenfalls hat der Beklagte in § 2 Abs. 4 und § 6 des Interessenausgleichs auf die Einrede von tariflichen Ausschluss- und Verjährungsfristen gegenüber der Klägerin verzichtet.

61

Die Klägerin fällt in den räumlichen und persönlichen Geltungsbereich dieses Interessenausgleichs (§ 1), da sie am Tag der Insolvenzantragstellung mit dem Insolvenzschuldner in einem Arbeitsverhältnis stand.

62

Der von dem Beklagten erklärte Verzicht bezieht sich auf die Geltendmachung aller Vergütungsansprüche, sowohl aus der Zeit der Kündigungsfrist als auch aus der Zeit vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Er umfasst somit auch die Geltendmachung der im vorliegenden Verfahren streitigen Annahmeverzugsvergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2013.

63

Der vom Beklagten erklärte Verzicht ist auch nicht unwirksam. Eine solche Unwirksamkeit ergibt sich insbesondere nicht aus einer Unwirksamkeit des Interessenausgleichs. Der Beklagte selbst ist nicht der Rechtsauffassung, dass der Interessenausgleich wegen einer Unwirksamkeit der Bildung des Gesamtbetriebsrats unwirksam ist. Eine solche Unwirksamkeit folgt auch nicht aus dem Parteivortrag im vorliegenden Rechtsstreit. Auch findet sich der Verzicht des Beklagten zwar im Interessenausgleich, er ist nach Auffassung der Kammer jedoch nicht von dessen Wirksamkeit abhängig. Der Beklagte, der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma Z QX GmbH und der Gesamtbetriebsrat haben vielmehr in „§ 10 Salvatorische Klausel“ des Interessenausgleichs, dort in Abs. 1 und 3 deutlich gemacht, dass die Regelungen des Interessenausgleichs auch im Fall einer Teil-unwirksamkeit des Interessenausgleichs aufrecht erhalten werden sollen. Sinn und Zweck des Verzichts auf die Einhaltung von Ausschlussfristen gebieten ebenfalls, den Beklagten auch im Fall der Unzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss des Interessenausgleichs an seinem Verzicht festzuhalten. Dieser Verzicht soll die Abwicklung der zahlreichen betroffenen Arbeitsverhältnisse und des Insolvenzverfahrens erleichtern.

64

Die Klägerin ist schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt missbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) gehindert, sich auf den vom Beklagten erklärten Verzicht zu berufen, weil sie im Kündigungsschutzverfahren die Unwirksamkeit des Konsultationsverfahrens geltend gemacht hat und das Arbeitsgericht die Kündigung vom 6. August 2012 durch Urteil vom 7. März 2013 (Az. 4 Ca 1223/12) für unwirksam erklärt hat. Grundsätzlich steht es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16. Februar 2012 – 6 AZR 553/10 – NJW 2012, 2058, 2062 Rz. 53 m. w. N.) jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs frei, sein Verhalten oder seine Rechtsansicht zu ändern und sich damit in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten zu setzen. Ein solches Verhalten ist aber rechtsmissbräuchlich, wenn der Erklärende durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten unbewusst oder bewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und –normen immanente Inhaltsbegrenzung. Das Vertrauen des anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Teils, dass eine bestimmte Rechtslage gegeben sei, ist vor allem dann schutzwürdig, wenn er von dem anderen Teil in diesem Glauben bestärkt worden ist und im Hinblick darauf Dispositionen getroffen hat (BAG, Urteil vom 23. Februar 2005 – 4 AZR 139/04 – NZA 2005, 1193, 1196). In einem solchen Fall ist die Ausnutzung der durch das widersprüchliche Verhalten geschaffenen Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung unzulässig. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - NJW 2012, 2058, 2062 Rz. 53; vom 3. Juli 2009 - 2 AZR 327/02, jeweils m. w. N.). Auch nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 15. November 2012 - IX ZR 103/11 - NJW-RR 2013, 757, 759 Rz. 12 m. w. N.) kann eine Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen.

65

Das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens der Klägerin ergibt sich unter Zugrundelegung vorgenannter Grundsätze vorliegend nicht. Zweifelhaft ist bereits, ob das Berufen der Klägerin auf den Verzicht des Beklagten auf Ausschlussfristen in Widerspruch zu der im Kündigungsschutzverfahren von der Klägerin vertretenen Ansicht steht, das Konsultationsverfahren vor Kündigungsausspruch sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Insbesondere hat die Klägerin keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Aus dem Vortrag der Klägerin im Kündigungsschutzprozess konnte der Beklagte nicht den Schluss ziehen, dass diese sich nicht zu einem späteren Zeitpunkt auf seinen – im Interessenausgleich niedergelegten – Verzicht auf Ausschlussfristen beruft. Die Interessen des Beklagten sind auch nicht vorrangig schutzwürdig. Nicht die Klägerin hat die Rechtslage (Unwirksamkeit der Kündigung vom August 2012) geschaffen, sondern das Arbeitsgericht Trier hat die Unwirksamkeit der Kündigung im Verfahren 4 Ca 1223/12 durch Urteil festgestellt. Der Beklagte hat diese Entscheidung hingenommen und nicht das mögliche Rechtsmittel eingelegt.

C.

66

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt (vgl. hierzu ausführlich LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Juli 2016 – 6 Sa 23/16juris).

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

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§ 21a idF d. Art. 1 Nr. 51 G v. 23.7.2001 I 1852 dient der Umsetzung des Artikels 6 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim

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(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er 1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und wenig

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(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge: 1. die Kosten des Insolvenzverfahrens;2. die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Ma

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(1) Ist eine Betriebsänderung (§ 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so

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(1) Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, reicht die Insolvenzmasse jedoch nicht aus, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, so hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht anzuzeigen, daß Masseunzulänglichkeit vo

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Sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, ist die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 unzulässig.

Insolvenzordnung - InsO | § 61 Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten


Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wen

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(1) Ist eine Betriebsänderung (§ 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 des Kündigungsschutzgesetzes mit folgenden Maßgaben anzuwenden:

1.
es wird vermutet, daß die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist;
2.
die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.
Satz 1 gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.

(2) Der Interessenausgleich nach Absatz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 des Kündigungsschutzgesetzes.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er

1.
in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2.
in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
3.
in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlaßt werden.

(2) Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über

1.
die Gründe für die geplanten Entlassungen,
2.
die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
3.
die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
4.
den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
5.
die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
6.
die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.

(3) Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Die Anzeige muß Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriteren für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben. Er hat dem Arbeitgeber eine Abschrift der Stellungnahme zuzuleiten.

(3a) Die Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten nach den Absätzen 1 bis 3 gelten auch dann, wenn die Entscheidung über die Entlassungen von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wurde. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, daß das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen die notwendigen Auskünfte nicht übermittelt hat.

(4) Das Recht zur fristlosen Entlassung bleibt unberührt. Fristlose Entlassungen werden bei Berechnung der Mindestzahl der Entlassungen nach Absatz 1 nicht mitgerechnet.

(5) Als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift gelten nicht

1.
in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist,
2.
in Betrieben einer Personengesamtheit die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit berufenen Personen,
3.
Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 21. Dezember 2011 - 10 Sa 65/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der masseunzulänglichen Insolvenz über den insolvenzrechtlichen Rang von Vergütungsansprüchen für die Zeit nach Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Kläger gegenüber einer Arbeitsaufforderung des beklagten Insolvenzverwalters.

2

Der Kläger war bei der S GmbH & Co. KG (Schuldnerin) beschäftigt. Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss vom 29. April 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Das Verfahren ist seit seiner Eröffnung masseunzulänglich. Mit Beschluss vom 3. Juli 2012 wurde die Nachtragsverteilung hinsichtlich des streitbefangenen Anspruchs angeordnet. Am 27. August 2013 wurde das Insolvenzverfahren durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 211 Abs. 1 InsO eingestellt.

3

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers am 29. April 2009. Diese Kündigung wurde rechtskräftig für unwirksam erklärt. In dem über die Wirksamkeit einer weiteren (Änderungs-)Kündigung vom 27. Oktober 2009 geführten Prozess beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis durch Vergleich zum 30. April 2010. Die Aufforderung des Beklagten im Schreiben vom 28. Oktober 2009, unverzüglich Arbeitsleistungen zu geänderten Bedingungen zu erbringen, lehnte der Kläger mit Schreiben vom Folgetag ab. Er berief sich auf ein ihm wegen der seit dem 1. Mai 2009 nicht mehr gezahlten Vergütung zustehendes Zurückbehaltungsrecht. Darüber hinaus machte er die Vertragswidrigkeit der Arbeitsweisung geltend.

4

Die Parteien streiten nach einem Teilanerkenntnis des Beklagten nur noch darüber, ob Entgeltansprüche des Klägers für November 2009 bis April 2010 gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO den Rang einer Neumasseverbindlichkeit haben. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, durch die Arbeitsaufforderung habe der Beklagte die Arbeitsleistung für die Masse in Anspruch genommen. Dem stehe die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht entgegen. Auch bei Fortführung von Arbeitsverhältnissen komme es bei Urlaub und Krankheit zu Ausfallzeiten, in denen der Insolvenzverwalter die Arbeitskraft tatsächlich nicht nutzen könne, gleichwohl aber die Vergütung als Neumasseverbindlichkeit schulde.

5

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an ihn 19.804,68 Euro brutto abzüglich Arbeitslosengeld von 8.201,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe als Neumasseverbindlichkeit zu leisten.

6

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, aufgrund der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei der Insolvenzmasse kein Vorteil zugeflossen.

7

Die Vorinstanzen haben die Klage hinsichtlich des noch streitbefangenen Antrags abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet.

9

I. Der Beklagte ist weiter passiv legitimiert, obwohl das Insolvenzverfahren gemäß § 211 Abs. 1 InsO eingestellt worden ist.

10

1. Der Insolvenzbeschlag besteht im Umfang der angeordneten Nachtragsverteilung fort (vgl. BGH 17. Februar 2011 - IX ZB 268/08 - Rn. 12). Der Insolvenzverwalter bleibt insoweit prozessführungsbefugt (BGH 13. Dezember 2012 - III ZR 70/12 - Rn. 6; MünchKommInsO/Hintzen 3. Aufl. § 200 Rn. 40).

11

2. Die Nachtragsverteilung ist mit Beschluss vom 3. Juli 2012 wirksam angeordnet worden, obwohl sie bekannte Gegenstände aus der Zeit vor der Verfahrenseinstellung betrifft. Ungeachtet seines Wortlauts beschränkt § 211 Abs. 3 Satz 1 InsO die Anordnung der Nachtragsverteilung nicht auf Gegenstände, die erst nach Einstellung des Verfahrens ermittelt werden. Die Vorschrift verweist vielmehr auf sämtliche Fälle des § 203 Abs. 1 InsO und nicht nur auf § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Sie ist darum auch auf nach Verfahrenseinstellung zurückfließende oder im Hinblick auf einen anhängigen Rechtsstreit zunächst zurückbehaltene Beträge anwendbar. In den Fällen des § 203 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO besteht dasselbe praktische Bedürfnis für die Zulassung entsprechender Nachtragsverteilungen wie im Fall des nachträglichen Auffindens von Massegegenständen. Durch Anordnung von Nachtragsverteilungen kann verhindert werden, dass die Anhängigkeit von Prozessen über das Bestehen von Masseverbindlichkeiten oder von Anfechtungsprozessen die Einstellung des masseunzulänglichen Verfahrens um Jahre verzögert (vgl. BGH 16. Januar 2014 - IX ZB 122/12 - Rn. 5; 10. Oktober 2013 - IX ZB 40/13 - Rn. 8).

12

II. Für den zuletzt gestellten Antrag fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Gleichwohl kann der Senat in der Sache entscheiden.

13

1. Das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO gilt nur für Altmassegläubiger iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Verbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und § 209 Abs. 2 InsO sind daher grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Das gilt auch dann, wenn die materiell-rechtliche Prüfung ergibt, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen tatsächlich nicht um Neumasseverbindlichkeiten handelt (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 9, BAGE 120, 232). Den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Wege der Feststellungsklage verfolgen können (BAG 19. Juli 2007 - 6 AZR 1087/06 - Rn. 40, BAGE 123, 269), hat der Beklagte nicht erhoben. Der Feststellungsklage steht daher grundsätzlich der Vorrang der Leistungsklage entgegen.

14

2. Das Bestehen eines Feststellungsinteresses ist echte Prozessvoraussetzung jedoch nur für das stattgebende Urteil (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 13, BAGE 128, 73). Der Vorrang der Leistungsklage folgt aus dem Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. BAG 18. März 1997 - 9 AZR 84/96 - zu I 1 der Gründe, BAGE 85, 306). Deshalb ist das Revisionsgericht auch bei Fehlen des Feststellungsinteresses jedenfalls dann zu einer Sachentscheidung befugt, wenn gewichtige prozessökonomische Gründe gegen eine Prozessabweisung sprechen (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - aaO). Dies kann etwa dann anzunehmen sein, wenn auch eine in Betracht kommende Leistungsklage mangels Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs abzuweisen wäre (vgl. BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 295/04 - zu I 3 b der Gründe). Das ist hier der Fall.

15

III. Der Kläger hat keinen im Rang einer Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 InsO stehenden Anspruch auf Entgelt für November 2009 bis April 2010. Dies haben die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht festgestellt.

16

1. Die Vorinstanzen haben nicht geprüft, ob dem Kläger Ende Oktober 2009 überhaupt ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB wegen der rückständigen Vergütungsansprüche für die Zeit seit Mai 2009 zustand, sondern sind wie die Parteien stillschweigend von einem solchen ausgegangen. Dieser rechtliche Ansatzpunkt trifft so nicht zu.

17

a) Zwar kann ein Arbeitnehmer das Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB ausüben, wenn der Arbeitgeber den fälligen Vergütungsanspruch nicht erfüllt(BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 917/06 - Rn. 52). Er ist dann nicht mehr nach § 614 BGB zur Vorleistung verpflichtet. Er muss vielmehr erst dann (wieder) seine Arbeit leisten, wenn der Arbeitgeber die rückständige Gegenleistung erbringt, indem er das rückständige Entgelt zahlt. Solange der Arbeitnehmer sein Zurückbehaltungsrecht wirksam ausübt, endet der Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht. Das ergibt sich aus § 298 BGB, der für alle Fälle des Zurückbehaltungsrechts und damit auch für § 273 BGB gilt(BAG 26. September 2007 - 5 AZR 870/06 - Rn. 32 f., BAGE 124, 141; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 95 Rn. 57).

18

b) Die rückständigen Vergütungsansprüche, aus denen der Kläger ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB hergeleitet hat, wurden jedoch inzwischen - vom Kläger unbeanstandet - als Altmasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO abgewickelt. Altmasseverbindlichkeiten können aber kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB begründen.

19

aa) § 273 Abs. 1 BGB setzt einen wirksamen, mit der Klage erzwingbaren und fälligen Gegenanspruch voraus(vgl. BGH 25. Mai 1983 - IVa ZR 182/81 - zu IV 1 der Gründe, BGHZ 87, 309; Bamberger/Roth/Unberath BGB 3. Aufl. § 273 Rn. 14; Staudinger/Bittner (2009) BGB § 273 Rn. 32). § 210 InsO verbietet jedoch die Zwangsvollstreckung wegen einer Altmasseverbindlichkeit. Eine Leistungsklage gegen den Beklagten wegen Altmasseverbindlichkeiten wäre deshalb mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen (vgl. BAG 21. Januar 2010 - 6 AZR 785/08 - Rn. 10 mwN, BAGE 133, 136).

20

bb) Allerdings hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, die Altmasseverbindlichkeiten durch Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich feststellen zu lassen, sofern darüber Streit bestanden hätte. Diese Möglichkeit genügt jedoch ausgehend von den Zwecken des § 273 Abs. 1 BGB und des Insolvenzverfahrens nicht, um ein Zurückbehaltungsrecht zu begründen.

21

(1) § 273 BGB beruht auf dem Grundgedanken des § 242 BGB. Der Schuldner soll davor geschützt werden, gegenüber einem Gläubiger, der einen Anspruch ohne Rücksicht auf einen dem Schuldner zustehenden Gegenanspruch verfolgt und dadurch Treu und Glauben verletzt, seine Leistungspflicht einseitig erfüllen und dabei das Risiko eingehen zu müssen, die ihm zustehende Leistung nicht zu erhalten (vgl. BGH 26. September 2013 - VII ZR 2/13 - Rn. 33). Das Zurückbehaltungsrecht bezweckt damit letztlich die Sicherung des Anspruchs des Schuldners und bewirkt dies durch Ausüben mittelbaren Zwangs auf den Gläubiger (Bamberger/Roth/Unberath BGB 3. Aufl. § 273 Rn. 1). Der Beklagte handelte jedoch im Einklang mit den Bestimmungen der Insolvenzordnung, indem er die Erfüllung von Altmasseverbindlichkeiten verweigerte und den Kläger auf die letztrangige Befriedigung im Insolvenzverfahren verwies. § 273 Abs. 1 BGB greift daher nach seinem Zweck in einer solchen Konstellation nicht ein.

22

(2) Das Insolvenzverfahren ist vom Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung beherrscht. Mit diesem Grundgedanken des Insolvenzrechts steht es in unauflösbarem Widerspruch, wenn dem Arbeitnehmer als Altmassegläubiger mit dem Zurückbehaltungsrecht ein besonderes Zwangsmittel zur Durchsetzung der vom Insolvenzverwalter nicht erfüllten Altmasseverbindlichkeiten zur Seite stünde. Für eine solche Bevorzugung einzelner Gläubiger gibt es im Insolvenzrecht keine Rechtsgrundlage (vgl. bezogen auf das Rücktrittsrecht nach § 323 BGB BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 34; vgl. für Insolvenzforderungen BGH 13. Dezember 2012 - IX ZR 9/12 - Rn. 9).

23

2. Selbst wenn man zugunsten des Klägers annähme, dass er das von ihm in Anspruch genommene Zurückbehaltungsrecht auch auf einen Verstoß gegen das Direktionsrecht des Beklagten gestützt hätte, ihm deshalb bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Recht zugestanden hätte, seine Arbeitsleistung insgesamt zurückzuhalten (vgl. dazu Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 50 Rn. 8), und der Beklagte sich deshalb insoweit im Annahmeverzug befunden hätte, wären diese Ansprüche keine Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Der Beklagte hat die Arbeitsleistung des Klägers nicht zur Masse in Anspruch genommen.

24

a) Der Insolvenzverwalter nimmt die Gegenleistung des Arbeitnehmers iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO „in Anspruch“, wenn er diese nutzt, den Arbeitnehmer also zur Arbeit heranzieht. Gegenleistung ist die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeitsleistung(BAG 15. Juni 2004 - 9 AZR 431/03 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 111, 80). Nicht erforderlich ist, dass der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung auf der Grundlage eines erklärten eigenen Willensaktes in Anspruch genommen hat (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 20, BAGE 120, 232). Eine Privilegierung von Vergütungsansprüchen durch ihre Einordnung als Neumasseverbindlichkeiten rechtfertigt sich regelmäßig nur, wenn der Arbeitnehmer durch tatsächliche Arbeitsleistung zur Anreicherung der Masse beiträgt. Der Masse muss ein wirtschaftlicher Wert zufließen (BAG 15. Juni 2004 - 9 AZR 431/03 - zu II 4 d der Gründe, BAGE 111, 80). Das setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt ist (Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht in der Insolvenzordnung 4. Aufl. § 108 InsO Rn. 61).

25

b) Für die Entstehung von Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO reicht es nach diesen Maßstäben entgegen der Auffassung der Revision nicht aus, dass der Insolvenzverwalter den bisher freigestellten Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung auffordert. Neumasseverbindlichkeiten werden grundsätzlich nur begründet, wenn der Arbeitnehmer der Aufforderung nachkommt und so die Gegenleistung zur Masse gelangt. Nur in diesem Fall „nutzt“ der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und nur in diesem Fall sind die „darauf beruhenden Ansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis“, dh. auch das Entgelt für die sog. „unproduktiven“ Ausfallzeiten wie Feiertage und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, als Teil des Synallagmas Neumasseverbindlichkeiten (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 23, 25, BAGE 120, 232).

26

Ein Arbeitnehmer, der nicht arbeitet, erbringt keine Gegenleistung (für die Freistellung durch den Insolvenzverwalter BAG 15. Juni 2004 - 9 AZR 431/03 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 111, 80). Verhindert ein freigestellter Arbeitnehmer, der vom Insolvenzverwalter zur Arbeitsleistung aufgefordert wird, durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts, dass seine Arbeitskraft der Masse tatsächlich zugutekommt, fließt der Masse kein Gegenwert zu (ebenso MünchKommInsO/Hefermehl 3. Aufl. § 209 Rn. 33b unter Berufung auf die Vorinstanz).

27

c) Diese Abgrenzung von Alt- und Neumasseverbindlichkeiten entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte dem Arbeitnehmer, der seine Leistung voll zu erbringen hat und nicht vom Verwalter freigestellt worden ist, Anspruch auf volle Vergütung seiner Arbeitsleistung einräumen (BR-Drs. 1/92 S. 220). Daraus folgt, dass Vergütungsansprüche nur dann als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO privilegiert werden sollen, wenn die Arbeitsleistung der Masse tatsächlich zugutekommt(Ries/Berscheid ZInsO 2008, 1161, 1165). Fehlt es daran, sind die Vergütungsansprüche als Altmasseverbindlichkeiten zu klassifizieren. Etwas anderes gilt nur für die „unproduktiven“ Ausfallzeiten (s. dazu Rn. 25).

28

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Koch    

        

    Wollensak    

                 

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, ist die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 unzulässig.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 21. Dezember 2011 - 10 Sa 65/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der masseunzulänglichen Insolvenz über den insolvenzrechtlichen Rang von Vergütungsansprüchen für die Zeit nach Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Kläger gegenüber einer Arbeitsaufforderung des beklagten Insolvenzverwalters.

2

Der Kläger war bei der S GmbH & Co. KG (Schuldnerin) beschäftigt. Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss vom 29. April 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Das Verfahren ist seit seiner Eröffnung masseunzulänglich. Mit Beschluss vom 3. Juli 2012 wurde die Nachtragsverteilung hinsichtlich des streitbefangenen Anspruchs angeordnet. Am 27. August 2013 wurde das Insolvenzverfahren durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 211 Abs. 1 InsO eingestellt.

3

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers am 29. April 2009. Diese Kündigung wurde rechtskräftig für unwirksam erklärt. In dem über die Wirksamkeit einer weiteren (Änderungs-)Kündigung vom 27. Oktober 2009 geführten Prozess beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis durch Vergleich zum 30. April 2010. Die Aufforderung des Beklagten im Schreiben vom 28. Oktober 2009, unverzüglich Arbeitsleistungen zu geänderten Bedingungen zu erbringen, lehnte der Kläger mit Schreiben vom Folgetag ab. Er berief sich auf ein ihm wegen der seit dem 1. Mai 2009 nicht mehr gezahlten Vergütung zustehendes Zurückbehaltungsrecht. Darüber hinaus machte er die Vertragswidrigkeit der Arbeitsweisung geltend.

4

Die Parteien streiten nach einem Teilanerkenntnis des Beklagten nur noch darüber, ob Entgeltansprüche des Klägers für November 2009 bis April 2010 gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO den Rang einer Neumasseverbindlichkeit haben. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, durch die Arbeitsaufforderung habe der Beklagte die Arbeitsleistung für die Masse in Anspruch genommen. Dem stehe die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht entgegen. Auch bei Fortführung von Arbeitsverhältnissen komme es bei Urlaub und Krankheit zu Ausfallzeiten, in denen der Insolvenzverwalter die Arbeitskraft tatsächlich nicht nutzen könne, gleichwohl aber die Vergütung als Neumasseverbindlichkeit schulde.

5

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an ihn 19.804,68 Euro brutto abzüglich Arbeitslosengeld von 8.201,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe als Neumasseverbindlichkeit zu leisten.

6

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, aufgrund der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei der Insolvenzmasse kein Vorteil zugeflossen.

7

Die Vorinstanzen haben die Klage hinsichtlich des noch streitbefangenen Antrags abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet.

9

I. Der Beklagte ist weiter passiv legitimiert, obwohl das Insolvenzverfahren gemäß § 211 Abs. 1 InsO eingestellt worden ist.

10

1. Der Insolvenzbeschlag besteht im Umfang der angeordneten Nachtragsverteilung fort (vgl. BGH 17. Februar 2011 - IX ZB 268/08 - Rn. 12). Der Insolvenzverwalter bleibt insoweit prozessführungsbefugt (BGH 13. Dezember 2012 - III ZR 70/12 - Rn. 6; MünchKommInsO/Hintzen 3. Aufl. § 200 Rn. 40).

11

2. Die Nachtragsverteilung ist mit Beschluss vom 3. Juli 2012 wirksam angeordnet worden, obwohl sie bekannte Gegenstände aus der Zeit vor der Verfahrenseinstellung betrifft. Ungeachtet seines Wortlauts beschränkt § 211 Abs. 3 Satz 1 InsO die Anordnung der Nachtragsverteilung nicht auf Gegenstände, die erst nach Einstellung des Verfahrens ermittelt werden. Die Vorschrift verweist vielmehr auf sämtliche Fälle des § 203 Abs. 1 InsO und nicht nur auf § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Sie ist darum auch auf nach Verfahrenseinstellung zurückfließende oder im Hinblick auf einen anhängigen Rechtsstreit zunächst zurückbehaltene Beträge anwendbar. In den Fällen des § 203 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO besteht dasselbe praktische Bedürfnis für die Zulassung entsprechender Nachtragsverteilungen wie im Fall des nachträglichen Auffindens von Massegegenständen. Durch Anordnung von Nachtragsverteilungen kann verhindert werden, dass die Anhängigkeit von Prozessen über das Bestehen von Masseverbindlichkeiten oder von Anfechtungsprozessen die Einstellung des masseunzulänglichen Verfahrens um Jahre verzögert (vgl. BGH 16. Januar 2014 - IX ZB 122/12 - Rn. 5; 10. Oktober 2013 - IX ZB 40/13 - Rn. 8).

12

II. Für den zuletzt gestellten Antrag fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Gleichwohl kann der Senat in der Sache entscheiden.

13

1. Das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO gilt nur für Altmassegläubiger iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Verbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und § 209 Abs. 2 InsO sind daher grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Das gilt auch dann, wenn die materiell-rechtliche Prüfung ergibt, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen tatsächlich nicht um Neumasseverbindlichkeiten handelt (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 9, BAGE 120, 232). Den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Wege der Feststellungsklage verfolgen können (BAG 19. Juli 2007 - 6 AZR 1087/06 - Rn. 40, BAGE 123, 269), hat der Beklagte nicht erhoben. Der Feststellungsklage steht daher grundsätzlich der Vorrang der Leistungsklage entgegen.

14

2. Das Bestehen eines Feststellungsinteresses ist echte Prozessvoraussetzung jedoch nur für das stattgebende Urteil (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 13, BAGE 128, 73). Der Vorrang der Leistungsklage folgt aus dem Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. BAG 18. März 1997 - 9 AZR 84/96 - zu I 1 der Gründe, BAGE 85, 306). Deshalb ist das Revisionsgericht auch bei Fehlen des Feststellungsinteresses jedenfalls dann zu einer Sachentscheidung befugt, wenn gewichtige prozessökonomische Gründe gegen eine Prozessabweisung sprechen (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - aaO). Dies kann etwa dann anzunehmen sein, wenn auch eine in Betracht kommende Leistungsklage mangels Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs abzuweisen wäre (vgl. BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 295/04 - zu I 3 b der Gründe). Das ist hier der Fall.

15

III. Der Kläger hat keinen im Rang einer Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 InsO stehenden Anspruch auf Entgelt für November 2009 bis April 2010. Dies haben die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht festgestellt.

16

1. Die Vorinstanzen haben nicht geprüft, ob dem Kläger Ende Oktober 2009 überhaupt ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB wegen der rückständigen Vergütungsansprüche für die Zeit seit Mai 2009 zustand, sondern sind wie die Parteien stillschweigend von einem solchen ausgegangen. Dieser rechtliche Ansatzpunkt trifft so nicht zu.

17

a) Zwar kann ein Arbeitnehmer das Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB ausüben, wenn der Arbeitgeber den fälligen Vergütungsanspruch nicht erfüllt(BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 917/06 - Rn. 52). Er ist dann nicht mehr nach § 614 BGB zur Vorleistung verpflichtet. Er muss vielmehr erst dann (wieder) seine Arbeit leisten, wenn der Arbeitgeber die rückständige Gegenleistung erbringt, indem er das rückständige Entgelt zahlt. Solange der Arbeitnehmer sein Zurückbehaltungsrecht wirksam ausübt, endet der Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht. Das ergibt sich aus § 298 BGB, der für alle Fälle des Zurückbehaltungsrechts und damit auch für § 273 BGB gilt(BAG 26. September 2007 - 5 AZR 870/06 - Rn. 32 f., BAGE 124, 141; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 95 Rn. 57).

18

b) Die rückständigen Vergütungsansprüche, aus denen der Kläger ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB hergeleitet hat, wurden jedoch inzwischen - vom Kläger unbeanstandet - als Altmasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO abgewickelt. Altmasseverbindlichkeiten können aber kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB begründen.

19

aa) § 273 Abs. 1 BGB setzt einen wirksamen, mit der Klage erzwingbaren und fälligen Gegenanspruch voraus(vgl. BGH 25. Mai 1983 - IVa ZR 182/81 - zu IV 1 der Gründe, BGHZ 87, 309; Bamberger/Roth/Unberath BGB 3. Aufl. § 273 Rn. 14; Staudinger/Bittner (2009) BGB § 273 Rn. 32). § 210 InsO verbietet jedoch die Zwangsvollstreckung wegen einer Altmasseverbindlichkeit. Eine Leistungsklage gegen den Beklagten wegen Altmasseverbindlichkeiten wäre deshalb mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen (vgl. BAG 21. Januar 2010 - 6 AZR 785/08 - Rn. 10 mwN, BAGE 133, 136).

20

bb) Allerdings hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, die Altmasseverbindlichkeiten durch Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich feststellen zu lassen, sofern darüber Streit bestanden hätte. Diese Möglichkeit genügt jedoch ausgehend von den Zwecken des § 273 Abs. 1 BGB und des Insolvenzverfahrens nicht, um ein Zurückbehaltungsrecht zu begründen.

21

(1) § 273 BGB beruht auf dem Grundgedanken des § 242 BGB. Der Schuldner soll davor geschützt werden, gegenüber einem Gläubiger, der einen Anspruch ohne Rücksicht auf einen dem Schuldner zustehenden Gegenanspruch verfolgt und dadurch Treu und Glauben verletzt, seine Leistungspflicht einseitig erfüllen und dabei das Risiko eingehen zu müssen, die ihm zustehende Leistung nicht zu erhalten (vgl. BGH 26. September 2013 - VII ZR 2/13 - Rn. 33). Das Zurückbehaltungsrecht bezweckt damit letztlich die Sicherung des Anspruchs des Schuldners und bewirkt dies durch Ausüben mittelbaren Zwangs auf den Gläubiger (Bamberger/Roth/Unberath BGB 3. Aufl. § 273 Rn. 1). Der Beklagte handelte jedoch im Einklang mit den Bestimmungen der Insolvenzordnung, indem er die Erfüllung von Altmasseverbindlichkeiten verweigerte und den Kläger auf die letztrangige Befriedigung im Insolvenzverfahren verwies. § 273 Abs. 1 BGB greift daher nach seinem Zweck in einer solchen Konstellation nicht ein.

22

(2) Das Insolvenzverfahren ist vom Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung beherrscht. Mit diesem Grundgedanken des Insolvenzrechts steht es in unauflösbarem Widerspruch, wenn dem Arbeitnehmer als Altmassegläubiger mit dem Zurückbehaltungsrecht ein besonderes Zwangsmittel zur Durchsetzung der vom Insolvenzverwalter nicht erfüllten Altmasseverbindlichkeiten zur Seite stünde. Für eine solche Bevorzugung einzelner Gläubiger gibt es im Insolvenzrecht keine Rechtsgrundlage (vgl. bezogen auf das Rücktrittsrecht nach § 323 BGB BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 34; vgl. für Insolvenzforderungen BGH 13. Dezember 2012 - IX ZR 9/12 - Rn. 9).

23

2. Selbst wenn man zugunsten des Klägers annähme, dass er das von ihm in Anspruch genommene Zurückbehaltungsrecht auch auf einen Verstoß gegen das Direktionsrecht des Beklagten gestützt hätte, ihm deshalb bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Recht zugestanden hätte, seine Arbeitsleistung insgesamt zurückzuhalten (vgl. dazu Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 50 Rn. 8), und der Beklagte sich deshalb insoweit im Annahmeverzug befunden hätte, wären diese Ansprüche keine Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Der Beklagte hat die Arbeitsleistung des Klägers nicht zur Masse in Anspruch genommen.

24

a) Der Insolvenzverwalter nimmt die Gegenleistung des Arbeitnehmers iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO „in Anspruch“, wenn er diese nutzt, den Arbeitnehmer also zur Arbeit heranzieht. Gegenleistung ist die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeitsleistung(BAG 15. Juni 2004 - 9 AZR 431/03 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 111, 80). Nicht erforderlich ist, dass der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung auf der Grundlage eines erklärten eigenen Willensaktes in Anspruch genommen hat (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 20, BAGE 120, 232). Eine Privilegierung von Vergütungsansprüchen durch ihre Einordnung als Neumasseverbindlichkeiten rechtfertigt sich regelmäßig nur, wenn der Arbeitnehmer durch tatsächliche Arbeitsleistung zur Anreicherung der Masse beiträgt. Der Masse muss ein wirtschaftlicher Wert zufließen (BAG 15. Juni 2004 - 9 AZR 431/03 - zu II 4 d der Gründe, BAGE 111, 80). Das setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt ist (Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht in der Insolvenzordnung 4. Aufl. § 108 InsO Rn. 61).

25

b) Für die Entstehung von Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO reicht es nach diesen Maßstäben entgegen der Auffassung der Revision nicht aus, dass der Insolvenzverwalter den bisher freigestellten Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung auffordert. Neumasseverbindlichkeiten werden grundsätzlich nur begründet, wenn der Arbeitnehmer der Aufforderung nachkommt und so die Gegenleistung zur Masse gelangt. Nur in diesem Fall „nutzt“ der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und nur in diesem Fall sind die „darauf beruhenden Ansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis“, dh. auch das Entgelt für die sog. „unproduktiven“ Ausfallzeiten wie Feiertage und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, als Teil des Synallagmas Neumasseverbindlichkeiten (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 23, 25, BAGE 120, 232).

26

Ein Arbeitnehmer, der nicht arbeitet, erbringt keine Gegenleistung (für die Freistellung durch den Insolvenzverwalter BAG 15. Juni 2004 - 9 AZR 431/03 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 111, 80). Verhindert ein freigestellter Arbeitnehmer, der vom Insolvenzverwalter zur Arbeitsleistung aufgefordert wird, durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts, dass seine Arbeitskraft der Masse tatsächlich zugutekommt, fließt der Masse kein Gegenwert zu (ebenso MünchKommInsO/Hefermehl 3. Aufl. § 209 Rn. 33b unter Berufung auf die Vorinstanz).

27

c) Diese Abgrenzung von Alt- und Neumasseverbindlichkeiten entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte dem Arbeitnehmer, der seine Leistung voll zu erbringen hat und nicht vom Verwalter freigestellt worden ist, Anspruch auf volle Vergütung seiner Arbeitsleistung einräumen (BR-Drs. 1/92 S. 220). Daraus folgt, dass Vergütungsansprüche nur dann als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO privilegiert werden sollen, wenn die Arbeitsleistung der Masse tatsächlich zugutekommt(Ries/Berscheid ZInsO 2008, 1161, 1165). Fehlt es daran, sind die Vergütungsansprüche als Altmasseverbindlichkeiten zu klassifizieren. Etwas anderes gilt nur für die „unproduktiven“ Ausfallzeiten (s. dazu Rn. 25).

28

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Koch    

        

    Wollensak    

                 

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Die Bundesregierung berichtet den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einmal in der Legislaturperiode, mindestens jedoch alle vier Jahre, über die Lebenslagen der Menschen mit Behinderungen und der von Behinderung bedrohten Menschen sowie über die Entwicklung ihrer Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft. Die Berichterstattung zu den Lebenslagen umfasst Querschnittsthemen wie Gender Mainstreaming, Migration, Alter, Barrierefreiheit, Diskriminierung, Assistenzbedarf und Armut. Gegenstand des Berichts sind auch Forschungsergebnisse über Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen und der Leistungen der Rehabilitationsträger für die Zielgruppen des Berichts.

(2) Die Verbände der Menschen mit Behinderungen werden an der Weiterentwicklung des Berichtskonzeptes beteiligt.

Ein Dienstverhältnis, bei dem der Schuldner der Dienstberechtigte ist, kann vom Insolvenzverwalter und vom anderen Teil ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluß des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Kündigt der Verwalter, so kann der andere Teil wegen der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses als Insolvenzgläubiger Schadenersatz verlangen.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.11.2013 - 2 Ca 763/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Einordnung von Vergütungsansprüchen aus Annahmeverzug für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis 30. September 2013 als Neumasseverbindlichkeiten.

2

Die Klägerin war seit 18 Jahren bei der Firma A. S. e.K. (Gemeinschuldnerin) als Verkäuferin gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.869,79 EUR beschäftigt. Mit Beschluss des Amtsgerichts U. - Insolvenzgericht - vom 28. März 2012 wurde über das Vermögen des A. S., Inhaber der Firma A. S. e. K., das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

Der Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 28. März 2012 zum 30. Juni 2012 und erneut mit Schreiben vom 12. Juli 2012 zum 31. Oktober 2012 gekündigt. Beide Kündigungen wurden vom Arbeitsgericht Kaiserslautern durch - inzwischen rechtskräftige - Urteile vom 12. Juli 2012 (Az.: 2 Ca 593/12) und vom 15. November 2012 (Az.: 2 Ca 1126/12) wegen nicht erfolgter Betriebsratsanhörung für unwirksam erklärt.

4

Am 31. August 2012 hat der Beklagte gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Bereits seit Ende März 2012 war die Klägerin unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.

5

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Trier erhobenen Klage hat die Klägerin die Feststellung von Altmasseverbindlichkeiten für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28. März 2012 bis zum 31. Dezember 2012 begehrt und die Zahlung ihrer Vergütung für die Zeit von Januar 2013 bis September 2013 als Neumasseverbindlichkeiten verlangt.

6

Wegen des wechselseitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07. November 2013 - 2 Ca 763/13 - verwiesen.

7

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

8

1. festzustellen, dass ihr gegen den Beklagten ein Masseschuldanspruch in Höhe von 26.088,11 EUR brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 10.436,64 EUR netto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 4.680,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

9

aus 260,00 EUR brutto abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 76,74 EUR seit 10.04.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR seit 10.05.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.06.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.07.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.08.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.09.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.10.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.11.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.12.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.01.2013

10

zusteht.

11

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

12

aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.02.2013

13

aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.03.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.04.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.05.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.06.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.07.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR seit 10.08.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.090,53 EUR brutto seit 10.09.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.090,53 EUR netto seit 10.10.2013

14

zu zahlen.

15

3. den Beklagten zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Mit Urteil vom 07. November 2013 - 2 Ca 763/13 - hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

19

Gegen das ihm am 16. Dezember 2013 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 09. Januar 2014 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. März 2014 mit Schriftsatz vom 17. März 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet. Mit seiner Berufung begehrt der Beklagte insoweit die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, als er für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis 30. September 2013 zur Zahlung von 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto und abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen als Neumasseverbindlichkeiten verurteilt worden ist. Im Übrigen hat er die Berufung im Termin vom 16. Juni 2014 zurückgenommen.

20

Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass Neumasseverbindlichkeiten bereits nach Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist begründet würden und der Klägerin seit 01. Januar 2013 Zahlungsansprüche gegenüber der Masse als Neumasseverbindlichkeiten zustünden. Nach dem Urteil des Landes-arbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 liege keine Neumasseverbindlichkeit vor, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht gekündigt habe, weil das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits zuvor gekündigt gewesen sei. In diesem Falle sei der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, im Hinblick auf einen schwebenden Kündigungsschutzprozess über die frühere Kündigung vorsorglich nachzukündigen, es sei denn, die frühere Kündigung hätte von vornherein als evident unwirksam angesehen werden müssen. Nach dieser zutreffenden Rechtsprechung dürfe er durchaus abwarten, inwieweit die vorher ausgesprochene Kündigung rechtswirksam sei. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts Kaiserslautern sei er mithin nicht verpflichtet gewesen, das bereits gekündigte Arbeitsverhältnis der Klägerin unmittelbar nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erneut zu kündigen. Vielmehr sei auf den Zeitpunkt des erstmöglichen Kündigungstermins nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit abzustellen. Dies wäre nach der zutreffenden Auffassung des Landesarbeitsgerichts München erst im Januar 2013 gewesen, so dass die Kündigungsfrist der Klägerin dann am 30. April 2013 geendet hätte. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts München hätte er, soweit er gegen das Urteil Berufung eingelegt hätte, sogar noch das Berufungsurteil abwarten und dann erst das Arbeitsverhältnis erneut mit der Klägerin kündigen können, ohne dass es zu Neumasseverbindlichkeiten geführt hätte. Im Übrigen habe sich das Arbeitsgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit überhaupt Neumasseverbindlichkeiten begründet würden, soweit eine unwiderrufliche Freistellung vorliege und es ihm aufgrund der vollständigen Stilllegung auch unmöglich gewesen sei, überhaupt noch Arbeitsleistungen in Anspruch zu nehmen.

21

Der Beklagte beantragt,

22

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07. November 2013 - 2 Ca 763/13 - abzuändern, soweit es ihn zur Zahlung von 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto und abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen verurteilt hat (Ziffer II des Urteilstenors), und die Klage insoweit abzuweisen.

23

Die Klägerin beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Sie erwidert, der Beklagte könne sich nicht auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 berufen, weil danach eine Nachkündigung nur dann nicht erforderlich sei, wenn die bereits zuvor ausgesprochene Kündigung aus nachvollziehbaren Gründen aus der objektiven Sicht eines verständigen Insolvenzverwalters aufgrund rechtserheblicher Erwägungen veranlasst und nicht etwa evident unwirksam sei. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts München sei eine Kündigung dann evident unwirksam, wenn zum Beispiel eine Betriebsratsanhörung nicht oder fehlerhaft erfolgt sei. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte bei den Kündigungen vom 28. März 2012 sowie 12. Juli 2012 den zuständigen Betriebsrat überhaupt nicht angehört habe, müsse der Ausspruch dieser evident unwirksamen Kündigungen als nachlässig angesehen werden und habe nichts mit der ordentlichen Abwicklung von Arbeitsverhältnissen durch einen Insolvenzverwalter zu tun. Anderenfalls würde dies geradezu den Ausspruch von "Schnellschusskündigungen" durch den Insolvenzverwalter provozieren, um sich damit der Begründung von Masseverbindlichkeiten zu entziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfe der Insolvenzverwalter es auf keinen Fall versäumen, Dauerschuldverhältnisse mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu kündigen, wenn er den Vertragsgegenstand für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr benötige. Mit dem Begriff des "Könnens" im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO sei ein rechtliches Können gemeint. Dem Beklagten wäre es unproblematisch möglich gewesen, eine rechtswirksame Kündigung auszusprechen, indem er zuvor den zuständigen Betriebsrat zu den Kündigungen ordnungsgemäß angehört hätte. Dieses grob fahrlässige Unterlassen könne nicht zu ihren Lasten gehen. Hätte der Beklagte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit das Arbeitsverhältnis mit ihr unter Einhaltung der Frist des § 113 InsO gekündigt, so wäre dies spätestens am 31. Dezember 2012 beendet gewesen, so dass ihre Lohnansprüche ab Januar 2013 Neumasseverbindlichkeiten seien. Der Arbeitgeber trage das Risiko einer unwirksamen Kündigung, und zwar unabhängig davon, ob diese evident unwirksam sei oder nicht. Es sei weder arbeitsrechtlich noch insolvenzrechtlich geboten, den Insolvenzverwalter vor den wirtschaftlichen Folgen einer unwirksamen Kündigung zu schützen. Dem Beklagten wäre es unproblematisch möglich gewesen, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu beenden und sich der Begründung von Neumasseverbindlichkeiten zu entziehen. Unter Zugrundelegung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München würde der Insolvenzverwalter bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Neumasseverbindlichkeiten produzieren, was sich unter Umständen mehrere Jahre hinziehen könne. Eine solche Regelung sehe weder das Arbeitsrecht noch die Insolvenzordnung vor. Ihre Freistellung durch den Beklagten habe keine Auswirkung auf die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig, soweit sie sich gemäß dem im Termin vom 16. Juni 2014 gestellten Berufungsantrag gegen seine Verurteilung zur Zahlung von 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto und abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis 30. September 2013 als Neumasseverbindlichkeit richtet. Der Beklagte hat insoweit seine Berufung frist- sowie formgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Im Übrigen hat er seine Berufung im Termin vom 16. Juni 2014 zurückgenommen, so dass das Urteil des Arbeitsgerichts in Bezug auf die festgestellten Altmasseverbindlichkeiten für die Zeit von März bis Dezember 2012 (Ziffer I des Urteilstenors) und den zuerkannten Zeugnisanspruch (Ziffer III des Urteilstenors) rechtskräftig ist.

28

Die Berufung des Beklagten hat mit dem zuletzt gestellten Berufungsantrag keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Klage in Bezug auf die von der Klägerin als Neumasseverbindlichkeiten geltend gemachten Annahmeverzugsvergütungsansprüche für die Zeit von Januar bis September 2013 in der zuerkannten Höhe stattgegeben.

29

1. Die Klage ist hinsichtlich der von der Klägerin als Neumasseverbindlichkeiten geltend gemachten Vergütungsansprüche für die Zeit von Januar bis September 2013 zulässig. Das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO gilt nur für Altmassegläubiger i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Verbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und § 209 Abs. 2 InsO sind daher grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Das gilt auch dann, wenn die materiell-rechtliche Prüfung ergibt, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen tatsächlich nicht um Neumasseverbindlichkeiten handelt (BAG 08. Mai 2014 - 6 AZR 246/12 - Rn. 13, NZA 2014, 860; BAG 2. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 9, NZA 2007, 696). Den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Wege der Feststellungsklage verfolgen können (BAG 08. Mai 2014 - 6 AZR 246/12 - Rn. 13, NZA 2014, 860), hat der Beklagte nicht erhoben.

30

2. Die Klage ist insoweit auch begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei den Annahmeverzugsvergütungsansprüchen der Klägerin in der geltend gemachten Höhe für die Zeit von Januar bis September 2013 um Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO handelt.

31

Die vom Beklagten zuvor ausgesprochenen Kündigungen vom 28. März 2012 zum 30. Juni 2012 und vom 12. Juli 2012 zum 31. Oktober 2012 hat das Arbeitsgericht mit seinen rechtskräftigen Urteilen vom 12. Juli 2012 und 15. November 2012 wegen nicht erfolgter Betriebsratsanhörung für unwirksam erklärt, so dass die Klägerin auch für den streitgegenständlichen Zeitraum ihre Vergütung in unstreitiger Höhe abzüglich des erzielten Zwischenverdienstes bzw. des bezogenen Arbeitslosengeldes unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gemäß § 615 BGB beanspruchen kann. Die für die Zeit von Januar bis September 2013 bestehenden Annahmeverzugsvergütungsansprüche stammen aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, an dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Sie gelten daher als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und sind so zu behandeln, als wären sie nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer - wie hier die Klägerin - von der Arbeitsleistung freigestellt wird (BAG 31. März 2004 - 10 AZR 253/03 - Rn. 40, NZA 2004, 1093).

32

a) Der Beklagte hat am 31. August 2012 die Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt. Sobald Masseunzulänglichkeit droht oder eintritt, hat der Insolvenzverwalter zwei Möglichkeiten: Benötigt er ein Arbeitsverhältnis für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr, hat er das Dauerschuldverhältnis unverzüglich zu kündigen, wenn er sich nicht schadensersatzpflichtig nach § 61 InsO machen will. Benötigt er den Arbeitnehmer jedoch noch, um die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens fortzuführen, wird er so behandelt, als hätte er eine neue Masseverbindlichkeit erst begründet, denn es stand in seiner Macht, den Eintritt dieser Verbindlichkeit durch rechtzeitige Kündigung zu verhindern. Wie sich die aus dem Gesetzeswortlaut ("konnte") ergibt, ist für die Frage der frühesten Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend. Gemeint ist nicht ein tatsächliches, sondern ein rechtliches Können. Der Insolvenzverwalter hat zunächst die (formellen) Voraussetzungen, die anderenfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätten, wie die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG oder die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gemäß § 85 SGB IX, herbeizuführen (BAG 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - Rn. 31, NZA 2006, 162).

33

b) Im Streitfall hätte der Beklage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 31. August 2012 die Kündigung jedenfalls bis spätestens Ende September 2012 zum 31. Dezember 2012 unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist gemäß §113 Satz 2 InsO wirksam aussprechen können.

34

Dabei ist unerheblich, dass er vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits mit Schreiben vom 28. März 2012 und 12. Juli 2012 gekündigt hatte, weil beide Kündigungen nach den rechtskräftigen Urteilen des Arbeitsgerichts mangels erfolgter Anhörung des Betriebsrats unwirksam waren. Der Ausspruch einer nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksamen Kündigung steht der Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO auch dann nicht entgegen, wenn bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit über diese Kündigung noch ein Kündigungsschutzverfahren rechtshängig war (vgl. BAG 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - Rn. 39 und 41, NZA 2006, 162; vgl. auch ArbG Herford 18. Juni 2012 - 1 Ca 1361/11 - ZInsO 2012, 1325). Das folgt auch aus dem Zweck der in § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO getroffenen Differenzierung, der dahingeht, Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen dann wie vom Insolvenzverwalter neu begründete Verbindlichkeiten zu behandeln, wenn der Insolvenzverwalter die Möglichkeit hatte, ihre Entstehung durch Kündigung des Dauerschuldverhältnisses zu verhindern. Entscheidend ist, ob der Insolvenzverwalter für die Begründung der Verbindlichkeit verantwortlich ist. Sog. oktroyierte, aufgezwungene Verbindlichkeiten werden als Altmasseverbindlichkeiten behandelt. Verbindlichkeiten, deren Entstehung der Insolvenzverwalter verhindern konnte, gelten als Neumasseverbindlichkeiten (BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 12, NZA 2006, 1122). Der Beklagte war nach der maßgeblichen objektiven Lage rechtlich nicht gehindert, nach der am 31 August 2012 erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit alle formellen Voraussetzungen zum Ausspruch einer wirksamen Kündigung herbeizuführen, so dass er das Arbeitsverhältnis im Laufe des Monats September 2012 zum 31. Dezember 2012 hätte kündigen können. Diese Möglichkeit nahm der Beklagte nicht wahr, so dass die Klägerin die Zahlung der Vergütung für die Zeit vom 01. Januar bis 30. September 2013 als Neumasseforderung verlangen kann. Vorliegend war der Beklagte dafür verantwortlich, zunächst die formellen Voraussetzungen für den Ausspruch einer wirksamen Kündigung zu schaffen. Das hat er nach den beiden rechtskräftigen Urteilen des Arbeitsgerichts in den geführten Vorprozessen nicht gemacht. Soweit sich der Beklagte erst im vorliegenden Verfahren mit Schriftsatz vom 5. November 2013 darauf berufen hat, dass der im Betriebsratsbezirk P. gebildete Betriebsrat für die Klägerin nicht zuständig gewesen sei und daher im Falle der Klägerin kein Betriebsrat hätte angehört werden müssen, hätte er dies in den beiden zuvor geführten Kündigungsschutzprozessen vorbringen müssen. Aufgrund der beiden Urteile des Arbeitsgerichts steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die zuvor ausgesprochenen Kündigungen vom 28. März 2012 und 12. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

35

c) Aus der vom Beklagten herangezogenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 - 4 Sa 243/05 - folgt nichts anderes.

36

Zum einen betrifft der Rechtssatz des Landearbeitsgerichts München, dass ein Insolvenzverwalter nicht verpflichtet sei, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ein Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut zu kündigen, wenn zuvor bereits eine Kündigung ausgesprochen worden und diese nicht von vornherein als evident unwirksam anzusehen sei, die Frage der Pflichtwidrigkeit des Handelns des Insolvenzverwalters unter dem Gesichtspunkt einer Schadensersatzpflicht nach § 61 Satz 1 InsO (vgl. hierzu BGH 11. Dezember 2008 - IX ZR 26/06 - Rn. 2, juris). Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist hingegen ausschließlich die Frage, ob es sich bei den streitgegenständlichen Annahmeverzugsvergütungsansprüchen um Neumasseverbindlichkeiten im Sinne von § 209 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt.

37

Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht München in der genannten Entscheidung eine nicht bestehende Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum vorsorglichen Ausspruch einer erneuten Kündigung daran geknüpft, dass die bereits zuvor ausgesprochene Kündigung nicht evident - etwa wegen des Fehlens förmlicher Voraussetzungen (Betriebsratsanhörung, erforderliche behördliche Zustimmung gemäß § 85 SGB IX) - unwirksam war. Im Hinblick darauf, dass den beiden Kündigungsschutzklagen gegen die zuvor ausgesprochenen Kündigungen des Beklagten nach den beiden rechtskräftigen Urteilen des Arbeitsgerichts gerade wegen des Fehlens der förmlichen Voraussetzung einer Anhörung des Betriebsrates stattgegeben worden war, führt auch die vom Landesarbeitsgericht München vertretene Rechtsansicht im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.

38

Mithin handelt es sich bei den von der Klägerin für die Zeit vom 01. Januar bis 30. September 2013 geltend gemachten Annahmeverzugsvergütungsansprüchen um Neumasseverbindlichkeiten, deren Höhe (gemäß der von der Klägerin im Schriftsatz vom 1. Oktober 2013 vorgenommenen Berechnung) der Beklagte nicht mehr bestritten hat.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

40

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.11.2013 - 2 Ca 763/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Einordnung von Vergütungsansprüchen aus Annahmeverzug für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis 30. September 2013 als Neumasseverbindlichkeiten.

2

Die Klägerin war seit 18 Jahren bei der Firma A. S. e.K. (Gemeinschuldnerin) als Verkäuferin gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.869,79 EUR beschäftigt. Mit Beschluss des Amtsgerichts U. - Insolvenzgericht - vom 28. März 2012 wurde über das Vermögen des A. S., Inhaber der Firma A. S. e. K., das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

Der Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 28. März 2012 zum 30. Juni 2012 und erneut mit Schreiben vom 12. Juli 2012 zum 31. Oktober 2012 gekündigt. Beide Kündigungen wurden vom Arbeitsgericht Kaiserslautern durch - inzwischen rechtskräftige - Urteile vom 12. Juli 2012 (Az.: 2 Ca 593/12) und vom 15. November 2012 (Az.: 2 Ca 1126/12) wegen nicht erfolgter Betriebsratsanhörung für unwirksam erklärt.

4

Am 31. August 2012 hat der Beklagte gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Bereits seit Ende März 2012 war die Klägerin unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.

5

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Trier erhobenen Klage hat die Klägerin die Feststellung von Altmasseverbindlichkeiten für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28. März 2012 bis zum 31. Dezember 2012 begehrt und die Zahlung ihrer Vergütung für die Zeit von Januar 2013 bis September 2013 als Neumasseverbindlichkeiten verlangt.

6

Wegen des wechselseitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07. November 2013 - 2 Ca 763/13 - verwiesen.

7

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

8

1. festzustellen, dass ihr gegen den Beklagten ein Masseschuldanspruch in Höhe von 26.088,11 EUR brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 10.436,64 EUR netto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 4.680,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

9

aus 260,00 EUR brutto abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 76,74 EUR seit 10.04.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR seit 10.05.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.06.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.07.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.08.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.09.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.10.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.11.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.12.2012
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.01.2013

10

zusteht.

11

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

12

aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.02.2013

13

aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.03.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.560,00 EUR brutto seit 10.04.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.05.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.06.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR netto seit 10.07.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 1.151,10 EUR seit 10.08.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.090,53 EUR brutto seit 10.09.2013
aus 2.869,79 EUR abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 1.090,53 EUR netto seit 10.10.2013

14

zu zahlen.

15

3. den Beklagten zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Mit Urteil vom 07. November 2013 - 2 Ca 763/13 - hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

19

Gegen das ihm am 16. Dezember 2013 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 09. Januar 2014 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. März 2014 mit Schriftsatz vom 17. März 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet. Mit seiner Berufung begehrt der Beklagte insoweit die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, als er für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis 30. September 2013 zur Zahlung von 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto und abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen als Neumasseverbindlichkeiten verurteilt worden ist. Im Übrigen hat er die Berufung im Termin vom 16. Juni 2014 zurückgenommen.

20

Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass Neumasseverbindlichkeiten bereits nach Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist begründet würden und der Klägerin seit 01. Januar 2013 Zahlungsansprüche gegenüber der Masse als Neumasseverbindlichkeiten zustünden. Nach dem Urteil des Landes-arbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 liege keine Neumasseverbindlichkeit vor, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht gekündigt habe, weil das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits zuvor gekündigt gewesen sei. In diesem Falle sei der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, im Hinblick auf einen schwebenden Kündigungsschutzprozess über die frühere Kündigung vorsorglich nachzukündigen, es sei denn, die frühere Kündigung hätte von vornherein als evident unwirksam angesehen werden müssen. Nach dieser zutreffenden Rechtsprechung dürfe er durchaus abwarten, inwieweit die vorher ausgesprochene Kündigung rechtswirksam sei. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts Kaiserslautern sei er mithin nicht verpflichtet gewesen, das bereits gekündigte Arbeitsverhältnis der Klägerin unmittelbar nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erneut zu kündigen. Vielmehr sei auf den Zeitpunkt des erstmöglichen Kündigungstermins nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit abzustellen. Dies wäre nach der zutreffenden Auffassung des Landesarbeitsgerichts München erst im Januar 2013 gewesen, so dass die Kündigungsfrist der Klägerin dann am 30. April 2013 geendet hätte. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts München hätte er, soweit er gegen das Urteil Berufung eingelegt hätte, sogar noch das Berufungsurteil abwarten und dann erst das Arbeitsverhältnis erneut mit der Klägerin kündigen können, ohne dass es zu Neumasseverbindlichkeiten geführt hätte. Im Übrigen habe sich das Arbeitsgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit überhaupt Neumasseverbindlichkeiten begründet würden, soweit eine unwiderrufliche Freistellung vorliege und es ihm aufgrund der vollständigen Stilllegung auch unmöglich gewesen sei, überhaupt noch Arbeitsleistungen in Anspruch zu nehmen.

21

Der Beklagte beantragt,

22

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07. November 2013 - 2 Ca 763/13 - abzuändern, soweit es ihn zur Zahlung von 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto und abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen verurteilt hat (Ziffer II des Urteilstenors), und die Klage insoweit abzuweisen.

23

Die Klägerin beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Sie erwidert, der Beklagte könne sich nicht auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 berufen, weil danach eine Nachkündigung nur dann nicht erforderlich sei, wenn die bereits zuvor ausgesprochene Kündigung aus nachvollziehbaren Gründen aus der objektiven Sicht eines verständigen Insolvenzverwalters aufgrund rechtserheblicher Erwägungen veranlasst und nicht etwa evident unwirksam sei. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts München sei eine Kündigung dann evident unwirksam, wenn zum Beispiel eine Betriebsratsanhörung nicht oder fehlerhaft erfolgt sei. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte bei den Kündigungen vom 28. März 2012 sowie 12. Juli 2012 den zuständigen Betriebsrat überhaupt nicht angehört habe, müsse der Ausspruch dieser evident unwirksamen Kündigungen als nachlässig angesehen werden und habe nichts mit der ordentlichen Abwicklung von Arbeitsverhältnissen durch einen Insolvenzverwalter zu tun. Anderenfalls würde dies geradezu den Ausspruch von "Schnellschusskündigungen" durch den Insolvenzverwalter provozieren, um sich damit der Begründung von Masseverbindlichkeiten zu entziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfe der Insolvenzverwalter es auf keinen Fall versäumen, Dauerschuldverhältnisse mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu kündigen, wenn er den Vertragsgegenstand für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr benötige. Mit dem Begriff des "Könnens" im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO sei ein rechtliches Können gemeint. Dem Beklagten wäre es unproblematisch möglich gewesen, eine rechtswirksame Kündigung auszusprechen, indem er zuvor den zuständigen Betriebsrat zu den Kündigungen ordnungsgemäß angehört hätte. Dieses grob fahrlässige Unterlassen könne nicht zu ihren Lasten gehen. Hätte der Beklagte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit das Arbeitsverhältnis mit ihr unter Einhaltung der Frist des § 113 InsO gekündigt, so wäre dies spätestens am 31. Dezember 2012 beendet gewesen, so dass ihre Lohnansprüche ab Januar 2013 Neumasseverbindlichkeiten seien. Der Arbeitgeber trage das Risiko einer unwirksamen Kündigung, und zwar unabhängig davon, ob diese evident unwirksam sei oder nicht. Es sei weder arbeitsrechtlich noch insolvenzrechtlich geboten, den Insolvenzverwalter vor den wirtschaftlichen Folgen einer unwirksamen Kündigung zu schützen. Dem Beklagten wäre es unproblematisch möglich gewesen, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu beenden und sich der Begründung von Neumasseverbindlichkeiten zu entziehen. Unter Zugrundelegung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München würde der Insolvenzverwalter bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Neumasseverbindlichkeiten produzieren, was sich unter Umständen mehrere Jahre hinziehen könne. Eine solche Regelung sehe weder das Arbeitsrecht noch die Insolvenzordnung vor. Ihre Freistellung durch den Beklagten habe keine Auswirkung auf die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig, soweit sie sich gemäß dem im Termin vom 16. Juni 2014 gestellten Berufungsantrag gegen seine Verurteilung zur Zahlung von 25.828,11 EUR brutto abzüglich anderweitigem Verdienst in Höhe von 6.861,06 EUR brutto und abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 4.604,40 EUR netto nebst Zinsen für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis 30. September 2013 als Neumasseverbindlichkeit richtet. Der Beklagte hat insoweit seine Berufung frist- sowie formgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Im Übrigen hat er seine Berufung im Termin vom 16. Juni 2014 zurückgenommen, so dass das Urteil des Arbeitsgerichts in Bezug auf die festgestellten Altmasseverbindlichkeiten für die Zeit von März bis Dezember 2012 (Ziffer I des Urteilstenors) und den zuerkannten Zeugnisanspruch (Ziffer III des Urteilstenors) rechtskräftig ist.

28

Die Berufung des Beklagten hat mit dem zuletzt gestellten Berufungsantrag keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Klage in Bezug auf die von der Klägerin als Neumasseverbindlichkeiten geltend gemachten Annahmeverzugsvergütungsansprüche für die Zeit von Januar bis September 2013 in der zuerkannten Höhe stattgegeben.

29

1. Die Klage ist hinsichtlich der von der Klägerin als Neumasseverbindlichkeiten geltend gemachten Vergütungsansprüche für die Zeit von Januar bis September 2013 zulässig. Das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO gilt nur für Altmassegläubiger i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Verbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und § 209 Abs. 2 InsO sind daher grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Das gilt auch dann, wenn die materiell-rechtliche Prüfung ergibt, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen tatsächlich nicht um Neumasseverbindlichkeiten handelt (BAG 08. Mai 2014 - 6 AZR 246/12 - Rn. 13, NZA 2014, 860; BAG 2. November 2006 - 9 AZR 97/06 - Rn. 9, NZA 2007, 696). Den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Wege der Feststellungsklage verfolgen können (BAG 08. Mai 2014 - 6 AZR 246/12 - Rn. 13, NZA 2014, 860), hat der Beklagte nicht erhoben.

30

2. Die Klage ist insoweit auch begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei den Annahmeverzugsvergütungsansprüchen der Klägerin in der geltend gemachten Höhe für die Zeit von Januar bis September 2013 um Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO handelt.

31

Die vom Beklagten zuvor ausgesprochenen Kündigungen vom 28. März 2012 zum 30. Juni 2012 und vom 12. Juli 2012 zum 31. Oktober 2012 hat das Arbeitsgericht mit seinen rechtskräftigen Urteilen vom 12. Juli 2012 und 15. November 2012 wegen nicht erfolgter Betriebsratsanhörung für unwirksam erklärt, so dass die Klägerin auch für den streitgegenständlichen Zeitraum ihre Vergütung in unstreitiger Höhe abzüglich des erzielten Zwischenverdienstes bzw. des bezogenen Arbeitslosengeldes unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gemäß § 615 BGB beanspruchen kann. Die für die Zeit von Januar bis September 2013 bestehenden Annahmeverzugsvergütungsansprüche stammen aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, an dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Sie gelten daher als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und sind so zu behandeln, als wären sie nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer - wie hier die Klägerin - von der Arbeitsleistung freigestellt wird (BAG 31. März 2004 - 10 AZR 253/03 - Rn. 40, NZA 2004, 1093).

32

a) Der Beklagte hat am 31. August 2012 die Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt. Sobald Masseunzulänglichkeit droht oder eintritt, hat der Insolvenzverwalter zwei Möglichkeiten: Benötigt er ein Arbeitsverhältnis für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr, hat er das Dauerschuldverhältnis unverzüglich zu kündigen, wenn er sich nicht schadensersatzpflichtig nach § 61 InsO machen will. Benötigt er den Arbeitnehmer jedoch noch, um die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens fortzuführen, wird er so behandelt, als hätte er eine neue Masseverbindlichkeit erst begründet, denn es stand in seiner Macht, den Eintritt dieser Verbindlichkeit durch rechtzeitige Kündigung zu verhindern. Wie sich die aus dem Gesetzeswortlaut ("konnte") ergibt, ist für die Frage der frühesten Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend. Gemeint ist nicht ein tatsächliches, sondern ein rechtliches Können. Der Insolvenzverwalter hat zunächst die (formellen) Voraussetzungen, die anderenfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätten, wie die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG oder die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gemäß § 85 SGB IX, herbeizuführen (BAG 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - Rn. 31, NZA 2006, 162).

33

b) Im Streitfall hätte der Beklage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 31. August 2012 die Kündigung jedenfalls bis spätestens Ende September 2012 zum 31. Dezember 2012 unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist gemäß §113 Satz 2 InsO wirksam aussprechen können.

34

Dabei ist unerheblich, dass er vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits mit Schreiben vom 28. März 2012 und 12. Juli 2012 gekündigt hatte, weil beide Kündigungen nach den rechtskräftigen Urteilen des Arbeitsgerichts mangels erfolgter Anhörung des Betriebsrats unwirksam waren. Der Ausspruch einer nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksamen Kündigung steht der Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO auch dann nicht entgegen, wenn bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit über diese Kündigung noch ein Kündigungsschutzverfahren rechtshängig war (vgl. BAG 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - Rn. 39 und 41, NZA 2006, 162; vgl. auch ArbG Herford 18. Juni 2012 - 1 Ca 1361/11 - ZInsO 2012, 1325). Das folgt auch aus dem Zweck der in § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO getroffenen Differenzierung, der dahingeht, Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen dann wie vom Insolvenzverwalter neu begründete Verbindlichkeiten zu behandeln, wenn der Insolvenzverwalter die Möglichkeit hatte, ihre Entstehung durch Kündigung des Dauerschuldverhältnisses zu verhindern. Entscheidend ist, ob der Insolvenzverwalter für die Begründung der Verbindlichkeit verantwortlich ist. Sog. oktroyierte, aufgezwungene Verbindlichkeiten werden als Altmasseverbindlichkeiten behandelt. Verbindlichkeiten, deren Entstehung der Insolvenzverwalter verhindern konnte, gelten als Neumasseverbindlichkeiten (BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 12, NZA 2006, 1122). Der Beklagte war nach der maßgeblichen objektiven Lage rechtlich nicht gehindert, nach der am 31 August 2012 erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit alle formellen Voraussetzungen zum Ausspruch einer wirksamen Kündigung herbeizuführen, so dass er das Arbeitsverhältnis im Laufe des Monats September 2012 zum 31. Dezember 2012 hätte kündigen können. Diese Möglichkeit nahm der Beklagte nicht wahr, so dass die Klägerin die Zahlung der Vergütung für die Zeit vom 01. Januar bis 30. September 2013 als Neumasseforderung verlangen kann. Vorliegend war der Beklagte dafür verantwortlich, zunächst die formellen Voraussetzungen für den Ausspruch einer wirksamen Kündigung zu schaffen. Das hat er nach den beiden rechtskräftigen Urteilen des Arbeitsgerichts in den geführten Vorprozessen nicht gemacht. Soweit sich der Beklagte erst im vorliegenden Verfahren mit Schriftsatz vom 5. November 2013 darauf berufen hat, dass der im Betriebsratsbezirk P. gebildete Betriebsrat für die Klägerin nicht zuständig gewesen sei und daher im Falle der Klägerin kein Betriebsrat hätte angehört werden müssen, hätte er dies in den beiden zuvor geführten Kündigungsschutzprozessen vorbringen müssen. Aufgrund der beiden Urteile des Arbeitsgerichts steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die zuvor ausgesprochenen Kündigungen vom 28. März 2012 und 12. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

35

c) Aus der vom Beklagten herangezogenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juli 2005 - 4 Sa 243/05 - folgt nichts anderes.

36

Zum einen betrifft der Rechtssatz des Landearbeitsgerichts München, dass ein Insolvenzverwalter nicht verpflichtet sei, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ein Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut zu kündigen, wenn zuvor bereits eine Kündigung ausgesprochen worden und diese nicht von vornherein als evident unwirksam anzusehen sei, die Frage der Pflichtwidrigkeit des Handelns des Insolvenzverwalters unter dem Gesichtspunkt einer Schadensersatzpflicht nach § 61 Satz 1 InsO (vgl. hierzu BGH 11. Dezember 2008 - IX ZR 26/06 - Rn. 2, juris). Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist hingegen ausschließlich die Frage, ob es sich bei den streitgegenständlichen Annahmeverzugsvergütungsansprüchen um Neumasseverbindlichkeiten im Sinne von § 209 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt.

37

Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht München in der genannten Entscheidung eine nicht bestehende Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum vorsorglichen Ausspruch einer erneuten Kündigung daran geknüpft, dass die bereits zuvor ausgesprochene Kündigung nicht evident - etwa wegen des Fehlens förmlicher Voraussetzungen (Betriebsratsanhörung, erforderliche behördliche Zustimmung gemäß § 85 SGB IX) - unwirksam war. Im Hinblick darauf, dass den beiden Kündigungsschutzklagen gegen die zuvor ausgesprochenen Kündigungen des Beklagten nach den beiden rechtskräftigen Urteilen des Arbeitsgerichts gerade wegen des Fehlens der förmlichen Voraussetzung einer Anhörung des Betriebsrates stattgegeben worden war, führt auch die vom Landesarbeitsgericht München vertretene Rechtsansicht im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.

38

Mithin handelt es sich bei den von der Klägerin für die Zeit vom 01. Januar bis 30. September 2013 geltend gemachten Annahmeverzugsvergütungsansprüchen um Neumasseverbindlichkeiten, deren Höhe (gemäß der von der Klägerin im Schriftsatz vom 1. Oktober 2013 vorgenommenen Berechnung) der Beklagte nicht mehr bestritten hat.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

40

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.

(1) Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, reicht die Insolvenzmasse jedoch nicht aus, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, so hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht anzuzeigen, daß Masseunzulänglichkeit vorliegt. Gleiches gilt, wenn die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.

(2) Das Gericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich bekanntzumachen. Den Massegläubigern ist sie besonders zuzustellen.

(3) Die Pflicht des Verwalters zur Verwaltung und zur Verwertung der Masse besteht auch nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit fort.

Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.

(1) Der Insolvenzverwalter hat die Masseverbindlichkeiten nach folgender Rangordnung zu berichtigen, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1.
die Kosten des Insolvenzverfahrens;
2.
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
3.
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

(2) Als Masseverbindlichkeiten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch die Verbindlichkeiten

1.
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte;
2.
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte;
3.
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. Juni 2010 - 2 Sa 49/10 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger stand seit dem 1. November 2007 in einem bis zum 31. Oktober 2009 befristeten Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin. Am 8. Januar 2009 ordnete das Amtsgericht Arnsberg (- 21 IN 21/09 -) das vorläufige Insolvenzverfahren über deren Vermögen an und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Zugleich übertrug es ihm das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen. Am 1. März 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

In seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter gab der Beklagte zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der Sozialdaten an sämtliche Arbeitnehmer Fragebögen aus. Erfragt wurden das Geburtsdatum, der Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder sowie das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der Kläger antwortete in den Feldern „Schwerbehinderung“ und „Gleichstellung“ jeweils mit „Nein“.

4

Auf der Grundlage eines am 20. Mai 2009 geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis am 26. Mai 2009 ordentlich zum 30. Juni 2009. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am folgenden Tag zu.

5

Der Kläger, der in der Klageschrift vom 9. Juni 2009 seine Schwerbehinderung mitgeteilt hat, hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Ansicht vertreten, die ohne Beteiligung des Integrationsamtes erklärte Kündigung sei unwirksam. Die Frage nach der Schwerbehinderung stelle eine verbotene Benachteiligung iSd. §§ 1, 7 AGG dar. Ein Arbeitnehmer habe deshalb während des gesamten Arbeitsverhältnisses ein Recht zur wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft. Vor Ablauf der Regelfrist für die Verwirkung des Sonderkündigungsschutzes drei Wochen nach Zugang der Kündigung sei der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet, seine Schwerbehinderung zu offenbaren.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Mai 2009 aufgelöst wird, sondern über den 30. Juni 2009 hinaus ungekündigt fortbesteht.

7

Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der Kläger sich widersprüchlich verhalten habe und sich deshalb nach der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft auf diese nicht mehr berufen könne.

8

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er rügt, die Frage nach der Schwerbehinderung verstoße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Er macht weiter geltend, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die Frage nach der Schwerbehinderung im Insolvenzeröffnungsverfahren ohne Angabe von Gründen gestellt habe. Für den Kläger sei deshalb die Intention der Frage nicht erkennbar gewesen, so dass er sich durch die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage nicht treuwidrig verhalten habe.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten vom 26. Mai 2009 hat das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2009 beendet. Das hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.

10

A. Die Kündigung ist nicht nach § 134 BGB nichtig. Sie bedurfte zwar an sich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX, an der es hier fehlt. Der Kläger hat sich auch innerhalb von drei Wochen und damit innerhalb einer angemessenen Frist auf den im Zeitpunkt der Kündigungserklärung bereits bestehenden Schwerbehindertenschutz berufen, so dass dieser Schutz nicht verwirkt ist (st. Rspr. zuletzt BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 22, EzA SGB IX § 85 Nr. 7). Dem Kläger ist es dennoch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter zu berufen. Das Berufen des Klägers auf diesen Schutz nach Erklärung der Kündigung trotz Verneinung der ihm im Vorfeld eben dieser Kündigung rechtmäßig gestellten Frage nach der Schwerbehinderung ist als widersprüchliches Verhalten unbeachtlich.

11

I. Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen. Der Arbeitnehmer hat die Frage aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB wahrheitsgemäß zu beantworten.

12

1. Aus einem Schuldverhältnis erwächst einer Vertragspartei auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragsteils. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Die Vertragspartner sind verpflichtet, ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, ihre Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann. Welche konkreten Folgen sich aus der Rücksichtnahmepflicht ergeben, hängt von der Art des Schuldverhältnisses und den Umständen des Einzelfalls ab (BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - Rn. 31, BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 26, BAGE 134, 296).

13

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Beklagte den Kläger, der im bestehenden Arbeitsverhältnis den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX bereits erworben hatte, zur Vorbereitung von Kündigungen nach einer Schwerbehinderteneigenschaft fragen. Für diese Frage bestand ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Beklagten. Sie stand im Zusammenhang mit seiner Pflichtenbindung durch das Erfordernis, bei der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG die Schwerbehinderung zu berücksichtigen sowie den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu beachten. Die verlangte Auskunft belastete den Kläger in dieser Situation nicht übermäßig. Sie benachteiligte ihn auch nicht iSv. §§ 1, 7 AGG wegen seiner Behinderung. Schließlich wurden auch datenschutzrechtliche Belange des Klägers dadurch nicht verletzt (vgl. zu diesen Anforderungen grundlegend bereits BAG 7. September 1995 - 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15, 22).

14

a) Die Frage nach der Schwerbehinderung ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen, etwa im Zusammenhang mit seinen Pflichten zur behinderungsgerechten Beschäftigung(§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX), Zahlung einer Ausgleichsabgabe (§ 77 SGB IX) und Gewährung von Zusatzurlaub (§ 125 SGB IX) (vgl. Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 18c; Griebeling in Hauck/Noftz SGB IX K § 85 Rn. 27a; unklar MünchKommBGB/Thüsing 6. Aufl. § 11 AGG Rn. 24, der eine Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers nach Einstellung bejaht). Insbesondere im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung zeigt der Arbeitgeber mit dieser Frage, dass er seine zum Schutz des Schwerbehinderten bei einer Kündigung bestehenden Pflichten nach § 1 Abs. 3 KSchG und §§ 85 ff. SGB IX erfüllen will (vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 950; Schaub/Koch aaO; Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 63).

15

b) Andere, gleich geeignete und gleich zuverlässige Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich die zur Erfüllung dieser Pflichten erforderliche Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft rechtssicher zu verschaffen, bestehen nicht.

16

aa) Insbesondere kann der Arbeitgeber entgegen der vom Kläger in der Verhandlung vor dem Senat vertretenen Ansicht nicht auf die Einholung eines sog. Negativattests verwiesen werden. Mit einem solchen Bescheid weist das Integrationsamt den form- und fristgerecht gestellten Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung zur Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung als unzulässig ab, weil eine Zustimmung zur Kündigung nicht erforderlich ist. Obwohl dieses Institut im SGB IX nicht vorgesehen ist und obwohl es nicht die Aufgabe des Integrationsamtes, sondern gemäß § 69 SGB IX iVm. §§ 1, 6 KOVVfG die des Versorgungsamtes ist, die Schwerbehinderteneigenschaft eines bestimmten Arbeitnehmers zu klären(BAG 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355, 358 ; BVerwG 15. Dezember 1988 - 5 C 67.85 - BVerwGE 81, 84), wird es allgemein für zulässig gehalten (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85 - 90 SGB IX Rn. 54; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 28; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 88 Rn. 55; Düwell in LPG-SGB IX 3. Aufl. § 85 Rn. 37; Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Liegt ein solcher bestandskräftiger Bescheid vor der Erklärung der Kündigung vor, entfaltet er Bindungswirkung auch gegenüber den Arbeitsgerichten und beseitigt ebenso wie die Zustimmung des Integrationsamtes die Kündigungssperre des § 85 SGB IX(BAG 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 15, BAGE 124, 43; grundlegend 27. Mai 1983 - 7 AZR 482/81 - BAGE 42, 169, 174).

17

Folgte man der Ansicht des Klägers, müsste der Arbeitgeber vor jeder von ihm beabsichtigten Kündigung ein Negativattest einholen. Allein das würde, insbesondere bei Massenentlassungen, selbst dann zu erheblichen, dem Arbeitgeber unzumutbaren Verzögerungen bei der Umsetzung des Kündigungsentschlusses führen, wenn ein bestandskräftiger Bescheid des Integrationsamtes erginge (vgl. BAG 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355, 358). Der Arbeitnehmer kann zudem als Beteiligter des Verwaltungsverfahrens, das zum Negativattest führt, gegen dieses Widerspruch und bei Nichtabhilfe Anfechtungsklage erheben (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85 - 90 SGB IX Rn. 56; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 88 Rn. 66 f.; Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Der Arbeitnehmer kann also einerseits durch die bloße Erhebung von Rechtsbehelfen bzw. Rechtsmitteln die Möglichkeit des Arbeitgebers, rechtssicher eine Kündigung ohne Verletzung seiner ihm gegenüber Schwerbehinderten obliegenden Pflichten zu erklären, erheblich hinauszögern. Bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Integrationsamtes trägt der Arbeitgeber andererseits das Risiko, dass sich im Laufe des gerichtlichen Verfahrens doch noch die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung herausstellt (Müller-Wenner in Müller-Wenner/Winkler aaO Rn. 70). Die Einholung eines Negativattests ist daher für den Arbeitgeber keine gleich geeignete Alternative zur Frage nach der Schwerbehinderung, um ihm die Kenntnis zu verschaffen, die er zur Erfüllung der ihm gesetzlich gegenüber Schwerbehinderten obliegenden Pflichten benötigt.

18

bb) Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber nach Erklärung einer Kündigung zum Erhalt des Sonderkündigungsschutzes binnen angemessener Frist auf die Schwerbehinderung hinzuweisen, schützt entgegen der Auffassung von Deinert/Neumann (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2. Aufl. § 17 Rn. 29) den Arbeitgeber nicht hinreichend, weil dies die Einhaltung der dem Arbeitgeber bereits vor Erklärung der Kündigung obliegenden Pflichten nicht sicherstellen kann.

19

c) Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung diskriminiert den Arbeitnehmer nicht wegen seiner Behinderung unmittelbar iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.

20

aa) Allerdings kann die Frage nach der Schwerbehinderung nur von Trägern dieses Merkmals wahrheitswidrig beantwortet werden. Weder die Frage selbst noch deren wahrheitsgemäße Beantwortung führen jedoch zu dem vom Kläger angenommenen Nachteil für den behinderten Menschen, also zu einer „weniger günstigen Behandlung“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Ob ein solcher Nachteil vorliegt, ist objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten zu beurteilen (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 33, BAGE 133, 265).

21

(1) Durch die Frage nach der Schwerbehinderung und deren wahrheitsgemäße Beantwortung werden behinderte Arbeitnehmer gegenüber Nichtbehinderten nicht zurückgesetzt (zu dieser Definition des Nachteils iSd. § 3 Abs. 1 AGG für das Merkmal „Alter“ siehe BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 25, BAGE 133, 265). Die Frage nach der Schwerbehinderung soll es bei objektiver Betrachtung dem Arbeitgeber ermöglichen, den besonderen Schutz des Schwerbehinderten zu verwirklichen, insbesondere den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertengesetzes zu beachten. Dieser öffentlich-rechtliche Sonderkündigungsschutz ist präventiver Art. Er unterwirft die Ausübung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts einer vorherigen Kontrolle durch das Integrationsamt, indem er die Kündigung einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterstellt, um so bereits im Vorfeld der Kündigung die spezifischen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen und eine mit den Schutzzwecken des SGB IX unvereinbare Kündigung zu verhindern. Dem Integrationsamt obliegt im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes die Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen, dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen und sicherzustellen, dass er gegenüber Letzteren nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. BVerwG 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275; 2. Juli 1992 - 5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287; 31. Juli 2007 - 5 B 81.06 - Rn. 5). Die Frage dient also der Wahrung der Rechte und Interessen des Schwerbehinderten, nicht aber dazu, ihn gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern zurückzusetzen. Die Belange des schwerbehinderten Menschen sollen durch § 1 Abs. 3 KSchG sowie in dem nach §§ 85 ff. SGB IX einzuhaltenden Verfahren gerade gewahrt werden. Das setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft Kenntnis hat oder zumindest die Möglichkeit hat, sich diese durch Nachfrage zu verschaffen.

22

Dies steht auch im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG). Nach ihrem Erwägungsgrund Nr. 16 strebt diese durch das AGG umgesetzte Richtlinie Maßnahmen an, die darauf abstellen, den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen. Ausweislich des Erwägungsgrundes Nr. 27 will sie der Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses von Menschen mit Behinderung besondere Aufmerksamkeit widmen. Diesen Zwecken dienen ua. § 1 Abs. 3 KSchG und der in §§ 85 ff. SGB IX geregelte Sonderkündigungsschutz.

23

(2) Der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er werde gegenüber einem Behinderten, der durch den Fragebogen „vorgewarnt“ den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter erst nach Ausfüllen des Fragenbogens gestellt und sich erst dann den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz verschafft habe, zurückgesetzt, verfängt nicht. Deckt die Frage nach der Schwerbehinderung nicht alle denkbaren Konstellationen des noch zu erwerbenden Schutzes als Schwerbehinderter ab, folgt daraus nicht, dass die Frage nach einem bereits bestehenden Schutz unzulässig ist. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Frage nach einem bestehenden Sonderkündigungsschutz zu formulieren und dadurch ihre Reichweite festzulegen. Fragt er, wie im vorliegenden Fall, nicht nach einem bereits gestellten Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter, fordert er auch nicht dazu auf, erst später gestellte Anträge mitzuteilen und lässt einige Zeit zwischen der Beantwortung der Frage und Kündigungserklärung verstreichen, hat er die sich aus einer solch unzureichenden Fragestellung für ihn eventuell ergebenden nachteiligen Folgen zu tragen, setzt aber nicht den Arbeitnehmer, der iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX als schwerbehindert anerkannt ist, gegenüber dem im Zeitpunkt der Fragebogenaktion lediglich iSd. § 2 Abs. 1 SGB IX behinderten Arbeitnehmer zurück.

24

bb) Schließlich überzeugt auch das Argument der Revision, ein wirksamer Diskriminierungsschutz sei nur gewährleistet, wenn bereits die Vorbereitung einer möglichen Diskriminierung ausgeschlossen werde, nicht. Im Unterschied zur Situation der Vertragsanbahnung (zum Streitstand hinsichtlich der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft des Stellenbewerbers vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 17, NZA 2012, 34) befindet sich der behinderte Arbeitnehmer in der hier vorliegenden Situation bereits in einer gesetzlich besonders geschützten Rechtsstellung, die gerade zum Ziel hat, Diskriminierungen des Behinderten zu vermeiden. Meint der Arbeitnehmer, dass es nach Kenntniserlangung des Arbeitgebers von einer Schwerbehinderung zu einer solchen Diskriminierung gekommen ist, ist er auf den gesetzlichen Diskriminierungsschutz zu verweisen.

25

d) Auch datenschutzrechtliche Belange stehen der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen.

26

aa) § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG lässt die Frage nach der Schwerbehinderung bei unionsrechtskonformer Auslegung unter Beachtung des dadurch umgesetzten Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (RL 95/46/EG) zu, wenn wie im vorliegenden Fall nach der von den nationalen Gerichten vorzunehmenden, am Zweck der RL 95/46/EG orientierten Abwägung das Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung seiner Behinderung das Interesse des Arbeitgebers an der Erhebung dieser Daten nicht überwiegt.

27

(1) Die vorliegende Fragebogenaktion wird vom Bundesdatenschutzgesetz erfasst. Auch Sammlungen ausgefüllter Formulare sind nicht automatisierte Dateien iSd. § 1 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG(Dammann in Simitis BDSG 7. Aufl. § 3 Rn. 99; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1150 mwN).

28

(2) Nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG ist das Erheben, Verarbeiten und Nutzen besonderer Arten personenbezogener Daten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG für eigene Geschäftszwecke auch ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung überwiegt. Diese Voraussetzungen sind bei der Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Erwerb des Behindertenschutzes und zur Vorbereitung konkret bevorstehender Kündigungen erfüllt.

29

(a) Die Frage nach der Behinderung verlangt Angaben zur Gesundheit und stellt damit eine Erhebung besonderer Arten personenbezogener Daten (sensitiver Daten) iSv. § 3 Abs. 9 BDSG dar(Gola/Schomerus BDSG 10. Aufl. § 3 Rn. 56a; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1151).

30

(b) Allerdings ist die Erhebung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht zur „Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung“ eines Anspruchs des Arbeitgebers iSd. Legaldefinition des § 194 Abs. 1 BGB, also eines Rechts, von einer anderen Person ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, erforderlich. Sie ist, wie bereits ausgeführt, lediglich Voraussetzung für die Erfüllung der dem Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 KSchG und § 85 SGB IX obliegenden Pflichten. Die Datenerhebung findet also im Vorfeld der Erfüllung gesetzlicher Pflichten des Arbeitgebers statt und dient dazu, diesem die Kenntnis zu verschaffen, die erforderlich ist, um ihm anschließend ein gesetzeskonformes Handeln zu ermöglichen. Auch eine solche Datenerhebung zur Klärung von gegen den Arbeitgeber gerichteten Ansprüchen, die sich für diesen spiegelbildlich als Pflichten darstellen, ist jedoch unter Berücksichtigung der RL 95/46/EG von § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG gedeckt(Gola RDV 2001, 125, 127).

31

(aa) § 28 Abs. 6 bis Abs. 9 BDSG setzen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers(BT-Drucks. 14/4329 S. 43) Art. 8 RL 95/46/EG, insbesondere Art. 8 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, um. Nach dieser Bestimmung ist die Verarbeitung von Daten, worunter nach Art. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch deren Erhebung fällt, zulässig, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist. Ein Wille des Gesetzgebers, durch die Formulierung der Voraussetzungen in § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung sensitiver Daten durch den Arbeitgeber im Bereich des Arbeitsrechts engere Grenzen als durch Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG vorgesehen zu setzen, ist nicht ersichtlich (vgl. Gola RDV 2001, 125, 127). Es handelt sich vielmehr lediglich um eine missglückte Formulierung (vgl. Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1152). Deshalb kann dahinstehen, ob es dem deutschen Gesetzgeber verwehrt gewesen wäre, die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG niedergelegten Grundsätze weiter einzuschränken (vgl. für Art. 7 Buchst. f RL 95/46/EG: EuGH 24. November 2011 - C-468/10 - [Asociación Nacional] Rn. 35 f., 48, NZA 2011, 1409).

32

(bb) Eine „Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche“ als Voraussetzung einer Datenerhebung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG liegt deshalb in Übereinstimmung mit der Formulierung des Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch vor, wenn die Datenerhebung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Dazu gehören auch die Pflichten des Arbeitgebers zur Beachtung der Schwerbehinderung im Rahmen der Sozialauswahl und zur Wahrung des Schwerbehindertenschutzes nach §§ 85 ff. SGB IX (vgl. bejahend zur Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderung unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten auch Seifert in Simitis BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 68 für § 32 BDSG nF; zur Datenerhebung im bestehenden Arbeitsverhältnis allgemein Gola RDV 2001, 125, 127).

33

(c) Letztlich sind damit die Anforderungen an das rechtmäßige Interesse bei der Frage nach einer Schwerbehinderung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber und die Anforderungen des Datenschutzes deckungsgleich. Die RL 95/46/EG schränkt das Fragerecht nach der Schwerbehinderung, sofern diese unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig ist, nicht ein. Sie soll das Gleichgewicht zwischen dem freien Verkehr personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre wahren. Dieses angemessene Gleichgewicht zwischen den betroffenen Rechten und Interessen ist vor allem bei der Anwendung des die RL 95/46/EG umsetzenden nationalen Rechts zu finden, wobei die durch das Unionsrecht geschützten Rechte der Betroffenen zu wahren sind (EuGH 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 97, 85, 87, Slg. 2003, I-12971). Ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Privatsphäre liegt nicht vor. Die Frage nach der Schwerbehinderung dient, wie wiederholt ausgeführt, letztlich der Wahrung der Rechte, die dem Arbeitnehmer gerade wegen der Schwerbehinderung zukommen. (Erst) in dem Verfahren nach § 85 SGB IX sind die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen und die durch das Unionsrecht, insbesondere die RL 2000/78/EG, gewährleisteten Rechte des Arbeitnehmers zu wahren.

34

bb) Wird dem Arbeitgeber das Recht zur Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von Kündigungen zugestanden, verletzt dies den schwerbehinderten Arbeitnehmer auch nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

35

(1) Es kann dahinstehen, ob die Überprüfung des Fragerechts im Allgemeinen und des diese Frage nach Vorstehendem zulassenden § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG im Besonderen am Maßstab des Grundgesetzes im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts entbehrlich ist.

36

(a) Das Bundesverfassungsgericht übt - jenseits des Ultra-vires- und des Verfassungsidentitätsvorbehalts - über die Anwendbarkeit von Unionsrecht als Rechtsgrundlage für die nationalen Gerichte und Behörden seine Gerichtsbarkeit nicht mehr aus und überprüft dieses Recht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte, solange die Europäische Union einen gleich wirksamen Grundrechtsschutz verbürgt. Dies gilt allerdings bei innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die Richtlinien des Unionsrechts umsetzen, nur dann, wenn das Unionsrecht zwingende Vorgaben macht, also dem nationalen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum lässt (BVerfG 4. Oktober 2011 - 1 BvL 3/08 - Rn. 46, NJW 2012, 45). Lässt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten dagegen einen Umsetzungsspielraum, ist dieser grundgesetzkonform auszufüllen. In diesem unionsrechtlich nicht oder jedenfalls nicht vollständig determinierten Normenbereich müssen die nationalen Fachgerichte den Einfluss der Grundrechte bei der Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts nach wie vor zur Geltung bringen. Ob ein solcher die Grundrechtsprüfung der Fachgerichte eröffnender Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers besteht, hat das Fachgericht durch Auslegung des einschlägigen Unionsrechts zu ermitteln, wobei es gegebenenfalls die Voraussetzungen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV - auch in Bezug auf den Schutz der durch das Unionsrecht verbürgten Grundrechte - in Betracht ziehen muss (BVerfG 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09 - [Cassina] Rn. 88 f., NJW 2011, 3428).

37

(b) Die RL 95/46/EG eröffnet dem nationalen Gesetzgeber durch Art. 5 Handlungsspielräume, aufgrund derer er die in Art. 6 bis Art. 8 RL 95/46/EG festgelegten Grundsätze näher bestimmen kann. Es ist ihm lediglich verwehrt, zusätzliche Bedingungen vorzusehen, durch die die Tragweite eines der in der RL 95/46/EG festgelegten Grundsätze verändert wird (vgl. zu Art. 7 RL 95/46/EG: EuGH 24. November 2011 - C-468/10 - [Asociación Nacional] Rn. 35, NZA 2011, 1409; 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 82 f., Slg. 2003, I-12971). Insbesondere kann er gemäß Art. 8 Abs. 4 RL 95/46/EG, sofern „angemessene Garantien“ bestehen, aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses andere als die in Art. 8 Abs. 2 RL 95/46/EG genannten Ausnahmen vorsehen.

38

(c) Ob damit nach vorstehenden Grundsätzen die Grundrechtsprüfung eröffnet ist oder ob jedenfalls in Bezug auf das Fragerecht des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung Art. 8 Abs. 2 RL 95/46/EG dem deutschen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum ließ, kann dahinstehen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch die Frage nach der Schwerbehinderung unter den genannten Voraussetzungen nicht verletzt. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zur Klärung des Umsetzungsspielraums des nationalen Gesetzgebers im streitbefangenen Zusammenhang bedarf es deshalb nicht.

39

(2) Das von Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Recht gewährt seinen Trägern insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Vom Schutzbereich dieses Grundrechts sind persönliche oder personenbezogene Daten umfasst, worunter Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen sind (BVerfG 24. November 2010 - 1 BvF 2/05 - BVerfGE 128, 1, 42 f.). Darunter fällt auch die Schwerbehinderung.

40

(3) Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist jedoch durch § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG gerechtfertigt(zu den Anforderungen an die Schranken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung BVerfG 24. November 2010 - 1 BvF 2/05 - BVerfGE 128, 1, 46). Aus dem Grundgesetz ergeben sich insoweit keine weitergehenden Anforderungen als aus dem Unionsrecht.

41

e) Entgegen der Auffassung der Revision wird durch das Bejahen eines Fragerechts des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von beabsichtigten Kündigungen die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach dem schwerbehinderten Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz noch zukommt, sofern er seine Schwerbehinderung dem Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 4 KSchG offenlegt(zuletzt 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, BAGE 133, 249), nicht unterlaufen. Auch der von ihr gezogene Schluss, aus dieser Rechtsprechung folge, dass der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, vor Ablauf der Frist des § 4 KSchG seine Schwerbehinderung zu offenbaren, trägt nicht. Diese Rechtsprechung dient dem Vertrauensschutz sowie der Rechtssicherheit und verwehrt es dem Arbeitnehmer, seine sich aus der Schwerbehinderung ergebenden Rechte gegenüber dem Arbeitgeber, der bei Erklärung der Kündigung von der Schwerbehinderung bzw. einem bereits gestellten Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung keine Kenntnis hat, illoyal verspätet geltend zu machen. Sie verwehrt es aber nicht dem Arbeitgeber, diese Rechtsunsicherheit bereits im Vorfeld der Kündigung durch die Frage nach der Schwerbehinderung zu beseitigen.

42

II. Die Revision nimmt zu Unrecht an, die Frage nach der Schwerbehinderung des Klägers sei jedenfalls deshalb unzulässig gewesen, weil der Beklagte den Anlass dieser Frage nicht konkret dargelegt habe, so dass der Kläger schon deshalb die Frage habe wahrheitswidrig beantworten dürfen, zumal er dem Beklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter ohnehin nicht zur Auskunft verpflichtet gewesen sei.

43

1. Wie bereits ausgeführt, ist die Frage nach einer Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen. Der Arbeitgeber muss deshalb den konkreten Anlass seiner Frage dem Arbeitnehmer nicht mitteilen.

44

2. Darüber hinaus war die Frage für den Kläger erkennbar im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigungswelle gestellt worden, damit der Beklagte die ihm bei der Umsetzung dieses Kündigungsentschlusses im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung von Arbeitnehmern obliegenden Pflichten erfüllen konnte.

45

a) Die Revision macht insoweit geltend, das Landesarbeitsgericht habe zwar im Tatbestand ausgeführt, dass die Frage zur Vermeidung von Fehlern bei der Sozialauswahl erfolgt sei. Der Beklagte habe jedoch nicht vorgetragen, dass er dem Kläger die Intention seiner Frage erläutert habe. Richtig sei dagegen die Feststellung des Arbeitsgerichts, wonach für den Kläger bei der Frage nicht ersichtlich gewesen sei, welchen Zweck der Beklagte damit verfolgt habe.

46

b) Mit dieser Argumentation berücksichtigt der Kläger nicht, dass der Fragebogen im Insolvenzeröffnungsverfahren verteilt worden ist. Wenn in einem derartigen Verfahren vom vorläufigen Insolvenzverwalter eine Umfrage zur „Vervollständigung bzw. Überprüfung“ der Sozialdaten erfolgt, liegt auf der Hand, dass dies der Vorbereitung von Kündigungen, wie sie in einer Insolvenz im Regelfall erforderlich sind, dient. Ebenso liegt auf der Hand, dass der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit einer solchen Fragebogenaktion zum Ausdruck bringt, dass er insbesondere den Schwerbehindertenschutz verwirklichen will. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass der (vorläufige) Verwalter gesetzmäßig handelt (vgl. BGH 20. Juli 2010 - IX ZR 37/09 - Rn. 26, BGHZ 186, 242).

47

3. Der Kläger war auch gegenüber dem Beklagten, der im Zeitpunkt der Durchführung der Fragebogenaktion noch „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter war, zur Auskunft verpflichtet.

48

a) Das Insolvenzgericht hat dem Beklagten mit Beschluss vom 8. Januar 2009 das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen, übertragen. Es hat ihn damit zum sog. „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (zu diesem Begriff Graf-Schlicker InsO 2. Aufl. § 22 Rn. 13 ff.). Zwar ist eine pauschale gerichtliche Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln, nach § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO unzulässig. Das Insolvenzgericht darf jedoch nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu einzelnen, bestimmt bezeichneten Maßnahmen berechtigen und verpflichten. Dazu gehört auch die Ermächtigung zur Kündigung bestimmbarer Arten von Dauerschuldverhältnissen (BGH 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01 - BGHZ 151, 353, 365). Der Beklagte war demnach bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren jedenfalls hinsichtlich der Kündigungsberechtigung in die Arbeitgeberstellung eingerückt und war berechtigt, alle damit verbundenen Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen.

49

b) Darüber hinaus hat auch ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter, dem das Insolvenzgericht keine Arbeitgeberbefugnisse übertragen hat, einen gesetzlichen Auskunftsanspruch gegen die bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben. Diese Norm gilt gemäß § 101 Abs. 2 InsO entsprechend auch für die Angestellten des Schuldners und damit ohne Beschränkung auf den arbeitsrechtlichen Angestelltenbegriff für alle im Betrieb tätigen Personen des Schuldners(Graf-Schlicker InsO 2. Aufl. § 101 Rn. 5). Die Verpflichtung zur Auskunft besteht kraft der Verweisung in § 22 Abs. 3 Satz 3 InsO schon im Eröffnungsverfahren, wobei es unerheblich ist, ob der vorläufige Insolvenzverwalter „stark“ oder „schwach“ ist(Unterbusch Der vorläufige Insolvenzverwalter S. 131; Leithaus in Andres/Leithaus InsO 2. Aufl. § 97 Rn. 14).

50

Der Begriff der „Auskunft“ ist weit auszulegen, da er sich am Verfahrenszweck der Haftungsverwirklichung orientiert. Er umfasst alle rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, die für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens oder von Gläubigerforderungen in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können (BGH 11. Februar 2010 - IX ZB 126/08 - Rn. 5, NZI 2010, 264; Kayser in HK-InsO 6. Aufl. § 97 Rn. 11; HambKomm/Wendler 3. Aufl. § 97 Rn. 3; Unterbusch Der vorläufige Insolvenzverwalter S. 134). Hierunter fällt auch die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft, die sich auf die Dauer eines Arbeitsverhältnisses mit entsprechender Entgeltzahlungspflicht auswirken kann.

51

III. Auch die Rüge der Revision, der Beklagte habe nichts zur Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 94 BetrVG vorgetragen, was aber zur Darlegung der Rechtfertigung der Frage nach der Schwerbehinderung erforderlich gewesen sei, verhilft ihr nicht zum Erfolg. Damit macht die Revision einen rechtlichen Gesichtspunkt geltend, der neuen Tatsachenvortrag des Beklagten zur Beteiligung des Betriebsrats erforderlich macht. Neues tatsächliches Vorbringen im Revisionsverfahren kann aber nur unter Voraussetzungen erfolgen bzw. erzwungen werden, die hier nicht vorliegen. Ohnehin berechtigt eine solche Verletzung von Mitbestimmungsrechten den Arbeitnehmer zwar möglicherweise, die Antwort auf die gestellten Fragen zu verweigern, nicht jedoch, seinen Arbeitgeber zu täuschen (BAG 2. Dezember 1999 - 2 AZR 724/98 - BAGE 93, 41, 47).

52

IV. Infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung ist es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

53

1. Grundsätzlich steht es jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs frei, sein Verhalten oder seine Rechtsansicht zu ändern und sich damit in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten zu setzen. Ein solches Verhalten ist aber rechtsmissbräuchlich, wenn der Erklärende durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten unbewusst oder bewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Das Vertrauen des anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Teils, dass eine bestimmte Rechtslage gegeben sei, ist vor allem dann schutzwürdig, wenn er von dem anderen Teil in diesem Glauben bestärkt worden ist und im Hinblick darauf Dispositionen getroffen hat. In einem solchen Fall ist die Ausnutzung der durch das widersprüchliche Verhalten geschaffenen Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung unzulässig. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 894/07 - Rn. 17, BAGE 130, 14; 23. Februar 2005 - 4 AZR 139/04 - BAGE 114, 33, 42 f.).

54

2. Nach diesen Grundsätzen liegt hier ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung vor. Der Kläger hat durch das Leugnen seiner anerkannten Schwerbehinderung den Beklagten im Glauben bestärkt, er könne ohne die Beteiligung des Integrationsamtes wirksam kündigen, und ihn dadurch davon abgehalten, vor der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Erst bei der Folgekündigung vom 20. August 2009 konnten die Rechte des Klägers aus § 85 SGB IX gewahrt werden. Bliebe sein Verhalten folgenlos, würde das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund seiner Schwerbehinderung länger fortbestehen als das eines nicht behinderten, ansonsten vergleichbaren Arbeitnehmers oder eines Schwerbehinderten, der seine Schwerbehinderung offengelegt hätte. Eine derartige Bevorzugung ist aber nicht Zweck des Sonderkündigungsschutzes, der, wie ausgeführt, nur dem Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile dient (BAG 26. Juni 2001 - 9 AZR 244/00 - BAGE 98, 114, 122; BVerwG 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275).

55

B. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Kündigung vom 26. Mai 2009 aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG iVm. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO) und auch nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist. Gegen die entsprechende Würdigung des Landesarbeitsgerichts und die dieser zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen erhebt die Revision auch keine Rügen.

56

C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolgslosen Revision zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Schäferkord    

        

    B. Bender    

                 

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 103/11
Verkündet am:
15. November 2012
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Raebel, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. Juni 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger nimmt die beklagte S. aus abgetretenem Recht des Rechtsanwalts F. als Verwalter in dem am 22. Dezember 2005 beantragten und am 19. Juni 2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. KG (fortan: Verwalter) in Anspruch. Er verlangt Schadensersatz wegen unzeitiger Kreditkündigung, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt habe, sowie wegen Schlechterfüllung des bankrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages. Der Verwalter hat die Darlehensforderungen der Beklagten in Höhe von insgesamt 3.228.827,62 € in Höhe des Ausfalls zur Tabelle festgestellt. Mit Vereinbarung vom 11./12. Dezember 2008 hat er die Schadensersatzansprüche, mit weiterer Vereinbarung vom 2./9. April 2009 auch mögliche Anfechtungsansprüche an den Kläger abgetreten.
2
Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die "durch die Kreditkündigung vom 29. Juli 2005 bezüglich des Kreditengagements der Schuldnerin und aus der Schlechtleistung des bankrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages entstanden" seien. Der festzustellende Schaden bestehe insbesondere im Verlust des verwerteten Immobilienvermögens und der vollständigen Zerschlagung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen bisherigen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob die Feststellungsklage zulässig sei, ob die Abtretung der Ansprüche im Hinblick auf § 92 InsO unwirksam sei und ob die Rechtskraftwirkung der Feststellung zur Tabelle der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs entgegenstehe. Jedenfalls sei das Verhalten des Verwalters und damit auch des Klägers rechtsmissbräuchlich und verstoße wegen eines unlösbaren Selbstwiderspruchs gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Verwalter hätte eine im Zusammenhang mit der Darlehensgewährung stehende Schadensersatzforderung der Schuldnerin nach der rechtskräftigen Feststellung der Darlehensforderungen nur mit den gegen rechtskräftige Urteile zulässigen Rechtsmitteln geltend machen können. Eine Vollstreckungsgegenklage hätte jedoch keine Aussicht auf Erfolg, weil die Schadensersatzansprüche, mit denen der Verwalter gegen die Forderung hätte aufrechnen können, dem Grunde nach vor der Feststellung zur Tabelle entstanden seien (§ 767 Abs. 2 ZPO), so dass eine Aufrechnung nicht in Betracht komme. § 767 Abs. 2 ZPO stehe der klageweisen Geltendmachung der Forderung zwar nicht entgegen. Für den Fall der Insolvenz gelte das jedoch nicht. Der Verwalter könne nicht eine Darlehensforderung zur Tabelle feststellen und dann eine Schadensersatzforderung einklagen oder einklagen lassen, deren Begründung schon die Anerkennung der Forderung, insbesondere der Zinsforderung, gehindert hätte. Daran ändere die Vorschrift des § 41 InsO nichts. Der Rückzahlungsanspruch sei unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung fällig gewesen; die durch die vorzeitige Kündigung angefallenen Zinsen seien demgegenüber jedoch nur dann berechtigt, wenn die Kündigung tatsächlich wirksam gewesen wäre. Mit der Feststellung der vollständigen Zinsforderung habe der Verwalter daher zum Ausdruck gebracht, dass er die Kündigung für wirksam halte.

II.


5
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch die nach Ansicht des Klägers ungerechtfertigte Kreditkündigung und die nach Ansicht des Klägers unberechtigten Umbuchungen verursachten Schadens ist nicht deshalb ausgeschlossen , weil der Verwalter vor der Abtretung den Anspruch der beklagten Bank auf Rückzahlung des Darlehens nebst Zinsen zur Tabelle festgestellt hat.
6
1. Wie das Berufungsgericht selbst nicht verkannt hat, steht der Klage nicht der Einwand der rechtskräftigen Entscheidung (res iudicata; ne bis in idem; vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. Januar 1985 - V ZR 233/83, BGHZ 93, 288 f, 289; vom 23. September 1992 - I ZR 224/90, NJW 1993, 333, 334; vom 19. November 2003 - VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 50) entgegen. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirkt die Eintragung in die Tabelle für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern wie ein rechtskräftiges Urteil. Eine Klage gegen den Insolvenzverwalter, die während des laufenden Insolvenzverfahrens auf Feststellung zur Tabelle gerichtet sein müsste (§ 180 Abs. 1 InsO; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2006 - IX ZR 15/04, BGHZ 168, 112 Rn. 21), wäre wegen der mit der Eintragung verbundenen Rechtskraftwirkung unzulässig (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 156/07, NZI 2009, 167 Rn. 10). Die Rechtskraftwirkung erstreckt sich jedoch nur auf den festgestellten Anspruch. Nach § 322 ZPO sind Urteile insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage (oder durch die Widerklage) erhobenen Anspruch entschieden ist. In Rechtskraft erwachsen die im Hinblick auf den Streitgegenstand ausgesprochenen Rechtsfolgen, nicht jedoch die einzelnen Tatsachen, präjudiziellen Rechtsverhältnisse und sonstigen Vorfragen, aus welchen das Gericht diese Rechtsfolge abgeleitet hat (BGH, Urteil vom 5. November 2009 - IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 Rn. 9 f). Nichts anderes gilt für die Feststellung zur Tabelle. Die Rechtskraftwirkung der Eintragung erstreckt sich nicht auf Gegenansprüche des Schuldners.
7
2. Ebenso wenig steht § 767 Abs. 2 ZPO der Schadensersatzklage aus abgetretenem Recht des Verwalters entgegen.
8
a) Nach § 178 Abs. 1 InsO gilt eine Forderung als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren (§ 177 InsO) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist. Einwendungen gegen die angemeldete Forderung müssen danach im Prüfungstermin vorgebracht werden. Eine Nachholung des Bestreitens ist ebenso wenig erlaubt wie eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. Eckardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., S. 554 Rn. 38). Einwendungen gegen den zur Tabelle festgestellten Anspruch können ebenso wie gegen einen durch Urteil festgestellten Anspruch nur im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 156/07, NZI 2009, 167 Rn. 12).
9
b) Nach § 767 Abs. 2 ZPO sind Einwendungen gegen den festgestellten Anspruch nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung - im hier gegebenen Fall der Feststellung zur Tabelle: nach dem Prüfungstermin oder dem im schriftlichen Verfahren bestimmten Termin - entstanden sind. Zu Einwendungen im Sinne dieser Vorschrift führen solche Umstände, die den festgestellten Anspruch nachträglich vernichten oder in seiner Durchsetzbarkeit hemmen. Erfasst sind damit nur die eigentlichen rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Einwendungen und Einreden im Sinne des materiellen Rechts (BGH, Urteil vom 6. März 1987 - V ZR 19/86, BGHZ 100, 211, 212).

10
c) Der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wegen unzeitiger Kündigung der Bankverbindung stellt keine Einwendung im Sinne von § 767 Abs. 2 ZPO dar. Er lässt den Bestand und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Rückzahlung des Kredits nebst Zinsen unberührt. Gleiches gilt für den Anspruch auf Ersatz des durch die nach Ansicht des Klägers unberechtigten Umbuchungen. Der Kläger wendet nicht das Erlöschen der festgestellten Forderung durch Aufrechnung mit dem (behaupteten) Schadensersatzanspruch ein (§§ 387, 389 BGB). Zwar unterfällt auch der Aufrechnungseinwand § 767 Abs. 2 ZPO. Ist die Forderung, mit welcher der Schuldner des festgestellten Anspruchs aufrechnen will, bereits vor der letzten mündlichen Verhandlung - hier: vor dem Prüfungstermin oder dem im schriftlichen Verfahren bestimmten Termin - entstanden, ist der Aufrechnungseinwand präkludiert (BGH, Urteil vom 19. März 1987 - IX ZR 148/86, BGHZ 100, 222, 225; vom 5. März 2009 - IX ZR 141/07, WM 2009, 918 Rn. 11; Beschluss vom 10. August 2010 - VIII ZR 319/09, NJW-RR 2010, 1598). Folge der Präklusion ist jedoch nur die Abweisung der Vollstreckungsgegenklage, verbunden mit der materiellrechtlichen Unwirksamkeit der Aufrechnung selbst (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 2009 - IX ZR 141/07, WM 2009, 918 Rn. 10, 12). Auf den Bestand und die Durchsetzbarkeit der vergeblich zur Aufrechnung gestellten Forderung des Titelschuldners hat die Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO hingegen keinen Einfluss. Diese kann vielmehr wie zuvor gegen den Titelgläubiger geltend gemacht und eingeklagt werden.
11
3. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch die nach Ansicht des Klägers unzeitige Kündigung ist schließlich auch nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen.

12
a) Die Rechtsordnung missbilligt widersprüchliches Verhalten einer Partei im Grundsatz nicht (vgl. Bamberger/Roth/Sutschet, BGB, 3. Aufl., § 242 Rn. 106; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 55). Eine Partei darf ihre Rechtsansicht ändern (BGH, Urteil vom 17. Februar 2005 - III ZR 172/04, BGHZ 162, 175, 181), sich auf die Nichtigkeit einer von ihr abgegebenen Erklärung berufen (BGH, Urteil vom 7. April 1983 - IX ZR 24/82, BGHZ 87, 169, 177) oder ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreifen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1991 - IX ZR 271/90, ZIP 1992, 124, 125). Widersprüchliches Verhalten ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1991 - IX ZR 271/90, NJW 1992, 834; vom 17. Februar 2005, aaO). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1975 - IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5, 9; vom 12. November 2008 - XII ZR 134/04, NJW 2009, 1343 Rn. 41) kann eine Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen.
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b) Die Voraussetzungen dieses engen Ausnahmetatbestandes liegen ersichtlich nicht vor.
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aa) Schon ein objektiv widersprüchliches Verhalten des Verwalters lässt sich kaum feststellen. Der Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB bestand unabhängig davon, ob die Beklagte sich wegen positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig gemacht hatte. Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die Darlehensforderung fällig (§ 41 Abs. 1 InsO). Das Berufungsgericht hat für ausschlaggebend gehalten, dass auch solche Zinsen angemeldet und zur Tabelle festgestellt worden seien, die nur infolge der Kündigung angefallen sein können. Dem bei den Akten befindlichen Auszug aus der Tabelle lässt sich allerdings nicht entnehmen, welcher Teil der Zinsforderung auf den gegenüber dem Vertragszins höheren Verzugszins entfällt. Das Verhalten des Verwalters kann überdies nicht ohne Rücksicht darauf gewürdigt werden, dass die Feststellung des Anspruchs zur Tabelle auf den eigenen Angaben der Beklagten beruhte. Die Beklagte hat nicht dargelegt , bei der Anmeldung ihrer Forderung oder zu einem späteren Zeitpunkt die ihr bekannten Umstände der streitigen Kündigung offengelegt und so dem Verwalter die Prüfung etwaiger Gegenansprüche ermöglicht zu haben. Die bei den Akten befindliche Forderungsanmeldung lässt nicht einmal die Kündigung vom 29. Juli 2005 erkennen.
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bb) Jedenfalls aber sind schutzwürdige Interessen der Beklagten nicht ersichtlich, welche der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs entgegenstehen könnten. Es gereicht der Beklagten nicht zum Nachteil, mit der Feststellung zur Tabelle zunächst einen rechtskräftigen Titel zu erhalten, aus welchem sie nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung betreiben kann (§ 201 Abs. 2 InsO). Wenn der Verwalter ihre Forderung bestritten und im folgenden Rechtsstreit auf Feststellung der Forderung zur Tabelle den behaupteten Schadensersatzanspruch eingewandt hätte, hätte sie sich insoweit nicht besser gestanden. Im Hinblick auf den behaupteten Schadensersatzanspruch hat sich ihre Rechtsstellung nicht verschlechtert. Die Verteidigung gegen diesen Anspruch ist durch dessen selbständige Geltendmachung nicht erschwert worden.

III.


16
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO). Dieses wird sich nunmehr mit dem Gegenstand der Klage und dem Vorbringen der Parteien hierzu zu befassen haben.
Kayser Raebel Lohmann
Pape Möhring
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 22.02.2010 - 5 O 2/09 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 17.06.2011 - 3 U 214/10 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.