Landesarbeitsgericht Köln Beschluss, 29. Dez. 2015 - 11 Ta 185/14
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 24.04.2014 - 6 Ca 2671/13 - wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e:
2Die nach § 127 ZPO statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht für den Klageantrag zu 3), mit der Kläger die Vergütung von 171 Mehrarbeitsstunden begehrte, abgelehnt.
3I. Gemäß § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
41. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsgebietet Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG zwar keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es danach, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen mit der Folge, dass die vorverlagerte Entscheidung auch den weiteren Rechtsweg abschneidet. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (BVerfG, Beschl. v. 09.10.2014 - 1 BvR 83/12 - m.w.N.). An die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht dürfen daher keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Sie liegt bereits dann vor, wenn der von dem Antragsteller vertretene Rechtsstandpunkt auf Grund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BGH, Beschl. v. 14.12.1993- VI ZR 235/92 - m.w.N.).
52. Für die gemäß § 114 Satz 1 ZPO vorzunehmende Erfolgsprognose ist der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung Entscheidungsgrundlage, wenn alsbald nach Entscheidungsreife entschieden wird. Zur Entscheidung reif ist das Prozesskostenhilfebegehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und wenn der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zum Prozesskostenhilfegesuch zu äußern. Auch wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache inzwischen rechtskräftig entschieden ist, ist die Erfolgsaussicht aufgrund des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs zu beurteilen. Wenn dieser zu einer günstigeren Erfolgsprognose führt als die spätere Lage, ist die Erfolgsaussicht zu bejahen, ohne dass damit die Hauptsacheentscheidung in Frage gestellt wird (BGH, Beschl. v. 07.03.2012 - XII ZB 391/10 - m.w.N.). Unterbleibt die Anhörung des Gegners nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO führt das nicht dazu, dass Entscheidungsreife nicht eintritt. Vielmehr ist sie auch ohne Anhörung des Prozessgegners von dem Zeitpunkt auszugehen, zu dem bei rechtzeitiger und angemessener Fristsetzung des Gerichts die Stellungnahme des Gegners vorgelegen hätte (vgl. LAG Hamm, Beschl. v. 22.07.2013 - 14 Ta 138/13 - m.w.N.).
63. Im vorliegenden Fall hat das Arbeitsgericht erst nach der Entscheidung in der Hauptsache durch Urteil vom 10.04.2014 über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden und die Beklagte zuvor nicht gesondert zur Stellungnahme zu den Klageanträgen aus dem Schriftsatz vom 06.11.2013 aufgefordert. Entscheidungsreife LAG schon vor der Erwiderung der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.02.2014, mit der sie die Überstunden substantiiert bestritten hat, vor. Jedoch war die Klage hinsichtlich der Mehrarbeitsvergütung nicht erst aufgrund des Bestreitens der Beklagten, sondern von Anfang an, mithin auch zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife, welche zwei Wochen nach Übergabe des Klageantrags zu 3) im Gütetermin am 07.11.2013 eintrat, unschlüssig.
7Der Kläger war als Koch aufgrund des Arbeitsvertrags vom 01.01.2013, Ziffer 4., verpflichtet, 120 Stunden monatlich zu leisten. Eine zeitliche Lage der Arbeitsstunden war nicht vorgesehen, vielmehr war ausdrücklich eine flexible Arbeitszeit vereinbart worden. Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 06.11.2013 behauptet, er habe pro Arbeitstag drei Überstunden in der Zeit von 11.00 bis 14.00 Uhr bzw. 11.30 bis 14.30 Uhr aufgrund des Mittagstischangebots geleistet. Dass es sich bei der Mittagsarbeit überhaupt um Mehrarbeit gehandelt hatte, war seinem Vorbringen nicht zu entnehmen. Er hatte bereits nicht dargetan, dass und an welchen Tagen er in dem streitigen Zeitraum vom 14.01.2013 bis 09.03.2013 seine arbeitsvertraglich geschuldeten 120 Arbeitsstunden erbracht hatte. Jegliche Angaben zu den Arbeitszeiten an den jeweiligen Tagen im genannten Zeitraum fehlten. Es ließ sich seinem Vortrag daher nicht hinreichend entnehmen, dass es sich bei den Mittagsstunden überhaupt um Arbeitsstunden gehandelt hatte, die über die Normalarbeitszeit hinausgingen. Auch blieb offen, ob und wann überhaupt die arbeitsvertraglich geschuldete Stundenzahl erreicht wurde. Zudem hatte der Kläger keine Arbeitsanweisungen seiner Arbeitgeberin zur Lage der Arbeitszeit dargetan, sondern sich im Schriftsatz vom 06.11.2013 auf die floskelhafte Umschreibung, die Überstunden seien aufgrund "betrieblicher Anforderungen und Anordnung" erbracht worden, beschränkt. Verlangt der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung, tariflicher Verpflichtung des Arbeitgebers oder aus § 612 Abs. 1 BGB Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er konkret darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer zunächst seiner Darlegungslast, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (BAG, Urt. v. 10.04.2013 - 5 AZR 122/12 - m.w.N.).
8II. Gegen diesen Beschluss ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach den §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.
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(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.
(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.
(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.
(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Tenor
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1. Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 14. Dezember 2011 - S 15 SO 251/11 ER - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben, soweit er die Ablehnung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin betrifft. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Bremen zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 16. Dezember 2011 - S 15 SO 268/11 ER RG - insoweit gegenstandslos.
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2. Die Freie Hansestadt Bremen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Rechtsanwalts.
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3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
- 1
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung von Prozesskostenhilfe in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Zurückweisung der anschließenden Anhörungsrüge und Gegenvorstellung.
- 2
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1. Die Beschwerdeführerin, die mit ihren drei Kindern eine Mietwohnung bewohnt, steht in ergänzendem Bezug von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII (Sozialhilfe). Von den tatsächlichen Mietkosten in Höhe von monatlich 680 € zuzüglich Heizkosten erkannte der Sozialhilfeträger 600 € an und bewilligte der Beschwerdeführerin ein Viertel dieses Betrags. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch begehrte die Beschwerdeführerin insbesondere die Bewilligung höherer Unterkunftskosten.
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2. Im Folgenden beantragte die Beschwerdeführerin beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten. Sie machte geltend, für die Bemessung der angemessenen Unterkunftskosten sei auf die Werte des § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % abzustellen und der Leistungsberechnung damit Mietkosten in Höhe von 660 € zugrunde zu legen.
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Das Sozialgericht lehnte beide Anträge ab. Hinsichtlich der geltend gemachten höheren Kosten der Unterkunft sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es verwies hierzu auf ein Urteil des Sozialgerichts, in dem ausgeführt wurde, dass zwar die wohl weitaus herrschende Meinung der Auffassung sei, dass die geltenden Werte des § 12 WoGG um einen Sicherheitszuschlag von 10 % zu erhöhen seien. Dies werde auch von dem für Beschwerden und Berufungen gegen Entscheidungen des Sozialgerichts zuständigen Landessozialgericht vertreten, das Bundessozialgericht habe sich zu dieser Frage jedoch noch nicht eindeutig geäußert. Unabhängig davon vertrete die Kammer die Auffassung, dass die Werte des § 12 WoGG nicht um einen Sicherheitszuschlag zu erhöhen seien. Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag begründete das Sozialgericht mit mangelnder Erfolgsaussicht des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und verwies hierzu auf die vorstehenden Ausführungen.
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Die gegen den unanfechtbaren Beschluss erhobene Anhörungsrüge, hilfsweise Gegenvorstellung, wies das Sozialgericht zurück.
- 6
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3. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts sowie die diesbezügliche Zurückweisung der Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Sie macht geltend, das Sozialgericht habe die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes überspannt.
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4. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
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II.
- 9
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Verfassungsverstoß durch Überspannung der Anforderungen an die Erfolgsaussichten durch das Sozialgericht im Rahmen der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hinreichend substantiiert dargelegt worden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Dezember 2011 verkennt hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe den Gehalt des Rechts auf Rechtsschutzgleichheit und verletzt die Beschwerdeführerin dadurch in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es danach, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen mit der Folge, dass die vorverlagerte Entscheidung auch den weiteren Rechtsweg abschneidet. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. Auslegung und Anwendung der §§ 114 ff. ZPO obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>; BVerfGK 2, 279 <281>; stRspr).
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Als Fallgruppe, bei welcher regelmäßig von einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg ausgegangen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht Sachlagen herausgearbeitet, bei denen die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Prozesskostenhilfe muss aber nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>; stRspr).
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b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Sozialgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwiderlaufend überspannt.
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Wie das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2011 darlegt, gingen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht nur verschiedene Sozialgerichte erster Instanz, sondern insbesondere auch das Landessozialgericht, das bei Anfechtbarkeit der Entscheidung für die Beschwerde zuständig gewesen wäre, von der Erforderlichkeit der im Streit stehenden Erhöhung der Werte des § 12 Abs. 1 WoGG aus. Das Bundessozialgericht hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine abschließende Entscheidung zu der Frage getroffen. Dass die streitentscheidende Frage danach zwingend zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu beantworten war, ist nicht begründbar.
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Das Sozialgericht ging nach seinen Ausführungen auch nicht davon aus, es handele sich um eine einfache Rechtsfrage. Zur Begründung der Prozesskostenhilfeentscheidung hat es auf die Entscheidungsgründe bezüglich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes Bezug genommen, in der jedoch gerade zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine schwierige und noch nicht geklärte Rechtsfrage handelt.
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3. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Dezember 2011 ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, soweit er die Ablehnung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin betrifft. Die Sache ist insoweit an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss über Anhörungsrüge und Gegenvorstellung wird damit gegenstandslos.
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4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.
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5. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich dadurch, dass die Freie Hansestadt Bremen zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. zur Prozesskostenhilfe BVerfGE 105, 239 <252>).
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Dem Gegner ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob er die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für gegeben hält, soweit dies aus besonderen Gründen nicht unzweckmäßig erscheint. Die Stellungnahme kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Das Gericht kann die Parteien zur mündlichen Erörterung laden, wenn eine Einigung zu erwarten ist; ein Vergleich ist zu gerichtlichem Protokoll zu nehmen. Dem Gegner entstandene Kosten werden nicht erstattet. Die durch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen nach Absatz 2 Satz 3 entstandenen Auslagen sind als Gerichtskosten von der Partei zu tragen, der die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sind.
(2) Das Gericht kann verlangen, dass der Antragsteller seine tatsächlichen Angaben glaubhaft macht, es kann insbesondere auch die Abgabe einer Versicherung an Eides statt fordern. Es kann Erhebungen anstellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen. Zeugen und Sachverständige werden nicht vernommen, es sei denn, dass auf andere Weise nicht geklärt werden kann, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; eine Beeidigung findet nicht statt. Hat der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet, so lehnt das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe insoweit ab.
(3) Die in Absatz 1, 2 bezeichneten Maßnahmen werden von dem Vorsitzenden oder einem von ihm beauftragten Mitglied des Gerichts durchgeführt.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Der Kläger hat - nach Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs mit Klagentwurf im August 2009 und Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht im Januar 2010 - mit der Klage eine teilweise Herabsetzung des durch Jugendamtsurkunden titulierten Unterhalts für die beiden minderjährigen Kinder der Parteien begehrt. Die Beklagte hat zur Verteidigung gegen die Klage Prozesskostenhilfe beantragt. Das Amtsgericht hat der Klage wegen verminderter Leistungsfähigkeit des Klägers stattgegeben. Erst im Anschluss an das Urteil hat das Amtsgericht über das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten entschieden. Es hat diesen mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen und zur Begründung auf sein Urteil verwiesen. Das Urteil ist nicht angefochten worden.
- 2
- Die Beklagte hat gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe Beschwerde eingelegt, die vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
- 3
- 1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren keine der Rechtskraftwirkung des Urteils widersprechende Entscheidung ergehen dürfe. Das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts stelle verbindlich fest, dass die Klage begründet gewesen sei. Dass die Beklagte vom Amtsgericht als richtige Prozesspartei angesehen worden sei, sei im Übrigen zutreffend, weil die Klage vor Rechtskraft der der Scheidung erhoben worden sei und die Prozessstandschaft der Beklagten auch nach der Scheidung fortdauere. Der Zulassung der Rechtsbeschwerde stehe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Klärung grundsätzlicher oder streitiger Rechtsfragen nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert werden dürfe, nicht entgegen. Denn die streitige Frage, ob die rechtskräftige Entscheidung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegenstehe, wenn diese eine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussicht durch das Beschwerdegericht erfordern würde, könne im Hauptsacheverfahren nicht geklärt werden. Es handele sich vielmehr um eine das Verfahren der Prozesskostenhilfe betreffende Frage, die einer Klärung durch das Rechtsbeschwerdegericht nur im Prozesskostenhilfeverfahren zugänglich sei.
- 4
- 2. Das hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statt5 haft und auch sonst zulässig. Das Verfahren richtet sich nach dem in der Hauptsache anwendbaren Verfahrensrecht. Entgegen der Behandlung durch die Vorinstanzen ist auf das erst nach dem 31. August 2009 anhängig gewordene Hauptsacheverfahren das seit 1. September 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden, weil die vorherige Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers noch nicht zur Anhängigkeit und zur Einleitung des (Hauptsache -)Verfahrens nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG geführt hat (Senatsbeschluss vom 29. Februar 2012 - XII ZB 198/11 - zur Veröffentlichung bestimmt). Dementsprechend findet auch auf das Prozesskostenhilfegesuch neues Verfahrensrecht Anwendung (zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012 - XII ZB 451/11 - zur Veröffentlichung bestimmt - Rn. 5 und vom 18. Mai 2011 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011, 1138 Rn. 9).
- 6
- Der rechtskräftige Abschluss des Hauptsacheverfahrens steht der Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die Prozesskostenhilfe /Verfahrenskostenhilfeversagung wegen verneinter Erfolgsaussicht nicht im Wege, weil auch in der Hauptsache ein Rechtsmittel statthaft gewesen wäre (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 162, 230 = FamRZ 2005, 790 und vom 18. Mai 2009 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011, 1138 jeweils mwN).
- 7
- In der vorliegenden Familienstreitsache finden demnach auf die Verfahrenskostenhilfe (im Folgenden einheitlich: Prozesskostenhilfe) gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO entsprechende Anwendung.
- 8
- b) Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Versagung von Prozesskostenhilfe nicht mit der gleichzeitigen Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Widerspruch steht. Denn es handelt es sich um eine Frage, die das Verfahren betrifft (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Mai 2011 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011, 1138 Rn. 12 f.) und die im Hauptsacheverfahren nach dessen rechtskräftigem Abschluss nicht mehr geklärt werden kann.
- 9
- c) Die Frage, ob nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens der in der Hauptsache unterlegenen Partei noch nachträglich Prozesskostenhilfe zu bewilligen oder diese aufgrund der Bindung an die rechtskräftige Hauptsacheentscheidung stets mangels Erfolgsaussicht zu versagen ist, ist umstritten (für eine grundsätzliche Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung: BFHE 141, 494 = DStR 1985, 50; OLG Düsseldorf OLGR 1993, 281; OLG Düsseldorf MDR 2009, 1356; MünchKommZPO/Motzer 3. Aufl. § 127 Rn. 17; gegen eine Bindungswirkung jedenfalls bei verzögerter Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch : OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 1588; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, 1163; Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 119 Rn. 47 - anders hingegen aaO § 127 Rn. 50; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 114 Rn. 41 mwN). Im vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht zu Recht von einer Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung ausgegangen.
- 10
- aa) Es ist allgemein anerkannt, dass Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens noch rückwirkend bewilligt werden kann, wenn der Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen während des Verfahrens gestellt , aber nicht verbeschieden worden ist (Senatsbeschlüsse vom 18. November 2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197 Rn. 20 f. und vom 30. September 1981 - IVb ZR 694/80 - FamRZ 1982, 58). Das betrifft vor allem den Fall, dass das Gericht über das Prozesskostenhilfegesuch nicht unverzüglich entscheidet, sondern die Entscheidungsreife in der Hauptsache abwartet.
- 11
- Bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts ist indessen im Hinblick auf die Erfolgsaussicht die - zwischenzeitlich eingetretene - Rechtskraft der in der Hauptsache ergangenen Entscheidung grundsätzlich zu beachten. Zwar wirkt die Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits und nur insoweit, als über denselben Streitgegenstand entschieden worden ist. Gegenstand des Prozesskostenhilfe /Verfahrenskostenhilfeverfahrens ist demgegenüber das von der Hauptsache unabhängige Verhältnis zwischen dem rechtsuchenden Antragsteller und der Staatskasse, welches den Anspruch auf Prozesskostenhilfe als staatliche Sozialleistung betrifft. Die Rechtskraft bezweckt aber nicht nur den Schutz der Parteien vor erneuter gerichtlicher Inanspruchnahme, sondern dient der Sicherung des Rechtsfriedens im Allgemeinen, indem abweichende Entscheidungen zur selben Streitfrage vermieden werden sollen, und auch der Funktionsfähigkeit der Gerichte (vgl. MünchKommZPO/Gottwald 3. Aufl. § 322 Rn. 2 ff. mwN). Aus der materiellen Rechtskraft folgt daher über das Verbot der wiederholten Entscheidung über denselben Streitgegenstand hinaus auch eine Bindungswirkung der Entscheidung, soweit diese für eine weitere Entscheidung vorgreiflich ist (vgl. Senatsurteil vom 6. März 1985 - IVb ZR 76/83 - FamRZ 1985, 580; MünchKommZPO/Gottwald 3. Aufl. § 322 Rn. 11 mwN).
- 12
- Die Entscheidung in der Hauptsache hat demnach Bindungswirkung, soweit es für den Anspruch auf Prozesskostenhilfe auf die Erfolgsaussicht der Klage oder Rechtsverteidigung ankommt. Insoweit stimmen die zu beurteilenden Fragen überein und ist die Hauptsacheentscheidung für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe vorgreiflich. Durch die Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung wird vermieden, dass das Rechtsmittelgericht in einem Nebenverfahren zu einem der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung widersprechenden Ergebnis gelangt.
- 13
- bb) Allerdings kann im Ausnahmefall eine nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe durch das Rechtsmittelgericht auch aufgrund einer abweichenden Beurteilung der Erfolgsaussicht geboten sein.
- 14
- (1) So kommt eine nachträgliche Bewilligung ausnahmsweise in Betracht , wenn in der Hauptsache eine zweifelhafte Rechtsfrage zu klären war. In diesem Fall darf nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie des Bundesgerichtshofs die Klärung der Frage nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert werden. Die in Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit gebietet im Fall zweifelhafter Rechtsfragen , die Erfolgsaussicht zu bejahen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren, denn das Hauptverfahren eröffnet erheblich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes (BVerfGE 81, 347). Das nur einer summarischen Prüfung unterliegende Prozesskostenhilfeverfahren hat demgegenüber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden (BVerfG FamRZ 2002, 665; Senatsbeschlüsse vom 4. Mai 2011 - XII ZB 69/11 - FamRZ 2011, 1137 Rn. 8 und vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022 juris Rn. 7 mwN). Bei zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht demnach Prozesskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Antragstellers zu entscheiden ist.
- 15
- Anders liegt der vom Senat entschiedene Fall, dass eine zunächst zweifelhafte Rechtsfrage während des Prozesskostenhilfeverfahrens höchstrichterlich geklärt worden ist (Senatsbeschluss vom 27. Januar 1982 - IVb ZB 925/80 - FamRZ 1982, 367; zur ähnlichen Fragestellung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vgl. BGH Beschluss vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 386/02 - NJW-RR 2005, 438 mwN). Denn in diesem Fall ist anders als in der vorliegenden Fallkonstellation das Hauptverfahren nicht durchgeführt worden (s. dazu BGHZ 91, 311, 312 und BGHZ 159, 263, 265), so dass sich die Frage der Rechtskraftwirkung der Hauptsacheentscheidung nicht gestellt hat. Ob an der seinerzeit vertretenen Auffassung des Senats, dass auch zur Entlastung von bereits entstandenen Kosten eine rückwirkende Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht geboten ist, festzuhalten ist, bedarf daher hier keiner Entscheidung.
- 16
- Wenn das Verfahren in der Hauptsache durchgeführt und rechtskräftig entschieden wird, ist demnach bei bestehender Rechtsgrundsätzlichkeit auf ein rechtzeitig gestelltes und mit den erforderlichen Unterlagen eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder -verteidigung nicht anders zu beurteilen, als wenn das Gericht darüber bei Entscheidungsreife hinsichtlich der Prozesskostenhilfe sogleich entschieden hätte. Denn auf den Zeitpunkt der Entscheidung hat der Antragsteller regelmäßig keinen Einfluss, und es darf ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn das Gericht über sein Gesuch erst so spät entscheidet, dass eine Klärung in der Rechtsmittelinstanz vor Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr erreicht werden kann.
- 17
- Die nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe widerspricht in diesem Fall nicht der Entscheidung in der Hauptsache. Denn die hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO ergibt sich hier bereits aus der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage und setzt nicht voraus, dass diese letztlich auch im Sinne der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei zu entscheiden ist. Durch eine nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird daher nur die verfahrensfehlerhafte Verlagerung der Entscheidung in das Prozesskostenhilfeverfahren behoben, ohne dass die Entscheidung auf einer von der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung abweichenden Einschätzung des Rechtsmittelgerichts beruht.
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- (2) Eine weitere Ausnahme ist angezeigt, wenn die Entscheidung über das bewilligungsreife Prozesskostenhilfegesuch vom Gericht verzögert worden ist und sich infolge der Verzögerung die Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussicht zum Nachteil der antragstellenden Partei verändert hat.
- 19
- Für die gemäß § 114 Satz 1 ZPO vorzunehmende Erfolgsprognose ist der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung Entscheidungsgrundlage , wenn alsbald nach Entscheidungsreife entschieden wird. Zur Entscheidung reif ist das Prozesskostenhilfebegehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und wenn der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zum Prozesskostenhilfegesuch zu äußern (Senatsbeschluss vom 18. November 2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197 Rn. 10 mwN; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 1123).
- 20
- Eine andere Beurteilung folgt auch hier nicht daraus, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache inzwischen rechtskräftig entschieden ist. Auch in diesem Fall stehen vielmehr Verfahrensfragen im Vordergrund und widerspricht eine nachträgliche Bejahung der Erfolgsaussicht der Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung nicht. Denn das Gericht hat die Erfolgsaussicht aufgrund des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs zu beurteilen. Wenn dieser zu einer günstigeren Erfolgsprognose führt als die spätere Lage, ist die Erfolgsaussicht zu bejahen, ohne dass damit die Hauptsacheentscheidung in Frage gestellt wird. Das zeigt sich beispielsweise an dem Fall, dass das Gericht nach Eintritt der Bewilligungsreife eine Beweisaufnahme durchgeführt und diese ein für den Antragsteller ungünstiges Ergebnis gehabt hat (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2006, 797 mwN). Dementsprechend hat auch der Bundesfinanzhof eine Ausnahme von der Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung für angebracht gehalten, wenn die Erfolgsaussicht in einem früheren Stadium des Verfahrens anders zu beurteilen gewesen war als zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Hauptsache (BFHE 141, 494 = DStR 1985, 50 juris Rn. 13; ähnlich OLG Nürnberg FamRZ 2004, 1219 f. - insoweit nicht abgedruckt - juris Rn. 7).
- 21
- Der Senat hat damit im Ausgangspunkt übereinstimmend entschieden, dass nach einer Klagerücknahme noch Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Klage zu bewilligen ist, wenn Rechtsverteidigung und Prozesskostenhilfeantragstellung schon zuvor erfolgt waren und die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (Senatsbeschluss vom 18. November 2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197). Gleiches muss gelten, wenn sich im Verlauf des Verfahrens infolge verzögerter Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder –verteidigung durch die antragstellende Partei verschlechtert haben (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 1123; zum - besonders gelagerten - Fall, dass eine Rechtsfrage noch während des Prozesskostenhilfeverfahrens höchstrichterlich geklärt worden ist, s.o. unter bb (1)). Etwas anderes gilt nur dann, wenn spätere Erkenntnisse zugleich die Unwahrheit des Prozessvortrags des Antragstellers im Sinne von § 124 Nr. 1 ZPO ergeben, weil in diesem Fall sogar eine rückwirkende Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe begründet wäre.
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- cc) In Fällen, in denen eine rechtskräftige Hauptsacheentscheidung schon vorliegt, ist die Rechtskraft dieser Hauptsacheentscheidung für die Beurteilung der Erfolgsaussicht grundsätzlich zu beachten. Ausnahmen gelten nur dann, wenn die Prozesskostenhilfeentscheidung der Vorinstanz verfahrensfehlerhaft ergangen ist und sich der Verfahrensfehler auf die Beurteilung der Erfolgsaussicht für den Antragsteller nachteilig ausgewirkt hat.
d) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts entspricht den genannten
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- Maßstäben.
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- aa) Im vorliegenden Fall besagt die Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung , dass sich die Unterhaltsansprüche der Kinder auf die im Entscheidungstenor aufgenommenen Monatsbeträge verringert haben. Dies widerspricht der Rechtsverteidigung der Beklagten, welche sich auf den unverminderten Fortbestand der Unterhaltsansprüche berufen hat, und schließt somit die Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverteidigung aus.
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- bb) Eine Ausnahme von der Bindungswirkung ist im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Denn in der Hauptsache waren weder rechtsgrundsätzliche Fragen zu klären noch haben sich nach Eintritt der Entscheidungsreife die Grundlagen für die Beurteilung der Erfolgsaussicht zum Nachteil der Beklagten verändert.
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- Aus der - verfahrensfehlerhaften - Verzögerung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe allein folgt noch nicht, dass der Beklagten rückwirkend Prozesskostenhilfe bewilligt werden muss. Vielmehr hätte für das Amtsgericht auch bei rechtzeitiger Bescheidung des Prozesskostenhilfegesuchs keine andere Beurteilungsgrundlage bestanden als nach dem Erlass des Urteils in der Hauptsache. Dass das Amtsgericht zunächst noch die vom Kläger beantragte Prozesskostenhilfe verweigert hatte und die Beklagte bereits seinerzeit einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hatte, ändert daran nichts. Denn für das Prozesskostenhilfeverfahren selbst konnte der Beklagten noch keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden (BGHZ 91, 311, 312 und BGHZ 159, 263, 265). Für die letztlich in eingeschränktem Umfang erhobene Abänderungsklage war demnach die Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung erneut zu prüfen. Da sich die Grundlage zur Beurteilung der Erfolgsaussicht zwischen Bewilligungsreife und der schließlich vom Gericht erlassenen Entscheidung nicht verändert hat, besteht demnach für eine von der Hauptsacheentscheidung abweichende nachträgliche Bewilligung kein Raum.
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- Die Rechtsbeschwerde räumt ein, dass sich im Verlauf des Prozesses keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. Die von der Beklagten mit der Rechtsbeschwerde erhobenen Beanstandungen betreffen demnach die Richtigkeit des amtsgerichtlichen Urteils. Diesen steht aber die materielle Rechtskraft des Urteils entgegen. Um diese Wirkung zu verhindern, hätte die Beklagte ein Rechtsmittel in der Hauptsache einlegen müssen. Ihrer Bedürftigkeit im Hinblick auf die Kosten hätte sie durch einen vorgeschalteten Prozesskostenhilfeantrag für die Rechtsmittelinstanz Rechnung tragen können. Hahne Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger
AG Siegburg, Entscheidung vom 25.05.2010 - 313 F 117/09 -
OLG Köln, Entscheidung vom 29.07.2010 - 27 WF 134/10 -
(1) Dem Gegner ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob er die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für gegeben hält, soweit dies aus besonderen Gründen nicht unzweckmäßig erscheint. Die Stellungnahme kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Das Gericht kann die Parteien zur mündlichen Erörterung laden, wenn eine Einigung zu erwarten ist; ein Vergleich ist zu gerichtlichem Protokoll zu nehmen. Dem Gegner entstandene Kosten werden nicht erstattet. Die durch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen nach Absatz 2 Satz 3 entstandenen Auslagen sind als Gerichtskosten von der Partei zu tragen, der die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sind.
(2) Das Gericht kann verlangen, dass der Antragsteller seine tatsächlichen Angaben glaubhaft macht, es kann insbesondere auch die Abgabe einer Versicherung an Eides statt fordern. Es kann Erhebungen anstellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen. Zeugen und Sachverständige werden nicht vernommen, es sei denn, dass auf andere Weise nicht geklärt werden kann, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; eine Beeidigung findet nicht statt. Hat der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet, so lehnt das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe insoweit ab.
(3) Die in Absatz 1, 2 bezeichneten Maßnahmen werden von dem Vorsitzenden oder einem von ihm beauftragten Mitglied des Gerichts durchgeführt.
(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.
(3) (weggefallen)
Tenor
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. November 2011 - 11 Sa 867/11 - wird zurückgewiesen.
-
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Vergütung von Überstunden.
- 2
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Der 1988 geborene Kläger war seit dem 15. Januar 2010 bei der Beklagten als Handwerker im Gebäudemanagement beschäftigt. Er bezog bei einer arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 167 Stunden monatlich ein Bruttomonatsentgelt von 2.100,00 Euro. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 28. Februar 2011.
- 3
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Mit der am 18. März 2011 eingereichten und der Beklagten am 25. März 2011 zugestellten Klage hat der Kläger - soweit für die Revision von Belang - zuletzt Vergütung für 498 Überstunden zu einem Stundensatz von 12,5748 Euro brutto geltend gemacht und vorgetragen, er habe zusammen mit dem Mitarbeiter R das komplette Firmengebäude der Beklagten umgebaut. Dabei seien der gesamte Innenausbau sowie Arbeiten an der Außenanlage, insbesondere Pflaster- und Gartenbauarbeiten, ausgeführt worden. Die an datumsmäßig näher bezeichneten Arbeitstagen im Zeitraum Januar bis Dezember 2010 angefallenen Überstunden habe der damalige Geschäftsführer der Beklagten angeordnet, jedenfalls geduldet. Hilfsweise hat der Kläger die Vergütung für 262,47 Überstunden darauf gestützt, diese würden sich aus von der Beklagten in der Berufungserwiderung vorgelegten Excel-Tabellen ergeben.
- 4
-
Der Kläger hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.262,25 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 5
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe keine von ihr angeordneten oder geduldeten Überstunden geleistet. In die Excel-Tabellen habe sie ungeprüft die Angaben aus den von den Beschäftigten geführten handschriftlichen Anwesenheitslisten übernommen.
- 6
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.
- 8
-
I. Die Revision rügt allerdings zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegung der Leistung von Überstunden überspannt.
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1. Verlangt der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung, tariflicher Verpflichtung des Arbeitgebers oder § 612 Abs. 1 BGB Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und - im Bestreitensfall - zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat, und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - nicht - nachgekommen ist (BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 27 ff.).
- 10
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2. Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Klägers in der Berufungsinstanz. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung auf über 100 Seiten für jeden einzelnen Tag des Streitzeitraums angegeben, von wann bis wann er gearbeitet haben will. Mit dem Vortrag, zu bestimmten Zeiten gearbeitet zu haben, behauptet der Arbeitnehmer regelmäßig zugleich, während der genannten Zeiten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Das ist für die erste Stufe der Darlegung ausreichend. Der Kläger hat zudem den Inhalt der erbrachten Arbeitsleistung dahin gehend konkretisiert, zusammen mit einem anderen Beschäftigten das komplette Firmengebäude der Beklagten umgebaut, sämtliche Innenausbauarbeiten ausgeführt sowie Arbeiten an den Außenanlagen, insbesondere Pflaster- und Gartenbauarbeiten verrichtet zu haben. Das Landesarbeitsgericht überspannt die Anforderungen, wenn es bereits auf der ersten Stufe der Darlegung einer Überstundenleistung vom Arbeitnehmer „konkrete Tätigkeitsangaben“ für jede einzelne Überstunde verlangt.
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3. Von der Substantiierung des Tatsachenvortrags zu trennen ist dessen Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit. Substantiiertes Lügen ändert nichts an der Substanz des Sachvortrags, sondern betrifft dessen Glaubwürdigkeit. Insoweit obliegt es vornehmlich den Tatsacheninstanzen, unbeschadet einer etwaigen Einlassung des Arbeitgebers im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO die Glaubwürdigkeit des Sachvortrags des Arbeitnehmers zu beurteilen, etwa wenn er - wie im Streitfall der Kläger - seinen Sachvortrag mehrfach variiert, Überstunden nach Monaten „aus dem Gedächtnis“ rekonstruiert haben will oder vorprozessual dem Arbeitgeber mitteilte, die geltend gemachten Überstunden seien hauptsächlich bei der kompletten Neugestaltung des privaten Gartens des früheren Geschäftsführers entstanden.
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II. Ob der Sachvortrag des Klägers zur Leistung von Überstunden in allen Details schlüssig und glaubwürdig ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine weitere Voraussetzung für die Vergütung von Überstunden verneint. Der Kläger hat die Veranlassung der Überstundenleistung durch die Beklagte nicht substantiiert dargelegt.
- 13
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1. Der Arbeitgeber ist nach § 611 Abs. 1 BGB zur Gewährung der vereinbarten Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Legen die Parteien einen bestimmten zeitlichen Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung (Regel- oder Normalarbeitszeit) fest, betrifft die Vergütungspflicht zunächst (nur) die Vergütung der vereinbarten Normalarbeitszeit. Erbringt der Arbeitnehmer Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang, ist der Arbeitgeber zu deren Vergütung nur verpflichtet, wenn er die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder sie ihm zumindest zuzurechnen ist. Denn der Arbeitgeber muss sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen, und der Arbeitnehmer kann nicht durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch selbst bestimmen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Vergütungspflicht für Überstunden auf arbeitsvertraglicher Vereinbarung, tarifvertraglicher Verpflichtung des Arbeitgebers oder § 612 Abs. 1 BGB beruht.
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Für diese arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung als - neben der Überstundenleistung - weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Überstundenvergütung hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung formuliert, Überstunden müssten vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein (BAG 15. Juni 1961 - 2 AZR 436/60 - zu II der Gründe; 17. April 2002 - 5 AZR 644/00 - zu II 3 der Gründe; 29. Mai 2002 - 5 AZR 370/01 - zu V 1 der Gründe; 28. Januar 2004 - 5 AZR 530/02 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 109, 254; 25. Mai 2005 - 5 AZR 319/04 - zu II 1 a der Gründe). Daran hat der Senat stets und auch in seinem die Darlegung und den Beweis der Leistung von Überstunden betreffenden Urteil vom 16. Mai 2012 (- 5 AZR 347/11 - , vgl. dort Rn. 31) festgehalten.
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2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass geleistete Überstunden angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit erforderlich waren, trägt der Arbeitnehmer als derjenige, der den Anspruch erhebt (vgl. BAG 18. April 2012 - 5 AZR 248/11 - Rn. 15 mwN). Dabei gelten folgende Grundsätze:
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a) Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat. Dazu fehlt es an substantiiertem Sachvortrag des Klägers. Die pauschale und stereotyp wiederholte Behauptung, der frühere Geschäftsführer der Beklagten habe „die Überstunden angeordnet“, ist nicht ausreichend.
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b) Konkludent ordnet der Arbeitgeber Überstunden an, wenn er dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers (zu diesem Maßstab siehe BAG 19. September 2012 - 5 AZR 678/11 - Rn. 24 mwN) nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten (vgl. als Beispiel BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 31) oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte (vgl. als Beispiel BAG 28. November 1973 - 4 AZR 62/73 - BAGE 25, 419). Dabei begründet allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs keine Vermutung dafür, Überstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen (aA LAG Berlin-Brandenburg 23. Dezember 2011 - 6 Sa 1941/11 -; 10. September 2012 - 15 Ta 1766/12 -).
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Ist wie im Streitfall eine Monatsarbeitszeit vereinbart, muss der Arbeitnehmer zudem darlegen, dass einzelne, zur Erledigung der zugewiesenen Arbeiten geleisteten Überstunden nicht innerhalb einer flexibel gehandhabten Monatsarbeitszeit ausgeglichen werden konnten. Zu alledem fehlt substantiierter Sachvortrag des Klägers.
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c) Mit der Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber gleichsam durch eine nachträgliche Genehmigung die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Die Billigung von Überstunden setzt deshalb voraus, dass der Arbeitgeber zu erkennen gibt, mit der schon erfolgten Leistung bestimmter Überstunden einverstanden zu sein. Das muss nicht ausdrücklich erfolgen und kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter des Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis mit einer Überstundenleistung ausdrückt. Dazu reicht aber die widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht aus (BAG 3. November 2004 - 5 AZR 648/03 - zu III 2 der Gründe; 25. Mai 2005 - 5 AZR 319/04 - zu II 1 c der Gründe). Vielmehr muss der Arbeitnehmer darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein.
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Daran fehlt es im Streitfall. Die Übertragung der vom Kläger gefertigten Aufschriebe seiner Anwesenheitszeiten in Excel-Tabellen ist schon deshalb keine Billigung von Überstunden, weil diese Tabellen unstreitig nicht an die Mitarbeiter ausgehändigt wurden und der Kläger somit keinen Anhaltspunkt dafür hatte, die Beklagte genehmige bereits geleistete Überstunden.
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d) Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden fürderhin zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt (BAG 6. Mai 1981 - 5 AZR 73/79 - zu II 2 der Gründe; vgl. auch - zu § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG - BAG 27. November 1990 - 1 ABR 77/89 -; 24. April 2007 - 1 ABR 47/06 - BAGE 122, 127). Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat.
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Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Klägers nicht. Er kommt über die formelhafte Wendung, der frühere Geschäftsführer der Beklagten habe von den geleisteten Überstunden Kenntnis gehabt und diese geduldet, nicht hinaus. Allein die Entgegennahme von Aufschrieben der Anwesenheitszeiten seiner Beschäftigten vermag eine Kenntnis des Arbeitgebers von einer bestimmten Überstundenleistung nicht zu begründen. Erst wenn der Arbeitnehmer seine Aufzeichnungen hinsichtlich der Arbeitsleistung konkretisiert und mit einem Hinweis auf eine Überstundenleistung verbindet, ist der Arbeitgeber gehalten, dem nachzugehen und gegebenenfalls gegen nicht gewollte Überstunden einzuschreiten.
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III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
-
Müller-Glöge
Laux
Biebl
R. Rehwald
E. Bürger
Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.