Bundessozialgericht Urteil, 20. Dez. 2016 - B 2 U 11/15 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2016:201216UB2U1115R0
bei uns veröffentlicht am20.12.2016

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17.09.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Verletztenrente des Klägers herabsetzen durfte, weil er mit einer anderen Prothese versorgt wurde.

2

Der im Jahre 1981 geborene Kläger erlitt als Schüler am 2.7.1998 einen Unfall, der zur Amputation des linken Beines im Bereich des Oberschenkels führte. Die Beklagte versorgte den Kläger mit einer Prothese. Sie erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls nach Polytrauma mit unfallbedingtem Verlust des linken Beines im Bereich des Oberschenkels narbenbedingte Sensibilitätsstörungen im Bereich des Oberschenkelstumpfes, Phantomschmerzen nach Oberschenkelamputation sowie leichte Leistungseinschränkungen und Wahrnehmungsbeeinträchtigung nach Schädel-Hirn-Trauma an und gewährte dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vH (Bescheid vom 5.7.2001).

3

Im März 2006 erhielt der Kläger eine mikroprozessorgesteuerte Oberschenkelprothese, ein sog C-Leg. Die Beklagte hob daraufhin die Bewilligung der Verletztenrente in dem Bescheid vom 5.7.2001 wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X teilweise auf und gewährte dem Kläger ab dem 1.8.2007 nur noch eine Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH (Bescheid vom 5.7.2007 und Widerspruchsbescheid vom 29.11.2007). Zur Begründung führte sie aus, durch die Versorgung mit der C-Leg-Prothese sei eine deutliche Funktionsverbesserung des linken Beines eingetreten, die zu einem flüssigeren Gangbild und einer Erhöhung der Gang- und Standsicherheit geführt habe. Dem Kläger sei nunmehr das sichere Gehen und Stehen sowie das Treppensteigen weitestgehend ohne Gehhilfe möglich. Dadurch habe sich seine Mobilität einschließlich des Wirkungsbereiches verbessert. Ihr beratender Chirurg habe die Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet nach der Versorgung mit der C-Leg-Prothese ab März 2006 nur noch mit 50 vH und insgesamt mit nur noch 60 vH bewertet.

4

Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 29.7.2010). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17.9.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Rente seien nicht erfüllt, weil keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Unfallfolgen sowohl auf neurologischem und neuropsychiatrischem als auch auf chirurgischem Fachgebiet bestünden unverändert fort. Sie bedingten auf chirurgischem Fachgebiet weiterhin eine MdE von 60 vH, auf neurologischem und neuropsychiatrischem Fachgebiet eine MdE von 15 vH und insgesamt weiterhin eine MdE von 70 vH. Die Gebrauchsvorteile der prothetischen Versorgung mit einem C-Leg führten zu keiner geringeren MdE. Bei einem Verlust der Gliedmaßen sei der objektive funktionelle Körperschaden unabhängig von dem Erfolg der prothetischen Versorgung für die Bewertung der MdE zugrunde zu legen, denn eine entsprechende Prothese könne den Körperschaden derzeit nicht vollständig kompensieren. Dies entspreche der herrschenden Auffassung in der unfallrechtlichen Literatur. Nur wenn ein Hilfsmittel einen physiologisch vollwertigen Ersatz darstelle bzw Ausgleich schaffe, sei es gerechtfertigt, allein die verbleibenden Funktionseinbußen der Bemessung der MdE zugrunde zu legen. Die verbleibenden Funktionseinschränkungen bei prothetischer Versorgung würden unabhängig von der konkreten Art der Versorgung im Sinne einer Durchschnittsbewertung berücksichtigt. Dies führe zu einer Gleichbehandlung und Verwaltungsvereinfachung. Dementsprechend würden weder die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz noch die am 1.1.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung danach differenzieren, ob die konkrete prothetische Versorgung bei Verlust von Gliedmaßen zu einer Funktionsverbesserung führe.

5

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 73 und 56 SGB VII iVm § 48 SGB X. Die signifikante Verbesserung der Körperfunktionen des Klägers durch seine Versorgung mit dem C-Leg begründe eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB X, denn die Gebrauchsvorteile dieser Prothese gegenüber einer konventionellen Versorgung im Erwerbsleben würden die Bewertung der MdE auf chirurgischem Fachgebiet mit nur 50 vH rechtfertigen. Die Gesamt-MdE betrage daher nur noch 60 vH. Nach den gemäß § 56 Abs 2 SGB VII für die Höhe der MdE maßgebenden Bestimmungsfaktoren seien Funktionsverbesserungen durch Heil- oder Hilfsmittel zu berücksichtigen. Die vom LSG zugrunde gelegten, in verschiedenen Handbüchern genannten MdE-Erfahrungswerte könnten Verwaltung und Gerichte nicht normähnlich binden.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17.09.2014 und das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 29.07.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Der angefochtene Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 5.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2007 erweist sich als rechtswidrig. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die eine Herabsetzung der bisher durch den Bescheid vom 5.7.2001 gewährten Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 70 vH rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG entschieden hat, die Versorgung des Klägers mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese bewirke keine geringere MdE als die im Jahre 2001 festgesetzte.

10

Durch die Versorgung des Klägers mit einer C-Leg-Prothese im Jahre 2006 ist keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X gegenüber den Verhältnissen im Jahre 2001 eingetreten. Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für Renten der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 SGB VII ergänzt. Nach § 73 Abs 3 SGB VII ist eine Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vH beträgt. Diese Voraussetzung lag in Bezug auf den Verwaltungsakt vom 5.7.2001, der eine Verletztenrente nach einer MdE von 70 vH auf unbestimmte Zeit bewilligte, nicht vor. Ob eine Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten ist, ist durch Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Verwaltungsaktes mit den zum Zeitpunkt des Erlasses des aufhebenden Verwaltungsaktes bestehenden Verhältnissen zu ermitteln(vgl BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464 mwN). Die tatsächlichen Verhältnisse änderten sich zwar im März 2006 insoweit, als der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine neue Oberschenkelprothese erhielt und sich dadurch seine Mobilität und Koordination verbesserte sowie sein Aktionsradius vergrößerte. Diese Änderung war aber nicht wesentlich iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB VII. Denn sie begründete kein Recht der Beklagten, eine Verletztenrente in geringerer Höhe nach einer MdE von nunmehr nur noch 60 vH festzusetzen. Zutreffend hat das LSG insofern entschieden, dass die unfallbedingte MdE weiterhin 70 vH beträgt.

11

Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts. In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1), wobei es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse ankommt, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides vorgelegen haben (vgl BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464 mwN). Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war schon keine Änderung der auf dem Arbeitsunfall beruhenden Gesundheitsstörungen des Klägers eingetreten, denn sein Gesundheitszustand hatte sich weder auf dem neurologischen und neuropsychiatrischen noch auf dem chirurgischen Fachgebiet verändert, insbesondere nicht verbessert.

12

Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse war nur insoweit erfolgt, als der Kläger anstelle der bisherigen Prothese ab März 2006 mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese, einem sog C-Leg, versorgt worden war und sich dadurch nach den ebenfalls unangegriffenen Feststellungen des LSG seine Mobilität und Koordination verbessert hatte. Durch den Gebrauch des C-Legs konnte der Kläger weitgehend ohne Gehhilfen gehen, sein Aktionsradius hatte sich vergrößert.

13

Das LSG hat jedoch zutreffend entschieden, dass die durch die Änderung der prothetischen Versorgung erfolgte Verbesserung der Mobilität, der Koordination und des Aktionsradius des Klägers keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X war. Diese Verbesserungen durch die prothetische Versorgung begründeten nach § 56 Abs 2 SGB VII keinen Anspruch der Beklagten auf Festsetzung einer Verletztenrente in geringerer Höhe als nach einer MdE von 70 vH.

14

Gemäß § 56 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 SGB VII setzt der Anspruch auf eine Verletztenrente eine MdE von wenigstens 20 vH voraus. Der Zahlbetrag der Verletztenrente bestimmt sich sodann nach der Höhe der MdE und dem Jahresarbeitsverdienst (JAV). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 S 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt damit zum einen von den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und zum anderen von dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1 mwN).

15

Soweit das LSG den Grad der MdE auch im Jahre 2006 weiterhin mit 70 vH festgesetzt hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bemessung des Grades der MdE ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Tatsachengericht unter Berücksichtigung der gesamtem Umstände des Einzelfalls gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung trifft(vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3; BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R - HVBG-INFO 2001, 499; BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 14/99 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 7; BSG vom 23.4.1987 - 2 RU 42/86 - HV-INFO 1988, 1200; BSG vom 24.5.1984 - 2 RU 12/83 - HV-INFO 1984, Nr 13, 18). Die der Feststellung der MdE zugrunde liegende, vom LSG gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Einschluss der Beweisaufnahme nach der Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel frei vorzunehmende Würdigung des Sachverhaltes kann das Revisionsgericht auf Rüge grundsätzlich nur darauf prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat(vgl BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565).

16

Das LSG hat festgestellt, dass die unfallbedingte MdE zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 5.7.2001 sowie auch zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen, im Jahre 2007 ergangenen Bescheide weiterhin unverändert 70 vH betrug, weil auf neurologischem und neuropsychiatrischem Fachgebiet eine MdE von 15 vH sowie auf chirurgischem Fachgebiet eine MdE von 60 vH bestand. Diese Feststellungen zur MdE-Höhe sind als tatsachenrichterliche Erkenntnisse revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die MdE-Festsetzung im konkreten Einzelfall insoweit nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen.

17

Es bestehen aber auch keine revisionsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung der MdE-Tabellen als solche durch das LSG. Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass die Bindungswirkung der tatsächlichen MdE-Feststellung gemäß § 163 SGG nicht in vollem Umfang für die Überprüfung der in den MdE-Tabellen abstrakt niedergelegten MdE-Tabellenwerte gilt. Die Anwendung der den MdE-Tabellenwerten zugrunde liegenden allgemeinen bzw wissenschaftlichen Erfahrungssätze unterliegt vielmehr jeweils der revisionsrechtlichen Überprüfung dahingehend, ob diese Tabellenwerte offensichtlich falsch sind und ob sie dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen (vgl zB BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565; BSG vom 26.11.1987 - 2 RU 22/87 - SozR 2200 § 581 Nr 27; BSG vom 23.4.1987 - 2 RU 42/86 - HV-INFO 1988, 1210; BSG vom 26.6.1985 - 2 RU 60/84 - SozR 2200 § 581 Nr 23; BSG vom 30.8.1984 - 2 RU 65/83 - HVGBG RdSchr VB 122/84; vgl zum Prüfungsumfang bei allgemeinen medizinischen Erfahrungssätzen auch BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418).

18

Wie die nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats revisionsrechtlich überprüfbaren allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für die Feststellung von Berufskrankheiten von Bedeutung sind (vgl dazu zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6), sind auch die MdE-Tabellenwerte allgemeine (generelle) Tatsachen, die für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm - nämlich des in § 56 Abs 2 SGB VII verwendeten Begriffs der MdE - und damit für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle relevant sind. Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE-Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und dienen als Hilfsmittel für die MdE-Einschätzung im Einzelfall. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber als in sich stimmiges Beurteilungsgefüge (so Ruppelt in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, UV, § 48 RdNr 25) die Grundlage für eine gleichförmige Bewertung der MdE (vgl BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565 mwN), ohne dass hier eine exakte rechtsdogmatische Einordnung der MdE-Tabellen erforderlich wäre (vgl hierzu Pense, Die Rechtsnatur von MdE-Tabellen, 1995, S 59 f: "Erkenntnisquelle" ohne Rechtssatzqualität; vgl auch Pfitzner, NZS 1998, 61).

19

MdE-Tabellen bezeichnen typisierend das Ausmaß der durch eine körperliche, geistige oder seelische Funktionsbeeinträchtigung hervorgerufenen Leistungseinschränkungen in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben und ordnen körperliche oder geistige Funktionseinschränkungen einem Tabellenwert zu. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte geben damit auch allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit aufgrund des Umfangs der den Verletzten versperrten Arbeitsmöglichkeiten wieder und gewährleisten, dass die Verletzten bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (vgl BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565).

20

Wendet ein Tatsachengericht solche allgemein akzeptierten MdE-Tabellen an, ist revisionsrechtlich die Prüfung des BSG darauf beschränkt, ob diese Tabellenwerte erkennbar falsch sind, etwa weil sie dem Stand des medizinischen Wissens oder des Erfahrungswissens anderer einschlägiger Wissenschaftsgebiete (wie hier beispielsweise auch der Arbeitsmarktforschung) widersprechen. Es ist bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs nicht erkennbar, dass die von dem LSG angewandten MdE-Tabellenwerte nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen und deshalb als wissenschaftlich unhaltbar der Rechtsfindung nicht zugrunde gelegt werden durften. Das LSG hat für die MdE auf chirurgischem Fachgebiet den in den Standardwerken derzeit für eine Oberschenkelamputation gängigen MdE-Tabellenwert von 60 vH zugrunde gelegt, wobei überwiegend nicht danach differenziert wird, ob eine Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese anstelle einer herkömmlichen Prothese möglich oder erfolgt ist (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 691; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Aufl 2012, S 193; Nehls in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand Juni 2014, US 0500, S 38; vgl auch im Ergebnis eine Differenzierung nach Versorgungsqualität ablehnend: Schwerdtfeger in Trauma und Berufskrankheit 2001, S 353, 354 ff). Bei seiner Entscheidung hat das LSG auch berücksichtigt, dass bislang die gängigen Tabellenwerte zur Einschätzung der MdE bei der Amputation der unteren Gliedmaßen nicht grundsätzlich geändert wurden. Das LSG ist mithin zumindest im Ergebnis davon ausgegangen, dass es nach wie vor dem Stand des Erfahrungswissens in der unfallmedizinischen Literatur entspricht, bei Amputationen die Qualität der prothetischen Versorgung für die Einschätzung der Höhe der MdE nicht zu berücksichtigen, weil die derzeit gängigen Tabellenwerke keine Differenzierung nach der Qualität der Hilfsmittelversorgung enthalten. Dies ist entgegen der Auffassung der Beklagten revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil nicht feststellbar ist, dass die vom LSG zugrunde gelegten MdE-Tabellenwerte nicht mehr dem neuesten Stand der unfallmedizinischen Wissenschaft entsprechen oder offensichtlich falsch sind.

21

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6, RdNr 28).

22

Zwar wird vereinzelt in der unfallmedizinischen Literatur bei einer Bemessung der MdE für Beinamputationen eine Differenzierung nach der Hilfsmittelqualität und für den Fall der bestmöglichen Versorgung, zB mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese, ein geringerer MdE-Wert vorgeschlagen (vgl Ludolph/Schürmann, MedSach 2016, S 60, 68; Schürmann in Trauma und Berufskrankheit 2014, S 204, 207 ff; J. Becker, MedSach 2008, S 142, 145 f; Koss, MedSach 2004, S 92, 93; Plagemann, MedSach 2004, S 94, 96). Allein aufgrund dieser Literaturmeinungen kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die vom LSG zugrunde gelegten Erfahrungssätze nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen oder offensichtlich falsch sind.

23

Es erscheint damit durchaus möglich, dass der Tabellenwert für die MdE bei einer Amputation im Oberschenkelbereich niedriger angesetzt werden könnte, wenn eine heute technisch mögliche, verbesserte Prothesenversorgung zu geringeren Funktionseinschränkungen führt und deshalb den Verletzten mehr Betätigungsfelder im Erwerbsleben offen stehen. Eine dahin gehende generelle Änderung der MdE-Tabellenwerte ist in der entsprechenden unfallmedizinischen Literatur bisher jedoch nicht erfolgt. Allenfalls werden - wie jetzt auch in neuesten Auflagen der unfallmedizinischen Standardwerke (vgl zB Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 725, 727) - unterschiedliche Tabellenwerte unkommentiert und gleichrangig wiedergegeben, ohne dass erkennbar oder Stellung dazu bezogen wird, welche der beiden Auffassungen den nunmehr aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergibt.

24

Für den Senat ist auch sonst nicht feststellbar, dass der von der unfallmedizinischen Literatur zugrunde gelegte Tabellenwert einer MdE von 60 vH bei Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese offensichtlich falsch ist und ein geringerer MdE-Wert bei Versorgung mit einem C-Leg anzusetzen wäre. Der bisherige MdE-Tabellenwert von 60 vH bestimmt sich zwar anhand der Amputationshöhe und knüpft damit an die Strukturverletzung an, berücksichtigt aber - da der Erfolg der prothetischen Versorgung und damit die verbliebene Funktion maßgeblich von der Amputationshöhe abhängen - pauschalierend das Ausmaß der Funktionsstörungen. Damit findet die Möglichkeit einer prothetischen Versorgung bereits jetzt Eingang in die MdE-Bemessung. So setzten die MdE-Werte nach einigen Tabellenwerken voraus, dass "der Zustand des Stumpfes sehr gut ist und dass der Verletzte gut passende orthopädische Hilfsmittel tragen kann" (vgl Nehls in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand Juni 2014, US 0500, S 38; Ricke in Kasseler Komm, SGB VII, Stand Juni 2016, § 56 RdNr 70). Für den Senat ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die prothetische Versorgung mit einem C-Leg die Funktionsstörungen bei einer Oberschenkelamputation derart kompensieren könnte, dass unter Berücksichtigung der in § 56 Abs 2 SGB VII ausdrücklich genannten Anforderungen des Arbeitsmarktes nunmehr Erwerbsmöglichkeiten in einem Umfang eröffnet würden, dass deshalb ein MdE-Wert von 60 vH den Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens offensichtlich fehlerhaft beschreibt.

25

Kritisch anzumerken bleibt, dass aufgrund der Regelungsstruktur des § 56 Abs 2 SGB VII prinzipiell unklar bleibt, welche medizinischen Referenzgrößen und welche arbeitsmarktpolitischen bzw soziologischen Erkenntnisse die Verfasser der MdE-Tabellen in ihre Überlegungen grundsätzlich einzustellen haben. Es würde einen Gewinn an Rechtssicherheit und -klarheit darstellen, wenn der Gesetzgeber selbst in § 56 Abs 2 SGB VII eine Delegation zum Erlass von MdE-Tabellen aussprechen würde, die den Kriterien des Art 80 Abs 1 S 2 GG genügen würde. Dabei wäre der Gesetz- bzw Verordnungsgeber auch berufen, die allgemeinen Maßstäbe und das Verfahren der Erstellung der MdE-Tabellen - wie es etwa durch die Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (BGBl I 2412) für die Bestimmung des Grades der Behinderung iS von § 69 Abs 1 S 5 SGB IX und im sozialen Entschädigungsrecht für den Grad der Schädigungsfolgen nach § 30 Abs 1 BVG geschehen ist - zu normieren.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 20. März 2018 - B 2 U 11/17 R

bei uns veröffentlicht am 20.03.2018

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. November 2016 wird zurückgewiesen.

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(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist.

(2) Fallen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente weg, wird die Rente bis zum Ende des Monats geleistet, in dem der Wegfall wirksam geworden ist. Satz 1 gilt entsprechend, wenn festgestellt wird, daß Versicherte, die als verschollen gelten, noch leben.

(3) Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muß die Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit länger als drei Monate andauern.

(4) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Das schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(5) Witwen- und Witwerrenten nach § 65 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a wegen Kindererziehung werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann wiederholt werden.

(6) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist.

(2) Fallen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente weg, wird die Rente bis zum Ende des Monats geleistet, in dem der Wegfall wirksam geworden ist. Satz 1 gilt entsprechend, wenn festgestellt wird, daß Versicherte, die als verschollen gelten, noch leben.

(3) Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muß die Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit länger als drei Monate andauern.

(4) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Das schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(5) Witwen- und Witwerrenten nach § 65 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a wegen Kindererziehung werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann wiederholt werden.

(6) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung der Verletztenrente durch die Beklagte wegen wesentlicher Besserung der Unfallfolgen.

2

Die Klägerin erlitt am 20.3.1998 einen Wegeunfall, als die Ladung eines entgegenkommenden LKW auf ihr Fahrzeug stürzte. Dadurch erlitt sie multiple Prellungen und Schürfwunden sowie eine Fraktur im Bereich des linken Oberarmkopfes. Anschließend stellten sich psychische Beeinträchtigungen ein. Nach Ermittlungen erkannte die Beklagte den Unfall durch Bescheid vom 25.10.1999 als Arbeitsunfall an und bewilligte ab 1.6.1998 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH wegen der chirurgischen Unfallfolgen. Zugleich teilte sie mit, wegen der psychischen Unfallfolgen werde ein ergänzender Bescheid ergehen. Ein nervenärztlicher Gutachter schätzte die unfallbedingte MdE auf seinem Fachgebiet mit 10 vH ein. Darauf bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9.1.2001 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 25 vH.

3

Bei Überprüfungen in den Jahren 2002 und 2005 wurde eine unveränderte MdE festgestellt. Im Jahre 2007 beschrieb ein Neurologe und Psychiater einen weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befund. Von Seiten des chirurgischen Fachgebiets wurde die MdE nur noch auf 15 vH und die Gesamt-MdE auf 15 vH eingeschätzt. Deshalb hob die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 24.7.2007 den Verwaltungsakt über die Bewilligung einer Rente nach einer MdE um 25 vH vom 9.1.2001 mit Wirkung ab 1.8.2007 auf und entzog die Rente mit Ablauf des Monats Juli 2007. Gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten. Eine MdE in rentenberechtigendem Grad bestehe nicht mehr. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2008).

4

Die dagegen erhobene Klage hat das SG Köln mit Urteil vom 8.7.2010 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 31.5.2011 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin die Rente zu Recht mit Ablauf des Monats Juli 2007 entzogen, denn in den Unfallfolgen liege seit Mai 2007 eine wesentliche Besserung im Vergleich zu den Verhältnissen vor, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde gelegen hätten. Zwar seien die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet im Wesentlichen unverändert geblieben und in dem der Festsetzung der Rente zugrunde liegenden Gutachten zu hoch bewertet worden. Dies folge aus dem nunmehr eingeholten chirurgischen Gutachten, nach dem die unfallbedingten Einschränkungen des linken Arms und der linken Schulter sowohl zum Zeitpunkt des Bescheids vom 9.1.2001 als auch zum Zeitpunkt der erneuten Untersuchung nur eine Teil-MdE um 10 vH rechtfertigten. Dagegen sei in den unfallbedingten Gesundheitsstörungen des nervenärztlichen Fachgebiets eine wesentliche Besserung eingetreten. Diese bedingten im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH und seien nun nicht mehr feststellbar. Da sich die gesundheitliche Situation wesentlich gebessert habe, sei die Rentenbewilligung aufzuheben. Auch die alternative Betrachtung, die die frühere Gesamt-MdE zugrunde lege, ergebe keine günstigere Beurteilung. Danach führe der Wegfall der MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet unter Berücksichtigung einer chirurgisch-orthopädischen MdE von 15 vH zu einer Gesamt-MdE von 15 vH. Folglich sei in der anerkannten Gesamt-MdE um 25 vH eine Absenkung um mehr als 5 vH eingetreten.

5

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII. Das LSG habe die Auslegung des Rechtsbegriffs der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen fehlerhaft vorgenommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen, den Bescheid der Beklagten mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, seien nicht gegeben, denn der frühere Bescheid dürfe nur aufgehoben werden, wenn sich die Tatsachengrundlage ändere. Vorliegend seien jedoch die gesundheitlichen Feststellungen der Klägerin auf unfallchirurgischem Fachgebiet unverändert geblieben. Bei der erstmaligen Feststellung der MdE habe die unfallchirurgische MdE bei mindestens 20 vH gelegen. Nehme man die Teil-MdE weiterhin mit 20 vH an, sei unter Berücksichtigung des § 73 Abs 3 SGB VII keine wesentliche Änderung eingetreten. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Einzel-MdE in den Tenor des Bescheids eingeflossen sei oder ob es sich nur um eine vorbereitende Feststellung handele, die in der Gesamt-MdE zusammengeführt werde. Die Einzel-MdE sei gegenüber der Gesamt-MdE nicht minder bedeutungsvoll und erwachse in Bestandskraft. Im Ergebnis müsse es bei der MdE von 20 vH auf chirurgischem Gebiet bleiben. Das Ergebnis der Beklagten verletze die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG, denn Personen, deren MdE sich aus mehreren Gesundheitsstörungen zusammensetze, dürften nicht schlechter behandelt werden als Personen mit einer MdE aufgrund nur einer Gesundheitsstörung. Letztere erwachse aber, weil sie zugleich die Gesamt-MdE darstelle, in Bestandskraft.

6

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 und des Sozialgerichts Köln vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2008 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie trägt vor, der Entzug der Rente sei mit Ablauf des Juli 2007 aufgrund wesentlicher Änderung in den Unfallfolgen zu Recht erfolgt, denn es sei eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 eingetreten. Aus der dort festgestellten Gesamt-MdE von 25 vH könne nicht auf die Höhe der zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte geschlossen werden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin ist unbegründet; das angefochtene Urteil des LSG ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 162 SGG).

10

Mit der Revision verfolgt die Klägerin in zulässiger Weise ihre Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) wegen der Regelung der Beklagten in ihrem Bescheid vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2008 weiter, denn sie ist durch diese Verwaltungsakte beschwert. Mit deren Aufhebung wäre ihre Beschwer beseitigt und die Rente nach einer MdE um 25 vH würde über den 31.7.2007 hinaus weitergezahlt werden. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind weder rechtswidrig noch verletzen sie die Klägerin in ihren Rechten.

11

Die Beklagte war durch § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII ermächtigt, den maßgeblichen "Bescheid vom 09.01.2001 mit Wirkung ab 01.08.2007" aufzuheben und die Rente "mit Ablauf des Monats Juli 2007" zu entziehen. Die Beklagte hat die Entscheidung über die Aufhebung des maßgeblichen Verwaltungsakts sowohl materiell als auch formell rechtmäßig getroffen (1.). Die Entscheidung der Beklagten verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG (2.).

12

1. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs 3 SGB VII spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als fünf vH beträgt.

13

a) Der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 unterliegt der Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn er ist ein solcher mit Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn eine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt (BSG vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 - BSGE 58, 27, 28 = SozR 1300 § 44 Nr 16 S 28 - Juris RdNr 14; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 51). Da der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 eine Rente auf unbestimmte Zeit bewilligt hat, hat er Dauerwirkung.

14

b) Eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt nicht vor, jedoch ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, wie ein Vergleich der zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten bestehenden Unfallfolgen ergibt.

15

Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 48 RdNr 8). In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

16

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist im Rahmen der hier geführten Anfechtungsklage die Frage, ob eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist, durch Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu ermitteln. Bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen kommt es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordene Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse an, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Anfechtungsklage vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 20.4.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr 18; BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 27/03 R - SozR 4-2600 § 7 Nr 1 RdNr 7 - Juris RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 33). Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1). Dagegen ist für die Beurteilung der (rechtlichen) Wesentlichkeit der Änderung von dem Tenor des bindend gewordenen Verwaltungsakts auszugehen.

17

Von diesen Maßstäben ausgehend hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass in den Befunden, die dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, verglichen mit denjenigen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung nachgewiesen ist. Die dahingehenden Feststellungen des LSG sind von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden (§ 163 SGG). Das LSG hat festgestellt, dass die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet zwar im Wesentlichen unverändert geblieben sind, zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids im Januar 2001 aber zu hoch eingeschätzt worden waren. Dagegen ist nach den Feststellungen des LSG in den psychischen Unfallfolgen der Klägerin eine wesentliche Besserung eingetreten. Hier lag im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH vor, bei Erlass des Aufhebungsbescheids im Jahre 2007 hat eine Teil-MdE auf psychiatrischem Gebiet nicht mehr bestanden und die Gesamt-MdE betrug nur noch 10 vH.

18

Eine wesentliche Änderung wäre aber - aus Gründen des Vertrauensschutzes - nicht eingetreten, wenn die Feststellung der Gesamt-MdE für die Rente der Klägerin von Anfang an rechtswidrig zu hoch festgesetzt war und seitdem unverändert geblieben ist oder sich nicht in dem nach § 73 Abs 3 SGB VII erforderlichen Maße geändert hat.

19

Nach seinem Wortlaut unterscheidet § 48 SGB X nicht danach, ob der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtmäßig oder rechtswidrig war. Nach ihrem Sinn und Zweck ist die Anwendung der Regelung aber ausgeschlossen, wenn und soweit der Vertrauensschutz des Betroffenen, wie er sich aus § 48 SGB X ergibt, unterlaufen würde. So stellt die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder einer überhöhten MdE keine wesentliche Änderung dar (Benz, NZS 2003, 77, 79). Anders liegt der Fall aber, wenn sich der tatsächliche Zustand so gebessert hat, dass eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vorliegt(Benz, aaO). In einem solchen Fall ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X auch auf von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte anwendbar. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine wesentliche Änderung der maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse dergestalt eingetreten ist, dass sich die Unfallfolgen wesentlich gebessert haben (dazu auch BSG vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6).

20

Insoweit hat das LSG festgestellt, dass auch ausgehend von der im Januar 2001 zu hoch angesetzten Teil-MdE auf chirurgischem Gebiet eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Wegfall der MdE auf nervenärztlichem/psychologischem Gebiet bedingt eine wesentliche Änderung, weil diese zu einem Herabsinken der Gesamt-MdE von 25 vH auf 15 vH führt.

21

c) Die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist auch rechtlich wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII.

22

Für die Feststellung der Wesentlichkeit einer Änderung ist ein Vergleich zwischen dem Verfügungssatz des zu prüfenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung gebotenen Entscheidung über die Höhe der MdE zu ziehen (zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Anfechtungsklage siehe oben 1. b>). Ergänzend hierzu schreibt § 73 Abs 3 SGB VII vor, dass eine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB X bei Änderung der einer Rente zugrunde liegenden MdE nur vorliegt, wenn die Änderung der MdE mehr als 5 vH beträgt(dazu im Einzelnen auch Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

23

Für den erforderlichen Vergleich ist zunächst festzustellen, welche Regelung die Beklagte mit Verwaltungsakt vom 9.1.2001 getroffen hat. Der bindende Inhalt eines Verwaltungsakts wird durch seine Verfügungssätze bestimmt (BSG vom 26.2.1986 - 9a RV 36/84). Einer der Verwaltungsakte im Bescheid vom 9.1.2001 hat der Klägerin "Rente auf unbestimmte Zeit" nach einer MdE um 25 vH bewilligt. Nur dieser Verfügungssatz ist wirksam und bindend geworden (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 8.5.1981 - 9 RVs 4/80 - SozR 3100 § 62 Nr 21).

24

Zwar war der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 9.1.2001 möglicherweise nicht hinreichend begründet iS von § 35 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X, denn die der Bewilligung der Rente zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte sind weder im Verfügungssatz noch in der Begründung dieses Verwaltungsakts aufgeführt. Da die Einzel-MdE-Werte den Berechnungsfaktoren von Leistungen - hier einer Rente nach § 56 SGB VII - zumindest ähnlich sind und ihre Ermittlung einen von mehreren Schritten zur Bestimmung der insgesamt bestehenden MdE darstellt(zur vergleichbaren Konstellation bei der Bildung eines Gesamt-Grad der Behinderung: BSG vom 20.11.2012 - B 9 SB 36/12 B), erscheint es angezeigt, die Einzel-MdE-Werte in der Begründung des bewilligenden Verwaltungsakts zu erläutern. Eine solche Begründung kann auch dem besseren Verständnis des Adressaten und der Ermöglichung der sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte dienen (zur rechtsstaatlichen Funktion der Begründung: Krasney in KassKomm, SGB X, Stand 5/2003, § 35 RdNr 2; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 35 RdNr 2). Dass dies hier unterblieben ist, kann aber die Rechtsposition der Klägerin nicht verbessern, wie sich aus dem Folgenden ergibt:

25

Die der Gesamt-MdE zugrunde liegenden Einzel-MdE-Werte nehmen an der Bindungswirkung (vgl § 39 SGB X) des Verwaltungsakts vom 9.1.2001 nicht teil. Dem dahingehenden Vorbringen der Klägerin ist nicht zu folgen. Der erkennende Senat (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82) und das BSG haben hinsichtlich der Bindungswirkung von Rentenbewilligungsbescheiden wiederholt entschieden, dass die Bindungswirkung nur die Gesamtbewertung einer MdE erfasst (vgl zur Bindungswirkung eines Rentenbescheids: BSG vom 26.6.1990 - 5 RJ 62/89 - SozR 3-1500 § 77 Nr 1 S 4 f - Juris RdNr 18; zum Recht der schwerbehinderten Menschen: BSG vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - BSGE 60, 287, 290 = SozR 1300 § 48 Nr 29 S 88; aA Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2012, § 48 SGB X Anm 5.6, der eine Bindung der Träger an Teil-MdE-Werte bejaht).

26

Hiervon ausgehend ist die Änderung der (hier allein zu betrachtenden) Gesamt-MdE wesentlich iS des § 73 Abs 3 SGB VII. Denn die vom LSG festgestellte eingetretene Änderung der zu vergleichenden Gesamt-MdE übersteigt den Wert 5 vH. Im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids ist eine MdE in einem rentenberechtigenden Grad von mindestens 20 vH nicht mehr gegeben, denn es liegt unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes nur (noch) eine MdE von 15 vH vor.

27

d) Die Aufhebung des Verwaltungsakts hält sich auch sonst im Rahmen der Ermächtigung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X.

28

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts "hat" gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Zukunft zu erfolgen. Sie hat bei Sozialleistungen, die für einen bestimmten Zeitraum bewilligt sind, auf den Zeitpunkt des Beginns des folgenden Leistungszeitraums hin zu erfolgen (§ 73 Abs 1 SGB VII; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 44).

29

Der der Klägerin am 26.7.2007 zugestellte Aufhebungsbescheid entfaltet lediglich Rechtswirkung für die Zukunft, hier für die Zeit ab 1.8.2007. Zu diesem Zeitpunkt sind die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Rente bereits entfallen gewesen, denn seit der Begutachtung im Mai 2007 war bekannt, dass die Voraussetzungen für den Wegfall des Rentenanspruchs vorlagen. Die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung der Rente wurde schließlich nicht unter Verletzung des § 73 Abs 1 SGB VII getroffen, denn sie entspricht dem "Folgemonatsprinzip" dieser Regelung(vgl Brandenburg, aaO; Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

30

e) Der angefochtene Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).

31

Das Bestimmtheitserfordernis verlangt als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsakts, dass dessen Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Adressaten bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, die in ihm angeordnete Rechtsfolge zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - Juris RdNr 18; BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31; BSG vom 22.9.2009 - B 2 U 32/08 R - SozR 4-2700 § 168 Nr 2).

32

Der angefochtene Verwaltungsakt entspricht diesen Anforderungen, denn er benennt ordnungsgemäß den aufzuhebenden Bescheid mit Datum und Regelungsgegenstand und verfügt dessen Aufhebung. Der Verwaltungsakt regelt auch, zu welchem Zeitpunkt die Verletztenrente der Klägerin entfällt. Die ausgesprochene Rechtsfolge war für die Klägerin aus den getroffenen Regelungen klar zu erkennen.

33

f) Der angefochtene Verwaltungsakt leidet auch nicht an formellen Fehlern, denn die gemäß § 24 Abs 1 SGB X vor seiner Bekanntgabe erforderliche Anhörung hat stattgefunden.

34

2. Das gefundene Ergebnis verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus "Artikel 3" GG.

35

In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass der Bestandskraft von Verwaltungsakten eine vergleichbare Bedeutung für die Rechtssicherheit zukommt wie der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen. Art 3 Abs 1 GG hindert aber nicht die Anpassung eines bindenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung an geänderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse. Vielmehr besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Aufhebung eines Hoheitsakts herbeizuführen, wenn die Rechtsordnung der Verwaltung die Befugnis erteilt hat, für ihren Bereich das im Einzelfall Verbindliche festzustellen, zu begründen oder - wie hier - zu ändern (so ausdrücklich BVerfGE 60, 253, 270; vgl auch BVerfG vom 15.10.2009 - 1 BvR 3522/08).

36

Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Nach der sog neuen Formel des BVerfG ist Art 3 Abs 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; später BVerfGE 84, 133, 157; BVerfGE 85, 191, 210; BVerfGE 85, 238, 244; BVerfGE 87, 1, 36; BVerfGE 95, 39, 45). Dabei ist eine strenge Prüfung vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden (zu den Stufen der Prüfungsintensität vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 3 GG RdNr 17 f), während bei der Ungleichbehandlung von Sachverhalten eine großzügigere Prüfung geboten ist.

37

Bei der von der Klägerin geltend gemachten Ungleichbehandlung handelt es sich um eine solche Ungleichbehandlung von Sachverhalten, denn die Regelungen in § 73 SGB VII knüpfen nicht an Personenmerkmale an. Unter dem deshalb hier anzulegenden "Willkürmaßstab" ist die Regelung über die Bildung einer Gesamt-MdE verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist sachlich gerechtfertigt, dass Personen mit einer einzelnen, jedoch zu hoch bewerteten Gesundheitsstörung anders behandelt werden als solche Personen, bei denen die Gesamtbewertung der MdE auf mehreren Gesundheitsstörungen beruht, von denen eine zu hoch bewertet ist. Sowohl bei einer MdE, die auf einem singulärem Gesundheitsschaden beruht, als auch bei einer solchen, die sich aus dem Zusammentreffen mehrerer Gesundheitsschäden ergibt, ist die (Gesamt-)MdE Anknüpfungspunkt der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Auch bei der Festsetzung einer Gesamt-MdE aufgrund mehrerer Gesundheitsstörungen wirkt sich lediglich der Wegfall einer Teil-MdE auf die Gesamt-MdE aus, wenn diese Änderung mehr als 5 vH beträgt. Erst dann liegt eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vor. Eine Änderung in dieser Höhe muss auch bei der Feststellung einer nur auf einer einzigen Gesundheitsstörung vorliegenden Einzel-MdE vorliegen. Dass bei mehreren Gesundheitsstörungen jede Veränderung jeder einzelnen MdE in jedem medizinischen Teilbereich berücksichtigt werden kann, hält der Senat für sachgerecht, weil die rentenberechtigende Gesamt-MdE von (mindestens) 20 vH im Regelfall nur aus einer Summation von Schäden resultiert. Das LSG hat vorliegend - auch für den Fall einer unveränderten Bewertung der chirurgischen Unfallfolgen - eine solche wesentliche Änderung der Gesamt-MdE in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht, weil die psychologischen Folgen des Unfalls im Jahre 2007 nicht mehr vorlagen.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Im Fall der Wiedererkrankung an den Folgen des Versicherungsfalls gelten die §§ 45 bis 47 mit der Maßgabe entsprechend, daß anstelle des Zeitpunkts der ersten Arbeitsunfähigkeit auf den der Wiedererkrankung abgestellt wird.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung der Verletztenrente durch die Beklagte wegen wesentlicher Besserung der Unfallfolgen.

2

Die Klägerin erlitt am 20.3.1998 einen Wegeunfall, als die Ladung eines entgegenkommenden LKW auf ihr Fahrzeug stürzte. Dadurch erlitt sie multiple Prellungen und Schürfwunden sowie eine Fraktur im Bereich des linken Oberarmkopfes. Anschließend stellten sich psychische Beeinträchtigungen ein. Nach Ermittlungen erkannte die Beklagte den Unfall durch Bescheid vom 25.10.1999 als Arbeitsunfall an und bewilligte ab 1.6.1998 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH wegen der chirurgischen Unfallfolgen. Zugleich teilte sie mit, wegen der psychischen Unfallfolgen werde ein ergänzender Bescheid ergehen. Ein nervenärztlicher Gutachter schätzte die unfallbedingte MdE auf seinem Fachgebiet mit 10 vH ein. Darauf bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9.1.2001 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 25 vH.

3

Bei Überprüfungen in den Jahren 2002 und 2005 wurde eine unveränderte MdE festgestellt. Im Jahre 2007 beschrieb ein Neurologe und Psychiater einen weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befund. Von Seiten des chirurgischen Fachgebiets wurde die MdE nur noch auf 15 vH und die Gesamt-MdE auf 15 vH eingeschätzt. Deshalb hob die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 24.7.2007 den Verwaltungsakt über die Bewilligung einer Rente nach einer MdE um 25 vH vom 9.1.2001 mit Wirkung ab 1.8.2007 auf und entzog die Rente mit Ablauf des Monats Juli 2007. Gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten. Eine MdE in rentenberechtigendem Grad bestehe nicht mehr. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2008).

4

Die dagegen erhobene Klage hat das SG Köln mit Urteil vom 8.7.2010 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 31.5.2011 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin die Rente zu Recht mit Ablauf des Monats Juli 2007 entzogen, denn in den Unfallfolgen liege seit Mai 2007 eine wesentliche Besserung im Vergleich zu den Verhältnissen vor, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde gelegen hätten. Zwar seien die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet im Wesentlichen unverändert geblieben und in dem der Festsetzung der Rente zugrunde liegenden Gutachten zu hoch bewertet worden. Dies folge aus dem nunmehr eingeholten chirurgischen Gutachten, nach dem die unfallbedingten Einschränkungen des linken Arms und der linken Schulter sowohl zum Zeitpunkt des Bescheids vom 9.1.2001 als auch zum Zeitpunkt der erneuten Untersuchung nur eine Teil-MdE um 10 vH rechtfertigten. Dagegen sei in den unfallbedingten Gesundheitsstörungen des nervenärztlichen Fachgebiets eine wesentliche Besserung eingetreten. Diese bedingten im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH und seien nun nicht mehr feststellbar. Da sich die gesundheitliche Situation wesentlich gebessert habe, sei die Rentenbewilligung aufzuheben. Auch die alternative Betrachtung, die die frühere Gesamt-MdE zugrunde lege, ergebe keine günstigere Beurteilung. Danach führe der Wegfall der MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet unter Berücksichtigung einer chirurgisch-orthopädischen MdE von 15 vH zu einer Gesamt-MdE von 15 vH. Folglich sei in der anerkannten Gesamt-MdE um 25 vH eine Absenkung um mehr als 5 vH eingetreten.

5

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII. Das LSG habe die Auslegung des Rechtsbegriffs der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen fehlerhaft vorgenommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen, den Bescheid der Beklagten mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, seien nicht gegeben, denn der frühere Bescheid dürfe nur aufgehoben werden, wenn sich die Tatsachengrundlage ändere. Vorliegend seien jedoch die gesundheitlichen Feststellungen der Klägerin auf unfallchirurgischem Fachgebiet unverändert geblieben. Bei der erstmaligen Feststellung der MdE habe die unfallchirurgische MdE bei mindestens 20 vH gelegen. Nehme man die Teil-MdE weiterhin mit 20 vH an, sei unter Berücksichtigung des § 73 Abs 3 SGB VII keine wesentliche Änderung eingetreten. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Einzel-MdE in den Tenor des Bescheids eingeflossen sei oder ob es sich nur um eine vorbereitende Feststellung handele, die in der Gesamt-MdE zusammengeführt werde. Die Einzel-MdE sei gegenüber der Gesamt-MdE nicht minder bedeutungsvoll und erwachse in Bestandskraft. Im Ergebnis müsse es bei der MdE von 20 vH auf chirurgischem Gebiet bleiben. Das Ergebnis der Beklagten verletze die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG, denn Personen, deren MdE sich aus mehreren Gesundheitsstörungen zusammensetze, dürften nicht schlechter behandelt werden als Personen mit einer MdE aufgrund nur einer Gesundheitsstörung. Letztere erwachse aber, weil sie zugleich die Gesamt-MdE darstelle, in Bestandskraft.

6

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 und des Sozialgerichts Köln vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2008 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie trägt vor, der Entzug der Rente sei mit Ablauf des Juli 2007 aufgrund wesentlicher Änderung in den Unfallfolgen zu Recht erfolgt, denn es sei eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 eingetreten. Aus der dort festgestellten Gesamt-MdE von 25 vH könne nicht auf die Höhe der zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte geschlossen werden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin ist unbegründet; das angefochtene Urteil des LSG ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 162 SGG).

10

Mit der Revision verfolgt die Klägerin in zulässiger Weise ihre Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) wegen der Regelung der Beklagten in ihrem Bescheid vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2008 weiter, denn sie ist durch diese Verwaltungsakte beschwert. Mit deren Aufhebung wäre ihre Beschwer beseitigt und die Rente nach einer MdE um 25 vH würde über den 31.7.2007 hinaus weitergezahlt werden. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind weder rechtswidrig noch verletzen sie die Klägerin in ihren Rechten.

11

Die Beklagte war durch § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII ermächtigt, den maßgeblichen "Bescheid vom 09.01.2001 mit Wirkung ab 01.08.2007" aufzuheben und die Rente "mit Ablauf des Monats Juli 2007" zu entziehen. Die Beklagte hat die Entscheidung über die Aufhebung des maßgeblichen Verwaltungsakts sowohl materiell als auch formell rechtmäßig getroffen (1.). Die Entscheidung der Beklagten verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG (2.).

12

1. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs 3 SGB VII spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als fünf vH beträgt.

13

a) Der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 unterliegt der Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn er ist ein solcher mit Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn eine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt (BSG vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 - BSGE 58, 27, 28 = SozR 1300 § 44 Nr 16 S 28 - Juris RdNr 14; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 51). Da der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 eine Rente auf unbestimmte Zeit bewilligt hat, hat er Dauerwirkung.

14

b) Eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt nicht vor, jedoch ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, wie ein Vergleich der zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten bestehenden Unfallfolgen ergibt.

15

Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 48 RdNr 8). In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

16

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist im Rahmen der hier geführten Anfechtungsklage die Frage, ob eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist, durch Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu ermitteln. Bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen kommt es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordene Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse an, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Anfechtungsklage vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 20.4.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr 18; BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 27/03 R - SozR 4-2600 § 7 Nr 1 RdNr 7 - Juris RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 33). Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1). Dagegen ist für die Beurteilung der (rechtlichen) Wesentlichkeit der Änderung von dem Tenor des bindend gewordenen Verwaltungsakts auszugehen.

17

Von diesen Maßstäben ausgehend hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass in den Befunden, die dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, verglichen mit denjenigen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung nachgewiesen ist. Die dahingehenden Feststellungen des LSG sind von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden (§ 163 SGG). Das LSG hat festgestellt, dass die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet zwar im Wesentlichen unverändert geblieben sind, zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids im Januar 2001 aber zu hoch eingeschätzt worden waren. Dagegen ist nach den Feststellungen des LSG in den psychischen Unfallfolgen der Klägerin eine wesentliche Besserung eingetreten. Hier lag im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH vor, bei Erlass des Aufhebungsbescheids im Jahre 2007 hat eine Teil-MdE auf psychiatrischem Gebiet nicht mehr bestanden und die Gesamt-MdE betrug nur noch 10 vH.

18

Eine wesentliche Änderung wäre aber - aus Gründen des Vertrauensschutzes - nicht eingetreten, wenn die Feststellung der Gesamt-MdE für die Rente der Klägerin von Anfang an rechtswidrig zu hoch festgesetzt war und seitdem unverändert geblieben ist oder sich nicht in dem nach § 73 Abs 3 SGB VII erforderlichen Maße geändert hat.

19

Nach seinem Wortlaut unterscheidet § 48 SGB X nicht danach, ob der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtmäßig oder rechtswidrig war. Nach ihrem Sinn und Zweck ist die Anwendung der Regelung aber ausgeschlossen, wenn und soweit der Vertrauensschutz des Betroffenen, wie er sich aus § 48 SGB X ergibt, unterlaufen würde. So stellt die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder einer überhöhten MdE keine wesentliche Änderung dar (Benz, NZS 2003, 77, 79). Anders liegt der Fall aber, wenn sich der tatsächliche Zustand so gebessert hat, dass eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vorliegt(Benz, aaO). In einem solchen Fall ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X auch auf von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte anwendbar. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine wesentliche Änderung der maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse dergestalt eingetreten ist, dass sich die Unfallfolgen wesentlich gebessert haben (dazu auch BSG vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6).

20

Insoweit hat das LSG festgestellt, dass auch ausgehend von der im Januar 2001 zu hoch angesetzten Teil-MdE auf chirurgischem Gebiet eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Wegfall der MdE auf nervenärztlichem/psychologischem Gebiet bedingt eine wesentliche Änderung, weil diese zu einem Herabsinken der Gesamt-MdE von 25 vH auf 15 vH führt.

21

c) Die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist auch rechtlich wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII.

22

Für die Feststellung der Wesentlichkeit einer Änderung ist ein Vergleich zwischen dem Verfügungssatz des zu prüfenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung gebotenen Entscheidung über die Höhe der MdE zu ziehen (zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Anfechtungsklage siehe oben 1. b>). Ergänzend hierzu schreibt § 73 Abs 3 SGB VII vor, dass eine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB X bei Änderung der einer Rente zugrunde liegenden MdE nur vorliegt, wenn die Änderung der MdE mehr als 5 vH beträgt(dazu im Einzelnen auch Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

23

Für den erforderlichen Vergleich ist zunächst festzustellen, welche Regelung die Beklagte mit Verwaltungsakt vom 9.1.2001 getroffen hat. Der bindende Inhalt eines Verwaltungsakts wird durch seine Verfügungssätze bestimmt (BSG vom 26.2.1986 - 9a RV 36/84). Einer der Verwaltungsakte im Bescheid vom 9.1.2001 hat der Klägerin "Rente auf unbestimmte Zeit" nach einer MdE um 25 vH bewilligt. Nur dieser Verfügungssatz ist wirksam und bindend geworden (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 8.5.1981 - 9 RVs 4/80 - SozR 3100 § 62 Nr 21).

24

Zwar war der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 9.1.2001 möglicherweise nicht hinreichend begründet iS von § 35 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X, denn die der Bewilligung der Rente zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte sind weder im Verfügungssatz noch in der Begründung dieses Verwaltungsakts aufgeführt. Da die Einzel-MdE-Werte den Berechnungsfaktoren von Leistungen - hier einer Rente nach § 56 SGB VII - zumindest ähnlich sind und ihre Ermittlung einen von mehreren Schritten zur Bestimmung der insgesamt bestehenden MdE darstellt(zur vergleichbaren Konstellation bei der Bildung eines Gesamt-Grad der Behinderung: BSG vom 20.11.2012 - B 9 SB 36/12 B), erscheint es angezeigt, die Einzel-MdE-Werte in der Begründung des bewilligenden Verwaltungsakts zu erläutern. Eine solche Begründung kann auch dem besseren Verständnis des Adressaten und der Ermöglichung der sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte dienen (zur rechtsstaatlichen Funktion der Begründung: Krasney in KassKomm, SGB X, Stand 5/2003, § 35 RdNr 2; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 35 RdNr 2). Dass dies hier unterblieben ist, kann aber die Rechtsposition der Klägerin nicht verbessern, wie sich aus dem Folgenden ergibt:

25

Die der Gesamt-MdE zugrunde liegenden Einzel-MdE-Werte nehmen an der Bindungswirkung (vgl § 39 SGB X) des Verwaltungsakts vom 9.1.2001 nicht teil. Dem dahingehenden Vorbringen der Klägerin ist nicht zu folgen. Der erkennende Senat (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82) und das BSG haben hinsichtlich der Bindungswirkung von Rentenbewilligungsbescheiden wiederholt entschieden, dass die Bindungswirkung nur die Gesamtbewertung einer MdE erfasst (vgl zur Bindungswirkung eines Rentenbescheids: BSG vom 26.6.1990 - 5 RJ 62/89 - SozR 3-1500 § 77 Nr 1 S 4 f - Juris RdNr 18; zum Recht der schwerbehinderten Menschen: BSG vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - BSGE 60, 287, 290 = SozR 1300 § 48 Nr 29 S 88; aA Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2012, § 48 SGB X Anm 5.6, der eine Bindung der Träger an Teil-MdE-Werte bejaht).

26

Hiervon ausgehend ist die Änderung der (hier allein zu betrachtenden) Gesamt-MdE wesentlich iS des § 73 Abs 3 SGB VII. Denn die vom LSG festgestellte eingetretene Änderung der zu vergleichenden Gesamt-MdE übersteigt den Wert 5 vH. Im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids ist eine MdE in einem rentenberechtigenden Grad von mindestens 20 vH nicht mehr gegeben, denn es liegt unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes nur (noch) eine MdE von 15 vH vor.

27

d) Die Aufhebung des Verwaltungsakts hält sich auch sonst im Rahmen der Ermächtigung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X.

28

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts "hat" gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Zukunft zu erfolgen. Sie hat bei Sozialleistungen, die für einen bestimmten Zeitraum bewilligt sind, auf den Zeitpunkt des Beginns des folgenden Leistungszeitraums hin zu erfolgen (§ 73 Abs 1 SGB VII; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 44).

29

Der der Klägerin am 26.7.2007 zugestellte Aufhebungsbescheid entfaltet lediglich Rechtswirkung für die Zukunft, hier für die Zeit ab 1.8.2007. Zu diesem Zeitpunkt sind die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Rente bereits entfallen gewesen, denn seit der Begutachtung im Mai 2007 war bekannt, dass die Voraussetzungen für den Wegfall des Rentenanspruchs vorlagen. Die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung der Rente wurde schließlich nicht unter Verletzung des § 73 Abs 1 SGB VII getroffen, denn sie entspricht dem "Folgemonatsprinzip" dieser Regelung(vgl Brandenburg, aaO; Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

30

e) Der angefochtene Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).

31

Das Bestimmtheitserfordernis verlangt als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsakts, dass dessen Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Adressaten bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, die in ihm angeordnete Rechtsfolge zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - Juris RdNr 18; BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31; BSG vom 22.9.2009 - B 2 U 32/08 R - SozR 4-2700 § 168 Nr 2).

32

Der angefochtene Verwaltungsakt entspricht diesen Anforderungen, denn er benennt ordnungsgemäß den aufzuhebenden Bescheid mit Datum und Regelungsgegenstand und verfügt dessen Aufhebung. Der Verwaltungsakt regelt auch, zu welchem Zeitpunkt die Verletztenrente der Klägerin entfällt. Die ausgesprochene Rechtsfolge war für die Klägerin aus den getroffenen Regelungen klar zu erkennen.

33

f) Der angefochtene Verwaltungsakt leidet auch nicht an formellen Fehlern, denn die gemäß § 24 Abs 1 SGB X vor seiner Bekanntgabe erforderliche Anhörung hat stattgefunden.

34

2. Das gefundene Ergebnis verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus "Artikel 3" GG.

35

In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass der Bestandskraft von Verwaltungsakten eine vergleichbare Bedeutung für die Rechtssicherheit zukommt wie der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen. Art 3 Abs 1 GG hindert aber nicht die Anpassung eines bindenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung an geänderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse. Vielmehr besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Aufhebung eines Hoheitsakts herbeizuführen, wenn die Rechtsordnung der Verwaltung die Befugnis erteilt hat, für ihren Bereich das im Einzelfall Verbindliche festzustellen, zu begründen oder - wie hier - zu ändern (so ausdrücklich BVerfGE 60, 253, 270; vgl auch BVerfG vom 15.10.2009 - 1 BvR 3522/08).

36

Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Nach der sog neuen Formel des BVerfG ist Art 3 Abs 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; später BVerfGE 84, 133, 157; BVerfGE 85, 191, 210; BVerfGE 85, 238, 244; BVerfGE 87, 1, 36; BVerfGE 95, 39, 45). Dabei ist eine strenge Prüfung vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden (zu den Stufen der Prüfungsintensität vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 3 GG RdNr 17 f), während bei der Ungleichbehandlung von Sachverhalten eine großzügigere Prüfung geboten ist.

37

Bei der von der Klägerin geltend gemachten Ungleichbehandlung handelt es sich um eine solche Ungleichbehandlung von Sachverhalten, denn die Regelungen in § 73 SGB VII knüpfen nicht an Personenmerkmale an. Unter dem deshalb hier anzulegenden "Willkürmaßstab" ist die Regelung über die Bildung einer Gesamt-MdE verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist sachlich gerechtfertigt, dass Personen mit einer einzelnen, jedoch zu hoch bewerteten Gesundheitsstörung anders behandelt werden als solche Personen, bei denen die Gesamtbewertung der MdE auf mehreren Gesundheitsstörungen beruht, von denen eine zu hoch bewertet ist. Sowohl bei einer MdE, die auf einem singulärem Gesundheitsschaden beruht, als auch bei einer solchen, die sich aus dem Zusammentreffen mehrerer Gesundheitsschäden ergibt, ist die (Gesamt-)MdE Anknüpfungspunkt der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Auch bei der Festsetzung einer Gesamt-MdE aufgrund mehrerer Gesundheitsstörungen wirkt sich lediglich der Wegfall einer Teil-MdE auf die Gesamt-MdE aus, wenn diese Änderung mehr als 5 vH beträgt. Erst dann liegt eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vor. Eine Änderung in dieser Höhe muss auch bei der Feststellung einer nur auf einer einzigen Gesundheitsstörung vorliegenden Einzel-MdE vorliegen. Dass bei mehreren Gesundheitsstörungen jede Veränderung jeder einzelnen MdE in jedem medizinischen Teilbereich berücksichtigt werden kann, hält der Senat für sachgerecht, weil die rentenberechtigende Gesamt-MdE von (mindestens) 20 vH im Regelfall nur aus einer Summation von Schäden resultiert. Das LSG hat vorliegend - auch für den Fall einer unveränderten Bewertung der chirurgischen Unfallfolgen - eine solche wesentliche Änderung der Gesamt-MdE in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht, weil die psychologischen Folgen des Unfalls im Jahre 2007 nicht mehr vorlagen.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vH zu zahlen.

2

Die Klägerin befand sich am 15.5.2000 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, dem Amt für Landwirtschaft in G, zu ihrer Wohnung. Aufgrund eines Staus musste sie anhalten. Ein Ford Transit fuhr auf ihr stehendes Kraftfahrzeug (Kfz) auf und schob es auf das davor stehende Kfz. Die angeschnallte Klägerin wurde bei dem Unfall nach vorne und wieder zurück geschleudert. Sie konnte am Unfallort mit dem Unfallgegner und der Polizei die Formalitäten abwickeln und fuhr mit dem Pkw nach Hause. Wegen starker Schmerzen an der Wirbelsäule musste sie sich drei Stunden später in die ambulante Notfallbehandlung im Kreiskrankenhaus Meißen begeben. Die Erstdiagnose der dortigen Ärzte lautete: "HWS - Schleudertrauma, Schädelprellung". Vom 19. bis 27.5.2000 schloss sich eine stationäre Krankenhausbehandlung an. In der Folge weiteten sich die Beschwerden aus. Die Beklagte zahlte der Klägerin bis 4.4.2002 Verletztengeld.

3

Mit Schreiben vom 25.1.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige die Einholung eines unfallchirurgischen Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens. Sie schlug drei namentlich benannte Haupt- sowie einen namentlich benannten Zusatzgutachter, sonst solche der jeweiligen Einrichtung, vor und wies die Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht hin. Die Klägerin widersprach den Vorschlägen der Beklagten und schlug vor, das Evangelische Stift St. M. in K. solle mit der Begutachtung beauftragt werden, da sie dort bereits behandelt wurde. Die Beklagte ernannte Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. zum Hauptgutachter. Auf dessen Veranlassung wurde bei Dr. S. (Dr S) das neurologische Gutachten vom 18.3.2001 eingeholt.

4

Mit Bescheid vom 4.3.2002 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. In dem Bescheid regelte sie weiter: "Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls besteht kein Anspruch auf Rente." Zur Begründung führte sie aus, Unfallfolgen lägen nach ausgeheilter "Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) und der Halsweichteile“ nicht mehr vor. Unfallunabhängig bestehe eine Konversionsneurose mit dadurch bedingter Bewegungseinschränkung der HWS, der Schultergelenke sowie Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb im Widerspruchsbescheid vom 2.7.2002 ohne Erfolg.

5

Die Klägerin hat beim SG Dresden Klage erhoben. Sie hat Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Mit Schriftsatz vom 13.2.2004 hat die Beklagte dem SG die "Beratungsärztliche Stellungnahme" der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (Dr H) vom 29.12.2003 vorgelegt, die das SG der klägerischen Seite übersandt hat. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.7.2006 abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den umfangreichen Beschwerden und dem Unfall bestehe nicht. Der Unfall habe über den Zeitpunkt der Zahlung von Verletztengeld hinaus keine objektivierbaren Folgen hinterlassen.

6

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Sie hat ihr Begehren dahingehend erweitert, dass ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH zu zahlen sei. Das LSG müsse ein Unfallrekonstruktions- und ein biomechanisches Gutachten einholen, um die Kräfte festzustellen, die auf ihre HWS eingewirkt hätten. Die Diagnose einer Konversionsneurose sei abzulehnen, da sie von einem Orthopäden gestellt worden sei.

7

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20.5.2009 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Unfall habe sich nicht wahrscheinlich machen lassen. Das Unfallgeschehen sei an sich in der Lage gewesen, ein whiplash-syndrome zu verursachen. Die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall nicht näher bezeichnete Gesundheitserstschäden erlitten, denn sie sei bei der Kollision erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt gewesen. Ein solches Trauma bewirke "in der Regel" eine Zerrung im Hirnstamm, was sich in messbaren Versagungszuständen äußern könne. Die Klägerin weise aber nur zum Teil eine spezifische Symptomatik auf. Daneben bestehe eine damit verwandte Symptomatik, welche keineswegs dem Unfallgeschehen zuzuordnen sei. Über die Ursachen des vorhandenen eher untypischen Beschwerdebilds könne nur spekuliert werden. In der Urteilsbegründung hat sich das LSG überwiegend auf eigene Recherchen gestützt und ist den Gerichtsgutachtern, zB Prof. St., ausdrücklich nicht gefolgt. Es sei wahrscheinlich, dass die bestehenden Beschwerden in den Zusammenhang mit den von Dr H dokumentierten gesundheitlichen Auffälligkeiten einzuordnen seien.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 iVm § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Der Wegeunfall habe zu Gesundheitsfolgeschäden geführt, die eine Verletztenrente nach einer MdE mit wenigstens 50 vH bedingten. Das LSG habe bei der Klägerin Gesundheitsschäden festgestellt. Dagegen habe es eine Konkurrenzursache, also einen Vorschaden, nicht bejaht. Ausdrücklich habe das LSG ein pseudoneurasthenisches Syndrom, eine Konversionsneurose, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und einen psychischen Konflikt verneint und den Unfall als Gelegenheitsursache ausgeschlossen. Damit seien die Voraussetzungen einer Rentengewährung zu bejahen.

9

Des Weiteren erhebt die Klägerin Verfahrensrügen. Das LSG habe die Berufung nicht aufgrund eigener Auswertung medizinischer Fachliteratur und aufgrund eigenen Erfahrungswissens zurückweisen dürfen. Dies sei aber geschehen, da das Gericht sich weder auf eines der eingeholten gerichtlichen Gutachten gestützt noch ein weiteres ärztliches Zusammenhangsgutachten auf aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eingeholt habe. Wenn das LSG sich auf eigene Sachkunde und selbst ausgewertete Veröffentlichungen stützen wolle, müsse es die Klägerin auf seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die herangezogene Literatur hinweisen. Da dies nicht geschehen sei, verletze das Urteil das rechtliche Gehör der Klägerin. Das LSG habe ein Beweisverwertungsverbot nicht beachtet. Es habe sich auf die Stellungnahme der Dr H vom 29.12.2003 gestützt, die aber nicht verwertbar sei. Es könne dahin stehen, ob es sich um eine beratungsärztliche Stellungnahme oder ein Gutachten handele, denn auch als Stellungnahme nehme die Äußerung Bezug auf das Zusatzgutachten des Dr S vom 18.3.2001, das unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingeholt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe deshalb bezüglich des Gutachtens Dr S ein Beweisverwertungsverbot, das sich auf alle weiteren Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen erstrecke, die hierauf aufbauten.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2009, das Urteil des SG Dresden vom 19. Juli 2006 sowie den ablehnenden Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 4. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH seit 5. April 2002 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Ausgehend von einer Vielzahl in Betracht kommender Erkrankungen fehle es an der Feststellung konkreter Gesundheitsstörungen auf der Grundlage eines üblichen Diagnosesystems und unter Verwendung der dortigen Begriffe und Bezeichnungen. Im Recht der Versicherungsfälle nach dem SGB VII gebe es keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte Ursache automatisch die wesentliche Ursache sei (unter Hinweis auf BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R). Die beratungsfachärztliche Stellungnahme der Dr H sei verwertbar, da die Klägerin von ihrem höchstpersönlichen Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Die Stellungnahme sei beim SG in den Rechtsstreit eingeführt worden. Die Klägerin habe die Nichtverwertbarkeit der Stellungnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist sowohl wegen Verletzung von materiellem Bundesrecht (dazu 1.) als auch wegen durchgreifender Verfahrensrügen (dazu 2.) im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der darin getroffenen Feststellungen und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

1. Über die mit der Revision weiterverfolgten Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten und die Leistungsklage auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

15

a) Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.

16

Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(stRspr zB BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

17

Vorliegend würde die Einschätzung der MdE der Klägerin voraussetzen, dass der als Arbeitsunfall anerkannte Verkehrsunfall bei der Klägerin eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (BSG 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22)die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (vgl BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 50/02 R - Juris RdNr 23; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22).

18

Nach diesen Maßstäben kann der Senat über das Bestehen eines Rentenanspruchs der Klägerin nicht entscheiden, da das LSG keine Feststellungen über die bei der Klägerin bestehende MdE getroffen hat. Es verneint zwar eine Reihe von Gesundheitsstörungen der Klägerin und diskutiert eine Reihe anderer als möglicherweise gegeben, stellt aber nicht positiv fest, welche Funktionseinschränkungen aufgrund welcher Gesundheitsstörungen aktuell vorliegen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt ist.

19

b) Der Senat kann auch nicht dahingestellt lassen, ob und ggf welche Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens vorliegen. Auf die Feststellung dieser Tatsachen könnte nur verzichtet werden, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer vorliegenden MdE sicher auszuschließen wäre. Auch hierzu hat das LSG die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

20

Voraussetzung eines Rentenanspruchs ist ua, dass der Versicherungsfall die Arbeitsmöglichkeiten von Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert, bei dem jeweiligen Versicherten also eine MdE verursacht (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; Burchardt in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 56 RdNr 11). Zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist zunächst zu prüfen, ob die MdE durch einen nachgewiesenen Versicherungsfall im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht worden ist. Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob auch andere - ebenfalls sicher feststehende - Faktoren, wie Vorerkrankung, Nacherkrankung, innere Ursache usw, im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne kausal für das Bestehen einer MdE geworden sind. Wird die MdE sowohl durch den Versicherungsfall als auch durch andere Faktoren verursacht, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen, ob die MdE "wesentlich" durch den Versicherungsfall (mit)verursacht worden ist. Für diese Feststellung genügt bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 20).

21

Zwar hat das LSG vorliegend den Arbeitsunfall sowie andere Umstände als Ursachen diskutiert, es hat aber nicht festgestellt, dass entweder der Arbeitsunfall oder eine andere Ursache (zB Vorerkrankungen) oder beide Umstände für eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens eine Ursache gesetzt haben.

22

Mithin fehlt es für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Rente nach § 56 SGB VII neben der Feststellung einer MdE (oben a) auch daran, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Versicherungsfall und einer möglichen MdE weder festgestellt noch auszuschließen ist (oben b). Daher kann der Senat nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII besteht oder nicht besteht.

23

3. Das Urteil des LSG und die darin getroffenen Feststellungen sind auch wegen zulässig und begründet erhobener Verfahrensrügen aufzuheben.

24

a) Das LSG hat, wie von der Klägerin im Einzelnen dargelegt wurde, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

25

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (zur Gehörsverletzung bei Unterlassung dieses Hinweises: BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - Juris RdNr 20 f mwN).

26

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, da es nicht den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gefolgt ist, sondern seine Zusammenhangsbeurteilung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung der unfallmedizinischen Literatur entwickelte Beurteilung, also auf eigene Sachkunde, gestützt hat. Vor der Entscheidung hat es die Beteiligten nicht auf das Bestehen eigener medizinischer Sachkunde hingewiesen und ihnen nicht erläutert, was diese beinhaltet. Damit liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin, hätte sie Kenntnis von der Sachkunde des LSG und deren Inhalten erhalten, die von ihr aufgezeigten Einwendungen vorgebracht und dadurch das LSG zu einer anderen Entscheidung gebracht hätte.

27

b) Das LSG hat die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt.

28

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang - zB zwischen beruflichen Einwirkungen und einer Erkrankung - zu bejahen ist, vom Tatsachengericht unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt bestehenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten ist (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 21). Nichts anderes kann gelten, wenn es bei einem geltend gemachten Rentenanspruch um die Beurteilung geht, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Versicherungsfall und einer geltend gemachten MdE besteht.

29

Diesen Anforderungen an die Sachaufklärung ist das LSG nicht gerecht geworden. Zwar hat es medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, ist diesen aber nicht gefolgt. Da das LSG nach seiner Rechtsauffassung kein Gutachten eingeholt hatte, das den Ursachenzusammenhang dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend beurteilte, hätte es (weitere) medizinische Ermittlungen durchführen müssen, die diesen Anforderungen entsprechen. Zwar können die Gerichte zur Entscheidungsfindung auch einschlägige wissenschaftliche Publikationen heranziehen (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21). Diese dienen aber regelmäßig nicht der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs durch das Gericht selbst, sondern der kritischen Überprüfung eingeholter Gutachten daraufhin, ob sie dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

30

c) Demgegenüber wird das LSG die Stellungnahme der Dr H bei seiner erneuten Beweiswürdigung verwerten dürfen. Denn die weitere von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, diese Stellungnahme sei wegen eines Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB VII nicht verwertbar, ist unbegründet.

31

Die Klägerin rügt, das LSG habe die Äußerung der Ärztin Dr H vom 29.12.2003 nicht verwerten dürfen, da diese einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Auch wenn es sich bei dieser Äußerung um eine beratungsärztliche Stellungnahme handele, sei sie nicht verwertbar, da darin auf das Gutachten des Dr S abgestellt werde, das seinerseits unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften eingeholt worden sei. Aufgrund der Fernwirkung des Beweisverwertungsgebots bezüglich des Gutachtens Dr S sei auch die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr H unverwertbar, was sie rechtzeitig gerügt habe.

32

Das LSG durfte und darf die ärztliche Stellungnahme der Dr H verwerten, denn weder hat die Beklagte die Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht (§ 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII; dazu aa) noch hat sie das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII; dazu bb) verletzt.

33

aa) Die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X kann ein Beweisverwertungsverbot auslösen (BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 50 f). Zwar besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (vgl BVerfG vom 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, BVerfGK 9, 174, 196). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG vom 12.4.2005, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61). Ein solches unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitetes Beweisverwertungsverbot ist allerdings nur anzunehmen, wenn der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl BVerfG vom 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 320; BVerfG vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09).

34

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Recht, Widerspruch gegen die Weitergabe von Sozialdaten einlegen zu können, den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG; dazu zuletzt BVerfG vom 21.9.2010, 1 BvR 1865/10) berührt. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten lassen, die Betroffenen ausdrücklich über ihr gesetzliches Widerspruchsrecht belehren zu müssen. Auch außerhalb des SGB VII können Betroffene der Weitergabe von Sozialdaten widersprechen, wenn diese besonders schutzwürdig sind (§ 76 Abs 2 SGB X). Eine Belehrungspflicht bei jeder Weitergabe von Sozialdaten ist außerhalb des SGB VII nicht geregelt. Verletzungen des Sozialdatenschutzes führen dort vielmehr in erster Linie zu den in §§ 81 f SGB X normierten Rechtsfolgen. Die Regelung des § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII dürfte daher eine spezifisch verfahrensrechtliche Belehrungspflicht im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Eine Verletzung der Belehrungspflicht könnte danach als einfachrechtlicher Verfahrenfehler zu qualifizieren sein (vgl auch Köhler ZFSH/SGB 2009, 451, 455).

35

Vor diesem Hintergrund ist weiter fraglich, ob die Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen ggf nur zum Verbot der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels führt, oder ob dies Beweisverwertungsverbot - kraft Fernwirkung - sogar auf später erhobene Beweismittel durchschlägt, die auf das unter Verletzung von Datenschutz- oder Verfahrensrechten eingeholte Gutachten Bezug nehmen (so BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 62 f).

36

Die Annahme einer solchen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (kritisch Bieresborn, Anm zu B 2 U 8/07 R, SGb 2009, 49, 51; Behrens/Froede, NZS 2009, 129, 134; zum Vergleich mit fehlender Belehrungspflicht im Strafrecht: Köhler in ZFSH/SGB 2009, 451, 460 f; "schwer erträglich" Kunze, VSSR 2009, 205, 216; "nicht überzeugend" C. Wagner in jurisPR-SozR 25/2008 Anm 6). Diese Kritik führt vor allem an, dass in der Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in aller Regel abgelehnt wird (vgl BVerfG vom 8.12.2005 - 2 BvR 1686/04 - BVerfGK 7, 61; BGH vom 28.4.1987 - 5 StR 666/86 - BGHSt 34, 362; BGH vom 24.8.1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68, 71; BGH vom 6.8.1987 - 4 StR 333/87 - BGHSt 35, 32). Diese Kritik sowie die ständige Rechtsprechung dieser Gerichte werden bei erneuter Prüfung der Problematik zu bedenken sein.

37

Vorliegend kommt es auf diese grundsätzlichen Erwägungen nicht an. Das LSG durfte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr H vielmehr schon deshalb verwerten, weil eine Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht vorliegt.

38

Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht besteht nach dem Tatbestand des § 200 Abs 2 SGB VII nur für ärztliche "Gutachten". Auf ärztliche Stellungnahmen von Beteiligten ist die Regelung nicht anwendbar. Dr H hat aber für die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte hat die Ärztin nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur ihre fachliche Bewertung des Gutachtens eines bestellten Sachverständigen eingeholt. Dr H hat ihre Stellungnahme als beratungsärztliche Äußerung bezeichnet. Auch ihrem Inhalt nach hat sie die Klägerin nicht untersucht und kein Gutachten nach Aktenlage abgegeben. Jeder Beteiligte ist nach dem SGG vielmehr berechtigt, sein Vorbringen auch auf Äußerungen von Beratungsärzten, Hausärzten oder behandelnde Fachärzte zu stützen.

39

Die Stellungnahme der Dr H, in der auf das Gutachten des Dr S hingewiesen wird, ist auch schon deshalb nicht unverwertbar, weil dieses Gutachten seinerseits nicht unter Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht eingeholt wurde.

40

Der Senat hatte auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt und dabei festgestellt, dass die Klägerin vor Einholung des Gutachtens Dr S mit Schreiben vom 25.1.2001 nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden war. Die Beklagte schlug der Klägerin mit Schreiben vom 25.1.2001 Gutachter zur Auswahl vor und belehrte sie in demselben Schreiben über ihr Widerspruchsrecht. Diese Belehrung erfolgte zwar nicht in Bezug auf einen namentlich benannten Arzt, hier zB Dr S. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift aber auch nicht geboten, denn diese fordert eine im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Gutachtern oder deren Beauftragung zu erteilende Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X. Diesen Anforderungen genügte die Beklagte, als sie die Klägerin allgemein, rechtzeitig und vollständig darüber belehrt hat, dass ihre Sozialdaten an die zu beauftragenden Gutachter weitergegeben werde und sie der Weitergabe der Daten widersprechen kann.

41

bb) Die Beklagte hat auch nicht das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) verletzt.

42

Der Senat ließ in der Entscheidung vom 5.2.2008 (B 2 U 8/07 R, BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1) offen, ob die Verletzung des Auswahlrechts (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (BSG aaO, RdNr 57). Inzwischen hat er entschieden, dass die Verletzung des Auswahlrechts nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der Betroffene die Verletzung des Auswahlrechts nicht rechtzeitig rügt (Rügeobliegenheit). Durch die Rüge wird der Unfallversicherungsträger in die Lage versetzt, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen sowie zeitnah und nach Maßgabe der §§ 20, 67 ff SGB X, 200 f SGB VII neue Ermittlungen durchzuführen, um dem Beschleunigungsgebot aus § 9 Satz 2 SGB X entsprechend zügig über geltend gemachte Ansprüche zu entscheiden(§ 2 Abs 2 SGB I). Hier kann aber dahingestellt bleiben, ob die anwaltlich vertretene Klägerin rechtzeitig die Verletzung des Auswahlrechts bei Einholung des Gutachtens Dr S gerügt und der Begutachtung durch diesen Arzt widersprochen hätte (vgl auch BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - Juris RdNr 33 f; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), denn die Beklagte hat schon das Auswahlrecht der Klägerin nicht verletzt.

43

Zwar dürfte das Auswahlrecht der Versicherten nach § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII auch bezüglich der Zusatzgutachter zu beachten sein(vgl Dahm in Lauterbach, UV , Stand August 2009, § 200 RdNr 17 mwN). Die Verletzung kommt in Betracht, denn die Beklagte hat der Klägerin nicht mehrere namentlich benannte Zusatzgutachter vorgeschlagen. Das Auswahlrecht der Klägerin ist dennoch nicht verletzt, denn der Vorschlag mehrerer Zusatzgutachter zur Auswahl war im vorliegenden Fall entbehrlich ("soll").

44

Der Verzicht der Beklagten auf Benennung von mehreren Zusatzgutachtern zur Auswahl war nicht rechtswidrig, denn es lag ein atypischer Fall vor. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass die Einholung eines orthopädischen und eines Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens beabsichtigt sei. Hierzu schlug sie der Klägerin drei Hauptgutachter und einen Zusatzgutachter zur Auswahl vor. Die Klägerin wandte sich gegen die Begutachtung durch einen der vorgeschlagenen Gutachter und teilte mit, sie wolle durch einen Arzt des Evangelischen Stifts St. M. in K. begutachtet werden. Die Beklagte folgte dem Vorschlag der Klägerin und beauftragte Chefarzt Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. mit dem Hauptgutachten. Sie bat ihn, bei einem namentlich nicht benannten Arzt ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Hauptgutachter wählte Dr S als Zusatzgutachter aus und beauftragte ihn.

45

Zur Erreichung der mit der Vorschlagspflicht verfolgten Zwecke war es vorliegend nicht geboten, der Klägerin mehrere Zusatzgutachter zur Auswahl zu benennen. § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII bezweckt die Gewährleistung eines transparenten Verfahrens, die Bereitstellung eines Pools von Gutachtern und die Sicherung des Datenschutzes(BT-Drucks 13/4853, S 22). Möglicherweise dient die Regelung, ohne dass dies allerdings Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden hätte, auch der Verhinderung einer Übermacht des Unfallversicherungsträgers im Verfahren (so der Senat im Urteil vom 5.2.2008 aaO, RdNr 37 bis 39; kritisch dazu Kunze, VSSR 2009, 205, 209 f).

46

Die Versicherte schlug der Beklagten selbst vor, die Begutachtung solle in einer von ihr gewählten Einrichtung erfolgen. Die Beklagte folgte dem Vorschlag. Sie musste, da die Einrichtung weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lag, dort keinen Pool von zur Begutachtung kompetenten Ärzten vorhalten. Die Beklagte nahm auch keinen Einfluss auf die Auswahl der Person des Zusatzgutachters, denn sie überließ die Auswahl dem von der Klägerin gewünschten Hauptgutachter und griff nicht in die Auswahl des Zusatzgutachters ein (vgl auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2011, § 200 SGB VII Anm 4.3; kritisch C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII § 200 RdNr 39). Vorliegend kommt hinzu, dass Dr S kein Hauptgutachten erstattet hat, sondern als Zusatzgutachter für den Hauptgutachter tätig geworden ist. Die Beauftragung eines vom Versicherten gewünschten Arztes löst auch kein weiteres/neues Auswahlverfahren aus.

47

Nach allem ist die Verfahrensrüge der Klägerin unbegründet; das LSG durfte und darf die Stellungnahme der Dr H verwerten.

48

4. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG aktuelle medizinische Gutachten zu der Frage einzuholen haben, ob konkret zu bezeichnende Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu bestimmten Funktionseinschränkungen führen, die bei der Klägerin eine MdE verursachen. Soweit dies zu bejahen ist, ist weiter gutachtlich zu klären, ob zwischen Versicherungsfall und der MdE ein Ursachenzusammenhang besteht und ob daneben andere Ursachen die MdE begründen. Falls mehrere Ursachen für die MdE festgestellt werden, wird zu beurteilen sein, ob der Arbeitsunfall für den Eintritt der MdE eine rechtlich wesentliche Ursache war. Dabei ist das LSG nicht gehindert, die von der Beklagten erhobenen Gutachten und die von ihr vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen zu verwerten.

49

5. Das LSG hat in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger absolvierte bis Mai 1977 eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Im Anschluss war er bis einschließlich 1997 als Eisenflechter und Zimmerer tätig. Diese Tätigkeiten gab er aufgrund einer Erkrankung seiner Wirbelsäule 1998 auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim Kläger eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine altersuntypische Chondrose Grad I im Segment L4/L5.

3

Mit Bescheid vom 5.4.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.7.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Wirbelsäulenerkrankung könne nicht als BK anerkannt werden, weil insbesondere die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 nicht vorlägen. Da in allen Wirbelsäulenabschnitten Verschleißerscheinungen bestünden, spreche das Schadensbild gegen eine berufliche Verursachung.

4

Das SG Chemnitz hat die Klagen mit Urteil vom 6.4.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger bestehe zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei L4/L5. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK lägen jedoch nach den Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheiten 2005/3, S 211, 214 ff) nicht vor. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 29.1.2014 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 vorliege. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wesentlich durch die berufliche Einwirkung verursacht. Entsprechend den Konsensempfehlungen liege eine ausreichende Exposition für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Der Ursachenzusammenhang zwischen dieser Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei zu bejahen. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich. Das bei Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestehende Schadensbild entspreche der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, bei deren Vorliegen die Verursachung hinreichend wahrscheinlich sei. Es liege zum einen eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums dieser Konstellation vor, weil im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - auf die Hälfte des Richtwertes von 25 Meganewtonstunden (MNh) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Lebensdosis für Männer in weniger als 10 Jahren und damit auf 12,5 MNh abzustellen sei. Dieser Wert sei in dem 10-Jahreszeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 mit rund 15 MNh erreicht worden. Zum anderen bestehe beim Kläger auch eine Höhenminderung und ein Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, weil dieses Zusatzkriterium auch bei einem lediglich bisegmentalen Bandscheibenschaden erfüllt sei.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Das Vorliegen einer BK 2108 könne nicht auf die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gestützt werden, weil der erforderliche wissenschaftliche Konsens nicht mehr vorliege. Divergierende Entscheidungen der LSGe zur Höhe des Richtwertes für die Lebensdosis als Indiz für eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums zur Konstellation B2 der Konsensempfehlungen zeigten, dass hinsichtlich ihrer Anwendung nicht mehr von einem einheitlichen Meinungsstand ausgegangen werden könne. Die Konsensempfehlungen könnten deshalb nicht mehr als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet und die Anerkennung einer BK 2108 nicht mehr auf sie gestützt werden. Auch seien die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht gegeben.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. April 2011 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das LSG habe seiner Entscheidung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Ursachenzusammenhang bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugrunde gelegt. Dieser sei weiterhin den Konsensempfehlungen zur BK 2108 zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

10

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig. Der Übergang im Berufungsverfahren von der zunächst erhobenen Verpflichtungs- auf eine Feststellungsklage war nach § 99 Abs 3 SGG zulässig(vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42 = NZS 2012, 151).

11

Der Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII),weil der Versicherungsfall erst nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität; dazu unter B). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter C). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind hier erfüllt.

12

A.1. Der Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Baufacharbeiter von September 1975 bis Mai 1977 bis einschließlich 1997 und auch darüber hinaus als Eisenflechter und Zimmerer beschäftigt. Er war damit "Versicherter" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII.

13

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Zeitraum vom 1.9.1975 bis 30.6.1998 einer kumulativen Einwirkungsbelastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen von 31 MNh (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17 f, sowie zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

14

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der Nr 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von September 1975 bis jedenfalls Ende 1997 und damit 22 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - USK 2004-101; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2).

15

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG litt der Kläger im Juli 1998 an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es lag eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 vor.

16

B. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - UV-Recht Aktuell 2006, 497), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

17

1. Vorliegend hat das LSG unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungswerts iHv 31 MNh ausgehend vom MDD zutreffend angenommen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 31 MNh erheblich überschritten war. Es kommt daher im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Deshalb muss hier auch nicht entschieden werden, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Erreichen jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6, S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

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2. Das LSG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - USK 2004-107).

19

Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der sog Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt (dazu unter b).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, Juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese zulässig gerügt werden (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Bindung besteht allerdings nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, Juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, Juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, zur Veröffentlichung in ASUMed 8/2015 vorgesehen; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233), handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 ; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8, S 10 ff), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs die Aussage des LSG, dass bei dem Kläger die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt, für die diese eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Für sämtliche Befundkonstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird.

25

Das LSG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger die Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren - vorlag, bei der der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist. Es hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 ohne Begleitspondylose und keine konkurrierenden Ursachen vorlagen, sowie dass der Kläger im Zeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 Belastungen von 15 MNh ausgesetzt war. Damit erreichte der Kläger also in weniger als 10 Jahren zwar nicht den Orientierungswert für Männer nach dem MDD iHv 25 MNh, überschritt jedoch mit 15 MNh die Hälfte dieses Wertes von 12,5 MNh.

26

Das LSG ist weiter davon ausgegangen, dass beim Kläger wegen dieses Überschreitens der hälftigen MDD-Dosis in Höhe von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren die für den Kausalzusammenhang der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung vorlag. Den Konsensempfehlungen hat das LSG mithin den generellen wissenschaftlichen Erfahrungssatz entnommen, dass für die bei der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis iHv 25 MNh, nämlich des Wertes von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren genügt. Dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Der vom LSG aufgestellte allgemeine Erfahrungssatz kann vom Revisionsgericht zwar in den oben aufgezeigten Grenzen überprüft werden, denn die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Recht der BKen unterliegen nicht von vornherein der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an tatrichterliche Feststellungen(vgl zB BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).

27

Der Senat konnte aber im Rahmen seiner hierzu durchgeführten Überprüfung nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass der vom LSG zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der erforderlichen besonders intensiven Belastung des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird und deshalb offenkundig nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen selbst verlangt jedenfalls in der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - nur das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren, ohne dort konkret die "MDD-Lebensdosis" wie im 3. Zusatzkriterium zu erwähnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird (Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S 135, 138) teilweise auf die Hälfte des MDD-Richtwerts und damit für Männer auf eine Belastung von 12,5 MNh abgestellt. Allein dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (für den Wert von 25 MNh wohl Grosser in: Grosser ua, BK 2108, S 83, 102) und die LSGe hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.2.2010 - L 14 U 78/06 - und vom 25.5.2011 - L 3 U 28/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 6.5.2010 - L 3 U 19/06 - und vom 19.1.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - sowie Bayerisches LSG vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06), reicht nicht dafür aus, die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.

28

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch ua , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Für den Senat war danach nicht erkennbar, dass der vom LSG zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem 2. Zusatzkriterium der Konstellation B2 offenkundig falsch ist oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird. Dies ist auch dem Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die Konsensempfehlungen im Ganzen und hinsichtlich der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - im Besonderen aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen keine hinlänglich zuverlässige Grundlage mehr für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands seien. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Konsensempfehlungen insgesamt unzutreffend. Der Senat sieht sich nach seinen eigenen Erkenntnissen jedenfalls auch nicht veranlasst, diesen vom LSG zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erfahrungssatz zu korrigieren.

29

Insofern besteht zwar aufgrund des durchaus kontroversen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK 2108 die auch von der Beklagten beschriebene Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen können, die dann jeweils revisionsrechtlich - in den aufgezeigten Grenzen - akzeptiert werden müssten. Dieses Ergebnis ist jedoch zum einen die logische Folge der den Gerichten nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten, sich den tatsächlichen aktuellen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verschaffen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber zum anderen zumindest partiell auch Folge des Normtatbestands der BK 2108, dessen Reform der Senat bereits mehrfach angemahnt hat (vgl insbesondere BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28 ff). Der Senat hat bereits im Jahre 2007 (aaO) betont, dass eine gleichmäßige Rechtsanwendung nur gewährleistet ist, wenn sich die zur Definition einer BK verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit Hilfe des von den Gerichten feststellbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstands hinreichend konkretisieren lassen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Handhabung der BK-Tatbestände und insbesondere des Tatbestands der BK 2108 ist nicht mehr möglich, wenn sich eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der jeweils zu untersuchenden Ursachenzusammenhänge im Prozess nicht mehr ermitteln lässt, sei es, weil einschlägige Forschungsergebnisse überhaupt fehlen oder weil sie keine allgemein akzeptierten Erkenntnisse (mehr) liefern (so bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 8 ff). Der Senat hat hierbei auch darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber mittels ggf erst zu schaffender oder besser auszustattender Fachgremien den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Ursachenzusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und der Entstehung von Krankheiten umfassend ermitteln kann (allgemein zu den Problemen der Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im BK-Recht auch für den Verordnungsgeber vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass sich der Verordnungsgeber in den letzten Jahren dieser Aufgabe gestellt und etwa im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) abstrakt-generelle Voraussetzungen der BK 2108 zB in Form von Dosiswerten diskutiert hätte. Auf die Angabe solcher "Grenzwerte" oder anderer Präzisierungen hat der Verordnungsgeber bei der BK 2108 bislang gerade verzichtet, woraus sich ein Großteil der auch im vorliegenden Fall erheblichen Anwendungsprobleme der Norm erklärt. Ob der erkennende Senat diese Anwendungsprobleme bei der BK 2108 auch in Zukunft als rechtsstaatlich noch tolerierbar betrachten kann, wird hier ausdrücklich offengelassen.

30

Da mithin bereits revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das 2. Zusatzkriterium der Befundkonstellation "B2" vorliegt, kann hier dahinstehen, ob für die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so Sächsisches LSG vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - und LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.7.2013 - L 6 U 59/11; Seidler und Bolm-Audorff in Grosser ua BK 2108, S 134, 138; anders Hessisches LSG Urteil vom 18.8.2009 - L 3 U 202/04 - und vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06 ; Grosser in: Grosser ua BK 2108, S 83, 101), was das LSG ebenfalls angenommen hat.

31

C. Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Aufgabe der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger nur bis Juni 1998 in seiner versicherten Tätigkeit Belastungen der Wirbelsäule ausgesetzt und gab sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Juli 1998 auf.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger absolvierte bis Mai 1977 eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Im Anschluss war er bis einschließlich 1997 als Eisenflechter und Zimmerer tätig. Diese Tätigkeiten gab er aufgrund einer Erkrankung seiner Wirbelsäule 1998 auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim Kläger eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine altersuntypische Chondrose Grad I im Segment L4/L5.

3

Mit Bescheid vom 5.4.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.7.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Wirbelsäulenerkrankung könne nicht als BK anerkannt werden, weil insbesondere die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 nicht vorlägen. Da in allen Wirbelsäulenabschnitten Verschleißerscheinungen bestünden, spreche das Schadensbild gegen eine berufliche Verursachung.

4

Das SG Chemnitz hat die Klagen mit Urteil vom 6.4.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger bestehe zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei L4/L5. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK lägen jedoch nach den Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheiten 2005/3, S 211, 214 ff) nicht vor. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 29.1.2014 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 vorliege. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wesentlich durch die berufliche Einwirkung verursacht. Entsprechend den Konsensempfehlungen liege eine ausreichende Exposition für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Der Ursachenzusammenhang zwischen dieser Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei zu bejahen. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich. Das bei Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestehende Schadensbild entspreche der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, bei deren Vorliegen die Verursachung hinreichend wahrscheinlich sei. Es liege zum einen eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums dieser Konstellation vor, weil im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - auf die Hälfte des Richtwertes von 25 Meganewtonstunden (MNh) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Lebensdosis für Männer in weniger als 10 Jahren und damit auf 12,5 MNh abzustellen sei. Dieser Wert sei in dem 10-Jahreszeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 mit rund 15 MNh erreicht worden. Zum anderen bestehe beim Kläger auch eine Höhenminderung und ein Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, weil dieses Zusatzkriterium auch bei einem lediglich bisegmentalen Bandscheibenschaden erfüllt sei.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Das Vorliegen einer BK 2108 könne nicht auf die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gestützt werden, weil der erforderliche wissenschaftliche Konsens nicht mehr vorliege. Divergierende Entscheidungen der LSGe zur Höhe des Richtwertes für die Lebensdosis als Indiz für eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums zur Konstellation B2 der Konsensempfehlungen zeigten, dass hinsichtlich ihrer Anwendung nicht mehr von einem einheitlichen Meinungsstand ausgegangen werden könne. Die Konsensempfehlungen könnten deshalb nicht mehr als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet und die Anerkennung einer BK 2108 nicht mehr auf sie gestützt werden. Auch seien die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht gegeben.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. April 2011 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das LSG habe seiner Entscheidung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Ursachenzusammenhang bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugrunde gelegt. Dieser sei weiterhin den Konsensempfehlungen zur BK 2108 zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

10

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig. Der Übergang im Berufungsverfahren von der zunächst erhobenen Verpflichtungs- auf eine Feststellungsklage war nach § 99 Abs 3 SGG zulässig(vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42 = NZS 2012, 151).

11

Der Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII),weil der Versicherungsfall erst nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität; dazu unter B). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter C). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind hier erfüllt.

12

A.1. Der Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Baufacharbeiter von September 1975 bis Mai 1977 bis einschließlich 1997 und auch darüber hinaus als Eisenflechter und Zimmerer beschäftigt. Er war damit "Versicherter" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII.

13

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Zeitraum vom 1.9.1975 bis 30.6.1998 einer kumulativen Einwirkungsbelastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen von 31 MNh (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17 f, sowie zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

14

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der Nr 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von September 1975 bis jedenfalls Ende 1997 und damit 22 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - USK 2004-101; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2).

15

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG litt der Kläger im Juli 1998 an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es lag eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 vor.

16

B. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - UV-Recht Aktuell 2006, 497), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

17

1. Vorliegend hat das LSG unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungswerts iHv 31 MNh ausgehend vom MDD zutreffend angenommen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 31 MNh erheblich überschritten war. Es kommt daher im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Deshalb muss hier auch nicht entschieden werden, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Erreichen jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6, S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Das LSG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - USK 2004-107).

19

Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der sog Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt (dazu unter b).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, Juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese zulässig gerügt werden (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Bindung besteht allerdings nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, Juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, Juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, zur Veröffentlichung in ASUMed 8/2015 vorgesehen; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233), handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 ; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8, S 10 ff), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs die Aussage des LSG, dass bei dem Kläger die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt, für die diese eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Für sämtliche Befundkonstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird.

25

Das LSG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger die Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren - vorlag, bei der der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist. Es hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 ohne Begleitspondylose und keine konkurrierenden Ursachen vorlagen, sowie dass der Kläger im Zeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 Belastungen von 15 MNh ausgesetzt war. Damit erreichte der Kläger also in weniger als 10 Jahren zwar nicht den Orientierungswert für Männer nach dem MDD iHv 25 MNh, überschritt jedoch mit 15 MNh die Hälfte dieses Wertes von 12,5 MNh.

26

Das LSG ist weiter davon ausgegangen, dass beim Kläger wegen dieses Überschreitens der hälftigen MDD-Dosis in Höhe von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren die für den Kausalzusammenhang der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung vorlag. Den Konsensempfehlungen hat das LSG mithin den generellen wissenschaftlichen Erfahrungssatz entnommen, dass für die bei der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis iHv 25 MNh, nämlich des Wertes von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren genügt. Dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Der vom LSG aufgestellte allgemeine Erfahrungssatz kann vom Revisionsgericht zwar in den oben aufgezeigten Grenzen überprüft werden, denn die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Recht der BKen unterliegen nicht von vornherein der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an tatrichterliche Feststellungen(vgl zB BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).

27

Der Senat konnte aber im Rahmen seiner hierzu durchgeführten Überprüfung nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass der vom LSG zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der erforderlichen besonders intensiven Belastung des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird und deshalb offenkundig nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen selbst verlangt jedenfalls in der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - nur das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren, ohne dort konkret die "MDD-Lebensdosis" wie im 3. Zusatzkriterium zu erwähnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird (Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S 135, 138) teilweise auf die Hälfte des MDD-Richtwerts und damit für Männer auf eine Belastung von 12,5 MNh abgestellt. Allein dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (für den Wert von 25 MNh wohl Grosser in: Grosser ua, BK 2108, S 83, 102) und die LSGe hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.2.2010 - L 14 U 78/06 - und vom 25.5.2011 - L 3 U 28/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 6.5.2010 - L 3 U 19/06 - und vom 19.1.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - sowie Bayerisches LSG vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06), reicht nicht dafür aus, die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.

28

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch ua , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Für den Senat war danach nicht erkennbar, dass der vom LSG zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem 2. Zusatzkriterium der Konstellation B2 offenkundig falsch ist oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird. Dies ist auch dem Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die Konsensempfehlungen im Ganzen und hinsichtlich der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - im Besonderen aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen keine hinlänglich zuverlässige Grundlage mehr für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands seien. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Konsensempfehlungen insgesamt unzutreffend. Der Senat sieht sich nach seinen eigenen Erkenntnissen jedenfalls auch nicht veranlasst, diesen vom LSG zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erfahrungssatz zu korrigieren.

29

Insofern besteht zwar aufgrund des durchaus kontroversen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK 2108 die auch von der Beklagten beschriebene Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen können, die dann jeweils revisionsrechtlich - in den aufgezeigten Grenzen - akzeptiert werden müssten. Dieses Ergebnis ist jedoch zum einen die logische Folge der den Gerichten nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten, sich den tatsächlichen aktuellen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verschaffen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber zum anderen zumindest partiell auch Folge des Normtatbestands der BK 2108, dessen Reform der Senat bereits mehrfach angemahnt hat (vgl insbesondere BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28 ff). Der Senat hat bereits im Jahre 2007 (aaO) betont, dass eine gleichmäßige Rechtsanwendung nur gewährleistet ist, wenn sich die zur Definition einer BK verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit Hilfe des von den Gerichten feststellbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstands hinreichend konkretisieren lassen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Handhabung der BK-Tatbestände und insbesondere des Tatbestands der BK 2108 ist nicht mehr möglich, wenn sich eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der jeweils zu untersuchenden Ursachenzusammenhänge im Prozess nicht mehr ermitteln lässt, sei es, weil einschlägige Forschungsergebnisse überhaupt fehlen oder weil sie keine allgemein akzeptierten Erkenntnisse (mehr) liefern (so bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 8 ff). Der Senat hat hierbei auch darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber mittels ggf erst zu schaffender oder besser auszustattender Fachgremien den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Ursachenzusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und der Entstehung von Krankheiten umfassend ermitteln kann (allgemein zu den Problemen der Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im BK-Recht auch für den Verordnungsgeber vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass sich der Verordnungsgeber in den letzten Jahren dieser Aufgabe gestellt und etwa im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) abstrakt-generelle Voraussetzungen der BK 2108 zB in Form von Dosiswerten diskutiert hätte. Auf die Angabe solcher "Grenzwerte" oder anderer Präzisierungen hat der Verordnungsgeber bei der BK 2108 bislang gerade verzichtet, woraus sich ein Großteil der auch im vorliegenden Fall erheblichen Anwendungsprobleme der Norm erklärt. Ob der erkennende Senat diese Anwendungsprobleme bei der BK 2108 auch in Zukunft als rechtsstaatlich noch tolerierbar betrachten kann, wird hier ausdrücklich offengelassen.

30

Da mithin bereits revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das 2. Zusatzkriterium der Befundkonstellation "B2" vorliegt, kann hier dahinstehen, ob für die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so Sächsisches LSG vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - und LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.7.2013 - L 6 U 59/11; Seidler und Bolm-Audorff in Grosser ua BK 2108, S 134, 138; anders Hessisches LSG Urteil vom 18.8.2009 - L 3 U 202/04 - und vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06 ; Grosser in: Grosser ua BK 2108, S 83, 101), was das LSG ebenfalls angenommen hat.

31

C. Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Aufgabe der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger nur bis Juni 1998 in seiner versicherten Tätigkeit Belastungen der Wirbelsäule ausgesetzt und gab sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Juli 1998 auf.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.