Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13

bei uns veröffentlicht am06.02.2014

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Zweitwohnungsteuer für seine Nebenwohnung in Hamburg.

2

Der Kläger war bis Anfang 2011 mit Hauptwohnsitz in Hamburg gemeldet. Er ist Rechtsanwalt und übte diese Tätigkeit bis Anfang 2011 überwiegend in Hamburg aus. Ferner war er als Gesellschafter und Geschäftsführer mehrerer Firmen der A-Gruppe mit Sitz in Hamburg tätig. Seit dem ... 2009 ist der Kläger mit seiner in B lebenden Ehefrau verheiratet.

3

Im Januar 2011 mietete der Kläger im X-Weg eine etwa 75 qm große Wohnung für 980 € netto/monatlich. Seit dem 25.05.2011 ist er dort mit Nebenwohnsitz gemeldet, der Hauptwohnsitz ist in B.

4

Am 03.01.2012 gab der Kläger eine Zweitwohnungsteuererklärung ab. Er sei nicht zur Zweitwohnungsteuer zu veranlagen, weil er die Wohnung überwiegend aus beruflichen Gründen unterhalte und sein Familienwohnsitz außerhalb Hamburgs liege. Er halte sich 2 bis 3 Tage wöchentlich in der Nebenwohnung auf, die wöchentliche Arbeitszeit liege bei 15 Stunden. Er sei selbständig.

5

Das Mietverhältnis für die Wohnung X-Weg beendete der Kläger zum 15.05.2012.

6

Mit Bescheid vom 20.09.2012 setzte der Beklagte für 2011 für sieben Monate Zweitwohnungsteuer in Höhe von 546 € und für 2012 für fünf Monate in Höhe von 390 € fest. Er legte dabei die angegebene Nettokaltmiete zugrunde.

7

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 22.10.2012 Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 27.12.2012 setzte der Beklagte die Zweitwohnungsteuer für 2012 auf 312 € herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Da die Wohnung am 15.05.2012 aufgegeben worden sei, bestehe die Steuerpflicht in 2012 lediglich für vier Monate.

8

Am 23.01.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass die Erhebung der Zweitwohnungsteuer rechtswidrig sei, denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe entschieden, dass die Erhebung von Zweitwohnung-steuer für eine aus beruflichen Gründen genutzte Nebenwohnung eines Verheirateten nicht mit Art. 6 des Grundgesetzes (GG) vereinbar sei. Er nutze die Nebenwohnung in Hamburg ausschließlich aus beruflichen Gründen, so dass auf der Grundlage des § 2 Abs. 5c des Hamburgischen Zweitwohnungsteuergesetzes (HmbZWStG) die Steuer nicht erhoben werden dürfe.

9

Nach seiner Eheschließung sei nach einer Übergangszeit in 2011 der Entschluss gefasst worden, dass der Familienwohnsitz in B unterhalten werden solle, auch weil seine Ehefrau dort eine ... betreibe. Er habe dann Anfang 2011 in Hamburg die bisherige Familienwohnung in der Y-Straße aufgegeben und für seine beruflichen Zwecke eine kleinere Wohnung im X-Weg angemietet. Die Argumentation des Beklagten liege neben der Sache und übergehe die Entscheidung des BVerfG. Hätte er nicht geheiratet, würde er nicht mit Hauptwohnung in B wohnen, so dass es nicht nachvollziehbar sei, dass die Ausnahmeregelung des HmbZWStG nicht zur Anwendung komme. Es komme seiner Auffassung nicht darauf an, ob er sich überwiegend in Hamburg aufgehalten habe, denn der Wortlaut des Gesetzes stelle allein darauf ab, ob dieser Aufenthalt auf überwiegend beruflichen Gründen beruhe.

10

Der Umfang der Aufenthalte in Hamburg könne anhand der Eintragungen in seinem Terminkalender nachvollzogen werden. Anfang 2011 habe er sich noch überwiegend in Hamburg aufgehalten. Im Laufe der Zeit habe er seine Tätigkeit zunehmend nach B und C verlagert und schließlich die Wohnung in Hamburg aufgegeben, weil er sie aus beruflichen Gründen nicht mehr benötigt habe.

11

Der Kläger beantragt,
den Zweitwohnungsteuerbescheid vom 20.09.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27.12.2012 aufzuheben.

12

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

13

Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Erhebung der Zweitwohnungsteuer rechtmäßig sei. Die Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer schließe es aus, auf den mit dem Aufwand verfolgten Zweck abzustellen, so dass grundsätzlich auch eine aus beruflichen Gründen gehaltene Zweitwohnung dieser Steuer zu unterwerfen sei. Das BVerfG habe den Verstoß gegen Art. 6 GG damit begründet, dass es durch die melderechtlichen Vorschriften für Verheiratete ausgeschlossen sei, sich trotz einer vorwiegenden Nutzung der Wohnung am Beschäftigungsort dort mit Hauptwohnsitz anzumelden und damit einer Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer zu entgehen. Wohnungen, die tatsächlich nicht überwiegend genutzt würden, seien nach den melderechtlichen Grundsätzen Nebenwohnung und nicht von der Zweitwohnungsteuer zu befreien. Entscheidend sei deshalb, ob der Kläger ohne eine eheliche Bindung der Zweitwohnungsteuer hätte entgehen können. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der Kläger die Wohnung nach seinen Angaben lediglich durchschnittlich 2 bis 3 Tage in der Woche nutze, zuletzt sogar eher weniger. Daraus folge, dass er sich in jedem Fall mit Nebenwohnung in Hamburg zu melden hatte, weil die vorwiegend genutzte Wohnung die eheliche Wohnung in B gewesen sei. Eine Schlechterstellung des Klägers gegenüber einer ledigen Person sei mithin nicht gegeben.

14

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin am 18.12.2013 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

15

Dem Gericht hat die Zweitwohnungsteuerakte des Beklagten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

16

I.
Das Gericht konnte gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten damit ihr Einverständnis erklärt haben.

17

II.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Zweitwohnungsteuerbescheid für 2011 und 20012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Kläger zu Recht zur Zweitwohnungsteuer herangezogen.

18

1. Gemäß § 1 HmbZWStG unterliegt das Innehaben einer Zweitwohnung in der Freien und Hansestadt Hamburg der Zweitwohnungsteuer. Zweitwohnung ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 HmbZWStG jede Wohnung, die dem Hauptmieter als Nebenwohnung im Sinne des Hamburgischen Meldegesetzes (HmbMG) dient. Eine Wohnung dient als Nebenwohnung im Sinne des Hamburgischen Meldegesetzes, wenn sie von einer dort mit Nebenwohnung gemeldeten Personen bewohnt wird (§ 2 Abs. 4 S. 1 HmbZWStG). Damit knüpft das Hamburgische Zweitwohnungsteuergesetz an die Meldung als solche an, wobei zusätzlich Voraussetzung ist, dass die Person die Wohnung tatsächlich bewohnt. Diese Voraussetzungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BFH-Urteil vom 05.03.1997 II R 41/95, BFHE 182, 249, DStRE 1997, 611; BFH-Beschluss vom 28.02.2003 II B 9/02, BFH/NV 2003, 837).

19

Nach diesen Grundsätzen hatte der Kläger in Hamburg eine Zweitwohnung inne. Er hatte sich in der Zeit vom 25.5.2011 bis zum 15.5.2012 im X- Weg mit Nebenwohnung angemeldet und die Wohnung nach eigenen Angaben auch tatsächlich bewohnt.

20

Von der Erhebung der Zweitwohnungsteuer ist nicht abzusehen, denn der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands des § 2 Abs. 5 Buchstabe c HmbZWStG. Danach ist Zweitwohnungsteuer nicht für Wohnungen zu erheben, die eine verheiratete oder in Lebenspartnerschaft lebende Person, die nicht dauernd getrennt von ihrem Ehe- oder Lebenspartner lebt, aus überwiegend beruflichen Gründen innehat, wenn die gemeinsame Wohnung die Hauptwohnung ist und außerhalb des Gebiets der Freien und Hansestadt Hamburg belegen ist.

21

Der Kläger ist verheiratet und lebt von seiner in der gemeinsamen Wohnung in B lebenden Ehefrau nicht dauernd getrennt. Die Nebenwohnung im X-Weg unterhält er aus beruflichen Gründen, so dass nach dem Wortlaut der Anwendungsbereich der Norm eröffnet sein könnte. Dies folgt insbesondere daraus, dass das Tatbestandsmerkmal "überwiegend" zu dem (beruflichen) Grund der Nutzung in Bezug gesetzt wird und nicht - entsprechend dem Verständnis des Beklagten - zu dem zeitlichen Umfang der Nutzung.

22

2. Die Regelung ist jedoch im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen, dass eine Zweitwohnung im Sinne des Gesetzes nur dann nicht vorliegt, wenn es sich bei der aus beruflichen Gründen genutzten Nebenwohnung um die überwiegend genutzte Wohnung der verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Person handelt. Das Gesetz enthält insoweit eine Regelungslücke, die nach dem Zweck der Regelung und der Intention des Gesetzgebers ergänzungsbedürftig ist.

23

Eine Regelungslücke liegt vor, wenn ein bestimmter Sachbereich zwar gesetzlich geregelt ist, jedoch keine Vorschrift für Fälle enthält, die nach dem Grundgedanken und dem System des Gesetzes hätten mit geregelt werden müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigte Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass eine Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist, reicht nicht aus. Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein so genannter rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist. Die Unvollständigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbstständigen kritischen Würdigung des Gesetzes. Auch bei einem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslücke vorliegen (BFH-Urteile vom 11.02.2010 V R 38/08, BStBl II 2010, 873; vom 21.02.2013 V R 27/11, BStBl II 2013, 529, jeweils m. w. N.).

24

Liegt nach diesen Grundsätzen eine Gesetzeslücke vor, ist diese in einer den Gesetzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise zu schließen. Zur Lückenfüllung kommen insbesondere Analogie, teleologische Extension oder Reduktion in Betracht (BFH-Urteile vom 11.02.2010 V R 38/08, BStBl II 2010, 873; vom 21.02.2013 V R 27/11, BStBl II 2013, 529, jeweils m. w. N.).

25

Nach Maßgabe dieser Grundsätze enthält § 2 Abs. 5c HmbZWStG eine Regelungslücke. Nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sollte mit der 2006 eingeführten Gesetzesänderung die Zweitwohnungsteuer an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.10.2005 (1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03, BVerfGE 114, 316) angepasst werden. Dort hatte das BVerfG mit Blick auf verheiratete Steuerpflichtige ausgeführt, dass zu dem von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten ehelichen Zusammenleben auch die Entscheidung der Eheleute zählt, zusammen zu wohnen und die gemeinsame Wohnung selbst bei einer beruflichen Veränderung des Ehegatten, die mit einem Ortswechsel verbunden ist, zu erhalten, da die Innehabung einer Zweitwohnung die notwendige Konsequenz der Entscheidung zu einer gemeinsamen Ehewohnung an einem anderen Ort ist. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG hat das BVerfG deshalb alleine aus dem Umstand abgeleitet, dass nach § 12 Abs. 2 S. 2 des Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seinem Ehegatten lebt, die vorwiegend benutzte Wohnung der Eheleute ist. Deshalb ist ein Ehegatte, dessen vorwiegend benutzte Wohnung i. S. d. § 12 Abs. 1 S. 1 MRRG bei ausschließlicher Betrachtung seiner Person am Beschäftigungsort ist, gezwungen, sich gleichwohl mit Hauptwohnsitz in der ehelichen Wohnung anzumelden. Eine Regelung, welche unter Anknüpfung an diese melderechtlichen Vorgaben generell die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer für Nebenwohnungen vorsieht, verstößt dementsprechend gegen Art. 6 Abs. 1 GG, weil es für Verheiratete ausgeschlossen ist, die Wohnung am Beschäftigungsort trotz deren vorwiegender Nutzung zum Hauptwohnsitz zu bestimmen und damit der Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer zu entgehen, während Personen, die nicht infolge einer ehelichen Bindung von der Verlegung ihres melderechtlichen Hauptwohnsitzes an ihren Beschäftigungsort abgehalten werden, einer steuerlichen Belastung durch Anmeldung ihres Hauptwohnsitzes am Beschäftigungsort entgehen können (BVerfGE 114, 316; BFH-Urteil vom 13.04.2011 II R 67/08, BStBl II 2012, 389). An diese Problematik knüpft die Gesetzesänderung ausweislich ihrer Begründung an (Drucksache der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - Bü-Drs. - 18/3627). Dort heißt es, dass in Fällen, "in denen zwingend die außerhalb Hamburgs belegene Ehe- bzw. Familienwohnung melderechtlich die Hauptwohnung ist, der Inhaber der Nebenwohnung seiner Berufstätigkeit von der Hauptwohnung aus aber nicht nachgehen kann und deshalb am Ort der Beschäftigung eine in Hamburg belegene Nebenwohnung innehat, überwiegen die beruflichen Gründe für das Innehaben der Zweitwohnung und führen dazu, dass eine Zweitwohnungsteuer nicht mehr erhoben wird." Die Regelung hatte danach den Zweck zu verhindern, dass Ehegatten aus der sie betreffenden melderechtlichen Sonderregelung für den ehelichen Wohnsitz einen Nachteil erleiden. Es sollte nicht generell die aus beruflichen Gründen neben der Hauptwohnung gehaltene Wohnung eines Verheirateten von der Zweitwohnungsteuer entlastet werden.

26

Gemessen an diesem Regelungszweck ist die Regelung unvollständig, denn sie bringt nach dem Wortlaut nicht zum Ausdruck, dass die verheiratete Person sich nur auf Grund der melderechtlichen Bestimmungen des § 12 Abs. 2 S. 2 MRRG nicht mit Hauptwohnsitz in der weiteren Wohnung anmelden kann, obwohl es die überwiegend genutzte Wohnung i. S. d. § 12 Abs. 1 S. 1 MRRG ist.

27

Es handelt sich bei der in dieser Hinsicht unvollständigen Regelung nicht lediglich um einen sogenannten rechtspolitischen Fehler. Denn für den Fall, dass die Zweitwohnung einer verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Person nicht die - aus beruflichen Gründen - vorwiegend genutzte Wohnung (und damit melderechtlich Nebenwohnung) ist, besteht kein hinreichend sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung von verheirateten und ledigen Berufstätigen mit der Konsequenz, dass nur ledige Berufstätige, nicht aber Verheiratete Zweitwohnungsteuer zahlen müssten (vgl. Bay. Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21.02.2013, 4 ZB 12.1040, juris). Darin läge ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, der dem Gesetzgeber bekannt war und den er vermeiden wollte, in dem er lediglich eine Anpassung des HmbZWStG im Hinblick auf die in der Entscheidung des BVerfG vom 11.10.2006 als verfassungswidrig verworfene Besteuerung Verheirateter auf Grund des sie treffenden steuerlichen Nachteils durch die melderechtlichen Sonderregelung für den ehelichen Wohnsitz beseitigen wollte.

28

Darüber hinaus ist der Normgeber auf Grund des Wesens der Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG gehindert, Gründe für den Aufenthalt am Ort des Zweitwohnsitzes zur Begründung der der Steuerpflicht heranzuziehen.

29

Aufwandsteuern sind Steuern auf die Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf, in der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt. Der Aufwand als ein äußerlich erkennbarer Zustand, für den Mittel verwendet werden, ist typischerweise Ausdruck und Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, ohne dass es darauf ankäme, von wem und mit welchen Mitteln dieser finanziert wird und welchen Zwecken er des Näheren dient (BVerfG Beschlüsse vom 11.10.2005 1BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03, BVerfGE 114, 316 m. w. N.; vom 06.12.1983 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325). Das Wesen der Aufwandsteuer schließt es danach aus, für die Steuerpflicht auf eine wertende Berücksichtigung der Absichten und verfolgten Zwecke, die dem Aufwand zugrunde liegen, abzustellen. Maßgeblich ist allein der Vorgang des Konsums als Ausdruck und Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die unterscheidende Berücksichtigung der Gründe für den Aufenthalt zum Zwecke der Abgrenzung des Kreises der Steuerpflichtigen ist damit im Rahmen der Aufwandsteuer ein sachfremdes Kriterium und hat vor Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand (BVerfG-Beschluss vom 06.12.1983 - 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 357; Nichtannahmebeschlüsse vom 17.02.2010 1 BvR 529/09, HFR 2010, 648 sowie 1 BvR 2664/09, BFH/NV 2010, 1070).

30

In Kenntnis dieser Grenzen einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung der Steuerpflicht stellt der Gesetzgeber bei der Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer grundsätzlich nicht auf den persönlichen Anlass, das Motiv oder den Grund für den betriebenen Aufwand ab. Da der Konsumzweck für den Begriff der Aufwandsteuer unerheblich ist, sind auch solche Zweitwohnungen in die Steuerpflicht einbezogen, die aus Gründen des Berufs oder der Ausbildung bewohnt werden (vgl. BFH-Urteil vom 05.03.1997 II R 28/95, BStBl II 1997, 469, 471 zum HmbZWStG a. F.). Die Begründung der Gesetzesänderung gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Hamburgische Gesetzgeber von dieser verfassungsrechtlich gebotenen Ausgestaltung der Zweitwohnungsteuer mit der Einführung der Regelung des § 2 Abs. 5 Buchstabe c HmbZWStG hat Abstand nehmen wollen. Soweit der Wortlaut des § 2 Abs. 5 Buchstabe c HmbZWStG es nahe legt, dass es auf den Zweck des Aufenthaltes ankommen soll, nämlich dass die Wohnung aus "überwiegend beruflichen Gründen" innegehabt wird, so ist diese Formulierung zwar missglückt, weil sie zum einen auf einen persönlichen Anlass, nämlich berufliche Gründe abstellt, und zum anderen diese beruflichen Gründe noch mit dem mit dem Attribut des Überwiegens versieht. Der Senat geht aber gleichwohl - wie bereits ausgeführt - davon aus, dass der Gesetzgeber lediglich die Vorgaben aus der Entscheidung des BVerfG umsetzen und nur für den Fall einen Befreiungstatbestand schaffen wollte, dass der Steuerpflichtige praktisch zwei Hauptwohnsitze hat, den des Familienwohnsitzes und den am Arbeitsort, an dem er sich aufgrund seiner Tätigkeit überwiegend aufhält, und lediglich aus melderechtlichen Gründen gehindert ist, diesen "Arbeitshauptwohnsitz" als Hauptwohnung zu melden und damit der Zweitwohnungsteuer zu entgegen. Im Hinblick darauf ist die Regelung einschränkend verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Zweitwohnung i. S. d. § 2 Abs. 1 und 2 HmbZWStG nur dann nicht vorliegt, wenn es sich bei der (aus beruflichen Gründen genutzten) Nebenwohnung um die überwiegend genutzte Wohnung der verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Person handelt, sie jedoch auf Grund der melderechtlichen Bestimmungen gehindert ist, sich mit Hauptwohnung unter der Anschrift der Zweitwohnung anzumelden.

31

3. Diesen Anforderungen für eine Befreiung wird die von dem Kläger gehaltene Zweitwohnung im X-Weg nicht gerecht. Vielmehr handelt es sich dabei auch nach den melderechtlichen Bestimmungen um einen Nebenwohnung, die unabhängig von dem Anlass der Anmietung der Zweitwohnungsteuer unterliegt. Denn es handelte sich nach den Angaben des Klägers in dem hier relevanten Zeitraum ab Juni 2011 bis April 2012 nicht um die vorwiegend benutzte Wohnung. Er selbst hat die Nutzung der Wohnung in der Zweitwohnungsteuererklärung mit 2 bis 3 Tagen die Woche angeben. Aus den im Klageverfahren vorgelegten Kopien seines Terminkalenders ergibt sich keine darüber hinausgehende Nutzung.

32

Nach den Eintragungen hat der Kläger sich ab dem Juni 2011 fast in allen Monaten mehr in B als in Hamburg aufgehalten. Lediglich im August 2011 war er, wenn der Urlaub außer Betracht gelassen wird, 2 Tage mehr in Hamburg als in B und im September 2011 halten sich die Zeiten des jeweiligen Aufenthalts - auch unter außer Achtlassung des Urlaubs - die Waage. Aber auch in diesen beiden Monaten hätte der Kläger sich nach den melderechtlichen Bestimmungen gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 MRRG (wortgleich § 15 Abs. 2 des Hamburgischen Meldegesetzes) nicht mit Wohnsitz in Hamburg anmelden müssen, wenn er ledig gewesen wäre. Denn bezogen auf den gesamten Monat unter Einbeziehung des Urlaubs hat er sich auch in diesen Monaten nicht vorwiegend in Hamburg aufgehalten. Die Wohnung im X-Weg war daher tatsächlich, auch nach den melderechtlichen Bestimmungen, Nebenwohnung des Klägers, die von der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 5 Buchstabe c HmbZWStG nicht umfasst ist und deshalb der Zweitwohnungsteuer unterliegt. Darauf, dass der Kläger die Wohnung im X-Weg nicht als Nebenwohnung angemietet hätte, wenn er nicht wegen seiner Eheschließung nach B gezogen wäre, kommt es wegen der melderechtlichen Betrachtung des Zweitwohnungsteuergesetzes nicht an.

33

Der Beklagte hat danach auf die von dem Kläger im X-Weg gehaltene Zweitwohnung zu Recht Zweitwohnungsteuer erhoben. Der Höhe nach ist die Berechnung der Steuer nicht streitig.

34

4. Der Kläger hat gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13

Referenzen - Gesetze

Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13 zitiert 9 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 90


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Ger

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 105


(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole. (2) Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung über die Grundsteuer. Er hat die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen diese

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Urteil, 21. Feb. 2013 - V R 27/11

bei uns veröffentlicht am 21.02.2013

Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb eine Ballettschule. Sie unterwarf in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersat

Bundesfinanzhof Urteil, 13. Apr. 2011 - II R 67/08

bei uns veröffentlicht am 13.04.2011

Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist unverheiratet und Mutter einer am 28. Januar 1989 geborenen Tochter, für welche sie bis zu deren Volljä
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Finanzgericht Hamburg Urteil, 06. Feb. 2014 - 2 K 22/13.

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 07. Juli 2014 - 1 L 122/11

bei uns veröffentlicht am 07.07.2014

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. März 2011 – 2 A 1424/10 – wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert wird für das..

Referenzen

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb eine Ballettschule. Sie unterwarf in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersatz. Die Umsatzsteuerbescheide wurden bestandskräftig.

2

Auf Antrag der Klägerin erteilte die Bezirksregierung am 30. September 2004 der Klägerin eine Bescheinigung "gemäß § 4 Nr. 21 a bb des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vom 24. März 1999", wonach die Ballettschule --je nach Studio mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995-- als Privatschule ordnungsgemäß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Balletttänzer oder Musicaldarsteller vorbereite. Auf weiteren Antrag erteilte das Ministerium für Wissenschaft und Kultur am 24. Januar 2008 zudem eine Bescheinigung "nach § 4 Nr. 20 a UStG" (gemeint ist § 4 Nr. 20 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1973, wonach die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezeichneten "öffentlichen Einrichtungen" erfüllen. Die Klägerin beantragte daraufhin am 14. September 2006 und am 18. Februar 2008 die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Anträge der Klägerin, die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992 entsprechend den Bescheinigungen zu ändern und die Umsätze steuerfrei zu belassen, ab.

4

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 25). Die Umsätze seien nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei, weil die Klägerin die Schüler auf den Beruf des Tänzers vorbereite, unabhängig davon, zu welchem Anteil die Schüler tatsächlich später diesen Beruf ergreifen würden. Entsprechendes gelte für die Umsätze mit Theater- und Schulaufführungen, für die die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG erteilt worden sei. Bei den Bescheinigungen handele es sich um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO), die gemäß § 175 AO auch rückwirkend für einen Zeitraum vor dem Ausstellungsdatum erteilt werden könnten. Der Grundsatz von Treu und Glauben führe nicht zu einer zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung, denn die langjährige Untätigkeit der Klägerin bei der Beantragung der außersteuerlichen Grundlagenbescheide allein reiche für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht aus, vielmehr müsse neben dem Zeitablauf ein Umstandsmoment hinzutreten, aus dem das FA schließen könne, dass die Klägerin auf die Steuerbefreiung durch die Beantragung der Bescheinigungen verzichten wolle. Daran fehle es.

5

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts durch fehlerhafte Auslegung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben sowie wegen Nichtbeachtung der Verjährungsvorschriften. Die Geltendmachung der Steuerbefreiung in einem Zeitraum von 12 bis 30 Jahren nach vorangegangener Erklärung steuerpflichtiger Umsätze verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Verwirkung eines Anspruchs als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlichen Tuns setze voraus, dass ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen habe, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden müsse.

6

Zwar reiche nach der Rechtsprechung in der Regel ein bloßes Untätigbleiben in der Regel nicht aus und werde zusätzlich zu dem Zeitmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten gefordert, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf habe vertrauen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) und der Berechtigte tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet habe (Vertrauensfolge). Ausnahmen seien jedoch möglich. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) in Entscheidungen zur Verwirkung der Rechtsbehelfsbefugnis (BFH-Urteil vom 14. Juni 1972 II 149/65, BFHE 106, 134) und zur Klagebefugnis (BFH-Beschluss vom 19. August 1987 IV B 70/86, BFH/NV 1988, 244) allein den Zeitablauf ausreichen lassen und im BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74 (BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121) ausgeführt, die Voraussetzungen der Verwirkung könnten nicht für alle Fälle von vornherein festgelegt werden.

7

Danach habe das FA spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr mit der Geltendmachung der Steuerbefreiung rechnen müssen. Die Vorschrift über die Verjährung der Steuerhinterziehung müsse analog angewendet werden. Zudem habe der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz vom 8. Dezember 2010 --JStG 2010-- (BGBl I 2010, 1768 ff.) eine Verjährungsregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG n.F. mit Wirkung vom 1. Januar 2011 geschaffen, wonach die Festsetzungsfrist für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide der vierjährigen Festsetzungsfrist für Feststellungsbescheide angepasst werde. Die neu geschaffene Verjährungsregelung für § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG n.F. müsse analog für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG für die Jahre 1972 bis 1992 angewendet werden.

8

Für die Veranlagungszeiträume 1972 bis 1976 habe das FG jedenfalls übersehen, dass die Festsetzungsverjährung nach der Reichsabgabenordnung (RAO) bereits eingetreten sei.

9

Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil des FG Niedersachsen vom 16. September 2010  16 K 295/09 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,
die Revision des FA zurückzuweisen.

11

Das FG-Urteil sei zutreffend. Nach dem Anwendungserlass zur AO vom 12. Januar 2004 (BStBl I 2004, 31) zu § 175 Nr. 1.4 stehe der Anpassung des Folgebescheides an den Grundlagenbescheid nicht entgegen, dass sie, die Klägerin, den für eine Steuerbegünstigung erforderlichen, aber nicht fristgebundenen Antrag erst nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides gestellt habe. Ob bei einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG die Rückwirkung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausgeschlossen sei, spiele im Streitfall keine Rolle, weil die Regelung erst für Bescheinigungen gelte, die ab dem 28. Oktober 2004 vorgelegt worden seien (Art. 32 Abs. 5 JStG 2010, BGBl I 2010, 1768).

12

Im Streitfall sei eine Bescheinigung bereits am 30. September 2004 vorgelegt worden. Der BFH habe weiter ausgeführt, dass entgegen den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die Rückwirkung nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße. Die gegenteilige Rechtsansicht des XI. Senats des BFH (Urteil vom 15. September 1994 XI R 101/92, BFHE 176, 146, BStBl II 1995, 912), wonach einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG 1980 keine Rückwirkung vor ihrem Ausstellungsdatum zukomme, sei von der Verwaltung mit einem Nichtanwendungserlass belegt worden (Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. November 1995 IV C 4 -S 7177- 22/95, BStBl I 1995, 827). Eine analoge Anwendung der Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG n.F., wonach die Festsetzungsverjährungsfrist auch für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide entsprechend gelten solle, komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht, da der Gesetzgeber die Geltung dieser Neuregelung erst ab dem 1. Januar 2011 angeordnet habe. Zudem habe der Gesetzgeber bewusst von einer Änderung des § 4 Nr. 21 UStG abgesehen, weil die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens beabsichtigt worden sei. Durch das Rechtsinstitut von Treu und Glauben in Form einer Verwirkung durch Zeitablauf dürfe nicht die gesetzgeberische Grundwertung unterlaufen werden, wonach die in § 4 Nr. 20 UStG enthaltene Begrenzung auf vier Jahre erst ab dem 1. Januar 2011 anzuwenden sei. Zudem dürfe eine in Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) angelegte Steuerbefreiung nicht durch nationales Recht beschränkt werden.

Entscheidungsgründe

13

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

14

Zu Recht geht das FG davon aus, dass die Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG und § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der in den Streitjahren 1972 bis 1992 geltenden Fassung Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 AO) sind, deren Erlass grundsätzlich zu einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen kann. Entgegen der Auffassung des FG ist die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für 1972 bis 1992 jedoch rechtswidrig, weil die Bescheinigungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Streitjahre 1972 bis 1992 erteilt worden sind. Denn auch Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur dann, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betreffende Steuer erlassen worden sind.

15

1. Von der Umsatzsteuer befreit sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre 1972 bis 1992 u.a. die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre sind befreit die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer, wenn die Darbietungen von den unter Buchst. a der Vorschrift bezeichneten Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles oder Chören erbracht werden.

16

2. Das FG geht zu Recht davon aus, dass es sich bei den für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 und Nr. 21 UStG erforderlichen Bescheinigungen der zuständigen Behörden um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 AO handelt, die grundsätzlich Grundlage für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein können (zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 20. August 2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15, Rz 27 f.; ebenso BFH-Urteil vom 19. Oktober 2011 XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798).

17

a) Die Wirkung der Bescheinigung bezieht sich grundsätzlich auf den in ihr bezeichneten Gegenstand und Zeitraum, auch wenn letzterer vor der Bekanntgabe der Bescheinigung liegt (BFH-Urteile vom 18. Februar 2010 V R 28/08, BFHE 228, 474, BStBl II 2010, 876; in BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15; vom 24. September 1998 V R 3/98, BFHE 187, 334, BStBl II 1999, 147).

18

b) Der Klägerin wurde am 24. Januar 2008 bescheinigt, dass die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule der Klägerin ab 1. Januar 1973 die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen, wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG genannten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen und am 30. September 2004, dass die Ballettkurse in den vier Studios jeweils mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995 i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG ordnungsgemäß auf verschiedene Berufe vorbereiteten.

19

3. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für Umsatzsteuer 1972 bis 1976 steht jedoch entgegen, dass die Bescheinigungen erst am 24. Januar 2008 bzw. am 30. September 2004 und damit nach Ablauf der nach der RAO zu bestimmenden Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer diesen Streitjahren erteilt worden sind.

20

Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 1993 X R 113/91, BFH/NV 1994, 221; vom 8. April 1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717; vom 23. Juni 1993 X R 214/87, BFH/NV 1994, 295; vom 22. Februar 1991 III R 35/87, BFHE 164, 198, BStBl II 1991, 717; vom 18. Mai 1990 VI R 17/88, BFHE 160, 425, BStBl II 1990, 770) richtet sich zwar die Korrekturbefugnis von Steuerbescheiden ab dem 1. Januar 1977 grundsätzlich nach der AO (Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung --EGAO 1977--, BGBl I 1976, 3341, 3382); dagegen bestimmt sich die Verjährung u.a. für die Festsetzung von Steuern wie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Art. 97 § 10 EGAO 1977) nach der RAO. Für eine Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gelten keine Besonderheiten (BFH-Urteil in BFHE 164, 198, BStBl II 1991, 717).

21

Für die Umsatzsteuer betrug die Verjährungsfrist nach § 144 RAO fünf Jahre. Sie begann nach § 144 RAO spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung der Steuer folgt und ist für die Streitjahre 1972 bis 1976 offensichtlich bereits seit langem abgelaufen.

22

4. Für die Streitjahre unter Geltung der AO (1977) --1977 bis einschließlich 1992-- ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (bis 31. Dezember 1981: § 175 Satz 1 Nr. 1 AO) ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO sind Grundlagenbescheide die Bescheide, die für die Festsetzung einer Steuer als Feststellungsbescheid, als Steuermessbescheid oder als anderer Verwaltungsakt bindend sind.

23

a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Ob die Festsetzungsverjährung einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entgegensteht, ist unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO zu bestimmen. Nach der in den Streitjahren geltenden Fassung dieser Vorschrift endete die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des für die Steuerfestsetzung bindenden Grundlagenbescheides.

24

b) Entgegen der Auffassung des FG stand der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1992 aufgrund der Bescheinigungen vom 30. September 2004 und vom 24. Januar 2008 nach § 175 Abs. 1 AO entgegen, dass die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer für 1977 bis 1992 bei Erlass der Grundlagenbescheide der ressortfremden Behörde bereits abgelaufen war. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststellungsbescheid --i.S. der §§ 179 ff. AO einem Grundlagenbescheid einer Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 AO)-- oder um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handelt.

25

aa) Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grundsätzlich unselbständiger Teil des Steuerbescheides; eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Steuerfestsetzungsverfahrens (vgl. §§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 2 AO) findet nur statt, wenn und soweit dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C.4.). Insoweit bezwecken die Vorschriften der §§ 179 ff. AO in verfahrens-rechtlich gestufter und abschichtender Weise, die notwendigen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser Grundlage die Folgebescheide erlassen zu können (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C.3.b). Steuerrechtliche Grundlagenbescheide --wie z.B. Feststellungsbescheide-- unterliegen den Regelungen der AO, die im Gegensatz zur RAO für den Erlass von Feststellungsbescheiden eine eigenständige Feststellungsfrist eingeführt hat. So gelten für die gesonderte Feststellung gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung sinngemäß.

26

Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist im Übrigen nur insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Festsetzungsfrist und Feststellungsfrist bei steuerrechtlichen Grundlagenbescheiden auseinanderfallen können, weil auch für die Feststellungsfrist die Ablaufhemmungstatbestände maßgeblich sind.

27

Der AO liegt danach ein Regelungssystem zugrunde, wonach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden sind.

28

bb) Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden ist § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend dahingehend auszulegen, dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung --wie in den Fällen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO-- voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird.

29

(1) Eine Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist ("rechtspolitische Fehler"), reicht nicht aus. Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist. Die Unvollständigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbständigen kritischen Würdigung des Gesetzes. Auch bei einem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslücke vorliegen (BFH-Urteil vom 11. Februar 2010 V R 38/08, BFHE 229, 385, BStBl II 2010, 873, unter II.5.a, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

30

Liegt eine sog. Gesetzeslücke vor, ist diese in einer dem Gesetzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise zu schließen. Zur Lückenfüllung kommen insbesondere Analogie, teleologische Extension oder Reduktion in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 229, 385, BStBl II 2010, 873, unter II.5.a). Dies ist Aufgabe der Fachgerichte (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 1990  1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1990, 1593, unter C.I.1.).

31

(2) Danach enthält § 171 Abs. 10 AO eine Regelungslücke. Denn nach ihrem Grundgedanken und System dienen die §§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dadurch herzustellen, dass Steueransprüche nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden können (vgl. BFH-Urteile vom 31. Januar 1989 VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442, unter II.3.b; vom 26. Februar 2008 VIII R 1/07, BFHE 220, 229, BStBl II 2008, 659, unter II.3.a bb; vom 24. Januar 2008 VII R 3/07, BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462, unter II.2.b; vom 12. Mai 2009 VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602, unter 3.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, vor §§ 169 ff. AO Rz 5).

32

Dieser auch für die Auslegung des § 171 Abs. 10 AO zu beachtende Normzweck wird für den Fall ressortfremder Grundlagenbescheide nicht verwirklicht, wenn diese wie Feststellungsbescheide der Finanzbehörden i.S. von §§ 179 ff. AO auch bei einer Bekanntgabe nach Ablauf der regulären Festsetzungsfristen des § 169 AO zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 AO führen würden, ohne dass für den Erlass derartiger Grundlagenbescheide --wie nach § 181 AO-- zeitliche Grenzen bestehen. Eine für ressortfremde Grundlagenbescheide zeitlich unbegrenzte Änderungsmöglichkeit ist nicht lediglich ein rechtspolitischer Fehler. Die Verselbständigung der Feststellung einzelner für die Besteuerung vorgreiflicher Umstände und Beurteilungen rechtlicher Art (Besteuerungsgrundlagen, vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 2000 VIII R 40/99, BFH/NV 2001, 17) aus verfahrensökonomischen Gründen --z.B. mit Rücksicht auf Sachnähe (z.B. BFH-Beschluss vom 15. September 2011 I R 53/10, BFH/NV 2012, 23 zu § 51a des Einkommensteuergesetzes)-- hat unabhängig davon, ob die abgeschichtete Feststellung den Finanzbehörden oder einer ressortfremden Behörde obliegt, lediglich dienende Funktion gegenüber der Steuerfestsetzung (Begründung zu § 162 EGAO 1974, BTDrucks VI/1982, 157; z.B. BFH-Urteile vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681; vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156).

33

(3) Die im Anwendungsbereich des § 171 Abs. 10 AO bei sog. ressortfremden Grundlagenbescheiden bestehende Regelungslücke ist dadurch zu schließen, dass derartige Grundlagenbescheide ebenso wie die in § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO ausdrücklich geregelten Sachverhalte nur dann eine Ablaufhemmung begründen, wenn die Bekanntgabe dieser Grundlagenbescheide noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, erfolgt. Damit trägt der Senat den vom BVerwG (BVerwG-Urteil vom 11. Oktober 2006  10 C 4/06, NJW 2007, 714) und im Schrifttum (vgl. z.B. Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 93; a.A. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 206) geäußerten Bedenken gegen eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden Rechnung.

34

(4) Der teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO bei der Bekanntgabe ressortfremder Grundlagenbescheide steht die mit Wirkung ab 1. Januar 2011 in Kraft getretene Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG nicht entgegen. Zwar gilt für die Erteilung der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG genannten Bescheinigung § 181 Abs. 1 und 5 AO entsprechend. Die erst nach den Streitjahren in Kraft getretene Neuregelung ist jedoch für die Beurteilung, ob nach der in den Streitjahren bis 1992 bestehenden Rechtslage eine Regelungslücke vorlag und ob der Gesetzgeber eine in den Streitjahren bestehende Regelungslücke für spätere Besteuerungszeiträume geschlossen hat, nicht von Bedeutung.

35

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt diese Auslegung nicht zu einer Beschränkung der unionsrechtlich vorgegebenen Steuerbefreiung. Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 20 (kulturelle Dienstleistungen) und § 4 Nr. 21 UStG (Privatschulen) ist Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG. Unionsrechtliche Ansprüche werden aber nur im Rahmen der jeweils geltenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gewährleistet (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 46/09, juris). Auch der Hinweis der Klägerin auf die sog. "Emmotschen Fristenhemmung" nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 25. Juli 1991 C-208/90, Emmot (Slg. 1991, I-4269, Höchstrichterliche Finanzrecht-sprechung 1993, 137) führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese setzt voraus, dass die entsprechende Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden und die Geltendmachung des Anspruchs unzumutbar erschwert oder versperrt war (BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95, BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399). Im Streitfall ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin von der Beantragung der Grund-lagenbescheide in nicht verjährter Zeit abgehalten worden ist.

36

Der Senat weicht entgegen der Auffassung der Klägerin in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 25. Februar 2013 nicht i.S. des § 11 FGO von den BFH-Urteilen vom 13. Dezember 1985 III R 204/81 (BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245) und vom 9. August 1983 VIII R 55/82 (BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86) ab. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH ist daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich.

37

d) Eine Abweichung liegt nur bei einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage vor (z.B. BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207; BFH-Urteile vom 15. Februar 2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267, unter II.4.; vom 17. September 2002 IX R 68/98, BFHE 199, 493, BStBl II 2003, 2, unter II.1.b) und setzt daher einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt voraus (z.B. BFH-Beschluss vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570; BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990, unter II.3.c (4)). Liegen den Entscheidungen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde, ergeben sich daraus andere rechtliche Wertungen und die Beurteilung anderer Rechtsfragen. Bei Ausführungen, die verallgemeinernd über den entschiedenen Fall hinausgehen, handelt es sich mithin allenfalls um ein obiter dictum, das regelmäßig die Annahme einer Abweichung i.S. des § 11 FGO nicht indiziert (vgl. dazu BFH-Urteile vom 2. September 2008 VIII R 2/07, BFHE 223, 15, BStBl II 2010, 25, unter II.2.e; in BFHE 236, 267, unter II.4.; vom 26. Mai 1993 X R 72/90, BFHE 171, 455, BStBl II 1993, 855; BFH-Beschluss vom 22. Juli 1977 III B 34/74, BFHE 123, 112, BStBl II 1977, 838; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 11, m.w.N.). Eine Anrufung des Großen Senats ist in diesem Falle nicht erforderlich (z.B. BFH-Urteile vom 31. Juli 1990 VII R 60/89, BFHE 162, 1, BStBl II 1990, 1071, und in BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990).

38

e) Weder der III. Senat noch der VIII. Senat des BFH haben über die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage der Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides entschieden.

39

aa) In dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 hat der III. Senat vielmehr entschieden, dass sich eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus den Vorschriften der Festsetzungsverjährung ergibt (in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245, unter II.1.b). Zudem betrifft diese Entscheidung einen bereits vor Erlass des streitigen Steuerbescheides erlassenen Grundlagenbescheid. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber über die Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides zu entscheiden. Das ist ein anderer Sachverhalt. Soweit der III. Senat ausführt, solange der Folgebescheid einen "--gleichgültig zu welchem Zeitpunkt erlassenen--" Grundlagenbescheid nicht berücksichtige, sei die diesem zugedachte Aufgabe noch nicht erfüllt, handelt es sich nur um ein obiter dictum.

40

bb) Auch eine Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86 liegt nicht vor. Das Urteil betrifft die Frage, ob ein Steuerbescheid auch dann noch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, wenn der (innerhalb der Festsetzungsfrist des Folgebescheides erlassene) Grundlagenbescheid bereits bei Erlass eines früheren Steuerbescheides hätte berücksichtigt werden können und damit einen anders gelagerten Sachverhalt und eine andere Rechtsfrage betrifft.

41

f) Aus denselben Gründen liegt auch keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 14. April 1988 IV R 219/85 (BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711) vor, weil dieses Urteil eine Fallgestaltung betrifft, in der die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten war. Soweit der IV. Senat darüber hinaus ausgeführt hat, eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergebe sich lediglich aus den Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) und über die Feststellungsverjährung (§ 181 AO) und im "übrigen ist eine Änderung des Folgebescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nur ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen", war dies nicht entscheidungserheblich.

42

g) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, der Senat setze sich in Widerspruch zu "Regelungen im Anwendungserlass" zu § 175 Abs. 1 Satz 1 AO und den Umsatzsteuer-Richtlinien zu § 4 Nr. 21 UStG bzw. dem nachfolgenden Umsatzsteueranwendungserlass. Denn hierbei handelt es sich um sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, denen keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht binden (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2008 XI B 250/07, BFH/NV 2009, 394; vom 19. Januar 2010 VIII R 40/06, BFHE 228, 216, BStBl II 2011, 254; vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist unverheiratet und Mutter einer am 28. Januar 1989 geborenen Tochter, für welche sie bis zu deren Volljährigkeit alleine sorgeberechtigt war. Bereits vor 2007 bewohnte sie mit ihrer Tochter eine Wohnung in X, die sie als Hauptwohnung anmeldete und in den Streitjahren 2007 und 2008 beibehielt. In X hielt sich die Klägerin überwiegend auf; ihre Tochter besuchte dort ein Gymnasium. Da die Klägerin in Hamburg arbeitete, mietete sie dort eine weitere Wohnung, welche sie ab dem 15. Dezember 2006 als Nebenwohnung anmeldete und am 16. Dezember 2006 bezog.

2

Mit Bescheid vom 8. Juni 2007 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit Blick auf die in Hamburg angemietete Wohnung Zweitwohnungsteuer für 2007 bis 2009 in Höhe von jährlich 300 € gegen die Klägerin fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

3

Die Klage begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass § 2 Abs. 5 Buchst. c des Hamburgischen Zweitwohnungsteuergesetzes (HmbZWStG) auf den Streitfall analog anzuwenden sei. Dies ergebe sich letztlich aus Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 298 veröffentlichten Urteil ab. Zur Begründung führte es aus, § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG erfasse seinem Wortlaut nach nur Verheiratete, welche eine Zweitwohnung aus überwiegend beruflichen Gründen innehätten und deren gemeinsame Wohnung die Hauptwohnung und außerhalb Hamburgs belegen sei. Eine erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung sei schon wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts ausgeschlossen. Es liege auch kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG vor, weil jedenfalls eine Privilegierung im Streitfall spätestens mit der Volljährigkeit des Kindes Ende Januar 2007 nicht mehr geboten und die Festsetzung der Steuer gegen die Klägerin im Übrigen schon ab dem Beginn des Monats Januar von den melderechtlichen Verhältnissen der Tochter unabhängig gewesen sei.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Nichtverheiratete mit Kindern würden durch § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG gegenüber Verheirateten mit Kindern unzulässig benachteiligt. Das FG hätte daher die Norm entweder erweiternd auslegen oder aber den Streitfall dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen müssen.

6

Nachdem die Klägerin dem FA mitgeteilt hatte, dass sie ihre Hamburger Wohnung zum Ende des Jahres 2008 aufgegeben habe, setzte das FA die für 2009 festgesetzte Steuer auf 0 € herab. Die Beteiligten haben insoweit inzwischen den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

7

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie den Zweitwohnungsteuerbescheid des FA vom 8. Juni 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. November 2007 aufzuheben, soweit sie die Zweitwohnungsteuer für 2007 und 2008 betreffen.

8

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Durch Beschluss vom 16. Dezember 2009 (BFHE 228, 480, BStBl II 2010, 522) hat der Bundesfinanzhof (BFH) den Senator für Finanzen der Freien und Hansestadt Hamburg nach § 122 Abs. 2 Sätze 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahrensbeitritt aufgefordert. Der Senator für Finanzen ist dem Verfahren durch Schriftsatz vom 15. März 2010 beigetreten.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht sowohl eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG auf die Klägerin abgelehnt, als auch einen Verstoß dieser Norm gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verneint.

11

1. Nach § 1 HmbZWStG unterliegt das Innehaben einer Zweitwohnung in der Freien und Hansestadt Hamburg der Zweitwohnungsteuer, wobei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HmbZWStG als Zweitwohnung jede Wohnung i.S. des Abs. 3 der Vorschrift aufzufassen ist, die dem Eigentümer oder Hauptmieter als Nebenwohnung im Sinne des Hamburgischen Meldegesetzes (HmbMG) dient. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbZWStG dient eine Wohnung als Nebenwohnung im Sinne des HmbMG, wenn sie von einer dort mit Nebenwohnung gemeldeten Person bewohnt wird. § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 HmbZWStG knüpfen damit --ohne dass sich hieraus verfassungsrechtliche Bedenken ergäben (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1997 II R 41/95, BFHE 182, 249; auch BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2008 II B 16/08, BFH/NV 2009, 53)-- nicht an die melderechtlichen Voraussetzungen einer Nebenwohnung, sondern an die Meldung als solche an, wobei zusätzliche Voraussetzung ist, dass die betroffene Person die Wohnung tatsächlich bewohnt.

12

Diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin in den Jahren 2007 und 2008. Sie hatte seit dem 16. Dezember 2006 in Hamburg eine Zweitwohnung i.S. des § 1 HmbZWStG inne, weil sie ihre Hamburger Wohnung ab dem 15. Dezember 2006 als Nebenwohnung gemeldet und diese ab dem Folgetag tatsächlich bewohnt hat.

13

2. Die Anwendung des § 2 Abs. 1 HmbZWStG ist nicht nach dessen Abs. 5 Buchst. c ausgeschlossen. Die Vorschrift ist --wie der Senat bereits in seinem Beschluss in BFHE 228, 480, BStBl II 2010, 522 ausgeführt hat-- weder unmittelbar noch analog auf den Streitfall anwendbar.

14

a) Nach § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG gelten die Abs. 1 und 2 der Vorschrift nicht für Wohnungen, die eine verheiratete oder in Lebenspartnerschaft lebende Person, die nicht dauernd getrennt von ihrem Ehe- oder Lebenspartner lebt, aus überwiegend beruflichen Gründen innehat, wenn die gemeinsame Wohnung die Hauptwohnung und außerhalb des Gebietes der Freien und Hansestadt Hamburg belegen ist. Da die Klägerin nicht verheiratet ist bzw. in einer Lebenspartnerschaft lebt, ist eine unmittelbare Anwendung des § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG auf sie bereits aus diesem Grund ausgeschlossen.

15

b) Angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts des § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG und mangels einer erkennbaren Gesetzeslücke scheidet auch eine analoge Anwendung der Norm auf die Klägerin aus. Die Vorschrift enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass außer dem dort ausdrücklich genannten Personenkreis weitere Personen dadurch begünstigt werden sollten, dass unter den weiteren in der Vorschrift bestimmten Voraussetzungen von der Erhebung einer Zweitwohnungsteuer abzusehen wäre. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, durch welche die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg lediglich die Vorgaben des BVerfG in dessen Beschluss vom 11. Oktober 2005  1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03 (BVerfGE 114, 316) umsetzen wollte (vgl. Bürgerschafts-Drucksache 18/3627, Begründung zu 2.). Zwar ist die Bürgerschaft unter anderem durch die Aufnahme von Lebenspartnerschaften in das Gesetz weiter gegangen, als sich dies aus dem lediglich verheiratete Personen betreffenden BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 316 ableiten lässt; daraus ergibt sich aber nicht, dass es sich in § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG um eine offene Aufzählung der möglichen Begünstigten handeln würde. Einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Vorschrift steht daher die Gesetzesbindung der Steuerverwaltung und der Rechtsprechung entgegen (Art. 20 Abs. 3 GG und für die Gerichte ergänzend Art. 97 Abs. 1 GG).

16

3. Ein Verstoß des § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) wegen ungleicher Behandlung der Kleinfamilie Mutter/Kind gegenüber Ehegatten bzw. Lebenspartnerschaften scheidet schon deshalb aus, weil das FA Ehegatten bzw. Lebenspartnern ausweislich seiner Dienstanweisung vom 4. August 2006 (G 2100 1/06 - S VII, unter IV. "Gelegentliche beruflich veranlasste Nutzung") und der Einlassungen des Senators für Finanzen der Freien und Hansestadt Hamburg die Befreiung von der Zweitwohnungsteuer nur gewährt, wenn die aus beruflichem Anlass genutzte Nebenwohnung aufgrund der tatsächlichen Lebensumstände der Ehe- oder Lebenspartner von einem der Partner überwiegend genutzt wird. Der Senat hält zwar daran fest, dass diese Einschränkung im Wortlaut des § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG keinen Anhalt findet. Er braucht aber nicht darüber zu entscheiden, ob eine entsprechende teleologische Reduktion der Norm geboten ist, denn er hat keinen Grund daran zu zweifeln, dass das FA Ehegatten bzw. Lebenspartnern die Steuerbefreiung tatsächlich verwehrt, wenn ein Partner die aus beruflichen Gründen in Hamburg unterhaltene Nebenwohnung --so wie auch die Klägerin-- nicht überwiegend nutzt.

17

4. § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG.

18

a) Zunächst scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt einer "melderechtlichen Zwangslage" aus.

19

aa) Das FA trägt hierzu zu Recht vor, dass § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG ausweislich der bereits angeführten Materialien nicht geschaffen wurde, um Wohnungen, die aus beruflichen Gründen neben der Hauptwohnung gehalten werden, generell nicht mit Zweitwohnungsteuer zu belasten, sondern um zu verhindern, dass Ehegatten aus der sie betreffenden melderechtlichen Sonderregelung für den ehelichen Wohnsitz einen steuerlichen Nachteil erleiden (vgl. zur wortlautidentischen Regelung des § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 7 des Berliner Zweitwohnungsteuergesetzes BFH-Beschluss vom 19. August 2009 II B 38/09, BFH/NV 2009, 2014). Vielmehr sollte mit § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 114, 316 umgesetzt werden.

20

bb) Dort hatte das BVerfG mit Blick auf verheiratete Steuerpflichtige ausgeführt, dass zu dem von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten ehelichen Zusammenleben auch die Entscheidung der Eheleute zählt, zusammenzuwohnen und die gemeinsame Wohnung selbst bei einer beruflichen Veränderung eines Ehegatten, die mit einem Ortswechsel verbunden ist, zu erhalten, da die Innehabung einer Zweitwohnung die notwendige Konsequenz der Entscheidung zu einer gemeinsamen Ehewohnung an einem anderen Ort ist. Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG hat das BVerfG deshalb alleine aus dem Umstand abgeleitet, dass nach § 12 Abs. 2 Satz 2 des Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seinem Ehegatten lebt, die vorwiegend benutzte Wohnung der Eheleute ist. Deshalb ist ein Ehegatte, dessen vorwiegend benutzte Wohnung i.S. des § 12 Abs. 1 Satz 1 MRRG bei ausschließlicher Betrachtung seiner Person diejenige am Beschäftigungsort ist, gezwungen, sich gleichwohl mit Hauptwohnsitz in der ehelichen Wohnung anzumelden (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 2014). Eine Regelung, welche unter Anknüpfung an diese melderechtlichen Vorgaben generell die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer für Nebenwohnungen vorsieht, verstößt dementsprechend gegen Art. 6 Abs. 1 GG, weil es für Verheiratete ausgeschlossen ist, die Wohnung am Beschäftigungsort trotz deren vorwiegender Nutzung zum Hauptwohnsitz zu bestimmen und damit der Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer zu entgehen, während Personen, die nicht infolge einer ehelichen Bindung von der Verlegung ihres melderechtlichen Hauptwohnsitzes an ihren Beschäftigungsort abgehalten werden, einer steuerlichen Belastung durch Anmeldung ihres Hauptwohnsitzes am Beschäftigungsort entgehen können (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 316).

21

cc) Eine solche melderechtliche Zwangslage bestand in der Person der Klägerin auch im Hinblick auf die Minderjährigkeit ihrer Tochter nicht. Zwar ist nach § 12 Abs. 2 Satz 3 MRRG bzw. § 16 Abs. 2 Satz 3 des Meldegesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern und § 15 Abs. 2 Satz 3 HmbMG Hauptwohnung eines minderjährigen Einwohners die Wohnung der Personensorgeberechtigten bzw. bei Getrenntleben der Sorgeberechtigten die Wohnung desjenigen Personensorgeberechtigten, die von dem Minderjährigen vorwiegend benutzt wird. Die Klägerin hatte aber bei auf ihre Person beschränkter isolierter Betrachtungsweise ihren Hauptwohnsitz in X inne, weil sie sich dort nach den Feststellungen des FG überwiegend aufhielt. Zu einer zwangsweisen, die Zweitwohnungsteuerpflicht auslösenden Verlagerung des Hauptwohnsitzes aus Hamburg heraus konnte es folglich nicht kommen.

22

b) Auch ansonsten scheidet ein Verstoß des § 2 Abs. 5 Buchst. c HmbZWStG gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG aus.

23

aa) Art. 6 Abs. 1 GG stellt neben der Ehe auch die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und enthält insoweit einen besonderen Gleichheitssatz, der es verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen (Diskriminierungsverbot, vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 12. Mai 1987  2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84, BVerfGE 76, 1; vom 10. November 1998  2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216). Da auch die aus einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Kind bestehende Gemeinschaft Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt (vgl. BVerfG-Urteil vom 30. Juni 1964  1 BvL 16/62 bis 1 BvL 25/62, BVerfGE 18, 97), kann sich die Klägerin auf den Schutz ihrer Familie berufen, in der ihr vor allem das Recht und die Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes erwächst. Das gilt auch, soweit ihre Tochter im Streitzeitraum schon volljährig war (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 1981  2 BvR 646/80, BVerfGE 57, 170). Zwar treten die Verantwortlichkeit und das Sorgerecht der Eltern mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes zurück (BVerfG-Beschluss vom 18. April 1989  2 BvR 1169/84, BVerfGE 80, 81), doch befand sich die Tochter der Klägerin im Streitzeitraum noch in der schulischen Ausbildung, die aus Sicht des Senats noch der familiären Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zugehörig ist. Art. 6 Abs. 1 GG berechtigt insoweit die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17. Februar 2010  1 BvR 2664/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2010, 651). Davon umfasst ist grundsätzlich auch die Bestimmung des Ortes, an dem das familiäre Zusammenleben stattfindet und die Berufstätigkeit ausgeübt bzw. die Schulausbildung absolviert wird.

24

bb) Allerdings müssen die Auswirkungen familiärer Freiheit nach außen, insbesondere auf das Berufsleben, das Schulwesen, die Eigentumsordnung und das öffentliche Gemeinschaftsleben, mit der verfassungsgemäßen Rechtsordnung übereinstimmen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 80, 81). Benachteiligungen, die nur in bestimmten Fällen als unbeabsichtigte Nebenfolge einer im Übrigen verfassungsgemäßen Regelung vorkommen, kann insoweit der Eingriffscharakter fehlen, solange sich die Maßnahmen nicht als wirtschaftlich einschneidend darstellen (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 17. Januar 1957  1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55; vom 20. März 1963  1 BvL 20/61, BVerfGE 15, 328; vom 3. Dezember 1991  1 BvR 1477/90, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 1093).

25

cc) Die Zweitwohnungsteuer greift am Ort der Zweitwohnung nicht in den grundrechtlich geschützten Bereich der Familie ein. Sie belastet zwar den Aufwand für das Innehaben einer nicht vorwiegend benutzten Wohnung eines erwerbsbedingt auswärts tätigen Elternteils, der vorwiegend in einer Erstwohnung bei seinem Kind wohnt; diese Besteuerung des für die Zweitwohnung getätigten Aufwands trifft aber weder typischerweise noch sonst in besonderer Weise Familien, sondern in grundsätzlich gleicher Weise alle Personen, die mehrere Wohnsitze innehaben, gleich aus welchem Grund sie den Zweitwohnsitz wählen (BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 651). Dies unterscheidet den Streitfall auch von dem dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 114, 316 zugrunde liegenden Fall, in dem die von der Familie vorwiegend bewohnte Wohnung in Abweichung von den allgemeinen melderechtlichen Vorschriften durch eine melderechtliche Sondervorschrift zur Hauptwohnung bestimmt wird, obwohl einer der erwerbstätigen Ehegatten vorwiegend eine andere Wohnung benutzt, die dann als Reflex der Sonderregelung als Nebenwohnung behandelt wird.

26

dd) Die Zweitwohnungsteuer entfaltet im Streitfall auch keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung der Familie über die Gestaltung und insbesondere den Ort ihres Zusammenlebens, sondern vermag lediglich mittelbar durch die zusätzliche finanzielle Belastung für das Innehaben eines auswärtigen Wohnsitzes auf die Entscheidung der Familienmitglieder über ihr Wohnverhalten Einfluss zu nehmen. Solange die Höhe der Zweitwohnungsteuer --wie im Streitfall mit acht Prozent der Kaltmiete-- keine so erhebliche Belastung begründet, dass sie unabhängig vom Einzelfall einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung über den vorwiegenden Aufenthalt erwarten lässt, entfaltet sie keine eingriffsgleiche Wirkung in Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 651, m.w.N.).

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole.

(2) Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung über die Grundsteuer. Er hat die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 vorliegen.

(2a) Die Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Sie haben die Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer.

(3) Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.