Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Anrechnungsverfügung vom 18.07.2006 über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen für das Jahr 2006. Streitig ist die Rückforderung der angerechneten Kapitalertragsteuer.

2

1. Die Antragstellerin ist eine GmbH und betreibt ein Unternehmen, das den Erwerb und die Veräußerung von börsennotierten Wertpapieren und Derivaten im eigenen Namen und für eigene Rechnung i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5 Kreditwesengesetz (KWG) mit dem Ziel eines kurzfristigen Eigenhandelserfolges zum Gegenstand hat.

3

Im Jahr 2006 tätigte die Antragstellerin drei Aktien-Transaktionen und erzielte dabei Dividendenerträge in Höhe von insgesamt 6.317.500,00 € (darauf entfallende Kapitalertragsteuer insgesamt: 1.263.500,00 €, vgl. Hefter "Einspruch und AdV-Verfahren" Bl. 8).

4

Diesbezüglich verbuchte die Antragstellerin in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung Zinsen und ähnliche Aufwendungen in Höhe von insgesamt 6.579.343,43 € gewinnmindernd (davon Dividendenausgleichzahlungen in Höhe von 5.985.831,25 €, ...).

5

2. Der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) erließ am 22.10.2007 einen Bescheid über Körperschaftsteuer für 2006, in dem es ausgehend von einem erklärten Jahresüberschuss in Höhe von 198.164 € Körperschaftsteuer für 2016 in Höhe von 67.287 € festsetzte und die gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge i. H. v. 1.263.500,00 € anrechnete. Dies führte nach Verrechnung mit der Gewerbesteuerzahllast für 2006 zu einer Erstattung von insgesamt 1.198.766,22 € (inkl. Solidaritätszuschlag, ...).

6

3. Ab März 2014 prüfte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A Gesellschafter diverser kurzlebiger Kapitalgesellschaften, die in den Jahren 2006 bis 2011 in unterschiedlichen Konstellationen in sog. Cum-/Ex-Anlagen direkt oder indirekt investiert hatten. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen wurden Unterlagen übergeben, aus denen sich für das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A die "Vermutung" ergab, dass im Rahmen eines Investments namens B (...), welches von einer Tochtergesellschaft der C (...) aufgelegt worden war, die Kapitalertragsteuer im Rahmen der zu Grunde liegenden Cum-/Ex-Geschäfte auf Ausschüttungen deutscher DAX-Unternehmen im Ergebnis einmal angemeldet und gezahlt, aber mehrfach angerechnet wurde.

7

Die Prüfer des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A stellten in ihrem - undatierten, aber nach Aktenlage aus 2016 stammenden - Bericht über das Ergebnis der Ermittlungen u. a. Folgendes fest (...)

8

"Investment B
(...)
Das B Investment zielte nach Ansicht des BFH nicht - wie bei Börsengeschäften allgemein üblich - darauf ab, Gewinne aus Kursschwankungen bzw. Dividendenerträgen der Wertpapiere zu erzielen. Die Auswertung der B-Unterlagen zeigt, dass diese Geschäfte zu dem Zweck initiiert wurden, um Gewinne aus dem Umstand zu generieren, dass der deutsche Fiskus auf der einen Seite Kapitalertragsteuer beim Anleger erstattet bzw. anrechnet, welche auf der anderen Seite tatsächlich nicht an den Fiskus abgeführt und gezahlt worden ist.

9

Es handelt sich um ein systematisches und zielgerichtetes Investment, bei dem deutsche Aktien von ausländischen Marktteilnehmern (Leerverkäufern) am Tag vor dem Dividendenstichtag oder am Dividendenstichtag durch die Investoren schuldrechtlich erworben wurden. Unter den Investoren ist u. a. die D GmbH. Dies ergibt sich aus den Unterlagen der E Ltd, Fragebogen gem. § 31 IV; V WPHG.

10

Durch den Kauf von deutschen Aktien von ausländischen Marktteilnehmern konnte der depotführenden Bank der Investoren, der F, suggeriert werden, es hätte ein Kauf von Aktien mit Dividendenanspruch, "cum", stattgefunden. Die vertraglichen Grundlagen dieses B-Investments waren Gegenstand des Urteils des BFH vom 16.04.2014."

(...)

11

Ermittlungen
Gemäß § 208 I Nr. 1 und 2 AO i. V. m. § 404 AO wurde am 18.12.2015 ein Prüfungsauftrag erteilt.

12

Im Rahmen der Ermittlungen bestätigte die E Ltd. und die G Ltd. mit Mail vom 07.12.2015, das bei allen an dem Investment B teilnehmenden Gesellschaften die Transaktionsstrukturen identisch sind. Damit ist die Entscheidung des BFH vom 16.4.2015 auf alle anderen Investoren des B zu übertragen und somit auch auf die D GmbH.

13

Ermittlungen gegen Verantwortliche aus dem Bereich der Anlagegesellschaften D haben bisher zu keinem Anfangsverdacht geführt. (...).

14

Fazit
In Bezug auf das Urteil des BFH vom 16.04.2015 (gemeint: 16.04.2014) sind die Kapitalertragssteueranrechnungen in der Körperschaftsteuererklärung 2006 der D GmbH, die auf das Investment B entfallen, zu versagen.

15

Die D GmbH handelte im VZ 2006 mit den aus der Anlage ersichtlich Aktien.

16

Die Anrechnung der Kapitalertragssteuer im Körperschaftsteuerbescheid 2006 i. H. v. 1.263.500,00 € KESt und 69.492,50 € Solz ist nach den oben dargestellten Feststellungen zu ändern. Ob eine Änderung in Betracht kommt, bitte ich eigener Zuständigkeit zu prüfen."

17

4. Der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) erließ am 18.07.2016 eine geänderte Anrechnungsverfügung für das Jahr 2006 über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen auf die Körperschafteuer. Darin wurde die Anrechnung der Kapitalertragsteuer gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) zurückgenommen und wurden folgende Anrechnungsbeträge sowie Zinsen mit Fälligkeit am 22.08.2016 zurückgefordert:

18

Kapitalertragsteuer

1.263.500,00 €

Zinsen

   625.432,00 €

Solidaritätszuschlag

     69.492,50 €

19

Zur Erläuterung wurde ausgeführt:
"Die anrechenbaren Steuern waren abzuerkennen (sog. Cum Ex Geschäfte laut Mitteilung des FA für Steuerstrafsachen u. Steuerfahndung A)."

20

5. Gegen die geänderte Anrechnungsverfügung legte die Antragstellerin am 27.07.2016 Einspruch ein und beantragte AdV. Über den Einspruch hat das FA bislang nicht entschieden.

21

Zur Begründung trug die Antragstellerin vor: Die Anrechnungsverfügung für 2006 über die Änderung von Abzugsbeträgen vom 18.07.2016 enthalte nur den pauschalen Hinweis auf so genannte Cum-/Ex-Geschäfte, ohne sonstige Erläuterung oder Nachweisführung. Ihr, der Antragstellerin, sei vor der Änderung der Anrechnungsverfügung kein rechtliches Gehör gewährt worden.

22

Mit Schreiben vom 08.08.2016 teilte das FA der Antragstellerin mit, dass der Einspruch zwar zulässig, aber nicht begründet sei. Der zu beurteilende Sachverhalt entspreche laut Mitteilung des Finanzamtes A dem, der der BFH-Entscheidung vom 16.04.2014 zugrunde gelegen habe. Insofern liege eine Angabe der Antragstellerin im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO vor (vergleiche FG Kassel vom 08.10.2012, Az. 4 V 1661/11). Eine Aussetzung der Vollziehung komme in Anbetracht des festgestellten Sachverhaltes mangels erheblicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht (...).

23

Mit Schreiben vom 09.08.2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Ablehnung des AdV-Antrags ein und trug zur Begründung vor, das BFH-Urteil vom 16.04.2014 sei ganz offenkundig nicht einschlägig. Im entschiedenen Fall habe über die zu beurteilenden Sachtatbestände von Anfang an Uneinigkeit zwischen dem zuständigen Finanzamt und dem Steuerpflichtigen bestanden. Insbesondere sei aber in Bezug auf den strittigen Steuerbescheid des Jahres 2008 weder Festsetzungs- noch Zahlungsverjährung eingetreten.

24

Sie, die Antragstellerin, habe sämtliche steuerlichen Pflichten zu jeder Zeit erfüllt und insbesondere die steuerlich maßgeblichen Sachtatbestände vollständig und wahrheitsgemäß offengelegt. Sie habe keine Kenntnis von den Machenschaften der Bank gehabt und auch subjektiv niemals irgendeine Verkürzung von Steuern in Kauf genommen. Die Bescheinigungen über die Steueranrechnungsbeträge der F AG & Co. KGaA seien nicht durch sonstigen Verwaltungsakt aufgehoben worden.

25

Die Festsetzungsfrist für das Jahr 2006 sei mit Ablauf des 31.12.2011 abgelaufen. Die Zahlungsverjährung in Bezug auf den mit Bescheid vom 22.10.2007 festgesetzten Erstattungsbetrag für das Jahr 2006 sei spätestens mit Ablauf des ein 30.12.2012 eingetreten.

26

Sie, die Antragstellerin, verfüge nicht über ausreichende, liquide Mittel zur Tilgung der ungerechtfertigten Steuernachforderung für das Jahr 2006. Eine sofortige Veräußerung des Anlagevermögens würde zur Realisierung von signifikanten Kursverlusten führen (...).

27

Der Einspruch gegen die Ablehnung des AdV Antrags wurde noch nicht beschieden.

28

6. Am 17.08.2016 hat die Antragstellerin einen gerichtlichen Antrag auf AdV gestellt. Zur Begründung trägt sie vor, sie habe in ihrer Körperschaftsteuererklärung 2006 keine Angaben im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO gemacht. Sie habe im Kalenderjahr 2006 drei Transaktionen getätigt, die jeweils refinanziert worden seien. Dieser Sachverhalt sei dem FA mit Schreiben vom 27.08.2007 vollständig offengelegt und im Detail erläutert worden. Das FA sei nach Prüfung an Amtsstelle im Jahr 2007 in zutreffender Anwendung des damals geltenden Rechts zu dem Schluss gekommen, dass das wirtschaftliche Eigentum an den Wertpapieren bei ihr, der Antragstellerin, gelegen habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob bei erneuter Würdigung des Sachverhaltes nach der Rechtslage des Jahres 2016 eine andere Auffassung zu vertreten wäre, da die Veranlagung für das Jahr 2006 bereits bestandskräftig sei.

29

Die Festsetzungsverjährung für das Jahr 2006 sei bereits mit Ablauf des 31.12.2011 eingetreten, eine Verlängerung auf zehn Jahre komme nicht in Betracht, da der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt sei.

30

Die Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO seien vorliegend nicht gegeben. Die Änderung der Rechtsauffassung stelle keine neue Tatsache gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO dar.

31

Im Übrigen seien die Wertpapiere nicht "leer" an sie, die Antragstellerin, verkauft worden. Die von ihr erworbenen Wertpapiere hätten sich nachweislich im Bestand des Bankinstitutes befunden.

32

Das BFH-Urteil vom 16.04.2014 (Az. I R 2/12) betreffe eine grundlegend andere Fallkonstellation. Das Finanzamt habe im entschiedenen Fall bei der erstmaligen Veranlagung des Jahres 2008 die Anrechnung von Steueranrechnungsbeträgen versagt. Der Bescheid des Jahres 2008 sei im entschiedenen Fall weder festsetzungs- noch zahlungsverjährt und daher nach den Vorschriften der AO noch änderbar gewesen.

33

Die Ablehnung der AdV führe zu einer unbilligen Härte. Sie, die Antragstellerin, verfüge nicht über ausreichende, liquide Mittel zur Tilgung der ungerechtfertigten Steuernachforderung für das Jahr 2006.

34

Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Bescheides über die geänderte Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen auf die Körperschaftsteuer für 2006 vom 18.07.2016 bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

35

Das FA beantragt,
den Antrag abzulehnen.

36

Zur Begründung führt es aus, dass die Änderung der ursprünglichen Anrechnungsverfügung nach § 130 Abs. 2 AO rechtmäßig gewesen sei.

37

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO hätten vorgelegen. Die Antragstellerin habe den ursprünglichen Abrechnungsbescheid dadurch erwirkt, dass ihre Angaben in der Steuererklärung und die vorgelegten Bescheinigungen zu Unrecht den Eindruck erweckt hätten, dass anrechenbare Kapitalertragsteuer vorliege. Die Antragstellerin sei nicht schutzwürdig, da sie die Ursachen für die Rechtswidrigkeit selbst gesetzt habe, die Ursache also nicht in der Sphäre der Behörde liege.

38

Nach der Rechtsprechung sei in Fällen von Erstattung nicht abgeführter Kapitalertragsteuer in so genannten Cum-/Ex-Geschäften ebenfalls das Tatbestandsmerkmal des unlauteren Mittels erfüllt, so dass auch eine Änderung nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO in Betracht komme.

39

Nach § 130 Abs. 3 AO sei die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigten, zulässig. Ihm, dem FA, sei durch die Kontrollmitteilung des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A am 30.06.2016 der Cum-/Ex-Sachverhalt für das Jahr 2006, der die Rücknahme rechtfertige, bekannt geworden. Die Bescheidänderung am 18.07.2006 sei daher innerhalb der normierten Einjahresfrist vorgenommen worden.

40

Ein rechtswidriger Verwaltungsakt dürfe auch noch zurückgenommen werden, nachdem er unanfechtbar geworden sei, dies stelle § 130 Abs. 1 AO klar. Soweit eine Festsetzungsfrist gelte, sei zwar zu beachten, dass der Verwaltungsakt nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zurückgenommen oder geändert werden könne. Die Festsetzungsfrist sei aber in 2016 bei Erlass des Änderungsbescheides für das Jahr 2006 noch nicht abgelaufen gewesen, da die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre betragen habe, weil hinsichtlich der sich durch den Änderungsbescheid ergebenden Nachforderung die Voraussetzungen für eine begangene Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen hätten.

41

Die Zahlungsverjährung sei im Zeitpunkt der Bescheidänderung noch nicht eingetreten gewesen. Aufgrund der Änderung der Anrechnungsverfügung des Körperschaftsteuerbescheides 2006 vom 18.07.2016 sei erstmalig ein Rückzahlungsanspruch gegen die Antragstellerin entstanden. Dieser Nachzahlungsbetrag sei zum 22.08.2016 erstmalig fällig geworden, so dass nach § 229 AO die fünfjährige Zahlungsverjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2016 in Gang gesetzt worden sei.

...

Entscheidungsgründe

42

II. Der Antrag ist zulässig und begründet.

43

1. Der Antrag ist zulässig.

44

Die Anrechnungsverfügung ist ein Verwaltungsakt, dessen Rechtswirkungen im Ausweis eines Leistungsgebots oder eines Erstattungsanspruchs liegen. Insoweit ist sie vollziehbar i. S. des § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) wie ein nach § 218 Abs. 2 AO ergangener Abrechnungsbescheid (BFH-Beschluss vom 10.04.1992 I B 4/92, BFH/NV 1992, 683).

45

Das FA hat den von der Antragstellerin gestellten behördlichen AdV-Antrag am 08.08.2016 abgelehnt, so dass die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO erfüllt ist. Dass die Antragstellerin gegen die Ablehnung Einspruch eingelegt hat, steht dem gerichtlichen Antrag nach § 69 Abs. 4 FGO nicht entgegen. Der Steuerpflichtige hat die freie Wahl, ob er seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl beim FA als auch dem FG anbringt. Insbesondere ist es ihm unbenommen, gegen einen ablehnenden AdV-Bescheid des FA Einspruch (§ 347 AO) einzulegen und zugleich einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO beim FG anzubringen (Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 15.1).

46

2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

47

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

48

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind nach der Rechtsprechung des BFH zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheides neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Beschlüsse vom 21.11.2013 II B 46/13, BFH/NV 2014, 269; vom 11.07.2013 XI B 41/13 BFH/NV 2013, 1647; vom 12.12.2012 I B 127/12, BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272).

49

b) Nach Maßgabe der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung auf Grundlage präsenter Beweismittel sind die Voraussetzungen für eine AdV erfüllt. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anrechnungsverfügung bestehen ernstliche Zweifel.

50

Es kann vorliegend dahinstehen, ob den im Jahre 2006 abgewickelten Geschäften Leerverkäufe zugrunde lagen, ob die Voraussetzungen einer Änderung gem. § 130 Abs. 2 AO vorlagen und ob bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. Einer Änderung der Anrechnungsverfügung stand jedenfalls der Eintritt der Zahlungsverjährung entgegen.

51

aa) Nach § 228 Abs. 1 AO unterliegen Ansprüche aus dem Steuerverhältnis einer besonderen Zahlungsverjährung, die fünf Jahre beträgt. Die Frist für die Zahlungsverjährung wird dabei durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt, und zwar ungeachtet dessen, ob diese Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs oder gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) einer Abschlusszahlung verbunden wird (BFH-Urteil vom 09.12.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750).

52

bb)   aaa) Nach der Rechtsprechung des BFH besteht der Sinn und Zweck der Zahlungsverjährung darin, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehren soll, was der Steuerpflichtige aufgrund der gegen ihn ergangenen Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuer noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist. Nicht nur fällig gewordene steuerliche Ansprüche können nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Vielmehr kann auch auf fällig gewordene Steuern nichts mehr angerechnet und dadurch kein Erstattungsanspruch zugunsten des Steuerpflichtigen gem. § 37 Abs. 2 AO mehr ausgelöst werden (BFH-Urteil vom 12.02.2008 VII R 33/06, BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504).

53

bbb) Ebenso ist ausgeschlossen, dass in dem Fall, in dem die Abschlusszahlung des Steuerpflichtigen im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG durch Anrechnungen fällig geworden ist, die Anrechnungsbeträge, die Grundlage für die Erstattung waren, nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist zurückgenommen werden und dadurch ein Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 Abs. 2 AO zugunsten des FA ausgelöst wird (Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 08.12.2009 15 K 6030/06 B, Juris, bestätigt durch BFH-Urteil vom 09.12.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750).

54

ccc) Die Änderung einer Anrechnungsverfügung nach Eintritt der Zahlungsverjährung ist danach ungeachtet dessen auszuschließen, ob es um die nachträgliche Anrechnung durch Steuerabzug entrichteter Beträge und eine daraus folgende Verringerung der Abschlusszahlung bzw. eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen geht oder umgekehrt um die Korrektur einer solchen Anrechnung zu Lasten des Steuerpflichtigen mit der Folge einer Erhöhung der Abschlusszahlung bzw. einer Steuernachforderung des Finanzamtes (BFH-Urteile vom 25.10.2011 VII R 55/10, BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220; vom 27.10.2009 VII R 51/08, BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382).

55

ddd) Die Zielsetzung des Gesetzes verlangt es, dass dies ungeachtet der Gründe der zunächst fehlerhaften Abrechnung immer dann gilt, wenn sich bei der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergeben hat und der entsprechende Betrag gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG an den Steuerpflichtigen ausgezahlt worden ist. Der (Zahlungs-)Anspruch des Finanzamts auf Rückzahlung eines solchen Betrages entsteht zwar erst und wird damit fällig, wenn das FA seine Anrechnungsverfügung ändert, weil es die Fehlerhaftigkeit seiner Abrechnung erkennt. "Grundlage" dieses Anspruches, der die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis i. S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 AO lediglich "verwirklicht", sind jedoch die im Steuerfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen, deren Erlass die Zahlungsverjährung auch dann in Lauf setzt, wenn sie nicht den Inhalt haben, den das Finanzamt bei seinen Entscheidungen im Steuererhebungsverfahren, insbesondere bei der Abrechnung gemäß § 36 Abs. 4 EStG, unterstellt (BFH-Urteil vom 25.10.2011 VII R 55/10, BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220).

56

eee) Diese Grundsätze gelten nur für die Fälle, in denen es lediglich um zu berichtigende Posten der Anrechnungsverfügung unabhängig von einer geänderten Steuerfestsetzung geht. Ändert sich dagegen die Steuerfestsetzung, ist im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen, ohne dass der Anpassung bis dahin ggf. bereits abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstehen könnten (BFH-Urteil vom 29.10.2013 VII R 68/11, BFHE 243, 111, BStBl II 2016, 115).

57

cc) Nach diesen Grundsätzen durfte die vom FA erlassene Anrechnungsverfügung nach Ablauf von fünf Jahren seit Erlass des ursprünglichen Körperschaftsteuerbescheides nicht mehr geändert werden.

58

Zwar ist dem FA zuzugeben, dass durch den erstmaligen Körperschaftsteuerbescheid für 2006 die festgesetzte Körperschaftsteuer i. H. v. 67.287 € nicht bereits in 2007 fällig geworden ist, da die Antragstellerin aufgrund der Anrechnung der Kapitalertragsteuer keine Abschlusszahlung zu leisten hatte. Die Fälligkeit des Körperschaftsteueranspruchs 2006 wäre demnach erstmalig durch den geänderten Bescheid in 2016 mit dem Wegfall des anzurechnenden Betrages eingetreten. Darauf kommt es aber nach der Rechtsprechung des BFH nicht an, da die Zahlungsverjährung bereits durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in 2007 in Lauf gesetzt wurde, auch wenn die Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs verbunden wurde (oben 2.b)aa) und 2.b)bb)ddd)).

59

Da die Körperschaftsteuerfestsetzung für 2006 unverändert blieb, kommt eine Änderung der Anrechnungsverfügung auch nicht als Anpassung an eine geänderte Steuerfestsetzung in Betracht (oben 2.b)bb)eee)).

60

c) Die Voraussetzungen einer AdV aufgrund "unbilliger Härte" gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO liegen nicht vor.

61

Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH-Beschlüsse vom 26.10.2011 I S 7/11, BFH/NV 2012, 583; vom 02.06.2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834).

62

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar hat die Antragstellerin behauptet, dass sie durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sei. Die Voraussetzungen für eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte sind hier jedoch nicht glaubhaft gemacht.

63

d) Die zu gewährende AdV war nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

64

Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 18.12.2013 I B 85/13, BFHE 244, 320, BStBl II 2014, 947; vom 21.11.2013 II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263).

65

Eine Gefährdung der umstrittenen Steueransprüche für das Streitjahr ist weder vom FA vorgetragen noch sonst ersichtlich.

66

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

67

4. Die Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 128 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO). Der BFH hat bereits in den Jahren 2009 und 2010 in Cum-/Ex-Sachverhaltskonstellationen die Frage des Ablaufs der Zahlungsverjährungsfrist im obigen Sinne entschieden (BFH-Urteile vom 09.10.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750, Juris Rn. 1 und 9; vom 27.10.2009 VII R 51/08 BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382, Juris Rn. 1 und 34).

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Abgabenordnung - AO 1977 | § 228 Gegenstand der Verjährung, Verjährungsfrist


Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, in Fällen der §§ 370, 373 oder 374 zehn Jahre.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 347 Statthaftigkeit des Einspruchs


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Abgabenordnung - AO 1977 | § 229 Beginn der Verjährung


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Abgabenordnung - AO 1977 | § 404 Steuer- und Zollfahndung


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Die Behörden des Zollfahndungsdienstes und die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden sowie ihre Beamten haben im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der Strafprozessordnung. Die in Satz 1 bezeichneten Stellen haben die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 sowie die Befugnis zur Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen (§ 110 Abs. 1 der Strafprozessordnung); ihre Beamten sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

Tatbestand

1

A. Streitig ist die steuerliche Zurechnung von Dividendenerträgen und sonstigen Bezügen aus Aktien bei Wertpapiererwerben im Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-)Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf im Rahmen sog. cum/ex-Geschäfte. Streitjahr ist 2008.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Anfang 2008 errichtete GmbH, erwarb im Streitjahr jeweils am Tag vor dem Dividendenstichtag (Tag der Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Ausschüttung) dividendenberechtigte Aktien ("cum Dividende") "über" (so die Formulierung des Finanzgerichts --FG--) A, eine in London (Großbritannien) ansässige Brokergesellschaft (A handelte insoweit als sog. matched principal broker). Die Transaktionen erfolgten im außerbörslichen Handel ("OTC-"[over the counter]Geschäft). Zu den Erwerbszeitpunkten (14., 15., 20., 28. Mai 2008) befanden sich die Aktien in Depots eines französischen Bankhauses ("Settlement Location").

3

Im Zusammenhang mit diesen Wertpapierkäufen kam es zu folgenden Verträgen über Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-)Swapgeschäfte mit der in London ansässigen Bank B: Global Master Securities Lending Agreement (Rahmenvertrag über Wertpapierleihe --WpL-Rahmenvertrag--); ISDA 2002 Master Agreement (Rahmenvertrag der Internationalen Vereinigung von Swap- und Devisenhändlern --Swap-Rahmenvertrag--); Loan Agreement (Kreditvertrag); Custody Agreement (Verwahrungsvertrag); Security and Set-Off Deed (Sicherheiten- und Verrechnungsurkunde); ISDA Schedule (Ablaufplan) to the 2002 Master Agreement; Credit Support Annex (Kreditsicherungsanhang) to the ISDA Master Agreement. Sämtliche Verträge --mit Ausnahme des Verwahrungsvertrags (vom 8. Mai 2008)-- datieren vom 12. Mai 2008.

4

Gegenstand des Kreditvertrags war die Finanzierung des jeweiligen Kaufpreises. Durch den WpL-Rahmenvertrag verpflichtete sich die Klägerin, die erworbenen Aktien am jeweiligen Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses der betreffenden Kapitalgesellschaften der B darlehensweise zu überlassen. Übertragen wurden die Wertpapiere zu vollem Eigentum und zur freien Verfügung mit der Maßgabe, dass Wertpapiere gleicher Art und mit gleichem Nominalwert ("Equivalent Securities") zurückzugeben seien (Abschn. 4 i.V.m. Abschn. 2.1 WpL-Rahmenvertrag). Zugleich vereinbarten die Vertragsparteien als Tag der Hingabe der Wertpapiere (Loan Date) sowie als Abrechnungstag (Settlement Date) den jeweiligen Tag der Auszahlung der Dividende.

5

B war als Entleiher verpflichtet, der Klägerin zeitgleich mit der Wertpapierleihe und spätestens zum Handelsschluss des Abrechnungstages entsprechende Sicherheiten zu gewähren (Abschn. 5 WpL-Rahmenvertrag); die Zahlung dieser Barsicherheiten sollte automatisch mit der buchmäßigen Lieferung der Wertpapiere erfolgen (Abschn. 5.2 WpL-Rahmenvertrag). B verpflichtete sich weiterhin, zum Ausgleich für Dividendenerträge am Zahlungstag der Dividenden einen entsprechenden Betrag an die Klägerin zu zahlen (Abschn. 6.1 WpL-Rahmenvertrag --"Manufactured Payments"/"Manufactured Dividends"--).

6

Gegenstand des jeweiligen sog. Swap-Geschäfts war nach den Feststellungen des FG und den Erläuterungen der Klägerin (u.a. in ihrem Jahresabschluss) insbesondere eine Absicherung gegenüber Kursverlusten der erworbenen Wertpapiere: Wertsteigerungen schuldete die Klägerin, Wertverluste sollte B ausgleichen; zugleich waren 95 % der Dividenden an B abzuführen.

7

Nach der Gewinn- und Verlustrechnung zum Jahresabschluss der Klägerin auf den 31. Dezember 2008 erzielte sie Umsatzerlöse von 12.422.340 €. Sie erläuterte dies dahin, dass sie mehrere Wertpapierdarlehen gegeben und als Gegenleistung dafür Barsicherheiten erhalten habe. Im Gegenzug habe sie auf der Grundlage des Swap-Geschäfts 95 % der als Ertrag gebuchten Manufactured Dividends ("Dividendenausgleichszahlungen") an B gezahlt (11.801.223 € als betriebliche Aufwendungen).

8

Nach Rückgabe der Equivalent Securities verkaufte die Klägerin die Aktien erneut "über" A.

9

 Im Einzelnen handelte es sich um folgende Transaktionen:

 Aktie

 Anzahl

 Kaufda-
tum

 (2008)

 Vereinbarung
 über die
 Wertpapier-
leihe und Gewinnverwendungsbeschluss
 (2008)

 Zahlungstag der Dividenden

 und Loan Settlement Date (2008)

Verkaufs-
datum
(2008)

 V     

 6.500.000

 14. Mai

 15. Mai

 16. Mai

 3. Juni

 W     

 960.000

 15. Mai

 16. Mai

 19. Mai

 4. Juni

 X     

 750.000

 20. Mai

 21. Mai

 22. Mai

 8. Juli

 Y     

 950.000

 20. Mai

 21. Mai

 22. Mai

 8. Juli

 Z     

 22.120

 28. Mai

 29. Mai

 30. Mai

 15. Juli

10

B verwahrte die Aktien nicht selbst; sie ließ sie im eigenen Namen (aber für Rechnung der Klägerin) durch C mit Sitz in Frankfurt am Main unterverwahren ("Sub-Custodian"). Dabei verwahrte auch C die Aktien nicht selbst; tatsächliche Verwahrstelle war die girosammelverwahrende D mit Sitz in Frankfurt am Main. C adressierte an die Klägerin mit dem Vermerk "Depotkonto 11712011 für ... (B)" Erträgnisabrechnungen und Steuerbescheinigungen über die in das Depot eingelieferten Aktien:

11

                                   
        

 Nennbetrag

 Stückzahl

 Bruttodividende

(€)

 Kapitalertragsteuer
20 %
(€)

 Solidaritätszuschlag
 5,5 %
(€)

 V     

 6.500.000

 5.070.000

 1.014.000

 55.770

 W     

 960.000

 1.132.800

 226.560

 12.460

 X     

 750.000

 4.125.000

 825.000

 45.375

 Y     

 950.000

 1.995.000

 399.000

 21.945

 Z     

 22.120

    99.540

    19.908

   1.094

 Summe (€) 

        

 12.422.340

 2.484.468

 136.645

12

Nach dem Verkauf der Aktien zahlte die Klägerin aus den Erlösen die Barsicherheiten an B zurück und lieferte die von dieser überlassenen Aktien an A aus.

13

Die Klägerin erzielte im Rumpfwirtschaftsjahr zum 31. Dezember 2008 einen Jahresüberschuss von 339.419,21 € (Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit: 581.670,23 €). Zugleich mit der Abgabe ihrer Körperschaftsteuererklärung beantragte sie unter Vorlage entsprechender Steuerbescheinigungen der C (Aktiendepots) sowie einer weiteren Bank (Zinserträge) die Anrechnung von Kapitalertragsteuern, Zinsabschlag und Solidaritätszuschlägen in Höhe von insgesamt 2.621.322,89 €.

14

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte die Körperschaftsteuerfestsetzung mit Bescheid vom 25. Januar 2010 --unter Hinweis auf ein Schreiben vom 14. Januar 2010 und den Inhalt einer Besprechung vom 25. Januar 2010-- ab (in der Betreffzeile des Bescheids wird auf "Körperschaftsteuer 2008" verwiesen). Die Klägerin sei zu den Dividendenstichtagen weder zivilrechtliche noch wirtschaftliche Eigentümerin der Aktien gewesen, weshalb ihr die Dividendenzahlungen gemäß § 20 Abs. 2a des Einkommensteuergesetzes (in der im Streitjahr geltenden Fassung durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28) --EStG 2002 n.F.-- steuerlich nicht zugerechnet werden könnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setze der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Kapitalgesellschaftsanteilen voraus, dass der Erwerber aufgrund eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben habe, und dass die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf den Erwerber übergegangen seien. Dem Erwerber müsse danach der wirtschaftliche Wert der Anteile (deren Substanz und Ertrag) zustehen, und zwar vollständig und auf Dauer. Im Streitfall habe die Klägerin zeitgleich mit der Erteilung der Kaufaufträge an A Kurssicherungsgeschäfte mit B geschlossen. Danach seien die Kursrisiken und -chancen nicht auf die Klägerin übergegangen und somit eine der Grundvoraussetzungen für den Übergang wirtschaftlichen Eigentums nicht erfüllt. Dass es sich bei den Kaufaufträgen und den Swap-Geschäften um separate Rechtsgeschäfte gehandelt habe, sei unbeachtlich; die einzelnen Verträge und ihre Auswirkungen müssten in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden. Mit der Verneinung wirtschaftlichen Eigentums erübrige es sich zudem, sich damit auseinanderzusetzen, ob etwaige sog. Leerverkäufe und die vorgelegten Steuerbescheinigungen steuerlich anerkannt werden können.

15

Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG Hamburg, Urteil vom 24. November 2011  6 K 22/10, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 351). Ein Antrag auf Tatbestands- bzw. Urteilsberichtigung war teilweise erfolgreich (Beschluss des FG vom 12. Januar 2012).

16

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts und eine unzureichende Sachaufklärung.

17

Sie beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Ablehnungsbescheids des FA vom 25. Januar 2010 das FA zu verpflichten, sie erklärungsgemäß zur Körperschaftsteuer zu veranlagen, und im Falle einer Veranlagung auf die festzusetzende Körperschaftsteuer und den festzusetzenden Solidaritätszuschlag Kapitalertragsteuer in Höhe von 2.484.468 €, Zinsabschlag in Höhe von 198,27 € und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer in Höhe von 136.656,62 € anzurechnen.

18

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

19

Dem Verfahren ist das Bundesministerium der Finanzen (BMF) beigetreten. Es ist in der mündlichen Verhandlung mit einem vom Senat zugelassenen Beistand nach § 62 Abs. 7 Satz 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erschienen und schließt sich, ohne einen eigenen Antrag zu stellen, mit ergänzender Begründung der Rechtsmeinung des FA an.

Entscheidungsgründe

20

B. Auf die Revision der Klägerin wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der angefochtene Ablehnungsbescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin ist zur Körperschaftsteuer zu veranlagen; für die Festsetzung der Körperschaftsteuer bedarf es jedoch weiterer tatsächlicher Feststellungen. Im Übrigen (Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen) ist die Revision unbegründet.

21

I. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung des Anrechnungsbegehrens als unzulässig richtet.

22

Das FG hat insoweit ohne Rechtsfehler darauf verwiesen, dass das FA einen im Wege der Sprungklage (§ 45 FGO) anfechtbaren Verwaltungsakt im vom Verfahren der Steuerfestsetzung gesonderten Verfahren der Steuererhebung (s. § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO--) noch nicht erlassen hatte. Der Tenor des angefochtenen Verwaltungsakts (Ablehnungsbescheid des FA vom 25. Januar 2010) lehnt ausdrücklich (nur) "die ... beantragte Körperschaftsteuerfestsetzung" ab. Entgegen der Ansicht der Revision ist es nicht möglich, diese Entscheidung auf das Erhebungsverfahren zu erstrecken: Das FA hat die Frage der Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums ausdrücklich als "Vorfrage" verstanden, die, falls diese zu verneinen ist, eine darauf aufbauende Entscheidung darüber, ob die vorgelegten Steuerbescheinigungen im Erhebungsverfahren anzuerkennen sind, entbehrlich mache. Insoweit sei auch nur "die Streitfrage des wirtschaftlichen Eigentums" gerichtlich zu klären, "um keine unnötige Zeit zu verlieren" (Notiz über die Besprechung am 25. Januar 2010 als Gegenstand der Begründung des angefochtenen Bescheids). Entgegen der Ansicht der Revision erstreckt sich die Zustimmung des FA zu der Sprungklage gegen die Ablehnung der Steuerfestsetzung nicht auch zugleich auf ein Verfahren gegen die --mit Blick auf die bisher ausstehende Steuerfestsetzung-- förmlich noch nicht erfolgte Ablehnung der beantragten Anrechnungsverfügung (s. parallel zum Regelungsinhalt einer Einspruchsentscheidung das Senatsurteil vom 28. April 1993 I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147). Weder Gründe der Prozessökonomie und des Sachzusammenhangs (die Klägerin verweist auf den Ansatz der Bruttodividende als Beteiligungsertrag in der Gewinn- und Verlustrechnung) noch der Umstand, dass es sich bei der Anrechnungsverfügung (oder dem Abrechnungsbescheid) nach der Rechtsmeinung der Klägerin um einen gebundenen Verwaltungsakt handeln könnte oder dass insoweit vom Steuerbescheid eine "ähnlich einem Grundlagenbescheid bindende Wirkung" (s. BFH-Urteile vom 29. Oktober 2013 VII R 68/11, BFHE 243, 111; vom 12. November 2013 VII R 28/12, BFH/NV 2014, 339) ausgeht, können darüber hinweghelfen, dass das Gesetz gesonderte Entscheidungen in getrennten Verfahrensabschnitten vorsieht (z.B. Senatsurteil vom 14. November 1984 I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216; BFH-Urteile vom 12. August 1999 VII R 92/98, BFHE 189, 331, BStBl II 1999, 751; vom 26. Februar 2008 VIII R 1/07, BFHE 220, 229, BStBl II 2008, 659; BFH-Beschluss vom 11. August 2011 X S 6/11 (PKH), BFH/NV 2011, 1837; BFH-Urteile in BFHE 243, 111, und in BFH/NV 2014, 339; Urteil des Niedersächsischen FG vom 22. Juli 1993 VII 396/92, EFG 1994, 302; Gosch in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 36 Rz 20; Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 36 Rz 27).

23

II. Die Klage gegen den Ablehnungsbescheid des FA hat das FG zu Recht als zulässig angesehen.

24

1. Ein solcher Bescheid ist als Steuerbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 AO zu werten (z.B. Senatsurteil vom 22. Oktober 1986 I R 254/83, BFH/NV 1988, 10; BFH-Urteil vom 9. April 2008 II R 31/06, BFH/NV 2008, 1435): Das FA lehnt es ab, auf der Grundlage der Steuererklärung der Klägerin eine Steuerveranlagung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG 2002-- i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG 2002 n.F.) durchzuführen, die nach der Rechtsauffassung der Klägerin in einem sich anschließenden Erhebungsverfahren (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F.) bei der Ermittlung der verbleibenden Körperschaftsteuer (Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die festzusetzende Körperschaftsteuer) zu einer Steuererstattung führen würde. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage, das FA zum Erlass dieses abgelehnten Steuerbescheids zu verpflichten.

25

2. Notwendige Voraussetzung der Anrechnung von Kapitalertragsteuer ist die Erfassung der zugrunde liegenden Einnahmen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F.). Der Verpflichtungsantrag der Klägerin geht über ein bloßes Veranlagungsbegehren hinaus. Ein solcher Antrag ist zulässig, weil nur auf dieser Grundlage die Voraussetzung für eine Steueranrechnung erfüllt werden kann. Das gilt gleichermaßen, soweit die Kapitalertragsteuer auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt, wenn es sich bei der Klägerin tatsächlich --entsprechend der Annahme der Beteiligten und wohl auch der Vorinstanz-- um ein sog. Finanzunternehmen (§ 1 Abs. 3 des Gesetzes über das Kreditwesen, § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG 2002) handeln sollte, oder aber auf Bezüge, welche nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, von welchen aber 5 % als Ausgaben gelten, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen.

26

3. Zur Frage einer Beschwer (§ 40 Abs. 2 FGO) der Klägerin durch die Ablehnung einer (belastenden) Steuerfestsetzung ist auf das Senatsurteil vom 24. November 2009 I R 12/09 (BFHE 228, 195, BStBl II 2010, 590; s.a. BFH-Urteil vom 7. Mai 2013 VIII R 17/09, BFH/NV 2013, 1581) zu verweisen. Die dort beschriebenen Grundsätze zur Beschwer, wenn die Festsetzung einer höheren Steuer begehrt wird, sind hier sinngemäß heranzuziehen.

27

III. Der Verpflichtungsantrag ist dem Grunde nach begründet. Die Klägerin ist zur Körperschaftsteuer zu veranlagen und die Körperschaftsteuer ist festzusetzen. Die Klägerin war als Kapitalgesellschaft im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG 2002 unbeschränkt steuerpflichtig und sie hat nach den tatrichterlichen Feststellungen jedenfalls Zinserträge und weitere Erträge ("ähnliche Erträge" lt. Gewinn- und Verlustrechnung) erzielt.

28

IV. Soweit die Klägerin hingegen auch die Erfassung der Erträge aus den streitbefangenen Wertpapierverkäufen begehrt, ist die Klage unbegründet. Die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb (§ 8 Abs. 2 KStG 2002) enthalten im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Wertpapierkäufen keine Dividenden bzw. Kapitalerträge (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 n.F.), die zur Anrechnung der Kapitalertragsteuer berechtigen können (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F.).

29

1. a) Der von der Klägerin begehrte Ansatz von Dividenden sowie der darauf entfallenden anrechenbaren Steuern als (Betriebs-)Einnahmen setzt voraus, dass jene Einnahmen ihr steuerrechtlich zuzurechnen sind. Die persönliche Zurechnung von Dividenden richtet sich nach der hier maßgeblichen Rechtslage im Veranlagungszeitraum 2008 nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002. Anteilseigner i.S. des § 20 Abs. 2a Satz 1 EStG 2002 n.F. ist derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an der Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind (§ 20 Abs. 2a Satz 2 EStG 2002 n.F.). Nach § 39 Abs. 1 AO sind Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen. "Eigentümer" im Sinne dieser Regelung ist der zivilrechtliche Eigentümer oder der Inhaber des Wirtschaftsguts. Abweichend von § 39 Abs. 1 AO bestimmt § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO, dass die Zurechnung an die Person erfolgt, die die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass sie den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.

30

b) Der von der Klägerin begehrte Ansatz von Kapitalerträgen sowie der darauf entfallenden anrechenbaren Steuern als Einnahmen kann allerdings (alternativ) auch darauf beruhen, dass sie sonstige Bezüge aus Aktien (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 n.F.) erwirtschaftet hat. Als sonstige Bezüge gelten auch Einnahmen, die an Stelle der Bezüge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. von einem anderen als dem Anteilseigner nach § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. bezogen werden, wenn die Aktien mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden. Dieser zur Regelung von sog. Leerverkäufen geschaffene Tatbestand (s. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/2712, S. 46 ff.) erfasst Einnahmen, die den Bezug einer Gewinnausschüttung wirtschaftlich ersetzen (Ausgleichszahlung des Verkäufers anstelle der Dividende), und damit im Zusammenhang stehen, dass die im Rahmen des Erfüllungsgeschäfts zu Eigentum erworbene Aktie den im Verpflichtungsgeschäft versprochenen Anspruch auf Zahlung einer Gewinnausschüttung nicht (mehr) vermittelt (von Beckerath in Kirchhof, a.a.O., § 20 Rz 56; Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 111; Blümich/ Ratschow, § 20 EStG Rz 138; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 20 Rz 68).

31

2. Die Klägerin mag die Voraussetzungen des Einkünftetatbestands des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. durch den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien vor dem Ausschüttungsbeschluss im Zeitpunkt des jeweiligen schuldrechtlichen Anschaffungsgeschäfts im Zusammenhang mit den sog. cum/ex-Geschäften prinzipiell erfüllen können (s. zu Einzelheiten Senatsurteil vom 15. Dezember 1999 I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, und dazu das BMF-Schreiben vom 6. Oktober 2000, BStBl I 2000, 1392, sowie Senatsbeschlüsse vom 20. November 2007 I R 85/05, BFHE 223, 414, BStBl II 2013, 287, und I R 102/05, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2008, 336; s.a. z.B. BFH-Urteil vom 1. August 2012 IX R 6/11, BFH/NV 2013, 9; Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2013 I B 159/12, BFH/NV 2014, 291), und zwar auch in der streitgegenständlichen Situation des außerbörslichen Handels (s. z.B. Berger/Matuszewski, Betriebs-Berater --BB-- 2011, 3097, 3101; Desens, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2012, 142, 149 f., und DStZ 2012, 246, 249; Englisch, Finanz-Rundschau --FR-- 2010, 1023, 1028 f.; Hahne, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 605, 609, und DStR 2007, 1196, 1197; Podewils/Zink, DStZ 2013, 177, 178; Schmieszek in Beermann/Gosch, AO § 39 Rz 67; Demuth, DStR 2013, 1116, 1117; Seer/Krumm, DStR 2013, 1757, 1760; s.a. BTDrucks 16/2712, S. 4; a.A. z.B. Rau, DStR 2007, 1192, 1195, und DStR 2007, 1198, 1199, und DStR 2013, 838; Bruns, DStR 2010, 2061, 2063). Gleiches gilt für den Einkünftetatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 n.F. Nicht zweifelsfrei und im Schrifttum umstritten ist allerdings, ob der Anteilserwerber --wovon der Gesetzgeber entgegen dem Vorbringen des BMF in der mündlichen Verhandlung erklärtermaßen ausgegangen ist (vgl. BTDrucks 16/2712, S. 46 ff., S. 47)-- auch im Fall eines sog. Leerverkaufs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirtschaftliches Eigentum erwerben kann (vgl. bejahend z.B. Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097, 3100; Desens, DStZ 2012, 142, 150 f.; Englisch, FR 2010, 1023, 1025 ff.; Podewils/Zink, DStZ 2013, 177, 181; verneinend demgegenüber z.B. Anzinger, Recht der Finanzinstrumente 2012, 394, 400 ff.; Bruns, DStZ 2011, 676, 679; Rau, DStZ 2010, 1267; Kolbinger, Das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, 2008, S. 142 f., S. 165).

32

3. Doch kann das unter den Gegebenheiten des Streitfalls --und damit, überblickt man die einschlägigen Beiträge in der allgemeinen wie fachlichen Presse, wohl zugleich der weithin üblichen Gestaltungspraxis bei sog. cum/ex-Geschäften-- im Einzelnen unbeantwortet bleiben. Denn dem jeweiligen Wertpapiergeschäft liegt hier unabhängig davon, ob ein Inhaberverkauf oder ein sog. Leerverkauf vorliegt, ein von der B initiiertes und modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept zugrunde, das dem Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum durch die Klägerin vor dem Dividendenstichtag --mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F.-- oder zu einem späteren Zeitpunkt --mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 n.F.-- von vornherein entgegensteht. Die Wertpapiererwerbe standen im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-)Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf. Eine nennenswerte Inanspruchnahme der mit dem Innehaben der Wertpapiere verbundenen Rechte durch die Klägerin war in Anbetracht dessen ausgeschlossen. Es liegt ein bloßer Durchgangserwerb vor.

33

a) Es kann allerdings nicht zweifelhaft sein, dass die einzelnen Komponenten der wirtschaftlich unauflösbaren Gesamtkonzeption --bei isolierter Betrachtung-- "als solche" den Erwerb wirtschaftlichen Eigentums durch die Klägerin nicht gefährdet hätten. Dies gilt namentlich für den Umstand der Fremdfinanzierung durch B und des Weiteren dafür, dass die Klägerin die Aktien "ex dividende" kurze Zeit später (und nach Beendigung der Wertpapierleihevereinbarung mit B) wieder "über" A veräußert hat. Auch führt ein Kurssicherungsgeschäft im Zusammenhang mit Aktien für sich genommen ungeachtet der Risikoverteilung nicht zu einer Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den jeweiligen Aktien, soweit das Geschäft nicht physisch durch Aktienlieferung erfüllt wird (Haisch in Haisch/Helios, Rechtshandbuch Finanzinstrumente, 2011, § 6 Rz 192 und § 1 Rz 62 f., m.w.N.).

34

b) In der Zusammenschau der verwirklichten Sachverhalte lässt sich der Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum an den Aktien durch die Klägerin gleichwohl nicht begründen.

35

aa) Das FG hat die erwerbsbezogene Zurechnungsfrage in einen Zusammenhang mit den Vereinbarungen, welche die Klägerin mit B getroffen hat, gestellt. Dazu hat es unter der Annahme eines Erwerbs des wirtschaftlichen Eigentums durch die Klägerin im Zeitpunkt der schuldrechtlichen Vereinbarung mit A festgestellt, die Klägerin habe am jeweils auf den Tag des Erwerbs folgenden Tag (dem Tag des Beschlusses der Hauptversammlung über die Gewinnverwendung) eine Vereinbarung mit B über die Wertpapierleihe zu den jeweiligen Aktien geschlossen. Sie habe auf diese Weise die Aktien auf begrenzte Zeit und gegen Zahlung einer Ausgleichsleistung für erhaltene Dividenden an B zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung mit der Maßgabe verliehen, dass Papiere gleicher Art und Ausstattung zurückzugeben waren. Die Aktien seien in das Depot der B bei C eingeliefert und von der girosammelverwahrenden D verwahrt worden. Damit sei das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien am jeweiligen Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses auf B übergegangen mit der Folge, dass jener die Dividenden steuerlich zuzurechnen seien.

36

bb) Diese Würdigung des FG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

37

aaa) Die beschriebenen Grundsätze zum Übergang wirtschaftlichen Eigentums bei Kapitalgesellschaftsanteilen sind auch bei einer Wertpapierleihe anzuwenden.

38

aaaa) Die Wertpapierleihe ist ihrem Inhalt nach ein Sachdarlehen: Wertpapiere werden auf in der Regel begrenzte Zeit und gegen Leistung eines Entgelts zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung mit der Maßgabe "verliehen", dass Papiere gleicher Art und Ausstattung zurückzugeben sind. Damit ist der Verleiher verpflichtet, dem Entleiher das Eigentum an den Aktien zu übertragen. Der Entleiher wiederum tritt als zivilrechtlicher Eigentümer in alle Rechte aus den Aktien ein. Neben dem Stimmrecht stehen ihm sämtliche Erträge aus den darlehensweise übertragenen Aktien zu (z.B. Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 I R 97/00, BFHE 197, 63, m.w.N.; Schnitger/Bildstein, IStR 2008, 202, 203). Insoweit erhält der Verleiher in der Regel aufgrund schuldrechtlicher Abrede ein Entgelt als Ersatz für entgehende Dividendenerträge (sog. Kompensations- oder Ausgleichszahlung) in Höhe der Dividenden, die während der Laufzeit auf das Papier entfallen.

39

bbbb) Abweichend von der Ansicht der Revision geht das wirtschaftliche Eigentum bei der Wertpapierleihe indessen nicht stets erst im Zeitpunkt der Depot-Umbuchung und damit des Erwerbs des zivilrechtlichen Eigentums auf den Entleiher über. Auch im Rahmen eines Wertpapierleihgeschäfts ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Entleiher vielmehr vor diesem Zeitpunkt möglich; der Umstand, dass im Zuge dieses Rechtsgeschäfts der Verleiher einen auf vertretbare Sachen gerichteten Rückübertragungsanspruch erhält, hindert den Übergang wirtschaftlichen Eigentums nicht (s. z.B. Haarmann in Kirchhof/Schmidt/Schön/Vogel [Hrsg.], Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, Festschrift für Arndt Raupach, 2006, S. 233, 239 ff.; Häuselmann, FR 2010, 200, 201; Haisch/Helios in dies., a.a.O., § 2 Rz 203 f., m.w.N.; s.a. § 8b Abs. 10 Satz 1 KStG 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630; a.A. Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 105 Rz 34). Entscheidend für den Zeitpunkt des Übergangs ist hier wie dort, dass nach dem Gesamtbild der Verhältnisse auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen dem Entleiher auch vor der Eigentumsübertragung die mit den Anteilen verbundenen Verfügungsmöglichkeiten und Gewinnansprüche regelmäßig nicht mehr entzogen werden können.

40

bbb) Die Feststellungen des FG gehen in diesem Zusammenhang dahin, dass es am Tag des jeweiligen Gewinnverwendungsbeschlusses zum Abschluss der jeweiligen Leihvereinbarung und einer "Einbuchung des Aktienbestands" auf dem durch B im eigenen Namen gehaltenen Depot bei C gekommen war. Die Revision rügt, es fehle hiernach an einer ausreichend eindeutigen Grundlage zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der Vertragserfüllung. Denn nach den tatrichterlich getroffenen Feststellungen hatten die Parteien als Tag der Hingabe der Wertpapiere (Loan Date) sowie als Abrechnungstag (Settlement Date) den jeweiligen Tag der Auszahlung der Dividenden (der nach dem Tag des jeweiligen Gewinnverwendungsbeschlusses lag) vereinbart. Den Tag der Depot-Einbuchung hat das FG nicht ausdrücklich festgestellt. Allerdings ist auch insoweit maßgebend, ob B vor der Beschlussfassung über die Dividende (für § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F.) oder vor der Erfüllung der kaufvertraglichen Vereinbarung (für § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 n.F.) --und unter Ausschluss weiterer Verfügungsmöglichkeiten der Klägerin als Verleiherin-- erwarten konnte, wirtschaftlich zur Fruchtziehung berechtigt zu sein.

41

cc) Die Würdigung des FG wird durch das Gesamtvertragskonzept --und damit dem für die Zuweisung wirtschaftlichen Eigentums maßgebenden "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall" (z.B. BFH-Urteil vom 5. Oktober 2011 IX R 57/10, BFHE 235, 376, BStBl II 2012, 318, m.w.N.)-- des Erwerbsgeschäfts gestützt. Dieses erschließt sich aus der vor dem ersten schuldrechtlichen Geschäft abgeschlossenen Rahmenvereinbarung: B als finanzierende Bank trägt die Kursrisiken und die Kurschancen der Aktien, erhält den wesentlichen Teil (95 %) der Dividende und hindert die Klägerin kraft Leihvereinbarung an einer abredewidrigen Verfügung; eine irgendwie geartete Nutzung von (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechten, die mit dem Aktienbesitz verbunden sein können, ist durch die Klägerin nicht vorgesehen.

42

4. In Anbetracht dieses Ergebnisses muss der Senat sich nicht mehr damit auseinandersetzen, ob die getroffenen Transaktionen in ihrer Gesamtschau als gestaltungsmissbräuchlich (i.S. von § 42 AO) anzusehen sind. Diese Frage, die im Zusammenhang mit den sog. cum/ex-Geschäften und der dabei teilweise als halbherzig beurteilten regulativen Gegenwehr des Gesetzgebers vieldiskutiert wird (vgl. dazu z.B. Desens, FR 2014, 265, 305, m.w.N.; s.a. Seer/Krumm, DStR 2013, 1757) und die auch im Streitfall in der Argumentation der Finanzverwaltung im Vordergrund steht, kann nach wie vor unbeantwortet bleiben.

43

V. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist in der eigentlichen Streitfrage spruchreif. Sie ist dennoch an das FG zurückzuverweisen, da anderweitige erforderliche Feststellungen nachzuholen sind.

44

1. Bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer gegenüber der Klägerin sind weitere Zinserträge zu berücksichtigen. Diese Erträge, deren Erzielung durch die Klägerin nicht im Streit steht, liegen ebenfalls ihrem Begehren zugrunde, eine Anrechnung einbehaltener Steuern --hier des sog. Zinsabschlags (zzgl. Solidaritätszuschlag)-- auf ihre Körperschaftsteuerschuld zu erwirken. Die Höhe dieser Erträge hat das FG bislang nicht festgestellt.

45

2. Darüber hinaus hat die Klägerin weitere Einkünfte erzielt (ausweislich ihrer Gewinn- und Verlustrechnung "ähnliche Erträge"), die Gegenstand ihrer Steuererklärung sind. Feststellungen zu diesen Einkünften hat das FG bisher noch nicht getroffen. Im Übrigen werden insbesondere auch die Verrechnungen im Verhältnis zwischen der Klägerin und B aufzuklären sein, um namentlich in der Gewinn- und Verlustrechnung erwähnte "vermögensumschichtende Vorgänge" von einem Einfluss auf die Einkommensermittlung auszuschließen. Sollte es sich bei den ggf. noch zu erfassenden Einnahmen um solche i.S. von § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 handeln, wird das FG schließlich nicht umhinkommen, auf die bereits angesprochene, bislang aber offengebliebene Frage einzugehen, ob es sich bei der Klägerin überhaupt um ein Finanzunternehmen handelt, für das nach § 8b Abs. 7 (Satz 1 und 2) KStG 2002 die Absätze 1 bis 6 dieser Vorschrift nicht anzuwenden sind. Das wiederum hängt davon ab, ob sich der von § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG 2002 tatbestandlich verlangte Anteilserwerb "mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges" tatsächlich --und wie erforderlich-- auf die jeweiligen Aktienverkäufe bezieht, oder aber auf die Einnahmen aus dem jeweiligen modellhaften Kombinationsgeschäft. Letzteres würde den Anforderungen des § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG 2002 nicht genügen und ggf. lediglich den Ansatz der besagten Einnahmen mit 5 % nach Maßgabe von § 8b Abs. 1 und 5 KStG 2002 nach sich ziehen.

46

VI. Die Kostenentscheidung wird dem FG für das gesamte Verfahren --auch soweit die Revision keinen Erfolg hat (s. z.B. BFH-Urteil vom 6. November 2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763)-- gemäß § 143 Abs. 2 FGO übertragen.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist

1.
der Steuerbescheid oder im Fall des § 122a die elektronische Benachrichtigung den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder
2.
bei öffentlicher Zustellung nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Benachrichtigung bekannt gemacht oder veröffentlicht wird.

(2) Die Festsetzungsfrist beträgt:

1.
ein Jahrfür Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen,
2.
vier Jahrefür Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.
Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

(1) Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Sie beginnt jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Festsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, ihre Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt; eine Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung gleich. Wird die Festsetzung oder Anmeldung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so beginnt die Verjährung des gesamten Anspruchs erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung wirksam geworden ist.

(2) Ist ein Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung ergangen, so beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Zahlungsaufforderung nachgeholt worden ist, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Gegen Verwaltungsakte

1.
in Abgabenangelegenheiten, auf die dieses Gesetz Anwendung findet,
2.
in Verfahren zur Vollstreckung von Verwaltungsakten in anderen als den in Nummer 1 bezeichneten Angelegenheiten, soweit die Verwaltungsakte durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu vollstrecken sind,
3.
in öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Angelegenheiten, auf die dieses Gesetz nach § 164a des Steuerberatungsgesetzes Anwendung findet,
4.
in anderen durch die Finanzbehörden verwalteten Angelegenheiten, soweit die Vorschriften über die außergerichtlichen Rechtsbehelfe durch Gesetz für anwendbar erklärt worden sind oder erklärt werden,
ist als Rechtsbehelf der Einspruch statthaft. Der Einspruch ist außerdem statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass in den in Satz 1 bezeichneten Angelegenheiten über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

(2) Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten einschließlich der Maßnahmen der Bundesfinanzbehörden zur Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze; den Abgabenangelegenheiten stehen die Angelegenheiten der Verwaltung der Finanzmonopole gleich.

(3) Die Vorschriften des Siebenten Teils finden auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die geschiedene Ehefrau des im September 2011 verstorbenen Erblassers (E). Aufgrund eines Vermächtnisses des E erhält sie auf Lebenszeit eine monatliche Rente von 2.700 €.

2

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte für den Erwerb der Antragstellerin in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 Erbschaftsteuer in Höhe von 71.000 € fest, die die Antragstellerin am 2. November 2012 entrichtete.

3

Mit dem Einspruch machte die Antragstellerin im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. September 2012 II R 9/11 (BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) und das damit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvL 21/12 die Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 --ErbStG-- (BGBl I 2008, 3018) geltend. Das Einspruchsverfahren ruht bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 21/12.

4

Die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Die beim Finanzgericht (FG) beantragte Aufhebung der Vollziehung wurde ebenfalls abgelehnt. Das FG führte zur Begründung aus, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege nicht die öffentlichen Interessen am ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug und an einer geordneten Haushaltsführung. Die festgesetzte Erbschaftsteuer belaufe sich nur auf knapp 25 % des Erwerbs. Die Antragstellerin könne etwaige finanzielle Härten durch die Wahl der Jahresversteuerung gemäß § 23 ErbStG abmildern. Die Gewährung einer Aufhebung der Vollziehung käme dagegen einem einstweiligen Außerkraftsetzen des ErbStG gleich.

5

Mit der Beschwerde rügt die Antragstellerin die Verletzung des § 69 Abs. 2 Sätze 2 und 7 sowie Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Garantie auf effektiven Rechtsschutz könne einem Steuerpflichtigen bei einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht dadurch faktisch entzogen werden, dass nach der Rechtsprechung des BFH dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft der Vorrang vor dem Interesse des Steuerpflichtigen an einer AdV eingeräumt werde (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Außerdem fehle eine gesetzliche Grundlage, die bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer der Besteuerung zugrunde gelegten Norm ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der AdV verlange. Die Ablehnung der AdV sei auch nicht damit zu rechtfertigen, dass nach der Rechtsprechung des BFH (II. Senat) regelmäßig keine weitergehende Entscheidung getroffen werden könne als vom BVerfG zu erwarten sei (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807). Dies bedeute eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache, weil die fortgesetzte Vollziehung aller Erbschaftsteuerbescheide kaum rückgängig zu machen sei und damit für den einzelnen Steuerpflichtigen dauerhaft nachteilige Wirkungen habe.

6

Die Antragstellerin beantragt, die Vorentscheidung und die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 aufzuheben.

7

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung und die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kommt dem Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG zu.

9

1. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids bestehen --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

10

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 3. April 2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, m.w.N.). Im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ist die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).

11

b) Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG. Beim BVerfG ist unter dem Az. 1 BvL 21/12 ein Normenkontrollverfahren zu der Frage anhängig, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgehen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden (vgl. Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899).

12

2. Das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung ist gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

13

a) Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Aufhebung der Vollziehung, die mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 21. Mai 2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489; vom 18. Juni 2012 II B 17/12, BFH/NV 2012, 1652; Erfordernis eines berechtigten Interesses offen gelassen: BFH-Beschlüsse vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799, und vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826).

14

Das BVerfG hat dieser Rechtsprechung im Grundsatz zugestimmt (BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283; vom 3. April 1992  2 BvR 283/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 726; kritisch insoweit Niedersächsisches FG, Beschluss vom 6. Januar 2011  7 V 66/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 827; Gosch in Beermann/Gosch, FGO, § 69 Rz 179 ff.; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 113; Schallmoser, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 297 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 97; Specker, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 800, 802 f.; einschränkend auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011  12 V 12089/11, EFG 2012, 358). In neueren Entscheidungen hat das BVerfG die Frage, ob die Rechtsprechung des BFH (in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558) in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit offen gelassen (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011  1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89, und vom 6. Mai 2013  1 BvR 821/13, HFR 2013, 639).

15

b) Bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; in BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; in BFH/NV 2012, 1489).

16

c) Allerdings hat der BFH in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, m.w.N.). Dazu zählt auch der Fall, dass der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, und vom 23. April 2012 III B 187/11, BFH/NV 2012, 1328, jeweils m.w.N.).

17

Bis zur Entscheidung des BVerfG ist zwar ungewiss, ob dieses die Vorschrift als verfassungswidrig beurteilen und im Fall einer Verfassungswidrigkeit für nichtig oder (nur) für mit dem GG unvereinbar erklären wird und welche Rechtsfolge es hieraus ziehen wird. Jedoch hat der BFH vorläufigen Rechtsschutz auf der Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367, m.w.N.). Eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes bei Verfassungsverstößen, von denen das Gericht überzeugt ist, gegenüber dem bei sonstigen Rechtsverstößen zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz ist dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Hinblick auf seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Mit dem Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz muss der Steuerpflichtige auch in Kauf nehmen, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage gegen den Steuerbescheid Aussetzungszinsen nach § 237 der Abgabenordnung (AO) anfallen, die für jeden Monat ein halbes Prozent betragen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

18

d) Ist --wie bei der Erbschaftsteuer-- die dem BVerfG zur Prüfung vorgelegte Vorschrift allerdings eine Tarifnorm, muss im Rahmen der Interessensabwägung auch berücksichtigt werden, dass in diesem Fall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes praktisch zu einer einstweiligen Nichterhebung der gesamten Steuer führen kann. Die Kompetenz, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, steht aber nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht allein dem BVerfG zu, das von dieser Möglichkeit nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Gründe Gebrauch machen darf (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.). Dennoch hat ein Steuerpflichtiger auch in einem solchen Fall Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Nur in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss in StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

19

e) Nachdem zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH (in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig ist, ist die Vollziehung eines auf § 19 Abs. 1 ErbStG beruhenden Erbschaftsteuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen auszusetzen oder aufzuheben, wenn ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht. Ein berechtigtes Interesse liegt jedenfalls vor, wenn der Steuerpflichtige mangels des Erwerbs liquider Mittel (wie z.B. Bargeld, Bankguthaben, mit dem Ableben des Erblassers fällige Versicherungsforderungen) zur Entrichtung der festgesetzten Erbschaftsteuer eigenes Vermögen einsetzen oder die erworbenen Vermögensgegenstände veräußern oder belasten muss. In diesen Fällen kann der Erwerber die Erbschaftsteuer nicht bzw. nicht ohne weitere, ggf. auch verlustbringende Dispositionen aus dem Erwerb begleichen. Es ist ihm hier deshalb nicht zuzumuten, die Erbschaftsteuer vorläufig zu entrichten. Wegen des vorrangigen Interesses des Steuerpflichtigen steht der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegen, dass das ErbStG als formell zustande gekommenes Gesetz bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG Geltung beansprucht und von den Behörden und Gerichten anzuwenden ist.

20

Gehören dagegen zu dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb auch verfügbare Zahlungsmittel, die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer eingesetzt werden können, fehlt regelmäßig ein vorrangiges Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Durch die Begleichung der Erbschaftsteuer vermindern sich lediglich die dem Steuerpflichtigen mit dem Erwerb zugeflossenen Zahlungsmittel, so dass die vorläufige Zahlung der Erbschaftsteuer dem Steuerpflichtigen zuzumuten ist.

21

f) Im Streitfall ist das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

22

aa) Die Antragstellerin konnte die mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 festgesetzte Erbschaftsteuer von 71.000 € bei Fälligkeit nicht aus den ihr zu diesem Zeitpunkt zugeflossenen Rentenzahlungen von monatlich 2.700 € entrichten. Wegen des Ansatzes der Rente nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes mit dem Kapitalwert war ein Erwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) zu besteuern. Die dafür festgesetzte Erbschaftsteuer überstieg zum Zeitpunkt der Fälligkeit die Rentenzahlungen, die die Antragstellerin bis dahin für die Zeit nach dem Ableben des E (im September 2011) erhalten hatte. Die Rentenzahlungen dienten im Übrigen --nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin im Einspruchsverfahren-- der Bestreitung ihres Lebensunterhalts, so dass die Antragstellerin den Zahlungseingang von vornherein allenfalls nur in einem hier zu vernachlässigenden Umfang zur Begleichung der Erbschaftsteuer verwenden konnte. Die Erbschaftsteuer musste überwiegend aus eigenen Mitteln der Antragstellerin entrichtet werden. Im Hinblick darauf ist derzeit ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids auch insoweit gegeben, als sie in der Zeit ab Fälligkeit der Erbschaftsteuer bis zur Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin Rentenzahlungen erhalten hat. Dies schließt einen späteren Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht aus.

23

bb) Der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Antragstellerin das Wahlrecht nach § 23 ErbStG hätte ausüben können.

24

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG können Steuern, die von dem Kapitalwert von Renten zu entrichten sind, nach Wahl des Erwerbers statt vom Kapitalwert jährlich im Voraus von dem Jahreswert entrichtet werden. Durch das Wahlrecht soll die unbillige Härte abgemildert werden, die sich aus der Besteuerung von Renten mit dem Kapitalwert ergibt, wenn dem Erwerber zur Begleichung der hohen Steuer die liquiden Mittel fehlen (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 23 ErbStG Rz 1). Das Wahlrecht ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass die Erbschaftsteuer in diesem Fall nach der wirklichen und nicht nach der auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhenden Lebensdauer erhoben wird; lebt der Berechtigte länger als es der Wahrscheinlichkeitsrechnung entspricht, so ist die Gesamtbelastung höher (vgl. Schuck, a.a.O., § 23 ErbStG Rz 16). Zudem muss auch bei Ausübung dieses Wahlrechts die Erbschaftsteuer jährlich im Voraus beglichen werden. Der Antragstellerin muss deshalb die Entscheidung überlassen bleiben, ob sie das gesetzliche Wahlrecht in Anspruch nimmt oder nicht. Allein das Bestehen des einfachgesetzlichen Wahlrechts nach § 23 ErbStG kann nicht dazu führen, das grundgesetzlich geschützte Recht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG einzuschränken. Der Antragstellerin stehen beide Rechte gleichermaßen zu.

25

3. Soweit der Senat bisher vorläufigen Rechtsschutz versagt hat, wenn zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782; vom 11. September 1996 II B 32/96, BFH/NV 1997, 270; in BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942; vom 4. Mai 2011 II B 151/10, BFH/NV 2011, 1395), wird daran im Hinblick auf die geäußerte Kritik (vgl. Seer, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; derselbe, DStR 2012, 325, 328 f.; Gosch, a.a.O., § 69 Rz 180.1; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 113; Anwendung offen gelassen: BFH-Beschlüsse in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, und in BFH/NV 2012, 1489) nicht mehr festgehalten.

26

Es ist nicht gerechtfertigt, aufgrund einer Prognose über die Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen. Ist ein qualifiziertes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden, muss es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiv durchsetzbar sein und darf nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordnet. Aus diesem Grund ist auch im Streitfall eine Aufhebung der Vollziehung unabhängig davon zu gewähren, ob das BVerfG im Verfahren 1 BvR 21/12 für den Fall, dass es zu der Überzeugung gelangt, § 19 Abs. 1 ErbStG sei mit dem GG unvereinbar, die Norm für nichtig erklärt oder wiederum eine zeitlich beschränkte Weitergeltung anordnet. Sollte das BVerfG eine solche Weitergeltungsanordnung treffen und dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgeben, besteht auch die Möglichkeit, dass die Neuregelung des ErbStG den Steuerpflichtigen, deren Erwerbe zeitlich von der Weitergeltungsanordnung erfasst werden, ein Wahlrecht auf Anwendung des neuen Rechts einräumt.

27

4. Die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 war ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.

28

Nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann die Aufhebung der Vollziehung auch gegen Sicherheit angeordnet werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (BFH-Beschluss vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229, Rz 21). Im Streitfall gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Antragstellerin nicht über eine gesicherte Vermögenslage verfügt und daher die Gefahr eines Steuerausfalls besteht.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob eine Anordnung eines Steuerabzuges gemäß § 50a Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2009) mit Blick auf ein zwischenzeitlich über das Vermögen des Vergütungsgläubigers eröffnetes Insolvenzverfahren von der Vollziehung auszusetzen ist; ein Einspruch gegen die Anordnung wurde nach Ablauf der Monatsfrist eingelegt.

2

Unternehmensgegenstand der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), einer GmbH, ist der Erwerb, der Umbau, die Verwaltung, Bewirtschaftung und spätere Veräußerung einer im Inland belegenen Gewerbeimmobilie. Die Immobilie war mit notariellem Vertrag vom 28. September 2011 von einer niederländischen Kapitalgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden für 10.500.000 € erworben worden. Eine "1. Rate" des Kaufpreises (525.000 €) hatte die Antragstellerin bereits vor der Vertragsbeurkundung auflagenfrei auf ein Notaranderkonto eingezahlt. Der Restkaufpreis war innerhalb von zehn Arbeitstagen nach dem Absenden der schriftlichen Bestätigung des Notars über den Eintritt weiterer Fälligkeitsvoraussetzungen zu zahlen.

3

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ordnete unter dem 10. Oktober 2011 (Bekanntgabe am 12. Oktober 2011) gegenüber der Antragstellerin gemäß § 50a Abs. 7 (i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f) EStG 2009 den Abzug von Körperschaftsteuer in Höhe von 7 % der Vergütungen aus dem Grundstückskaufvertrag an (735.000 €). Der Bescheid trägt keinen Hinweis auf eine E-Mail-Adresse des FA, die sich allerdings aus der allgemeinen Homepage www.finanzamt.nrw.de ergibt; die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung lautet: "Gegen die Anordnung des Steuerabzuges ist der Einspruch gegeben. ... Der Einspruch ist bei dem auf Seite 1 bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Auch der Steuerschuldner kann Einspruch einlegen. Die Frist für die Einlegung beträgt ..."

4

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 bat das FA die Antragstellerin um Mitteilung, wann der Kaufpreis gezahlt und warum gegebenenfalls kein Steuerabzug durchgeführt worden sei. Die Antragstellerin zahlte den "Restkaufpreis" am 20. Januar 2012; später wurde sie als Eigentümerin des Objektes in das Grundbuch eingetragen.

5

Die Antragstellerin informierte das FA über die Zahlung des Kaufpreises. Sie verwies zudem auf eine notarielle Bestätigung vom 7. Februar 2012 über den Bestand eines Notaranderkontos in Höhe von 805.925 €. Gemäß der Treuhandabrede habe sie einen entsprechenden Teil des Kaufpreises auf dem Notaranderkonto hinterlegt. Durch diese Gestaltung habe vermieden werden sollen, dass im Falle einer tatsächlich niedrigeren Steuerfestsetzung aus dem Veräußerungsvorgang die Steuererstattung an die Grundstücksverkäuferin erfolge, um die Bank nicht wirtschaftlich unverhältnismäßig zu benachteiligen.

6

Mit Schreiben vom 13. Februar 2012 forderte das FA die Antragstellerin erneut auf, die Anmeldung und Zahlung des Betrages von 735.000 € zzgl. Solidaritätszuschlag vorzunehmen. Die Antragstellerin wies darauf hin, dass zur Sicherung eines eventuellen Steueranspruchs ein Notaranderkonto eingerichtet worden sei. Zugleich beantragte sie, die Anordnung des Steuerabzuges gemäß § 131 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu widerrufen. Denn über das Vermögen der Grundstücksverkäuferin sei in den Niederlanden am 16. Februar 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Dieser Umstand sei bei der Anordnung des Steuerabzuges jedenfalls im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, da es ein Fiskusprivileg nicht gebe. Durch den Vollzug des Steuerabzuges würde jedoch der Fiskus gegenüber anderen Gläubigern der insolventen Gesellschaft bevorzugt, was parallel zur Rechtslage bei der Bauabzugsteuer gemäß §§ 48 ff. EStG (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. November 2002 I B 147/02, BFHE 201, 80, BStBl II 2003, 716) unrechtmäßig sei. Das FA lehnte den Widerruf der Anordnung mit Schreiben vom 28. März 2012 ab. Über den hiergegen gerichteten Einspruch der Antragstellerin vom 5. April 2012 hat das FA noch nicht entschieden.

7

Mit Schreiben vom 13. April 2012 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Anordnung des Steuerabzuges vom 10. Oktober 2011 ein. Sie vertrat unter Hinweis auf ein Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 24. November 2011  10 K 275/11 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 292) und das hierzu beim BFH anhängige Revisionsverfahren (Az. X R 2/12) die Auffassung, dass der Einspruch rechtzeitig erhoben worden sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides sei unrichtig; ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail fehle (Hinweis auf § 356 Abs. 2 AO).

8

Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der streitigen Anordnung lehnte das FA ab, da der Einspruch verfristet sei. Ein beim FG Münster gestellter AdV-Antrag blieb ebenfalls erfolglos (FG Münster, Beschluss vom 6. Juli 2012  11 V 1706/12 E, abgedruckt in EFG 2012, 1811).

9

Die Antragstellerin macht mit ihrer --vom FG zugelassenen-- Beschwerde geltend, der Einspruch gegen die streitgegenständliche Anordnung sei fristgerecht eingelegt worden. Es bestünden auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnung. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Vollziehung der Anordnung des Steuerabzuges gemäß § 50a Abs. 7 EStG 2009 vom 10. Oktober 2011 ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung in voller Höhe ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

10

Das FA hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

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II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat die beantragte AdV zu Recht abgelehnt. Es fehlt angesichts der verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs und der daran anschließenden formellen Bestandskraft der streitgegenständlichen Anordnung an den für die AdV-Gewährung erforderlichen ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts.

12

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH seit dem Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; z.B. Senatsbeschluss vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611).

13

2. Bei der im Verfahren auf AdV gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung des FA vom 10. Oktober 2011 wegen des Eintritts der formellen Bestandskraft nicht ernstlich zweifelhaft. Der Einspruch der Antragstellerin vom 13. April 2012 ist --was zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht-- erst nach Ablauf der Frist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO beim FA eingegangen; Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO) sind von der Antragstellerin weder vorgetragen worden noch sind sie sonst ersichtlich. Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg auf § 356 Abs. 2 Satz 1 AO berufen.

14

a) Nach § 356 Abs. 1 AO beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs (§ 355 Abs. 1 AO) bei einem schriftlich oder elektronisch ergangenen Verwaltungsakt nur dann, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist. Ist die Belehrung i.S. des § 356 Abs. 1 AO unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO die Einlegung des Einspruchs nur binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei.

15

b) Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn sie die in § 356 Abs. 1 AO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist dies aber auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BFH-Urteile vom 29. Juli 1998 X R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742; vom 21. Juni 2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064; s. auch zur vergleichbaren Konstellation des § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung im allgemeinen Verwaltungsprozess Bundesverwaltungsgericht --BVerwG--, Urteile vom 13. Dezember 1978  6 C 77/78, BVerwGE 57, 188; vom 27. April 1990  8 C 70/88, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1991, 508; vom 21. März 2002  4 C 2/01, Deutsches Verwaltungsblatt 2002, 1553, m.w.N.). Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung daher weiter gehende (nicht nur notwendige) Angaben, so müssen jene auch richtig, vollständig und unmissverständlich sein (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2005 XI B 46/05, juris; BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 2064; BFH-Beschluss vom 9. November 2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste (sog. objektiver Verständnishorizont; s. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 448, m.w.N.).

16

c) Die in dem Bescheid vom 10. Oktober 2011 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ist nach diesem Maßstab --und der gebotenen summarischen Prüfung-- nicht unrichtig; die Monatsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO konnte deshalb nicht unbeachtet bleiben.

17

aa) Zwischen den Beteiligten ist nicht in Streit, dass die Rechtsbehelfsbelehrung die in § 356 Abs. 1 AO ausdrücklich angeführten Bestandteile (Belehrung "über den Einspruch", über die Behörde als Adressaten und über die Frist) in der danach notwendigen Form (im konkreten Fall: schriftlich) enthält. Damit ist den gesetzlichen Anforderungen, die an den Inhalt der Belehrung "über den Einspruch" zu stellen sind, genügt. Weiterer über den Wortlaut von § 356 Abs. 1 AO hinausgehender Belehrungen zur Zulässigkeit des Rechtsbehelfs bedarf es nicht (ebenso z.B. Werth in Beermann/Gosch, AO § 356 Rz 15), auch nicht über die Form des Rechtsbehelfs (z.B. BVerwG-Urteile in BVerwGE 57, 188; in NJW 1991, 508; Meissner in Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 58 Rz 32; Eyermann/Schmidt, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl., § 58 Rz 5; Pahlke in Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 356 Rz 14; a.A. Dumke in Schwarz, AO, § 356 Rz 20; Große/Bludau, Der Betrieb --DB-- 2012, 655, 657; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 18. Aufl., § 58 Rz 10). Dem Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung, zu verhindern, dass ein Bürger aus verfahrensrechtlicher Unkenntnis von der Einlegung eines Rechtsbehelfs absieht oder die hierfür vorgesehene Frist versäumt (z.B. Senatsurteil vom 17. Mai 2000 I R 4/00, BFHE 192, 15, BStBl II 2000, 539; BFH-Urteil vom 7. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455), ist durch die "Mindestangaben" in § 356 Abs. 1 AO und durch die ergänzende Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unverschuldeten Verfahrensirrtümern in ausreichender Weise Rechnung getragen (s. auch Meissner in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O.).

18

bb) Dass die der streitgegenständlichen Anordnung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung --dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO entsprechend-- einen Hinweis auf die (Schrift-)Form des Einspruchs enthält, steht dem nicht entgegen. Das FA hat dadurch nach dem maßgebenden objektiven Verständnishorizont keinen unrichtigen bzw. missverständlichen Hinweis zu den Formerfordernissen erteilt. Das FA war deshalb auch nicht gehalten, einen ergänzenden Hinweis auf § 87a AO (elektronische Form als Alternative zur Schriftlichkeit im Sinne der hergebrachten Schriftform) zu geben, ebenso wie es (umgekehrt) nicht gehalten war, angesichts der (ergänzenden) Regelung des § 87a AO einen Hinweis ausschließlich auf § 357 Abs. 1 Satz 1 AO zu unterlassen.

19

Zwar ist der Antragstellerin darin zuzustimmen, dass die Abgabenordnung nach dem Inkrafttreten des § 87a AO eine elektronische Kommunikation zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen ermöglicht. Es ist auch zutreffend, insoweit von einer "elektronischen Form" der Rechtsbehelfseinlegung zu sprechen (s. dazu die im BFH-Beschluss vom 26. Juli 2011 VII R 30/10, BFHE 234, 118, BStBl II 2011, 925 zitierte landesrechtliche Regelung), die die (hergebrachte) Schriftform ersetzen kann (s. für das Verwaltungsverfahren § 87a Abs. 3 Satz 1 AO). Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO ist aber nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht (so im Ergebnis auch BFH-Beschluss vom 2. Februar 2010 III B 20/09, BFH/NV 2010, 830; FG Köln, Urteil vom 30. Mai 2012  10 K 3264/11, EFG 2012, 1813; FG Düsseldorf, Urteil vom 20. November 2012  10 K 766/12 E, juris; ebenso Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 356 Rz 2; Schmieszek in Beermann/Gosch, AO, § 87a Rz 71; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 87a AO Rz 5; s. auch Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 22. September 2011  4 K 540/11.NW, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss vom 18. April 2011  20 ZB 11.349, juris; Skrobotz, jurisPR-ITR 7/2011 Anm. 6; Braun, jurisPR-ITR 15/2011 Anm. 5; a.A. Niedersächsisches FG, Urteil in EFG 2012, 292; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Februar 2011 OVG 2 N 10.10, juris; Böwing-Schmalenbrock, Deutsches Steuerrecht 2012, 444; Große/Bludau, DB 2012, 655, 657 f.; Geuer/ Jarasch, jurisPR-ITR 16/2012 Anm. 5; Pfützenreuter, EFG 2012, 1815 f.). Vielmehr lässt sich aus einer solchen, an den gesetzlichen Anforderungen als "Mindeststandard" ausgerichteten Belehrung allenfalls schlussfolgern, dass eine mündliche Einspruchseinlegung (soweit nicht bei der Behörde zur Niederschrift erklärt) ausgeschlossen ist. Zur (Un-)Möglichkeit der elektronischen Form wird jedoch keine positive Aussage getroffen und kann daher auch keine negative Aussage abgeleitet werden. Der Hinweis auf die "Schriftlichkeit" entsprechend § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wirkt deshalb weder irreführend noch rechtsschutzbeeinträchtigend. Er versetzt vielmehr --wie der BFH in seinem Urteil in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 zur insoweit vergleichbaren Situation der Fristberechnung ausgeführt hat-- den Betroffenen lediglich in die Lage --und gibt ihm Anlass--, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das herkömmliche Verständnis dessen, was unter "schriftlich" aufzufassen ist, angesichts technischer Weiterentwicklungen zu modifizieren ist, sei es durch den "Einsatz" beispielsweise sog. Computerfaxe, sei es durch die elektronische Kommunikation, wie diese zwischenzeitlich durch § 87a AO für das Einspruchsverfahren ermöglicht wird. Erforderlichenfalls ist er gehalten, einschlägigen Rechtsrat oder aber eine finanzbehördliche Auskunft einzuholen. Für eine bloß "mechanische" Übernahme des Schriftformerfordernisses gibt die Belehrung indessen nichts her.

20

Dieses Ergebnis ist schließlich unabhängig davon, ob das FA im streitgegenständlichen Bescheid durch einen direkten Verweis auf eine eigene Homepage oder mittelbar durch den Verweis auf "www.finanzamt.nrw.de" den Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente i.S. des § 87a Abs. 1 Satz 1 AO (ohne Signaturerfordernis) tatsächlich eröffnet hat. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob eine Finanzbehörde durch die Anweisung im sog. Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 357 (dort Nr. 1 Satz 2) zur rechtswirksamen Einlegung eines Einspruchs rechtsverbindlich (zweifelnd z.B. Martin/Bergan, Betriebs-Berater 2012, 432) von dem gesetzlichen Erfordernis der qualifizierten Signatur bei einer elektronischen Übermittlung (§ 87a Abs. 3 Satz 2 AO) befreit haben sollte.

21

3. Die Antragstellerin hat nicht geltend gemacht, dass ihrem Aussetzungsantrag nach dem alternativen Aussetzungsgrund der unbilligen Härte zu entsprechen wäre (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO); es ist auch nicht ersichtlich, dass die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Die Beschwerde ist hiernach zurückzuweisen.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, in Fällen der §§ 370, 373 oder 374 zehn Jahre.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) aufgrund ihrer Steuererklärungen von 1990 und 1991 zur Einkommensteuer 1989 und 1990 veranlagt worden. Auf die dabei für 1989 festgesetzte Steuer von rund 450.000 DM sind neben Einkommensteuervorauszahlungen durch entsprechende Steuerbescheinigungen nachgewiesene Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer, welche angeblich auf vom Kläger im Wege des Dividenden-Stripping erworbene Aktien entrichtet worden waren, angerechnet worden, so dass es zu ei-nem Guthaben von rund 6.000 DM kam, das in der vorgenannten Verfügung ausgewiesen wurde. Als das FA aufgrund von Ermitt-lungen der Steuerfahndung Ende des Jahres 2000 zu der Auffas-sung gelangte, es habe sich bei den betreffenden Aktienge-schäften um Luftgeschäfte mit weder im rechtlichen noch im wirtschaftlichen Eigentum des Verkäufers stehenden Aktien ge-handelt, änderte es mit Bescheid vom 27. Dezember 2000 die An-rechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989, ebenso die angeb-lich in gleicher Weise fehlerhafte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990, was jedoch insoweit nach dem Urteil des Finanzgerichts (FG), das der Klage gegen diese Änderung stattgegeben hat, nicht mehr Streitgegenstand ist.

2

Als es wegen der Rechtmäßigkeit der zu den Anrechnungsverfügungen für 1989 und 1990 ergangenen Änderungsbescheide mit den Klägern zum Streit kam, erließ das FA den Abrechnungsbescheid vom 21. Oktober 2005, den es am 25. November 2009 berichtigte, und die gegen den vorgenannten Abrechnungsbescheid von den Klägern erhobenen Einspruch zurückweisende Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005.

3

Die hiergegen gerichtete Klage hat das FG --unter Aufhebung der für 1990 ergangenen Bescheide-- abgewiesen. Es sah als er-wiesen an, dass die angerechneten Steuerbeträge tatsächlich nicht entrichtet worden sind, und war der Auffassung, dass die Anrechnung dieser Beträge zugunsten der Kläger in der Anrechnungsverfügung zum Einkommensteuerbescheid 1989 i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) auf deren Angaben beruhte. Da der deshalb gerechtfertigten Rücknahme der Anrechnungsverfügung § 130 Abs. 3 AO nicht entgegenstehe --die dort geregelte Frist sei gewahrt worden-- und die Entscheidung des FA in der Fassung des Bescheides vom 29. November 2009 auch frei von Ermessensfehlern sei --sie werde durch die Erwägung ausreichend begründet, dass die Kläger Nutznießer der fehlerhaften Anrechnung seien--, sei die Klage insoweit abzuweisen. Zahlungsverjährung sei nicht eingetreten. Denn da sich aus der ursprünglichen Anrechnung ein Erstattungsanspruch zugunsten der Kläger ergeben habe, sei eine Abschlusszahlung i.S. des § 36 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zunächst nicht, vielmehr erst durch den Wegfall des anzurechnenden Be-trages von 97.500 DM fällig geworden. Den Zahlungsanspruch ha-be das FA auch nicht verwirkt.

4

Soweit das FG wegen der Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989 dementsprechend die Klage abgewiesen hat, haben die Kläger Revision eingelegt. Sie berufen sich u.a. auf das Urteil des Senats vom 18. Juli 2000 VII R 32, 33/99 (BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133) und insbesondere das Urteil vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08 (BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382), nach welchem im Streitfall die Voraussetzungen der Zahlungsverjährung zweifelsfrei seien. Denn die --hier zunächst unterbliebene-- Ausweisung einer Abschlusszahlung gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 EStG sei nach dieser Entscheidung für die Dauer der Zahlungsverjährung ohne Bedeutung, welche vielmehr durch die Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt werde.

5

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben, soweit darin die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheides zur Einkommensteuer 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005 sowie die Rechtmäßigkeit des geänderten Abrechnungsbescheides vom 25. November 2009 und der vorangegangenen Anrechnungsverfügung vom 27. Dezember 2000 bejaht wird.

6

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Es hat sich zu vorgenanntem Vorbringen der Kläger nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

8

II. Die zulässige Revision der Kläger ist begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO), weil das FG verkannt hat, dass die Änderung der zur Einkommensteuer 1989 ergangenen Anrechnungsverfügung im Jahre 2000 wegen Zahlungsverjährung aus den gleichen Gründen rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, wie dies das FG für die Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990 angenommen hat.

9

Nach dem Urteil des erkennenden Senats in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382 wird die Frist für die Zahlungsverjährung (§ 228 AO) durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt, und zwar ungeachtet dessen, ob diese Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs oder gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG einer Abschlusszahlung verbunden wird. Die Anrechnung kann daher nach Ablauf der in § 228 Satz 2, § 229 Abs. 1 AO geregelten Frist weder zugunsten (so schon Urteil des Senats in BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133) noch zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden.

10

Da der Einkommensteuerbescheid 1989, wie sich aus der vom FG stillschweigend in Bezug genommenen Sachakte des FA ergibt, den Klägern bereits im September 1990 bekanntgegeben worden ist, war die Frist der Zahlungsverjährung mithin im Dezember 2000 abgelaufen. Hemmungs- und Unterbrechungstatbestände sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die im Dezember 2000 vom FA verfügte Änderung der Anrechnungsverfügung ist folglich rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie ist zusammen mit den dazu ergangenen Abrechnungs-, Änderungs- und Einspruchsentscheidungen aufzuheben.

(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

(2) Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Im Fall der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung richtet sich der Anspruch auch gegen den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner.

(1) Die Einkommensteuer entsteht, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Veranlagungszeitraums.

(2) Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:

1.
die für den Veranlagungszeitraum entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 37);
2.
die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie entfällt auf
a)
die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder
b)
die nach § 3 Nummer 40 dieses Gesetzes oder nach § 8b Absatz 1, 2 und 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibenden Bezüge
und keine Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist.2Die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nicht angerechnet, wenn die in § 45a Absatz 2 oder Absatz 3 bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist oder die Angaben gemäß § 45a Absatz 2a nicht übermittelt worden sind.3Soweit der Steuerpflichtige einen Antrag nach § 32d Absatz 4 oder Absatz 6 stellt, ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung auf Verlangen des Finanzamts vorgelegt wird.4In den Fällen des § 8b Absatz 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung nach § 45a Absatz 2 und 3 vorgelegt wird, die dem Gläubiger der Kapitalerträge ausgestellt worden ist.5In den Fällen des § 2 Absatz 7 Satz 3 ist auch die durch Steuerabzug im Kalenderjahr des Wechsels von der unbeschränkten zur beschränkten Einkommensteuerpflicht erhobene Einkommensteuer anzurechnen, die auf Einkünfte entfällt, die weder der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht unterliegen; § 37 Absatz 2 der Abgabenordnung findet insoweit keine Anwendung;
3.
die nach § 10 des Forschungszulagengesetzes festgesetzte Forschungszulage.2Das gilt auch für die gesondert und einheitlich festgestellte Forschungszulage;
4.
in den Fällen des § 32c Absatz 1 Satz 2 der nicht zum Abzug gebrachte Unterschiedsbetrag, wenn dieser höher ist als die tarifliche Einkommensteuer des letzten Veranlagungszeitraums im Betrachtungszeitraum.

(3)1Die Steuerbeträge nach Absatz 2 Nummer 2 sind auf volle Euro aufzurunden.2Bei den durch Steuerabzug erhobenen Steuern ist jeweils die Summe der Beträge einer einzelnen Abzugsteuer aufzurunden.

(4)1Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen ergibt, hat der Steuerpflichtige (Steuerschuldner) diesen Betrag, soweit er den fällig gewordenen, aber nicht entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen entspricht, sofort, im Übrigen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (Abschlusszahlung).2Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird dieser dem Steuerpflichtigen nach Bekanntgabe des Steuerbescheids ausgezahlt.3Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, wirkt die Auszahlung an einen Ehegatten auch für und gegen den anderen Ehegatten.

(5)1Die festgesetzte Steuer, die auf den Aufgabegewinn nach § 16 Absatz 3a und den durch den Wechsel der Gewinnermittlungsart erzielten Gewinn entfällt, kann auf Antrag des Steuerpflichtigen in fünf gleichen Jahresraten entrichtet werden, wenn die Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums zuzuordnen sind, sofern durch diese Staaten Amtshilfe entsprechend oder im Sinne der Amtshilferichtlinie gemäß § 2 Absatz 11 des EU-Amtshilfegesetzes und gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung im Sinne der Beitreibungsrichtlinie einschließlich der in diesem Zusammenhang anzuwendenden Durchführungsbestimmungen in den für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Fassungen oder eines entsprechenden Nachfolgerechtsakts geleistet werden.2Die erste Jahresrate ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten; die übrigen Jahresraten sind jeweils am 31. Juli der Folgejahre fällig.3Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen; sie sollen in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden.4Die noch nicht entrichtete Steuer wird innerhalb eines Monats nach Eintritt eines der nachfolgenden Ereignisse fällig,

1.
soweit ein Wirtschaftsgut im Sinne des Satzes 1 veräußert, entnommen, in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlagert oder verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt wird,
2.
wenn der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlegt wird,
3.
wenn der Steuerpflichtige aus der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht oder der unbeschränkten Steuerpflicht in den in Satz 1 genannten Staaten ausscheidet oder in einem anderen als den in Satz 1 genannten Staaten ansässig wird,
4.
wenn der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet oder abgewickelt wird oder
5.
wenn der Steuerpflichtige seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Ratenzahlungen nicht nachkommt und über einen angemessenen Zeitraum, der zwölf Monate nicht überschreiten darf, keine Abhilfe für seine Situation schafft; Satz 2 bleibt unberührt.
5Ändert sich die festgesetzte Steuer, sind die Jahresraten entsprechend anzupassen.6Der Steuerpflichtige hat der zuständigen Finanzbehörde jährlich mit der Steuererklärung oder, sofern keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, zum 31. Juli anzuzeigen, ob die Voraussetzungen für die Ratenzahlung weiterhin erfüllt sind; kommt er dieser Anzeigepflicht oder seinen sonstigen Mitwirkungspflichten im Sinne des § 90 der Abgabenordnung nicht nach, werden die noch nicht entrichteten Jahresraten rückwirkend zum 1. August des vorangegangenen Jahres fällig, frühestens aber einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids.7Unbeschadet des Satzes 6 hat der Steuerpflichtige den Eintritt eines Ereignisses nach Satz 4 der zuständigen Finanzbehörde unverzüglich anzuzeigen.8Unterliegt der Steuerpflichtige einer Erklärungspflicht, kann die Anzeige auf Grund eines Ereignisses nach Satz 4 Nummer 1 abweichend von der in Satz 7 genannten Frist mit der nächsten Steuererklärung erfolgen.

(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

(2) Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Im Fall der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung richtet sich der Anspruch auch gegen den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) aufgrund ihrer Steuererklärungen von 1990 und 1991 zur Einkommensteuer 1989 und 1990 veranlagt worden. Auf die dabei für 1989 festgesetzte Steuer von rund 450.000 DM sind neben Einkommensteuervorauszahlungen durch entsprechende Steuerbescheinigungen nachgewiesene Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer, welche angeblich auf vom Kläger im Wege des Dividenden-Stripping erworbene Aktien entrichtet worden waren, angerechnet worden, so dass es zu ei-nem Guthaben von rund 6.000 DM kam, das in der vorgenannten Verfügung ausgewiesen wurde. Als das FA aufgrund von Ermitt-lungen der Steuerfahndung Ende des Jahres 2000 zu der Auffas-sung gelangte, es habe sich bei den betreffenden Aktienge-schäften um Luftgeschäfte mit weder im rechtlichen noch im wirtschaftlichen Eigentum des Verkäufers stehenden Aktien ge-handelt, änderte es mit Bescheid vom 27. Dezember 2000 die An-rechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989, ebenso die angeb-lich in gleicher Weise fehlerhafte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990, was jedoch insoweit nach dem Urteil des Finanzgerichts (FG), das der Klage gegen diese Änderung stattgegeben hat, nicht mehr Streitgegenstand ist.

2

Als es wegen der Rechtmäßigkeit der zu den Anrechnungsverfügungen für 1989 und 1990 ergangenen Änderungsbescheide mit den Klägern zum Streit kam, erließ das FA den Abrechnungsbescheid vom 21. Oktober 2005, den es am 25. November 2009 berichtigte, und die gegen den vorgenannten Abrechnungsbescheid von den Klägern erhobenen Einspruch zurückweisende Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005.

3

Die hiergegen gerichtete Klage hat das FG --unter Aufhebung der für 1990 ergangenen Bescheide-- abgewiesen. Es sah als er-wiesen an, dass die angerechneten Steuerbeträge tatsächlich nicht entrichtet worden sind, und war der Auffassung, dass die Anrechnung dieser Beträge zugunsten der Kläger in der Anrechnungsverfügung zum Einkommensteuerbescheid 1989 i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) auf deren Angaben beruhte. Da der deshalb gerechtfertigten Rücknahme der Anrechnungsverfügung § 130 Abs. 3 AO nicht entgegenstehe --die dort geregelte Frist sei gewahrt worden-- und die Entscheidung des FA in der Fassung des Bescheides vom 29. November 2009 auch frei von Ermessensfehlern sei --sie werde durch die Erwägung ausreichend begründet, dass die Kläger Nutznießer der fehlerhaften Anrechnung seien--, sei die Klage insoweit abzuweisen. Zahlungsverjährung sei nicht eingetreten. Denn da sich aus der ursprünglichen Anrechnung ein Erstattungsanspruch zugunsten der Kläger ergeben habe, sei eine Abschlusszahlung i.S. des § 36 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zunächst nicht, vielmehr erst durch den Wegfall des anzurechnenden Be-trages von 97.500 DM fällig geworden. Den Zahlungsanspruch ha-be das FA auch nicht verwirkt.

4

Soweit das FG wegen der Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989 dementsprechend die Klage abgewiesen hat, haben die Kläger Revision eingelegt. Sie berufen sich u.a. auf das Urteil des Senats vom 18. Juli 2000 VII R 32, 33/99 (BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133) und insbesondere das Urteil vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08 (BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382), nach welchem im Streitfall die Voraussetzungen der Zahlungsverjährung zweifelsfrei seien. Denn die --hier zunächst unterbliebene-- Ausweisung einer Abschlusszahlung gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 EStG sei nach dieser Entscheidung für die Dauer der Zahlungsverjährung ohne Bedeutung, welche vielmehr durch die Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt werde.

5

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben, soweit darin die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheides zur Einkommensteuer 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005 sowie die Rechtmäßigkeit des geänderten Abrechnungsbescheides vom 25. November 2009 und der vorangegangenen Anrechnungsverfügung vom 27. Dezember 2000 bejaht wird.

6

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Es hat sich zu vorgenanntem Vorbringen der Kläger nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

8

II. Die zulässige Revision der Kläger ist begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO), weil das FG verkannt hat, dass die Änderung der zur Einkommensteuer 1989 ergangenen Anrechnungsverfügung im Jahre 2000 wegen Zahlungsverjährung aus den gleichen Gründen rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, wie dies das FG für die Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990 angenommen hat.

9

Nach dem Urteil des erkennenden Senats in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382 wird die Frist für die Zahlungsverjährung (§ 228 AO) durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt, und zwar ungeachtet dessen, ob diese Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs oder gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG einer Abschlusszahlung verbunden wird. Die Anrechnung kann daher nach Ablauf der in § 228 Satz 2, § 229 Abs. 1 AO geregelten Frist weder zugunsten (so schon Urteil des Senats in BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133) noch zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden.

10

Da der Einkommensteuerbescheid 1989, wie sich aus der vom FG stillschweigend in Bezug genommenen Sachakte des FA ergibt, den Klägern bereits im September 1990 bekanntgegeben worden ist, war die Frist der Zahlungsverjährung mithin im Dezember 2000 abgelaufen. Hemmungs- und Unterbrechungstatbestände sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die im Dezember 2000 vom FA verfügte Änderung der Anrechnungsverfügung ist folglich rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie ist zusammen mit den dazu ergangenen Abrechnungs-, Änderungs- und Einspruchsentscheidungen aufzuheben.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) auf Rückzahlung zuviel erstatteter Lohnsteuer wegen einer fehlerhaften Anrechnungsverfügung in Anspruch genommen.

2

Die Kläger sind für 1997 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Die Steuerfestsetzung von 1998 wurde 1999 zu Lasten der Kläger geändert, auf deren Einspruch hin jedoch 2002 auf den ursprünglich ausgewiesenen Betrag herabgesetzt. In der zusammen mit diesem Änderungsbescheid erlassenen Anrechnungsverfügung ist --neben anderen, zutreffend erfassten Beträgen-- aufgrund eines Eingabefehlers die für den Kläger einbehaltene Lohnsteuer zu hoch angesetzt worden. 2008 bemerkte das FA diesen Fehler, erließ eine geänderte Anrechnungsverfügung, forderte von den Klägern als Gesamtschuldner den zu Unrecht erstatteten Steuerbetrag zurück und setzte entsprechende Zinsen fest. Auf den hiergegen von den Klägern erhobenen Einspruch ist der angefochtene Abrechnungsbescheid ergangen, in dem das FA an der Rechtmäßigkeit seiner geänderten Anrechnungsverfügung festhielt.

3

Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Die Anrechnungsverfügung habe gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) geändert werden dürfen, weil die Kläger die Unrichtigkeit der ursprünglichen Anrechnungsverfügung zumindest hätten erkennen müssen. Die Ermessensausübung des FA sei nicht weiter begründungsbedürftig gewesen, weil es sich um einen Fall intendierten Ermessens handele. Auch die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO sei gewahrt, weil das FA erst im August 2008 die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung erkannt habe. Zahlungsverjährung stehe der Rückforderung nicht entgegen. Denn der Rückzahlungsanspruch des FA sei erst durch Änderung der Anrechnungsverfügung im November 2008 entstanden. Das gelte auch nach der zu dem hier einschlägigen § 37 Abs. 2 AO vertretenen materiellen Rechtsgrundtheorie; denn auch nach dieser könne eine nach materiellem Recht ohne rechtlichen Grund erfolgte Zahlung erst dann zurückgefordert werden, wenn der entsprechende Bescheid nach formellem Recht aufgehoben oder geändert worden sei (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BFHE 200, 88, BStBl II 2003, 43). Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 228 AO ergebe sich nichts anderes. Zwar erfasse danach die Zahlungsverjährung festgesetzte Einkommensteuer auch insoweit, als sie bei der Festsetzung der Abschlusszahlung nicht berücksichtigt worden sei, wie auch umgekehrt eine festgesetzte Abschlusszahlung durch nachträgliche Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen nach Fristablauf nicht verringert werden könne (Hinweis auf die Urteile vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504, und vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382). Im Streitfall gehe es jedoch nicht um die Fälligkeit festgesetzter Einkommensteuer. Vielmehr habe eine materiell-rechtliche Prüfung des angeblichen Steuererstattungsanspruchs der Kläger erstmals im November 2008 stattgefunden. Die vorgenannten Urteile des BFH könnten nicht so verstanden werden, dass ein Anspruch zahlungsverjähren könne, bevor er überhaupt entstanden sei. Würde die Rechtsprechung des BFH auch auf eine Konstellation angewandt, wie sie im Streitfall vorliege, würde die Frist des § 130 Abs. 3 AO ausgehöhlt.

4

Die Zinsfestsetzung des FA sei in Bestandskraft erwachsen und daher ihre Rechtmäßigkeit nicht mehr zu prüfen.

5

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger. Sie meinen, der Rückzahlungsanspruch des FA sei verjährt. Der Rückzahlungsanspruch des FA sei durch die rechtsgrundlose Auszahlung einer Steuererstattung im Jahr 2002 entstanden. Das gelte auch unter Berücksichtigung der damals erlassenen fehlerhaften Anrechnungsverfügung, die keinen Rechtsgrund darstelle, der dem Anspruch des FA nach § 37 Abs. 2 AO entgegengestanden hätte. Die auf einem bloßen Versehen beruhenden Auszahlungen hätten lediglich den Charakter einer Information über den Kassenstand (Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 19. Oktober 2006 VII B 78/06, BFH/NV 2007, 200). Entgegen der Ansicht des FG ergebe sich im Übrigen aus den in dem Urteil angeführten Entscheidungen des BFH, dass die ursprüngliche fehlerhafte Anrechnungsverfügung bzw. die darauf beruhende rechtsgrundlose Auszahlung die Zahlungsverjährungsfrist in Gang gesetzt habe. Nach deren Ablauf könnten weder fällig gewordene steuerliche Ansprüche geltend gemacht werden noch auf fällig gewordene Steuern etwas angerechnet werden. Die vom FG vertretene abweichende Rechtsansicht könne auch deshalb nicht überzeugen, weil eine rechtsgrundlose Steuererstattung danach faktisch nicht zahlungsverjähren könnte; denn die Zahlungsverjährungsfrist wäre überhaupt erst in Gang gesetzt, wenn das FA seinen Fehler erkennt. Wenn im Übrigen nach der Rechtsprechung des BFH eine materiell-rechtlich geschuldete, aber nicht festgesetzte Steuer nach Ablauf von fünf Jahren erlösche, so müsse dies erst recht für eine Auszahlung gelten, die auf einem Eingabefehler und damit letztlich auf einem bloßen Realakt beruhe. Der Streitfall unterscheide sich nicht wesentlich von Fällen einer versehentlichen Doppelüberweisung eines Steuererstattungsbetrages, in denen fraglos die Verjährung des Erstattungsanspruches mit der Doppelzahlung beginne.

6

Das FA macht sich im Wesentlichen die Argumentation des angefochtenen Urteils zu eigen. Selbst wenn der Rückzahlungsanspruch bereits mit der überhöhten Auszahlung der Steuererstattung entstanden wäre, wäre keine Zahlungsverjährung eingetreten, weil gemäß § 229 Abs. 1 Satz 2 AO der Fristenlauf erst mit der Festsetzung der Rückzahlung begonnen habe.

7

Im Übrigen hält das FA die in § 130 Abs. 3 AO getroffene Regelung für ausreichend, die Prinzipien des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit bei einer Änderung einer Anrechnungsverfügung zu wahren.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Kläger ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), soweit es um die Rückforderung erstatteter Steuer geht. Das Urteil des FG verletzt insofern Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO), weil der Rückzahlungsanspruch des FA gemäß § 228 AO durch Verjährung erloschen ist.

9

Ansprüche aus dem Steuerverhältnis unterliegen nach § 228 AO einer besonderen Zahlungsverjährung, die nach fünf Jahren eintritt. Die Frist beginnt nach § 229 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt.

10

Sinn und Zweck dieser Vorschrift hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382 dahin erläutert, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehren soll, was der Steuerpflichtige aufgrund der gegen ihn ergangenen Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugsteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist. Nicht nur fällig gewordene steuerliche Ansprüche können nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Vielmehr kann auch auf fällig gewordene Steuern nichts mehr angerechnet und dadurch kein Erstattungsanspruch mehr ausgelöst werden. Die Änderung einer Anrechnungsverfügung nach Ablauf der durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2, § 229 Abs. 2 AO in Lauf gesetzten Frist ist danach ungeachtet dessen auszuschließen, ob es um die nachträgliche Anrechnung durch Steuerabzug entrichteter Beträge und eine daraus folgende Verringerung der Abschlusszahlung bzw. eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen geht oder umgekehrt um die Korrektur einer solchen Anrechnung zu Lasten des Steuerpflichtigen mit der Folge einer Erhöhung der Abschlusszahlung bzw. einer Steuernachforderung des Finanzamts.

11

Nach diesen Rechtsgrundsätzen durfte die vom FA aus Anlass der Änderung des Einkommensteuerbescheides 1997 erlassene (fehlerhafte) Anrechnungsverfügung nach Ablauf von fünf Jahren seit Erlass dieses Bescheides nicht mehr geändert werden. Der von dem FG im angefochtenen Urteil sinngemäß vertretenen Auffassung, jene Rechtsgrundsätze könnten im Streitfall nicht angewandt werden, weil andernfalls der Rückzahlungsanspruch des FA verjährt sei, bevor er überhaupt entstanden sei, folgt der Senat nicht.

12

Anspruch i.S. des § 229 Abs. 1 Satz 1 AO ist zwar der Zahlungsanspruch, der jedoch als ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO seine Grundlage in einem Steuer(festsetzungs)bescheid hat. Ein auf Rückzahlung der in einer Anrechnungsverfügung zu Unrecht ausgewiesenen Beträge gerichteter Zahlungsanspruch des FA scheint zwar nach § 220 Abs. 2 Satz 2 AO erst dadurch fällig zu werden, dass das FA die ursprünglich ergangene Anrechnungsverfügung ändert. Denn diese ist nach der Rechtsprechung des Senats ein (feststellender) Verwaltungsakt und nicht eine bloße Kassenmitteilung ohne rechtliche Bindungswirkung (Urteil des Senats vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787). Würde man darauf --ähnlich wie bei der Änderung einer Steuerfestsetzung-- abstellen, begönne der Lauf der Zahlungsverjährungsfrist gemäß § 229 Abs. 1 AO erst mit Erlass des betreffenden Änderungsbescheides und liefe folglich vor Erlass des mit dem Änderungsbescheid in der Regel verbundenen Rückforderungsbescheides im Allgemeinen nicht ab (vgl. Urteil des Senats in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382).

13

Die Anrechnungsverfügung ist indes ein deklaratorischer, bloß bestätigender Verwaltungsakt, der keine Ansprüche begründet, die nicht bereits unabhängig von der Anrechnungsverfügung bestehen. Er zieht lediglich die rechnerischen Folgen aus anderweit begründeten Rechten und Pflichten (Urteil des Senats vom 18. Juli 2000 VII R 32-33/99, BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133). Dementsprechend hat der Senat für den Lauf der Zahlungsverjährungsfrist auf die festgesetzten steuerlichen Ansprüche abgestellt und erkannt, diese könnten nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Auf fällig gewordene Steuern könne nichts mehr angerechnet und dadurch ein Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO nicht mehr ausgelöst werden (Urteil des Senats in BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504).

14

Wie insbesondere auch § 229 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO erkennen lässt, ist § 229 Abs. 1 Satz 1 AO auf den Fall zugeschnitten, dass sich der Zahlungsanspruch aus einer Entscheidung im Steuerfestsetzungsverfahren ergibt. Deshalb unterliegt z.B. der im Steuerfestsetzungsverfahren ausgewiesene Steueranspruch nach der Senatsrechtsprechung ab dem Zeitpunkt seiner Festsetzung der (Zahlungs-)Verjährung, auch wenn vom Finanzamt eine einkommensteuerrechtliche Abschlusszahlung gemäß § 36 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Anrechnungsverfügung nicht ausgewiesen worden ist. Entsprechendes hat der Senat für den umgekehrten Fall entschieden, dass eine Abschlusszahlung ausgewiesen worden ist, dabei jedoch entgegen § 36 Abs. 4 EStG geleistete Vorauszahlungen nicht berücksichtigt worden sind; der Anspruch des Steuerpflichtigen auf Verrechnung oder Rückzahlung solcher Vorauszahlungen verjähre dann, wenn seit jener Abrechnungsentscheidung die in § 228 AO bezeichnete Frist abgelaufen sei.

15

Wann die (Zahlungs-)Verjährungsfrist für Ansprüche zu laufen beginnt, die sich nicht unmittelbar aus Steuerfestsetzungen ergeben, nämlich durch die Verrechnung der festgesetzten Steuer mit der festgesetzten oder mit Festsetzungswirkung angemeldeten (und, wie § 36 Abs. 2 EStG voraussetzt, geleisteten) Vorauszahlungen gemäß § 36 Abs. 4 EStG, sondern infolge irrtümlicher Berücksichtigung in Wahrheit nicht festgesetzter Steuerbeträge in der Anrechnungsverfügung entstehen, mag damit, wie das FG tatsächlich meint, noch nicht entschieden sein. Allerdings ist auch das, was die Anrechnungsverfügung insoweit als vermeintlich festgesetzte und gezahlte Lohnsteuer ausweist, nicht bloße Kassenmitteilung, sondern feststellender Verwaltungsakt (der Beschluss in BFH/NV 2007, 200 ist in diesem Zusammenhang nicht einschlägig). Für die Regelungswirkung einer Entscheidung kommt es nicht darauf an, ob sie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgeht oder (hier: mangels tatsächlichen Lohnsteuereinbehalts) fehlerhaft und deshalb rechtswidrig ist.

16

Führt eine solche Anrechnung vermeintlich festgesetzter und geleisteter Vorauszahlungen dazu, dass eine Abschlusszahlung trotz entsprechender Steuerfestsetzung nicht oder --gemessen an dieser-- in zu geringer Höhe ausgewiesen wird, erlischt indes der festgesetzte Steueranspruch gemäß § 232 AO ebenso wie in dem der eingangs dargestellten Rechtsprechung des Senats zugrunde liegenden Fall einer aus anderen Gründen fehlerhaften Abrechnung. Der Senat hat jene Rechtsprechung maßgeblich auf Sinn und Zweck der Vorschriften über die Zahlungsverjährung gestützt. Nach Ablauf einer angemessenen Frist (fünf Jahre), nachdem die für die Berechnung der Zahlungspflichten maßgeblichen Daten feststehen, insbesondere die Steuer durch Erlass eines Steuerbescheides oder einer entsprechenden Steueranmeldung festgesetzt worden sei, könnten bislang nicht geltend gemachte Zahlungspflichten nicht mehr erhoben werden, und zwar weder Erstattungsansprüche des Steuerpflichtigen noch Zahlungsansprüche des Finanzamts. Diese Zielsetzung des Gesetzes verlangt es, dass dies ungeachtet der Gründe der zunächst fehlerhaften Abrechnung immer dann gilt, wenn sich bei der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergeben hat und der entsprechende Betrag gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG an den Steuerpflichtigen ausgezahlt worden ist. Der (Zahlungs-)Anspruch des Finanzamts auf Rückzahlung eines solchen Betrages mag zwar, wie das FG ausgeführt hat, erst entstehen und damit fällig werden, wenn das Finanzamt seine Anrechnungsverfügung ändert, weil es die Fehlerhaftigkeit seiner Abrechnung erkennt. "Grundlage" dieses Anspruches, der die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis i.S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 AO lediglich "verwirklicht", sind jedoch die im Steuerfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen, deren Erlass die Zahlungsverjährung auch dann in Lauf setzt, wenn sie nicht den Inhalt haben, den das Finanzamt bei seinen Entscheidungen im Steuererhebungsverfahren, insbesondere bei der Abrechnung gemäß § 36 Abs. 4 EStG, unterstellt.

17

So ist auch der hier streitige Rückzahlungsanspruch des FA die bloße Folge des Fehlens einer Lohnsteuerfestsetzung (und eines dementsprechenden Steuereinbehalts) in der vom FA bei der Abrechnung zugrunde gelegten Höhe. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, bei der Anwendung der Vorschriften über die Zahlungsverjährung, insbesondere auch des § 229 Abs. 1 Satz 1 AO, auf die im Erhebungsverfahren getroffenen (deklaratorischen, wenn auch mit Regelungswirkung versehenen) Entscheidungen und die Fälligkeit der dadurch ausgewiesenen Ansprüche statt auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Steuer festgesetzt worden ist (hier: die geänderte Steuerfestsetzung), über die das Finanzamt abgerechnet hat.

18

Die Revision weist im Übrigen mit Recht darauf hin, dass andernfalls ein Anspruch des Finanzamts auf Rückzahlung einer in einer Anrechnungsverfügung zu Unrecht festgesetzten Erstattung im Festsetzungsverfahren gar nicht festgesetzter Steuer(vorauszahlunge)n erst fünf Jahre, nachdem dieses die Rechtswidrigkeit der Steuererstattung erkannt hat, verjährte und damit die Verjährungsfrist insoweit praktisch ins Leere liefe. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Ebenso würde es, worauf die Revision ebenfalls mit Recht hinweist, dem deklaratorischen Charakter der Abrechnung in einer Anrechnungsverfügung nicht gerecht, bei einer auf deren Fehlerhaftigkeit beruhenden Erstattungszahlung die Verjährung des Rückzahlungsanspruchs des Finanzamts nicht beginnen zu lassen, wohl aber bei einer fehlerhaften Zahlung des Finanzamts, der ein entsprechender Ausweis in einer Anrechnungsverfügung nicht vorausgegangen ist.

19

§ 130 Abs. 3 AO kann den Rechtsfrieden schon deshalb nicht in der erforderlichen Weise wahren, weil die dort festgelegte Frist erst zu laufen beginnt, wenn das Finanzamt die Rechtswidrigkeit seiner Steuererstattung erkannt hat.

20

Dass nach der vorstehend entwickelten Auslegung des Gesetzes der Rückzahlungsanspruch des Finanzamts möglicherweise verjährt, bevor das Finanzamt diesen überhaupt wahrnimmt, spricht nicht gegen diese. Vorbehaltlich des § 199 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist es für Verjährungsfristen geradezu typisch, dass sie rein objektiven Charakter haben (vgl. dazu schon das Senatsurteil in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382).

21

Nach alledem kann das FA auch im vorliegenden Fall keinen Rückzahlungsanspruch wegen der unrichtigen (rechtsgrundlosen) Anrechnung von Beträgen in der Anrechnungsverfügung geltend machen, weil seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Anrechnungsverfügung und der ihr zugrunde liegende Steuerbescheid ergangen sind, bereits fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO) verstrichen waren.

22

Zu ändern ist das Urteil des FG ferner insofern, als es --wie sich aus den Entscheidungsgründen am Ende ergibt-- eine Änderung der Zinsfestsetzung mit der Begründung abgelehnt hat, diese sei bestandskräftig geworden. Diese rechtliche Würdigung wird nämlich dem Umstand nicht gerecht, dass die Klage --was der erkennende Senat ohne Bindung an die Bewertung des FG selbst beurteilen kann-- nicht dahin zu verstehen ist, die Kläger begehrten im gerichtlichen Rechtsschutzverfahren auch die Aufhebung der in der angefochtenen Anrechnungsverfügung enthaltenen Zinsfestsetzung. Das FG selbst hat das Einspruchsschreiben der Kläger, in dem die Zinsfrage ausdrücklich angesprochen worden ist, nicht als Angriff gegen die Zinsfestsetzung verstanden (was die Annahme, die in dieser Hinsicht schweigende Klage enthalte einen solchen Angriff, widersprüchlich erscheinen lässt). Vor allem aber hatten die Kläger keinen Anlass die Zinsfestsetzung anzufechten, denn gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 AO ist die Zinsfestsetzung zu ändern, wenn die Anrechnung von Steuerbeträgen "zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird". Diese Vorschrift ist ihrem Sinn entsprechend, der Anrechnungsentscheidung als Grundlagenbescheid der akzessorischen Zinsfestsetzung Geltung zu verschaffen, auch dann anzuwenden, wenn die Änderung einer Anrechnung von Steuerbeträgen im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben wird (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 233a Rz 41).

(1) Die Einkommensteuer entsteht, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Veranlagungszeitraums.

(2) Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:

1.
die für den Veranlagungszeitraum entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 37);
2.
die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie entfällt auf
a)
die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder
b)
die nach § 3 Nummer 40 dieses Gesetzes oder nach § 8b Absatz 1, 2 und 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibenden Bezüge
und keine Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist.2Die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nicht angerechnet, wenn die in § 45a Absatz 2 oder Absatz 3 bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist oder die Angaben gemäß § 45a Absatz 2a nicht übermittelt worden sind.3Soweit der Steuerpflichtige einen Antrag nach § 32d Absatz 4 oder Absatz 6 stellt, ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung auf Verlangen des Finanzamts vorgelegt wird.4In den Fällen des § 8b Absatz 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung nach § 45a Absatz 2 und 3 vorgelegt wird, die dem Gläubiger der Kapitalerträge ausgestellt worden ist.5In den Fällen des § 2 Absatz 7 Satz 3 ist auch die durch Steuerabzug im Kalenderjahr des Wechsels von der unbeschränkten zur beschränkten Einkommensteuerpflicht erhobene Einkommensteuer anzurechnen, die auf Einkünfte entfällt, die weder der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht unterliegen; § 37 Absatz 2 der Abgabenordnung findet insoweit keine Anwendung;
3.
die nach § 10 des Forschungszulagengesetzes festgesetzte Forschungszulage.2Das gilt auch für die gesondert und einheitlich festgestellte Forschungszulage;
4.
in den Fällen des § 32c Absatz 1 Satz 2 der nicht zum Abzug gebrachte Unterschiedsbetrag, wenn dieser höher ist als die tarifliche Einkommensteuer des letzten Veranlagungszeitraums im Betrachtungszeitraum.

(3)1Die Steuerbeträge nach Absatz 2 Nummer 2 sind auf volle Euro aufzurunden.2Bei den durch Steuerabzug erhobenen Steuern ist jeweils die Summe der Beträge einer einzelnen Abzugsteuer aufzurunden.

(4)1Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen ergibt, hat der Steuerpflichtige (Steuerschuldner) diesen Betrag, soweit er den fällig gewordenen, aber nicht entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen entspricht, sofort, im Übrigen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (Abschlusszahlung).2Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird dieser dem Steuerpflichtigen nach Bekanntgabe des Steuerbescheids ausgezahlt.3Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, wirkt die Auszahlung an einen Ehegatten auch für und gegen den anderen Ehegatten.

(5)1Die festgesetzte Steuer, die auf den Aufgabegewinn nach § 16 Absatz 3a und den durch den Wechsel der Gewinnermittlungsart erzielten Gewinn entfällt, kann auf Antrag des Steuerpflichtigen in fünf gleichen Jahresraten entrichtet werden, wenn die Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums zuzuordnen sind, sofern durch diese Staaten Amtshilfe entsprechend oder im Sinne der Amtshilferichtlinie gemäß § 2 Absatz 11 des EU-Amtshilfegesetzes und gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung im Sinne der Beitreibungsrichtlinie einschließlich der in diesem Zusammenhang anzuwendenden Durchführungsbestimmungen in den für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Fassungen oder eines entsprechenden Nachfolgerechtsakts geleistet werden.2Die erste Jahresrate ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten; die übrigen Jahresraten sind jeweils am 31. Juli der Folgejahre fällig.3Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen; sie sollen in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden.4Die noch nicht entrichtete Steuer wird innerhalb eines Monats nach Eintritt eines der nachfolgenden Ereignisse fällig,

1.
soweit ein Wirtschaftsgut im Sinne des Satzes 1 veräußert, entnommen, in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlagert oder verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt wird,
2.
wenn der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlegt wird,
3.
wenn der Steuerpflichtige aus der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht oder der unbeschränkten Steuerpflicht in den in Satz 1 genannten Staaten ausscheidet oder in einem anderen als den in Satz 1 genannten Staaten ansässig wird,
4.
wenn der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet oder abgewickelt wird oder
5.
wenn der Steuerpflichtige seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Ratenzahlungen nicht nachkommt und über einen angemessenen Zeitraum, der zwölf Monate nicht überschreiten darf, keine Abhilfe für seine Situation schafft; Satz 2 bleibt unberührt.
5Ändert sich die festgesetzte Steuer, sind die Jahresraten entsprechend anzupassen.6Der Steuerpflichtige hat der zuständigen Finanzbehörde jährlich mit der Steuererklärung oder, sofern keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, zum 31. Juli anzuzeigen, ob die Voraussetzungen für die Ratenzahlung weiterhin erfüllt sind; kommt er dieser Anzeigepflicht oder seinen sonstigen Mitwirkungspflichten im Sinne des § 90 der Abgabenordnung nicht nach, werden die noch nicht entrichteten Jahresraten rückwirkend zum 1. August des vorangegangenen Jahres fällig, frühestens aber einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids.7Unbeschadet des Satzes 6 hat der Steuerpflichtige den Eintritt eines Ereignisses nach Satz 4 der zuständigen Finanzbehörde unverzüglich anzuzeigen.8Unterliegt der Steuerpflichtige einer Erklärungspflicht, kann die Anzeige auf Grund eines Ereignisses nach Satz 4 Nummer 1 abweichend von der in Satz 7 genannten Frist mit der nächsten Steuererklärung erfolgen.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Die Einkommensteuer entsteht, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Veranlagungszeitraums.

(2) Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:

1.
die für den Veranlagungszeitraum entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 37);
2.
die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie entfällt auf
a)
die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder
b)
die nach § 3 Nummer 40 dieses Gesetzes oder nach § 8b Absatz 1, 2 und 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibenden Bezüge
und keine Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist.2Die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nicht angerechnet, wenn die in § 45a Absatz 2 oder Absatz 3 bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist oder die Angaben gemäß § 45a Absatz 2a nicht übermittelt worden sind.3Soweit der Steuerpflichtige einen Antrag nach § 32d Absatz 4 oder Absatz 6 stellt, ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung auf Verlangen des Finanzamts vorgelegt wird.4In den Fällen des § 8b Absatz 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung nach § 45a Absatz 2 und 3 vorgelegt wird, die dem Gläubiger der Kapitalerträge ausgestellt worden ist.5In den Fällen des § 2 Absatz 7 Satz 3 ist auch die durch Steuerabzug im Kalenderjahr des Wechsels von der unbeschränkten zur beschränkten Einkommensteuerpflicht erhobene Einkommensteuer anzurechnen, die auf Einkünfte entfällt, die weder der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht unterliegen; § 37 Absatz 2 der Abgabenordnung findet insoweit keine Anwendung;
3.
die nach § 10 des Forschungszulagengesetzes festgesetzte Forschungszulage.2Das gilt auch für die gesondert und einheitlich festgestellte Forschungszulage;
4.
in den Fällen des § 32c Absatz 1 Satz 2 der nicht zum Abzug gebrachte Unterschiedsbetrag, wenn dieser höher ist als die tarifliche Einkommensteuer des letzten Veranlagungszeitraums im Betrachtungszeitraum.

(3)1Die Steuerbeträge nach Absatz 2 Nummer 2 sind auf volle Euro aufzurunden.2Bei den durch Steuerabzug erhobenen Steuern ist jeweils die Summe der Beträge einer einzelnen Abzugsteuer aufzurunden.

(4)1Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen ergibt, hat der Steuerpflichtige (Steuerschuldner) diesen Betrag, soweit er den fällig gewordenen, aber nicht entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen entspricht, sofort, im Übrigen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (Abschlusszahlung).2Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird dieser dem Steuerpflichtigen nach Bekanntgabe des Steuerbescheids ausgezahlt.3Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, wirkt die Auszahlung an einen Ehegatten auch für und gegen den anderen Ehegatten.

(5)1Die festgesetzte Steuer, die auf den Aufgabegewinn nach § 16 Absatz 3a und den durch den Wechsel der Gewinnermittlungsart erzielten Gewinn entfällt, kann auf Antrag des Steuerpflichtigen in fünf gleichen Jahresraten entrichtet werden, wenn die Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums zuzuordnen sind, sofern durch diese Staaten Amtshilfe entsprechend oder im Sinne der Amtshilferichtlinie gemäß § 2 Absatz 11 des EU-Amtshilfegesetzes und gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung im Sinne der Beitreibungsrichtlinie einschließlich der in diesem Zusammenhang anzuwendenden Durchführungsbestimmungen in den für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Fassungen oder eines entsprechenden Nachfolgerechtsakts geleistet werden.2Die erste Jahresrate ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten; die übrigen Jahresraten sind jeweils am 31. Juli der Folgejahre fällig.3Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen; sie sollen in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden.4Die noch nicht entrichtete Steuer wird innerhalb eines Monats nach Eintritt eines der nachfolgenden Ereignisse fällig,

1.
soweit ein Wirtschaftsgut im Sinne des Satzes 1 veräußert, entnommen, in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlagert oder verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt wird,
2.
wenn der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlegt wird,
3.
wenn der Steuerpflichtige aus der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht oder der unbeschränkten Steuerpflicht in den in Satz 1 genannten Staaten ausscheidet oder in einem anderen als den in Satz 1 genannten Staaten ansässig wird,
4.
wenn der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet oder abgewickelt wird oder
5.
wenn der Steuerpflichtige seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Ratenzahlungen nicht nachkommt und über einen angemessenen Zeitraum, der zwölf Monate nicht überschreiten darf, keine Abhilfe für seine Situation schafft; Satz 2 bleibt unberührt.
5Ändert sich die festgesetzte Steuer, sind die Jahresraten entsprechend anzupassen.6Der Steuerpflichtige hat der zuständigen Finanzbehörde jährlich mit der Steuererklärung oder, sofern keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, zum 31. Juli anzuzeigen, ob die Voraussetzungen für die Ratenzahlung weiterhin erfüllt sind; kommt er dieser Anzeigepflicht oder seinen sonstigen Mitwirkungspflichten im Sinne des § 90 der Abgabenordnung nicht nach, werden die noch nicht entrichteten Jahresraten rückwirkend zum 1. August des vorangegangenen Jahres fällig, frühestens aber einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids.7Unbeschadet des Satzes 6 hat der Steuerpflichtige den Eintritt eines Ereignisses nach Satz 4 der zuständigen Finanzbehörde unverzüglich anzuzeigen.8Unterliegt der Steuerpflichtige einer Erklärungspflicht, kann die Anzeige auf Grund eines Ereignisses nach Satz 4 Nummer 1 abweichend von der in Satz 7 genannten Frist mit der nächsten Steuererklärung erfolgen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) auf Rückzahlung zuviel erstatteter Lohnsteuer wegen einer fehlerhaften Anrechnungsverfügung in Anspruch genommen.

2

Die Kläger sind für 1997 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Die Steuerfestsetzung von 1998 wurde 1999 zu Lasten der Kläger geändert, auf deren Einspruch hin jedoch 2002 auf den ursprünglich ausgewiesenen Betrag herabgesetzt. In der zusammen mit diesem Änderungsbescheid erlassenen Anrechnungsverfügung ist --neben anderen, zutreffend erfassten Beträgen-- aufgrund eines Eingabefehlers die für den Kläger einbehaltene Lohnsteuer zu hoch angesetzt worden. 2008 bemerkte das FA diesen Fehler, erließ eine geänderte Anrechnungsverfügung, forderte von den Klägern als Gesamtschuldner den zu Unrecht erstatteten Steuerbetrag zurück und setzte entsprechende Zinsen fest. Auf den hiergegen von den Klägern erhobenen Einspruch ist der angefochtene Abrechnungsbescheid ergangen, in dem das FA an der Rechtmäßigkeit seiner geänderten Anrechnungsverfügung festhielt.

3

Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Die Anrechnungsverfügung habe gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) geändert werden dürfen, weil die Kläger die Unrichtigkeit der ursprünglichen Anrechnungsverfügung zumindest hätten erkennen müssen. Die Ermessensausübung des FA sei nicht weiter begründungsbedürftig gewesen, weil es sich um einen Fall intendierten Ermessens handele. Auch die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO sei gewahrt, weil das FA erst im August 2008 die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung erkannt habe. Zahlungsverjährung stehe der Rückforderung nicht entgegen. Denn der Rückzahlungsanspruch des FA sei erst durch Änderung der Anrechnungsverfügung im November 2008 entstanden. Das gelte auch nach der zu dem hier einschlägigen § 37 Abs. 2 AO vertretenen materiellen Rechtsgrundtheorie; denn auch nach dieser könne eine nach materiellem Recht ohne rechtlichen Grund erfolgte Zahlung erst dann zurückgefordert werden, wenn der entsprechende Bescheid nach formellem Recht aufgehoben oder geändert worden sei (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BFHE 200, 88, BStBl II 2003, 43). Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 228 AO ergebe sich nichts anderes. Zwar erfasse danach die Zahlungsverjährung festgesetzte Einkommensteuer auch insoweit, als sie bei der Festsetzung der Abschlusszahlung nicht berücksichtigt worden sei, wie auch umgekehrt eine festgesetzte Abschlusszahlung durch nachträgliche Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen nach Fristablauf nicht verringert werden könne (Hinweis auf die Urteile vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504, und vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382). Im Streitfall gehe es jedoch nicht um die Fälligkeit festgesetzter Einkommensteuer. Vielmehr habe eine materiell-rechtliche Prüfung des angeblichen Steuererstattungsanspruchs der Kläger erstmals im November 2008 stattgefunden. Die vorgenannten Urteile des BFH könnten nicht so verstanden werden, dass ein Anspruch zahlungsverjähren könne, bevor er überhaupt entstanden sei. Würde die Rechtsprechung des BFH auch auf eine Konstellation angewandt, wie sie im Streitfall vorliege, würde die Frist des § 130 Abs. 3 AO ausgehöhlt.

4

Die Zinsfestsetzung des FA sei in Bestandskraft erwachsen und daher ihre Rechtmäßigkeit nicht mehr zu prüfen.

5

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger. Sie meinen, der Rückzahlungsanspruch des FA sei verjährt. Der Rückzahlungsanspruch des FA sei durch die rechtsgrundlose Auszahlung einer Steuererstattung im Jahr 2002 entstanden. Das gelte auch unter Berücksichtigung der damals erlassenen fehlerhaften Anrechnungsverfügung, die keinen Rechtsgrund darstelle, der dem Anspruch des FA nach § 37 Abs. 2 AO entgegengestanden hätte. Die auf einem bloßen Versehen beruhenden Auszahlungen hätten lediglich den Charakter einer Information über den Kassenstand (Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 19. Oktober 2006 VII B 78/06, BFH/NV 2007, 200). Entgegen der Ansicht des FG ergebe sich im Übrigen aus den in dem Urteil angeführten Entscheidungen des BFH, dass die ursprüngliche fehlerhafte Anrechnungsverfügung bzw. die darauf beruhende rechtsgrundlose Auszahlung die Zahlungsverjährungsfrist in Gang gesetzt habe. Nach deren Ablauf könnten weder fällig gewordene steuerliche Ansprüche geltend gemacht werden noch auf fällig gewordene Steuern etwas angerechnet werden. Die vom FG vertretene abweichende Rechtsansicht könne auch deshalb nicht überzeugen, weil eine rechtsgrundlose Steuererstattung danach faktisch nicht zahlungsverjähren könnte; denn die Zahlungsverjährungsfrist wäre überhaupt erst in Gang gesetzt, wenn das FA seinen Fehler erkennt. Wenn im Übrigen nach der Rechtsprechung des BFH eine materiell-rechtlich geschuldete, aber nicht festgesetzte Steuer nach Ablauf von fünf Jahren erlösche, so müsse dies erst recht für eine Auszahlung gelten, die auf einem Eingabefehler und damit letztlich auf einem bloßen Realakt beruhe. Der Streitfall unterscheide sich nicht wesentlich von Fällen einer versehentlichen Doppelüberweisung eines Steuererstattungsbetrages, in denen fraglos die Verjährung des Erstattungsanspruches mit der Doppelzahlung beginne.

6

Das FA macht sich im Wesentlichen die Argumentation des angefochtenen Urteils zu eigen. Selbst wenn der Rückzahlungsanspruch bereits mit der überhöhten Auszahlung der Steuererstattung entstanden wäre, wäre keine Zahlungsverjährung eingetreten, weil gemäß § 229 Abs. 1 Satz 2 AO der Fristenlauf erst mit der Festsetzung der Rückzahlung begonnen habe.

7

Im Übrigen hält das FA die in § 130 Abs. 3 AO getroffene Regelung für ausreichend, die Prinzipien des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit bei einer Änderung einer Anrechnungsverfügung zu wahren.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Kläger ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), soweit es um die Rückforderung erstatteter Steuer geht. Das Urteil des FG verletzt insofern Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO), weil der Rückzahlungsanspruch des FA gemäß § 228 AO durch Verjährung erloschen ist.

9

Ansprüche aus dem Steuerverhältnis unterliegen nach § 228 AO einer besonderen Zahlungsverjährung, die nach fünf Jahren eintritt. Die Frist beginnt nach § 229 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt.

10

Sinn und Zweck dieser Vorschrift hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382 dahin erläutert, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehren soll, was der Steuerpflichtige aufgrund der gegen ihn ergangenen Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugsteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist. Nicht nur fällig gewordene steuerliche Ansprüche können nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Vielmehr kann auch auf fällig gewordene Steuern nichts mehr angerechnet und dadurch kein Erstattungsanspruch mehr ausgelöst werden. Die Änderung einer Anrechnungsverfügung nach Ablauf der durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2, § 229 Abs. 2 AO in Lauf gesetzten Frist ist danach ungeachtet dessen auszuschließen, ob es um die nachträgliche Anrechnung durch Steuerabzug entrichteter Beträge und eine daraus folgende Verringerung der Abschlusszahlung bzw. eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen geht oder umgekehrt um die Korrektur einer solchen Anrechnung zu Lasten des Steuerpflichtigen mit der Folge einer Erhöhung der Abschlusszahlung bzw. einer Steuernachforderung des Finanzamts.

11

Nach diesen Rechtsgrundsätzen durfte die vom FA aus Anlass der Änderung des Einkommensteuerbescheides 1997 erlassene (fehlerhafte) Anrechnungsverfügung nach Ablauf von fünf Jahren seit Erlass dieses Bescheides nicht mehr geändert werden. Der von dem FG im angefochtenen Urteil sinngemäß vertretenen Auffassung, jene Rechtsgrundsätze könnten im Streitfall nicht angewandt werden, weil andernfalls der Rückzahlungsanspruch des FA verjährt sei, bevor er überhaupt entstanden sei, folgt der Senat nicht.

12

Anspruch i.S. des § 229 Abs. 1 Satz 1 AO ist zwar der Zahlungsanspruch, der jedoch als ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO seine Grundlage in einem Steuer(festsetzungs)bescheid hat. Ein auf Rückzahlung der in einer Anrechnungsverfügung zu Unrecht ausgewiesenen Beträge gerichteter Zahlungsanspruch des FA scheint zwar nach § 220 Abs. 2 Satz 2 AO erst dadurch fällig zu werden, dass das FA die ursprünglich ergangene Anrechnungsverfügung ändert. Denn diese ist nach der Rechtsprechung des Senats ein (feststellender) Verwaltungsakt und nicht eine bloße Kassenmitteilung ohne rechtliche Bindungswirkung (Urteil des Senats vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787). Würde man darauf --ähnlich wie bei der Änderung einer Steuerfestsetzung-- abstellen, begönne der Lauf der Zahlungsverjährungsfrist gemäß § 229 Abs. 1 AO erst mit Erlass des betreffenden Änderungsbescheides und liefe folglich vor Erlass des mit dem Änderungsbescheid in der Regel verbundenen Rückforderungsbescheides im Allgemeinen nicht ab (vgl. Urteil des Senats in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382).

13

Die Anrechnungsverfügung ist indes ein deklaratorischer, bloß bestätigender Verwaltungsakt, der keine Ansprüche begründet, die nicht bereits unabhängig von der Anrechnungsverfügung bestehen. Er zieht lediglich die rechnerischen Folgen aus anderweit begründeten Rechten und Pflichten (Urteil des Senats vom 18. Juli 2000 VII R 32-33/99, BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133). Dementsprechend hat der Senat für den Lauf der Zahlungsverjährungsfrist auf die festgesetzten steuerlichen Ansprüche abgestellt und erkannt, diese könnten nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Auf fällig gewordene Steuern könne nichts mehr angerechnet und dadurch ein Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO nicht mehr ausgelöst werden (Urteil des Senats in BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504).

14

Wie insbesondere auch § 229 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO erkennen lässt, ist § 229 Abs. 1 Satz 1 AO auf den Fall zugeschnitten, dass sich der Zahlungsanspruch aus einer Entscheidung im Steuerfestsetzungsverfahren ergibt. Deshalb unterliegt z.B. der im Steuerfestsetzungsverfahren ausgewiesene Steueranspruch nach der Senatsrechtsprechung ab dem Zeitpunkt seiner Festsetzung der (Zahlungs-)Verjährung, auch wenn vom Finanzamt eine einkommensteuerrechtliche Abschlusszahlung gemäß § 36 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Anrechnungsverfügung nicht ausgewiesen worden ist. Entsprechendes hat der Senat für den umgekehrten Fall entschieden, dass eine Abschlusszahlung ausgewiesen worden ist, dabei jedoch entgegen § 36 Abs. 4 EStG geleistete Vorauszahlungen nicht berücksichtigt worden sind; der Anspruch des Steuerpflichtigen auf Verrechnung oder Rückzahlung solcher Vorauszahlungen verjähre dann, wenn seit jener Abrechnungsentscheidung die in § 228 AO bezeichnete Frist abgelaufen sei.

15

Wann die (Zahlungs-)Verjährungsfrist für Ansprüche zu laufen beginnt, die sich nicht unmittelbar aus Steuerfestsetzungen ergeben, nämlich durch die Verrechnung der festgesetzten Steuer mit der festgesetzten oder mit Festsetzungswirkung angemeldeten (und, wie § 36 Abs. 2 EStG voraussetzt, geleisteten) Vorauszahlungen gemäß § 36 Abs. 4 EStG, sondern infolge irrtümlicher Berücksichtigung in Wahrheit nicht festgesetzter Steuerbeträge in der Anrechnungsverfügung entstehen, mag damit, wie das FG tatsächlich meint, noch nicht entschieden sein. Allerdings ist auch das, was die Anrechnungsverfügung insoweit als vermeintlich festgesetzte und gezahlte Lohnsteuer ausweist, nicht bloße Kassenmitteilung, sondern feststellender Verwaltungsakt (der Beschluss in BFH/NV 2007, 200 ist in diesem Zusammenhang nicht einschlägig). Für die Regelungswirkung einer Entscheidung kommt es nicht darauf an, ob sie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgeht oder (hier: mangels tatsächlichen Lohnsteuereinbehalts) fehlerhaft und deshalb rechtswidrig ist.

16

Führt eine solche Anrechnung vermeintlich festgesetzter und geleisteter Vorauszahlungen dazu, dass eine Abschlusszahlung trotz entsprechender Steuerfestsetzung nicht oder --gemessen an dieser-- in zu geringer Höhe ausgewiesen wird, erlischt indes der festgesetzte Steueranspruch gemäß § 232 AO ebenso wie in dem der eingangs dargestellten Rechtsprechung des Senats zugrunde liegenden Fall einer aus anderen Gründen fehlerhaften Abrechnung. Der Senat hat jene Rechtsprechung maßgeblich auf Sinn und Zweck der Vorschriften über die Zahlungsverjährung gestützt. Nach Ablauf einer angemessenen Frist (fünf Jahre), nachdem die für die Berechnung der Zahlungspflichten maßgeblichen Daten feststehen, insbesondere die Steuer durch Erlass eines Steuerbescheides oder einer entsprechenden Steueranmeldung festgesetzt worden sei, könnten bislang nicht geltend gemachte Zahlungspflichten nicht mehr erhoben werden, und zwar weder Erstattungsansprüche des Steuerpflichtigen noch Zahlungsansprüche des Finanzamts. Diese Zielsetzung des Gesetzes verlangt es, dass dies ungeachtet der Gründe der zunächst fehlerhaften Abrechnung immer dann gilt, wenn sich bei der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergeben hat und der entsprechende Betrag gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG an den Steuerpflichtigen ausgezahlt worden ist. Der (Zahlungs-)Anspruch des Finanzamts auf Rückzahlung eines solchen Betrages mag zwar, wie das FG ausgeführt hat, erst entstehen und damit fällig werden, wenn das Finanzamt seine Anrechnungsverfügung ändert, weil es die Fehlerhaftigkeit seiner Abrechnung erkennt. "Grundlage" dieses Anspruches, der die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis i.S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 AO lediglich "verwirklicht", sind jedoch die im Steuerfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen, deren Erlass die Zahlungsverjährung auch dann in Lauf setzt, wenn sie nicht den Inhalt haben, den das Finanzamt bei seinen Entscheidungen im Steuererhebungsverfahren, insbesondere bei der Abrechnung gemäß § 36 Abs. 4 EStG, unterstellt.

17

So ist auch der hier streitige Rückzahlungsanspruch des FA die bloße Folge des Fehlens einer Lohnsteuerfestsetzung (und eines dementsprechenden Steuereinbehalts) in der vom FA bei der Abrechnung zugrunde gelegten Höhe. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, bei der Anwendung der Vorschriften über die Zahlungsverjährung, insbesondere auch des § 229 Abs. 1 Satz 1 AO, auf die im Erhebungsverfahren getroffenen (deklaratorischen, wenn auch mit Regelungswirkung versehenen) Entscheidungen und die Fälligkeit der dadurch ausgewiesenen Ansprüche statt auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Steuer festgesetzt worden ist (hier: die geänderte Steuerfestsetzung), über die das Finanzamt abgerechnet hat.

18

Die Revision weist im Übrigen mit Recht darauf hin, dass andernfalls ein Anspruch des Finanzamts auf Rückzahlung einer in einer Anrechnungsverfügung zu Unrecht festgesetzten Erstattung im Festsetzungsverfahren gar nicht festgesetzter Steuer(vorauszahlunge)n erst fünf Jahre, nachdem dieses die Rechtswidrigkeit der Steuererstattung erkannt hat, verjährte und damit die Verjährungsfrist insoweit praktisch ins Leere liefe. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Ebenso würde es, worauf die Revision ebenfalls mit Recht hinweist, dem deklaratorischen Charakter der Abrechnung in einer Anrechnungsverfügung nicht gerecht, bei einer auf deren Fehlerhaftigkeit beruhenden Erstattungszahlung die Verjährung des Rückzahlungsanspruchs des Finanzamts nicht beginnen zu lassen, wohl aber bei einer fehlerhaften Zahlung des Finanzamts, der ein entsprechender Ausweis in einer Anrechnungsverfügung nicht vorausgegangen ist.

19

§ 130 Abs. 3 AO kann den Rechtsfrieden schon deshalb nicht in der erforderlichen Weise wahren, weil die dort festgelegte Frist erst zu laufen beginnt, wenn das Finanzamt die Rechtswidrigkeit seiner Steuererstattung erkannt hat.

20

Dass nach der vorstehend entwickelten Auslegung des Gesetzes der Rückzahlungsanspruch des Finanzamts möglicherweise verjährt, bevor das Finanzamt diesen überhaupt wahrnimmt, spricht nicht gegen diese. Vorbehaltlich des § 199 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist es für Verjährungsfristen geradezu typisch, dass sie rein objektiven Charakter haben (vgl. dazu schon das Senatsurteil in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382).

21

Nach alledem kann das FA auch im vorliegenden Fall keinen Rückzahlungsanspruch wegen der unrichtigen (rechtsgrundlosen) Anrechnung von Beträgen in der Anrechnungsverfügung geltend machen, weil seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Anrechnungsverfügung und der ihr zugrunde liegende Steuerbescheid ergangen sind, bereits fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO) verstrichen waren.

22

Zu ändern ist das Urteil des FG ferner insofern, als es --wie sich aus den Entscheidungsgründen am Ende ergibt-- eine Änderung der Zinsfestsetzung mit der Begründung abgelehnt hat, diese sei bestandskräftig geworden. Diese rechtliche Würdigung wird nämlich dem Umstand nicht gerecht, dass die Klage --was der erkennende Senat ohne Bindung an die Bewertung des FG selbst beurteilen kann-- nicht dahin zu verstehen ist, die Kläger begehrten im gerichtlichen Rechtsschutzverfahren auch die Aufhebung der in der angefochtenen Anrechnungsverfügung enthaltenen Zinsfestsetzung. Das FG selbst hat das Einspruchsschreiben der Kläger, in dem die Zinsfrage ausdrücklich angesprochen worden ist, nicht als Angriff gegen die Zinsfestsetzung verstanden (was die Annahme, die in dieser Hinsicht schweigende Klage enthalte einen solchen Angriff, widersprüchlich erscheinen lässt). Vor allem aber hatten die Kläger keinen Anlass die Zinsfestsetzung anzufechten, denn gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 AO ist die Zinsfestsetzung zu ändern, wenn die Anrechnung von Steuerbeträgen "zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird". Diese Vorschrift ist ihrem Sinn entsprechend, der Anrechnungsentscheidung als Grundlagenbescheid der akzessorischen Zinsfestsetzung Geltung zu verschaffen, auch dann anzuwenden, wenn die Änderung einer Anrechnung von Steuerbeträgen im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben wird (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 233a Rz 41).

Tatbestand

1

I. Nach einem im Jahr 2002 von dem für die X-GmbH & Co KG (KG) zuständigen Finanzamt (Feststellungs-FA) erlassenen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen hatte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Veranlagungszeitraum 2001 aus einer Beteiligung an der KG gewerbliche Einkünfte erzielt; zugleich wurden auf die festzusetzende Steuer anzurechnende Steuerabzugsbeträge (Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag) sowie anrechenbare Körperschaftsteuer in bestimmter Höhe gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) festgestellt. In der mit dem Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 25. Oktober 2002 verbundenen Anrechnungsverfügung berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) u.a. diese Beträge.

2

Unter dem 25. April 2006 erhielt das FA eine geänderte Mitteilung des Feststellungs-FA über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2001. Danach hatte die Klägerin gemäß einem nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Feststellungsbescheid aus ihrer Beteiligung an der KG geringere Einkünfte als bisher festgestellt erzielt, während die Steuerabzugsbeträge und die anrechenbare Körperschaftsteuer nunmehr mit jeweils 0 DM festgestellt wurden.

3

Daraufhin erließ das FA unter dem 10. Mai 2006 einen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2001, welcher der Besteuerung die gemäß dem geänderten Feststellungsbescheid verminderten gewerblichen Einkünfte zugrunde legte. In die mit dem Steuerbescheid verbundene Anrechnungsverfügung wurde die geändert festgesetzte Einkommensteuer eingestellt, während die Steuerabzugsbeträge und die Körperschaftsteuer nicht dem geänderten Feststellungsbescheid entsprechend berichtigt wurden, so dass die Anrechnungsverfügung im Ergebnis einen Erstattungsbetrag auswies.

4

Nachdem der Irrtum im Jahr 2008 bemerkt worden war, erließ das FA unter dem 8. Juli 2008 einen Einkommensteuerbescheid für 2001 mit gemäß §§ 129, 130 AO berichtigter Anrechnungsverfügung, die keine auf die Einkünfte aus der Beteiligung an der KG entfallenden Steuerabzugsbeträge und anrechenbare Körperschaftsteuer enthielt und somit im Ergebnis zu einem von der Klägerin noch zu entrichtenden Betrag führte. In dem hiergegen erhobenen Einspruch der Klägerin sah das FA einen Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids, den es unter dem 28. August 2008 mit einem der Anrechnungsverfügung des Einkommensteuerbescheids vom 8. Juli 2008 entsprechenden Inhalt erließ.

5

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin geltend macht, die Änderungsvoraussetzungen des § 129 AO lägen nicht vor, jedenfalls habe die Anrechnungsverfügung wegen eingetretener Zahlungsverjährung nicht zu ihren Ungunsten geändert werden dürfen, wies das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 200 veröffentlichten Gründen ab.

6

Mit ihrer Revision beruft sich die Klägerin auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und macht geltend, die fünfjährige Frist für die Zahlungsverjährung habe im Streitfall mit der Bekanntgabe der ersten Anrechnungsverfügung begonnen und sei durch spätere Änderungen nicht neu in Gang gesetzt worden. Nach Ablauf dieser Frist dürften die Steuerabzugsbeträge nicht mehr korrigiert werden.

7

Das FA schließt sich der Ansicht des FG an, wonach die Zahlungsverjährungsfrist erst mit der in Befolgung des geänderten Feststellungsbescheids geänderten Anrechnungsverfügung begonnen habe.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

9

1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass Gegenstand des Streitfalls der Abrechnungsbescheid vom 28. August 2008 und nicht die Anrechnungsverfügung vom 8. Juli 2008 ist, weil das Verwaltungs- und Klageverfahren über den Abrechnungsbescheid vorrangig ist gegenüber einer Anfechtung der Anrechnungsverfügung (Senatsbeschluss vom 20. Oktober 1987 VII R 32/87, BFH/NV 1988, 349).

10

2. Ebenso zutreffend hat das FG entschieden, dass nicht nur die unter dem 25. April 2006 vom Feststellungs-FA mitgeteilte geänderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für den Steuerbescheid bindend ist, sondern auch die gleichzeitig auf jeweils 0 DM geänderte Feststellung der Steuerabzugsbeträge sowie der anrechenbaren Körperschaftsteuer gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 i.V.m. Satz 1 AO Bindungswirkung für die mit dem geänderten Steuerbescheid verbundene Anrechnungsverfügung hat und diese gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AO in entsprechender Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in der sich aus dem Bescheid vom 8. Juli 2008 ergebenden Weise zu korrigieren ist. Dass das FA die Berichtigung der Anrechnungsverfügung nicht auf vorgenannte Vorschriften, sondern auf §§ 129, 130 AO gestützt hat, ist ohne Bedeutung. Der angefochtene Abrechnungsbescheid vom 28. August 2008 entspricht der zutreffenden Anrechnungsverfügung aus dem Bescheid vom 8. Juli 2008.

11

3. Der Änderung der Anrechnungsverfügung steht Zahlungsverjährung nicht entgegen.

12

Ob eine abgabenrechtliche Vorschrift die Berichtigung eines Verwaltungsakts erlaubt oder --wie hier-- sogar vorschreibt, sagt zwar nichts darüber aus, ob andere Vorschriften wie zum Beispiel diejenigen über die Zahlungsverjährung die Korrektur ggf. hindern (Senatsurteil vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504). Anders als die Revision meint, hindern aber im Streitfall Verjährungsvorschriften die Berichtigung der Steuerabzugsbeträge und der anrechenbaren Körperschaftsteuer nicht.

13

Die dem FA unter dem 25. April 2006 mitgeteilte Änderung der Besteuerungsgrundlagen durch das Feststellungs-FA hat das FA mit dem Einkommensteuerbescheid vom 10. Mai 2006 innerhalb der Festsetzungsfrist umgesetzt (§ 171 Abs. 10 AO). Auf die danach erforderliche Änderung auch der mit dem Steuerbescheid verbundenen Anrechnungsverfügung bzw. auf einen entsprechenden Abrechnungsbescheid findet diese Festsetzungs-Verjährungsvorschrift indes keine Anwendung, weil Anrechnungsverfügung und Abrechnungsbescheid Verwaltungsakte im Steuererhebungsverfahren sind, in dem es nur die fünfjährige Frist der Zahlungsverjährung gemäß § 228 AO gibt. Diese Verjährungsfrist war nicht abgelaufen, als das FA die mit dem Einkommensteuerbescheid vom 8. Juli 2008 verbundene berichtigte Anrechnungsverfügung erließ.

14

Soweit nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, auf die sich die Revision beruft, die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen nach Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden kann, lag jenen entschiedenen Fällen --anders als im Streitfall-- keine sich auf die Anrechnungsverfügung auswirkende geänderte Steuerfestsetzung zugrunde. Es handelte sich vielmehr um Fälle, in denen aufgrund vorgelegter Steuerbescheinigungen Abzugsbeträge zunächst in die Anrechnungsverfügung eingestellt, später jedoch vom FA nicht mehr als abzugsfähig anerkannt worden waren (Senatsurteile vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382; vom 9. Dezember 2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750), Steuerbescheinigungen für geltend gemachte Steuerabzugsbeträge erst nach Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist vorgelegt worden waren (Senatsurteil in BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504) und einbehaltene Lohnsteuer versehentlich zu hoch in die Anrechnungsverfügung eingegeben worden war (Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 VII R 55/10, BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220). Nur für solche Fälle unabhängig von einer geänderten Steuerfestsetzung zu berichtigender Posten einer Anrechnungsverfügung gilt vorstehende Rechtsprechung.

15

Ändert sich dagegen die Festsetzung der Einkommensteuer, ist im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen, ohne dass der Anpassung bis dahin ggf. bereits abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstehen könnten. Dies folgt aus der durch § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes --in der im Streitjahr geltenden Fassung-- (EStG) hergestellten Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren, die dem Steuerbescheid eine einem Grundlagenbescheid ähnliche bindende Wirkung für ihm folgende Anrechnungsverfügungen bzw. Abrechnungsbescheide verleiht (Senatsurteile vom 19. Dezember 2000 VII R 69/99, BFHE 194, 162, BStBl II 2001, 353; vom 12. November 2013 VII R 28/12, zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt). Die Anrechnungsverfügung ist der geänderten Steuerfestsetzung anzupassen, indem der geänderte festgesetzte Betrag in sie eingestellt wird. Dies hat innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO zu geschehen, die mit der Bekanntgabe des Steueränderungsbescheids (insoweit erneut) in Lauf gesetzt wird (vgl. Senatsurteile in BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220 und in BFH/NV 2011, 750).

16

Gleiches gilt für die in die Anrechnungsverfügung gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG (sowie gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG a.F.) aufzunehmenden Abzugsbeträge, soweit sich diese infolge bei der Veranlagung abweichend erfasster Einkünfte geändert haben. Dies folgt ebenfalls aus der gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG angeordneten Verknüpfung zwischen bei der Veranlagung erfassten Einkünften und (nur) den auf sie entfallenden Abzugsbeträgen ("soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte [...] entfällt ..."). Die Änderung der Höhe der der Veranlagung zugrunde gelegten Einkünfte führt in der Anrechnungsverfügung bzw. in einem Abrechnungsbescheid zur Berücksichtigung damit im Zusammenhang stehender Änderungen der auf diese Einkünfte entfallenden Abzugsbeträge.

17

Im Streitfall ist das FG ersichtlich davon ausgegangen, dass die durch das Feststellungs-FA mitgeteilte Verminderung der Steuerabzugsbeträge und der anrechenbaren Körperschaftsteuer auf jeweils 0 DM die Folge der nunmehr in geringerer Höhe als zuvor erfassten gewerblichen Einkünfte der Klägerin war. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die für eine insoweit unzutreffende Annahme des FG sprechen; auch aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich nichts Entsprechendes. Der erkennende Senat sieht sich daher an diese Feststellung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

18

Ebenso wie das FA die aufgrund geminderter gewerblicher Einkünfte der Klägerin herabgesetzte Einkommensteuer in eine geänderte Anrechnungsverfügung einzustellen hatte, musste es deshalb (auch unabhängig von der im Streitfall anzuwendenden Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) die damit im Zusammenhang stehenden geänderten Abzugsbeträge in die Anrechnungsverfügung aufnehmen. Diese Änderung der Anrechnungsverfügung sowohl hinsichtlich der geändert festgesetzten Steuer als auch der auf 0 DM verringerten Abzugsbeträge war --wie ausgeführt-- innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO vorzunehmen, die jedenfalls mit der Bekanntgabe des Steueränderungsbescheids vom 10. Mai 2006 in Lauf gesetzt wurde. Ob diese Frist in Fällen gemäß § 180 AO gesondert festgestellter Besteuerungsgrundlagen bzw. Abzugsposten bereits mit der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids zu laufen beginnt, kann im Streitfall offenbleiben, da die jeweils auf 0 DM herabgesetzten Abzugsbeträge unter dem 8. Juli 2008, d.h. auch in diesem Fall innerhalb der Frist des § 228 AO in die Anrechnungsverfügung eingestellt worden sind.

Tatbestand

1

I. Streitig ist im Rahmen eines Verfahrens auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) die Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen des Streitjahres 2006, in denen ein Gewinn aus der Veräußerung von Aktien als steuerpflichtig erfasst ist.

2

Die von der Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) gegen entsprechende Festsetzungen des Beklagten, Revisionsbeklagten und Antragsgegners (Finanzamt --FA--) gerichtete Klage war erfolglos (Finanzgericht --FG-- Hamburg, Urteil vom 31. Januar 2011  2 K 6/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1091). Die vom FG zugelassene Revision ist beim erkennenden Senat anhängig (Az. I R 17/11).

3

Eine AdV ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe der in den Steuerbescheiden ausgewiesenen Steuerbeträge hat das FA abgelehnt. Dabei hat es auf einen Gewinnverteilungsbeschluss der Antragstellerin vom 13. November 2008 (Gewinnausschüttung in Höhe von 560.000 € an ihre Gesellschafterin) verwiesen, der nach dem Bekanntwerden eines Außenprüfervermerks (vom 11. Oktober 2008) zur Möglichkeit der einkommenserhöhenden Anwendung des § 8b Abs. 7 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) bei der Besteuerung der Antragstellerin gefasst worden sei. Unter dem 14. April 2011 hat das FA eine Vollstreckungsankündigung erlassen.

4

Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 2006 und des Bescheides über den Solidaritätszuschlag für Körperschaftsteuer 2006 sowie der korrespondierenden Zinsbescheide über den Gesamtbetrag von 326.976,16 € sowie die Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheides 2006 in Höhe eines Messbetrages von 49.525 € (Bescheide jeweils vom 22. April 2009 für das Jahr 2006) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Revision ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

5

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

Entscheidungsgründe

6

II. Der Antrag ist abzulehnen. Die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen des Streitjahres, die auf einer Anwendung des § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG 2002 beruhen, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Die Vollziehung der Steuerbescheide ist für die Antragstellerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unbilligen Härte der Vollstreckung auszusetzen.

7

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind u.a. dann zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Eine AdV kommt im Übrigen auch in Betracht, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO). Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Steuerpflichtigen führen würde.

8

2. Der Antrag ist zulässig. Der BFH ist mit Blick auf die beim erkennenden Senat anhängige Revision das Gericht der Hauptsache. Außerdem ist die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 FGO erfüllt. Das FA hat die Gewährung einer AdV ohne Sicherheitsleistung abgelehnt und im Übrigen angedroht, die Steuerschuld zu vollstrecken (§ 69 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 FGO).

9

3. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 FGO, soweit das FA eine Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns unter Hinweis auf einen Erwerb der Anteile mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges aus § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG 2002 abgeleitet hat. Dazu verweist der Senat auf die Gründe des Senatsurteils im Revisionsverfahren I R 17/11 vom 26. Oktober 2011. Auch für die Zeit bis zum Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung bestanden auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine weiter gehenden Erfolgsaussichten für das Begehren der Antragstellerin, die es rechtfertigen könnten, die AdV für einen zeitlich begrenzten Zeitraum zu gewähren (s. dazu z.B. Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 FGO Rz 200, Rz 190.1, m.w.N.).

10

4. Eine AdV der Steuerbescheide kommt im Streitfall schließlich nicht auf der Grundlage des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO in Betracht.

11

a) Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte der Vollstreckung eine AdV nur möglich, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides nicht ausgeschlossen werden können (BFH-Beschlüsse vom 2. November 2004 XI S 15/04, BFH/NV 2005, 490; vom 2. Juni 2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834; vom 2. April 2009 II B 157/08, BFH/NV 2009, 1146). Dieser Grundsatz wird durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Oktober 2010  2 BvR 1710/10 (Deutsches Steuerrecht 2010, 2296) nicht berührt. Auch wenn das BVerfG in diesem Beschluss unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes eine AdV wegen einer unbilligen Härte der Vollstreckung angesichts einer drohenden Insolvenz des Steuerschuldners für erforderlich gehalten hat, hat es doch im Wesentlichen darauf abgestellt, dass Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen der konkreten Besteuerung --und damit an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Festsetzung-- mit Blick auf entsprechende Stellungnahmen in der Fachliteratur und der Einwendungen des dortigen Antragstellers nicht von der Hand zu weisen seien.

12

b) Ob die Voraussetzungen einer unbilligen Härte der Vollstreckung im vorliegenden Fall erfüllt sind, kann offenbleiben. Jedenfalls scheidet eine AdV auf einer solchen Grundlage aus, weil Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide nicht bestehen. Gegenstand der Einwendungen der Antragstellerin gegen das revisionsbefangene FG-Urteil ist auch nicht die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung im Streitfall; die Antragstellerin beruft sich vielmehr auf eine abweichende Würdigung des Sachverhalts bzw. eine Verletzung des Grundsatzes der Feststellungslast für steuerbelastende Tatbestände zu Lasten des FA.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

A. Streitig ist, ob der Körperschaftsteuerbescheid für 2008 der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) wegen verfassungsrechtlicher Zweifel an der sog. Zinsschranke von der Vollziehung auszusetzen ist.

2

Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin war im Streitjahr 2008 die Herstellung von Maschinen und Geräten sowie der Handel mit ihnen. Die Betriebsgrundstücke und weitgehend auch die Betriebsgebäude wurden von der S-GmbH & Co. KG gepachtet. Zum 31. Dezember 2008 hielt die Antragstellerin zudem 99 %-ige und 100 %-ige Beteiligungen an dreizehn Tochtergesellschaften im Ausland. Ihre Gesellschafter waren im Streitjahr zu 50 v.H. die SF-GmbH & Co. KG, zu 20 v.H. S und zu jeweils 15 v.H. dessen zwei Kinder. S war zudem zu 94 v.H. unmittelbar und über eine GmbH zu 6 v.H. mittelbar an der SF-GmbH & Co. KG beteiligt.

3

Die Antragstellerin erwirtschaftete im Streitjahr ein Einkommen nach Zinsen in Höhe von ./. 5.667.900 €. Ihr entstand im selben Zeitraum ein Zinsaufwand in Höhe von 9.599.378 €; die Zinserträge beliefen sich auf 1.854.485 € und die Abschreibungen auf 2.714.946 €. Ihre Eigenkapitalquote war im Streitjahr nicht annähernd gleich hoch oder höher als die ihres Konzerns.

4

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA-) ging davon aus, dass von dem Zinsaufwand lediglich ein Betrag in Höhe von 3.292.067 € als Betriebsausgabe abgezogen werden könne. Der verbleibende Zinsaufwand in Höhe von 6.307.311 € könne nur als Zinsvortrag festgestellt werden. Hiervon ausgehend setzte das FA Körperschaftsteuer für 2008 in Höhe von 11.631 € fest.

5

Die Antragstellerin hat gegen den Körperschaftsteuerbescheid Einspruch eingelegt, über den bislang noch nicht entschieden worden ist. Den parallel gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Körperschaftsteuerbescheides lehnte das FA ab. Ebenso lehnte das Finanzgericht (FG) Münster den daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf AdV durch Beschluss vom 29. April 2013  9 V 2400/12 K ab. Zwar sei ernstlich zweifelhaft, ob die sog. Zinsschranke einer verfassungsrechtlichen Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit standhalte. Dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin komme allerdings kein Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Gesetzesvollzug zu. Der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 1147 veröffentlicht.

6

Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der AdV. Sie beantragt, unter Aufhebung des FG-Beschlusses die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen.

7

Das FA hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8

B. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Beschlusses und zur AdV des streitigen Steuerbetrages.

9

I. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

10

Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung, s. z.B. Senatsbeschlüsse vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, und vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489). Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156; vom 26. August 2010 I B 85/10, BFH/NV 2011, 220). Dies gilt auch für ernstliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (Senatsbeschlüsse vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826; vom 30. März 2011 I B 136/10, BFHE 232, 395).

11

II. Bei der im Verfahren auf AdV gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist ernstlich zweifelhaft, ob es rechtmäßig ist, dass das FA die von der Antragstellerin gezahlten Schuldzinsen unter Hinweis auf die sog. Zinsschranke nur teilweise als Betriebsausgaben zum Abzug zugelassen und deshalb eine Körperschaftsteuer in Höhe von 11.631 € festgesetzt hat.

12

1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die einfachrechtlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Zinsschranke gemäß § 8 Abs. 1, § 8a des Körperschaftsteuergesetzes 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (UntStRefG) vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) --KStG 2002 n.F.-- i.V.m. § 4h Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des UntStRefG (EStG 2002 n.F.) vorliegen.

13

Zinsaufwendungen eines Betriebs sind nach § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. --hier i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 n.F.-- nur in Höhe des verrechenbaren EBITDA, d.h. 30 v.H. des um Zinsaufwendungen und bestimmte Abschreibungen erhöhten Einkommens, abziehbar. Danach verbleibende nicht abziehbare Zinsaufwendungen sind in die folgenden Wirtschaftsjahre vorzutragen (§ 4h Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 n.F.). Dass das FA diese Vorgaben in dem angefochtenen Bescheid zutreffend umgesetzt hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf keiner weiteren Vertiefung. Insbesondere ist im Streitfall keiner der Ausnahmetatbestände gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. erfüllt. Der die Zinserträge übersteigende Zinsaufwand ist höher als 1 Mio. € (vgl. § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG 2002 n.F.), die Antragstellerin ist Muttergesellschaft eines Konzerns (vgl. § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG 2002 n.F.) und ihre Eigenkapitalquote ist nicht (annähernd) gleich hoch oder höher als die des Konzerns (vgl. § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG 2002 n.F.).

14

2. Der Senat hat indes im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. (so z.B. auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011  12 V 12089/11, EFG 2012, 358; Hey in Brähler/Lösel [Hrsg.], Deutsches und internationales Steuerrecht, Gegenwart und Zukunft, Festschrift für Christiana Djanani, 2008, S. 109, 122 ff.; Goebel/Eilinghoff, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2010, 550, 554; Gosch, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 1553, 1559; Gosch/Förster, KStG, 2. Aufl., Exkurs § 4h EStG Rz 35 f.; Jehlin, Die Zinsschranke als Instrument zur Missbrauchsvermeidung und Steigerung der Eigenkapitalausstattung, 2013, S. 135 ff.; Musil/Volmering, Der Betrieb --DB-- 2008, 12, 14 ff.; Oellerich in Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, § 8a Rz 37; Seiler in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 4h Rz 3 f.; Stöber in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 8a Rz 243 ff.; "gewichtige Bedenken" hat auch das Niedersächsische FG in seinem Beschluss vom 18. Februar 2010  6 V 21/10, EFG 2010, 981; a.A. z.B. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. November 2012  6 K 3390/11, juris; s. Betriebs-Berater --BB-- 2013, 2646; Niedersächsisches FG, Urteil vom 11. Juli 2013  6 K 226/11, EFG 2013, 1790; Heuermann, DStR 2013, 1 ff.; Blümich/Heuermann, § 4h EStG Rz 25; Schenke in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 4h Rz A 162 ff.; Schmehl in Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, S. 99, 116 f.; Verfügung der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 2013, DStR 2013, 1947, 1948; im Ergebnis auch Heyes, Ursachen, Rahmenbedingungen und neue Rechtfertigungsgrundsätze zur Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG), 2014, S. 404 ff.).

15

a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (z.B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, unter C.I.2.a aa, und vom 8. Mai 2013  1 BvL 1/08, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2013, 2498, unter C.II.1.). Aus dem Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 4. Februar 2009  1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, unter C.II.1.a; vom 7. Mai 2013  2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, DStR 2013, 1228, unter C.I.1.; BVerfG-Urteil vom 19. Februar 2013  1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, unter B.IV.1.a).

16

Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 123, 1, unter C.II.1.a; vom 18. Juli 2012  1 BvL 16/11, BVerfGE 132, 179, unter B.I.2.a). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010  1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400, unter B.I.2.a). Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (vgl. BVerfG-Urteil vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, unter D.I.). Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung zudem folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, unter D.I., und vom 18. Dezember 2012  1 BvR 1509/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2013, 258, unter II.1.a aa). Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 400, unter B.I.2.a).

17

b) Von diesen Maßgaben ausgehend können gewichtige Gründe dafür ins Feld geführt werden, dass die Zinsschranke eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem nach sich zieht. Durch die Zinsschranke könnte der Gesetzgeber das Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des Körperschaftsteuerrechts am Gebot der finanziellen Leistungsfähigkeit durchbrochen haben.

18

Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Die Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und damit das objektive Nettoprinzip gelten gleichermaßen im Bereich der Körperschaftsteuer (z.B. Senatsurteil vom 22. August 2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBE II 2013, 512). Die Körperschaftsteuer bemisst sich nach dem Einkommen der Körperschaft und damit nach der Ertragskraft des Unternehmens. Dies folgt auch aus § 8 Abs. 1 KStG 2002, demzufolge sich das Einkommen und die Einkommensermittlung nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts bestimmen. Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Einnahmen und den Betriebsausgaben (vgl. § 4 Abs. 4 EStG 2002), der Besteuerung. Deshalb sind Betriebsausgaben grundsätzlich steuerlich abziehbar (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224, unter C.III.1.a).

19

Diese systematische Grundentscheidung hat der Gesetzgeber durchbrochen, weil aufgrund der Zinsschranke nicht das Nettoeinkommen besteuert wird. Während der Besteuerung in einem konkreten Veranlagungszeitraum die gesamten Einnahmen zugrunde gelegt werden (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG 2002), können die in dem Veranlagungszeitraum anfallenden Zinsaufwendungen aufgrund der Zinsschranke (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F.) nur in eingeschränktem Maße unmittelbar abgezogen und im Übrigen nur in spätere Veranlagungszeiträume vorgetragen werden (so auch Marquart/Jehlin, DStR 2013, 2301, 2302).

20

c) Der Senat hat ernstliche Zweifel, ob die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips gerechtfertigt ist.

21

aa) Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 wurde der Körperschaftsteuersatz von 25 v.H. auf 15 v.H. gesenkt und die Gewerbesteuermesszahl von maximal 5 v.H. auf einheitlich 3,5 v.H. verringert, so dass die nominale Belastung der Unternehmensgewinne --bei einem Gewerbesteuer-Hebesatz von 400 v.H.-- nur noch bei 29,83 v.H. lag. Nach Auffassung des beschließenden Senats ist der Gesetzgeber zur Gegenfinanzierung eines derartigen steuerpolitischen Vorhabens zwar nicht grundsätzlich gehindert, einzelne betriebliche Aufwendungen unter Einschränkung des objektiven Nettoprinzips bei der Bemessung der Körperschaftsteuer unbeachtet zu lassen. Jedoch muss er bei derartigen Maßnahmen auf eine gleichheitsgerechte Lastenverteilung achten (BVerfG-Beschlüsse vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, unter C.III.3.c aa; vom 21. Juni 2006  2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, unter C.I.3.a). Dies ist bei der Zinsschranke nicht geschehen. Denn der Gesetzgeber hat die Absenkung der Steuersätze nicht durch eine die Steuerpflichtigen möglichst gleichmäßig belastende Erweiterung der Bemessungsgrundlage gegenfinanziert.

22

bb) Es bestehen für den Senat ebenfalls ernstliche Zweifel, ob die Zinsschranke durch einen sog. qualifizierten Fiskalzweck gerechtfertigt werden kann (vgl. Prinz, DB 2013, 1571, 1572; s. zum qualifizierten Fiskalzweck Senatsurteil in BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512; Desens, Finanz-Rundschau –-FR-- 2012, 745, 749; Kube, DStR 2011, 1781, 1789 f.). Dass die Zinsschranke zur Verstetigung des Steueraufkommens oder zur Vermeidung unkalkulierbarer Steuerausfälle geboten gewesen wäre, erkennt der Senat bei überschlägiger Prüfung nicht.

23

cc) Ebenso hat der Senat im summarischen Verfahren Bedenken, die Zinsschranke mit dem Zweck der Missbrauchsabwehr zu rechtfertigen.

24

aaa) Ausgehend von der Gesetzesbegründung stellt die Zinsschranke eine Missbrauchstypisierung dar. Denn sie soll der "Sicherung inländischen Steuersubstrats" und der "Vermeidung von missbräuchlichen Steuergestaltungen" dienen (BTDrucks 16/4841, S. 35). Sie richtet sich gegen eine übermäßige Fremdkapitalfinanzierung der Unternehmen und soll verhindern, dass allein aus Gründen der Steueroptimierung eine hohe Fremdkapitalquote angestrebt wird. Konzerne sollen insbesondere nicht mittels grenzüberschreitender konzerninterner Fremdkapitalfinanzierung in Deutschland erwirtschaftete Erträge ins Ausland transferieren können. Weiterhin soll die Zinsschranke verhindern, dass Konzerne sich gezielt über ihre deutschen Töchter auf dem Kapitalmarkt verschulden und über die gezahlten Zinsen vor allem in Deutschland die Steuerbemessungsgrundlage verringert wird (BTDrucks 16/4841, S. 31).

25

bbb) Zweifelhaft ist angesichts dieses Zwecks, ob die Zinsschranke den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Missbrauchstypisierung entspricht. Denn eine gesetzliche Typisierung darf keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, unter D.I.; vom 6. April 2011  1 BvR 1765/09, HFR 2011, 812, unter IV.2.a). Zudem muss sich die Typisierung am allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen (BVerfG-Beschluss vom 4. April 2001  2 BvL 7/98, BVerfGE 103, 310, unter B.I.2.b; Huster in Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 3 Rz 130 f.). Die ungleichen Rechtsfolgen dürfen nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen treffen, und die Nachteile dürfen nicht zu schwer wiegen (BVerfG-Beschlüsse vom 30. Mai 1990  1 BvL 2/83, BVerfGE 82, 126, unter C.I.4.f; vom 8. Oktober 1991  1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, unter C.I.2.; Heun in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl., Art. 3 Rz 34).

26

ccc) Es bestehen auch Zweifel, ob die Zinsschranke, um ihren Zweck zu erfüllen, erforderlich ist.

27

aaaa) Zwar erfasst sie auch Fälle von Gewinnverlagerungen, in denen das Besteuerungssubstrat im Inland gefährdet ist. Sie ist indes nicht zielgenau formuliert, so dass missbräuchliche Gestaltungen unterhalb der Freigrenze von 3 Mio. € nicht erfasst werden (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG 2002 n.F. i.d.F. des Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen --Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung-- vom 16. Juli 2009, BGBl I 2009, 1959, BStBl I 2009, 782), während andererseits Finanzierungsgestaltungen erfasst werden, die marktüblich, sinnvoll und typischerweise nicht missbräuchlich sind (Prinz, FR 2008, 441, 443; Schmidt/Loschelder, EStG, 32. Aufl., § 4h Rz 4; zur Kritik wegen der Zielungenauigkeit auch Marquart/Jehlin, DStR 2013, 2301, 2305 f.). Grund hierfür ist, dass die Zinsschranke nicht zielgenau an die als missbräuchlich eingestufte Gewinnverlagerung ins Ausland anknüpft, sondern pauschal an eine als zu hoch empfundene Fremdkapitalisierung; sie erfasst zur Vermeidung unionsrechtlicher Friktionen auch den reinen Inlandsfall, obwohl hier eine das deutsche Besteuerungssubstrat gefährdende Gewinnverlagerung durch Fremdkapitalisierung nicht denkbar ist (Hey in Festschrift für Christina Djanani, a.a.O., S. 109, 125). Hinzu kommt, dass aufgrund der Regelungsstruktur der Zinsschranke insbesondere fremdkapitalbedürftige neue Unternehmen und Unternehmen in der Krise betroffen werden, ohne dass bei ihnen der Verdacht der Gewinnverlagerung bestehen müsste (Goebel/Eilinghoff, DStZ 2010, 550, 555; Südkamp in Birk/Saenger/Töben, Forum Steuerrecht 2009, 2010, S. 249, 271). Gerade bei diesen Unternehmen kann die Zinsschranke zudem zu unangemessenen Belastungswirkungen in Form einer Substanzbesteuerung führen, die eine weitere Fremdkapitalaufnahme notwendig machen und zu einer weitgehenden Entwertung des Zinsvortrags sowie einem gesteigerten Insolvenzrisiko führen kann.

28

bbbb) Ebenso erscheint es fraglich, ob die Vermeidung der Unionsrechtswidrigkeit durch eine derart schwerwiegende Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips hergestellt werden musste. Es lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausgehend von seiner jüngeren Rechtsprechung (s. EuGH-Urteil vom 12. September 2006 C-196/04, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Slg. 2006, I-7995, Rz 55 ff.; EuGH-Beschluss vom 23. April 2008 C-201/05, Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, Slg. 2008, I-2875, Rz 77 ff.) eine im dargestellten Sinne zielgenaue Missbrauchsklausel akzeptieren würde und dem Gesetzgeber deren Ausformulierung auch möglich gewesen wäre (so auch Hey in Festschrift für Christina Djanani, a.a.O., S. 109, 126).

29

dd) Es sprechen ferner gewichtige Gründe dafür, dass auch das in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/4841, S. 31) zum Ausdruck kommende Ziel der Stärkung der Eigenkapitalbasis die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips nicht zu rechtfertigen vermag. Es entspricht der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Unternehmers, ob er sich eigen- oder fremdfinanziert (zur verfassungsrechtlichen Verankerung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit s. BVerfG-Urteil vom 19. Oktober 1983  2 BvR 298/81, BVerfGE 65, 196, unter C.I.2.; BVerfG-Beschlüsse vom 8. April 1997  1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, unter C.III.1.a, und vom 18. Juni 2012  1 BvR 1530/11, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2012, 1283, unter II.1.; Kahl in Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 124 Rz 66). Unabhängig davon werden eigenkapitalschwache Betriebe aufgrund der Freigrenze (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG 2002 n.F.) von der Zinsschranke ohnehin nicht erfasst, und sind nicht konzernzugehörige Unternehmen vom Anwendungsbereich ausgenommen (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG 2002 n.F.). Gleiches betrifft selbst hoch fremdkapitalfinanzierte Betriebe, soweit sie nur den Eigenkapitalvergleich des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG 2002 n.F. bestehen.

30

3. Angesichts der bereits in Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG bestehenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob und inwieweit die Zinsschranke zudem entsprechende Zweifel hinsichtlich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG begründet (dafür Goebel/Eilinghoff, DStZ 2010, 550, 555, und Jehlin, a.a.O., S. 187 ff.; einschränkend München, Die Zinsschranke – eine verfassungs-, europa- und abkommensrechtliche Würdigung, 2010, S. 45 ff.; Oellerich in Mössner/ Seeger, a.a.O., § 8a Rz 38; Seiler in Kirchhof, a.a.O., § 4h Rz 5; Scheunemann/Socher, BB 2007, 1144, 1151; a.A. Heuermann, DStR 2013, 1, 2; Schenke in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4h Rz A 190 f.; auch Heyes, a.a.O., S. 419 ff.). Gleiches gilt für die im Schrifttum vorgetragenen Bedenken hinsichtlich eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (hierzu Birk, DStR 2009, 877, 878 f.; Goebel/Eilinghoff, DStZ 2010, 550, 557 f.; Heuermann, DStR 2013, 1, 4; Hick in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 4h EStG Rz 6; Kaligin in Lademann, EStG, § 4h Rz 11; Korn in Korn, § 4h EStG Rz 22; Müller-Gatermann, Die Steuerberatung 2007, 145, 158; Schenke in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 4h Rz A 193 ff.; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 4h Rz 4).

31

III. Die AdV ist nicht wegen eines fehlenden besonderen Aussetzungsinteresses ausgeschlossen.

32

1. Allerdings verlangt die Spruchpraxis etlicher Senate des BFH bei der AdV von Steuerbescheiden aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das gründe in dem Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes. Geboten ist hiernach eine Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen (BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663; vom 7. Juli 2004 XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178; vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418). Bei der Abwägung soll es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung ankommen (BFH-Beschlüsse in BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 19. August 1994 X B 318, 319/93, BFH/NV 1995, 143; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; in BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418). Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift soll bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein (BFH-Beschlüsse vom 9. November 1992 X B 137/92, juris, und in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558).

33

2. Ob dem uneingeschränkt beizupflichten ist, kann der Senat im Streitfall abermals (s. bereits Senatsbeschluss in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, m.w.N.; s. auch BFH-Beschluss in 236, 206, BStBl II 2012, 418, der auf eine solche Abwägung gänzlich verzichtet, dazu Gosch, BFH/PR 2012, 243) dahinstehen lassen; in casu liegt ein besonderes Aussetzungsinteresse vor, das den öffentlichen, vor allem haushalterischen Interessen vorgeht.

34

a) Zwar mag die Substanzbesteuerung im vorliegenden Fall nicht zu einer Existenz gefährdenden Situation für die Antragstellerin führen, und es ist nicht erkennbar, dass der Vollzug des Körperschaftsteuerbescheides für sie irreparable Nachteile nach sich zieht (s. zu solchen Konstellationen z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl II 1991, 876, und vom 29. Oktober 1991 III B 83/91, BFH/NV 1992, 246; s. für irreparable Nachteile BFH-Beschlüsse vom 9. November 1992 X B 137/92, juris, und in BFH/NV 1995, 143). Auch bei einer geringeren Belastung des Steuerpflichtigen kann das Aussetzungsinteresse aber überwiegen, namentlich dann, wenn die Gefahren für die öffentliche Haushaltsführung vergleichsweise gering sind. Das ist hier der Fall, da durch die sog. Zinsschranke insgesamt nur Mehreinnahmen von 697,5 Mio. € p.a. erwartet werden (vgl. Stellungnahme des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin --DIW Berlin–- zum Gesetzentwurf Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung [BTDrucks 16/12254 und BRDrucks 168/09], www.diw.de/documents/publikationen/73/96142/rn30.pdf sowie den dazu gegebenen Kurzbericht von Bach/Buslei, Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 17/2009, 283 ff.; s. auch bereits Senatsbeschluss in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611). Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, dass die Studie des DIW Berlin noch auf der Basis der seinerzeit maßgebenden ursprünglichen Gesetzesfassung erstellt worden ist, also unter Einbeziehung einer Freigrenze von lediglich 1 Mio. € anstelle der nachfolgend --rückwirkend (vgl. § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG 2002 n.F. i.V.m. § 52 Abs. 12d Satz 3 EStG 2002 n.F., jeweils i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung), und damit auch für das Streitjahr-- eingeräumten Freigrenze von 3 Mio. €; die Zahl der betroffenen und belasteten Unternehmen hat sich danach --ausgehend von jener Studie-- nochmals um gut die Hälfte (von zuvor rd. 600 Unternehmen) reduziert. Auch das Steuermehraufkommen infolge der Zinsschranke hat sich danach nochmals vermindert, wenn auch lediglich --aber immerhin-- um 7 v.H., weil die Mehreinnahmen aus der Zinsschranke stark auf die großen Unternehmen konzentriert sind. Dem steht entgegen, dass die Antragstellerin trotz des von ihr erwirtschafteten Verlusts in Millionenhöhe infolge der sog. Zinsschranke einer erheblichen Steuerbelastung "aus der Substanz" ausgesetzt ist.

35

b) Die Bedenken gegenüber der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke sind auch von hinreichendem Gewicht. Sie decken sich mit der im Schrifttum weit überwiegend vertretenen Auffassung, welche den Senat überzeugt und welcher er sich angeschlossen hat. Dass die zugrunde liegende Vorschrift derzeit nicht dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung vorliegt (s. dazu BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BFHE 243, 162), tritt dahinter zurück. So hat das BVerfG es unter Hervorhebung der besonderen Bedeutung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG in jüngerer Vergangenheit denn auch bereits ausreichen lassen, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift lediglich von einer Mindermeinung im Fachschrifttum vertreten worden ist. Das genügte ihm, um eine zurückweisende Beschließung durch den BFH aufzuheben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Oktober 2010  2 BvR 1710/10, DStR 2010, 2296, dort unter Aufhebung des BFH-Beschlusses vom 25. Mai 2010 IX B 179/09, BFH/NV 2010, 1627). Letztlich trägt dieses Verständnis der überragenden Bedeutung der Rechtsschutzgewährleistung nach Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung. Etwaige Gegenerwägungen sind bei der notwendigen Abwägung zwischen individuellen und öffentlichen Interessen nur dann in die Waagschale zu werfen, wenn ihnen überragendes Gewicht zukommt. Andernfalls erzwingen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm als gewissermaßen "intensivste" Form der Rechtswidrigkeit eines Bescheides dessen AdV (vgl. Gosch in Beermann/Gosch, FGO § 68 Rz 108 f.).

36

3. Dem besonderen Aussetzungsinteresse der Antragstellerin steht nicht entgegen, dass vor allem der II. Senat des BFH bislang davon ausgegangen ist, im AdV-Verfahren könne keine weiter gehende Entscheidung getroffen werden als vom BVerfG in einem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG zu erwarten sei. Sei nicht davon auszugehen, dass eine Vorschrift rückwirkend für nichtig erklärt werde, scheide eine AdV daher aus (BFH-Beschlüsse vom 11. Juli 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782; vom 17. Juli 2003, II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942). Denn der II. Senat hat diese Rechtsprechung jüngst aufgegeben, weil es nicht gerechtfertigt sei, aufgrund einer Prognose über eine Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen. Sei ein qualifiziertes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden, müsse dieses Interesse im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiv durchsetzbar sein und dürfe nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordne (BFH-Beschluss in BFHE 243, 162). Der beschließende Senat pflichtet dem bei.

37

IV. Gründe, die die Anordnung einer Sicherheitsleistung erforderlich machen, sind weder vom FA vorgetragen worden noch nach Aktenlage ersichtlich. Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn --wie im vorliegenden Streitfall-- seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (BFH-Beschlüsse vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229, und in BFHE 243, 162).

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die geschiedene Ehefrau des im September 2011 verstorbenen Erblassers (E). Aufgrund eines Vermächtnisses des E erhält sie auf Lebenszeit eine monatliche Rente von 2.700 €.

2

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte für den Erwerb der Antragstellerin in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 Erbschaftsteuer in Höhe von 71.000 € fest, die die Antragstellerin am 2. November 2012 entrichtete.

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Mit dem Einspruch machte die Antragstellerin im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. September 2012 II R 9/11 (BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) und das damit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvL 21/12 die Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 --ErbStG-- (BGBl I 2008, 3018) geltend. Das Einspruchsverfahren ruht bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 21/12.

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Die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Die beim Finanzgericht (FG) beantragte Aufhebung der Vollziehung wurde ebenfalls abgelehnt. Das FG führte zur Begründung aus, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege nicht die öffentlichen Interessen am ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug und an einer geordneten Haushaltsführung. Die festgesetzte Erbschaftsteuer belaufe sich nur auf knapp 25 % des Erwerbs. Die Antragstellerin könne etwaige finanzielle Härten durch die Wahl der Jahresversteuerung gemäß § 23 ErbStG abmildern. Die Gewährung einer Aufhebung der Vollziehung käme dagegen einem einstweiligen Außerkraftsetzen des ErbStG gleich.

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Mit der Beschwerde rügt die Antragstellerin die Verletzung des § 69 Abs. 2 Sätze 2 und 7 sowie Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Garantie auf effektiven Rechtsschutz könne einem Steuerpflichtigen bei einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht dadurch faktisch entzogen werden, dass nach der Rechtsprechung des BFH dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft der Vorrang vor dem Interesse des Steuerpflichtigen an einer AdV eingeräumt werde (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Außerdem fehle eine gesetzliche Grundlage, die bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer der Besteuerung zugrunde gelegten Norm ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der AdV verlange. Die Ablehnung der AdV sei auch nicht damit zu rechtfertigen, dass nach der Rechtsprechung des BFH (II. Senat) regelmäßig keine weitergehende Entscheidung getroffen werden könne als vom BVerfG zu erwarten sei (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807). Dies bedeute eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache, weil die fortgesetzte Vollziehung aller Erbschaftsteuerbescheide kaum rückgängig zu machen sei und damit für den einzelnen Steuerpflichtigen dauerhaft nachteilige Wirkungen habe.

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Die Antragstellerin beantragt, die Vorentscheidung und die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 aufzuheben.

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Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung und die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kommt dem Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG zu.

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1. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids bestehen --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

10

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 3. April 2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, m.w.N.). Im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ist die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).

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b) Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG. Beim BVerfG ist unter dem Az. 1 BvL 21/12 ein Normenkontrollverfahren zu der Frage anhängig, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgehen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden (vgl. Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899).

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2. Das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung ist gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

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a) Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Aufhebung der Vollziehung, die mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 21. Mai 2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489; vom 18. Juni 2012 II B 17/12, BFH/NV 2012, 1652; Erfordernis eines berechtigten Interesses offen gelassen: BFH-Beschlüsse vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799, und vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826).

14

Das BVerfG hat dieser Rechtsprechung im Grundsatz zugestimmt (BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283; vom 3. April 1992  2 BvR 283/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 726; kritisch insoweit Niedersächsisches FG, Beschluss vom 6. Januar 2011  7 V 66/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 827; Gosch in Beermann/Gosch, FGO, § 69 Rz 179 ff.; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 113; Schallmoser, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 297 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 97; Specker, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 800, 802 f.; einschränkend auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011  12 V 12089/11, EFG 2012, 358). In neueren Entscheidungen hat das BVerfG die Frage, ob die Rechtsprechung des BFH (in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558) in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit offen gelassen (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011  1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89, und vom 6. Mai 2013  1 BvR 821/13, HFR 2013, 639).

15

b) Bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; in BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; in BFH/NV 2012, 1489).

16

c) Allerdings hat der BFH in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, m.w.N.). Dazu zählt auch der Fall, dass der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, und vom 23. April 2012 III B 187/11, BFH/NV 2012, 1328, jeweils m.w.N.).

17

Bis zur Entscheidung des BVerfG ist zwar ungewiss, ob dieses die Vorschrift als verfassungswidrig beurteilen und im Fall einer Verfassungswidrigkeit für nichtig oder (nur) für mit dem GG unvereinbar erklären wird und welche Rechtsfolge es hieraus ziehen wird. Jedoch hat der BFH vorläufigen Rechtsschutz auf der Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367, m.w.N.). Eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes bei Verfassungsverstößen, von denen das Gericht überzeugt ist, gegenüber dem bei sonstigen Rechtsverstößen zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz ist dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Hinblick auf seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Mit dem Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz muss der Steuerpflichtige auch in Kauf nehmen, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage gegen den Steuerbescheid Aussetzungszinsen nach § 237 der Abgabenordnung (AO) anfallen, die für jeden Monat ein halbes Prozent betragen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

18

d) Ist --wie bei der Erbschaftsteuer-- die dem BVerfG zur Prüfung vorgelegte Vorschrift allerdings eine Tarifnorm, muss im Rahmen der Interessensabwägung auch berücksichtigt werden, dass in diesem Fall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes praktisch zu einer einstweiligen Nichterhebung der gesamten Steuer führen kann. Die Kompetenz, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, steht aber nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht allein dem BVerfG zu, das von dieser Möglichkeit nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Gründe Gebrauch machen darf (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.). Dennoch hat ein Steuerpflichtiger auch in einem solchen Fall Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Nur in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss in StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

19

e) Nachdem zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH (in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig ist, ist die Vollziehung eines auf § 19 Abs. 1 ErbStG beruhenden Erbschaftsteuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen auszusetzen oder aufzuheben, wenn ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht. Ein berechtigtes Interesse liegt jedenfalls vor, wenn der Steuerpflichtige mangels des Erwerbs liquider Mittel (wie z.B. Bargeld, Bankguthaben, mit dem Ableben des Erblassers fällige Versicherungsforderungen) zur Entrichtung der festgesetzten Erbschaftsteuer eigenes Vermögen einsetzen oder die erworbenen Vermögensgegenstände veräußern oder belasten muss. In diesen Fällen kann der Erwerber die Erbschaftsteuer nicht bzw. nicht ohne weitere, ggf. auch verlustbringende Dispositionen aus dem Erwerb begleichen. Es ist ihm hier deshalb nicht zuzumuten, die Erbschaftsteuer vorläufig zu entrichten. Wegen des vorrangigen Interesses des Steuerpflichtigen steht der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegen, dass das ErbStG als formell zustande gekommenes Gesetz bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG Geltung beansprucht und von den Behörden und Gerichten anzuwenden ist.

20

Gehören dagegen zu dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb auch verfügbare Zahlungsmittel, die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer eingesetzt werden können, fehlt regelmäßig ein vorrangiges Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Durch die Begleichung der Erbschaftsteuer vermindern sich lediglich die dem Steuerpflichtigen mit dem Erwerb zugeflossenen Zahlungsmittel, so dass die vorläufige Zahlung der Erbschaftsteuer dem Steuerpflichtigen zuzumuten ist.

21

f) Im Streitfall ist das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

22

aa) Die Antragstellerin konnte die mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 festgesetzte Erbschaftsteuer von 71.000 € bei Fälligkeit nicht aus den ihr zu diesem Zeitpunkt zugeflossenen Rentenzahlungen von monatlich 2.700 € entrichten. Wegen des Ansatzes der Rente nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes mit dem Kapitalwert war ein Erwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) zu besteuern. Die dafür festgesetzte Erbschaftsteuer überstieg zum Zeitpunkt der Fälligkeit die Rentenzahlungen, die die Antragstellerin bis dahin für die Zeit nach dem Ableben des E (im September 2011) erhalten hatte. Die Rentenzahlungen dienten im Übrigen --nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin im Einspruchsverfahren-- der Bestreitung ihres Lebensunterhalts, so dass die Antragstellerin den Zahlungseingang von vornherein allenfalls nur in einem hier zu vernachlässigenden Umfang zur Begleichung der Erbschaftsteuer verwenden konnte. Die Erbschaftsteuer musste überwiegend aus eigenen Mitteln der Antragstellerin entrichtet werden. Im Hinblick darauf ist derzeit ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids auch insoweit gegeben, als sie in der Zeit ab Fälligkeit der Erbschaftsteuer bis zur Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin Rentenzahlungen erhalten hat. Dies schließt einen späteren Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht aus.

23

bb) Der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Antragstellerin das Wahlrecht nach § 23 ErbStG hätte ausüben können.

24

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG können Steuern, die von dem Kapitalwert von Renten zu entrichten sind, nach Wahl des Erwerbers statt vom Kapitalwert jährlich im Voraus von dem Jahreswert entrichtet werden. Durch das Wahlrecht soll die unbillige Härte abgemildert werden, die sich aus der Besteuerung von Renten mit dem Kapitalwert ergibt, wenn dem Erwerber zur Begleichung der hohen Steuer die liquiden Mittel fehlen (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 23 ErbStG Rz 1). Das Wahlrecht ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass die Erbschaftsteuer in diesem Fall nach der wirklichen und nicht nach der auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhenden Lebensdauer erhoben wird; lebt der Berechtigte länger als es der Wahrscheinlichkeitsrechnung entspricht, so ist die Gesamtbelastung höher (vgl. Schuck, a.a.O., § 23 ErbStG Rz 16). Zudem muss auch bei Ausübung dieses Wahlrechts die Erbschaftsteuer jährlich im Voraus beglichen werden. Der Antragstellerin muss deshalb die Entscheidung überlassen bleiben, ob sie das gesetzliche Wahlrecht in Anspruch nimmt oder nicht. Allein das Bestehen des einfachgesetzlichen Wahlrechts nach § 23 ErbStG kann nicht dazu führen, das grundgesetzlich geschützte Recht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG einzuschränken. Der Antragstellerin stehen beide Rechte gleichermaßen zu.

25

3. Soweit der Senat bisher vorläufigen Rechtsschutz versagt hat, wenn zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782; vom 11. September 1996 II B 32/96, BFH/NV 1997, 270; in BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942; vom 4. Mai 2011 II B 151/10, BFH/NV 2011, 1395), wird daran im Hinblick auf die geäußerte Kritik (vgl. Seer, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; derselbe, DStR 2012, 325, 328 f.; Gosch, a.a.O., § 69 Rz 180.1; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 113; Anwendung offen gelassen: BFH-Beschlüsse in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, und in BFH/NV 2012, 1489) nicht mehr festgehalten.

26

Es ist nicht gerechtfertigt, aufgrund einer Prognose über die Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen. Ist ein qualifiziertes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden, muss es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiv durchsetzbar sein und darf nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordnet. Aus diesem Grund ist auch im Streitfall eine Aufhebung der Vollziehung unabhängig davon zu gewähren, ob das BVerfG im Verfahren 1 BvR 21/12 für den Fall, dass es zu der Überzeugung gelangt, § 19 Abs. 1 ErbStG sei mit dem GG unvereinbar, die Norm für nichtig erklärt oder wiederum eine zeitlich beschränkte Weitergeltung anordnet. Sollte das BVerfG eine solche Weitergeltungsanordnung treffen und dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgeben, besteht auch die Möglichkeit, dass die Neuregelung des ErbStG den Steuerpflichtigen, deren Erwerbe zeitlich von der Weitergeltungsanordnung erfasst werden, ein Wahlrecht auf Anwendung des neuen Rechts einräumt.

27

4. Die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 war ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.

28

Nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann die Aufhebung der Vollziehung auch gegen Sicherheit angeordnet werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (BFH-Beschluss vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229, Rz 21). Im Streitfall gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Antragstellerin nicht über eine gesicherte Vermögenslage verfügt und daher die Gefahr eines Steuerausfalls besteht.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.