Bundessozialgericht Urteil, 26. Okt. 2017 - B 2 U 6/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:261017UB2U616R0
bei uns veröffentlicht am26.10.2017

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30. September 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Feststellung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms des linken Armes als weitere Folge eines Arbeitsunfalls und auf Zahlung einer höhere Verletztenrente hat.

2

Die als Geschäftsführerin tätige Klägerin erlitt am 5.5.1995 auf dem Weg zu einer Schulungsmaßnahme mit dem Pkw einen Unfall. Der Durchgangsarzt stellte am Unfalltag eine Stauchung der Halswirbelsäule und eine leichte Prellung des Schädels fest. In der Folgezeit unterzog sich die Klägerin im November 1995, April 1996 und April 1997 Operationen der Halswirbelsäule in Höhe des Wirbelkörpers C 5/6. Infolge insbesondere der im April 1996 durchgeführten Operation entwickelte sich ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrom - CRPS) im Bereich des linken Armes. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab, weil der Bandscheibenvorfall in Höhe C 5/6 und die Arm- und Schulterbeschwerden keine Folgen des Arbeitsunfalls seien (Bescheid vom 10.8.2000 und Widerspruchsbescheid vom 14.11.2000). Unter Abänderung dieser von der Klägerin angefochtenen Bescheide verurteilte das SG die Beklagte, der Klägerin für die Zeit vom 7.11.1995 bis 1.2.1996, vom 23.4.1996 bis 23.7.1996 sowie vom 1.4.1997 bis 1.7.1997 Verletztengeld sowie für die Zeit vom 2.2.1996 bis 22.4.1996, vom 24.7.1996 bis 31.3.1997 Verletztenrente und ab 2.7.1997 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH zu zahlen. Soweit die Klägerin die Feststellung von Funktionsstörungen im Bereich des linken Armes als Unfallfolgen begehrt hatte, wies das SG die Klage ab (Urteil vom 25.2.2003). Zur Begründung führte es ua aus, die Klägerin habe am 5.5.1995 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem es zu einem Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelkörper C 5/6 gekommen sei. Der Bandscheibenvorfall habe zu einer Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule im Sinne einer Teilversteifung, einem posttraumatischen Zervikobrachialsyndrom, nämlich Schmerzen an der Halswirbelsäule, Schmerzausstrahlung, Komplexphänomene am linken Arm, bei abgelaufener Distorsion der Halswirbelsäule und zu einer fixierten Haltungsabweichung der Halswirbelsäule geführt. Die MdE betrage dauerhaft um 20 vH. Nicht durch das Unfallereignis verursacht seien die Funktionsstörungen im Bereich des linken Armes. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung und die Beklagte nach Ablauf der Berufungsfrist Anschlussberufung ein. Der vom LSG beauftragte Sachverständige führte in seinem Gutachten vom 21.3.2004 ua aus, ein primärer Verletzungsbefund, der einen unfallverursachenden isolierten Bandscheibenvorfall im Halswirbelkörper C 5/6 belegen könne, sei nicht wahrscheinlich. Mit der Operation im November 1995 seien keine Unfallfolgen behandelt worden, die postoperativen Komplikationen und die nach den Folgeoperationen aufgetretenen Gesundheitsstörungen ließen sich deshalb nicht auf den Unfall zurückführen. Daraufhin nahm die Klägerin am 9.12.2004 ihre Berufung zurück.

3

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 24.3.2005 den Unfall vom 5.5.1995 als Arbeitsunfall und als dessen Folgen "Operativ versorgter Bandscheibenvorfall zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule i. S. einer Teilversteifung, posttraumatisches Zervikobrachialsyndrom nach HWS-Schleudertrauma II. - III. Grades, fixierte Haltungsabweichung der Halswirbelsäule" an und bewilligte eine unbefristete Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH ab 2.2.1996.

4

Am 13.5.2005 beantragte die Klägerin unter Verweis auf § 44 SGB X die Rücknahme des Urteils des SG Schwerin vom 25.2.2003 sowie Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes, weil das Urteil des SG fälschlicher Weise davon ausgehe, dass zwischen dem CRPS und dem Unfallereignis keine Kausalität bestünde. Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 24.3.2005 ab (Bescheid vom 4.8.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.12.2005). Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.7.2009). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG nach Anhörung eines weiteren Sachverständigen den Gerichtsbescheid des SG sowie den die Rücknahme ablehnenden Bescheid vom 4.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2005 aufgehoben und die Beklagte unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 10.8.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2000 sowie des Bescheides vom 24.3.2005 verpflichtet, der Klägerin unter Anerkennung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms ihres linken Armes als mittelbare Folge ihres Arbeitsunfalls ab 1.1.2001 eine Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH zu gewähren (Urteil vom 30.9.2015). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei an die im Bescheid vom 24.3.2005 festgestellten Unfallfolgen gebunden. Unter Zugrundelegung dieser anerkannten Unfallfolgen hätte auch das CRPS als weitere Unfallfolge anerkannt werden müssen, weil dieser Gesundheitsschaden kausal auf die zur Behandlung der anerkannten Unfallfolgen durchgeführten Operationen im Bereich der Halswirbelsäule zurückzuführen sei, auch wenn nach der wohl zutreffenden Beurteilung des im ersten Gerichtsverfahren vom LSG gehörten Sachverständigen in den bildgebenden Aufnahmen zeitnah zum Unfall keine Begleitverletzungen zu erkennen gewesen seien, die die Anerkennung einer traumatischen Verursachung eines isolierten Bandscheibenvorfalles im Halswirbelkörper C 5/6 als Unfallfolge gerechtfertigt hätten.

5

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 141 Abs 1 Nr 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht den Urteilstenor des rechtskräftigen Urteils des SG vom 25.2.2003 abgeändert habe. Der Bescheid vom 24.3.2005 enthalte keine eigenständigen Regelungen. Aus § 44 SGB X folge kein Anspruch, rechtlich besser gestellt zu werden, als es der materiellen Rechtslage entspreche, wenn eine Unfallfolge - wie hier - zu Unrecht anerkannt worden sei. Dementsprechend habe sie am 12.4.2016 einen sog Abschmelzungsbescheid nach § 48 Abs 3 SGB X erlassen, der gemäß § 96 Abs 1 iVm § 171 SGG in den Rechtsstreit einzubeziehen sei. Anderenfalls müsse das Revisionsverfahren gemäß § 114 Abs 2 SGG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Abschmelzungsbescheid ausgesetzt werden. Auch sei § 103 SGG verletzt, weil das LSG nur Teile des medizinischen Sachverhaltes in die Prüfung einbezogen habe.

6

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30. September 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schwerin vom 23. Juli 2009 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Der nach § 48 Abs 3 SGB X erlassene Bescheid vom 12.4.2016 sei nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochten Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 24.3.2005 teilweise zurückzunehmen, ein komplexes regionales Schmerzsyndrom des linken Armes als mittelbare Unfallfolge anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH ab 1.1.2001 zu gewähren.

10

Im Revisionsverfahren war nur noch über die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG; vgl zur statthaften Klageart BSG vom 26.4.2016 - B 2 U 14/14 R - SozR 4-2700 § 90 Nr 4 RdNr 15 und vom 19.12.2013 - B 2 U 17/12 R - SozR 4-2700 § 73 Nr 1 RdNr 12) zu entscheiden, soweit die Klägerin unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 4.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2005 die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 24.3.2005, die Anerkennung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms des linken Armes als weitere Folge des Arbeitsunfalls und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH ab 1.1.2001 durch die Beklagte begehrte. Ihre Klage, die Beklagte auch zur Aufhebung des Bescheides vom 10.8.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2000 zu verpflichten, hat sie zurückgenommen, sodass das Urteil des LSG insoweit gegenstandslos geworden ist.

11

Ebenfalls nicht zu entscheiden war im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12.4.2016, mit dem die Beklagte die Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH mit einem monatlichen Zahlbetrag von 271,01 Euro festgesetzt und bestimmt hatte, dass die Verletztenrente an künftigen Rentenanpassungen nicht teilnehme. Dieser Bescheid ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Dahinstehen kann, ob er den hier angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 4.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2005 iS des § 96 SGG abänderte oder ersetzte, denn auch dann wäre er nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, sondern würde gemäß § 171 SGG als mit der Klage am SG angefochten gelten.

12

Der Senat konnte abschließend entscheiden, ohne das Verfahren nach § 114 Abs 2 S 1 SGG auszusetzen. Gemäß § 114 Abs 2 S 1 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erfüllt. Insbesondere hing die Entscheidung nicht von der Entscheidung in einem Widerspruchsverfahren oder von einer gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12.4.2016 ab, weil dessen Regelungen keine Auswirkung auf die hier angefochtenen Verwaltungsakte und geltend gemachten Ansprüche haben konnte. Dieser Bescheid, mit dem die Beklagte unter Hinweis auf § 48 Abs 3 SGB X die Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH mit einem monatlichen Zahlbetrag von 271,01 Euro festsetzte und bestimmte, dass die Verletztenrente an künftigen Rentenanpassungen nicht teilnehme, regelte die Rentenhöhe nur für zukünftige Zeiträume nach Erlass des Bescheides vom 12.4.2016. Demgegenüber ist für die Entscheidung des Senats über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide und die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 30.9.2015 abzustellen.

13

Die zulässigen Klagen sind begründet. Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Ist auf Antrag ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vom Beginn des Jahres, in dem der Antrag gestellt wurde, erbracht (§ 44 Abs 4 SGB X). Die Beklagte war nach diesen Vorschriften verpflichtet, den Bescheid vom 24.3.2005 teilweise zurückzunehmen, weil sie bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt, deshalb zu Unrecht nicht als weitere Unfallfolge ein komplexes regionales Schmerzsyndrom des linken Armes anerkannt und der Klägerin statt einer Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH nur eine solche nach einer MdE von 20 vH bewilligt hatte. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung dieser Unfallfolge und Gewährung einer Unfallrente nach einer MdE von 60 vH ab 1.1.2001.

14

§ 44 Abs 1 SGB X ist hier anwendbar, weil der Bescheid der Beklagten vom 24.3.2005 nicht begünstigende Verwaltungsakte iS von § 31 S 1 SGB X enthielt, auch wenn er in Umsetzung des Urteils des SG vom 25.2.2003 erging. Bescheide zur Ausführung eines Urteils enthalten jedenfalls dann Verwaltungsakte, wenn sie eine über den Urteilstenor hinausgehende Entscheidung treffen (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 V 82/02 B - juris RdNr 6). Nicht begünstigend iS des § 44 Abs 1 SGB X kann auch ein leistungsgewährender Verwaltungsakt sein, soweit er keine höheren Leistungen gewährt(vgl BSG vom 22.3.1989 - 7 RAr 122/87 - SozR 1300 § 44 Nr 38). Hier bedurfte es einer weiteren Konkretisierung über den Tenor des Urteils des SG hinaus, weil dieser keine Feststellungen der Unfallfolgen enthielt. Die für die Verurteilung zu einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH aus Sicht des SG maßgeblichen Unfallfolgen konnten lediglich aus den Entscheidungsgründen entnommen werden und nahmen deshalb nicht an der Rechtskraftwirkung des Urteilstenors teil (vgl BSG vom 11.5.1999 - B 11 AL 69/98 R - SozR 3-1500 § 75 Nr 31). Da im Bescheid vom 24.3.2005 das CRPS des linken Arms nicht als Unfallfolge anerkannt und eine Verletztenrente lediglich nach einer MdE von 20 vH, nicht jedoch nach einer höheren MdE bewilligt worden war, enthielt der Bescheid insoweit die Klägerin belastende Regelungen.

15

Die Anwendung des § 44 Abs 1 SGB X ist hier auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Klägerin gegen den Bescheid vom 24.3.2005 aufgrund des in ihm enthaltenen Hinweises, er sei durch Rechtsbehelf nicht mehr anfechtbar, noch fristgemäß hätte Widerspruch einlegen können (vgl § 66 Abs 2 S 1 Halbs 2 Alt 2 SGG). Der Anwendungsbereich des § 44 SGB X ist nach seinem Wortlaut nicht auf unanfechtbare Verwaltungsakte beschränkt(vgl Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 44 SGB X RdNr 35; aA Schütze in von Wulffen/Schütze SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 3). Zwar bedarf es im Regelfall für den Leistungsberechtigten nicht eines Verfahrens nach § 44 SGB X, wenn er das Widerspruchsverfahren noch durchführen kann, weil fristgemäß Widerspruch eingelegt wurde oder noch eingelegt werden kann. Ggf ist ein dann gestellter Antrag des Leistungsberechtigten nach § 44 SGB X als Widerspruch auszulegen(vgl BSG Urteile vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R - SozR 4-7945 § 3 Nr 1 und vom 27.7.2004 - B 7 AL 76/03 R - SozR 4-4300 § 330 Nr 2). Stellt der anwaltlich vertretene Leistungsberechtigte jedoch - wie hier - ausdrücklich einen Antrag nach § 44 SGB X, entscheidet der Versicherungsträger über diesen Antrag und haben auch die Vorinstanzen keinen Anlass gesehen, den Antrag als Widerspruch auszulegen, weil sie - wie hier - von der Unanfechtbarkeit des beanstandeten Bescheides ausgingen und der Versicherte ausdrücklich Leistungen rückwirkend nur in dem nach § 44 Abs 4 SGB X vorgesehenen Rahmen begehrte, ist kein Grund ersichtlich, das mit einem Antrag eingeleitete Verfahren nach § 44 SGB X als nicht statthaft zu behandeln. Insbesondere erfordert der Schutz des Leistungsberechtigten dies in Fällen wie dem vorliegenden nicht.

16

Der Anwendung des § 44 SGB X stand auch nicht entgegen, dass das SG die Klage auf eine höhere Rente mit rechtskräftigem Urteil vom 25.2.2003 abgewiesen hatte. § 44 SGB X ist eine gesetzliche Bestimmung, die eine Durchbrechung der Bindungswirkung von gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen zulässt. Die Vorschrift vermittelt einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG vom 10.12.2013 - B 13 R 91/11 R - SozR 4-2600 § 249b Nr 1 RdNr 18; vom 5.9.2006 - B 2 U 24/05 R - BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12; vom 23.5.2006 - B 13 RJ 14/05 R - BSGE 96, 227 = SozR 4-2600 § 315a Nr 3, RdNr 14).

17

Die Beklagte hat das Recht iS des § 44 SGB X unrichtig angewandt, weil sie eine weitere Unfallfolge, nämlich das komplexe regionale Schmerzsyndrom des linken Armes der Klägerin, nicht anerkannte und ihr nur eine Rente nach einer MdE von 20 vH bewilligte. Abzustellen ist auf die bei Erlass des Bescheides maßgebliche Sach- und Rechtslage, wobei es nicht auf den Stand der Erkenntnisse bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18, RdNr 14).

18

Nach §§ 212, 214 Abs 3 SGB VII richtet sich die Anerkennung von Unfallfolgen und eines darauf beruhenden Anspruchs auf Verletztenrente vorliegend nach den Vorschriften der §§ 547 ff RVO. Nach § 212 SGB VII ist das SGB VII anwendbar auf Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten des SGB VII, dh nach dem 1.1.1997 eingetreten sind. In Ausnahme hierzu bestimmt § 214 Abs 3 SGB VII, dass die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem 1.1.1997 eingetreten sind, wenn die Rentenleistungen nach dem 1.1.1997 erstmals festzusetzen sind. Maßgeblich ist, wann materiell-rechtlich der Anspruch entstanden ist, dh wann dessen Voraussetzungen erfüllt sind und der Versicherte einen Anspruch auf die Feststellung des Leistungsrechts hat (BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 3/10 R - SozR 4-2700 § 214 Nr 1 RdNr 13). Danach sind hier nicht die Vorschriften des SGB VII, sondern die der RVO anzuwenden. Nach der bindenden Feststellung der Beklagten hatte die Klägerin am 5.5.1995 einen Arbeitsunfall erlitten. Aus den den Senat bindenden Feststellungen des LSG ergibt sich, dass das Schmerzsyndrom des linken Armes, dessen Anerkennung die Klägerin begehrt, nach dem zweiten operativen Eingriff im April 1996 auftrat. Ein auf dem CRPS beruhender Rentenanspruch wäre - soweit die hierfür erforderlichen Voraussetzungen vorlägen - bereits vor dem 1.1.1997 entstanden.

19

Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der Vorschriften der RVO Leistungen, insbesondere Verletztenrente. Die Versicherten haben einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge, wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls rechtlich wesentlich verursacht wird (vgl zur ab 1.1.1997 geltenden Rechtslage: BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 19). Danach hatte die Klägerin Anspruch auf die Feststellung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms des linken Armes als Unfallfolge. Dies ergibt sich zwar nicht aus § 555 Abs 1 RVO. Nach dieser Vorschrift gilt als Folge eines Arbeitsunfalls auch ein Unfall, den der Verletzte bei der Durchführung der Heilbehandlung erleidet. Anders als der nunmehr geltende § 11 SGB VII setzt § 555 Abs 1 RVO einen weiteren Unfall, also ein zeitlich begrenztes von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das einen Gesundheitsschaden herbeiführt, voraus, der hier nicht vorlag. Führt allein die Behandlung des Unfalls zu weiteren Gesundheitsstörungen, liegt darin kein Unfall (vgl BSG vom 27.6.1978 - 2 RU 20/78 - BSGE 46, 283 = SozR 2200 § 539 Nr 47). Gesundheitsstörungen, die durch ärztliche Eingriffe zur Behandlung eines Gesundheitserstschadens verursacht werden, können jedoch dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls iS der §§ 548, 549 RVO zuzurechnende festzustellende mittelbare Unfallfolgen sein. Dies setzt voraus, dass der durch den Arbeitsunfall verursachte Gesundheitserstschaden rechtlich wesentlich die Unfallfolge (Gesundheitsschaden) hervorgerufen hat, und deren Behandlung wiederum die weitere (mittelbare) Unfallfolge rechtlich wesentlich verursacht hat (vgl BSG vom 5.8.1993 - 2 RU 34/92 - HV-INFO 1993, 2388; vom 27.6.1978 - 2 RU 20/78 - BSGE 46, 283 = SozR 2200 § 539 Nr 47; BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 41/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr 13). Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen im Hinblick auf das komplexe regionale Schmerzsyndrom des linken Armes der Klägerin vorlagen.

20

Nach den Feststellungen des LSG war das CRPS naturwissenschaftlich-kausal durch die Behandlung des von der Beklagten als Unfallfolge anerkannten operativ versorgten Bandscheibenvorfalls zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper verursacht. Die im April 1996 zur Behandlung dieser Unfallfolge durchgeführte Operation verursachte nach den Feststellungen des LSG das danach aufgetretene CRPS. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 163 SGG gebunden, da sie nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden sind. Zwar rügt die Beklagte die Verletzung des § 103 SGG, weil das LSG nur Teile des medizinischen Sachverhaltes in die Prüfung einbezogen habe. Eine formgerechte Verfahrensgegenrüge liegt damit jedoch nicht vor. Aus welchen Gründen sich ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG ergeben könnte, legt die Beklagte nicht dar. Vielmehr stützt sie ihre Rüge sinngemäß auf die Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Sie zeigt jedoch nicht hinreichend auf, dass das LSG das Gesamtergebnis des Verfahrens unzureichend berücksichtigt haben könnte. Soweit die Beklagte darauf hinweist, aus den medizinischen Gutachten ergebe sich, dass der Bandscheibenvorfall im Segment C 5/6 nicht Unfallfolge und damit auch das CRPS nicht Unfallfolge sein könne, legt sie nicht dar, woraus sich ergeben könnte, dass das LSG die Aussagen der Sachverständigen in ihren Gutachten unberücksichtigt gelassen haben könnte. Zutreffend ist das LSG auch davon ausgegangen, dass die Behandlung der anerkannten Unfallfolge das CRPS rechtlich wesentlich verursacht hat (vgl hierzu BSG vom 5.8.1993 - 2 RU 34/92 - HV-INFO 1993, 2388).

21

Entgegen der Beklagten steht der Anerkennung des Schmerzsyndroms des linken Armes als mittelbare Unfallfolge nicht entgegen, dass die durch die Beklagte als Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsschäden eines operativ versorgten Bandscheibenvorfalls zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule im Sinne einer Teilversteifung, eines posttraumatischen Zervikobrachialsyndroms nach HWS-Schleudertrauma II. bis III. Grades sowie einer fixierten Haltungsabweichung der HWS möglicherweise nicht ursächlich auf das Unfallereignis vom 5.5.1995 zurückzuführen sind. Ob dies zutrifft, kann dahinstehen, denn die Beklagte hat für die Beteiligten bindend im insoweit nicht aufgehobenen oder abgeänderten Bescheid vom 24.3.2005 diese Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anerkannt. Hieran ist sie gebunden (§ 77 SGG). Die Beklagte hat den mit seiner Bekanntgabe wirksam gewordenen Bescheid (vgl § 39 SGB X),den die Klägerin hinsichtlich dieser Feststellung nicht angefochten hat, insoweit nicht aufgehoben. Eine solche Aufhebung erfolgte auch nicht mit dem Bescheid vom 12.4.2016.

22

Die Bindungswirkung des § 77 SGG in Bezug auf die von der Beklagten festgestellten Unfallfolgen ist auch im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X zu berücksichtigen. Sinn und Zweck des § 44 Abs 1 SGB X stehen dem nicht entgegen. Zwar kommt eine Änderung eines Bescheides nur insoweit in Betracht, als sich bei der erneuten Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers fehlerhaft gehandelt hat. Dem Leistungsberechtigten ist die Leistung zu gewähren, die ihm nach materiellem Recht bei von Anfang an zutreffender Rechtsanwendung zugestanden hätte (BSG vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 - SozR 3-1300 § 44 Nr 24). Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die die Beteiligten bindenden Feststellungen des Vorliegens eines Arbeitsunfalles sowie der Unfallfolgen außer Acht zu lassen und insoweit erneut die Rechtmäßigkeit dieser Feststellungen im Verfahren nach § 44 SGB X, das auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen gerichtet ist, zu überprüfen. Das Gesetz sieht zur Beseitigung der Bindungswirkung rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte allein die Rücknahme nach § 45 SGB X sowie - soweit die Rücknahme nicht möglich ist - die Begrenzung der Leistung gemäß § 48 Abs 3 SGB X vor. Vorliegend erscheint dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unbillig, weil sie die Möglichkeit hatte, selbst fristgemäß Berufung einzulegen, um eine Verurteilung zur Rentengewährung aufgrund einer nach ihrer Auffassung nicht vorliegenden Unfallfolge zu verhindern. Stattdessen hatte sie sich entschlossen, das Urteil des SG vom 25.2.2003 gegen sich gelten zu lassen, und hatte im Bescheid vom 24.3.2005 den operativ versorgten Bandscheibenvorfall als Schädigungsfolge anerkannt.

23

Zu Recht hat das LSG auch einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von 60 vH ab 1.1.2001 bejaht. Gemäß § 580 Abs 1 RVO erhält ein Versicherter eine Rente, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus gemindert ist. Als Rente wird nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grad der MdE entspricht, wenn diese um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG bedingten die anerkannten Unfallfolgen sowie das komplexe regionale Schmerzsyndrom des linken Armes seit dem 1.5.1996 eine Gesamt-MdE von 60 vH. Unerheblich ist, ob und welche abweichende Regelung die Beklagte in dem Bescheid vom 12.4.2016 traf, weil diese nur Rechtswirkungen für die Zukunft entfalten konnte. Zutreffend ist das LSG auch davon ausgegangen, dass gemäß § 44 Abs 4 SGB X der Klägerin ein Anspruch auf Rente nach einer MdE von 60 vH ab dem 1.1.2001 zusteht, weil der Antrag nach § 44 SGB X im Jahre 2005 gestellt wurde.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

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Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 96


(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. (2) Eine Abschrift des neuen Ver

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemei

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 77


Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 56


Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 141


(1) Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, 1. die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger,2. im Falle des § 75 Absatz 2a die Personen und im Falle des § 75 Absatz 2b die Versicherungsträger, die einen An

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 114


(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist. (2) Hängt die Entscheidung de

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 212 Grundsatz


Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 214 Geltung auch für frühere Versicherungsfälle


(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 11 Mittelbare Folgen eines Versicherungsfalls


(1) Folgen eines Versicherungsfalls sind auch Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten infolge 1. der Durchführung einer Heilbehandlung, von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder einer Maßnahme nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 171


Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsa

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Bundessozialgericht Urteil, 26. Okt. 2017 - B 2 U 6/16 R zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundessozialgericht Urteil, 26. Okt. 2017 - B 2 U 6/16 R zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 26. Apr. 2016 - B 2 U 14/14 R

bei uns veröffentlicht am 26.04.2016

Tenor Die Revision wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - B 9 V 6/13 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2014

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 04. Juni 2014 - B 14 AS 30/13 R

bei uns veröffentlicht am 04.06.2014

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 17/12 R

bei uns veröffentlicht am 19.12.2013

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 10. Dez. 2013 - B 13 R 91/11 R

bei uns veröffentlicht am 10.12.2013

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 05. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R

bei uns veröffentlicht am 05.07.2011

Tenor Die Revision wird zurückgewiesen, soweit der Kläger die Feststellung des Zustandes nach Innenmeniskushinterhornresektion als Unfallfolge begehrt.

Bundessozialgericht Urteil, 21. Sept. 2010 - B 2 U 3/10 R

bei uns veröffentlicht am 21.09.2010

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger,
2.
im Falle des § 75 Absatz 2a die Personen und im Falle des § 75 Absatz 2b die Versicherungsträger, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, daß die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags der Rechtskraft fähig, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.

(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist.

(2) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

(2a) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ab von der Gültigkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Vorschrift, die nach § 22a Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Antragsverfahrens nach § 55a auszusetzen ist.

(3) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X über die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) als Grundlage für die Berechnung der Verletztenrente des Klägers.

2

Der am 1954 geborene Kläger verunfallte am 20.9.1983 mit seinem Motorrad auf dem Weg zu seiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität M., wodurch er eine komplette Querschnittslähmung ab dem vierten Brustwirbelkörper erlitt. Seit dem 15.7.1981 war er dort als "wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss" im Fachbereich Chemie mit 92 Stunden im Monat zu einem Jahreseinkommen von 21 126,58 DM brutto zuzüglich 1902,83 DM Weihnachtsgeld entsprechend einer halben A-13-Stelle beschäftigt. Zuvor hatte er das Studium der Chemie als Diplom-Chemiker abgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Unfalls war er verheiratet und hatte drei Kinder. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis Ende 1983 befristet, wurde jedoch im Hinblick auf den Unfall bis Juli 1985 verlängert, sodass der Kläger seine Promotion am 13.2.1985 zum Abschluss bringen konnte. Der Kläger hatte ohne den Unfall den Abschluss der Promotion im Februar 1984 geplant.

3

Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 23.8.1984 dem Kläger Verletztenrente ab 1.6.1984 nach einer MdE von 100 vH und legte hierbei einen JAV von 23 029,41 DM (11.6.1984 bis 30.6.1984) bzw 23 331,09 DM (ab 1.7.1984 wegen einer Rentenanpassung) zugrunde.

4

Am 8.12.2004 beantragte der Kläger die Überprüfung des JAV mit der Maßgabe, dieser sei auf der Grundlage einer vollschichtigen Berufstätigkeit als Diplom-Chemiker zu berechnen.

5

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheids vom 23.8.1984 sowie die Neuberechnung der Verletztenrente ab (Bescheid vom 26.2.2008). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.11.2008).

6

Auf die Klage vom 3.12.2008 hat das SG durch Urteil vom 6.10.2011 den Bescheid vom 26.2.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Zurücknahme des Bescheids vom 23.8.1984 die Verletztenrente des Klägers ab 1.1.2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen sowie im Übrigen die Klage abgewiesen. Der seitens der Beklagten zugrunde gelegte JAV sei unbillig iS des § 577 RVO.

7

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil vom 29.4.2014 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Es hat außerdem die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte habe im Bescheid vom 23.8.1984 die Höhe der Verletztenrente des Klägers zutreffend bemessen und sei insbesondere bei Feststellung des JAV zu Recht von den Einkünften des Klägers entsprechend einer halben A-13-Stelle ausgegangen. Die nach § 44 Abs 1 SGB X maßgebliche Frage der zutreffenden JAV-Bemessung sei vom Senat nach den §§ 570 bis 578 RVO zu beurteilen. Die SGB VII-Bestimmungen für "Altfälle" seien nur bei erstmaliger JAV-Feststellung oder bei erstmaliger Neufeststellung des JAV nach § 90 SGB VII vorgesehen, nicht aber bei einer Überprüfung nach § 44 Abs 1 SGB X. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls das Examen als Diplom-Chemiker bereits abgelegt habe, habe er keinen Anspruch auf Neufeststellung des JAV nach § 573 Abs 1 RVO gehabt.

8

Entgegen der erstinstanzlichen Auffassung komme eine Korrektur des JAV über die Billigkeitsregelung des § 577 RVO nicht in Betracht. Bei der Bewertung, ob der JAV unbillig sei, stehe dem Versicherungsträger kein Beurteilungsspielraum zu. Ein Arbeitsentgelt, das einen nicht nur vorübergehend niedrigeren, dem Lebensstandard des Verletzten entsprechenden Verdienst abbilde, sei grundsätzlich nicht als erheblich unbillig angesehen worden. Die Einkommenssituation des Klägers und seiner Familie sei Mitte 1981 geprägt gewesen durch das aus der halben A-13-Stelle erzielte Einkommen als wissenschaftliche Hilfskraft.

9

Mit seiner Revision gegen das am 29.7.2014 zugestellte Urteil des LSG rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 44 SGB X sowie des § 573 Abs 1 RVO als auch des § 577 RVO. Nach dem Wortsinn diene eine Berufsausbildung der Vermittlung bzw dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zur späteren Ausübung des Berufs benötigt werden. Für die berufliche Tätigkeit als Chemiker werde - anders als bei vielen anderen akademischen Ausbildungsgängen - der erfolgreiche Abschluss eines Promotionsverfahrens als Eingangsqualifikation verlangt. Lediglich 5 bis 7 % der Diplom-Chemiker verließen die Hochschule ohne Promotion. Das LSG selbst habe die doppelte Ungleichbehandlung für promovierte Chemiker und für andere Naturwissenschaftler genannt. Schließlich beruhe das Urteil des LSG auch auf einer Verletzung des § 577 RVO. Zu berücksichtigen sei im Rahmen des § 577 RVO, wo der Versicherte den Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit bilden werde. Als vorübergehend sei ein niedrigeres Einkommen auch dann einzustufen, wenn es über einen längeren Zeitraum als ein Jahr gezahlt werde, allerdings nach der Art der Beschäftigung und der bestehenden Befristung zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls bereits sicher feststehe, dass es zB über den Zeitraum des Ausbildungskontextes hinausgehend nicht maßgeblich sein werde. Die Dauerhaftigkeit sei nicht gegeben, weil das Beschäftigungsverhältnis mit der Hochschule lediglich befristet und definitiv eine Verlängerung nach Abschluss des Promotionsverfahrens ausgeschlossen gewesen sei. Die Vergütung des Klägers sei als Teilzeittätigkeit um 50 % unter einer qualifikationsadäquaten Vergütung zurückgeblieben.

10

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. April 2014 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2008 die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 23. August 1984 abzuändern und dem Kläger ab dem 1. Januar 2000 Rente nach einem Jahresarbeitsverdienst entsprechend dem Gehalt eines vollschichtig tätigen promovierten Diplom-Chemikers zu gewähren.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Sie vertritt die Auffassung, dass die Revision bereits unzulässig sei, weil der Revisionskläger die Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht in Frage gestellt habe. Darüber hinaus liege weder eine Verletzung des § 573 RVO noch des § 577 RVO vor.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist zulässig. Der Revisionsbegründung lässt sich sinngemäß entnehmen, dass das Begehren des Klägers auf Überprüfung einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung in einem Zugunstenverfahren gerichtet ist und er damit zwangsläufig eine Verletzung von § 44 SGB X rügt. Auch im Übrigen genügt die Revision den Zulässigkeitsanforderungen gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG(BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 38/02 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 1 RdNr 7; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, § 164 RdNr 49).

14

Die Revision ist jedoch nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26.2.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2008, durch welche es die Beklagte abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 23.8.1984 abzuändern und dem Kläger Rente ab dem 1.1.2000 nach einem JAV entsprechend dem Gehalt eines vollschichtig tätigen promovierten Diplom-Chemikers zu gewähren (vgl BSG vom 23.7.2015 - B 2 U 9/14 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 82 Nr 1 RdNr 11).

15

Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sowie Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 und Abs 4 SGG. Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung der Überprüfungsbescheide, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheids vom 23.8.1984 sowie die Leistungsklage auf Zahlung einer höheren Rente ab (BSG vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 11; BSG vom 19.12.2013 - B 2 U 17/12 R - SozR 4-2700 § 73 Nr 1 RdNr 12; BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 34/11 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 4 RdNr 15; Bieresborn in Roos/Wahrendorf, SGG, § 54 RdNr 232).

16

Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Beklagte ist weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen (§ 44 Abs 1 Satz 1 2. Alt SGB X), was seitens der Revision auch nicht geltend gemacht wird, noch hat sie bei Erlass des Bescheids vom 23.8.1984 entgegen der Auffassung des Klägers das Recht unrichtig angewandt (§ 44 Abs 1 Satz 1 1. Alt SGB X). Sie hat zutreffend die Normen der RVO zugrunde gelegt (dazu unter 1.). Das LSG hat ebenso zutreffend die Berechnung des JAV nach § 571 RVO nicht beanstandet und ist davon ausgegangen, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt des Arbeitsunfallereignisses vom 20.9.1983 nicht mehr in der Berufs- oder Schulausbildung iS von § 573 Abs 1 RVO befand(dazu unter 2.). Schließlich war die Zugrundelegung eines hälftigen Jahreseinkommens nach Bundesbesoldungsgruppe A-13 auch nicht grob unbillig iS von § 577 RVO(dazu unter 3.).

17

1. Zutreffend hat das LSG die Normen der RVO zugrunde gelegt. Nach § 212 SGB VII gelten die §§ 1 bis 211 SGB VII (nur) für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sind, sodass für vor diesem Termin liegende Versicherungsfälle weiterhin die Vorschriften des Dritten Buches der RVO Anwendung finden. Weder erfolgte im vorliegenden Fall im Sinn der abweichenden Regelung des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII die erstmalige Festsetzung vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 UVEG - BGBl I 1996, 1254, 1317), weil bereits der zu überprüfende Bescheid der Beklagten vom 23.8.1984 die erstmalige Festsetzung einer Verletztenrente enthielt. Noch stellt die Überprüfung im Jahr 2008 im Rahmen des § 44 SGB X eine Neufestsetzung "aufgrund des § 90 SGB VII" dar. Dementsprechend findet auf den vorliegenden Fall auch nicht § 90 Abs 2 SGB VII Anwendung. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, begründet § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII mangels materiellrechtlicher Rückwirkung nicht eine Anwendung des § 90 SGB VII in den "Altfällen", bei denen die Sachverhalte neuer, durch die Vorschrift erst geschaffener Voraussetzungen für eine Erhöhung des JAV bereits vor dem 1.1.1997 eingetreten waren, weil dies einen Zirkelschluss bedeuten würde. Deshalb ist, wenn bei einem vor Inkrafttreten des SGB VII eingetretenen Versicherungsfall der JAV eines Versicherten nach Inkrafttreten des SGB VII nach Altersstufen neu festgesetzt wird, hierfür noch die Höchstaltersgrenze des § 573 Abs 2 RVO und nicht die des § 90 Abs 2 SGB VII maßgebend, wenn der Versicherte wie im vorliegenden Fall das 30. Lebensjahr bereits vor Inkrafttreten des SGB VII vollendet hatte (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 28/01 R - SozR 3-2700 § 214 Nr 2 S 7; vgl BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 14/11 R - juris RdNr 22 und BSG vom 19.12.2013 - B 2 U 5/13 R - SozR 4-2700 § 90 Nr 3 RdNr 12; s auch BT-Drucks 13/2204 S 121).

18

2. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass im Verwaltungsakt vom 23.8.1984 die Beklagte den JAV rechtmäßig nach § 571 RVO(dazu unter a) und ebenso rechtmäßig ohne Anwendung des § 573 Abs 1 RVO(dazu unter b) festgesetzt hat.

19

a) Nach § 571 Abs 1 Satz 1 RVO gilt der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen(§§ 14, 15 SGB IV - s dazu BSG vom 23.7.2015 - B 2 U 9/14 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 82 Nr 1 RdNr 14; s bereits BSG vom 27.11.1985 - 2 RU 55/84 - SozR 2200 § 577 Nr 11 = juris RdNr 13) des Verletzten im Jahr vor dem Arbeitsunfall als JAV, welches nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) das Gehalt in Höhe einer halben A-13-Stelle von 21 126,58 DM zuzüglich 1902,83 DM war.

20

b) Zutreffend hat das LSG auch die (Neu-)Berechnung des JAV nach § 573 Abs 1 RVO abgelehnt. Nach dieser Norm wird, wenn sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand und es für den Berechtigten günstiger ist, der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet. Der Bescheid vom 23.8.1984 beruht nicht auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung iS von § 44 SGB X, weil die Beklagte etwa einen fiktiven JAV für die Zeit nach einer zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch betriebenen Ausbildung hätte zugrunde legen müssen. Zwar findet nach Sinn und Zweck des § 573 Abs 1 RVO die Vorschrift auch bei erstmaliger Festsetzung nach dem Zeitpunkt des voraussichtlichen Endes der Ausbildung Anwendung(vgl den Wortlaut der mit Art 1 Nr 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 neu eingefügten Vorläufernorm § 565 RVO sowie BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2, RdNr 18). Jedoch befand sich der Kläger zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls am 20.9.1983 nicht (mehr) in einer Schul- oder Berufsausbildung, wie es § 573 Abs 1 RVO nach seinem Wortlaut voraussetzt. Die Ausbildung des Versicherten war zum Unfallzeitpunkt schon beendet. Er hatte nach den nicht gerügten und daher bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bereits vor dem Versicherungsfall sein Examen als Diplom-Chemiker abgelegt. Eine Neuberechnung der Verletztenrente erfolgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats indes nur, wenn die Maßnahme, während der sich der Versicherungsfall ereignet hat, zu einem - wenn auch nicht zwingend ersten - beruflichen Abschluss führt (BSG vom 7.2.2006 - B 2 U 3/05 R - SozR 4-2700 § 90 Nr 1 RdNr 18; Burchardt in Becker/Krasney/Kruschinsky/Burchardt/Heinz, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, § 90 RdNr 13). Sobald das angestrebte Ausbildungsziel aber erreicht ist, kommt nur eine berufliche Weiterbildung in Betracht, die der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung nicht der Berufsausbildung zugerechnet hat (s bereits BSG vom 30.11.1962 - 2 RU 193/59 - BSGE 18, 136, 140 = SozR Nr 5 zu § 565 RVO aF Aa 7; BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 61/90 - juris RdNr 16; BSG vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - SozR 3-2200 § 573 Nr 2 S 5). Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift insoweit durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) trotz Kenntnis dieser Rechtsprechung nicht geändert (BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 61/90 - juris RdNr 17), ebenso wenig hat er bei der Übernahme in § 90 SGB VII durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) inhaltliche Änderungen vorgenommen.

21

Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls am 20.9.1983 das angestrebte Ausbildungsziel des Diplom-Chemikers bereits erreicht. Ein eigenes Berufsbild des "promovierten" Diplom-Chemikers existiert demgegenüber nicht. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung ein Weiterstudium zum Zwecke der Promotion nicht als berufliche Ausbildung, sondern als berufliche Weiterbildung angesehen (s zu einem Arzt BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 61/90 - juris RdNr 17). Der Unterschied zwischen einem promovierten und einem nicht promovierten Chemiker besteht darin, dass ersterer sich durch die Anfertigung einer Doktorarbeit erweiterte Kenntnisse auf einem Spezialgebiet der Chemie erworben, durch die Ablegung des Doktorexamens seine Befähigung zu wissenschaftlichen Arbeiten besonders unter Beweis gestellt und sich für den Wettbewerb im Wirtschafts- oder Arbeitsleben eine nach herkömmlicher Bewertung günstigere Position geschaffen hat. Diese Vorteile gegenüber dem nicht promovierten Chemiker sind jedoch nicht das Ergebnis einer "Berufsausbildung". Dass jemand aus wirtschaftlichen Gründen zur Promotion mehr oder weniger gezwungen gewesen ist, rechtfertigt unfallrechtlich keine andere Beurteilung (so bereits BSG vom 30.11.1962 - 2 RU 193/59 - BSGE 18, 136, 140 = SozR Nr 5 zu § 565 RVO aF Aa 7 = juris RdNr 20), weshalb es unerheblich ist, dass - wie der Kläger vorträgt - mittlerweile nur 5 bis 7 % der Diplom-Chemiker die Universität ohne Promotion verlassen.

22

Dass der Begriff der Berufsausbildung in § 573 Abs 1 RVO nicht über den Wortsinn hinaus auf andere Formen beruflicher Bildung ausgedehnt werden kann, folgt ua aus dem Ausnahmecharakter der gesetzlichen Regelung, den die Rechtsprechung stets betont hat(BSG vom 26.7.1963 - 2 RU 13/61 - BSGE 19, 252, 254 = SozR Nr 6 zu § 565 RVO aF Aa 9; BSG vom 23.8.1973 - 8/2 RU 151/70 - SozR Nr 7 zu § 565 RVO aF Aa 11; BSG vom 26.3.1986 - 2 RU 32/84 - HV-Info 1986, 860; BSG vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90 - HV-Info 1992, 598). Mit der Möglichkeit, bei Eintritt des Versicherungsfalls während einer Schul- oder Berufsausbildung die Bemessungsgrundlage anzuheben, weicht das Gesetz für einen Sonderfall von dem die Unfallversicherung beherrschenden Grundsatz ab, dass die Verdienstverhältnisse vor dem Arbeitsunfall für alle Zukunft die maßgebende Grundlage der Geldleistungen bleiben und spätere Erwerbsaussichten bei der Feststellung des JAV nicht zu berücksichtigen sind (BSG vom 27.2.1970 - 2 RU 135/66 - BSGE 31, 38, 40 = SozR Nr 1 zu § 573 RVO Aa 2; BSG vom 14.11.1974 - 8 RU 10/73 - BSGE 38, 216, 218 = SozR 2200 § 573 Nr 2 S 6; BSG vom 31.10.1978 - 2 RU 87/76 - BSGE 47, 137, 140 = SozR 2200 § 573 Nr 9 S 26). Einzig Personen, die bereits während der Zeit der Ausbildung für einen späteren Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahr vor dem Unfall regelmäßig noch kein Arbeitsentgelt, sondern allenfalls eine geringe Ausbildungsvergütung erhalten haben, sowie aufgrund des Versicherungsfalls ihre Ausbildung später beenden, sollen zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung erlitten ( s zum stimmigen Konzept des § 90 SGB VII BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2, RdNr 35). Eine solche genau umschriebene Ausnahmeregelung kann nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auf andere, vermeintlich ähnlich liegende Sachverhalte erstreckt werden. Es besteht insoweit auch kein Widerspruch zu Vorschriften der Krankenversicherung und Rentenversicherung, weil der Begriff der Berufsausbildung im Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung eigenständig ist (s bereits BSG vom 27.4.1960 - 2 RU 191/56 - BSGE 12, 109, 116; BSG vom 30.11.1962 - 2 RU 193/59 - BSGE 18, 136 = SozR Nr 5 zu § 565 RVO aF = juris RdNr 20).Schließlich bestehen zwischen Personen, die das Ausbildungsziel noch nicht erreicht haben und solchen, die sich noch in der Ausbildung befinden, Unterschiede von solcher Art und Gewicht, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, sodass dahinstehen kann, ob es sich überhaupt um iS des Art 3 Abs 1 GG vergleichbare Personengruppen handelt (vgl zum Prüfungsmaßstab zu Art 3 Abs 1 GG BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104 = SozR 3-2600 § 307b Nr 6 S 45 f; BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 6/12 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 22 RdNr 24).

23

3. Das LSG hat auch zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung einer höheren Verletztenrente aufgrund der Billigkeitsnorm des § 577 RVO hat. Die Wertung, ob der berechnete JAV "in erheblichem Maße unbillig" ist, ist als unbestimmter Rechtsbegriff durch das Gericht in vollem Umfang selbst vorzunehmen (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 24/10 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 2 RdNr 26; BSG vom 28.1.1993 - 2 RU 15/92 - HV-Info 1993, 972 mwN; BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 61/90 - HV-Info 1992, 428; BSG vom 29.10.1981 - 8/8a RU 68/80 - SozR 2200 § 577 Nr 9 mwN). § 577 RVO soll atypische Fallgestaltungen erfassen und - ausgerichtet ua am Lebensstandard des Versicherten - für diese zu einem billigen Ergebnis führen. Ziel der Regelung ist es, den JAV als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert wird, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet hat. Die Regelungen zur Berechnung des JAV sollen für den Regelfall eine einfache, schnell praktizierbare und nachvollziehbare Berechnung des JAV in der Verwaltungspraxis ermöglichen. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, die sich auf den maßgeblichen Zeitraum auswirken und die eine erhebliche Unbilligkeit der Regelberechnung begründen (unterwertige Beschäftigung; Verdienstausfall innerhalb der Jahresfrist zB durch unbezahlten Urlaub; dazu BSG vom 11.2.1981 - 2 RU 65/79 - BSGE 51, 178, 182 = SozR 2200 § 571 Nr 20 S 42 f), kann zur Vermeidung von Zufallsergebnissen eine Korrektur des JAV angezeigt sein (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 24/10 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 2 RdNr 28).

24

Die Nachfolgeregelung des § 577 RVO - § 87 Satz 2 SGB VII - nennt, ohne abschließend zu sein(s bereits zum früheren Recht BSG vom 26.6.1958 - 2 RU 58/56 - BSGE 7, 269, 273; sowie BT-Drucks 13/2204 S 96), Kriterien für die Beurteilung der Unbilligkeit. Bei der Überprüfung des JAV sind die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen. In Bezug auf die erreichte "Lebensstellung" ist darauf abzustellen, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten geprägt haben (BSG vom 16.12.1970 - 2 RU 239/68 - BSGE 32, 169, 173 = SozR Nr 1 zu § 577 RVO Aa 1; BSG vom 11.2.1981 - 2 RU 65/79 - BSGE 51, 178, 182 = SozR 2200 § 571 Nr 20 S 43; BSG vom 29.10.1981 - 8/8a RU 68/80 - SozR 2200 § 577 Nr 9 S 14 mwN; BSG vom 9.12.1993 - 2 RU 48/92 - BSGE 73, 258, 260 = SozR 3-2200 § 577 Nr 1 S 3; BSG vom 3.12.2002 - B 2 U 23/02 R - SozR 3-2200 § 577 SozR 3-2200 § 577 Nr 2 = HVBG-Info 2003, 428; Schudmann in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 87 RdNr 18). In zeitlicher Hinsicht ist zu prüfen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt hat. Seine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum sind mit dem Ergebnis der gesetzlichen Berechnung zu vergleichen. Durch diesen Vergleich ergibt sich, ob der nach gesetzlichen Vorgaben festgesetzte Betrag des JAV außerhalb jeder Beziehung zu den Einnahmen steht, die für den Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls oder innerhalb der Jahresfrist vor diesem Zeitpunkt die finanzielle Lebensgrundlage gebildet haben (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 15/02 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 1 RdNr 17; so auch BSG vom 28.4.1977 - 2 RU 39/75 - BSGE 44, 12 = SozR 2200 § 571 Nr 10). Die Festsetzung des JAV ist danach nicht in erheblichem Maße unbillig, wenn der ermittelte JAV - wie hier ausgehend von einer halben A-13-Stelle - den Fähigkeiten, der Ausbildung, Lebensstellung und Tätigkeit der Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls entspricht (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 24/10 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 2 RdNr 26; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 87 RdNr 6).

25

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 25 vH anstatt bisher 20 vH hat.

2

Der 1965 geborene Kläger erlitt am 8.9.1993 einen Arbeitsunfall, als ihm bei Ladearbeiten eine Kartonecke gegen das rechte Auge prallte. Dies führte zu einer starken Einschränkung der Sehschärfe auf dem betroffenen Auge, die im Juni 1996 nach den Feststellungen eines Gutachters rechts 0,063 (nach Korrektur 0,16) und links 1,0 betrug. Der Gutachter schätzte die MdE mit 20 vH ein und wies darauf hin, es könne langfristig zur Erblindung des Auges kommen. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 vH (Bescheid vom 13.11.1996, Widerspruchsbescheid vom 20.3.1998, diese idF des vor dem SG Kassel - S 3 U 498/98 - am 9.9.1999 geschlossenen Vergleichs, nach dem sich die Beklagte verpflichtet hatte, die Rente bereits ab 1.1.1996 zu zahlen). Der Kläger bezieht wegen der Unfallfolgen eines weiteren Arbeitsunfalls vom 19.6.2005 eine weitere Rente nach einer MdE um 20 vH (Bescheid vom 27.11.2006).

3

Im Juni 2002 machte er eine Verschlechterung der Unfallfolgen geltend. Die augenärztliche Begutachtung ergab, dass das rechte Auge inzwischen funktionell einem erblindeten Auge gleichzusetzen sei, die MdE betrage 25 vH. Die Beklagte lehnte die Gewährung höherer Verletztenrente aber ab, weil eine wesentliche Änderung iS des § 73 Abs 3 SGB VII nicht vorliege. Der entsprechende Bescheid vom 12.9.2002 wurde bindend.

4

Im Dezember 2007 beantragte der Kläger, den "Anspruch auf Rente … hinsichtlich der Herabsetzung der Sehschärfe des rechten Auges … ab dem 23.8.2002 zu erhöhen". Der Sachverständige Dr. A. habe am 22.8.2002 eine MdE von 25 vH bestätigt. Die Beklagte verstand dies als Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 12.9.2002 und lehnte diesen ab (Bescheid vom 11.1.2008). Die Voraussetzungen für die Rücknahme des früheren Bescheids lägen nicht vor, denn der Verwaltungsakt vom 12.9.2002 sei nicht rechtswidrig gewesen. Zum Zeitpunkt seines Erlasses sei eine wesentliche Änderung in den Unfallfolgen nicht eingetreten, weil die MdE sich nicht um mehr als 5 vH erhöht habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29.2.2008).

5

Auf die zum SG Kassel erhobene Klage hat dieses die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1.1.2003 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 25 vH zu zahlen (Urteil vom 11.6.2010). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der zu überprüfende Bescheid der Beklagten vom 12.9.2002 sei rechtswidrig. Trotz des Wortlautes des § 73 Abs 3 SGB VII sei die Rente rückwirkend nach einer MdE um 25 vH zu zahlen. Es liege eine Gerechtigkeitslücke und eine Verletzung des Gleichheitssatzes vor, wenn der Unfallverletzte, der bei Erstfestsetzung der Verletztenrente erblindet sei, eine Rente von 25 vH bekomme, während derjenige, bei dem zunächst eine MdE um 20 vH festzusetzen war und der später erblinde, trotz identischer Unfallfolge nicht in den Genuss derselben nach einer MdE um 25 vH bemessenen Rente komme.

6

Die Beklagte hat Berufung zum Hessischen LSG eingelegt. Sie vertrat die Auffassung, § 73 Abs 3 SGB VII stehe einer Rente nach einer MdE um 25 vH entgegen. Die Gewährung einer höheren Rente komme auch nicht auf der Grundlage des § 46 SGB X in Betracht, weil sich die Vorschrift auf den Widerruf von Ermessensentscheidungen beschränke, die hier nicht vorgelegen habe. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 8.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, dass mit dem Eintritt der Erblindung keine wesentliche Änderung gegenüber der ursprünglichen Bewilligung eingetreten sei. Nach § 73 Abs 3 SGB VII sei eine Änderung der Unfallfolgen nur dann wesentlich iS des § 48 Abs 1 SGB X, wenn sie mehr als 5 vH betrage. Ausnahmen seien nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht vorgesehen. Dies verletze auch nicht den Gleichheitssatz.

7

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Das SG habe bereits zutreffend ausgeführt, dass eine "offensichtliche" Gerechtigkeitslücke vorliege, weil vor Eintritt der Verschlimmerung eine Rente nach einer MdE von 20 vH bezogen worden und trotz einer Änderung von nur 5 vH ein erblindetes Auge mit einer MdE von 25 vH zu bewerten sei. Dass er eine Rente nach einer MdE um 25 vH nicht erhalte, verletze den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Anspruch bestehe auch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der Beklagten sei ein Beratungsfehler anzulasten, weil sie ihn in dem Verwaltungsverfahren zur erstmaligen Festsetzung einer Rente nicht darauf hingewiesen habe, dass er bei Festsetzung der Rente nach einer MdE um 20 vH bei späterem Eintritt der Erblindung nicht in den Genuss einer Rente nach MdE um 25 vH kommen könne.

8

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. Juni 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Der Gleichheitssatz gebiete eine Anpassung der Rente des Klägers nicht. Die Gruppe der von Anfang an einäugig erblindeten Unfallrentner (MdE 25 vH) sei nicht mit der Gruppe der zunächst nicht vollständig erblindeten Unfallrentner (MdE 20 vH) zu vergleichen. Vielmehr seien die Vergleichsgruppen iS des Art 3 Abs 1 GG so zu bilden, dass die Gruppe der zunächst noch nicht vollständig erblindeten Unfallrentner mit einer Rente nach einer MdE um 20 vH mit der großen Gruppe aller Unfallrentner zu vergleichen sei, deren MdE sich nachträglich um 5 vH ändere. Für diese Gruppe schließe der Rechtssatz des § 73 Abs 3 SGB VII eine Anhebung der Rente aus. Auch hätten MdE-Werte allenfalls die Qualität von Erfahrungswerten, sie stellten daher keinen Rechtssatz auf, der einen Rechtsanspruch auf Rente in bestimmter Höhe begründe. Die MdE sei zum Zeitpunkt der ersten Bewilligung einer Rente auf unbestimmte Zeit festzusetzen (§ 62 Abs 2 SGB VII)und dürfe danach nur eine Anpassung erfahren, wenn die Änderung mehr als 5 vH betrage.

Entscheidungsgründe

11

Die noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG begründete Revision des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

12

Das LSG hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl dazu BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 34/11 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 4, Juris RdNr 15), mit der der Kläger die Beseitigung des Verwaltungsakts vom 11.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.2.2008, der seinen Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 12.9.2002 ablehnt, sowie die Verpflichtung der Beklagten zur (Teil)Aufhebung oder zum Widerruf des Verwaltungsakts vom 12.9.2002 sowie Zahlung einer Rente nach einer MdE um 25 vH begehrt, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts der Beklagten vom 12.9.2002 (1.), dieser war auf seinen Antrag hin weder nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII aufzuheben (2.) noch nach § 46 Abs 1 SGB X zu widerrufen (3.); deshalb ist auch weiterhin eine Rente nach einer MdE um 25 vH nicht zu zahlen. Der Kläger wird dadurch nicht in seinen Grundrechten verletzt (4.). Auch liegen die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vor (5.).

13

1. Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

14

Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Die Ablehnung der Rücknahme des Bescheids vom 12.9.2002 in dem Bescheid vom 11.1.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29.2.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn er hatte bei Erlass des Verwaltungsakts vom 12.9.2002 keinen Anspruch auf Aufhebung oder Widerruf des Verwaltungsakts vom 13.11.1996 und Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 25 vH.

15

2. Die Beklagte war nicht verpflichtet, auf den Antrag des Klägers den Bescheid vom 12.9.2002 zurückzunehmen. Dieser Verwaltungsakt war nicht deshalb rechtswidrig, weil er seinerseits die Aufhebung des früheren Bescheids aus dem Jahre 1996 wegen des Eintritts einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ablehnte (§ 48 Abs 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII). Bei Erlass des Bescheids vom 12.9.2002 war § 73 Abs 3 SGB VII anzuwenden, weil diese Vorschrift auch für Versicherungsfälle gilt, die vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten sind (§ 214 Abs 3 Satz 2 SGB VII).

16

Zwar war im August 2002 eine Änderung gegenüber den im November 1996 bestehenden tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, weil das rechte Auge des Klägers nunmehr funktionell erblindet war. Diese tatsächliche Änderung war aber nicht rechtlich "wesentlich" iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn diese Vorschrift wird durch die spezifisch unfallversicherungsrechtliche Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII modifiziert(vgl Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand VI/2007, K § 73 RdNr 30; Meibom in jurisPK-SGB VII, § 73 RdNr 32 f). Sie bestimmt, dass bei der Feststellung der MdE eine Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X nur dann (rechtlich) wesentlich ist, wenn sie mehr als 5 vH beträgt.

17

Wie das LSG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 163 SGG), war dem Kläger infolge eines Arbeitsunfalls mit Verletzungen des rechten Auges und Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,1 im Jahr 1996 eine Rente nach einer MdE um 20 vH durch Verwaltungsakt bewilligt worden. Damals wurde schon angenommen, es könne langfristig zur Erblindung des rechten Auges kommen. Bei der Untersuchung im August 2002 war die Funktion des rechten Auges so weit herabgesunken, dass der Befund einer funktionellen Erblindung gleichkam. Die MdE aufgrund einer einseitigen Erblindung wird allgemein mit einer MdE in Höhe von 25 vH eingeschätzt (vgl Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 292; Kranig in Hauck/ Noftz, SGB VII, Stand IX/2010, K § 56 RdNr 56; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 03/2009, Anhang 12 J 004a f).

18

Die Änderung der MdE auf nunmehr 25 vH (an Stelle von 20 vH) ist aber gemäß § 73 Abs 3 SGB VII nicht rechtlich wesentlich, weil sie nicht mehr als 5 vH beträgt. Die nach ihrem Wortlaut eindeutige Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII steht einer Teilaufhebung des maßgeblichen Rentenbescheids vom 13.11.1996 und einer Erhöhung der Verletztenrente auf eine MdE um 25 vH entgegen.

19

Dies ist anzunehmen, obwohl den Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung zur Feststellung und Bewertung der MdE von Unfallfolgen auch die Funktion zukommt, die Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Entschädigungspraxis zu gewährleisten (vgl Scholz in juris-PK-SGB VII, § 56 RdNr 52). Vorliegend geht den Erfahrungswerten der Unfallmedizin aber die gesetzliche Regelung vor, dass nach § 73 Abs 3 SGB VII, § 48 Abs 1 SGB X geringfügige Änderungen in der Höhe der MdE weder zu Gunsten noch zu Lasten der Versicherten zu einer Rentenänderung führen sollen.

20

§ 73 Abs 3 SGB VII kann auch nicht im Wege der teleologischen Auslegung in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt werden(statt vieler: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 391 ff; Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983). Die teleologische Reduktion gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (BVerfG, Beschluss vom 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04 - NJW 2005, 352, 353; BVerfG, Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BVerfG, Beschluss vom 14.3.2011 - 1 BvL 13/07 - NZS 2011, 812). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BSG vom 18.8.2011 - B 10 EG 7/10 R - BSGE 109, 42 = SozR 4-7837 § 2 Nr 10). Bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß kann eine zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung der Norm entgegen deren Wortlaut sogar geboten sein.

21

So liegen die Verhältnisse indessen hier nicht. Wie das BVerfG immer wieder betont hat (vgl BVerfG, Beschlüsse vom 26.9.2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 = NJW 2012, 1179), ist eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wurde (BVerfG, Beschlüsse vom 14.6.2007 - 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05 - BVerfGE 118, 212, 243). Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG, Beschluss vom 6.7.2010 - 2 BvR 2661/06 - BVerfGE 126, 286, 306).

22

Eine teleologische Reduktion des § 73 Abs 3 SGB VII würde die soeben aufgezeigten Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten. Im Wege der Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl BVerfG, Beschluss vom 25.1.2011 - 1 BvR 918/10 - NJW 2011, 836).

23

Einer teleologischen Reduktion steht hier zunächst der klar erkennbare Wille des historischen Gesetzgebers des § 73 Abs 3 SGB VII entgegen, Rentenanpassungen in Höhe von bis zu 5 vH in allen Fällen auszuschließen, in denen - wie etwa hier - zunächst eine rentenberechtigende MdE von 20 vH vorliegt und später eine MdE um 25 vH eintritt. Die Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII sollte gerade die frühere Rechtsprechung des BSG zur Frage der wesentlichen Änderung bei MdE-Erhöhungen(vgl BSG Urteile vom 2.3.1971 - 2 RU 300/68 und 2 RU 39/70 - BSGE 32, 245 = SozR Nr 11 zu § 622 RVO)übernehmen (so BT-Drucks 13/2204 S 93; vgl auch Meibom in jurisPK-SGB VII, § 73 RdNr 33 f; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII § 73 Anm 5.1; Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand VI/2007, K § 73 RdNr 22). Der Senat führte in einem der beiden Urteile vom 2.3.1971 (2 RU 300/68), in dem - genau wie im vorliegenden Fall - die Erhöhung der MdE von 20 vH auf 25 vH bei einer nachträglich eingetretenen einäugigen Blindheit streitig war, aus:

        

"Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben zu überprüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Dies ist jedoch im allgemeinen zu verneinen, wenn bei unstreitigen Unfallfolgen die gutachterlichen Beurteilungen der MdE sich lediglich um 5 v. H. unterscheiden, also innerhalb einer bei derartigen Schätzungen zwangsläufig eintretenden Schwankungsbreite liegen. Nicht anders wird es häufig sein, wenn im Rechtsstreit eine weitere Gesundheitsstörung als Unfallfolge angesehen wird, diese sich aber auf die Erwerbsfähigkeit so wenig nachteilig auswirkt, daß die Gutachter unterschiedlicher Meinung sind, ob durch die gesamten Unfallfolgen die Erwerbsfähigkeit in einem Maße eingeschränkt wird, welche um 5 v. H. über dem bisherigen Ergebnis liegt (a. A. Hess. LSG, Breithaupt 1963, 780, 781). Dagegen wird Sprang und Ricke zugestimmt, daß die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen - wenn es sich handelt um die Gewährung der Rente, die Schwerbeschädigteneigenschaft, um einen der Schwerbeschädigteneigenschaft gleichgestellten MdE-Grad - rechtssystematisch nicht zu begründen sind. Sie werden ersichtlich allein deshalb gemacht, um im Einzelfall zu einem vermeintlicher Billigkeit entsprechenden Ergebnis zu gelangen. Folgerichtig sind dann aber auch Änderungen um nur 5 v. H. für die Entziehung einer Rente von 20 v. H. der Vollrente sowie für die Herabsetzung von Rente nach einer MdE um 50 v. H. und um 30 v. H. wegen des Wegfalls der Schwerbeschädigteneigenschaft wesentlich im Sinne von § 622 Abs. 1 RVO (vgl. SozR Nr. 8 zu § 608 RVO aF; LSG Nordrhein-Westfalen, BG 1970, 279). Mangels einer rechtssystematischen Begründung für die bisher zugelassenen Ausnahmen wäre jedoch, wie der erkennende Senat in dem heute gefällten, zur Veröffentlichung bestimmten Urteil in der Sache 2 RU 39/70 näher ausgeführt hat, kein zwingender Grund gegeben, weitere Ausnahmen von dem o. a. Grundsatz zu Gunsten von Verletzten abzulehnen. Dies würde aber bedeuten, daß diese Ausnahmen sich auch zu ihren Ungunsten auswirken könnten. Schließlich würde dies aber dazu führen, daß sich der allgemeine Grundsatz nicht mehr aufrechterhalten ließe und Rentenherabsetzungen bei Änderungen um nur 5 v. H. allgemein als rechtens angesehen werden müßten. Daher erschien es dem Senat geboten, an dem auf eine jahrzehntelange allgemeine Erfahrung gestützten Grundsatz, daß Abweichungen um 5 v. H. in der Bewertung der MdE nicht statthaft sind, ausnahmslos festzuhalten und Unbilligkeiten in Einzelfällen im Hinblick darauf, daß sich dieser Grundsatz weitaus überwiegend zugunsten der Verletzten auswirkt, in Kauf zu nehmen. Diese auch den Bedürfnissen der Rechtssicherheit Rechnung tragende Auslegung verstößt nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen Art. 3 GG."

24

Danach waren zwei Gründe für den erkennenden Senat dafür maßgeblich, dass eine Änderung der Verletztenrente aufgrund einer geringfügigen Änderung der Einschätzung der MdE von nicht mehr als 5 vH unterbleiben soll. An diesen Gründen hat sich bis heute nichts geändert. Erstens ist eine Änderung der Höhe der MdE nach oben und unten nicht geboten, wenn sie innerhalb der bei gutachterlichen Schätzungen zwangsläufig bestehenden Schwankungsbreite liegt. Dies trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die Einschätzung der Erwerbsfähigkeit eines Menschen mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet und insoweit unvermeidlich durch einen Toleranzbereich gekennzeichnet ist. Zweitens hätte die Zulassung von Ausnahmen von diesem Grundsatz zur Folge, dass nicht nur die Erhöhung einer Rente wegen einer Änderung der MdE um 5 vH, sondern bei entsprechender Änderung zu Lasten des Versicherten auch eine Absenkung der Rente stattfinden müsste. Zugleich hat der Senat - wie in dem Zitat (s.o.) deutlich zum Ausdruck kommt - sich bereits 1971 ausgiebig mit der Frage möglicher Ausnahmen befasst und war zu dem Ergebnis gekommen, dass diese rechtssystematisch nicht zu begründen sind.

25

Mithin kann § 73 Abs 3 SGB VII weder nach seinem Wortlaut noch aufgrund historischer Auslegung so verstanden werden, dass er in seinem Geltungsanspruch über das Bezweckte hinausgeht und folglich in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt (teleologisch reduziert) werden müsste. Vielmehr entsprach es der vom Gesetzgeber übernommenen klaren Wertung der Rechtsprechung, dass im Bereich von bis zu 5 vH der Nachweis einer Verschlimmerung der Unfallfolgen mit solchen tatsächlichen Unsicherheiten behaftet sei, dass ausnahmslos kein Anspruch auf Aufhebung einer früheren Rentenbewilligung und Zahlung einer Rente nach einer um bis zu 5 vH höheren MdE erfolgen sollte.

26

3. Auch § 46 Abs 1 SGB X bietet keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf eine höhere Rente.

27

Nach § 46 Abs 1 SGB X kann die Beklagte einen rechtmäßigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Die Vorschrift ist mit dem SGB X am 1.1.1981 in Kraft getreten und galt zum Zeitpunkt der Prüfung der Rentenerhöhung im August 2002.

28

Es kann dahingestellt bleiben, ob § 46 Abs 1 SGB X auf Fälle der vorliegenden Art überhaupt Anwendung finden kann. In der Rechtsprechung des BSG ist die Frage bisher nicht beantwortet, ob die Vorschrift des § 46 Abs 1 SGB X eingreifen kann, wenn - wie hier - eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, diese aber nicht wesentlich iS des § 48 Abs 1 SGB X ist. Teilweise wird schon angenommen, die Regelung lasse nur den Widerruf von Ermessensentscheidungen zu (Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, K § 46 RdNr 3). Eine Ermessensentscheidung, die zu widerrufen sein könnte, lag hier aber gerade nicht vor. Ob § 46 SGB X auch auf Verwaltungsakte mit Dauerwirkung Anwendung finden kann, über die ohne Ermessen zu entscheiden war und in deren tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten war, die aber nicht rechtlich wesentlich ist, ist ebenfalls umstritten(dazu Gmati in jurisPK-SGB X § 46 RdNr 11 mwN; für Anwendung des § 46 SGB X: Ricke in: Kasseler Kommentar § 56 SGB VII RdNr 43, Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 73 RdNr 25; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 46 RdNr 3; Dahm in jurisPR-SozR 23/2010 Anm 3; nur ausnahmsweise anwendbar: Steinwedel in KassKomm, § 46 SGB X RdNr 3; gegen Anwendung des § 46 SGB X: Schütze in Schütze/von Wulffen, SGB X, § 46 RdNr 6).

29

Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn jedenfalls kann der Senat den Bescheid vom 12.9.2002 schon deshalb nicht nach Maßgabe des § 46 Abs 1 SGB X überprüfen, weil die Beklagte in diesem Verwaltungsakt über einen Widerruf des maßgeblichen Bescheids vom 13.11.1996 nicht entschieden hat. Der Bescheid vom 12.9.2002 kann auch nicht dahingehend umgedeutet werden, dass er einen Widerruf des maßgebenden Bescheids abgelehnt habe, denn es handelt sich bei der Entscheidung über den Widerruf nach § 46 Abs 1 SGB X seinerseits um eine Ermessensentscheidung(vgl nur Steinwedel in KassKomm, Stand 08/2012, § 46 RdNr 4). Der Beklagten steht grundsätzlich ein Entschließungsermessen zu, ob sie von der Ermächtigung zum Widerruf des rechtmäßig erlassenen Verwaltungsakts Gebrauch macht oder nicht. Die Umdeutung des Bescheids vom 12.9.2002 in eine Entscheidung über einen Widerruf würde in die Kompetenz der Beklagten, ihr Entschließungsermessen pflichtgemäß betätigen zu können, eingreifen (zum Ausschluss der Umdeutung von gebundenen Entscheidungen in Ermessensentscheidungen vgl § 43 Abs 3 SGB X; hierzu BSG vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3; BSG vom 17.4.1986 - 7 RAr 101/84; vgl auch Leopold in jurisPK-SGB X § 43 RdNr 50 f; Schütze in: von Wulffen/Schütze SGB X § 43 RdNr 12).

30

Vorliegend kommt hinzu, dass mit einer Anwendung der allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelung des § 46 Abs 1 SGB X die spezifisch unfallversicherungsrechtliche Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII (lex specialis) wieder unterlaufen würde. Denn eine Beseitigung der früheren Bewilligung und Erhöhung der Rente nach einer Änderung der MdE von lediglich bis zu 5 vH will § 73 Abs 3 SGB VII gerade ausschließen.

31

Der Bescheid vom 12.9.2002 ist also auch nicht deshalb rechtswidrig gewesen, weil er den Widerruf des maßgeblichen Bescheids vom 13.11.1996 gemäß § 46 SGB X zu Unrecht abgelehnt hätte.

32

4. Dieses maßgeblich durch § 73 Abs 3 SGB VII beeinflusste Ergebnis verletzt den Kläger nicht in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs 1 GG. Der Senat hat keine Zweifel, dass die fragliche Regelung eine im Lichte des Art 3 GG zulässige und sachlich gerechtfertigte Typisierung ist.

33

In Ansehung des allgemeinen Gleichheitssatzes bedürfen Differenzierungen der Rechtfertigung durch angemessene Sachgründe. Die hierbei dem Gesetzgeber gesetzten Grenzen reichen von einer Beschränkung auf das Willkürverbot bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen (vgl BVerfG, Beschluss vom 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 - NVwZ 2011, 1316, RdNr 64 f). So kann sich eine strengere Bindung des Gesetzgebers aus der Anknüpfung an - für den Einzelnen nicht verfügbare - Persönlichkeitsmerkmale oder aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl BVerfG, Beschluss vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 - BVerfGE 88, 87, 96). Andererseits verfügt er im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit grundsätzlich über einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl BVerfG, Beschluss vom 29.10.2002 - 1 BvL 16/95 - BVerfGE 106, 166, 175 f). Innerhalb dieses Gestaltungsspielraums kann er auch Typisierungen vornehmen, wenn die damit verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfG, Beschluss vom 6.7.2010 - 1 BvL 9/06 - BVerfGE 126, 233, 263 f).

34

Mit der Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, geringfügige Abweichungen in der Einschätzung der MdE unbeachtet zu lassen. Dabei geht die Regelung typisierend davon aus, dass die MdE regelmäßig der Beurteilung durch Sachverständige unterliegt und sich für deren Einschätzung "Erfahrungswerte" herausgebildet haben. Aufgrund des Erfahrungswissens, das der Beurteilung zu Grunde liegt, halten sich Abweichungen in der Schätzung der MdE um bis zu 5 vH typischerweise innerhalb des bestehenden gutachterlichen Beurteilungs- und letztlich auch Irrtumsspielraums. Die Regelung berücksichtigt damit, dass die so genannten Erfahrungswerte für die MdE-Schätzung keine exakten oder gar normativen Vorgaben sind. Weiter wird typisierend angenommen, dass in einem gewissen Bereich (von bis zu 5 vH) Schwankungen im Gesundheitszustand eines Betroffenen sowohl aufgrund des Heilungsverlaufs als auch aufgrund persönlicher Gegebenheiten regelmäßig auftreten können. Eine für den jeweiligen Zeitpunkt exakte Bestimmung des Vom-Hundert-Wertes der MdE ist schon deshalb nur unter Schwierigkeiten möglich. Für Änderungen in der Einschätzung der MdE, die 5 vH nicht übersteigen, schließt § 73 Abs 3 SGB VII deshalb sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Versicherten Änderungen in der Höhe der Rente aus. Die Regelung trägt damit auch zur Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit und zur Verstetigung der dem Versicherten zu gewährenden Leistungen bei. Innerhalb des Anwendungsbereichs des § 73 Abs 3 SGB VII findet eine Ungleichbehandlung von Versicherten im Übrigen nicht statt.

35

Diese auf langjähriger Praxis und Rechtsprechung beruhende sachgerechte Typisierung hält sich in dem durch Art 3 Abs 1 GG vorgegebenen Rahmen. Die den Kläger aufgrund der Typisierung treffende "Belastung" ist vergleichsweise gering. Zwar führt sie in seinem Fall dazu, dass eine Erhöhung der Rente unterbleibt, obwohl die MdE ab August 2002 mit 25 vH zu bewerten gewesen wäre. Wegen der relativ kleinteiligen Bewertung der MdE von Sehminderungen, für die dem Kläger eine Rente nach einer MdE in Höhe von bereits 20 vH bewilligt ist, kann er den nach den Erfahrungswerten vorgesehenen MdE-Wert von 25 vH nicht erreichen. Dennoch belastet ihn der mit der Typisierung verbundene Nachteil nicht unverhältnismäßig. Dass die Regelung zutreffend von einer Schwankungsbreite der Schätzung ausgeht, wird zum Beispiel daran deutlich, dass das rechte Auge des Klägers nicht vollständig, sondern (nur) funktionell erblindet ist. Dadurch relativiert sich auch dessen Rüge, eine andere Einschätzung der MdE als mit 25 vH führe zu einer für den Kläger unzumutbaren Härte.

36

5. Schließlich kann der Kläger auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu einer Rentengewährung nach einer MdE von 25 vH gelangen.

37

Ein Herstellungsanspruch setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger seine gegenüber einem Berechtigten obliegende Nebenpflicht aus dem Sozialversicherungsverhältnis verletzt, dem Berechtigten ein unmittelbarer (sozialrechtlicher) Nachteil entsteht und zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil ein Ursachenzusammenhang vorliegt. Der Herstellungsanspruch ist grundsätzlich auf die Vornahme der Amtshandlung gerichtet, die den möglichen und rechtlich zulässigen Zustand erreicht, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (stRspr; BSG vom 18.12.1975 - 12 RJ 88/75 - BSGE 41, 126, 127 = SozR 7610 § 242 Nr 5 S 5, BSG vom 2.2.2006 - B 10 EG 9/05 R - BSGE 96, 44, 48 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2 S 6 jeweils RdNr 19; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 34/07 R - SGb 2010, 47, 49).

38

Sinngemäß trägt der Kläger vor, die Beklagte habe ihn im Jahre 1996 auf die Möglichkeit eines Verzichts (§ 46 SGB I) hinweisen müssen, damit ihm die Möglichkeit einer späteren Rente nach einer MdE in Höhe von 25 vH erhalten geblieben wäre. Es dürfte mehr als fraglich sein, ob eine solche Beratung, wie sie der Kläger einfordert, eine auf der Hand liegende Gestaltungsmöglichkeit darstellt. Keinesfalls liegt eine Kausalität des behaupteten Beratungsverschuldens für einen sozialrechtlichen Nachteil vor. Würde man dem Kläger nachträglich die Möglichkeit einräumen, auf die seit 1.1.1996 gezahlte Verletztenrente gänzlich zu verzichten, so wäre er verpflichtet, die seit 1996 bezogene Rente in voller Höhe zurückzuzahlen. Soweit der Kläger hingegen meinen könnte, dass die Beklagte seine Rente erst nach Eintritt der funktionellen Erblindung rechts hätte festsetzen und zahlen dürfen, verkennt er, dass die Beklagte damit ihrerseits rechtswidrig hätte handeln müssen, um ihm erst von dem Zeitpunkt der vollständigen Erblindung an eine um 5 vH höhere Rente bewilligen zu können.

39

Da sich das Urteil des LSG mithin als zutreffend erweist, ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.

(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist.

(2) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

(2a) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ab von der Gültigkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Vorschrift, die nach § 22a Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Antragsverfahrens nach § 55a auszusetzen ist.

(3) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

2

Der 1941 geborene Kläger war von November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G. beschäftigt. In den Jahren 1966 bis 1968 wurde er nach den Feststellungen des LSG durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedroht und unter Druck gesetzt und als inoffizieller Mitarbeiter geworben. Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Danach war er als Reinigungsmüller bei den M., anschließend als Koch und Küchenleiter zunächst im R.-Heim und nach dortigen Verwerfungen ab 1976 im N. Krankenhaus in G. tätig.

3

Seit 1976 befand sich der Kläger nach seinen Angaben in nervenärztlicher Behandlung. In den Sozialversicherungsausweisen sind seit dieser Zeit Psychosen, Neurosen und paranoide Zustände dokumentiert. Seit 1980 bezog der Kläger eine Invalidenrente, seit 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ab dem 1.1.1991 erkannte das Land Brandenburg - Landesversorgungsamt - bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" fest (Bescheide vom 11.7.1995 und 7.9.1995). Das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg hat nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) später festgestellt, dass der Kläger durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter iS des § 1 Abs 1 Nr 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist. Als berufliche Verfolgungszeit wurde der Zeitraum von 1968 bis 1990 angegeben (Bescheid vom 23.11.1999). Den Antrag des Klägers auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit" nach dem VwRehaG lehnte das beklagte Land hingegen ua nach Einholung eines nervenärztlichen Kausalitätsgutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T. vom 29.5.2000 ab, nachdem dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne (Bescheid vom 22.6.2000). Das Widerspruchsverfahren wurde auf Wunsch des Klägers vorläufig eingestellt (Schreiben vom 25.8.2000). Im Februar 2005 beantragte der Kläger erfolglos die Überprüfung seiner Versorgungsleistungen nach dem VwRehaG (Bescheid vom 1.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005).

4

Das SG hat im anschließenden Klageverfahren auf Antrag des Klägers ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Tr. eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers eine gemischte Angst-Zwangsstörung diagnostiziert, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der - vom Sachverständigen angenommenen - Verfolgungszeit von 1968 bis 1990 hervorgerufen worden sei. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 70 vH. Das SG hat weiter Beweis erhoben ua durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung zur Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege ua eine chronifizierte schwere Zwangsstörung mit Begleitphänomenen vor. Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren auf, nämlich Belastungen in Kindheit und Jugend (ua Vergewaltigung der Mutter im Krieg, Verachtung durch den Vater, Schläge durch den Bruder), die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen (ua mit der Drohung von Verfehlungen am Arbeitsplatz und Unterstellung von Straftaten) und die Vorkommnisse bei seinem späteren Arbeitgeber im R. Heim (ua Vorwurf der Gefährdung einer ordnungsgemäßen Essensversorgung der Heimbewohner). Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig. Eine etwaig genauere und prozentuale Aussage sei nicht möglich. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 vH vor. Das SG hat die Klage hierauf abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei (Urteil vom 13.1.2009).

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge und Versorgungsleistungen, auch wenn ein schädigendes Ereignis iS von § 1 VwRehaG für die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 vorliege. Die im Kern von allen Gutachtern gestellte Diagnose einer chronifizierten schweren Zwangsstörung sei nicht wesentlich ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Das in Bezug auf den richtigen Verfolgungszeitraum allein nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. G.
komme zu dem Ergebnis, dass die Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen auf drei gleichwertigen Ursachen beruhe. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG bedeute dies, dass die streitigen Verfolgungsmaßnahmen innerhalb des Ursachenkomplexes mit ca einem Drittel eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Rechtsprechung des 2. Senats des BSG, nach der auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache rechtlich wesentlich sein könne, komme im Versorgungsrecht nicht zum Tragen (Urteil vom 22.11.2012).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der Kausalitätsnorm der (Theorie der) wesentlichen Bedingung und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Das Berufungsgericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, indem es aus drei nebeneinander bestehenden Einzelursachen geschlossen habe, dass keine dieser Ursachen wesentlich sein könne. Das LSG habe zudem Beweisanträge übergangen und das Fragerecht aus § 116 S 2 SGG verletzt.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 vH zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.) Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung (dazu 2.). Insbesondere ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs von einem zutreffenden rechtlichen Prüfmaßstab der Kausalität ausgegangen (dazu 3.).

10

1. Statthafte Klage ist die zutreffend vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 16 Abs 2 VwRehaG) erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5 SGG; vgl BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 31). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 22.6.2000, 1.7.2005 und 28.9.2005, die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung. Zu Recht ist das LSG deshalb auch nicht von einem auf Rücknahme des Bescheides vom 22.6.2000 gerichteten Überprüfungsbegehren iS des § 44 SGB X ausgegangen, auch wenn der Bescheid vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2005 diese Rechtsgrundlage benennt. Wenn Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt(BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 2 Juris RdNr 17; BVerwGE 115, 302; hierzu Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, K § 44 RdNr 51). So verhält es sich hier. Denn in der Sache war der Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 auf den noch ausstehenden Abschluss des Verfahrens über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.6.2000 gerichtet (vgl § 78 SGG).

11

2. Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 VwRehaG liegen nicht vollständig vor. Nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des BVG oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält (§ 3 Abs 1 S 2 VwRehaG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 3 Abs 5 S 1 RehaG).

12

a) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist eine von mehreren Folgemaßnahmen im Rahmen der SED-Unrechtsbereinigung. Das VwRehaG ist zum 1.7.1994 zusammen mit dem BerRehaG als Art 1 und 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994 (BGBl I 1311) mit dem Ziel eingeführt worden, neben der strafrechtlichen Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), welches bereits Gegenstand des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992 (BGBl I 1814) war, eine Rehabilitierung durch Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken (§ 1 Abs 1 S 1 VwRehaG). Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 Abs 5 S 1 und 2 VwRehaG). Die Aufhebung oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme nach § 1 begründet Ansprüche nach Maßgabe dieses Gesetzes(§ 2 Abs 1 VwRehaG). Die Rehabilitierungsentscheidung ist danach von der Entscheidung über die - hier streitgegenständlichen - Folgeansprüche zu unterscheiden. Die Entscheidung über die Rehabilitierung obliegt der Rehabilitierungsbehörde (§ 12 VwRehaG), diejenige über den Ausgleich fortwirkender Folgen (vgl § 2 Abs 1 VwRehaG) je nach der Art des Primärschadens - wie hier bei Gesundheitsschädigung - der Versorgungsverwaltung (§ 12 Abs 4 VwRehaG), der nach dem Vermögensgesetz zuständigen Behörde bei Eingriffen in Vermögenswerte (§ 7 VwRehaG iVm dem Vermögensgesetz) und verschiedenen Sozialleistungsträgern bei beruflicher Benachteiligung (§ 8 VwRehaG iVm § 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG).

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b) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist nicht wegen konkurrierender Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)kann davon ausgegangen werden, dass anderweitige Versorgungsleistungen, die den Anspruch nach § 3 Abs 1 S 2 VwRehaG ausschließen, nicht bezogen werden.

14

c) Der Kläger ist Betroffener iS von § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG. Er gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Der Kläger war durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren. Diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Die entsprechenden Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde im Bescheid vom 23.11.1999 sind für die nachgeschalteten Fachbehörden bindend (§ 12 Abs 1 S 3 VwRehaG; zur fehlenden Verbindlichkeit von Tatsachenfeststellungen der Behörden der ehemaligen DDR vgl BVerfG Beschluss vom 24.9.2014 - 2 BvR 2782/10). Dies betrifft zum einen die genaue Bezeichnung der hoheitlichen Maßnahme, die den Anknüpfungspunkt für mögliche Folgeansprüche bildet. Und es betrifft zum anderen die Qualifizierung dieser Maßnahme als rechtsstaatswidrig. Jedenfalls bei Eingriffen in das Rechtsgut Gesundheit hat die Rehabilitierungsbehörde sich jedoch im Übrigen auf eine bloße Schlüssigkeitsprüfung zu beschränken. Die gilt insoweit - anders als beim Rechtsgut Beruf - auch für die Bestimmung der Verfolgungszeit (BVerwGE 119, 102 Juris RdNr 10 ff). Nach dem beschriebenen zweistufigen Prüfsystem entfaltet der Rehabilitierungsbescheid deshalb lediglich eine auf die Verfügungssätze beschränkte Tatbestandswirkung (hierzu allgemein Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, vor § 39 RdNr 4 ff). Hiervon hat sich das LSG in der Sache leiten lassen und die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Übrigen einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Nach den bindenden - mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) steht danach fest, dass sich die Dauer der Verfolgungszeit im Hinblick auf das Rechtsgut Gesundheit entgegen den berufsbezogenen Ausführungen im Rehabilitierungsbescheid auf die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 beschränkte.

15

d) Der Kläger leidet auch an einer gesundheitlichen Störung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Tatsacheninstanzen besteht kein Zweifel, dass der Kläger an einer chronifizierten schweren Zwangsstörung leidet, auch wenn das LSG insoweit von einer exakten Klassifizierung nach ICD 10 abgesehen hat (ggf F42; zur Notwendigkeit einer solchen Feststellung im Unfallversicherungsrecht vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Das LSG hat auch keine klare Differenzierung nach Primär- und Folgeschaden getroffen, sondern insoweit einheitlich auf den Beginn der nervenärztlichen Behandlung des Klägers im Jahr 1976 abgestellt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, da es jedenfalls am nötigen Zurechnungszusammenhang fehlt (dazu sogleich unter 3.).

16

3. Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis der Verfolgung und der gesundheitlichen Erstschädigung (haftungsbegründende Kausalität) bzw den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen (haftungsausfüllende Kausalität; § 3 Abs 5 S 1 VwRehaG) nicht herstellen lässt. Das LSG hat die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität über den Bedingungszusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne hinaus zutreffend an der Theorie der wesentlichen Bedingung orientiert und frei von Rechtsfehlern verneint. Wie sonst im sozialen Entschädigungsrecht (vgl zB parallel § 1 Abs 1 StrRehaG, § 4 Abs 1 S 1 HHG, § 1 Abs 1 S 1 OEG) gilt trotz des Verweises auf das BVG nur wegen der Folgen der Schädigung (§ 3 Abs 1 S 1 VwRehaG) gleichwohl die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung (BT-Drucks 12/4994 S 32 zu § 3; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, VwRehaG, §§ 1 bis 18 RdNr 9; allgemein BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9).

17

a) Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat das LSG der versorgungsrechtlich relevanten Teilursache der Verfolgungsmaßnahmen mit etwa einem Drittel rechtsfehlerfrei eine untergeordnete und für den Ursachenzusammenhang unwesentliche Bedeutung beigemessen, in dem es die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung zugrunde gelegt hat wie sie im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA - AN 1912, 930) in ständiger Rechtsprechung seit BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 durch den 9. Senat vertreten wird (zuletzt BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1.1.2009 durch die Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr 1 b der Anl zu § 2 VersMedV; vgl BR-Drucks 767/1/08 S 3, 4).

18

Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl zB BSG SozR Nr 23 zu § 30 BVG Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05 R RdNr 38). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere BSGE 16, 216, 218 = SozR Nr 58 zu § 1 BVG). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 Juris RdNr 32).

19

b) Das LSG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Anschluss an das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. G. unangegriffen und verbindlich festgestellt, dass - ohne abgrenzbare Vorschäden oder Verschlimmerungsanteile - für die Entstehung wie Aufrechterhaltung der Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen drei Ursachen gleichermaßen in Betracht kommen: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968 und die Vorkommnisse im R.-Heim. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben. Die Rüge der unterlassenen Aufklärung (§ 103 SGG) geht fehl. Der beantragten weiteren Beweiserhebung durch Befragung des Sachverständigen Dr. G. zu den Kausalfaktoren aus der Zeit vor der Verfolgung musste das LSG nicht nachkommen, nachdem der Sachverständige die Frage nach dem Ursachenanteil von Kindheit und Jugend bereits eindeutig beantwortet hat. Insbesondere besagen die Ursachen nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der streitbefangenen Erkrankung und steht deshalb die Aussage des Gutachters Dr. T. zur Fixierung von Neurosen an unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit in keinem noch aufzulösenden Widerspruch zur Aussage des Gutachters Dr. G., dass die Zwangsstörung des Klägers mangels entsprechender Symptomatik vor der Verfolgungszeit nicht bestanden habe (Revisionsbegründung S 18). Objektiv sachdienliche Fragen, deren Beantwortung das LSG entgegen § 116 S 2 SGG unterbunden haben könnte, macht die Revision nicht geltend(vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 ff im Anschluss an BVerfG NJW 1998, 2273). Hiervon ausgehend hat das LSG frei von Rechtsfehlern im Wege wertender Betrachtung nach der Formel der "annähernden Gleichwertigkeit" eine untergeordnete Bedeutung des schädigenden Ereignisses für die geltend gemachten Schädigungsfolgen angenommen. Die schädigungsunabhängigen Faktoren einer belasteten Kindheit und Jugend sowie die Arbeitssituation im R.-Heim haben danach auch in rechtlicher Hinsicht den überwiegenden Anteil am Eintritt und der Aufrechterhaltung der jetzt festgestellten Angststörung oder anders formuliert letztlich rechtlich überragende Bedeutung. Ein von der Revision behaupteter logisch ungültiger Schluss liegt nicht vor (vgl im Übrigen AHP Nr 70, wonach Erkrankungen mit neurotischen Anteilen - wie hier sachverständigerseits angenommen und vom LSG unangegriffen festgestellt - nur dann mit schädigenden Ereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit und in erheblichem Umfang wirksam waren; zur fortdauernden Gültigkeit der AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, auch wenn die Kausalitätsbeurteilungen zu einzelnen Krankheitsbildern in der VersMedV nicht mehr enthalten sind, BR-Drucks 767/1/08 S 4; Rundschreiben des BMAS vom 15.12.2008 - IVc 3-48021 - 6).

20

c) Die Revision verweist allerdings mit Recht darauf, dass der im Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache "wesentlich" nicht gleichsetzt mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann danach für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Diese Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Rechtsprechung des RVA (AN 1912, 930) und den frühen Entscheidungen des BSG in BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 nimmt, schließt die Wesentlichkeit einer von drei ungefähr gleichwertigen Teilursachen nicht bereits deshalb aus, weil die allein maßgebliche Teilursache nur zu einem Drittel Berücksichtigung finden kann (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO im Anschluss an BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). In die Bewertung einfließen muss vielmehr auch, ob den verbleibenden sozialrechtlich nicht maßgeblichen Teilursachen überragende Bedeutung zukommt. Erst wenn angenommen werden kann, dass diesen eine überragende Bedeutung beizumessen ist, folgt daraus, dass die nicht annähernd gleichwertige sozialrechtlich relevante Teilursache unwesentlich ist. Es werden insoweit wohl etwas niedrigere Anforderungen an die Stärke der Mitwirkung angelegt (vgl Krasney in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, Bd 1, Stand Oktober 2013, § 8 RdNr 314; vgl auch Knickrehm, SGb 2010, 381, 384). Der erkennende Senat lässt offen, ob diese etwas andere Ausrichtung im Ansatz bei der nötigen Abwägung im Einzelfall die von der Revision gewünschten Ergebnisse ergäbe. Selbst wenn die behaupteten Unterschiede bestünden, sähe sich der Senat weder veranlasst, mit Blick auf eine etwaig besondere Ausrichtung der Theorie der wesentlichen Bedingung im Unfallversicherungsrecht seine langjährige Rechtsprechung zur "annähernden Gleichwertigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht aufzugeben (dazu d) noch bestünde Anlass zu einer Anfrage bei dem mit Unfallversicherungsrecht befassten 2. Senat des BSG (dazu e).

21

d) Der 9. Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der wesentlichen Bedingung unter Beibehaltung des Merkmals der "annähernden Gleichwertigkeit" fest. Die Rechtsprechung des 2. Senats mag Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung tragen, die im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung sind. In Betracht kommt insoweit insbesondere der Gesichtspunkt, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung durch die Ansprüche der Unfallversicherung stattfindet (vgl §§ 104 f SGB VII; ferner die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO; vgl auch schon § 95 des UVG vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; grundlegend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 51 ff). Diese Regelung gehört zum Kernbestand der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16)und legt damit auch wesentliche Umfangmerkmale des Schadensausgleichs fest (BSGE 73, 1 = SozR 3-2200 § 571 Nr 2 Juris RdNr 17). Strukturen dieser Art kennzeichnen das soziale Entschädigungsrecht nicht. Im sozialen Entschädigungsrecht, wo in der Regel die Folgen einer einmaligen schädigenden Einwirkung zu beurteilen sind, hat sich die Bestimmung der Wesentlichkeit nach der "annähernden Gleichwertigkeit" bewährt. Dies gilt unabhängig davon, dass in Einzelfällen auch im sozialen Entschädigungsrecht auf Wertungen etwa der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgegriffen wird (vgl im Bereich des SVG bei der Bestimmung unfallunabhängiger Krankheiten BSG Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94 - HVBG-INFO 1995, 970; hierzu Keller, SGb 2007, 248, 249).

22

e) Eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 2. Senat bzw Vorlage an den Großen Senat kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die unterschiedliche Beantwortung derselben Rechtsfrage handelt, auf der die frühere Entscheidung eines anderen Senats beruht, wenn also eine Identität der Rechtsfrage in der zu entscheidenden Sache und der früheren Entscheidung des anderen Senats besteht (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Insoweit entfiele die Vorlage auch nicht für den Fall der vorangehenden Missachtung der Vorlagepflicht durch einen anderen Senat (Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN). Die genannte Entscheidung des 2. Senats (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15)ist auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 SGB VII) ergangen, während hier die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG Gegenstand der Entscheidung ist. Soweit der erkennende Senat in der Entscheidung vom 11.10.1994 (BSGE 75, 180, 182 mwN = SozR 3-3200 § 81 Nr 12) ausgeführt hat, die Grundentscheidungen des sozialen Unfallversicherungsrechts seien auch im Entschädigungsrecht zu beachten, würde damit die Rechtsfrage gleichwohl nicht zu einer solchen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern beträfe weiterhin die Auslegung von Normen des sozialen Entschädigungsrechts, für die lediglich bestimmte Grundentscheidungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Der Senat nimmt die Abgrenzung nach Wertungen vor, die sich von den Wertungen des SGB VII unterscheiden. Diese Unterscheidung ist durch das Gesetz und seine unterschiedliche Aufgabenstellung angelegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sich der erkennende wie auch Senate anderer Rechtsgebiete für die Ursachenbewertung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ansatz maßgeblich auf die Rechtsprechung des 2. Senats beziehen (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 RdNr 25; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 17 RdNr 21, 22).

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f) Das LSG brauchte deshalb den weiteren Beweisanträgen des Klägers zur bisher noch offengelassenen Brückensymptomatik (Revisionsbegründung S 19, 20; vgl zu Fällen einer möglichen Entbehrlichkeit der Brückensymptomatik BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 10) nicht nachgehen, da es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mehr ankam (BSG Beschluss vom 31.1.2008 - B 13 R 53/07 B). Auch im Falle der Existenz der behaupteten Brückensymptome würde sich an der Zurechnung nach Maßgabe der aufgezeigten Theorie der wesentlichen Bedingung nichts ändern. Einen hinreichend klaren Beweisantrag zu einem Primärschaden vor 1976 hat der Kläger im Übrigen nicht gestellt.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist vorrangig ein Anspruch der Klägerin auf Altersrente für langjährig Versicherte und dabei insbesondere, ob sie die Wartezeit von 35 Jahren aufgrund zusätzlich anzuerkennender Berücksichtigungszeiten wegen nicht erwerbsmäßiger Pflege erfüllt hat.

2

Die 1939 geborene Klägerin bezog für ihren 1972 geborenen, im Januar 2002 verstorbenen schwerbehinderten Sohn seit November 1979 Hilfe zur Pflege (Pflegegeld); die Sozialhilfeleistung wurde Ende der 1980er Jahre wegen Überschreitens der Einkommensgrenze eingestellt. Anlässlich der Übersendung eines Versicherungsverlaufs bat die Klägerin nach einem von ihr vorgelegten Schreiben vom 15.3.1989 die LVA Hannover (deren Rechtsnachfolge im Jahr 2005 die DRV Braunschweig-Hannover antrat - im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) um Auskunft, ob für ihren pflegebedürftigen Sohn weitere Beitragszeiten anerkannt werden könnten; eine Antwort hat sie nach ihren Angaben nicht erhalten. Nach Inkrafttreten des SGB XI übersandte ihr die beigeladene Pflegekasse am 6.3.1995 ein Antragsformular zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen samt Beratungsblatt. Die Klägerin reichte den Antrag vom 25.3.1995 an die Beigeladene zurück und gab dabei an, ihren Sohn seit 1979 im Umfang von derzeit 17,5 Stunden pro Woche zu pflegen. Ihren am 5.7.1996 gestellten Antrag auf rückwirkende Anerkennung ihrer Pflegetätigkeit ab 1.11.1979 als rentenversicherungspflichtige Beschäftigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.2.1997 ab, weil die Klägerin weder den erforderlichen Antrag für eine - ohnehin erst ab 1.1.1992 in Frage kommende - Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege gestellt noch in dieser Zeit freiwillige Beiträge, die in Pflichtbeiträge umgewandelt werden könnten, entrichtet habe. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

3

Im März 2002 beantragte die Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da lediglich 31 Jahre und 11 Monate an rentenrechtlichen Zeiten auf die hierfür erforderliche Wartezeit von 35 Jahren anzurechnen seien (Bescheid vom 28.3.2002, Widerspruchsbescheid vom 17.12.2002). Ab 1.7.2004 bewilligte sie Regelaltersrente auf der Grundlage von 14,8049 persönlichen Entgeltpunkten iHv monatlich - einschließlich Zuschuss zur privaten Krankenversicherung - 414,51 Euro (Rentenbescheid vom 23.6.2004).

4

Die ursprünglich gegen die ablehnenden Bescheide vom 28.3. bzw 17.12.2002 gerichtete Klage nahm die Klägerin - nach Sachverhaltsaufklärung auch zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen Beratungsmangels - in der mündlichen Verhandlung am 22.4.2004 zurück, widerrief diese Erklärung aber mit Schreiben vom selben Tag. Das SG wies mit Urteil vom 25.8.2005 die Klage als in der Sache unbegründet ab, wobei es offenließ, ob eine Anfechtung der Klagerücknahme überhaupt möglich sei. Ihre Berufung gegen diese Entscheidung nahm die Klägerin im März 2006 zurück.

5

Mit Schreiben vom 13.7.2006 beantragte die Klägerin eine Überprüfung der ablehnenden Rentenbescheide vom 28.3. bzw 17.12.2002 sowie des Bewilligungsbescheids über Regelaltersrente vom 23.6.2004, da das Erfordernis eines Antrags für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege zu einer Ungleichbehandlung führe und daher verfassungswidrig sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 31.7.2006, Widerspruchsbescheid vom 6.10.2006).

6

Das SG hat die auf Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte sowie einer höheren Regelaltersrente gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16.12.2008). Es hat sich in seiner Entscheidung ausschließlich mit dem Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte auseinandergesetzt und ausgeführt, ein gewichtiges Indiz für die Verfassungsmäßigkeit der bis zum 31.3.1995 geltenden Regelung in § 57 Abs 2 SGB VI sei ihre quasi wortgleiche Wiederholung in § 249b SGB VI. In Bezug auf Art 14 GG sei fraglich, ob der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts überhaupt eröffnet sei; jedenfalls aber sei das Grundrecht aufgrund zulässiger Gemeinwohlerwägungen nicht verletzt. Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sei eine Fristsetzung zweckmäßig, da sowohl für den Versicherten als auch für den Versicherungsträger Gewissheit bestehen müsse, dass nach Ablauf eines bestimmten Datums keine Anträge und ggf Neuberechnungen hinsichtlich Rentenanträgen oder bestehender Renten mehr erfolgen könnten. Zudem lasse sich im Nachhinein in der Regel nur mit größten Schwierigkeiten oder gar nicht mehr aufklären, ob und in welchem Umfang Pflege geleistet worden sei. Ebenso wenig sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da der Versicherte es selbst in der Hand habe, durch sein Verhalten die Berücksichtigungszeiten zu erlangen. Aus denselben Gründen stehe auch der Gleichheitsgrundsatz der Regelung nicht entgegen.

7

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 14.7.2010). Im Berufungsurteil, das sich lediglich mit dem Anspruch auf höhere Regelaltersrente befasst, ist im Wesentlichen ausgeführt, die zur Überprüfung gestellten Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig, da die Klägerin mit ihrem Antrag vom "5.6.1996" (gemäß Tatbestand zutreffend: 5.7.1996) die Antragsfrist nach § 249b S 1 SGB VI - bis 30.6.1995 - versäumt habe. Eine Wiedereinsetzung nach § 27 Abs 1 SGB X scheitere daran, dass die Jahresfrist gemäß Abs 3 der Vorschrift abgelaufen sei. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei nicht gegeben, weil der Beklagten gegenüber der Klägerin keine Pflicht zur Spontanberatung oblegen habe; seit Inkrafttreten der Vorschrift zu den Pflege-Berücksichtigungszeiten am 1.1.1992 habe diese weder Kontakt mit der Klägerin noch Kenntnis davon gehabt, dass sie Pflegetätigkeiten ausführe. Eine klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeit zugunsten der Klägerin habe sich der Beklagten auch angesichts der schon Jahre zurückliegenden Anfrage vom 15.3.1989 nicht aufdrängen müssen. Zudem fehle es daran, dass eine Pflichtverletzung zumindest gleichwertig einen dem Sozialleistungsträger zurechenbaren sozialrechtlichen Nachteil verursacht habe; insoweit hat das LSG auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

8

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin in erster Linie, das fristgebundene Antragserfordernis für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 gemäß § 57 Abs 2 SGB VI aF bzw § 249b S 2 SGB VI sei mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar. Denn das Gesetz behandele die Gruppe der Pflegepersonen hinsichtlich der Anerkennung von Pflegezeiten als Berücksichtigungszeiten anders als die Gruppe der Kinder erziehenden Versicherten, die für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gemäß § 57 Abs 1 SGB VI aF keine Ausschlussfristen beachten müssten, diese vielmehr auch noch im Rahmen späterer Kontenklärungsverfahren erstmals geltend machen könnten. Es bestünden keine hinreichend gewichtigen Sachgründe zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Das Interesse der Rentenversicherungsträger an einer möglichst zeitnahen Feststellung der maßgeblichen Umstände genüge hierfür nicht, weil nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast es ohnehin zu Lasten der Pflegeperson gehe, wenn später diese Umstände nicht mehr nachweisbar seien. Die Ausschlussfrist erschwere daher die Anerkennung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege in unnötiger Weise. Auch der laut Gesetzesbegründung angestrebte Gleichklang mit den Voraussetzungen für eine freiwillige Beitragszahlung von Pflegepersonen (§ 177 SGB VI aF bzw § 279e SGB VI - letztgenannte Norm zum 31.12.2011 aufgehoben) könne die Antragsfrist nicht rechtfertigen: Was im Beitragsrecht zur Vermeidung der nachträglichen Veränderung einer bereits durchgeführten Versicherung sachgerecht sei, lasse sich auf die Anrechnung einer Berücksichtigungszeit nicht übertragen, da diese keine Beitragszahlung voraussetze.

9

Eine Ungleichbehandlung ergebe sich aber auch im Vergleich zu anderen beitragsfreien Zeiten (Ersatzzeiten, Anrechnungszeiten, Zurechnungszeiten), bei denen allesamt kein fristgebundenes Antragserfordernis normiert sei. Auch hierfür seien sachlich rechtfertigende Gründe nicht ersichtlich. Vielmehr indiziere die singuläre Behandlung der Pflege-Berücksichtigungszeiten einen Systembruch und damit eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Da wegen des klaren Wortlauts keine verfassungskonforme Auslegung möglich sei, bedürfe es einer Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung.

10

Ungeachtet dessen habe das LSG zu Unrecht einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, sie - die Klägerin - anlässlich ihres Auskunftsersuchens vom 15.3.1989 und weiterer Kontakte in den Jahren 1992, 1993 und 1994 über die Ausschlussfrist zu beraten. Wegen des "Meistbegünstigungsprinzips" hätte ihre Anfrage nach weiteren "Beitragszeiten" für den pflegebedürftigen Sohn umfassend - auch mit einem Hinweis auf die Möglichkeit der Beantragung beitragsloser Berücksichtigungszeiten - beantwortet werden müssen, zumal die zum 1.1.1992 erfolgte Einführung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege damals bereits in Kraft getreten gewesen sei. Es sei der Sozialverwaltung zumutbar, eine aktuell bearbeitete Akte auf noch unerledigte Anträge und Auskunftsersuchen zu überprüfen. Dass die Akte zwischenzeitlich "verlegt" gewesen sei, dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen. Aufgrund des unterbliebenen Hinweises auf einen möglichen Antrag nach § 57 Abs 2 SGB VI aF sei ihr ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden. Denn bei Kenntnis dieses Erfordernisses hätte sie einen solchen Antrag in jedem Fall gestellt. Da nur dessen Fehlen zur Nichterfüllung der Wartezeit für eine Altersrente für langjährig Versicherte geführt habe, sei sie im Wege des Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob sie rechtzeitig die Anerkennung der Zeit vom 1.1.1992 bis 31.3.1995 als Berücksichtigungszeit wegen Pflege beantragt habe.

11

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juli 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Dezember 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2006 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 28. März 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2002 zurückzunehmen und ab 1. Juli 2002 Altersrente für langjährig Versicherte zu gewähren,

hilfsweise, die genannten Urteile und Bescheide aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Rentenbescheid vom 23. Juni 2004 zurückzunehmen und höhere Regelaltersrente unter Anrechnung des Zeitraums vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995 als Berücksichtigungszeit wegen Pflege zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, ein möglicher Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich des Antragserfordernisses von Zeiten der Pflege und Zeiten der Kindererziehung könne darin liegen, dass die Erziehung eines Kindes durch einen Elternteil im Regelfall unterstellt werden könne, während der Nachweis der Pflege eines Angehörigen für lange zurückliegende Zeiträume schwierig sei. Im Übrigen sei vorrangig das Bestehen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu prüfen. Sie - die Beklagte - habe jedoch keine Beratungspflichten verletzt. Sie könne auch nach Auswertung bereits mikroverfilmter Aktenbestandteile nicht feststellen, dass das von der Klägerin angeführte Schreiben vom 15.3.1989 überhaupt bei ihr eingegangen sei. Der Rechtsmeinung, dass der Rentenversicherungsträger bei jedem neuen "Geschäftsvorfall" den bisherigen Vorgang ohne konkreten Anlass vollständig darauf zu überprüfen habe, ob durch zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen alte Aktenbestandteile eine neue Relevanz erhalten hätten, sei aus zeitlichen und arbeitstechnischen Gründen nicht zu folgen.

14

Die Beigeladene verweist auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden vorinstanzlichen Entscheidungen, sieht aber von einer eigenen Antragstellung ab.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das LSG hat ihre Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen, denn der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 31.7.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.10.2006 ist rechtmäßig (§ 170 Abs 1 S 1 iVm § 54 Abs 2 S 1 SGG). Die Klägerin kann von der Beklagten weder die Rücknahme des eine Altersrente für langjährig Versicherte versagenden Bescheids vom 28.3.2002 und Gewährung entsprechender Leistungen ab 1.7.2002 beanspruchen noch (im Sinne des Hilfsantrags) die Zahlung höherer Regelaltersrente ab 1.7.2004 unter Änderung des Bescheids über die Regelaltersrente vom 23.6.2004. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es abgelehnt hat, den Zeitraum vom 1.1.1992 bis 31.3.1995, in dem die Klägerin ihren behinderten Sohn pflegte, oder Teile davon als Berücksichtigungszeit wegen Pflege iS des § 249b SGB VI anzuerkennen.

16

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der eine Rücknahme vorangegangener Entscheidungen ablehnende Bescheid der Beklagten vom 31.7.2006 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.10.2006), und zwar sowohl hinsichtlich einer Korrektur des Altersrente für langjährig Versicherte versagenden Bescheids vom 28.3.2002 als auch in Bezug auf eine Änderung des Regelaltersrente bewilligenden Bescheids vom 31.7.2006. Die Klägerin hat von Anfang an stets eine Überprüfung beider Bescheide verlangt. Bei sachgemäßer Auslegung (vgl § 123 SGG) war ihr Begehren von vornherein als - ihr Ziel weitestgehend verwirklichender - Hauptantrag auf Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte unter Einbeziehung des Zeitraums 1.1.1992 bis 31.3.1995 (39 Monate) als Berücksichtigungszeit wegen Pflege zu behandeln. Nur für den Fall von dessen Ablehnung sollte höhere Regelaltersrente unter Einbeziehung möglichst vieler Monate einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege eingefordert werden. Die Beklagte hat zumindest im Widerspruchsbescheid vom 6.10.2006 auch über dieses umfassende Begehren entschieden (vgl § 95 SGG). Wenn sich - wie hier - das SG nur mit dem Hauptantrag befasst und den Hilfsantrag übergangen hat, war das Berufungsgericht ohne vorheriges Urteilsergänzungsverfahren (vgl § 140 SGG) verpflichtet, auch über den Hilfsantrag zu entscheiden (§ 157 S 1 SGG - s hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 157 RdNr 2a). Auch wenn sich das LSG in seinem Urteil ausschließlich mit dem (Hilfs-)Antrag auf höhere Regelaltersrente auseinandergesetzt hat, muss bei sachgerechter Zusammenschau davon ausgegangen werden, dass es den im Tatbestand seines Urteils wiedergegebenen Hauptantrag nicht übergangen, sondern - zumindest konkludent - ebenfalls als nicht begründet beurteilt hat. Denn mit der Ablehnung jeglicher Berücksichtigungszeiten wegen Pflege mussten notwendigerweise sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag der Klägerin scheitern. Damit ist aber auch der Hauptantrag Gegenstand der Überprüfung im Revisionsverfahren (zur vereinzelt bejahten Möglichkeit des "Heraufholens" vom LSG versehentlich übergangener Verfahrensgegenstände in die Revisionsinstanz vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 27).

17

2. Als Rechtsgrundlage für eine Aufhebung des Altersrente für langjährig Versicherte versagenden Bescheids vom 28.3.2002 oder für eine Änderung des Bescheids über die Regelaltersrente vom 23.6.2004 kommt nur § 44 Abs 1 S 1 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit ua zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

18

Ihrer Anwendung steht auch in Bezug auf den Bescheid vom 28.3.2002 nicht entgegen, dass dessen Rechtmäßigkeit bereits Gegenstand eines sozialgerichtlichen Verfahrens war, das rechtskräftig mit einer Abweisung der Klage als unbegründet endete (Urteil des SG Lüneburg vom 25.8.2005 zum Az S 4 RJ 86/04 WA - zuvor S 4 RJ 8/03). Zwar ist dadurch der genannte Bescheid für die Beteiligten in der Sache bindend geworden (§ 77 SGG). Eine Bindung besteht jedoch nur, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". In diesem Sinne ist § 44 SGB X eine gesetzliche Bestimmung, die eine Durchbrechung der Bindungswirkung zulässt(vgl BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 91, 94). Sie vermittelt einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 96, 227 = SozR 4-2600 § 315a Nr 3, RdNr 14; BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12 - jeweils mwN). Aus dem Urteil des 9. Senats vom 3.2.1988 (BSGE 63, 33, 35 = SozR 1300 § 44 Nr 33 S 89) ergibt sich nichts Gegenteiliges.

19

3. Die Beklagte hat mit der Ablehnung eines Anspruchs auf Altersrente für langjährig Versicherte im Bescheid vom 28.3.2002 iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB X das Recht nicht unrichtig - was hier allein in Betracht kommt -, sondern zutreffend angewandt.

20

a) Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin auf Altersrente für langjährig Versicherte ist § 236 Abs 1 SGB VI(gemäß § 300 Abs 2 SGB VI hier noch anzuwenden in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung des RRG 1999 vom 16.12.1997, BGBl I 2998; ab 1.1.2002 s auch Neubekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754). Vor dem 1.1.1948 geborene Versicherte haben nach S 1 der Vorschrift frühestens Anspruch auf eine solche Rente, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Nach S 2 bis 4 (aaO) wird diese Altersgrenze für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte nach Maßgabe der Anlage 21 zum SGB VI angehoben, wobei eine vorzeitige Inanspruchnahme möglich ist (mit entsprechenden Abschlägen gemäß § 77 Abs 2 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI). Anlage 21 zum SGB VI enthält für Versicherte, die zwischen Januar 1939 und Dezember 1947 geboren sind, nach dem Gesamtzusammenhang der Regelung - ebenso wie für im Dezember 1938 und im Januar 1948 Geborene - eine Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre sowie die Möglichkeit zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente ab dem 63. Lebensjahr.

21

Die 1939 geborene Klägerin hatte am 1.7.2002 ihr 63. Lebensjahr vollendet und erfüllte somit die altersmäßige Voraussetzung für eine (vorzeitige) Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte. Sie hatte jedoch, wie das SG festgestellt und worauf das LSG Bezug genommen hat, zu diesem Zeitpunkt ohne Berücksichtigung der streitbefangenen Berücksichtigungszeiten wegen Pflege ihres Sohnes im Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 lediglich 31 Jahre und 11 Monate an rentenrechtlichen Zeiten (§ 51 Abs 3 SGB VI)aufzuweisen, die auf die Wartezeit von 35 Jahren angerechnet werden können. Ein Anspruch der Klägerin auf eine Altersrente für langjährig Versicherte ab 1.7.2002 besteht somit nur, wenn bis dahin wenigstens weitere 37 Monate an rentenrechtlichen Zeiten, zu denen gemäß § 54 Abs 1 Nr 3 SGB VI auch Berücksichtigungszeiten gehören, anzurechnen wären. Das ist jedoch nicht der Fall.

22

b) Eine Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 (= 39 Monate) kommt nicht in Betracht.

23

Nach § 249b S 1 SGB VI(in der ab 1.4.1995 und bis heute unverändert geltenden Fassung des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 26.5.1994, BGBl I 1014; zuvor weitgehend inhaltsgleich mWv 1.1.1992 § 57 Abs 2 SGB VI idF des RRG 1992 vom 18.12.1989, BGBl I 2261) sind Berücksichtigungszeiten "auf Antrag" auch Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines Pflegebedürftigen in der Zeit vom 1.1.1992 bis zum 31.3.1995, solange die Pflegeperson (1.) wegen der Pflege berechtigt war, Beiträge zu zahlen oder die Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge zu beantragen, und (2.) nicht zu den in § 56 Abs 4 SGB VI genannten Personen gehört, die von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen sind. Gemäß S 2 der Vorschrift wird die Zeit der Pflegetätigkeit von der Aufnahme der Pflegetätigkeit an als Berücksichtigungszeit angerechnet, wenn der Antrag bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt wird.

24

aa) Hiernach ist - ungeachtet weiterer Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Pflegetätigkeit - die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege von einem Antrag der Pflegeperson (nicht: der zu pflegenden Person) abhängig (zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung RdNr 41 ff), zu deren Gunsten die Zeit rentenrechtlich wirksam werden soll (Dankelmann in juris-PK SGB VI, 2. Aufl 2013, § 249b RdNr 44). Die zeitliche Wirkung des Antrags ergibt sich aus § 249b S 2 SGB VI. Um bei einem Beginn der Pflegetätigkeit vor 1992 - wie im vorliegenden Fall - den vollen denkbaren Zeitraum (1.1.1992 bis 31.3.1995) als Berücksichtigungszeit gutgeschrieben zu erhalten, hätte die Klägerin einen entsprechenden Antrag spätestens am 31.3.1992 stellen müssen, da bei einer bereits länger als drei Monate - hier: seit November 1979 - aufgenommenen Pflegetätigkeit die Berücksichtigungszeit erst ab dem Tag des Antragseingangs angerechnet werden kann (Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 249b RdNr 3, 18, Stand Juni 2012). Eine Antragstellung nach diesem Zeitpunkt hätte nur zu einer entsprechend kürzeren Berücksichtigungszeit führen können; letztmöglicher Antragszeitpunkt (zur Anerkennung einer Berücksichtigungszeit für den Monat März 1995) war demnach der 31.3.1995 (vgl Löschau in ders, SGB VI, Stand August 2013, § 249b RdNr 17; Bergner ua, KomGRV, § 249b SGB VI Anm 3, Stand Oktober 2003; Försterling in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskomm zum SGB VI, § 249b RdNr 13, Stand Mai 2005). Das von den Vorinstanzen für maßgeblich gehaltene Datum 30.6.1995 ist hier nicht einschlägig. Vielmehr markiert es lediglich den letzten denkbaren Antragszeitpunkt für den Fall, dass eine Pflegetätigkeit erst im März 1995 begann.

25

Sämtliche möglichen Antragszeitpunkte hat die Klägerin jedoch versäumt. Denn sie hat einen Antrag auf Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege erst am 5.7.1996 bei der Beklagten gestellt.

26

bb) Auch die Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X) kommen der Klägerin nicht zugute. Dies gilt schon deshalb, weil bei Einreichung des Antrags auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Juli 1996 die Jahresfrist gemäß § 27 Abs 3 SGB X längst abgelaufen war.

27

cc) Ebenso wenig kann sie auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beanspruchen, so behandelt zu werden, als ob sie den Antrag auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege bereits am 31.3.1992 - dem spätesten Zeitpunkt, um die erforderlichen 37 Monate solcher Zeiten angerechnet zu erhalten - gestellt hätte.

28

In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch neben der gesetzlichen Wiedereinsetzungsregelung in § 27 SGB X (soweit einschlägig) anwendbar ist. Der Herstellungsanspruch erfordert eine Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts; als Rechtsfolge ist der Zustand wiederherzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, wobei dies nur durch eine an sich zulässige Amtshandlung geschehen darf (BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 13 RdNr 26 mwN; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 12 AL 2/12 R - Juris RdNr 19, zur Veröffentlichung in SozR 4-4300 § 28a Nr 5 vorgesehen).

29

Die genannten Voraussetzungen liegen auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG, die von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen wurden und daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), nicht vor. Als Pflichtverletzung, die gegebenenfalls einen Herstellungsanspruch auslösen kann, kommt vorliegend nur eine unzureichende Beratung der Klägerin durch die Beklagte über ihre Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Erlangung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege in Betracht (vgl § 14 SGB I).

30

(1) Die Klägerin macht insoweit geltend, sie habe die Beklagte mit Schreiben vom 15.3.1989 ua um Auskunft gebeten, ob für ihren Sohn "weitere Beitragszeiten anerkannt werden könnten, da er seit 1979 schwerbehindert und pflegebedürftig ist", hierauf aber keine Antwort erhalten. Bei ordnungsgemäßer Behandlung ihres Auskunftsersuchens wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, auch zu sonstigen anerkennungsfähigen Zeiten im Zusammenhang mit dem geschilderten Sachverhalt umfassend Auskunft zu geben und dabei auf die Möglichkeiten der Beantragung beitragsloser Berücksichtigungszeiten wegen Pflege hinzuweisen. Das LSG-Urteil enthält jedoch keine Feststellungen dazu, dass diese Anfrage die Beklagte überhaupt erreicht hat. Im Tatbestand (S 2 aaO) ist lediglich der oben erwähnte Vortrag der Klägerin wiedergegeben; die Entscheidungsgründe (S 7 aaO) enthalten keine weitergehenden Feststellungen zum Inhalt der Anfrage oder dazu, ob sie bei der Beklagten - was diese ausdrücklich in Frage stellt - eingegangen ist. Dennoch bedarf es keiner Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung.

31

Denn selbst wenn die Tatsachenbehauptungen der Klägerin zu ihren Gunsten als wahr unterstellt werden, ergibt sich aus ihnen kein Herstellungsanspruch. Zwar stünde dann ein Beratungsmangel iS von § 14 SGB I - in Gestalt der Nichterteilung einer erbetenen Beratung - fest. Dies hätte jedoch zum damaligen Zeitpunkt im Frühjahr 1989 nicht kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil bei der Klägerin führen können. Bei Durchführung der Beratung hätte die Beklagte der Klägerin damals lediglich mitteilen können, dass nach geltender Rechtslage keine weiteren Beitragszeiten oder sonstige rentenrechtlichen Zeiten wegen der Pflegebedürftigkeit ihres Sohnes anzuerkennen seien. Hieraus hätte sich für die Klägerin kein Erfordernis einer späteren Antragstellung zur Erlangung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege erschlossen, was zur Folge hat, dass ohne die (behauptete) Pflichtverletzung kein für die Klägerin günstigerer Rechtszustand eingetreten wäre, der mit Hilfe des Herstellungsanspruchs nunmehr verwirklicht werden könnte.

32

Die Beklagte war im März 1989 auch nicht dazu verpflichtet, auf eine möglicherweise künftig günstigere, mit dem Erfordernis einer rechtzeitigen Antragstellung verbundene Rechtslage hinzuweisen, falls der am 7.3.1989 erstmals in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Entwurf des RRG 1992 (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 7.3.1989, BT-Drucks 11/4124) in Gestalt der dort in § 57 Abs 2 SGB VI neu aufgenommenen Regelung geltendes Recht würde. Denn der Anspruch auf Beratung nach § 14 SGB I umfasst nur die Beratung über die bestehenden "Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch", nicht aber auch über den Inhalt von bloßen Gesetzentwürfen, die weder vom Parlament verabschiedet noch verkündet sind(s BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 9 - zum Fall einer neu eingeführten antragsabhängigen Leistung nach dem LBliGG Sachsen - sowie BSG SozR 3-3200 § 86a Nr 2 S 6 - zum Fall der 1987 neu eingeführten antragsabhängigen Arbeitslosenbeihilfe nach § 86a Abs 1 S 2 SVG iVm § 100 Abs 1 AFG für Soldaten auf Zeit).

33

Nichts anderes ergibt sich, wenn der Zeitraum nach Verkündung des RRG 1992 am 28.12.1989 (vgl BGBl I 1989 Nr 60 S 2261) in den Blick genommen wird. Dann wäre zwar die (unterstellte) Anfrage der Klägerin immer noch unbeantwortet gewesen. Außerdem hätte die Beklagte auf eine zu diesem Zeitpunkt gestellte Anfrage der Klägerin mitteilen müssen, dass nach der gesetzlichen Regelung ab 1992 Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege im Umfang von regelmäßig mindestens 10 Stunden pro Woche auf einen entsprechenden - fristgebundenen - Antrag hin entweder als Pflichtbeitragszeiten oder als Berücksichtigungszeiten (§ 57 Abs 2 iVm § 177 SGB VI aF)angerechnet werden können (vgl BSG SozR 4-3800 § 1 Nr 9 RdNr 35; s hierzu auch Bergner ua, KomGRV, § 14 SGB I RdNr 5 S 8, Stand März 2007). Gleichwohl vermag - jedenfalls in einer Konstellation wie der hier vorliegenden - eine fehlende Antwort der Beklagten auf das Schreiben der Klägerin vom 15.3.1989 einen Herstellungsanspruch nicht zu begründen.

34

Denn wenn ein Betroffener, der auf ein Auskunftsersuchen keine Antwort erhält, nach einer angemessenen Wartefrist die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Aufklärung, ob seine Anfrage bei dem zur Beratung verpflichteten Leistungsträger überhaupt angekommen ist oder welche Gründe für das Ausbleiben einer Antwort bestehen, nicht wahrnimmt, so kann er aus dem Unterbleiben der Beratung keinen Herstellungsanspruch mehr herleiten. Ein Betroffener in solcher Lage hat Kenntnis von seinem Informationsdefizit; ihm kann deshalb zugemutet werden, seine Anfrage in angemessener Frist zu wiederholen, zumal er sein Beratungsbegehren gegenüber der Behörde nötigenfalls prozessual durchsetzen kann (BSG SozR 4-1300 § 84 Nr 1 RdNr 24; s auch Schmidt-De Caluwe, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1992, S 514, der einen Herstellungsanspruch nur bejaht, wenn die versäumte Frist "zwischenzeitlich" - also innerhalb der angemessenen Wartefrist - abgelaufen ist). Eine Nachfrage wegen der bislang unterbliebenen Antwort liegt auch deshalb nahe, weil es hierfür die unterschiedlichsten Gründe geben kann: Neben dem (pflichtwidrigen) Unterlassen einer rechtzeitigen Auskunft kann auch das Auskunftsersuchen oder die Auskunft auf dem Postweg oder behördenintern verloren gegangen sein; denkbar ist ferner, dass die Anfrage von der Klägerin versehentlich nicht abgeschickt oder die Antwort von ihr übersehen oder versehentlich vernichtet wurde.

35

Nicht vertieft zu werden braucht in diesem Zusammenhang, ob die Beschränkung des Herstellungsanspruchs aus dem generellen Vorrang des Primärrechtsschutzes im Verhältnis zwischen Bürger und Staat herzuleiten ist, der es dem Bürger versagt, eine rechtswidrige staatliche Beeinträchtigung freiwillig hinzunehmen und stattdessen hierfür Schadensersatz zu verlangen (vgl BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 17 mwN), ob die Begrenzung des Herstellungsanspruchs aus Nebenpflichten und Obliegenheiten folgt, die sich auch für den Leistungsberechtigten aus dem Sozialrechtsverhältnis ergeben (so BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 75/12 R - RdNr 24 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 16 Nr 13 vorgesehen), oder ob es in diesen Fällen bereits an der Kausalität der behördlichen Pflichtverletzung iS einer wesentlichen - zumindest gleichwertigen - Bedingung für die Beeinträchtigung eines sozialen Rechts fehlt (so BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1 - Leitsatz 2 und RdNr 62). Im Ergebnis besteht jedenfalls Übereinstimmung, dass unter den genannten Voraussetzungen kein Herstellungsanspruch wegen unterlassener Beratung besteht.

36

Eine solche Konstellation liegt hier vor, sofern das tatsächliche Vorbringen der Klägerin als wahr unterstellt wird. Diese hat mit ihrer Revision selbst nicht vorgetragen, dass sie ihre (behauptete) Anfrage vom 15.3.1989, die von der Beklagten unbeantwortet geblieben sei, zu irgendeinem späteren Zeitpunkt erneuert oder Informationen zu den Gründen der unterbliebenen Antwort eingeholt habe; auch das LSG hat solches nicht festgestellt. Damit scheidet ein Herstellungsanspruch als Folge einer unterlassenen Beantwortung des Schreibens der Klägerin vom 15.3.1989 durch die Beklagte aus. Wie zu entscheiden wäre, wenn die Antragsfrist gerade in dem Zeitraum abgelaufen wäre, während dessen die Klägerin mit einer Antwort durch die Beklagte auch ohne Nachfrage hat rechnen dürfen, kann dahinstehen; zum hier maßgeblichen Zeitpunkt Ende März 1992 war dies jedenfalls nicht mehr der Fall.

37

(2) Weiterhin leitet die Klägerin eine Pflicht der Beklagten zur Beratung über das Antragserfordernis hinsichtlich der Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege ab 1.1.1992 daraus ab, dass nach Verkündung des RRG 1992 erneut Kontakte in rentenrechtlichen Angelegenheiten stattgefunden hätten, nämlich im Zusammenhang mit einem Antrag vom 2.11.1992 auf Beitragsnachzahlung bei Heiratserstattung und weiteren Vorgängen in den Jahren 1993 und 1994; jedenfalls zu diesen Zeitpunkten hätte die Beklagte sie über die bereits konkret eingetretene Änderung der Rechtslage beraten müssen.

38

Eine Würdigung dieses Sachverhalts durch das Revisionsgericht ist jedoch ausgeschlossen. Denn es handelt sich insoweit um völlig neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann (vgl BSGE 9, 266, 271; Lüdtke in ders, SGG, 4. Aufl 2012, § 163 RdNr 3). Im angefochtenen Urteil des LSG finden sich keinerlei Feststellungen zu solchen Kontakten. Dort ist - anders als hinsichtlich der Geltendmachung eines Herstellungsanspruchs aufgrund des Schreibens vom 15.3.1989 - nicht einmal ein entsprechendes Vorbringen der Klägerin in erster oder zweiter Instanz zur Untermauerung ihres Anspruchs erwähnt (vgl § 136 Abs 2 S 2 SGG). Wiederaufnahmegründe in Bezug auf diese tatsächlichen Umstände sind ebenfalls nicht ersichtlich.

39

Im Übrigen könnte ein Herstellungsanspruch aufgrund eines Beratungsfehlers der Beklagten anlässlich des ersten vorgetragenen Kontakts im November 1992 allenfalls dazu führen, dass die Klägerin so zu stellen wäre, als ob sie einen Antrag auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im November 1992 gestellt hätte. Das würde jedoch nicht genügen, um die bei ihr für eine Altersrente für langjährig Versicherte zusätzlich erforderlichen rentenrechtlichen Zeiten im Umfang von mindestens 37 Monaten zu erlangen (s oben 3. a).

40

4. Die Beklagte hat auch im Bescheid über die Regelaltersrente vom 23.6.2004 iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB X das Recht nicht unrichtig, sondern zutreffend angewandt, indem sie bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte(§§ 70 ff SGB VI) für den Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 keine Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (§ 249b SGB VI)einbezog. Auch insoweit fehlt für eine Anrechnung solcher Berücksichtigungszeiten der erforderliche rechtzeitige Antrag; auf die obigen Ausführungen (unter 3. b) wird Bezug genommen.

41

5. Das Antragserfordernis in § 57 Abs 2 SGB VI(in der ab 1.1.1992 bis 31.3.1995 geltenden Fassung des RRG 1992) bzw nunmehr in § 249b SGB VI(in der ab 1.4.1995 geltenden Fassung des PflegeVG) verletzt kein Verfassungsrecht; es ist insbesondere mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.

42

a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Er verlangt vom Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu regeln. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (stRspr, vgl BVerfGE 132, 372 RdNr 45 mwN).

43

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen über einen stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstab bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (BVerfGE 132, 179 RdNr 30; BVerfGE 132, 372 RdNr 45 mwN). Differenzierungen bedürfen dabei stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Mithin muss eine Differenzierung nicht nur an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpfen, sondern es ist auch ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung erforderlich, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (BVerfGE 132, 372 RdNr 45 mwN).

44

Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich dabei nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfGE 131, 239, 256 mwN). Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit, um den es hier geht, kommt dem Gesetzgeber bei der Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 130, 240, 254 mwN). Ihm sind jedoch umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (BVerfGE 122, 39, 52; 130, 131, 142). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist auch anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (BVerfGE 129, 49, 69); sie ist darüber hinaus umso strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung führenden personenbezogenen Merkmale den in Art 3 Abs 3 GG genannten Merkmalen annähern und je größer die Gefahr ist, dass die Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt (BVerfGE 131, 239, 256). Bei verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung insbesondere auch davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfGE 127, 263, 280 = SozR 4-1300 § 116 Nr 2 RdNr 45 mwN). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können; die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (BVerfGE 97, 271, 291 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 11).

45

b) Nach diesen Grundsätzen ist Prüfungsmaßstab hier allein das Willkürverbot. Das Unterscheidungsmerkmal "Antragserfordernis", das die Klägerin beanstandet, ist nicht personenbezogen, sondern knüpft an den Lebenssachverhalt der Verrichtung nicht erwerbsmäßiger Pflege in einem bestimmten zeitlichen Umfang durch jede beliebige Person an; es weist auch keinerlei Nähe zu einem der in Art 3 Abs 3 GG genannten Merkmale - Alter, Geschlecht, Abstammung usw - auf. Die unterschiedliche Behandlung - Erlangung rentenrechtlicher Zeiten ohne eigenen Beitrag, aber einmal mit und sonst ohne vorherigen Antrag - wirkt sich auch nicht in irgendeiner Weise auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten aus. Es handelt sich vielmehr um eine Regelung, die lediglich verschiedene Lebenssachverhalte (Pflege in Abgrenzung zu Kindererziehung oder sonstigen Tatbeständen, die eine beitragslose rentenrechtliche Zeit begründen) in Bezug auf die verfahrensrechtliche Verwirklichung ihrer Berücksichtigung beim Erwerb von Rentenrechten in unterschiedlicher Weise ausgestaltet (zum Willkürverbot als Beurteilungsmaßstab für verfahrensrechtliche Ausgestaltungen s BVerfGE 42, 64, 73 f; zur Anlegung eines "zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs" bei der Beurteilung des Selbsttitulierungsrechts einiger öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten vgl BVerfGE 132, 372 RdNr 46). Die davon Betroffenen konnten sich zudem durch eigenes Verhalten, nämlich durch eine formlose Antragstellung (§ 9 SGB X - vgl Löschau in ders, SGB VI, Stand August 2013, § 249b SGB VI RdNr 18; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 249b RdNr 15, Stand Juni 2012) und damit ohne besonderen Aufwand auf die unterschiedliche Regelung einstellen.

46

c) Die Gewährung beitragsfreier Berücksichtigungszeiten wegen Pflege als zur Begründung oder Erhöhung von Rentenleistungen beitragendes Element für den Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 nur nach vorheriger fristgebundener Antragstellung (und damit unter verfahrensrechtlich strengeren Voraussetzungen als bei zahlreichen anderen rentenrechtlich bedeutsamen Zeiten) ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

47

Das RRG 1992 hat erstmals geregelt, dass nicht erwerbsmäßige häusliche Pflegetätigkeit als rentenrechtlich bedeutsame Zeit berücksichtigt werden kann. Die Begründung des Gesetzentwurfs führt dazu aus, die neue Leistung stehe im Zusammenhang mit dem Ziel, die Versicherungsbedingungen für ehrenamtliche Pflegepersonen zu verbessern; deshalb sollte die Vergünstigung an die gleichen Voraussetzungen gebunden werden, die auch für die in § 177 SGB VI(bis 31.3.1995; anschließend § 279e SGB VI, der bis 31.12.2011 galt) neu geschaffene Möglichkeit einer Umwandlung freiwilliger Beiträge von Pflegepersonen in Pflichtbeiträge vorgesehen waren (BT-Drucks 11/4124 S 142 unter 2. sowie S 167 - zu § 57 Abs 2). Diese beitragsrechtliche Regelung sollte jedoch nur "auf Antrag und bei entsprechendem Nachweis" eröffnet werden (BT-Drucks 11/4124 S 143 unter 3.), denn den Rentenversicherungsträgern sei eine Überprüfung des Vorliegens der Pflegebedürftigkeit und der tatsächlichen Pflegeleistung - gemäß § 177 Abs 1 Nr 2 SGB VI aF regelmäßig wöchentlich mindestens 10 Stunden - selbst nicht möglich(BT-Drucks 11/4124 S 186 - zu § 172, der als § 177 SGB VI Gesetz wurde). Deshalb wurde in § 177 Abs 4 S 2 SGB VI aF ergänzend bestimmt, dass die Versicherten den Umfang der Pflegebedürftigkeit durch eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes(§ 275 SGB V) und den Umfang der Pflegetätigkeit durch die Bescheinigung einer von den Landesregierungen zu bestimmenden Stelle selbst nachzuweisen hatten.

48

Das gesetzgeberische Ziel einer Verknüpfung der neuen beitragsfreien Vergünstigung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (mit zumeist rentenrechtlich nur geringen Auswirkungen) mit der gleichzeitig neu geschaffenen Möglichkeit einer verbesserten Beitragszahlung durch die Pflegepersonen auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist nicht zu beanstanden und keinesfalls willkürlich. Die insoweit unterschiedliche Behandlung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege gegenüber den - ebenfalls durch das RRG 1992 eingeführten - Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 Abs 1 SGB VI aF, nunmehr § 57 SGB VI) erklärt sich dadurch, dass hinsichtlich des letztgenannten Sachverhalts eine gesonderte Beitrags(umwandlungs)regelung nicht besteht. In Bezug auf Pflegepersonen im Bereich nicht erwerbsmäßiger häuslicher Pflege, die bereits vor Einführung der Pflegeversicherung unter bestimmten Umständen für ihren Einsatz aus der Geldleistung nach § 57 SGB V aF honoriert werden konnten(s die Übersicht in BT-Drucks 12/5262 S 68 ff, insbesondere die Hinweise auf § 55 und § 57 SGB V in der vom 1.1.1989 bis 31.3.1995 geltenden Fassung), lag es nahe, ihnen auch eine eigene Beitragsleistung zur rentenrechtlichen Absicherung zu eröffnen und diese Form der eigenverantwortlichen Vorsorge durch parallele verfahrensrechtliche Regelungen zu befördern. Die Antragsgebundenheit der beitragslosen Berücksichtigungszeit wegen Pflege ermöglichte es den Rentenversicherungsträgern, die Pflegepersonen zeitnah über deren (begrenzte) rentenrechtlichen Wirkungen sowie über die zusätzlich bestehenden beitragsrechtlichen Möglichkeiten für eine verbesserte soziale Absicherung aufzuklären. Im Hinblick darauf trifft der Einwand der Klägerin nicht zu, dass der vom Gesetzgeber hergestellte Sachzusammenhang zwischen den Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (§ 57 Abs 2 SGB VI aF)und den Beitragsregelungen wegen Pflege (§ 177 SGB VI aF) einen Regelungsgleichklang in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht rechtfertigen könne, weil die ergänzende Beitragszahlung keine notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Berücksichtigungszeit sei (in diesem Sinne auch Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 249b RdNr 16, Stand Juni 2012).

49

Die oben wiedergegebene Begründung zum RRG 1992 zeigt zudem auf, dass der Gesetzgeber die besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (Antrag, Vorlage bestimmter Nachweise) für die Gewährung von Vergünstigungen für nicht erwerbsmäßige häusliche Pflege geschaffen hat, weil er eine Überprüfung der materiellen Voraussetzungen - insbesondere des Umfangs der tatsächlich erbrachten Pflegetätigkeit - durch den Rentenversicherungsträger selbst für nicht durchführbar hielt. Auch das ist frei von Willkür. Dass dabei die von Anfang an vollumfängliche (rückwirkende) Anrechnung einer Pflegezeit von der Beachtung einer - mit drei Monaten relativ kurz bemessenen - Antragsfrist abhängig gemacht wurde, beruht auf dem Sachgrund, dass die Feststellung des Umfangs einer nicht erwerbsmäßig im häuslichen Bereich ausgeübten Pflegetätigkeit in länger zurückliegenden Zeiträumen nicht zuletzt wegen jederzeit möglicher gesundheitlich bedingter Änderungen des Pflegebedarfs besonders schwierig ist (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II - Bd 3, § 249b SGB VI RdNr 10, Stand Februar 1996). Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, eine solche Regelung sei nicht erforderlich, weil die Folgen einer eventuellen Beweislosigkeit nach den Regeln der objektiven Beweislast ohnehin von der Pflegeperson zu tragen seien. Der Gesetzgeber handelt nicht sachwidrig, wenn er die Inanspruchnahme materieller Vergünstigungen an die Beachtung zumutbarer verfahrensrechtlicher Vorkehrungen knüpft und damit das Ziel verfolgt, den Umfang künftiger Streitigkeiten von vornherein zu begrenzen. Die Grundsätze der Beweislast kämen dagegen erst zur Anwendung, wenn alle bestehenden Möglichkeiten der Sachaufklärung von Amts wegen in gegebenenfalls für die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten kostenaufwändigen, für die Pflegeperson aber kostenfreien Verfahren (vgl § 64 Abs 1 SGB X, §§ 183, 184, 193 Abs 4 SGG)ausgeschöpft wären.

50

Der weitere Einwand, es handele sich bei dem fristgebundenen Antragserfordernis für die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege um eine systemwidrige singuläre Ausnahmeregelung, da alle anderen beitragsfreien Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ohne diese Einschränkung berücksichtigt werden könnten, trifft nicht zu. Auch die Inanspruchnahme von Kindererziehungszeiten ist in bestimmten Konstellationen gleichfalls von einem fristgebundenen Antrag abhängig. Im Falle gemeinsamer Erziehung können sie einem Elternteil durch übereinstimmende Erklärung rückwirkend nur für bis zu zwei Kalendermonate vor deren Abgabe zugeordnet werden (§ 56 Abs 2 S 5 und 6 SGB VI),wobei die Abgabe der Erklärung nach den Regeln über die Antragstellung erfolgt (§ 56 Abs 2 S 7 SGB VI). Zudem sind auch bestimmte Pflichtbeitragszeiten an einen rechtzeitigen Antrag geknüpft (Antragspflichtversicherung nicht nur vorübergehend selbstständig Tätiger gemäß § 4 Abs 2 iVm Abs 4 S 1 Nr 1 SGB VI: frühestens ab Antragstellung; Antragspflichtversicherung nicht oder ohne Krankengeldanspruch in der GKV Versicherter gemäß § 4 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm Abs 4 S 1 Nr 2 SGB VI: Rückwirkung auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit nur bei Antragstellung innerhalb von drei Monaten). Im Übrigen stellt eine Systemwidrigkeit für sich allein keinen Gleichheitsverstoß dar, da der Gesetzgeber bei Vorliegen plausibler Gründe ohne Verletzung des Art 3 Abs 1 GG von sonst verfolgten Regelungsprinzipien abweichen kann (BVerfGE 81, 156, 207 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 19; s hierzu auch Heun in Dreier, GG, Bd 1, 3. Aufl 2013, Art 3 RdNr 37; Axer, SGb 2013, 669, 675).

51

Die zwar bei den meisten rentenrechtlichen Zeiten nicht übliche, als solche aber auch nicht singuläre Verknüpfung der zum 1.1.1992 neu eingeführten Berücksichtigungszeiten wegen Pflege mit einem fristgebundenen Antragserfordernis entbehrt schließlich auch nicht deshalb einer sachlichen Rechtfertigung, weil - wie die Klägerin vorträgt - die Versicherten mit einer solchen Regelung nicht rechnen konnten. Der damit angesprochene, im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) verankerte Verfassungsgrundsatz des Vertrauensschutzes (s hierzu BVerfG vom 5.3.2013 - 1 BvR 2457/08 - Juris RdNr 32, 41) ist nicht verletzt, wenn der Gesetzgeber - wie hier - einen Lebensbereich erstmalig einer Regelung zuführt. Dann kann sich schutzwürdiges Vertrauen auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen noch nicht gebildet haben. Vielmehr ist es dem Bürger zuzumuten, sich über die konkreten Bedingungen, unter denen das Gesetz einen neuartigen Vorteil gewährt, kundig zu machen und dabei die Informationsangebote der zur Aufklärung der Bevölkerung über ihre sozialen Rechte verpflichteten Leistungsträger (vgl § 13 SGB I) zu nutzen.

52

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Beigeladenen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten, zumal sie keinen Sachantrag gestellt hat (vgl Senatsurteil vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - Juris RdNr 44 ; s auch BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts mit seiner am 2006 geborenen Tochter für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.11.2010.

2

Das beklagte Jobcenter bewilligte dem alleinstehenden Kläger mit Bescheid vom 27.4.2010 für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 30.11.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 696 Euro (359 Euro Regelleistung - jetzt Regelbedarf - plus tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 337 Euro). In der Zeit vom 20.7. bis Ende September 2010 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus, der Aushilfslohn betrug nach den Abrechnungen von August und September 2010 jeweils 31,50 Euro, nach der Abrechnung von Oktober 2010 112,10 Euro.

3

Nachdem das Sozialamt der Stadt Bielefeld zum 30.6.2010 die bisher dem Kläger erbrachten Zahlungen zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter eingestellt hatte, beantragte der Kläger am 8.7.2010 bei dem Beklagten einen "laufenden, nicht vermeidbaren, besonderen Bedarf zur Ausübung des Umgangsrechts". Das Umgangsrecht stand ihm ua auch in der streitgegenständlichen Zeit regelmäßig alle zwei Wochen samstags von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu. Er holte seine Tochter um 12.00 Uhr bei der Mutter ab und brachte sie um 17.00 Uhr wieder dorthin zurück. Für die Wegstrecke nutzte er seinen eigenen Pkw, die einfache Fahrtstrecke betrug ca 17 km.

4

Mit Bescheid ebenfalls vom 8.7.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die begehrte monatliche Zahlung unter 10 % der Regelleistung liege. Die Entfernung zum Wohnort der Tochter betrage 17 km und bei zweimaliger Hin- und Rückfahrt pro Umgangstag ergäben sich, ausgehend von einer Pauschale von 0,20 Euro je Entfernungskilometer, nur 13,60 Euro im Monat. Der Kläger sei vorrangig darauf zu verweisen, seinen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Im Übrigen sei ihm die Bestreitung der nicht übernommenen Kosten aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen zumutbar. Der dagegen gerichtete Widerspruch ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2010).

5

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Änderung der genannten Bescheide verurteilt, dem Kläger zur Ausübung des Umgangsrechts weitere 27,20 Euro monatlich zu gewähren und eine Wegstreckenentschädigung von 0,20 Euro je Kilometer nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) zugrunde gelegt (Urteil vom 23.2.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach deren Zulassung die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21.3.2013). Aus der Regelung über die Rückzahlung von Darlehen sei keine allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ableitbar. Der Kläger könne auch weder auf seinen im streitigen Zeitraum erzielten Nebenverdienst verwiesen werden, noch sei ihm wegen der Zeitdauer seines Umgangsrechts die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

6

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt die fehlerhafte Auslegung von § 21 Abs 6 SGB II durch das LSG. Der Bedarf des Klägers für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter sei nicht unabweisbar, denn bei diesem Tatbestandsmerkmal sei eine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der maßgeblichen Regelleistung zu berücksichtigen. Diese Grenze von 10 % ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, in der davon ausgegangen werde, dass von Hilfebedürftigen erwartet werden könne, dass sie diese Teile des Regelbedarfs ansparen. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass eine 10 %ige Reduzierung der Regelleistung möglich sei, was das BVerfG nicht beanstandet habe. Dem stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen, denn dieses habe speziell zu der Regelung von § 21 Abs 6 SGB II noch nicht Stellung genommen, sondern habe im Rahmen einer Entscheidung über einen Hygienemehrbedarf noch auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgestellt.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 und des Sozialgerichts Detmold vom 23. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Ausführungen des SG und des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten (§ 160 Abs 1, § 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, denn die Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war rechtswidrig.

11

1. Gegenstand des Verfahrens sind neben den Urteilen des LSG und des SG der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 27.4.2010 den zusätzlich zur Regelleistung (jetzt Regelbedarf) geltend gemachten Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts zu gewähren. Der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010 lässt zwar keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt erkennen, die Auslegung des Bescheids aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten lässt aber allein den Schluss zu, dass der Beklagte die rechtlich einzig zulässige Regelung treffen wollte, über höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte zu entscheiden, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen und keine abschließende Entscheidung für die Zukunft treffen wollte (so bereits BSG Urteile vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 14; vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 15).

12

2. Die Vorinstanzen sind insofern zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts begehrt, denn die Gewährung eines Mehrbedarfs kann nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (stRspr, siehe nur BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 13; Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14). Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Berufung gegen das Urteil des SG ist zulässig, ohne dass es auf die Beschwerdesumme ankommt (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 SGG), denn das LSG hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin die Berufung mit Beschluss vom 26.9.2012 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

13

3. Ebenfalls zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 27.4.2010 unter dem Blickwinkel des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ändern ist(vgl dazu BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 10). § 44 Abs 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist vorliegend einschlägig. Es liegt kein Fall des § 48 SGB X wegen des Wegfalls der Zahlungen des Sozialamts und der Antragstellung des Klägers beim Beklagten am 8.7.2010 vor, denn insofern handelt es sich nicht um eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen während des Bewilligungsabschnitts, vielmehr ist der Bescheid vom 27.4.2010 in der Sache von Anfang an rechtswidrig gewesen. Da es sich bei dem Mehrbedarf um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, musste dieser grundsätzlich nicht besonders beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

14

a) Der Kläger hatte bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten am 27.4.2010 für den hier streitbefangenen Leistungszeitraum einen Anspruch gegen das beklagte Jobcenter auf den geltend gemachten Mehrbedarf dem Grunde nach, nachdem das BVerfG es mit Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen hat, dass für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und bestimmter zusätzlicher Hilfen das SGB II keinen Anspruch des Hilfebedürftigen auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf vorsieht, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Da Urteile des BVerfG gemäß § 31 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) iVm § 13 Nr 8a BVerfGG bindend sind und in Gesetzeskraft erwachsen(s dazu Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 93 RdNr 65), hatte der Kläger bereits am 27.4.2010 dem Grunde nach einen Anspruch auf Mehrbedarf gegen den Beklagten. Dem stand nicht entgegen, dass der Bedarf bis dahin von einem zu diesem Zeitpunkt unzuständigen Träger, nämlich der Stadt Bielefeld als Sozialhilfeträger, gedeckt worden ist. Ebenso ohne Bedeutung ist, dass der Beklagte von dem Bedarf keine Kenntnis hatte, weil es für den Beurteilungszeitpunkt bezüglich der Frage, ob ein Verwaltungsakt wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückzunehmen ist, nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (vgl nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 10 mwN).

15

b) Die weitere Voraussetzung, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist ebenfalls gegeben. Der Kläger erfüllte nach den Feststellungen des LSG in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts. Im Übrigen ist er hilfebedürftig gewesen und hatte in der Zeit vom 1.7. bis zum 30.11.2010 einen Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro gemäß § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der seinerzeit gültigen Fassung sowie auf Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 337 Euro gemäß § 22 Abs 1 SGB II.

16

Daneben stand ihm ein Anspruch auf Leistungen für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts zu. Dass Eltern im Rahmen des Arbeitslosengelds II (Alg II) grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit von ihnen getrennt lebenden Kindern haben, ergibt sich aus dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und dem daraufhin durch Gesetz vom 27.5.2010 (BGBl I 671) geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II, bei dem der Gesetzgeber ua auch speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II vor Augen hatte(BT-Drucks 17/1465, S 9).

17

4. Nach § 21 Abs 6 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 27.5.2010 erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige (jetzt: Leistungsberechtigte) einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (dazu a.). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen (Leistungsberechtigten) gedeckt ist (dazu b.) und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (dazu c.).

18

Die genannten Tatbestandsmerkmale sind hinsichtlich der Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts erfüllt. Dem Kläger stehen zumindest Fahrtkosten in Höhe von 27,20 Euro pro Monat als Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II zu.

19

a) Es handelt sich zunächst um einen laufenden Mehrbedarf im Einzelfall, weil die Bedarfslage eine andere ist, als sie bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt. Es ist insofern ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben, anders als der Einzelfall in § 23 Abs 1 SGB II alte Fassung (aF) bzw in § 24 Abs 1 SGB II in der seit 1.1.2011 gültigen Fassung, der für alle SGB II-Empfänger gleichermaßen gilt, die einen zum Regelbedarf gehörenden Bedarf ausnahmsweise nicht decken können.

20

Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts handelt es sich ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, um einen besonderen Bedarf, weil er nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag betrifft, sondern eine spezielle Situation darstellt, weil die Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22).

21

Es handelt sich vorliegend auch um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf (dazu eingehend S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 67 und 68; zur Frage, ob der Mehrbedarf regelmäßig und in kürzeren Abständen auftreten muss, siehe auch von Boetticher/Münder in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 21 RdNr 42). Durch die regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts - hier alle zwei Wochen an einem Samstag - entsteht der besondere Bedarf laufend, wobei die Einzelfallbetrachtung mit dem Ziel abzuwägen, ob die Fahrtkosten zur Abholung des Kindes erforderlich sind oder ob sie im Hinblick auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes nicht (mehr) in Frage kommen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 73) ergibt, dass der besondere Bedarf zunächst auf unabsehbare Zeit entstehen wird, weil bei einem im streitigen Zeitraum vierjährigen Kind nicht vorhergesagt werden kann, wann es in der Lage sein wird, die Wegstrecke eigenständig zu bewältigen.

22

b) Der Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts ist vorliegend auch unabweisbar. Das Merkmal der Unabweisbarkeit wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet (§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II aF, jetzt § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II; und § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII aF, jetzt § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII), ohne dass in den genannten Vorschriften das Merkmal näher definiert wäre. In § 21 Abs 6 SGB II findet sich jedoch eine nicht abschließende Aufzählung ("insbesondere") von Voraussetzungen (Deckung des Mehrbedarfs durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten), bei deren Vorliegen die Unabweisbarkeit zu verneinen bzw zu bejahen ist.

23

aa) Die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter scheidet nach den Feststellungen des LSG vorliegend aus.

24

bb) Ebenso wenig liegen nach den Feststellungen des LSG Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger Einsparmöglichkeiten hatte. Dies gilt zunächst für Einsparmöglichkeiten im engeren Sinne des Wortes, also für den Fall, dass der Kläger an den Bedarfen selbst sparen konnte. Solche Einsparmöglichkeiten müssten ausdrücklich festgestellt werden, ein Leistungsberechtigter muss die Möglichkeiten tatsächlich haben, also zB im Besitz einer Monatskarte sein. Hypothetische Einsparmöglichkeiten reichen insoweit nicht aus. Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang auch dem Ansinnen, der Kläger könne öffentliche Verkehrsmittel nutzen, eine Absage erteilt, denn allein durch die zusätzliche Fahrzeit würde sein ohnehin nur fünf Stunden dauerndes Umgangsrecht um eine weitere Stunde verkürzt, was angesichts der verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Rechts unzumutbar ist.

25

cc) Die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen (BT-Drucks 17/1465, S 6 und 8) scheidet vorliegend aus, denn dieser Gedanke kommt nur zum Tragen bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, was aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall ist.

26

dd) Ein Verweis auf den Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen (§ 12 Abs 2 Nr 4 SGB II) kann nicht herangezogen werden, denn dieser dient nur dazu, einmalige Bedarfe abzufangen. Müsste dieser Ansparbetrag für laufende Aufwendungen abgezweigt werden, stünde er gerade als Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen nicht mehr zur Verfügung. Ebenso ist auch das Bestreiten des Bedarfs durch ein Darlehen (§ 24 Abs 1 SGB II) ausgeschlossen, denn insofern ist aufgrund der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175, 255 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 208) davon auszugehen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über die Darlehensregelung erfasst werden können, sodass dies kein denkbarer Weg ist, um die laufend auftretenden Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts abzufangen.

27

ee) Der Kläger kann auch nicht zur Deckung seiner Kosten auf sein (geringfügiges) Einkommen verwiesen werden. Ohnehin führen die einen Freibetrag übersteigenden Einkommensanteile durch Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung zu verminderten Leistungen. Die Freibeträge selbst müssen nicht für die Wahrnehmung des Umgangsrechts eingesetzt werden, weil die vollständige Anrechnung von Erwerbseinkommen auf das Alg II zur Folge hätte, dass Arbeitslosen kein finanzieller Anreiz zur Arbeitsaufnahme verbliebe, was der gesetzlichen Funktion der Freibeträge bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit zuwiderlaufen würde (vgl nur Behrend, in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 89; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 72). Dies findet seinen Niederschlag auch in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Anwendung des SGB II, in denen zu § 21 unter Ziff 6.2 Abs 5 vermerkt ist, dass für den Fall, dass Erwerbseinkommen erzielt wird, dieses auch bei der Berechnung von Leistungen für besondere laufende Bedarfe in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs 3 SGB II außer Betracht zu bleiben hat.

28

c) Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs 6 SGB II ist vorliegend ebenfalls erfüllt. Der Bedarf des Klägers zur Aufwendung der Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter weicht seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und unterfällt insofern nicht der speziellen Bagatellgrenze, die in § 21 Abs 6 SGB II selbst durch das Tatbestandsmerkmal "erheblich" festgelegt worden ist. Es handelt sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Erheblich ist nach der Systematik der Norm ein atypischer Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 28). Anknüpfungspunkt ist letztlich die genannte Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und damit die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum durch die Mehraufwendungen nicht mehr gewährleistet ist (vgl BT-Drucks 17/1465, S 8). Eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf ist vorliegend sowohl hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro zu bejahen, zumal in der letztgenannten Position die Ausgaben für Pkw nicht berücksichtigt wurden. Der Kläger musste zur Ausübung seines Umgangsrechts alle zwei Wochen je 17 km für zweimal eine Hin- und Rückfahrt zurücklegen, sodass sich eine Gesamtkilometerzahl von 136 km ergibt. Selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Cent zugrunde gelegt wird, wie sie in § 5 Abs 1 BRKG ausgewiesen ist, ergibt sich ein Betrag von zumindest 27,20 Euro pro Monat. Da auch die 20 Cent nach dem BRKG eine gegriffene Größe sind, die nicht die tatsächlichen Kosten in vollem Umfang widerspiegeln, sind die zugesprochenen 27,20 Euro pro Monat unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedenfalls nicht zu hoch gegriffen.

29

Eine Anknüpfung an § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V), wonach nur die Entfernungskilometer, also die einfache Strecke, maßgeblich sind, verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden. Die Alg II-V hat schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung, sie ist nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regelt als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden. Dass bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf neben der Alg II-V auch das BRKG herangezogen werden kann, hat das BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden (BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - SozR 4-4225 § 6 Nr 2 - "Spesen").

30

5. Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an einer - unabhängig von der Regelung des § 21 Abs 6 SGB II bestehenden - allgemein gültigen Bagatellgrenze. Eine Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vertretene allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ist nicht zu erkennen.

31

a) Zwar hat der erkennende Senat im Anschluss an eine Entscheidung des 7b-Senats (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 25)mit Urteil vom 19.8.2010 (B 14 AS 13/10 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 20) bekräftigt, dass unter dem Prüfungsgesichtspunkt der Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel im Rahmen der Ermessenserwägungen sowohl Kosten (für das Umgangsrecht) beschränkt werden können, als auch daraus gefolgert, dass zu geringe Kosten ggf einen Einsatz öffentlicher Mittel nicht mehr rechtfertigen. In dem damals zu entscheidenden Fall, in dem der Kläger zusätzliche Hygienekosten auf 20,45 Euro monatlich beziffert hatte, hat der Senat jedenfalls ein Scheitern des Klagebegehrens bereits unter dem Gesichtspunkt einer in der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen "Bagatellgrenze" nicht gesehen.

32

Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden (BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35). Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung (in dem entsprechenden Fall ging es um die Regelungen zur "Rundung") entsprechende Regelungen erlässt. Dieser Entscheidung kann als Grenze aber lediglich entnommen werden, dass jedenfalls Leistungen im Centbereich unter eine Bagatellgrenze fallen würden.

33

b) Mit einer Rundungsregelung, die maximal 49 Cent abrundet, ist aber eine Bagatellgrenze, die nach den Vorstellungen des Beklagten bei 10 % des Regelbedarfs liegen soll (vgl Durchführungshinweise der BA zu § 21 SGB II unter 6.2 Abs 3), also derzeit bei 39 Euro pro Monat, nicht vergleichbar. Eine solche Bagatellgrenze kann insbesondere nicht über die Regelung des im streitigen Zeitraum maßgeblichen § 23 Abs 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung bzw nach § 42a SGB II neue Fassung (nF) begründet werden, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden können. Die genannten Regelungen passen schon im Ansatz nicht auf die Fälle, in denen es um nicht erfüllten Mehrbedarf geht, denn bei einer Darlehensgewährung haben die Betroffenen zur Deckung von Bedarfen das Geld tatsächlich erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, und nur im Rahmen der Tilgung wird davon ausgegangen, dass in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers eine vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung (des Regelbedarfs) in Höhe von 10 % im Grundsatz nicht zu beanstanden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 150). Bei Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze würden dagegen Betroffenen Leistungen vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf haben. Im Übrigen sind die Grundsätze zur Rückzahlung von Darlehen auch deshalb nicht auf Fälle übertragbar, bei denen es um laufende, nicht nur einmalige Bedarfe geht, weil wiederkehrende Bedarfe einer darlehensweisen Gewährung grundsätzlich nicht zugänglich sind (BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 20; vgl § 24 SGB II nF; Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 24 RdNr 16). § 21 Abs 6 SGB II geht - wie aufgezeigt - bei seinen Tatbestandsmerkmalen (Einzelfall) davon aus, dass der Mehrbedarf abseits vom Regelbedarf des typischen SGB II-Empfängers entsteht, während die Darlehensregelungen Einzelfälle von Bedarfen umfassen, die im Regelbedarf enthalten sind und nur vorübergehend nicht gedeckt werden können.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist der Beginn einer Verletztenrente streitig.

2

Der Kläger erlitt am 5.10.1965 im Beitrittsgebiet einen Arbeitsunfall. Wegen der Unfallfolgen beantragte er bei der Beklagten im Oktober 2004 eine Begutachtung. Nach medizinischen Ermittlungen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 3.5.2006 einen Anspruch auf eine Stützrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 15 vH für die Zeit ab 1.10.2004 fest. Durch Widerspruchsbescheid vom 27.2.2007 bewilligte sie eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. Im Übrigen wurde der auch wegen des Rentenbeginns erhobene Widerspruch zurückgewiesen.

3

Das Sozialgericht Chemnitz (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.6.2007). Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14.1.2010). Die Verletztenrente beginne nach § 1546 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) mit dem Ersten des Antragsmonats. Wegen des vor dem 1.1.1997 eingetretenen Versicherungsfalls seien nach § 212 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) die Vorschriften der RVO anzuwenden. Die Übergangsregelung des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII sei nicht einschlägig. Eine Verletztenrente sei "erstmals festzusetzen" iS dieser Vorschrift, wenn der Versicherte die materiellen Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfülle. Das sei mit dem Inkrafttreten des bundesdeutschen Rechts im Beitrittsgebiet am 1.1.1992 der Fall gewesen. Auf den Zeitpunkt der Antragstellung und der vom Leistungsträger getroffenen Verwaltungsentscheidung über den geltend gemachten Rentenanspruch komme es nicht an. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, Versicherte mit einem nach dem 31.12.1996 gestellten Antrag besser zu stellen als Versicherte mit einer früheren Antragstellung. Auch sei nicht zu erkennen, dass der Leistungsausschluss des § 1546 Abs 1 RVO durch das Übergangsrecht des SGB VII hätte rückgängig gemacht werden sollen. Die Formulierung in der Gesetzesbegründung, dass neues Recht gelte, wenn die Leistungen nach seinem Inkrafttreten "festgesetzt werden", habe in der Gesetzesfassung keinen Ausdruck gefunden.

4

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII. Die erstmalige Festsetzung knüpfe nicht allein an das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen an. Es bedürfe zusätzlich einer Verwaltungsentscheidung über den geltend gemachten Anspruch. Dafür spreche nicht nur die Gesetzesbegründung, sondern nach der Rechtsprechung des Senats auch das in § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII enthaltene Nebeneinander von Pflicht- und Ermessensleistungen.

5

           

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 2010 und des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Juni 2007 sowie den Verwaltungsakt der Beklagten vom 3. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2007 hinsichtlich des Rentenbeginns aufzuheben und sie zu verurteilen, ihm Verletztenrente ab 1. Januar 2000 zu gewähren.

6

           

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Verwaltungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 3.5.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch auf Feststellung eines früheren Rentenbeginns steht ihm nicht zu.

9

Der hier allein streitige Rentenbeginn bestimmt sich nach den Vorschriften der RVO. Das ergibt sich aus den Übergangsregelungen der §§ 212 und 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII.

10

Eine Anspruchsgrundlage kann sich grundsätzlich nur aus dem zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Bundesrecht ergeben. Nach § 72 Abs 1 des durch Art 1 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) mit Wir-kung zum 1.1.1997 eingeführten SGB VII (Art 36 Satz 1 UVEG) wird die Verletztenrente von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr 1) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr 2). Der zeitliche Geltungsbereich dieser Vorschrift erstreckt sich aber nur auf seit ihrer Inkraftsetzung verwirklichte Tatbestände eines Versicherungsfalls. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs 2 Satz 1 und 2 Grundgesetz führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl hierzu BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 8/09 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Der am 5.10.1965 eingetretene Versicherungsfall des Arbeitsunfalls wird daher nicht vom SGB VII erfasst.

11

Die Anwendbarkeit des § 72 Abs 1 SGB VII ergibt sich nicht aus übergangsrechtlichen Regelungen. Nach der ebenfalls zum 1.1.1997 eingeführten Bestimmung des § 212 SGB VII gilt das SGB VII (nur) für Versicherungsfälle, die nach seinem Inkrafttreten am 1.1.1997 eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist. Für vor dem 1.1.1997 eingetretene Versicherungsfälle finden daher weiterhin die Vorschriften des Dritten Buches der RVO Anwendung. Eine von dieser Grundentscheidung abweichende Regelung trifft ua § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII. Danach gelten die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten erstmals festzusetzen sind. Das ist bei der dem Kläger für seinen am 5.10.1965 eingetretenen Versicherungsfall zugebilligten Verletztenrente nicht der Fall.

12

Nach dem Gesetzestext des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII kommt es darauf an, wann die darin bezeichneten Leistungen "festzusetzen" sind. "Festzusetzen" ist nach sprachlich-grammatikalischem Verständnis nur ein Leistungsanspruch, der noch nicht festgesetzt ist, aber, weil er materiell-rechtlich besteht, auf Antrag oder von Amts wegen festgestellt werden muss. Der Begriff "festzusetzen" zielt allein auf die Pflicht zu einem Verwaltungshandeln und nicht auch auf die Abgabe einer Verwaltungserklärung.

13

Der Senat hat in seinen Urteilen vom 20.2.2001 (B 2 U 1/00 R) und 19.8.2003 (B 2 U 9/03 R) ausgeführt, für die Annahme, bei der Formulierung "erstmals festzusetzen sind" komme es auf die erstmalige Entscheidung durch Verwaltungsakt an, spreche sowohl die Gesetzesbegründung zum UVEG als auch das Nebeneinander von Pflicht- und Ermessensleistungen. Demgegenüber könnte auf den Zeitpunkt abzustellen sein, zu dem die materiellen Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfüllt sind oder der Leistungsanspruch entstanden und fällig geworden ist, weil die Anwendung des neuen Rechts nicht von Zufälligkeiten der Verfahrensdauer abhängen dürfe und § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII die Wendung "neu festgesetzt wird" enthalte. Nach erneuter Überprüfung sind Leistungen zu dem Zeitpunkt "erstmals festzusetzen" iS des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII, zu dem die Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs erfüllt sind und der Versicherte daher einen Anspruch auf Feststellung des Leistungsrechts hat. Hingegen ist es unerheblich, ob und wann dieses Recht durch Verwaltungsakt festgesetzt wird (so auch BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 21/08 R - juris RdNr 22, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Hessisches LSG vom 5.2.2010 - L 3 U 198/07 - juris RdNr 26; LSG Berlin vom 8.6.2004 - L 2 U 61/02 - juris RdNr 29; LSG Rheinland-Pfalz vom 4.5.2004 - L 3 U 51/02 - juris RdNr 20; LSG Baden-Württemberg vom 23.1.2003 - L 7 U 1931/02 - juris RdNr 26; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 28.6.2000 - L 5 U 144/99 - E-LSG U-137 S 3; Kater in: Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII, § 214 RdNr 9; Schmitt, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII, 4. Aufl 2009, § 214 RdNr 11; Graeff in: Hauck/Noftz, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII, K § 214 RdNr 7; Krasney in: Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII, Band 3, § 214 RdNr 7; Dahm in: Lauterbach, Unfallversicherung SGB VII, Band 4, 4. Aufl , § 214 RdNr 11; Harks in: jurisPK-SGB VII, § 214 RdNr 17; Kunze in: SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl 2007, § 214 RdNr 6; aA LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.3.2002 - L 17 U 105/01 - juris RdNr 17).

14

Dieser Auslegung des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII stehen die Gesetzesmaterialien nicht entgegen. Im Entwurf der Bundesregierung zum UVEG wird zwar ausgeführt, dass die Neuregelungen über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen für alte Versicherungsfälle dann gelten, wenn die Leistungen erst nach dem Inkrafttreten dieser Vorschriften "festgesetzt werden", weil andernfalls abgeschlossene Sachverhalte erneut überprüft werden müssten (BT-Drucks 13/2204 S 121 zu § 219 Abs 3). Diese Formulierung ist aber - anders als bei § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII - nicht in den Gesetzestext des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII übernommen worden. Nach der Übergangsregelung des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII gelten die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst (JAV) auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn der JAV nach dem Inkrafttreten erstmals oder auf Grund des § 90 SGB VII neu "festgesetzt wird". Es kann offenbleiben, ob unter erstmaliger Festsetzung des JAV der Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung über den JAV gemeint oder der Zeitpunkt maßgebend ist, zu dem der JAV festzusetzen ist (vgl hierzu BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 28/01 R - SozR 3-2700 § 214 Nr 2 S 4). Selbst wenn auf die Verwaltungsentscheidung abzustellen wäre, hätte es nahe gelegen, auch in § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII die entsprechende Wendung "festgesetzt werden" zu gebrauchen. Ein gesetzgeberischer Wille, bei der Wendung "erstmals festzusetzen" nicht nur an das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, sondern auch einer Verwaltungsentscheidung anzuknüpfen, kommt im Wortlaut dieser Vorschrift nicht zum Ausdruck.

15

Unabhängig davon können die Gesetzesmaterialien nicht nur dahin verstanden werden, dass auf die tatsächliche Festsetzung der Leistung abgestellt werden soll. Sie stützen vielmehr das hier gefundene Ergebnis. Mit der Übergangsregelung des § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII soll erreicht werden, dass es bei der Anwendbarkeit des Rechts der RVO verbleibt, wenn vor der Einführung des SGB VII nicht nur ein Versicherungsfall eingetreten, sondern auch ein Leistungsrecht entstanden war. Das Recht der RVO soll hingegen in den Fällen durch das Recht des SGB VII verdrängt werden, in denen trotz eines vor dem 1.1.1997 eingetretenen Versicherungsfalls ein daraus resultierender Leistungsanspruch erst unter der Geltung des neuen Rechts entsteht. Die aufgrund eines solchen Anspruchs zu erbringenden Leistungen werden damit erst nach dem Inkrafttreten des SGB VII "festgesetzt".

16

Die Anknüpfung an den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen für die Feststellung des jeweiligen Leistungsrechts erfüllt sind, vermeidet nicht nur, dass die Heranziehung alten oder neuen Rechts von der Dauer des Verwaltungsverfahrens und damit von Zufälligkeiten abhängt. Sie verhindert auch eine Besserstellung derjenigen Versicherten, die den Versicherungsfall erst nach dem 31.12.1996 dem Unfallversicherungsträger anzeigen. Wird die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt, beginnt die Leistung nach § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO mit dem Ersten des Antragsmonats, wenn der Anspruch nicht spätestens zwei Jahre nach dem Unfall bei dem Versicherungsträger angemeldet worden und die verspätete Anmeldung nicht durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Antragstellers liegen. Demgegenüber legt § 72 Abs 1 Nr 2 SGB VII den Beginn der Verletztenrente auf den ersten Tag nach Eintritt des Versicherungsfalls fest, sofern kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist. Infolgedessen wären Versicherte mit einem bis zum Inkrafttreten des SGB VII festgestellten Leistungsrecht nach Ablauf der zweijährigen Anmeldefrist von einer rückwirkenden Leistungsgewährung ausgeschlossen, während Versicherten mit einer späteren Anmeldung des Leistungsanspruchs die Vorschrift des § 72 Abs 1 Nr 2 SGB VII zu Gute käme. Dass der Gesetzgeber eine Begünstigung der den Versicherungsfall später anzeigenden Versicherten gewollt hätte, hat er unabhängig davon, ob diese sachlich zu rechtfertigen wäre, weder im Gesetzestext noch in den Gesetzesmaterialien deutlich gemacht.

17

Eine andere Beurteilung ist ferner nicht deshalb angezeigt, weil in § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII sowohl Pflichtleistungen (ua Renten nach den §§ 56 und 63 Abs 1 Nr 3 SGB VII, Beihilfen nach § 71 Abs 1 und 3 SGB VII sowie Abfindungen bei Wiederheirat nach § 80 SGB VII) als auch Ermessensleistungen (Beihilfen nach § 71 Abs 4 SGB VII, Abfindungen nach den §§ 75, 76 und 78 SGB VII sowie in der Regel Mehrleistungen nach § 94 SGB VII) genannt sind und aus dem Wortlaut oder den Gesetzesmaterialien nicht zu erkennen ist, dass beide Anspruchsarten bei der Bestimmung des maßgebenden Rechts unterschiedlich zu behandeln wären(vgl BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 1/00 R - Juris RdNr 19). Der Rechtsanspruch auf Pflichtleistungen entsteht bereits mit der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (§ 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Bei Ermessensleistungen ist hingegen der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung über die Leistung bekannt gegeben wird, es sei denn, dass in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist (§ 40 Abs 2 SGB I). Gleichwohl führt § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII nicht zu einer abweichenden Behandlung von Pflicht- und Ermessensleistungen. Die Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts hängt lediglich davon ab, wann die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs erfüllt waren. Das gilt auch für Ermessensleistungen, bei denen regelmäßig nur ein Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens eingeräumt ist (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I). Er entsteht in dem Zeitpunkt, zu dem die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Dass bei den Ansprüchen auf fehlerfreien Ermessensgebrauch für die Entstehung des konkreten Leistungsanspruchs zusätzlich die Bekanntgabe der diesen gewährenden Verwaltungsentscheidung erforderlich ist, berührt die Anwendbarkeit des alten oder neuen Rechts nicht. Auch bei einem erst unter der Geltung des SGB VII entstandenen Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung sind die in § 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII bezeichneten Ermessensleistungen erstmals nach dem Inkrafttreten des SGB VII festzusetzen.

18

Wegen der seit 1966 unverändert gebliebenen Unfallfolgen steht dem Kläger ein Anspruch auf Verletztenrente zu. Dieser ist bereits am 1.1.1992 mit dem Inkrafttreten der ihn regelnden Vorschriften der RVO im Beitrittsgebiet entstanden. Die Verletztenrente ist daher nach § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO ab dem Ersten des Antragsmonats Oktober 2004 zu zahlen, denn der Kläger hat den Anspruch nicht spätestens zwei Jahre nach dem Unfall angemeldet und war an einer rechtzeitigen Anmeldung nicht durch außerhalb seines Willens liegende Verhältnisse gehindert.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit der Kläger die Feststellung des Zustandes nach Innenmeniskushinterhornresektion als Unfallfolge begehrt.

Im Übrigen wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten (nur noch) darüber, ob weitere Gesundheitsstörungen - ein Zustand nach Innenmeniskushinterhornresektion rechts, sowie ein Zustand nach Thrombose der Vena saphena parva rechts mit operativer Entfernung dieser Vene und eine Venenklappeninsuffizienz der mittleren Cockett'schen Vena perforans rechts - als Unfallfolgen eines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 10.9.2003 festzustellen sind.

2

Der Kläger leitete am 10.9.2003 eine Tauchgruppe auf der Insel G. Er betrat mit voller Tauchausrüstung nebst Kamera mit einem Gesamtgewicht von ca 40 bis 60 kg das Wasser. Als dieses mehr als knie-, aber noch nicht hüfttief war, trat er auf einen Stein und knickte um. Eine Rotations-Streckbewegung des rechten Knies erfolgte dabei nicht.

3

Der Durchgangsarzt Dr. K. führte am 13.9.2003 eine durchgangsärztliche Untersuchung durch und diagnostizierte eine Distorsion des rechten Knies (Durchgangsarztbericht vom 16.9.2003). Nach einer weiteren Untersuchung vom 23.9.2003 äußerte Dr. K. den Verdacht auf Innenmeniskusläsion. Es bestehe die Indikation zur Arthroskopie; Aufnahme und Operation wurden für den folgenden Tag vereinbart. Am 24.9.2003 wurde die Arthroskopie durchgeführt, "unter" der Diagnose einer degenerativen Innenmeniskusläsion. Intraoperativ hatte sich keine frische Läsion gefunden. Es lag ein isolierter Lappenriss des Innenmeniskus vor, also ohne Verletzungen der Kniebänder. Es wurde eine Innenmeniskushinterhornresektion durchgeführt. Im Operationsbericht vom 24.9.2003 heißt es, das Hinterhorn selbst habe aufgefaserte Strukturen gezeigt, sodass die klinische Diagnose bestätigt sei.

4

In der Folgezeit trat beim Kläger im rechten Bein eine Teilthrombosierung der Vena saphena parva bei Stammvarikosis mit Insuffizienz der mittleren Cockett'schen Vena perforans auf. Am 15.10.2003 erfolgte deshalb eine Operation. Hierbei wurden gleichzeitig radikuläre Varizen am linken Unterschenkel operativ entfernt. Am 10.11.2003 wurde der Kläger wegen akuter linksthorakaler Schmerzen und Dyspnoe stationär behandelt, dabei wurde ua eine Lungenembolie bei Oberschenkelthrombose links diagnostiziert.

5

Die Beklagte stellte im Bescheid vom 1.12.2004 als Folgen des Versicherungsfalls des Klägers vom 10.9.2003 eine "folgenlos ausgeheilte Kniedistorsion rechts mit Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit für den Zeitraum 13. bis 27.9.2003" fest. Einen Anspruch auf Rente lehnte sie mangels einer MdE von mindestens 20 vH ebenso ab wie die Anerkennung weiterer Unfallfolgen. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 10.3.2005 zurück, in dem sie den Gesundheitserstschaden als banale Distorsion des rechten Knies bezeichnete.

6

Das SG hat die Klagen mit Urteil vom 6.10.2006 abgewiesen, weil keinerlei Unfallfolgen mehr festzustellen seien. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 15.6.2010 zurückgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen seien keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 10.9.2003. Hinsichtlich des Zustands nach Innenmeniskushinterhornresektion fehle es bereits an der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis. Das Unfallereignis ohne entsprechende Rotations-Streckbewegung mit Einklemmmechanismus des Meniskus sei nicht geeignet gewesen, einen isolierten Lappenriss des Innenmeniskus zu verursachen. Dieses Ereignis habe nur zu einer folgenlos ausheilenden Distorsion des Kniegelenks führen können. Auch der Zustand nach Unterschenkelvenen-Thrombose rechts im Bereich der Vena saphena parva mit operativer Entfernung des thrombotischen Gefäßes und einer Perforansvenenklappeninsuffizienz sei keine (mittelbare) Folge des Arbeitsunfalls vom 10.9.2003. Dabei hat das LSG offen gelassen, ob diese Gesundheitsstörungen Folgen der arthroskopischen Operation des rechten Kniegelenks sind. Es handele sich nicht um "mittelbare Unfallfolgen" iS von § 8 SGB VII bzw § 11 SGB VII, denn sie seien nicht bei Erkennung oder Behandlung von Folgen des Versicherungsfalls eingetreten. Auf die subjektive Sicht des Klägers, die Arthroskopie am rechten Kniegelenk sei wegen dort bestehender Unfallfolgen erforderlich gewesen, komme es entgegen dem BSG-Urteil vom 24.6.1981 (2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 60 = SozR 2200 § 555 Nr 5) nicht an. Ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe mangels einer unfallbedingten MdE von mindestens 20 vH nicht.

7

Der Kläger rügt - nach Beschränkung seines Antrags - mit seiner Revision nur noch, dass das LSG von dem Urteil des BSG vom 24.6.1981 (2 RU 87/80, aaO) abgewichen sei und deshalb das Vorliegen von Unfallfolgen zu Unrecht verneint habe. Bereits die irrtümliche Annahme, die Arthroskopie sei wegen der Unfallfolgen durchgeführt worden, sei dafür ausreichend, eine mittelbare Unfallfolge zu bejahen.

8

           

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Hessischen LSG vom 15. Juni 2010 und das Urteil des SG Gießen vom 6. Oktober 2006 und die Ablehnung von Unfallfolgen im Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihm einen Zustand nach Innenmeniskushinterhornresektion rechts, einen Zustand nach Thrombose der Vena saphena parva rechts mit operativer Entfernung der Vena saphena parva rechts und eine Venenklappeninsuffizienz der mittleren Cockett'schen Vena perforans rechts als Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. September 2003 festzustellen.

9

           

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers, mit der er ein Recht auf Verletztenrente nicht mehr verfolgt hat, ist unbegründet, soweit er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Zustands nach Innenmeniskushinterhornresektion als Unfallfolge begehrt. Dieser Zustand ist keine Unfallfolge (im engeren oder im weiteren Sinn) des anerkannten Arbeitsunfalls vom 10.9.2003 (hierzu unter 2.). Soweit er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Zustands nach Thrombose der Vena saphena parva rechts mit operativer Entfernung der Vena saphena parva rechts und eine Venenklappeninsuffizienz der mittleren Cockett'schen Vena perforans rechts als Folgen des Arbeitsunfalls vom 10.9.2003 begehrt, ist seine Revision im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zwar sind diese Gesundheitsbeeinträchtigungen keine (sog unmittelbaren) Unfallfolgen im engeren Sinn, da sie nicht spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls, die Kniegelenksdistorsion rechts, verursacht wurden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist es dem Senat jedoch nicht möglich, abschließend darüber zu befinden, ob sie aufgrund der besonderen Zurechnungsnorm des § 11 SGB VII als (sog mittelbare) Unfallfolgen im weiteren Sinn festzustellen sind (im Einzelnen unter 3.).

11

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG war zulässig, ebenso die von ihm erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen.

12

Diese sind gemäß § 54 Abs 1 SGG statthaft. Denn der Verletzte kann seinen Anspruch auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGG, § 55 Abs 1 Nr 3 SGG geltend machen. Er kann wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (vgl zur Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr 9; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 29/07 R - Juris RdNr 14; aA BSG vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 12 - Juris RdNr 13 zur Auslegung eines Antrags auf Verurteilung zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls als Feststellungsklage; vgl zur Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage für die Feststellung von Unfallfolgen Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 15c, 51. Lfg, V/2011; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 20b).

13

Die Sachentscheidungsvoraussetzungen dieser Klagearten liegen vor. Insbesondere ist der Kläger auch klagebefugt (formell beschwert) iS des § 54 Abs 2 Satz 1 SGG, weil er möglicherweise in seinem Anspruch auf Erlass von Verwaltungsakten, die Unfallfolgen feststellen sollen, verletzt ist.

14

Die Rechtsordnung sieht die vom Kläger als verletzt geltend gemachten Rechte vor, nämlich Rechtsansprüche gegen den Unfallversicherungsträger auf Feststellungen von Unfallfolgen eines Arbeitsunfalls (und ggf einer Berufskrankheit; vgl Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 15b, 51. Lfg, V/2011). Grundsätzlich kann ein Versicherter vom Träger den Erlass feststellender Verwaltungsakte über das Vorliegen eines Versicherungsfalls und ggf der diesem zuzurechnenden Unfallfolgen beanspruchen. Hierzu ist der Unfallversicherungsträger auch iS von § 31 SGB I hinreichend ermächtigt. Feststellbare Unfallfolgen sind solche Gesundheitsschäden, deren wesentliche (Teil-) Ursache der Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls war oder die einem (uU nur behaupteten) Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen sind (dazu im Folgenden).

15

Anspruchsgrundlage für einen solchen Feststellungsanspruch eines Versicherten und Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des feststellenden Verwaltungsakts für den Unfallversicherungsträger ist § 102 SGB VII. Nach dieser Vorschrift wird in den Fällen des § 36a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB IV "die Entscheidung über einen Anspruch auf Leistung" schriftlich erlassen. Sie stellt nicht nur das Schriftformerfordernis für die in § 36a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB IV genannten Arten von Entscheidungen auf. Sie enthält zudem ausdrücklich die Erklärung, dass der Unfallversicherungsträger über einen Anspruch auf Leistung selbst "entscheiden" darf. Die Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über das Bestehen/Nichtbestehen oder über Inhalt und Umfang eines Sozialleistungsanspruchs aus dem SGB VII ist aber stets eine hoheitliche (= öffentlich-rechtliche) Maßnahme zur Regelung (dh gemäß § 31 SGB I: auch zur Feststellung eines Rechts) eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (hier: Leistungsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung) mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (hier: gegenüber einem Versicherten).

16

Diese Ermächtigungsnorm ist zugleich Anspruchsgrundlage für den Versicherten. Zwar ist § 38 SGB I nicht anwendbar, der speziell materiell-rechtliche Ansprüche auf Sozialleistungen, nicht Ansprüche auf den Erlass von Verwaltungsakten betrifft. § 102 SGB VII begründet aber einen solchen öffentlich-rechtlichen Anspruch, weil er nicht nur dem öffentlichen Interesse dienen soll, sondern auch dem Interesse eines aus der Norm abgrenzbaren Kreises Privater; diesen Begünstigten verleiht er zudem die Rechtsmacht, vom Hoheitsträger die Befolgung seiner öffentlich-rechtlichen Pflicht rechtlich verlangen zu können (zu diesen Voraussetzungen eines subjektiv-öffentlichen Rechts BVerfGE 27, 297, 307 unter Bezugnahme auf Ottmar Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, 42 ff, 224; BSGE 97, 63, 70 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1; BVerwGE 107, 215, 220 mwN). § 102 SGB VII soll als den Verwaltungsträger verpflichtende Befugnis auch den Interessen der durch einen Unfall gesundheitsbeschädigten Versicherten an einer raschen und rechtsverbindlichen Klärung dienen. Der Versicherte kann auch Klärung verlangen, ob ein Versicherungsfall vorliegt, welcher Träger dafür verbandszuständig ist (Aufgabenkreis des Trägers) und welche Gesundheitsschäden dem Versicherungsfall zuzurechnen sind.

17

Ermächtigung und Anspruchsgrundlage erfassen aber nicht nur die abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch, sondern ausnahmsweise auch die einzelner Anspruchselemente. Nach der Systematik des SGB VII sind in den Vorschriften, welche die Voraussetzungen der verschiedenen sozialen Rechte auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung regeln, nur die spezifischen Voraussetzungen der jeweiligen einzelnen Arten von Leistungsrechten ausgestaltet. Demgegenüber sind die allgemeinen Rechtsvoraussetzungen, die für alle Leistungsrechte des SGB VII gleichermaßen gelten, nämlich die Regelungen über den Versicherungsfall und die ihm zuzurechnenden Unfallfolgen (§§ 7 bis 13 iVm §§ 2 bis 6 SGB VII), vorab und einheitlich ausgestaltet. Ermächtigung und Anspruch betreffen daher auch die Entscheidung über jene Elemente des Anspruchs, die Grundlagen für jede aktuelle oder spätere Anspruchsentstehung gegen denselben Unfallversicherungsträger aufgrund eines bestimmten Versicherungsfalls sind.

18

Hierzu gehört zuerst der Versicherungsfall. Durch ihn wird ein Gesundheitserstschaden (eine Gesundheitsbeeinträchtigung) einer bestimmten versicherten Tätigkeit und dadurch zum einen dem Versicherten zugerechnet, der (nur) unfallversichert ist, wenn und solange er eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Zum anderen wird der Gesundheitserstschaden einem bestimmten Unfallversicherungsträger zugerechnet, dessen Verbandszuständigkeit für diesen Versicherungsfall und alle gegenwärtig und zukünftig aus ihm entstehenden Rechte dadurch begründet wird. Es entsteht also mit der Erfüllung des Tatbestandes eines Versicherungsfalls ein als Rechtsverhältnis feststellbares Leistungsrechtsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Träger als Inbegriff aller aus dem Versicherungsfall entstandenen und möglicherweise noch entstehenden Ansprüche (vgl hierzu auch Spellbrink in Schulin , Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 24, S 441 ff).

19

Zweitens gehören zu den abstrakt feststellbaren Anspruchselementen die (sog unmittelbaren) Unfallfolgen im engeren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die wesentlich (und deshalb zurechenbar) spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden. Drittens zählen hierzu auch die (sog mittelbaren) Unfallfolgen im weiteren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die nicht wesentlich durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden, aber diesem oder einem (behaupteten) Unfallereignis aufgrund einer besonderen gesetzlichen Zurechnungsnorm zuzurechnen sind.

20

Der Feststellung, ob und welche Gesundheitsstörungen Folgen eines Versicherungsfalls sind, kommt eine über den einzelnen Leistungsanspruch hinausgehende rechtliche Bedeutung für den Träger und den Versicherten zu. Denn trotz unterschiedlicher Tatbestandsvoraussetzungen im Übrigen setzen, wie bereits ausgeführt, alle Leistungsansprüche nach den §§ 26 ff SGB VII als gemeinsame Tatbestandsmerkmale einen Versicherungsfall(iS der §§ 7 bis 13 SGB VII) und durch ihn verursachte Gesundheitsschäden - bis hin zum Tod des Verletzten - voraus und begründen dafür die Verbandszuständigkeit nur eines bestimmten Trägers der Unfallversicherung.

21

Zugleich werden ggf die Grundlagen und Grenzen eines Haftungsausschlusses nach §§ 104 ff SGB VII festgelegt. Ist der Unfallverletzte (wie im Regelfall) in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, bedarf es auch deshalb einer raschen verbindlichen Klärung des Vorliegens eines Versicherungsfalls und seiner Folgen, weil nach § 11 Abs 5 SGB V ein Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen ausgeschlossen ist, wenn der Leistungsbedarf im Wesentlichen durch eine Unfallfolge (oder eine Berufskrankheitsfolge) verursacht wird.

22

Zudem eröffnet § 55 Abs 1 Nr 3 SGG eine Feststellungsklage, wenn die gerichtliche Feststellung begehrt wird, dass eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist. Zwar kann von der prozessrechtlichen Möglichkeit einer solchen Klage auf gerichtliche Feststellung einer Unfallfolge nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass im materiellen Recht eine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Versicherten gegen seinen Unfallversicherungsträger auf behördliche Feststellung einer Unfallfolge existiert. Diese besondere Rechtsschutzform weist aber (wie § 55 Abs 1 Nr 1 SGG für die Feststellung eines Versicherungsfalls) darauf hin, dass der Bundesgesetzgeber ein schutzwürdiges Interesse der Versicherten an einer solchen Feststellung anerkennt.

23

Der Tatbestand der Ermächtigungs- und Anspruchsgrundlage des § 102 SGB VII, auf die der Kläger sich somit grundsätzlich berufen kann, setzt voraus, dass der Versicherte einen Versicherungsfall und, soweit die Feststellung von Unfallfolgen begehrt wird, weitere Gesundheitsschäden erlitten hat, die im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einem (uU nur behaupteten) Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen sind.

24

In einem solchen in der Rechtsordnung vorgesehenen und ihm möglicherweise zustehenden Recht ist der Kläger durch die seine Feststellungsansprüche ablehnenden Entscheidungen der Beklagten möglicherweise verletzt, weil es nach seinem Vorbringen nicht ohne Sachprüfung ausgeschlossen ist, dass die bei ihm vorliegenden Gesundheitsschäden Unfallfolgen sind.

25

Das Revisionsgericht hat somit, wie schon die Vorinstanzen, die Befugnis, über die mit der Revision weiter verfolgten Feststellungsansprüche gegen die Beklagte in der Sache zu entscheiden.

26

2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung des Zustands nach Innenmeniskushinterhornresektion als Unfallfolge. Denn dieser Zustand ist weder eine (sog unmittelbare) Unfallfolge im engeren Sinne (sogleich unter a), noch eine (sog mittelbare) Unfallfolge im weiteren Sinne, hier aufgrund der besonderen Zurechnungsnorm des § 11 SGB VII (hierzu unter b).

27

a) Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge (im engeren Sinne) eines Versicherungsfalls iS des § 8 SGB VII, wenn sie spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des (hier anerkannten) Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das "objektive", dh aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters gegebene Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Da der Gesundheitserstschaden (Gesundheitsbeeinträchtigung, Tod oder Krankheit) eine den Versicherungsfall selbst begründende Tatbestandsvoraussetzung und damit keine Folge des Arbeitsunfalls (der Berufskrankheit) ist, muss er grundsätzlich bei der Feststellung des Versicherungsfalls benannt werden. Die Beklagte hat den Erstschaden hier jedenfalls im Widerspruchsbescheid noch hinreichend als banale Distorsion des rechten Kniegelenks bestimmt.

28

Ob ein Gesundheitsschaden (hier: der Zustand nach Innenmeniskushinterhornresektion rechts) dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls (hier: der Kniegelenksdistorsion rechts) als Unfallfolge im engeren Sinn zuzurechnen ist (sog haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris RdNr 12; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten.

29

Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen (und kein Ereignis ist monokausal), die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden.

30

Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. "Wesentlich" (zurechnungsbegründend) ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung des Senats gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl nur BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 RdNr 15 ff mwN). Darauf ist hier nicht weiter einzugehen, da die Kniegelenksdistorsion rechts schon keine notwendige Bedingung des Zustandes nach Innenmeniskushinterhornresektion rechts war.

31

Es fehlt bereits an einem Kausalzusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne zwischen dem bindend anerkannten Erstschaden des Klägers, der Distorsion des Kniegelenks rechts, und dem Innenmeniskusschaden. Der Innenmeniskusschaden selbst war nicht als Gesundheitserstschaden oder als Unfallfolge im engeren Sinne anerkannt worden. Das Unfallereignis vom 10.9.2003, ein Umknicken ohne Rotations-Streckbewegung mit Einklemmmechanismus des Meniskus, war keine Ursache für den Meniskusschaden im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne. Denn nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war das Unfallereignis vom 10.9.2003 keine notwendige Bedingung für den Lappenriss des Innenmeniskushinterhorns des Klägers. Dem zu Grunde lag der vom LSG hinreichend klar festgestellte medizinische Erfahrungssatz, dass ein Umknicken ohne Rotations-Streckbewegung mit Einklemmmechanismus des Meniskus bei einem intakten Meniskus keinen isolierten Lappenriss des Innenmeniskus verursachen kann. Da nicht gerügt und nicht ersichtlich ist, dass das LSG diesen medizinischen Erfahrungssatz nach Verfahren und Inhalt falsch festgestellt hat, besteht kein Rechtsgrund für das Revisionsgericht, das Bestehen und den Inhalt dieses Erfahrungssatzes ohne eine zulässig erhobene Verfahrensrüge selbst von Amts wegen zu prüfen (vgl hierzu auch BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - Juris RdNr 14 f).

32

b) Der Zustand nach Innenmeniskushinterhornresektion ist auch nicht aufgrund der besonderen Zurechnungsnorm des § 11 SGB VII dem anerkannten Arbeitsunfall vom 10.9.2003 als (sog mittelbare) Unfallfolge im weiteren Sinn zuzurechnen.

33

Nach § 11 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalles auch solche Gesundheitsschäden (oder der Tod) eines Versicherten, die ua durch die Durchführung einer Heilbehandlung oder durch eine Untersuchung wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurde. Durch diese Vorschrift werden Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht wurden, dem Versicherungsfall "auch" dann zugerechnet, wenn sie nicht spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls wesentlich verursacht wurden (vgl Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 1, 46. Lfg, III/10; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV, § 11 RdNr 3, 33. Lfg, April 2007). Anders als § 555 Abs 1 RVO setzt § 11 Abs 1 SGB VII nicht mehr voraus, dass bei der Heilbehandlungsmaßnahme etc ein "Unfall" vorliegt, sodass auch Gesundheitsstörungen ohne neues Unfallereignis erfasst werden(vgl nur Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII-Kommentar, § 11 RdNr 9; Stand August 2001). § 11 SGB VII stellt eine spezielle Zurechnungsnorm dar, die Gesundheitsschäden auch dann einem anerkannten Versicherungsfall zurechnet, wenn sie etwa durch die Durchführung einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder durch eine Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts wesentlich verursacht wurden. Aber auch diese gesetzliche Zurechnung, die an die Stelle einer fehlenden Zurechnung kraft Wesentlichkeit tritt, setzt voraus, dass die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes des § 11 SGB VII durch das (behauptete oder anerkannte) Unfallereignis notwendig bedingt war.

34

Diese Voraussetzungen sind beim Zustand nach Innenmeniskushinterhornresektion nicht erfüllt. Denn er war - wie ausgeführt - nicht notwendig bedingt durch den Gesundheitserstschaden, der durch das Unfallereignis verursacht worden war. Er ist zudem nicht durch eine Heilbehandlung iS von § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII und nicht durch eine zur Aufklärung des Sachverhalts angeordnete Untersuchung iS des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII verursacht worden. Denn dieser Zustand ergab sich nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG aus der Operation eines nicht unfallbedingten, sondern degenerativen Gesundheitsschadens, der schon vor der Operation bestand.

35

3. Soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Feststellung des Zustands nach Thrombose der Vena saphena parva rechts mit deren operativer Entfernung und die Perforansvenenklappeninsuffizienz rechts als Unfallfolgen begehrt, ist die Revision im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

36

a) Zwar sind die vom Kläger geltend gemachten weiteren Erkrankungen keine Unfallfolgen im engeren Sinne, da sie nicht durch den Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls, die Kniegelenksdistorsion rechts, verursacht wurden. Denn diese war nach den Feststellungen des LSG schon keine notwendige Bedingung der degenerativen Innenmeniskushinterhornschädigung, durch deren Behandlung sie denkbarerweise vielleicht verursacht wurden. Unfallfolge im engeren Sinne kann aber nur ein Gesundheitsschaden sein, für den der Gesundheitserstschaden notwendige (und auf der zweiten Stufe dann auch wesentliche) Bedingung war.

37

Der Senat kann aber mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht abschließend darüber befinden, ob diese Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund der besonderen Zurechnungsnorm des § 11 SGB VII als (sog mittelbare) Unfallfolgen im weiteren Sinn dem anerkannten Arbeitsunfall vom 10.9.2003 zuzurechnen und festzustellen sind. Wären diese Gesundheitsschäden wesentlich durch die Erfüllung eines der Tatbestände des § 11 SGB VII verursacht und wären diese ihrerseits (nur) notwendig durch das Unfallereignis, das Umknicken am 10.9.2003, bedingt, so würden sie kraft Gesetzes dem anerkannten Versicherungsfall zugerechnet.

38

Nach den bisherigen Feststellungen des LSG kommen nur die Zurechnungstatbestände (aa) der Durchführung einer zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordneten Untersuchung (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII) oder (bb) die Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) in Betracht. Bei beiden Zurechnungstatbeständen kommt es nicht zwingend darauf an, ob ein Versicherungsfall "objektiv" vorlag oder ein Heilbehandlungsanspruch "wirklich" nach materiellem Recht bestand (hierzu unter cc).

39

aa) Die Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls iS des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII umfasst sinngemäß auch die Aufklärung von Unfallfolgen im engeren Sinn. Dieser Zurechnungstatbestand setzt ausdrücklich nicht voraus, dass überhaupt ein Versicherungsfall objektiv vorliegt. Die Zurechnung erfolgt allein aufgrund der grundsätzlich pflichtigen Teilnahme des Versicherten an einer vom Träger zur Sachverhaltsaufklärung angeordneten (nicht notwendig ärztlichen) Untersuchung. Die durch die Teilnahme wesentlich verursachten Gesundheitsschäden werden letztlich dem Versicherungsträger zugerechnet, der für die Aufklärung des behaupteten Unfallhergangs und zur Entscheidung über das Vorliegen/Nichtvorliegen eines Versicherungsfalls und von Unfallfolgen verbandszuständig ist (vgl hierzu noch im Einzelnen unter 3. b, bb). Es kommt also grundsätzlich nur darauf an, ob eine solche Untersuchung gegenüber dem Versicherten angeordnet wurde und er an ihr teilgenommen sowie wesentlich dadurch Gesundheitsschäden erlitten hat.

40

bb) Die Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII liegt vor, wenn der Träger dem Versicherten einen Anspruch auf eine bestimmte Heilbehandlungsmaßnahme nach den §§ 26 ff SGB VII (nicht notwendig durch Verwaltungsakt in Schriftform) bewilligt oder ihn durch seine Organe oder Leistungserbringer zur Teilnahme an einer solchen (diagnostischen oder therapeutischen) Maßnahme aufgefordert hat und der Versicherte an der Maßnahme des Trägers gemäß den Anordnungen der Ärzte und ihres Hilfspersonals teilnimmt. Auch hier beruht die gesetzliche Zurechnung auf der grundsätzlich pflichtigen Teilnahme des Versicherten an einer vom Unfallversicherungsträger (oder diesem zurechenbar) bewilligten oder angesetzten Maßnahme. Insbesondere kommt es rechtlich nicht darauf an, ob die Bewilligung oder Ansetzung der Heilbehandlungsmaßnahme durch den Träger objektiv rechtmäßig war oder ob objektiv ein Anspruch auf (ermessensfehlerfreie Entscheidung <§ 26 Abs 5 Satz 1 SGB VII> über die Bewilligung eines Anspruchs auf diese) Heilbehandlung bestand.

41

Auch insoweit dient die Vorschrift gerade dazu, im Ergebnis die Gleichbehandlung zwischen den Kranken- und Rentenversicherten, die durch ihre Teilnahme an Behandlungen und medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 15a SGB VII sogar eine unfallversicherte Tätigkeit verrichten, und den Unfallversicherten herzustellen, die auf Veranlassung des Unfallversicherungsträgers an unfallversicherungsrechtlichen Sachverhaltsaufklärungs- oder Heilbehandlungsmaßnahmen teilnehmen. Allerdings bestimmt die Zurechnungsvorschrift nicht, dass die Teilnahme an solchen und anderen in § 11 SGB VII genannten Maßnahmen gleichfalls eine versicherte Tätigkeit ist oder ihr gleichsteht. Schon deshalb handelt es sich bei den Fällen des § 11 SGB VII nicht um sog kleine Versicherungsfälle, obwohl die Struktur dieser Zurechnung ihnen ähnlich ist, da sie nicht notwendig einen "ersten" Versicherungsfall voraussetzt.

42

cc) Bei den besonderen Zurechnungstatbeständen kommt es also, entgegen dem LSG, nicht notwendig darauf an, dass objektiv, dh aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters, die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls oder einer Unfallfolge im engeren Sinne wirklich vorlagen. Erforderlich ist nur, dass der Träger die Maßnahmen gegenüber dem Versicherten in der Annahme des Vorliegens oder der Aufklärungsbedürftigkeit des Sachverhalts eines Versicherungsfalls oder einer Unfallfolge im engeren Sinne veranlasst hat. In diesem Sinne muss nur das angenommene, behauptete oder gegebene Unfallereignis (bei einer Berufskrankheit: die Einwirkung) notwendige Bedingung der Durchführung der Untersuchungs- oder der Heilbehandlungsmaßnahme gewesen sein.

43

Für die Frage, ob eine derartige Durchführung einer gegenüber dem Versicherten angeordneten Maßnahme vorliegt, an der er grundsätzlich pflichtig teilnehmen muss, kommt es entscheidend darauf an, ob der Träger (durch seine Organe) oder seine Leistungserbringer dem Versicherten den Eindruck vermittelt haben, es solle eine solche Maßnahme des Unfallversicherungsträgers durchgeführt werden, an der er teilnehmen solle. Zwar reicht die bloß irrige Vorstellung des Versicherten, er nehme an einer solchen Maßnahme teil, nicht aus, einen Zurechnungstatbestand zu erfüllen. Das hat im Übrigen der Senat in seiner vom LSG genannten und von der Revision im Wesentlichen angeführten Entscheidung vom 24.6.1981 (2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 60 = SozR 2200 § 555 Nr 5) auch nicht gesagt. Dort ging es ausdrücklich um eine vom Unfallversicherungsträger angeordnete Heilmaßnahme. Anders liegt es jedoch, wenn der Träger oder seine Leistungserbringer für den Versicherten den Anschein (beim Erlass von Verwaltungsakten oder bei der Abgabe von Willenserklärungen auch den Rechtsschein) gesetzt haben, es solle eine solche unfallversicherungsrechtliche Maßnahme durchgeführt werden. Das ist der Fall, wenn ein an Treu und Glauben orientierter Versicherter an der Stelle des konkret Betroffenen die Erklärungen und Verhaltensweisen der auf Seiten des Trägers tätig gewordenen Personen als Aufforderung zur Teilnahme an einer vom Unfallversicherungsträger gewollten Maßnahme verstehen durfte. Es kommt also nicht nur auf die "Innenseite" des Trägers und seiner Hilfskräfte an, sondern maßgeblich auch darauf, was wie gegenüber dem Versicherten verlautbart wurde. Denn dieser ist kein bloßes Objekt hoheitlicher Maßnahmen des Trägers; vielmehr setzt jede "Durchführung" einer Untersuchungs- oder Heilmaßnahme seine mitwirkende Teilnahme voraus.

44

b) Das LSG wird folglich zu ermitteln haben, ob die von Dr. K. am 23.9.2003 veranlasste und am 24.9.2003 durchgeführte Arthroskopie und/oder die anschließende Resektion des Innenmeniskushinterhorns rechts Maßnahmen iS des § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII waren. Dabei hat es zwischen der Arthroskopie (aa) und der anschließenden Resektion (bb) zu unterscheiden. Lag objektiv bei beiden ärztlichen Maßnahmen keine Durchführung einer Heilbehandlung und keine Durchführung einer zur Aufklärung des Sachverhalts (oder des Vorliegens einer Unfallfolge) angeordneten Untersuchung vor, so ist zu prüfen, ob der Kläger - nach den soeben unter 3. a) cc) aufgezeigten Kriterien - aufgrund des Verhaltens des Durchgangsarztes nach Treu und Glauben berechtigterweise davon ausgehen durfte, dass die Behandlung/Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 SGB VII durchgeführt wurde und er zur Mitwirkung daran aufgefordert war (hierzu unter c). Läge einer dieser Zurechnungstatbestände vor, so wäre schließlich ggf noch zu entscheiden, ob die Arthroskopie oder die Resektion die weiteren geltend gemachten Gesundheitsschäden (rechtsseitige Thrombosen etc) rechtlich wesentlich (mit-)verursacht haben (unter d).

45

aa) Die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, abschließend zu entscheiden, ob die am 24.9.2003 durchgeführte Arthroskopie (zur Resektion sogleich unter bb) eine zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnete Untersuchung iS des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII war. Sie sind insoweit nicht eindeutig und in sich widersprüchlich. Zudem unterscheidet das LSG nicht zwischen der Arthroskopie und der anschließend durchgeführten Resektion.

46

Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils des LSG hatte Dr. K. wegen Verdachts auf Innenmeniskusläsion die Indikation zur Arthroskopie gestellt und Aufnahme und "Operation" des Klägers für den folgenden Tag vereinbart. Mit der diagnostischen Arthroskopie könnte der Durchgangsarzt gemäß § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII (der sinngemäß auch die Aufklärung von Unfallfolgen umfasst) eine Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet haben. Denn Untersuchungen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls sind nicht nur, aber insbesondere ärztliche Untersuchungen darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen eines Versicherungsfalls vorliegen oder welche gesundheitlichen Folgen dieser hat (vgl BSGE 52, 16, 17), also insbesondere Untersuchungen zur Feststellung, ob ein Gesundheitserstschaden bzw welche Unfallfolgen vorliegen.

47

Die Anordnung muss nicht durch den Unfallversicherungsträger selbst, sondern kann auch durch einen Durchgangsarzt erfolgen (offengelassen in BSGE 52, 16, 17; so Keller in Hauck/ Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 15, 46. Lfg, III/10; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand März 2011, § 11 Anm 10 iVm 12.1; Rapp in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 11 RdNr 9; Wagner in JurisPK-SGB VII, Stand 01/2009, § 11 RdNr 28).

48

Nach § 27 Abs 1 des Vertrags Ärzte/Unfallversicherungsträger(Vertrag gemäß § 34 Abs 3 SGB VII zwischen dem Hauptverband der gewerblichen BGen, dem Bundesverband der landwirtschaftlichen BGen, dem Bundesverband der Unfallkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die Durchführung der Heilbehandlung, die Vergütung der Ärzte sowie die Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen in der ab 1.5.2001 geltenden Fassung, HVBG-Info 2001, 755) beurteilt und entscheidet der Durchgangsarzt, ob eine allgemeine Heilbehandlung nach § 10 dieses Vertrags oder eine besondere Heilbehandlung nach § 11 SGB VII erforderlich ist. Er erstattet dem Unfallversicherungsträger unverzüglich den Durchgangsarztbericht gemäß § 27 Abs 2 des Vertrags.

49

Soweit ein Durchgangsarzt in dieser Funktion zur Feststellung von Art und Ausmaß der Gesundheitsstörungen eines Unfallereignisses eine weitere Untersuchung anordnet, ist dies jedenfalls eine Anordnung zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls iS des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII. Soweit er selbst zur Behandlung einer von ihm als unfallbedingt eingeschätzten Gesundheitsbeeinträchtigung ohne weiteren Kontakt mit dem Unfallversicherungsträger tätig wird, kann es sich um die Durchführung einer Heilbehandlung handeln (dazu unten).

50

Insofern kann der Senat jedenfalls zum Zwecke der Prüfung der Zurechnungstatbestände des § 11 SGB VII auch offenlassen, wie die Rechtsbeziehung zwischen dem Durchgangsarzt und dem Unfallversicherungsträger im Einzelnen öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist(vgl nur Pross, Zum Rechtsverhältnis zwischen Durchgangsarzt und Berufsgenossenschaft, 1972; hierzu hat insbesondere die zivilrechtliche Rechtsprechung zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB iVm Art 34 GG geklärt, wann der Durchgangsarzt in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelt; vgl BGH, Urteil vom 28.6.1994, VI ZR 153/93 = VersR 1994, 1195; Urteil vom 9.12.2008, VI ZR 277/07 - BGHZ 179, 115 = VersR 2009, 401; BGH, Urteil vom 9.3.2010, VI ZR 131/09 = VersR 2010, 768). Denn das Handeln des Durchgangsarztes im Rahmen der Voraussetzungen der Zurechnungstatbestände des § 11 SGB VII muss sich der Unfallversicherungsträger grundsätzlich zurechnen lassen.

51

Die hierzu fehlenden Feststellungen sind nicht deshalb unerheblich, weil das LSG in seinem Urteil auch ausgeführt hat, dass die Arthroskopie "unter der Diagnose" einer degenerativen Innenmeniskushinterhornläsion durchgeführt worden sei. Weiterhin ging das LSG davon aus, dass die operativen Eingriffe ausschließlich der operativen Heilbehandlung der degenerativen Innenmeniskushinterhornläsion nach bereits vorbestehender klinischer Diagnostik gedient hätten. Offen blieb hierbei aber, wer zu welchem Zeitpunkt die Diagnose einer degenerativen Innenmeniskushinterhornläsion gestellt hat. Unklar bleibt nach den Feststellungen des LSG auch, ob diese Diagnose bereits vor Beginn der Arthroskopie oder der Resektion erfolgt ist.

52

Ferner ist nicht festgestellt oder ersichtlich, dass eine ggf erfolgte Anordnung einer diagnostischen Arthroskopie dem Kläger gegenüber widerrufen worden wäre. Das LSG wird deshalb Dr. K. zu den Umständen und seinen Anordnungen im Rahmen der am 23.9.2003 erfolgten Untersuchung des Klägers zu befragen haben. Maßgebend für das Vorliegen des besonderen Zurechnungstatbestands des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII sind dabei die Anordnungen und sonstigen dem Versicherten gegenüber vorgenommenen Verhaltensweisen des konkret die Operation ankündigenden und durchführenden Dr. K., der durch sein dem Unfallversicherungsträger zurechenbares Handeln den Tatbestand des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII eröffnen kann. Entscheidend ist insoweit die dem Versicherten verdeutlichte ärztliche Handlungstendenz des Durchgangsarztes vor Durchführung der Maßnahme. Die Handlungstendenz muss darauf gerichtet gewesen sein, Unfallfolgen zu erkennen bzw zu behandeln (vgl Schwerdtfeger in Lauterbach, UV, § 11 RdNr 12, 33. Lfg, April 2007). Die "objektive", nachträgliche Einschätzung eines diagnostischen und therapeutischen Zusammenhangs der Operation mit einem bereits bestehenden degenerativen Schaden durch einen unbeteiligten Arzt (wie sie das LSG durch Dr. A. eingeholt hat), ist in diesem rechtlichen Zusammenhang unbeachtlich.

53

Maßgeblich ist mithin auch, ob und ggf welche Erklärungen Dr. K. über seine Handlungstendenz gegenüber dem Kläger abgegeben hat. Dies wird das LSG noch im Einzelnen durch Befragung des Dr. K. und des Klägers zu ermitteln haben. Hierbei wird das LSG auch zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG erklärt hat, dass die Arthroskopie vom Durchgangsarzt als BG-Heilbehandlung angeordnet worden ist.

54

bb) Der Senat kann ebenso nicht abschließend darüber entscheiden, ob es sich bei der im Zusammenhang mit der Arthroskopie durchgeführten Hinterhornresektion um eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII gehandelt hat. Auch hierzu wird das LSG Dr. K. zu befragen haben. Als Durchgangsarzt könnte Dr. K. als Leistungserbringer für den Unfallversicherungsträger gemäß § 26 Abs 5 Satz 1 SGB VII im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung bestimmt und mit der Festlegung der Behandlung den Naturalleistungsanspruch des Klägers konkretisiert haben.

55

Der Durchgangsarzt ist nach § 27 des Vertrags Ärzte/Unfallversicherungsträger(aaO) ermächtigt, mit Wirkung für den Unfallversicherungsträger über die erforderliche Behandlungsmaßnahme zu entscheiden (vgl Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 34 RdNr 7; vgl Benz in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 26 RdNr 50; vgl auch Stähler in JurisPK-SGB VII, § 28 RdNr 14 ff). Dies gilt insbesondere auch für die Einleitung eines sog besonderen Heilverfahrens gemäß §§ 34 Abs 1 Satz 3, 28 Abs 4 SGB VII für Versicherungsfälle, für die wegen ihrer Art oder Schwere besondere unfallmedizinische Behandlung angezeigt ist. Insofern ist hier auch aufzuklären, ob Dr. K. die Resektion dem Kläger (und ggf auch der Beklagten) gegenüber als von der Arthroskopie im Wesentlichen untrennbare Maßnahme der (allgemeinen oder besonderen) berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung dargestellt bzw "bewilligt" hat, ohne den Kläger insofern auf die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen. Dabei ist auch zu prüfen, ob Dr. K. gegenüber dem Kläger bereits vor der Operation klargestellt hat, dass diese ausschließlich nicht unfallbedingt durchgeführt werde, da die Diagnose eines unfallunabhängigen degenerativen Meniskusschadens gestellt worden sei.

56

Denkbar ist nach den Mitteilungen des LSG schließlich auch, dass Dr. K. dem Kläger gegenüber (vor oder während der Operation) eine unfallbedingte Arthroskopie klar von der anschließenden nicht unfallbedingten Resektion getrennt hat. Eine derartige Trennung könnte ggf die diagnostische Heilbehandlung auf die Arthroskopie beschränkt haben, sodass die Resektion keine Heilmaßnahme gewesen wäre und ggf ausschließlich aus der Resektion folgende Gesundheitsschäden (zu der ggf notwendigen Differenzierung der durch die Arthroskopie und die Resektion wesentlich verursachten Gesundheitsschäden siehe unter d) nicht zugerechnet würden. Wird vom Durchgangsarzt für den Versicherten klar und eindeutig abgrenzbar ein zusätzlicher Eingriff zur Behebung eines - von vornherein als solches bezeichneten - unfallunabhängigen Leidens vorgenommen, so können die aus diesem Eingriff resultierenden Folgen nicht mehr dem ersten Unfallereignis zugeordnet werden (vgl BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 41/90 und BSG vom 5.8.1993 - 2 RU 34/92).

57

c) Das LSG wird auch deshalb eine genaue Ermittlung der Umstände und Anordnungen anlässlich der Untersuchung des Klägers am 23.9.2003 vorzunehmen haben, weil der Kläger - wie bereits ausgeführt - seine Revision im Wesentlichen unter (unzutreffender) Berufung auf ein Urteil des Senats zu § 555 RVO(BSGE 52, 57 = SozR 2200 § 555 Nr 5) darauf stützt, er sei jedenfalls subjektiv der Überzeugung gewesen, die Operation finde im Rahmen einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung statt.

58

§ 11 SGB VII setzt zwar - wie aufgezeigt - nicht notwendig voraus, dass ein Versicherungsfall oder auch nur ein Unfallereignis oder ein unfallbedingter Gesundheitsschaden objektiv vorliegen. Andererseits kann aber die bloß subjektive, irrige Vorstellung, eine Untersuchung oder Behandlung werde im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung angeordnet oder durchgeführt, den spezifischen Zurechnungszusammenhang der Tatbestände des § 11 SGB VII nicht auslösen.

59

Ein Zurechnungstatbestand nach § 11 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII kann aber auch dann erfüllt sein, wenn der Leistungsträger oder der insofern ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt (hierzu bereits soeben unter 3. b) bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder auch den Rechtsschein gesetzt hat, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (einschließlich einer Unfallfolge) angeordnet werde. Das ist stets der Fall, wenn ein vernünftiger, "billig und gerecht" denkender Versicherter aufgrund des Verhaltens des Unfallversicherungsträgers (bzw seiner Organe) und der Durchgangsärzte davon ausgehen durfte, er sei aufgefordert oder ihn treffe die Obliegenheit gemäß §§ 62, 63 SGB I, an der Maßnahme mitzuwirken (zum Prüfmaßstab bereits oben 3. a, cc).

60

d) Die Voraussetzungen der Zurechnungstatbestände des § 11 Abs 1 Nr 1 und/oder Nr 3 SGB VII können also gegeben sein, wenn das LSG zu der Feststellung gelangt, dass die Arthroskopie als Untersuchungsmaßnahme gemäß § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII bzw die Resektion als Heilbehandlung gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII vom Durchgangsarzt der Beklagten zurechenbar angeordnet worden ist. Schließlich können diese Zurechnungstatbestände auch dann vorliegen, wenn die Beklagte (oder der für sie handelnde Durchgangsarzt) dem Kläger als rechtstreuen Versicherten gegenüber den objektivierbaren Anschein oder Rechtsschein gesetzt hat, dass die Untersuchung bzw Operation im Rahmen der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit durchgeführt werde.

61

Gelangt das LSG in dem wiedereröffneten Berufungsverfahren zu der Überzeugung, dass einer dieser Tatbestände des § 11 SGB VII vorliegt, so wird es abschließend festzustellen haben, ob die Durchführung der Heilmaßnahme/Untersuchung die wesentliche Ursache der als Unfallfolgen im weiteren Sinne geltend gemachten Gesundheitsschäden ist. Bislang hat es das LSG - von seiner Rechtsansicht her folgerichtig - unterlassen, festzustellen, ob die geltend gemachten Gesundheitsschäden rechtlich wesentlich (überhaupt und ggf auf welche dieser beiden Maßnahmen) auf die Arthroskopie oder die Resektion zurückzuführen sind. Dabei wird zum einen - je nachdem, welcher Zurechnungstatbestand ggf vorliegt - zu ermitteln sein, ob die Gesundheitsschäden, insbesondere die Thrombose der Vena saphena parva rechts, durch die Arthroskopie oder die Innenmeniskushinterhornresektion (oder durch beide) notwendig verursacht wurden. In diesem Zusammenhang sind ggf auch (im Blick zB auf die Stammvarikosis etc) Feststellungen erforderlich, ob und welche weiteren Gesundheitsstörungen beim Kläger vorliegen, die uU ebenfalls notwendige Ursachen waren. Ggf ist die rechtliche Wesentlichkeit der notwendigen Ursachen zu beurteilen (siehe oben).

62

Das LSG wird in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Folgen eines Versicherungsfalls sind auch Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten infolge

1.
der Durchführung einer Heilbehandlung, von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder einer Maßnahme nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung,
2.
der Wiederherstellung oder Erneuerung eines Hilfsmittels,
3.
der zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordneten Untersuchung
einschließlich der dazu notwendigen Wege.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn die Versicherten auf Aufforderung des Unfallversicherungsträgers diesen oder eine von ihm bezeichnete Stelle zur Vorbereitung von Maßnahmen der Heilbehandlung, der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder von Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung aufsuchen. Der Aufforderung durch den Unfallversicherungsträger nach Satz 1 steht eine Aufforderung durch eine mit der Durchführung der genannten Maßnahmen beauftragte Stelle gleich.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.